Meister der Vertikale - j. Christian Rainer - E-Book

Meister der Vertikale E-Book

j. Christian Rainer

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Beschreibung

WEGWEISER, GUIDE, PARTNER Erstbesteiger gehen in die Geschichte ein, doch kaum ein Gipfel wurde in der Frühzeit des Alpinismus ohne Bergführer erklommen. Ihre Namen blieben weitgehend unbekannt. Während sich anfangs noch jeder als Bergführer bezeichnen konnte, mussten bald Prüfungen abgelegt werden. Von all dem erzählt die 200-jährige Geschichte der Südtiroler Bergführer und spiegelt dabei die Entwicklung von Alpinismus und Tourismus wider.

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MEISTER DER VERTIKALE

Die Geschichte der Südtiroler Bergführer

Verband der Südtiroler Berg- und Skiführer (Hrsg.)J. Christian Rainer

Infos zum Buch

„Südtirol mit seinen Bergführer-Dynastien – von den Innerkoflers bis zu den Pinggeras – hat eine große Tradition im Führerwesen. Heute sind es die Schulen und Spitzenalpinisten, die dieser Geschichte Ausdruck verleihen.“

Reinhold Messner

Erstbesteiger gehen in die Geschichte ein, doch kaum ein Gipfel wurde in der Frühzeit des Alpinismus ohne Bergführer erklommen. Ihre Namen blieben weitgehend unbekannt. Während sich anfangs noch jeder als Bergführer bezeichnen konnte, mussten bald Prüfungen abgelegt werden. Von all dem erzählt die 200-jährige Geschichte der Südtiroler Bergführer und spiegelt dabei die Entwicklung von Alpinismus und Tourismus wider. So vielfältig Bergführerinnen und Bergführer sind, verbindet sie eines: die Leidenschaft – für die Berge, die Natur und den Umgang mit Menschen.

Mit vielen historischen Fotos, Porträts, Anekdoten und Zitaten

01Die Anfänge

Weil er da ist

Auf dem Spielplatz Europas

Chaos und Ordnung

Tirol lässt sich Zeit

Bergführer mit Brief und Siegel

02Auf dem Weg ins goldene Zeitalter

Der Motor ist angeworfen

Die Macht des Alpenvereins

Das goldene Zeitalter des Bergführerwesens

Geführtes Wandern und führerloses Bergsteigen

Das Dilemma der Bergführer: Gott oder Gast

03Licht und Schatten

Hungerleider oder Neureiche?

Neues Jahrhundert, neue Saison

Stürmischere Zeiten

Der erste Verband entsteht… fast

Von Königen und Soldaten

04Ende mit Schrecken: Der Erste Weltkrieg

Schaumgebremster Kriegsbeginn

Wenn der Krieg plötzlich vor der Tür steht …

Aus Soldaten werden Bergführer

Das Ende

05Neuer Start in neuem Staat: Die Zwischenkriegszeit

Gigantischer Scherbenhaufen

Aufbruch ins Ungewisse

Schwarze Gleichschaltung

Viele Köche, wenig Brei

Führerlos in die Berge

06Bergführer in Uniform: Militarisierung, Option und Krieg

Magere Jahre und ein Krieg am Horizont

Die Wahl zwischen Pest und Cholera

Kampf an der Front statt Kampf um den Berg

07Von neuen Anfängen und alten Problemen

Neuanfang mit Altlasten

Der Trend zeigt nach oben

Südtiroler Regeln für Südtiroler Führer?

Neue Regeln, alte Fragen

08Neue Gebiete, neue Modelle, neue Politik

Der Blick geht über die Grenzen

Neues Businessmodell: die Alpinschule

Neue Weichen für alles – auch für Bergführer

09Ein neuer Player: der Bergführerverband

Wo die Nachfrage steigt, steigt das Angebot

Das Land macht Druck, die Vereine verhandeln

Freiwillig gemeinsam: der Südtiroler Bergführerverband

10Offene Grenzen, europäische Führer

Neue Horizonte

Auf in den gemeinsamen europäischen Markt

Zurück in die Eisenzeit?

11Was war? Was ist? Was kommt?

Der größte Unterschied? Mehr Arbeit

Den Bergführer gibt’s nicht mehr

Digitale Ordnung und analoge Wildnis

Wohin geht die Reise?

12Schön und gut

Ein guter Bergführer: Was ist das denn?

Und das Schönste zum Schluss

01

DIE ANFÄNGE

Mit Rock, Hut und Alpenstange: 1887 führt ein Bergführer namens Mair eine gemischte Seilschaft auf den Übeltalferner in Ridnaun.

Sehnsuchtsziel: Stiche wie dieser vom Cristallo locken zuallererst britische Bergsteiger in die Dolomiten.

Weil er da ist

„Because it’s there.“ Wenn es um die Frage geht, warum Menschen auf einen Berg steigen, wird gern George Leigh Mallory bemüht, der wohl beste Alpinist seiner Zeit. „Weil er da ist“, antwortete Mallory 1923 auf die Frage, warum er den Mount Everest besteigen wolle.

Die Antwort hätte einfacher nicht ausfallen können und ist wohl auch deshalb im kollektiven Gedächtnis hängen geblieben: als genialer Slogan, als Jahrhundertzitat, als Credo des Alpinismus in vier Worten. „Weil er da ist.“ Wer diesen Satz aber nur für flapsig hält, tut seinem Urheber Unrecht. Im Interview, aus dem das Zitat stammt, schiebt Mallory die Erklärung nach, dass die schiere Existenz des Berges eine Herausforderung darstelle. Die Antwort auf die Frage, warum man ihn besteigen wolle, komme deshalb instinktiv, führt Mallory aus, sie sei Teil der menschlichen Sehnsucht, das Universum zu erobern.

Das Universum erobern

„Because it’s there. Everest is the highest mountain in the world, and no man has reached its summit. Its existence is a challenge. The answer is instinctive, a part, I suppose, of man’s desire to conquer the universe.“

George Leigh Mallory, „New York Times“, 18. März 1923

So menschlich, wie der Engländer Mallory behauptet, ist die Sehnsucht nach der Eroberung des Universums (und damit auch der Berge) aber nicht, vielmehr ist er mit dieser Einstellung ganz Kind seines Heimatlandes und seiner Epoche. Dreht man die Zeit 200 Jahre zurück und wechselt von den Britischen Inseln in die Alpen, ist die Existenz eines Berges für die Einheimischen alles, nur keine Herausforderung. Ihre Berge sind für die Älpler über Jahrtausende Ressource, aber auch und vor allem Gefahr und Bedrohung. Zudem stehen sie schlicht im Weg, wenn der kürzeste Weg von A nach B gesucht wird, denn der führt nie über die Gipfel, sondern stets über die Pässe.

Auf Berge gestiegen wird nur, wenn es gar nicht anders geht – und nur so hoch, wie es unbedingt sein muss. Hirten steigen zu ihrem Vieh hinauf, Jäger zum Wild, Kristallsammler zu den Adern, aber ein Vergnügen ist das Bergsteigen bis etwa Mitte des 18. Jahrhunderts nicht. Auf Berge zu steigen, war also über den größten Teil der Menschheitsgeschichte kein Dürfen, sondern ein Müssen. Dass die ersten Bergsteiger in einem moderneren Sinne keine Älpler, keine Bergler, sondern Städter sind, verwundert vor diesem Hintergrund nicht. Erste Gipfel werden von den „Zuagroastn“ erstiegen und meist ist zu Beginn auch die Geistlichkeit mit von der Partie, die auf den Bergen nicht nur die Nähe zu Gott, sondern auch wissenschaftliche Erkenntnisse sucht. Überhaupt spielt die Wissenschaft bei den ersten Bergtouren eine große Rolle – ob tatsächlich oder nur vorgeschoben, sei dahingestellt. Dass man das Besteigen von Bergen aber nach außen in den Dienst der Wissenschaft stellt, in jenen der Geologie und Geografie, der Glaziologie und Topografie, der Medizin, Botanik und Meteorologie, zeigt, dass die Zeit offensichtlich noch nicht reif ist für ein zweckfreies Bergsteigen, ein Bergsteigen um des Bergsteigens willen, ein Bergsteigen, dem als Grund genügt: weil der Berg da ist.

Im heroischen Kampf gegen eine unbändige Natur: Das Bergsteigen passt perfekt zum Menschenbild des 19. Jahrhunderts.

Da geht’s lang: Von jedem Gipfel werden neue sichtbar. Und damit auch neue Ziele, die es zu erschließen gilt.

Die Erstbesteigung des Matterhorns durch eine von Peter Taugwalder Vater und Sohn geführte Seilschaft mit Edward Whymper löst 1865 ein enormes Medienecho aus und befeuert das Interesse am Bergsteigen.

Auf dem Spielplatz Europas

Wie in so vielen anderen Bereichen sind es auch im Bergsteigen die Briten, die dem massenhaft betriebenen zweckfreien Tun den Weg bereiten. Sport und Eroberungsdrang, die Grundpfeiler britischer Lebensart, lassen sich in dieser neuen Disziplin bestens kombinieren, die Alpen werden zu dem, was der Autor Leslie Stephen 1871 „Playground of Europe“ nennt: der Spielplatz Europas. Auf diesem beginnt sich der britische Geburts- und Geldadel Ende des 18., Anfang des 19. Jahrhunderts auszutoben: zuerst vor allem in der Schweiz, später auch in Tirol. Im Zuge dieser ersten britischen Alpinistenwelle und in deren Fahrwasser wird Gipfel um Gipfel erstiegen. Die Bücher, Artikel und Aufsätze, die über die britischen Abenteuer in den Alpen erscheinen, faszinieren die Leser und entfalten eine Magnetwirkung, die den ersten touristischen Boom in den Bergen auslöst und damit deren Gesicht für immer verändert.

Für die Dolomiten ist das 1864 erschienene Buch „The Dolomite Mountains“ der beiden Engländer Josiah Gilbert und George C. Churchill so etwas wie die Initialzündung für den „Fremdenverkehr“. Es lenkt die Aufmerksamkeit der sportbegeisterten Briten auf den noch weitgehend unerschlossenen Dolomitenraum, etliche Alpinisten brechen daraufhin von den Britischen Inseln nach Südtirol, ins Trentino und nach Belluno auf, um die sogenannten Bleichen Berge zu bezwingen. Die britische Erschließung der Dolomiten wird in diesen Jahren zudem durch John Balls Reise- und Alpinführer „Alpine Guide to the Eastern Alps“ weiter befeuert, der sich gezielt an die Mitglieder des 1857 gegründeten Alpine Club richtet und damit genau jene Zielgruppe anspricht, für die die Dolomiten zum Traumziel avancieren.

Es ist also nicht nur das Gesicht der Alpentäler, das durch den Tourismus verändert wird, durch ihn verändert sich auch der Blick auf die Berge. Die Gefahren, die von ihnen ausgehen, die Angst vor dem Unbekannten und Unkontrollierbaren rücken in den Hintergrund, die sportliche Herausforderung, der Wettkampf und der Drang, den Berg zu „besiegen“, drängen sich vehement in den Vordergrund. Aus dem Bergsteigen wird ein Sport, zumindest für die Engländer. Für die Einheimischen – für Schweizer, Savoyer, Bayern, Salzburger, Tiroler oder Trentiner – ist die britische Sicht auf das Besteigen von Bergen völlig neu, mit dem so typisch englischen Sportsgeist können sie zunächst so wenig anfangen wie mit dem sinn- und zweckfreien Treiben am Berg. Trotzdem setzt kaum ein Engländer einen Fuß an oder auf einen Berg, ohne von einem Ortskundigen begleitet zu werden. Hirten, Gamsjäger, Wilderer, Schmuggler oder Kristallsammler werden so zu gesuchten Trägern und Führern. Führern, wohlgemerkt, nicht Bergführern, denn vor den 1860er-Jahren von „Bergführern“ zu reden, wäre irreführend. Schließlich suchen die Engländer nicht Bergführer in einem heutigen Sinne. Was sie brauchen, ist vielmehr ein „Guide“ im Sinne eines menschlichen Wegweisers. Technisch-alpinistische Fähigkeiten sind Nebensache, was zählt, ist die Ortskenntnis der „Locals“.

Mallorys „Weil er da ist“ mag also in den Anfangsjahren der Grund dafür gewesen sein, dass Engländer auf einen Berg stiegen, für die Einheimischen war die reine Existenz des Berges aber nicht genug, um sich unnötig einer Gefahr auszusetzen. Und ihre „Sehnsucht“ richtete sich auch weniger auf die Eroberung des Universums als vielmehr auf die Eroberung der Brieftasche des Gastes. Oder anders: Bergsteigen wurde in den 1860ern für einige wenige zum Geschäft, sie konnten sich damit etwas zum kargen Lebensunterhalt dazuverdienen. Kurz: Älpler stiegen auf Berge, weil sie dafür bezahlt wurden. Und nicht, weil sie da waren.

Weil nur ein heldenhafter Kampf Aufmerksamkeit bringt, wird das Risiko am Berg besonders lebendig dargestellt. Das spielt wiederum den Bergführern in die Karten.

Es sind die Mitglieder der Alpenvereine, allen voran des britischen, die das Bergsteigen in den Alpen im 19. Jahrhundert salonfähig machen – auch durch künstlerische Begleitung.

Viel Verkehr: Der Mont Blanc entwickelt sich schon in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts zum Touristenmagneten – trotz oder vielleicht auch wegen seiner Tücken.

Chaos und Ordnung

Noch einen zweiten großen Unterschied gibt es damals zwischen der englischen Sicht auf das Leben (und damit auch auf das Bergsteigen) und der kontinentaleuropäischen. Während sich die Engländer umso wohler fühlen, je weniger Regeln ihr Leben einschränken, scheinen Republiken und Königreiche auf dem Kontinent nur regierbar, wenn alles und jedes bis ins Detail geregelt ist. Schon 1821 etwa erlässt man – nicht zufällig – in Chamonix am Fuße des Montblanc das erste Bergführerreglement der Welt. Es wird aus der Not geboren, oder vielmehr: als Folge eines tragischen Unglücks. Im Jahr zuvor waren drei Bergführer eines Beraters des russischen Zaren am Montblanc in einer Lawine umgekommen, woraufhin als erster Bergführerverein überhaupt die Compagnie des Guides de Chamonix gegründet und der Beruf des Bergführers (und dessen Absicherung im Unglücksfall) geregelt wird.

Faule Führer?

„Da die Führer bis jetzt keiner Art von Controlle noch gewissen Regeln unterworfen waren, so konnte ein jeder Taugenichts, der zu träge war sein Brod durch Handarbeit zu verdienen, sich hierzu stempeln.“

Der Oberamtmann von Interlaken in einem Schreiben an die Berner Kantonalregierung, 1826

Fünf Jahre später wird auch in der Schweiz der Ruf nach einer Bergführerordnung laut. Angelockt vom – im Vergleich zum Schuften in Ställen, auf Wiesen und im Wald – schnellen und leicht verdienten Geld, versuchen sich immer mehr junge Männer als Träger oder Führer. Auch solche, die offensichtlich nicht über die nötigen Voraussetzungen verfügen. So droht der Wildwuchs über kurz oder lang das große Geschäft mit dem Bergtourismus zu gefährden, denn Klagen der englischen Touristen über Unzuverlässigkeit und fehlenden Anstand, über unverhältnismäßig hohe Preise, Vertragsbruch, Zecherei und fehlende Ortskenntnis häufen sich. Erst in den 1850er-Jahren verabschieden die ersten Schweizer Kantone jedoch Gesetze, mit denen der Beruf des Bergführers sowie der Zugang dazu über ein System von Ausbildungskursen und Prüfungen geregelt wird. Und sogar fast zehn Jahre länger dauert es im kaiserlich-königlichen Universum, den Beruf des Bergführers zu regeln. So wird 1863 in Salzburg die erste Bergführerordnung der österreichischen Geschichte verabschiedet. Zwei Jahre später regen die Ministerien in Wien den Erlass weiterer Bergführerordnungen in den Alpenländern an.

Die plötzliche Geschäftigkeit hat einen einfachen Grund, nämlich einen finanziellen. Schließlich geht es um die Frage, inwieweit Bergführer Erwerbsteuer zahlen müssen. Die Antwort fällt überraschend aus: Innen-, Polizei-, Finanz- und Handelsministerium sprechen sich im Mai 1865 gegen eine Erwerbsteuerpflicht für Bergführer aus, sei doch „die Beschäftigung der Bergführer, da sie gewöhnlich nur gelegentlich und vorübergehend, daher nur als ein prekärer Nebenverdienst ausgeübt wird, in der Regel als kein Gewerbe anzusehen“. Nur wenn ein Bergführer seine Tätigkeit „ausnahmsweise als eine selbstständige Unternehmung förmlich gewerbsmäßig“ betreibe, müsse er dafür auch Steuern bezahlen. Offensichtlich sind Profibergführer damals also noch dünn gesät. Trotzdem werden „Anordnungen zur Regelung des Bergführerwesens“ erlassen, die zur Grundlage der in den nächsten Jahren folgenden Bergführerordnungen in den Ländern werden und in der Zwischenzeit schon einmal die wichtigsten Voraussetzungen für den Zugang zur Bergführerei und deren Ausübung regeln.

In den 1890er-Jahren verlassen sich die meisten Seilschaften auf kompetente Begleitung durch einen Bergführer. Und auf jemanden, der ihnen die Arbeit am Berg abnimmt.

Erfahrung, Verlässlichkeit, Ortskenntnis

„In jenen Gegenden, welche von Reisenden häufig besucht werden und wo sich das Bedürfniß nach Bergführern herausgestellt hat, haben die politischen Bezirksbehörden denjenigen, die darum, wenn auch nur mündlich ansuchen und von deren Befähigung zum Bergführergeschäfte, nämlich von deren genügender Erfahrung, Verläßlichkeit, genauer Ortskenntniß und physischer Tauglichkeit sie sich in geeigneten Wegen überzeugt haben, ein Bergführerbuch zu verabfolgen.“

§ 1 der ministeriellen Anordnungen zur Regelung des Bergführerwesens, 1865

Schaut man sich die ministeriellen Anordnungen genauer an, erkennt man ein Grundprinzip: Die Zuständigkeit für die Regelung des Bergführerwesens wird den Bezirken zugeschrieben. Gleichzeitig wird für das gesamte österreichische Hoheitsgebiet das Bergführerbuch als Befähigungsnachweis eines Bergführers eingeführt. Die Behörden schrecken aber (noch) vor einem Monopol der behördlich anerkannten Bergführer zurück, spielen deshalb die Bedeutung des Bergführerbuches herunter und degradieren es fast schon zu einem Marketinginstrument. So heißt es in den Anordnungen: „Es gibt ihm zwar kein ausschließliches Recht gegenüber solchen, die ein Bergführerbuch nicht erwirken; allein da es den Charakter eines behördlichen Zeugnisses hat, so wird es einerseits dem reisenden Publikum die so sehr gewünschte Garantie der Verläßlichkeit des damit Betheilten und dem Letzteren alle Vortheile einer behördlichen, zur allgemeinen Kenntniß gebrachten Beglaubigung gewähren.“

Im Ministeriumserlass von 1865 finden sich auch noch andere Regelungen, die später in den Länder-Bergführerordnungen übernommen werden. Dazu gehören die Pflicht des Führers, das Bergführerbuch den Reisenden und Behörden vorzulegen, falls diese es wünschen, und die Möglichkeit der Behörden, den Führern das Buch zu entziehen. Zugleich ordnet Wien an, die Namen der Bergführer „in den Gasthöfen, Wirthshäusern, Bahnhöfen, auf Dampfschiffen etc. durch Anschlag kund zu machen, damit die Reisenden in die Kenntniß kommen können, daß in einem bestimmten Orte oder Bezirke behördlich legitimirte Führer sich befinden“.

Weil sich aber erfahrungsgemäß die meisten Streitfälle um die Preise entwickeln, ordnet das Ministerium auch deren Regelung an, und zwar für „alle minder beschwerlichen und minder gefährlichen Touren“. Während der Preis für schwierige, gefährliche Touren weiter Verhandlungssache zwischen Gast und Bergführer bleibt, sollen für Sonntagstouren fixe Tarife festgeschrieben werden, und zwar von den Bezirken. Dabei gilt es, ein Gleichgewicht zwischen den Ansprüchen der Führer und jenen der Gäste zu finden. So spezifizieren die Behörden zwar, dass der Lohn den Mühen des Führers angemessen sein müsse, zugleich aber auch, „daß der Tarif nicht zu hoch gespannt werden darf, weil dieses auf den Fremdenbesuch nachtheilig einwirkt, durch hohe Tarifsätze Reisende veranlaßt werden, ohne Führer zu reisen, und auf diese Weise leicht Unglücksfälle vorkommen könnten“. Es geht den Behörden also darum, den aufkommenden Alpintourismus nicht zu ersticken, auch wenn man dieses Ziel hinter einem Vorhang aus Sicherheitsbedenken versteckt.

Anstatt also eine einheitliche Bergführerordnung für alle Länder zu erlassen, beschränkt sich Wien darauf, Leitlinien für solche Ordnungen aufzustellen. Bemerkenswert ist dabei, dass man die Führer zwar behördlich autorisieren, ihnen aber kein Monopol zuschreiben will. Und noch etwas fällt auf: Der drei Jahre zuvor gegründete Österreichische Alpenverein scheint zwar in den Prämissen als Ansprechpartner des Ministeriums auf, in den Anordnungen spielt er aber keine Rolle. Vielmehr liegt alle ordnende und regelnde Macht bei den Bezirksbehörden.

Tirol lässt sich Zeit

Dass die erste behördliche Regelung des Bergführerwesens in Österreich aus den 1860er-Jahren stammt, ist kein Zufall. In den Jahrzehnten zuvor waren Führer rar, weil Bergsteiger rar waren. Auch in Tirol ist also erst einmal Warten angesagt, bis die alpinistische Welle (und in deren Gefolge auch die touristische) von den Westalpen kommend über das alpine Herzland schwappt. Erst als es in Frankreich und vor allem in der Schweiz für britische Bergsteiger immer schwieriger wird, Spuren in jungfräulichen Gipfelschnee zu treten, sucht man sich einen neuen „playground“ und findet ihn in den österreichischen Bergen.

Rollwagen- und Bergführer

Bergführer sind Dienstleister. Dass man dies in den Anfangsjahren besonders wörtlich nahm, zeigt die Tatsache, dass man sie im Meran der 1860er-Jahre im Dienstmanns-Institut in der Postgasse neben Rollwagenführern und Sesselträgern, Krankenwärtern und Boten engagieren konnte. Übrigens: Der Tagessatz für einen Führer belief sich 1867 auf 2 Gulden (heute knapp 30 Euro) und war damit gleich hoch wie der eines Sesselträgers. Nur der Krankenwärter war mit 1,20 Gulden am Tag deutlich billiger zu haben.

Gut behütet: Hinter dem Führer her nimmt eine Familie im ausgehenden 19. Jahrhundert den Ortlergletscher unter die Nagelschuhe.

Wo auch immer die Gäste aus dem Vereinigten Königreich einfallen, gilt: Ohne Bergführer tun sie keinen Schritt. Daraus folgt der einfache Zusammenhang: Je mehr (britische) Bergsteiger nach Tirol kommen, desto mehr Arbeit gibt es für die Führer. Und weil nun einmal die Nachfrage das Angebot bestimmt, wächst mit der Zahl der Gäste auch jene der Bergführer. Kurios dabei ist, dass die Kausalbeziehung in diesem Fall keine Einbahnstraße ist, sondern durchaus auch umgekehrt gilt. Bergführer werden zu einem zusätzlichen Angebot für die Touristen, zu einem Argument, das für eine Destination oder auch schon einmal für ein Hotel spricht. So werben etwa die Bäder von Bormio Ende der 1860er-Jahre in verschiedenen Tiroler Zeitungen nicht nur mit täglichen Post- und Eilwagen, modernstem Komfort und einem Telegrafen, sondern auch mit „erprobten Bergführern“. Diese sind jedoch noch Importware: „Der bekannte Bergführer Poell aus Patznaun ist während dieser Saison in den Bädern von Bormio als Begleiter der Herren Bergsteiger und Alpenclubisten auf ihren Touren in die dortige Gebirgswelt engagirt“, liest man im Inserat. Poell sei, so schwärmt man, der beste Kenner der Gletscherwelt im Ortlergebiet und habe die Aussichtspunkte am Piz Umbrail oder Monte Braulio „selbst für Damen zugänglich gemacht. […] Von Gefahren ist dabei so wenig die Rede, daß auch an Schwindel leidende Persönlichkeiten diese Touren ohne Bedenken unternehmen können“, werben die Bäder.

Sextner Pionier: Hans Innerkofler (1833-1895) wurde nicht umsonst „Gamsmandl“ genannt.

Mit der Zahl der Touristen wächst also jene der Bergführer und mit jener der Bergführer auch die der Touristen. Diese stammen indes nicht nur von den Britischen Inseln, auch wenn John Ball den Startschuss gibt. Er steht 1857 auf dem Monte Pelmo und 1860 auf der Marmolata di Rocca. Schon in diesen ersten Jahren mischen aber auch Mitteleuropäer bei der Erschließung der Berge der Alpensüdseite kräftig mit. 1863 etwa kommt der Wiener Paul Grohmann zum ersten Mal in die Dolomiten und besteigt bis 1869 als Erster die Tofane, den Sorapiss, die Marmolata, den Cristallo, die Dreischusterspitze, den Langkofel, die Große Zinne und den Antelao. Oft vergessen wird dabei, dass auch Grohmann – wie seine englischen Vorgänger – nie allein am Berg unterwegs ist. Die Dreischusterspitze etwa erkundet er im Schlepptau der besten Sextner Gamsjäger und auch bei deren Erstbesteigung steht mit Franz Innerkofler ein einheimischer Führer mit dem Wiener auf dem Gipfel.

Grohmann leistet nicht nur in alpinistischer Hinsicht Pionierarbeit. Mit seinem Buch „Wanderungen in den Dolomiten“ (so klingt Bescheidenheit!) öffnet er weiten Kreisen den Blick auf die bis dahin im deutschen Sprachraum kaum wahrgenommenen Dolomiten. Noch einen zweiten Effekt hat die publizistische Tätigkeit Grohmanns: Er wird als Erstbesteiger, als Erschließer, bekannt, während seine Begleiter, die ersten großen Dolomitenführer, in seinem Schatten bleiben. Bis heute. Dabei sind sie es, die das Klettern Schritt für Schritt weiterentwickeln und ganz neue Schwierigkeitsgrade erschließen. So wird Ende der 1870er an der Torre dei Sabbioni in der Marmarolegruppe erstmals im III. Grad geklettert. Und 1881 folgt die Erstbesteigung der bis dahin als unbezwingbar gehaltenen Kleinen Zinne durch die Sextner Führer Michl und Hans Innerkofler.

Bergführer mit Brief und Siegel

Nicht nur alpinistisch leisten die Bergführer in den Anfangsjahren Großes. Sie sind auch als touristische Pioniere gefragt und – wie man im Mai 1870 im „Boten für Tirol und Vorarlberg“ liest – „vorzugsweise geeignet, Touristen in die bisher wenig begangenen, an Naturschönheiten und romantischer Abwechslung reichen Berggegenden zu ziehen, diese allmälig mehr bekannt und zugänglich zu machen“. Letzteres bezieht sich vor allem auf die damals noch von Bergführern übernommenen Aufgaben des Wege- und Hüttenbaus, um „dem gerade in Tirol gegenüber andern Alpenländern sehr vermißten Comfort in den Alpengegenden einigermaßen Fürsorge tragen zu können“. Zwar überlassen die Bergführer schon nach wenigen Jahren diese Arbeiten mehr und mehr dem Alpenverein, trotzdem sind sie aber weiterhin zentrale Figuren im touristischen Angebot Tirols.

Das bleibt selbstverständlich auch den Behörden nicht verborgen, die Ende der 1860er-Jahre in vielen Orten und ganzen Tälern vor einem Problem stehen: dem Mangel an Bergführern. Von der k. k. Bezirkshauptmannschaft in Innsbruck ergeht daher die Aufforderungen an die Magistrate, aktiv nach geeigneten Leuten zu suchen, um diese als Bergführer anzuwerben. So werden Kandidaten direkt von Beamten und Ortsvorstehern angesprochen, zudem setzt man auf die Breitenwirkung von Plakaten: „Bergführer gesucht“.

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wird der Alpintourismus zu einem wichtigen Standbein – auch in den Seitentälern (im Bild der Hochgall).

So rücken die Bergführer in den späten 1860er- und frühen 1870er-Jahren immer mehr in den Fokus der Aufmerksamkeit. Weil man um ihre Bedeutung weiß, kümmert sich etwa der Österreichische Alpenverein (OeAV) immer aktiver um die Führer – auch finanziell. So liest man 1870 erstmals von einer „Gratifikation“, die besonders bewährten Führern vom OeAV zuerkannt und über den Bezirkshauptmann ausgezahlt wird. Es sind 30 Gulden, heute immerhin etwa 400 Euro, über die sich ein Bergführer aus Neustift und einer aus Gschnitz freuen können. Noch wichtiger als die finanzielle Unterstützung ist die rechtliche, die – immer im Jahr 1870 – zunächst im politischen Bezirk Innsbruck festgeschrieben wird: in Form der ersten Bergführerordnung und des ersten Bergführertarifs in Tirol, erlassen von der k. k. Bezirkshauptmannschaft.

Sie wird zur Vorlage für die nur ein Jahr später erlassene einheitliche Bergführerordnung für ganz Tirol und Vorarlberg, die über weite Strecken deckungsgleich mit der Innsbrucker Ordnung ist. Einige interessante Abweichungen gibt es allerdings und diese lassen sich aus der Vorgeschichte der Regelung und mit der zentralen Rolle, die der Alpenverein darin spielt, erklären. Schon 1870 beauftragt die Generalversammlung des Deutschen Alpenvereins (DAV) „die bekannten Alpenfreunde“ Johann Stüdl, Kaufmann in Prag, und den Venter Kuraten Franz Senn damit, eine Bergführerordnung für ganz Tirol und Vorarlberg zu entwerfen, um diese der kaiserlich-königlichen Statthalterei in Innsbruck zur Verabschiedung vorzulegen. Stüdl und Senn kommen ihrem Auftrag nach, nicht ohne dem Alpenverein eine wichtige Rolle in der künftigen Regelung des Bergführerwesens zuzuschreiben. So räumt der Alpenverein seinen Sektionen schon in § 1 des Entwurfs das Recht einer „speciellen Prüfung, Ueberwachung, Kontrolle der Führer“ ein, macht also deutlich, dass man der Entwicklung des Bergführerwesens nicht untätig zuschauen wolle. Zugleich wird der mediale Druck auf die Behörden erhöht, dem Alpenverein einen Zugriff auf das Bergführerwesen zu eröffnen und die Auswahl der Führer nicht allein den politischen Vertretern vor Ort zu überlassen.

Bitte (nicht) lächeln: Wohl in den 1890er-Jahren posieren Ridnauner Bergführer in voller Montur vor dem Hotel Sonklarhof für den Fotografen.

Sie wissen alles besser …

„Die Gemeindevorsteher erhalten von der k. k. Bezirkshauptmannschaft den Auftrag, zum Bergführerdienste taugliche Individuen namhaft zu machen […]. Was thun nun die Berg- und Gletscherkundigen Vorsteher? Sie heften eine Aufforderung zur Anmeldung zum Fremdenführerdienste an die schwarze Tafel bei der Kirche und warten in ihrer Kanzlei auf die sich Meldenden. An dem einen Orte kommt Niemand, am anderen zwölf, aber mit Ausnahme eines Einzigen, alle unkundige oder nichtsnutzige Leute. Diese sollen nun als Führer autorisirt werden und von der k. k. Bezirkshauptmannschaft vidirte Führerbücher erhalten. Damit ist die Organisation des Führerwesens beendet. […] Löset euch auf ihr Sektionen des deutschen Alpenvereins in Tirol und Vorarlberg und leget, ihr Alpenfreunde, eure mühsam gesammelten Erfahrungen und Kenntnisse über Berge und Gletscher, gute oder schlechte Führer, deren nothwendige Eigenschaften u.s.w. bei Seite; die Gemeindevorsteher in ihren Kanzleistuben wissen Alles viel besser.“

„Pustertaler Bote“, 7. Dezember 1871

Ganz geht die Rechnung des Alpenvereins nicht auf, in der am 4. September 1871 von der k. k. Statthalterei für Tirol und Vorarlberg erlassenen „Bergführerordnung giltig für Tirol und Vorarlberg“ heißt es in § 1: „Das Bergführerwesen steht unter der Aufsicht und Leitung der politischen Behörde.“ Vom OeAV oder DAV ist darin nicht die Rede, allerdings werden die „gesetzlich bestehenden Alpenvereine“ in zwei weiteren Artikeln als Ansprechpartner der Bergführer genannt. Oder besser gesagt: Die Führer sind den Vereinen Rechenschaft schuldig, womit Letztere den Fuß in die Tür bekommen und in den folgenden Jahren ihre Macht innerhalb des Bergführerwesens Schritt für Schritt ausbauen.

Die erste Tiroler Bergführerordnung von 1871 ist aber nicht nur hinsichtlich der Rolle der Alpenvereine interessant. Sie regelt auch erstmals den Zugang zum Beruf des „behördlich autorisierten Bergführers“ und die Ausübung desselben. In der Ordnung sind die Rechte und Pflichten der Führer ebenso festgeschrieben wie jene der Gäste. Und zwar detailliert. So dürfen nur Personen als Bergführer anerkannt werden, die unbescholten sind, also ein blütenweißes Leumundszeugnis vorweisen können, und vom Gemeindevorsteher mit einem Befähigungszeugnis ausgestattet werden. Wird ein Bewerber für tauglich befunden, erhält er von der Bezirkshauptmannschaft ein Führerbuch, das Jahr für Jahr von den Behörden beglaubigt werden muss. In diesem Buch sind all jene Touren oder vielmehr Gebiete eingetragen, für die der Führer als geeignet befunden worden ist. Allein daraus erkennt man, dass das Bild des Bergführers als ortskundiger Wegweiser immer noch tief im allgemeinen Verständnis verankert ist. Das Führerbuch gilt einerseits als Nachweis der behördlichen Genehmigung, also als Bergführerausweis, andererseits dient es dem Bergführer aber auch als Sammlung seiner Referenzen. Dafür ist eine genügend große Anzahl leerer Blätter vorgesehen, auf denen die Gäste ihre Erfahrungen mit dem Führer niederschreiben sollen.

„Schließlich glauben sie selber an ihre Unfehlbarkeit“

Das Bergführerbuch wird über die Jahre immer wieder zum Stein des Anstoßes. Die Führer selbst ärgert, dass sie von – meist völlig unbedarften – Gästen beurteilt werden, die Gäste ärgern kaum fundierte Lobhudeleien. Irgendwann (1915) wird es dem Deutschen und Österreichischen Alpenverein (DuOeAV) zu bunt. Er gibt in seinen „Mitteilungen“ eine Reihe von Weisungen für seine Mitglieder aus, was sie ins Führerbuch eintragen sollten – und vor allem, was nicht. So heißt es darin, man solle die Führer nicht über den grünen Klee loben, das „erhöht unnötigerweise das Selbstgefühl der Führer. […] Schließlich glauben sie selber an ihre Tüchtigkeit und Unfehlbarkeit.“ Deshalb solle man auch Missstände offen ansprechen, damit die Aufsichtsorgane diesen nachgehen könnten. War der Führer also unfähig, war er ein „mürrischer, schnippischer oder ein den Reinlichkeitsgewohnheiten des Touristen widersprechender Mensch“? Weil der Alpenverein offensichtlich nicht nur die Führer belangen will, teilt er auch in Richtung Gäste aus: „Die meisten Touristen sind gar nicht in der Lage, die Qualität der Führer und der gemachten Tour zu beurteilen. […] Im gewöhnlichen Leben fällt es ja auch keinem Kaufmann oder Arzt ein, über die Betriebssicherheit einer Drahtseilbahn zu urteilen, warum also hier?“

Als Aufgabe des Bergführers wird in der ersten Tiroler Bergführerordnung definiert, „das reisende Publikum auf der bestimmten Route zu begleiten, Verirrungen zu verhüten und Unglücksfälle von Touristen thunlichst hintanzuhalten“. Es sei seine Pflicht, „sich anständig, artig, freundlich und zuvorkommend gegen dieselben zu benehmen und ihnen alle thunliche Beihilfe zu leisten“. Auch wird der Führer verpflichtet, mindestens 15 Kilo Gepäck kostenlos für seine Gäste zu schultern, ein geeignetes Seil bei sich zu haben, sich selbst zu verpflegen und keine Gebühren zu verrechnen, die über die festgelegten Tarife hinausgehen. Die Rechte seinem Gast gegenüber reichen dagegen weit weniger weit: „Ungebührliche Zumuthungen oder üble Behandlung von Seite der Reisenden hat er [der Führer] mit ruhigem Ernste zurückzuweisen“, heißt es im Reglement. Mehr nicht.

02

AUF DEM WEG INS GOLDENE ZEITALTER

Das legendäre Bergführerbankl vor dem Hotel Eller in Sulden war in den 1930er-Jahren voll besetzt.

Der Motor ist angeworfen

Die Bergführerordnung von 1871 ist der Grundstein, auf dem sich in Tirol ein geordnetes Bergführerwesen entwickeln kann. Auch in finanzieller Hinsicht. So werden ab Sommer 1872 im Amtsblatt die Tarifverzeichnisse der Bergführer Bezirk für Bezirk veröffentlicht. Zugleich werden darin auch die Namen der autorisierten Bergführer angeführt. Damit ist für die Gäste von vornherein (und amtlich) klar, wer für eine bestimmte Tour über die nötigen Voraussetzungen verfügt und was die Tour kosten wird. Interessant ist, dass sich die Südtiroler Bezirke mit der Festlegung der Bergführertarife viel Zeit lassen. Erst vier Jahre nach Innsbruck als erstem Bezirk erkennt die Bezirkshauptmannschaft Meran 1876 ihre Führer amtlich an, zwölf davon allein in Sulden. 1878 ist das Hochpustertal mit seinem Tarif zur Stelle, der politische Bezirk Bozen braucht sogar noch ein Jahr länger. Sein Tarif für damals 33 Bergführer und 160 Touren in Bozen, im Überetsch, am Ritten, im Sarntal, im Rosengarten- und Schlerngebiet, in Gröden und Villnöß erscheint 1879 und wird „in jedem Gasthause an in’s Auge fallender Stelle angebracht“.

Was kostet der Ortler?

Der von der Meraner k. k. Bezirkshauptmannschaft 1876 genehmigte Führertarif listet für Sulden 48 Touren auf, darunter allein fünf auf den Ortler. So kostet die Besteigung des „höchsten Spitz’ von Tirol“ auf dem Normalweg mit Übernachtung in der Payerhütte 10 Gulden, über den Hintergrat mit Übernachtung in der Schaubachhütte 13 Gulden und über das Hochjoch 16 Gulden. Günstiger ist die Tour auf die Königspitze (12 Gulden) bzw. auf den Cevedale (7 Gulden). Zum Vergleich: Ein durchschnittlicher Monatslohn belief sich damals auf rund 16 Gulden.

Interessante Kombination: Johann Innerhofer, Jahrgang 1870, war in Steinhaus nicht nur als Bergführer tätig, sondern auch als Briefträger.

Der Bergführertarif, hier jener von 1893 für Sulden, war weit mehr als eine Information für potentielle Gäste. Er wurde vom Alpenverein festgelegt und war für die Führer bindend.

Neben der behördlichen Regelung des Bergführerwesens beginnen die Bergführer, sich auch selbst zu organisieren. Bereits vorangegangen waren jene Bezirke, in denen die Nachfrage am größten war. So gab es ab 1865 etwa den Bergführerverein Sulden-Trafoi. Die Führervereine sind allerdings nicht als Konkurrenz zum Deutschen und Österreichischen Alpenverein (DuOeAV) gedacht, sondern von diesem gewollt. „Es soll möglichst auf die Bildung von Führervereinen hingewirkt werden, die unter der Aufsicht der Sektion stehen“, schreibt der Alpenverein. Die Vereine sollen vor Ort die Bergführerschaft organisieren, als Bindeglied zum Alpenverein fungieren, Kandidaten an den Beruf heranführen sowie Hütten und Wege bauen und instand halten. In eigenen Bergführerbüros werden mancherorts auch Anfragen von Touristen an die Bergführer weitergeleitet, wobei der Obmann darauf achten soll, alle Führer gleichmäßig zum Zuge kommen zu lassen.

„Allerlei Verdrießlichkeiten“

Für die Bergführer in alpinen Zentren war die Kehrordnung von zentraler Bedeutung. Die hat aber nichts mit einem Besen zu tun, sondern regelt das Zusammenbringen von Angebot und Nachfrage, von Bergführern und Gästen. „Die Handhabung der Kehrordnung ist allerdings nicht leicht und bleiben allerlei Verdrießlichkeiten nicht aus“, schreibt der DuOeAV noch Anfang des 20. Jahrhunderts. Und: „Notwendige Voraussetzung ist natürlich, daß der Obmann, welcher die Zuweisung vornimmt, streng unparteiisch vorgeht, andererseits die Führer sich nicht selbst den Reisenden aufdrängen.“ Eine Ausnahme von der Kehrordnung gibt es aber: Verlangt ein Kunde ausdrücklich einen bestimmten Führer, „so muß er natürlich diesen erhalten“.

Wo ein Büro fehlt, treffen sich Angebot und Nachfrage beim „Bergführerbankl“, auf dem es sich all jene Führer gemütlich machen, die gerade kein Engagement haben, und dort von den Gästen unter die Lupe genommen werden können. Nur in Sulden handhabt man zu Beginn die Beziehungen zwischen Gast und Führer anders: Treffpunkt der Führer ist das Gasthaus Eller, das von der Familie des Suldner Pfarrers Johann Eller geführt wird. Der ist es auch, der die Anfragen der Gäste entgegennimmt und den Führern ihre (zeitweiligen) „Herren“ zuteilt. Später rückt das „Bankl“ dann vor das Hotel, der Segen von ganz oben bleibt aus.

Der Ortlerpionier

JOHANN PINGGERA

Etwa zur gleichen Zeit, als Paul Grohmann den Dolomiten aufs Dach steigt, ist der k. u. k. Offizier Julius Payer im Ortlergebiet unterwegs, um dieses zu kartografieren. Drei Sommer lang kraxelt er auf jeden erreichbaren Gipfel, immer im Schlepptau von Johann Pinggera aus Außersulden, der für Payer Wegweiser, Führer, Kletterpartner, Seilgefährte und Träger in einem ist. So lädt der Kartograf seinem Führer nicht nur Seil, Pickel und Proviant auf die Schultern, sondern auch Theodolit, Barometer und Zeichenmaterial. Gemeinsam unternehmen Pinggera und Payer mehr als 60 Touren, besteigen 50 Gipfel und kommen auf nicht weniger als 43 Erstbesteigungen. 1869 will Payer Pinggera sogar bei seiner Expedition in die Arktis dabeihaben, Heimweh macht dem Führerpionier aber einen dicken Strich durch die Rechnung. Schon in Bozen kehrt Pinggera wieder um. Trotzdem bilden die Erfahrungen, die Johann Pinggera mit Payer sammeln kann, den Grundstein für eine überaus erfolgreiche Bergführerkarriere. Und eine überaus beständige: 60 Jahre lang führt Pinggera, „der Schafhirte von der Schönleitenhütte“ (O-Ton Payer), Gäste auf die Gipfel seiner Heimat.

Typisch Bergführer: Auch wenn Julius Payer kaum einen Schritt ohne Johann Pinggera gemacht hat, kennt die Welt heute nur noch den k. u. k. Offizier.

Die Macht des Alpenvereins

In der zweiten Hälfte der 1870er-Jahre spielt sich ein neuer Player in der Welt der Bergführer immer vehementer in den Vordergrund: der Deutsche und Österreichische Alpenverein (DuOeAV). Nachdem sich die bis dahin eigenständigen Alpenvereine – der reichsdeutsche, der deutsch-österreichische und der deutsch-böhmische – 1873 zu einem Verein zusammengeschlossen haben, wächst die Macht des Alpenvereins unaufhaltsam. Und weil man im DuOeAV weiß, dass der Schlüssel zum Bergsteigen bei den Bergführern liegt, werden diese schon früh „eingemeindet“. So baut man das Führerwesen nach und nach zu einer der wichtigsten Säulen des neuen Vereins aus und bindet die Bergführer immer stärker an diesen, auch mit finanziellen Mitteln.

Unterm Edelweiß: Das Bergführerabzeichen, hier jenes von Karl Ausserhofer aus Luttach, wurde vom Deutschen und Österreichischen Alpenverein verliehen.

Der Grundstein dafür wird bei der Generalversammlung des DuOeAV 1878 gelegt. Bei dieser wird der Führer-Unterstützungsfonds aus der Taufe gehoben und dafür eigens ein Verein gegründet, dem die damals 66 Sektionen des Alpenvereins angehören. Neben einem Kapital-Grundstock aus dem Vereinsvermögen fließen jährliche Zahlungen der Sektionen in den Fonds, die je 20 Pfennig von jedem Mitgliedsbeitrag dafür bereitstellen. Der DuOeAV knüpft damit Ende der 1870er-Jahre erstmals ein soziales Unterstützungsnetz für „seine“ Bergführer, das in den kommenden Jahren noch bedeutend ausgeweitet wird. Bis zum Ersten Weltkrieg umfasst das soziale Netz des DuOeAV für Bergführer eine Altersrente ab dem 65. Lebensjahr, eine Rente im Falle einer berufsbedingten Invalidität, ein Krankengeld während der Saison sowie eine Jahresrente für Witwen und Waisen. Damit bilden die Führer eine Ausnahme in der Gesellschaft. Während alle anderen Berufsgruppen selbst für ihre soziale Absicherung zuständig sind, wissen sich die Bergführer und ihre Angehörigen im Falle der Fälle abgesichert, ohne dafür in die eigene Tasche greifen zu müssen. Auch diese Regelung zeigt, welche Stellung Bergführer Ende der 1870er-, Anfang der 1880er-Jahre gesellschaftlich innehatten. Der Bergführer war ein Privilegierter. Und ein Alpenvereinler.

Sichtbar wird dies spätestens 1882, als der Zentralausschuss des DuOeAV „zur Abstellung mannigfacher Klagen, sowie zur Bequemlichkeit und größeren Sicherheit des touristischen Publicums und zur Wahrung der Interessen der autorisierten Bergführer“ ein eigenes Bergführerabzeichen einführt, das die Führer am Hut oder Rock zu tragen haben.

Im Zeichen des Edelweißes

„Das Zeichen besteht aus einem aus festem Metall gefertigten silberweißen Edelweiß mit goldener Krone, um welches ein breiter Reifen mit der Inschrift ‚Behördlich autorisierter Bergführer‘, für Deutschland bloß ‚Autorisierter Bergführer‘ herumläuft. Am unteren Ende des Zeichens befindet sich um die Stiele zweier Pickel geschlungen ein silberglänzendes Band zur Aufnahme des Namens.“

„Bote für Tirol und Vorarlberg“, 5. Juni 1882

Der Praktiker

JOHANN NIEDERWIESER, STABELER