Melody - Jessica Vonthin - E-Book

Melody E-Book

Jessica Vonthin

0,0
6,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Nachdem sich Melody und ihre Freunde wieder gegen Ray behaupten mussten, kann die fünf nun nichts mehr aufhalten ... Gemeinsam machen sie sich bereit für eine atemberaubende Reise durch die gesamte Traumwelt, auf der Suche nach den sagenumwobenen Juwelsplittern. Während sie ihre Suche in einem kleinen Wirtshaus im Sonnental beginnen, wird Melody von merkwürdigen Träumen heimgesucht, die ihr mehr über ihre Vergangenheit verraten, als sie sich bewusst ist.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB

Seitenzahl: 384

Veröffentlichungsjahr: 2013

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Jessica Vonthin

MELODY

Die Stimme des Ozeans

Engelsdorfer Verlag 2013

Bibliografische Information durch die Deutsche Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://www.dnb.de abrufbar.

Copyright (2013) Engelsdorfer Verlag

Alle Rechte bei der Autorin

Titelzeichnung © René Rosenbaum - Fotolia.com

ISBN 9783954888122

www.engelsdorfer-verlag.de

Inhaltsverzeichnis

Cover

Titelseite

Impressum

PEARL HARBOR

IM HAUS DER WITWE

AIDEN

AUF DER FLUCHT

FAMILIE DACHS

DER ZAUBERWALD

ABIGAIL

EULEN AUS HOLZ

PRINZ LIO

TANZ UM MITTERNACHT

MOCKNAPS

STURZFLUG

DIE BIBERFAMILIE

HINTER DER SONNE

MERAQUA

EINE WAHRE GESCHICHTE

DIE STIMME DES OZEANS

WEIHNACHTEN UNTER DEM MEER

Für meine Freunde,

insbesondere:

Stefanie Claus

Lena Pfeiffer

J. Jennifer Hennemann

Simone -, Andreas und Nils Göring

Svenja Herrmann

Petra Batz

„Keine Straße ist lang

mit einem Freund an deiner Seite“

- Reiner Maria Rilke -

DANKE!

PEARL HARBOR

8. Dezember 1941.

Es ist ein schreckliches Szenarium, das sich gestern auf der Erde zugetragen hat: Eine japanische Flotte begann einen Angriff auf die in Pearl Harbor vor Anker liegende amerikanischen Panzerflotte. Tausende Menschen kamen dabei ums Leben, was letztendlich dazu führte, dass ein riesiges Erdbeben der Stärke 7,8 am gestrigen Tag unsere Traumwelt erschüttern ließ. Hunderte von Hexen und Zauberern kamen bei diesem Beben um, wurden heimatlos oder verloren all ihre Angehörigen. Viele sprechen hierbei von dem eigentlichen Beginn des zweiten Weltkrieges, andere wiederum halten diesen Angriff für ein einmaliges Ereignis. Doch so wie es aussieht, wird sich Amerika diesem Überfall zur Wehr setzten, sodass wir wahrscheinlich mit einem weiteren Erdbeben dieser Stärke rechnen müssen.

Vor allem die durch den Ersten Weltkrieg entstandenen Kontinente Sonnental und Wolkenland haben die größten Schäden davongetragen. Ganz Brangwen wurde unter den Trümmern der Stadtmauern vergraben. Auch die Städte Hotaru und Morville sind völlig zerstört.

Derzeit versucht das Zauberministerium die Aufräumarbeiten voranzutreiben, doch wird die Hoffnung von Minute zu Minute kleiner. Denn nach diesem Angriff ist sich keiner sicher, ob es nicht doch noch zu einer Eskalation kommen wird. Falls dies so sein sollte – und da denke ich, sind wir uns alle einig – wäre das der Anfang vom Ende …

Diese Meldung stand am Tag nach dem 7. Dezember in jeder Zeitung der Traumwelt. Der Angriff auf Pearl Harbor hatte den Menschen wieder ihre Maske aus Hass und Zorn aufgesetzt, sodass dies zu einem heftigen Beben in der Traumwelt führte.

Erst vor gerade mal siebenundzwanzig Jahren war der erste Weltkrieg ausgebrochen und hatte diese Welt zerteilt. Seither mussten viele Städte und Dörfer neu aufgebaut werden. Doch ist nach diesem Beben alles umsonst gewesen. Vor allem in den Ministeriumsabteilungen wurde nun schwer darüber diskutiert, wie es weitergehen sollte …

Auch im Zauberministerium führte diese Meldung zu großer Unruhe. Das riesige Gebäude stand mitten in der historischen Stadt Atreya. Hier wurde Tag und Nacht gearbeitet – egal in welcher Abteilung man war. Manche meinten, das Ministerium würde zu hart mit seinen Leuten umgehen, andere wiederum waren dafür, dass noch viel härter gearbeitet werden sollte. Eines stand jedoch fest, dass in diesem Ministerium niemand anderes als gelehrte Zauberer und Hexen arbeiten durften. Elfen oder Feen waren hier fehl am Platz.

So saß auch an diesem einen historischen Tag der Abteilungsleiter für den internationalen Zusammenhalt in seinem großen Büro. Es war durch und durch aus Kirschbaumholz gezimmert. An den langen, hohen Wänden hingen zahlreiche Gemälde von bedeutsamen Personen wie Alberto Auxil oder Xinec Potesa.

Generell wurde das Zimmer sehr schlicht gehalten. Hier und da stand eine Lampe oder eine grüne Pflanze. Von bunten Farben war keine Spur zu sehen. Vielleicht war das auch der Grund dafür, dass John Morris – der Abteilungsleiter – von vielen dieser Welt schief angeschaut wurde oder man ihn gar ignorierte. Er war ein sehr alter Mann, der nicht viel Aufsehen brauchte, um glücklich zu sein. Meistens trug er sein langes, graues Haar wild offen und in alle Richtungen fliegend. Seine Kleidung war seinem Alter entsprechend. Mit über hundert Jahren trug man nun mal meistens alte, dunkle Umhänge und gebrauchte dazu einen dünnen Spazierstock. John Morris war ein Mann ohne viele Worte. Für ihn zählte einzig und allein das Hier und Jetzt. Was in zwanzig oder gar hundert Jahren passierte, war für ihn nicht weiter von Bedeutung. Und genau aus diesem Grund war er sehr schockiert, was sich in seiner und der Welt der Menschen zugetragen hatte.

Betrübt zupfte der alte Mann mit seiner knöchrigen Hand an seinem langen, grauen Bart. Auf seinem Tisch stand eine Flasche Sherry, daneben ein Tablett mit mehreren Gläsern. Außer dem Alkohol standen zudem noch ein paar Stapel von Formularen, die ausgefüllt hätten werden müssen, auf dem dunklen Holztisch. Knapp ein dutzend Mal hatte er sich den Zeitungsbericht durchgelesen und noch immer konnte er es nicht glauben. Kopfschüttelnd legte Morris die Zeitung endlich auf den voll gestellten Tisch, als es an der Tür klopfte.

„Herein!“, befahl er mit rauer Stimme. Und sogleich trat ein recht junger Mann – er war vielleicht Ende zwanzig – über die Türschwelle. Der Mann war recht schlicht gekleidet. Seine Haare waren dunkelbraun und zerzaust. Die Augen so blau wie der Himmel an einem wunderschönen Sommertag und die Haut weiß wie Porzellan.

Selbstbewusst ging er auf den Abteilungsleiter zu. „Sie haben nach mir gerufen, John?“ Der Mann stellte sich mitten in den großen Raum.

„Setzen Sie sich bitte, Kiyoshi.“ John wies mit einer Handbewegung auf den unbesetzten Stuhl vor dem Schreibtisch. „Haben Sie den Artikel schon gelesen?“, fragte er und hielt Kiyoshi den Bericht vor die Nase.

„Es gibt wohl kaum jemanden, der davon nicht gehört hat. Nach dem Beben geht alles drunter und drüber. Meine Frau ist gerade schwanger, das Erdbeben hat unserem ersten Kind nicht gut getan. Es wird wahrscheinlich eine Frühgeburt“, sagte Kiyoshi betrübt.

„Ich bin mir sicher, mein Lieber, es wird noch alles gut gehen“, meinte der Abteilungsleiter und räusperte sich. „Allerdings muss ich Ihnen mitteilen, dass ich große Pläne mit Ihnen vorhabe, bei denen Sie ihre Frau erstmals in den Hintergrund stellen müssen.“ Ohne auch nur einen Blick auf den jungen Mann zu werfen, griff John zu dem Glas Sherry und schenkte sich etwas in ein Glas ein. „Sie auch?“, fragte er kurz Kiyoshi, doch dieser schüttelte bloß den Kopf.

„Sir, wie darf ich das verstehen?“, wollte er stattdessen wissen. „Was haben Sie vor?“ Der junge Mann legte die Stirn in Falten. Sonst, wenn John ihn gerufen hatte, ging es um irgendwelche Arbeiten oder Formulare, die abgeheftet werden sollten oder einfach nur frankiert werden mussten. Das war dann meistens ein sehr kurzes Gespräch Kiyoshi, die Formulare. Morgen mit der Post ausgefüllt abschicken. Nicht trödeln. Doch dieses Mal schien es sich bei dem Treffen um etwas Wichtigeres zu handeln.

„Nun“, begann Morris, nahm einen Schluck von seinem Sherry und stellte das Glas wieder auf den Tisch, „was gestern unten bei den Menschen passiert ist, wissen Sie, wird verheerende Folgen auf meinen Posten haben – generell auf die ganze Abteilung“, meinte der alte Mann ernst. „Sie wissen genauso gut wie ich, dass, wenn irgendetwas auf der Welt schiefgeht, zuerst die Abteilung für den Internationalen Zusammenhalt schuld ist. Und da nun mal ich der Leiter dieser Abteilung bin, trifft es zuallererst mich.“

Kiyoshi nickte, konnte dem Mann aber nicht ganz folgen. „Aber Sir, was hat das mit mir zu tun?“

„Sehr viel mein Lieber … sehr viel.“ John machte eine kurze Pause und schaute erneut auf den Artikel. „Ich habe heute Morgen einen Anruf vom Ministeriums Oberhaupt Borgin erhalten. Viele sind der Meinung, unsereins würde nicht richtig seiner Arbeit nachgehen. Dass wir daran schuld seien, dass es zu diesem Angriff auf Pearl Harbor gekommen ist. Denn Sie wissen genauso gut wie ich, Kiyoshi, dass wir die Verantwortung für die Menschen tragen, falls irgendetwas schiefgeht. Unsere Abteilung verfolgt genauestens das Handeln der Regierungen aller Kontinente der Erde und greift ein, falls es zu irgendwelchen Konflikten kommen sollte … jedenfalls im Normalfall. Dieses Mal waren wir leider zu spät“, sagte John in einem sehr strengen Ton. „Ich denke, ein paar unserer Mitarbeiter haben die Spannungen zwischen Japan und der USA nicht ernst genug genommen – denn sonst wäre es mit Sicherheit nicht zu so einem schrecklichen Angriff gekommen.“

Beschämt stand der Mann auf und ging hinüber an das einzige Fenster im Büro. Die Scheibe war glasklar. Man konnte die Sonnenstrahlen auf den Wiesen glitzern sehen. Es war ein Wunder, dass von den drei Kontinenten wenigstens Lunaria bis auf weiteres verschont geblieben war. Eigentlich wäre diese Szene dort draußen ein traumhaftes Bild gewesen, wenn man nicht zurück auf den Boden der Tatsachen musste. Stöhnend sprach der Abteilungsleiter weiter, während Kiyoshi weiterhin aufmerksam zuhörte.

„Borgin machte mich darauf aufmerksam, dass, falls es zu einem erneuten Angriff kommen sollte – egal ob Japan die USA angreift oder anders herum – wir dann alle unseren Job los sind. Und ich weiß nicht Kiyoshi, wie sie ein Kind ohne Geld ernähren wollen.“ Nun hatte sich John umgedreht und kehrte nun dem Fenster mit der herrlichen Aussicht den Rücken. Angespannt schauten sich die beiden Männer an.

„Nun Sir, was aber gedenken Sie nun zu unternehmen.“ Die Spannung in Kiyoshi’s Stimme war kaum zu überhören. Er durfte auf keinen Fall seine Arbeit verlieren.

„Das ist die Frage, das ist die Frage, mein Lieber.“ John lief drei Schritte nach rechts, dann wieder drei Schritte nach links, dann blieb er stehen und seufzte. „Wir haben nicht viele Möglichkeiten und auch nicht viel Zeit. Dennoch ist mir eine Idee gekommen, wie ich uns aus dieser Zwickmühle befreien kann und vor allem, wie wir die Menschen und auch uns vor einem erneuten Unglück bewahren können.“ Er strich sich über den Mund und dann über die Wangen, als wäre er trotz seiner brillanten Idee skeptisch. „Es gibt da allerdings nur einen Haken“, sagte er knapp.

„Und der wäre?“, fragte Kiyoshi nach, als der Abteilungsleiter mit seiner Antwort auf sich warten ließ.

„Nun, es kann sein, dass Sie dabei ihr Leben verlieren“, sagte er in einem Atemzug und setzte sich dann wieder mit gesenktem Blick auf den Stuhl. Auch Kiyoshi war nun schockiert. Zumal er noch nicht einmal wusste, was John mit ihm vorhatte.

„Ich verstehe nicht ganz, Sir. Was meinen Sie damit. Und wie sieht Ihr Plan aus?“ Doch bevor der Mann zu Wort kam, nahm er einen kräftigen Schluck seines Sherrys.

„Sie und Eliot“, er holte Luft und sprach dann weiter, „Sie beide sind zurzeit die Jüngsten dieser Abteilung, aber womöglich mit die Erfahrensten. Ich möchte, dass Sie beide hinunter auf die Erde reisen und sich die jetzige Lage direkt vor Ort anschauen – sowohl in den USA als auch in Japan. Sobald Ihnen etwas merkwürdig erscheint, geben Sie mir sofort Bescheid.“

Stirnrunzelnd schaute Kiyoshi seinen Chef an. „Aber Sir, wo ist der Haken bei dieser Sache?“ Er hob die Schultern. Der junge Mann konnte sich nicht vorstellen, was an diesem Plan so schlecht sein sollte. Schließlich freute er sich sehr, mal auf die Erde zu gelangen und nicht immer nur Formulare zu bearbeiten.

„Nun mein Lieber, sie wissen doch, wie es zurzeit auf der Erde aussieht, oder? Der Erste Weltkrieg ist noch nicht lange her und wieder ist die Welt in Aufruhr. Sie werden sich in den derzeit gefährlichsten Orten der Erde begeben – wo man sehr stark aufpassen muss, nicht eine Kugel durch den Körper geschossen zu bekommen. Glauben Sie etwa, es ist ungefährlich, sich durch ein Feld voller Minen zu begeben, ohne zu wissen, wann und wo sie in die Luft gehen.“ Johns Miene war sehr ernst. Während er sprach, zupfte er sich immer wieder an seinem langen Bart – das tat er immer, wenn er überlegte oder nervös war. Vor allem der alte Mann kannte nur zu gut die Erde, wie sie aussah, wenn die Menschen in großer Unruhe waren. Zu Zeiten des Ersten Weltkrieges war John selbst dort bei den Sterblichen gewesen. Er hatte das gleiche Leid ansehen müssen. Damals noch – bevor er Abteilungsleiter wurde – reiste er jedes Mal, wenn sich etwas auf dem blauen Planeten tat, hinunter, um genaustens zu protokollieren, was genau geschah. Jedoch waren seine Berichte nie wirklich aufschlussreich. John selbst konnte kaum noch sagen, wie oft er das Wort „sterben“ oder „hoffnungslos“ benutzt hatte. Es war ja auch immer dasselbe gewesen: Die Menschen rebellierten gegeneinander. Ein Land schloss sich dem anderen an und irgendwann gab es Krieg, der mit tausenden oder eher millionen von Toten endete. Was sollte man da also groß berichten?

John hielt sowieso nie viel von ausgiebigen Reden und Geschichten. Von daher hielt er es für sehr viel sinnvoller Artikel oder Berichte kurz und knapp zu fassen als drei Seiten lang nur drum rumzureden.

Aber das gehörte ja auch wieder alles der Vergangenheit an. Was zählte, war das Hier und Jetzt – auch wenn das sich im vergangenen Krieg nicht viel unterschied.

Noch immer saß der junge Mann Kiyoshi auf seinem Stuhl und schaute wie gelähmt seinen Chef in die Augen. Er wusste einfach nicht, was er sagen sollte. Noch nie in seinem Leben war er auf die Erde gereist und jetzt, da gerade der Angriff auf Pearl Habor war, sollte er in dieses Chaos hinein und das obwohl seine Frau auch noch schwanger war.

„Und Sie sind sich sicher Sir, dass?“ Er zögerte, da er nicht recht wusste, wie John reagieren würde, wenn er ihm seine Unsicherheit gestehen würde. „Na ja. Dass ich wirklich der Richtige für diesen Job bin? Ich meine, es gibt doch noch so viele andere in unserer Abteilung. Und ich denke, Eliot wird bestimmt genauso darüber denken“, gab er zu, während seine Stimme von Satz zu Satz leiser wurde. John jedoch schien sich seiner Entscheidung sicher.

„Ich weiß, dass sie beide die Richtigen dafür sind. Aber Sie haben Recht Kiyoshi. Wir sollten Eliot deshalb fragen, wie er die ganze Sache betrachtet. Wenn ich Sie also bitten dürfte, ihren Freund in mein Büro zu holen.“ Der alte Mann schaute erst auf Kiyoshi, dann auf die dunkle Tür.

„Ganz wie Sie wünschen, Sir“, sagte er und stand gleich darauf auf um hinauszugehen.

Nach nur zehn Minuten kam Kiyoshi wieder im Büro des Abteilungsleiters an. Dieses Mal aber mit seinem Kollegen und Freund Eliot an der Seite. Der das komplette Gegenteil von ihm war. Seine Oberarme und Beine glichen eher denen eines Boxers und seine Nase war nicht gerade das was man klein nennt. Er war eben … anders … und wesentlich muskulöser. Dabei stellte sich die Frage, wo sein Fett abgeblieben war. Im Gegensatz zu seinem zierlichen Freund trat Eliot ohne Furcht in das Büro des Abteilungsleiters, während Kiyoshi unsicher in der offenen Tür stehen blieb, weil er sich nicht sicher war, ob auch er bei dem Gespräch mit dabei sein durfte. John allerdings wusste nicht, was dagegen sprach. „Kommen Sie ruhig auch rein Kiyoshi. Das Gespräch geht Sie beide an“, sagte der Alte mit seiner rauen Stimme.

Da es in dem Büro nur einen Stuhl gab, zogen es Eliot sowie Kiyoshi vor zu stehen, was John keineswegs störte.

„Sie wollten mit mir sprechen, Mr. Morris?“, sagte Eliot selbstbewusst. Zustimmend nickte der Alte ihm zu. „Ich habe mit Ihnen beiden Großes vor. Da Kiyoshi der Jüngere von Ihnen beiden ist, dachte ich, zuerst mit ihm über die ganze Sache zu sprechen. Aber so wie es den Anschein hat, werden Sie beide mit meinem Vorhaben einverstanden sein.“ Morris räusperte sich, dann legte er seine behaarten Unterarme auf den großen Tisch ab. „Ich möchte, dass Sie in zwei Tagen auf die Erde reisen. Zuerst in die USA und anschließend nach Japan. Berichten sie mir alles. Schreiben sie jedes noch so kleine Detail, was Ihnen merkwürdig vorkommt, auf. Haben Sie mich verstanden?!“ John beugte sich ein wenig nach vorne und schaute die beiden – vor allem Eliot – ernsthaft in die Augen.

„Wie Sie meinen Sir. Es wird uns eine Ehre sein“, meinte Eliot, der nach wie vor keine Hemmungen zeigte. Kiyoshi hingegen war sich da gar nicht so sicher, ob er sich geehrt fühlen sollte oder nicht. Schließlich würde ihnen der Tod praktisch auf goldene Teller gelegt werden, wenn sie sich unten bei den Menschen befanden. Doch blieb dem Armen nichts anderes übrig, als seinem Freund mit einem zaghaften „Ja“ zuzustimmen.

„Ich denke, Sie beide wissen, was Sie ungefähr auf der Erde erwarten wird. Reisen Sie nur mit sehr leichtem Gepäck. Es wird sowieso nur eine Durchreise von ungefähr einer Woche werden. Viel mehr Zeit haben wir auch nicht. Alles Weitere besprechen wir dann am Tag ihrer Abreise – wenn es so weit ist“, sagte John ohne auch nur ein einziges Mal mit der Wimper zu zucken. „Ich denke, das wäre dann alles, was ich Ihnen zu sagen habe. Sonst noch irgendwelche Fragen?“ Er hob seinen Kopf ein kleines bisschen an, um besser hören zu können, ob jemand noch etwas dem zu entgegnen hatte. Als aber keiner der beiden Männer vor ihm etwas sagte, senkte er seinen behaarten Kopf wieder und nickte. „Nun denn. Wenn Sie keine weiteren Fragen mehr haben, dann bitte ich Sie, ihren gewohnten Arbeiten nachzugehen.“ Mit einer Handbewegung wies der Abteilungsleiter auf die Tür.

„Wie Sie wünschen“, sagte Eliot.

„Ach und Kiyoshi“, fing Morris plötzlich wieder an. „Sie haben noch etwas vergessen.“ Sein Blick fiel auf einen dicken Stapel Formulare, die fast den ganzen Tisch bedeckten. Gehorchend nahm sich der junge Mann den Stapel und verschwand mit ihnen sowie mit seinem Freund hinter der Tür.

Erst auf dem Gang des Ministeriumsgebäudes, konnten die beiden richtig mit einander reden. „Mensch Alter, ist das nicht total genial! Wir dürfen mit auf Streife. Ich war noch nie auf der Erde, aber es wird bestimmt besser als ewig nur diesen Papierkram auszufüllen.“ Eliot strahlte übers ganze Gesicht. Man hätte fast meinen können, seine Wangen wären an den Augenlidern fest getackert gewesen.

„Findest du?“ Kiyoshi war sich in dem was sein Freund von sich gab nicht so sicher.

„Ja natürlich! Mensch Yosh, dass wird die beste Woche unseres Lebens. Glaub mir mal. Ich bin der Ältere von uns beiden, ich weiß was ich sage“, meinte Eliot zuversichtlich, weshalb sich sein Freund geschlagen geben musste. Denn schließlich war sein Freund wirklich älter und erfahrener – dem konnte selbst er nicht widersprechen, auch wenn er es gerne getan hätte. Doch war es überall das Gleiche: die Jüngeren gehorchten den Älteren und die Kleinen den Großen …

Drei Tage später:

„Wir sind nicht mal einen Tag hier und schon herrscht größter Aufruhr“, sagte Kiyoshi, als er zusammen mit Eliot auf amerikanischen Boden stand. „Sie nur, wie es hier aussieht. Ein einziges Chaos.“ Der junge Mann konnte nur den Kopf schütteln. In ganz Washington herrschte Unruhe. Denn es war der elfte Dezember – der Tag, an dem Deutschland der USA den Krieg erklärt hatte.

„Was sollen wir Mr. Morris berichten Yosh, wenn doch alles sowieso schon verloren ist?“, fragte Eliot, der mittlerweile gemerkt hatte, dass es auf der Erde doch nicht so angenehm war wie in der Traumwelt zu Zeiten des zwanzigsten Jahrhunderts.

„Wir müssen ihm einfach die Wahrheit sagen. Deutschland hat der USA den Krieg erklärt und Amerika sowie Großbritannien wollen Deutschland noch vor Japan angreifen“, meinte Kiyoshi, während er zusah, wie mehrere Panzer an ihnen vorbeifuhren und mindestens acht Kriegsflugzeuge über ihre Köpfe mit lauten Motoren entlangrasten. Ein ohrenbetäubender Lärm, den die Bewohner Amerikas tagtäglich zu Gehör bekamen. Für die beiden Zauberer schier undenklich. Nach dem Angriff auf Pearl Harbor hatte sich die wirtschaftliche und politische Lage sehr verschlechtert. Das merkten auch Kiyoshi und Eliot. Unruhe herrschte auf den Straßen und Unmengen an Soldaten marschierten an ihnen vorbei.

„Ich glaube, wir sollten uns erst einmal einen Ort suchen, an dem wir die nächsten Tage übernachten“, schlug Eliot vor, was sein Freund mehr als bejahte.

Gemeinsam suchten sie nach einem kleinen Motel, in dem sie sich ausruhen konnten und schriftlich festhalten konnten, was sie bis jetzt gesehen und gehört hatten. Doch erwies sich alles ganz anders als geplant.

„Quality Inn“, las Eliot auf einem Schild laut vor. „Hier könnten wir einchecken. Scheint schlicht und billig zu sein“, meinte er und ging mit seinem Rucksack auf das beige gestrichene Gebäude zu, gefolgt von seinem jüngeren Freund.

„Hier sieht es ja ganz anders aus als bei uns in den Wirtshäusern“, stellte Kiyoshi fest.

„Wir sind hier ja auch in Amerika, da gibt es nur Motels und nicht wie bei uns in Lunaria Wirtshäuser“, antwortete Eliot mit einem Augenverdrehen. „Du musst ja nicht gleich für den Rest deines Lebens hier wohnen“, fügte er noch hinzu, bevor er zu dem kleinen, dunklen Mann an der Rezeption ging. „Wir hätten gerne zwei Zimmer für drei Tage“, sagte er gelassen. Doch der Mann schaute ihn nur skeptisch an.

„Excuse me, what did you say?“, fragte der Mann, wonach Kiyoshi seinen Freund in die Rippen stieß.

„In Amerika redet man englisch – kein deutsch. Das hast du jetzt schon zum vierten Mal vergessen“, flüsterte er seinem Freund zu. Sofort wurde Eliot leicht rot im Gesicht.

„Oh, entschu – ich meine. I’m sorry“, sagte er rasch, bevor er nach mehreren Minuten endlich eingecheckt hatte.

„Sag mal Eliot, wie lange sollen wir jetzt hierbleiben?“, wollte Kiyoshi wissen, „meiner Meinung nach können wir eigentlich gleich rüber nach Japan. Wir wissen doch genug von der Situation in Amerika“, meinte er, während der junge Mann seinen Notizblock rausholte und etwas auf eines der Blätter schrieb.

„Ich hab jetzt aber schon für drei Tage bezahlt. Wer weiß, was hier sonst noch so passiert“, sagte Eliot achselzuckend. „Außerdem finde ich so eine Reise mal ganz abwechslungsreich. Wenn wir morgen schon nach Japan fliegen, dann müssten wir ja wieder zurück, da wir unsere Aufgabe erledigt haben. Aber so können wir die eine Woche richtig ausleben.“ Der muskulöse Mann schmiss sich auf das frisch überzogene Bett, um zu testen, wie weich es war. Die Matratze gab bei seinem Gewicht natürlich stark nach, sodass es sich Eliot bequem machte. „Weißt du, was dir fehlt?“, sagte er anschließend, „einfach mal eine Pause. Du bist immer mit was anderem beschäftigt. Entspann dich.“ Doch Kiyoshi konnte sich alles andere als entspannen. Am liebsten wäre er sofort wieder zurück nach Lunaria gereist. Aus welchem Grund auch immer beunruhigte ihn die Lage auf der Erde – jedenfalls teilte sein Gewissen ihm das mit. Und das erwies sich einige Tage später als nicht gelogen …

Japan, Dezember 1941:

„Eliot? ELIOT?!“, schrie Kiyoshi durch den Nebel aus Rauch. Kraftlos und mit mehreren Schürfwunden an Armen und Beinen hechtete er durch die zerstörte Umgebung Japans. Nach dem Angriff der Amerikaner auf das asiatische Land hatten sich die beiden Freunde im Schatten der Zerstörung verloren. „Eliot? Wo steckst du?“

„Hier! Ich bin hier!“, schrie eine verzweifelte Männerstimme irgendwo aus dem Nichts. Sofort rannte Kiyoshi los. Wie ein Blinder kam er sich vor. Überall war es schwarz. Der Rauch, der entstanden war, nachdem zahlreiche Bomben in Japan hochgegangen waren, schnürte ihm den Atem zu. Es fiel ihm schwer überhaupt geradeaus zu gehen, zumal seine Augen wegen des Rauches schmerzhaft brannten. „Eliot, wo bist du? Ich kann dich nicht finden!“, schrie er.

„Ich lieg irgendwo in einem Graben!“, antwortete Eliot. „Ich kann mich nicht bewegen! Mein Bein. Es ist irgendwo eingeklemmt, aber ich kann nicht sehen wo!“

„Warte! Ich komme!“ Kiyoshi kroch mittlerweile auf allen vieren. Dabei verließ er sich nur auf sein Gehör – was sich als äußerst nützlich erwies – denn nach nur wenigen Minuten fand er seinen verletzten Freund in einem blutgetränkten Erdloch, in dem sich Unmengen von Granatsplittern befanden.

„Alles okay mit dir?“, fragte er seinen Freund, der vor Schmerz stöhnte. „Mein Bein. Es ist … ein… eingeklemmt.“

„Lumbra!“, rief Kiyoshi nachdem er seinen Zauberstab herausgeholt hatte. Sofort bildete er um sie herum einen Lichtkegel und er konnte sehen, was für ein Gegenstand Eliots Bein zertrümmert hatte.

„Wahrscheinlich irgendein Bruchteil eines zerstörten Hauses. Davon liegen hier viele rum“, meinte er.

„Meinst du, du kannst ihn wegschieben?“, wollte Eliot wissen.

„Ich kann’s zumindest versuchen.“ Obwohl Kiyoshi nichts außer die Umrisse des Felsbrocken sehen konnte, versuchte er ihn mit all seinen Kräften – und wenn es nur Millimeter waren – wegzuschieben. Der nasse Schlamm, der an dem Stein klebte, brannte in seinen Schürfwunden an den Händen. Der Schweiß lief ihm das Kinn runter und die Muskeln begannen zu streiken. „Ich …“ Er musste schnaufen, „ich schaff es nicht. Er ist zu schwer.“

„Versuch es mit einem Spruch!“, rief Eliot seinem Freund zu, der beinahe vergessen hatte, dass er ein Zauberer war und kein Mensch. Doch wollte ihm der richtige Spruch einfach nicht einfallen. „Kä – nein Ce… cel …“ Angespannt dachte er nach. Sein Herz pulsierte so laut, dass man es hätte hören können, wenn nicht ein paar hundert Meter von ihnen entfernt eine Bombe hochgegangen wäre.

„Mensch! Denk nach!“, schrie Eliot, der so heftig vor Schmerzen stöhnte, dass er allein daran schon hätte ersticken müssen.

„Ich hab’s gleich. Cel… Cel… Cel Avolare!“ Endlich war dem jungen Zauberer der Schwebespruch eingefallen. So schnell er nur konnte, ließ er den Gesteinsbrocken wenige Meter in der Luft schweben und ließ ihn weiter weg von sich und seinem verletzten Freund wieder auf die nasse Erde sinken.

„Bist du in Ordnung?“ Kiyoshi rannte wieder hinüber zu seinem Freund.

„Du hast gut reden“, stöhnte er. „Mein Bein! Es tut so schrecklich weh.“

„Meinst du, du kannst aufstehen?“, wollte Kiyoshi wissen, der sich zu seinem Freund beugte, um ihm hoch zu helfen.

„Ich kann’s versuchen“, meinte Eliot und zog sich mit letzten Kräften an den zerrissenen Klamotten seines Freundes hoch.

„Ahh! Verdammt“, fluchte er. Sein gesundes Bein stand nun senkrecht auf dem Boden. Nur sein verletztes hing schlaff herunter. „Ich spüre mein Bein nicht mehr“, klagte er, während der Schmerz ihm jegliche Kraft raubte.

„Halt durch!“, meinte Kiyoshi. „Ich bring uns hier weg.“

„Wie w – willst du das schaffen?“

„Ich zaubere uns zurück nach Lunaria. Dein Bein muss doch behandelt werden!“

„Wir können nicht zurück. Unsere ganzen Notizen liegen noch im Hotel. Wenn wir sie nicht mitbringen, war alles für die Katz’“, meinte Eliot.

„Dann trag ich dich eben bis dorthin und wir holen sie“, schlug Kiyoshi vor.

„Du kannst mich unmöglich den ganzen Weg schleppen. Ich wiege fast zwei Zentner. Kommt gar nicht in Frage. Lass mich einfach hier liegen und geh zurück zum Hotel. Dann komm wieder.“

„Was ist, wenn du in der Zeit von Japanern geschnappt wirst. Das kann ich unmöglich zulassen!“ Kiyoshi war ganz in Rage. Er wollte um keinen Preis seinen Freund alleine in dieser misslichen Lage lassen. Die Tatsache, dass er während seiner Abwesenheit verschleppt werden könnte, war für ihn unvorstellbar.

„Wir brauchen diese Notizen doch gar nicht. Wir haben da doch nichts Wichtiges aufgeschrieben. Alles was da steht, wissen wir auch so“, meinte er. Doch Eliot schüttelte den Kopf.

„Nein … du irrst dich. Ich brauche meine Notiz. Ohne sie sind wir machtlos. Ich brauche sie.“

„Eliot, Freund, was steht da auf dieser Notiz denn drauf?“ Jetzt begriff Kiyoshi gar nichts mehr.

„Die Geschichte“, stöhnte sein Freund.

„Welche Geschichte?“, fragte er nach.

„Hol einfach meinen Rucksack. Verlass dich auf mich. Ich kann auf mich aufpassen“, drängelte Eliot. „Los, Yosh, GEH!“

Tausende Meilen von der Erde entfernt wachte Melody aus ihrem Traum auf.

IM HAUS DER WITWE

Es war eine unheimliche Atmosphäre in dem kleinen Zimmer. Melody lag mit starrem Blick auf die Decke in ihrem Bett, während ihr Herz noch immer heftig pulsierte. Ab und zu schloss sie die Augen, um sich wieder an den Traum zu erinnern. Ihr Kopf schmerzte – als würden ihre Gedanken gegeneinander kämpfen.

Unsicher setzte sie sich auf und schaute sich in dem Zimmer um. Alles war wie vorher. Ihr Bett stand an dem gewohnten Platz, ebenso wie die Tür zum Foyer und zum Bad sowie das kleine Fenster waren noch vorhanden. Auch Ashleys Bett stand noch neben ihrem. Allerdings lag ihre beste Freundin nicht mehr darin. Kein Wunder, es war auch schon elf Uhr.

Demzufolge war alles wirklich nur ein Traum gewesen. Sie war nach wie vor noch immer in dem runtergekommenen Wirtshaus der alten Witwe. Vor ein paar Wochen noch saß sie mit ihren Freunden Ashley, Dan und Riley sowie ihrer Tante Lilly in Brangwen und erzählte ihnen von der großen Reise, die den fünf bevorstand. Eigentlich hatte sie damit gerechnet gehabt, dass es unmöglich wäre, dass Lilly mitkäme, doch ihre Tante war da anderer Meinung gewesen. Nun saßen alle fünf – samt Cora und Scessie – in dem kleinen Dorf Cincy, das knapp vier Meilen von Brangwen entfernt lag. Und in diesem kleinen Dorf gab es ein kleines, altes Wirtshaus, in dem es sich die sieben gemütlich gemacht hatten. Allerdings war es Melody alles andere als behaglich in diesem Moment. Mit höllischen Kopfschmerzen und komischem Gefühl in der Magengrube saß sie in ihrem Bett und dachte über diesen merkwürdigen Traum nach.

Wieso habe ich von diesen beiden Männern geträumt? Was war dort passiert? Pearl Harbor, dass ist doch schon Ewigkeiten her. Bei weiterem Nachdenken erinnerte sie sich auch wieder genauer an Eliot und Kiyoshi. Sie erinnerte sich noch daran, wie sie, Dan und Ashley in einem alten Buch vor zwei Jahren etwas über einen Eliot Stanton gelesen hatten. Doch sollte es wirklich dieser Eliot gewesen sein? Und was war mit diesem Kiyoshi. Melody war sich sicher, dass ihr Opa so geheißen hatte. Doch konnte sie sich unmöglich vorstellen, dass ihr Opa der Mann in ihrem Traum gewesen sein sollte. Und selbst wenn dem so wäre, wieso hatte sie dann von ihm geträumt? Alles in diesem Traum kam ihr so echt vor – als wäre sie tatsächlich dabei gewesen.

Melody wusste, dass es nicht das erste Mal in ihrem Leben war, dass sie Sachen träumte, die später auch wahr geworden sind. Doch konnte dieser Traum unmöglich irgendwann auch tatsächlich passieren. Das Jahr 1941 lag schon lange in der Vergangenheit. Es sei denn, dieses Ereignis sollte sich in nächster Zeit wiederholen.

Einen Augenblick dachte sie über diese Vorstellung nach, bis diese Theorie ihr schließlich doch etwas zu weit her geholt schien.

Schnaufend stand sie auf und trat hinüber zu dem kleinen Fenster in ihrem Zimmer. Draußen war alles ruhig. Die morgendlichen Strahlen der Sonne wärmten die Grassteppen. Alles war wunderbar. Genauso wie in dem Traum, als John Morris aus dem Fenster geschaut hatte.

„Und ich dachte, diese Träume hätten längst aufgehört“, sprach sie zu sich selbst. Cora aber – ihre Schäferhündin – hatte ihr zugehört und stand von ihrem Körbchen, das vor Melodys Bett stand, auf.

„Vielleicht solltest du einfach aufhören zu denken“; meinte Cora, während sie alle vier von sich streckte.

Melody fuhr erschrocken rum. „Musst du mich so erschrecken?“

„Tut mir leid“; beteuerte die Hündin gefolgt von einem nicht zu überhörbarem Gähnen. „Ich wollte dir nur einen Tipp geben.“

Skeptisch schaute ihr Frauchen sie an. „Ist dir aber nicht wirklich gelungen“, meinte sie schnippisch.

„Bist du etwa mit dem falschen Bein aufgestanden, oder was ist los?“

„Ich überlege“, meinte Melody kurz und lief dann im Zimmer auf und ab. Der Traum wollte sie einfach nicht loslassen. Alleine deswegen schon nicht, da sie noch nicht einmal wusste, wie er ausging. Was war mit Eliot und Kiyoshi passiert, nachdem sie in Japan waren? Und vor allem, was war das für eine bestimmte Geschichte, die Eliot unbedingt gebraucht hatte?

„Wenn dich dieser Traum so arg beschäftigt, wieso redest du nicht mit Lilly darüber? Die hört dir so oder so zu“, schlug Cora vor.

„Wäre vielleicht keine schlechte Idee“, meinte Melody, die sich mittlerweile wieder auf ihr Bett gesetzt hatte. „Aber sie macht sich dann wahrscheinlich wieder viel zu viele Sorgen darüber.“

„Aber sie versteht dich wenigstens und könnte dir sagen, ob dieser Kiyoshi dein Opa war“, meinte die schlaue Hündin.

„Lilly war zu diesem Zeitpunkt noch nicht einmal auf der Welt. Glaubst du etwa, ihr Vater hätte ihr – wenn er denn wirklich damals in Pearl Harbor dabei gewesen ist – davon erzählt? Das würde sie womöglich noch mehr in Unruhe bringen.“

„Weißt du’s?“ Cora fand ihren Vorschlag mit Lilly, Melodys Tante, darüber zu reden gar nicht so schlecht.

„Vielleicht überleg ich es mir ja noch mal“, schlug Melody vor, um ihre Hündin zufrieden zu stellen. „Soll ich Riley davon erzählen? Oder lieber Ashley und Dan?“, fragte sie unsicher nach. Cora allerdings schaute sie skeptisch an.

„Du willst Lilly nichts sagen, aber Riley? Das gibt keinen Sinn. Er würde sich mindestens genauso viele Sorgen machen wie Lilly. Und Ashley würde wahrscheinlich wieder irgendwo in den ältesten Geschichtsbüchern nachschlagen, um etwas rauszufinden. Was so viel bedeutet, dass du sie tagelang nicht ansprechen könntest, solange sie nichts gefunden hat. Und was Dan betrifft … der würde wahrscheinlich noch nicht einmal dein Problem verstehen oder er würde sagen : Ach Mel, mach dir doch nicht immer so viele Sorgen. Das war doch nur ein Traum, stimmt’ s? Und wenn das so viele Jahre her ist, dann hat das mit Sicherheit nicht viel zu bedeuten“, sagte Cora wissend. Sie blieb nach wie vor bei ihrer Entscheidung, dass Melody mit Lilly über ihren Traum reden sollte, denn wenn jemand wissen konnte, ob der Mann in ihrem Traum wirklich ihr Opa gewesen war, dann war es ihre Tante.

Eine ganze Weile dachte Melody darüber nach, was ihre Hündin ihr mitgeteilt hatte. Doch so ganz konnte sie sich nicht damit anfreunden, ihrer Tante die ganze Geschichte zu erzählen. Da waren sie gerademal eine Nacht hier in diesem Wirtshaus und schon wurde sie von mysteriösen Träumen heimgesucht.

„Nein, ich glaube es ist besser, wenn ich darüber einfach nicht mehr nachdenke. Es war ja schließlich nur ein Traum, nicht wahr? Was soll der schon zu bedeuten haben?“, sagte sie achselzuckend, dabei schnappte sie sich ihre Kleidung sowie ihre Kosmetiktasche. „Ich mach mich jetzt fertig. Die andern vier warten mit Sicherheit schon auf uns.“ Somit war sie in Windeseile im Bad verschwunden und es dauerte gerademal fünf Minuten, da konnte ihre Hündin die laufende Dusche hören. Während das lauwarme Wasser ihr über den Rücken lief, ließ der Traum sie nicht weniger in Ruhe als vorher. Der Wissensdurst um Kiyoshi und seinem Freund Eliot und vor allem um diese eine Notiz wollte einfach nicht aufhören. Immer wieder überlegte Melody, ob sie nicht doch mit Lily darüber reden sollte, doch dann wiederum hatte sie ein schlechtes Gewissen ihrer Tante zu viel an den Hals zu hängen.

Ehe sich Melody aber weiter den Kopf darüber zerbrechen konnte, stieg sie aus der Dusche und trocknete sich ab, um schnellstmöglichst zu ihren Freunden zu kommen.

Ihre Hündin Cora war schon vor ihr rausgegangen.

Langsam ging Melody die hölzerne Treppe des Würzhauses hinunter. Die alten Stufen knirschten bei jedem einzelnen Schritt, sodass sie Angst bekam, sie könnten entzweibrechen. Knapp fünfzig Stufen musste sie nehmen, um in den kleinen Aufenthaltsraum zu gelangen, der aus einer alten Theke, diversen Tischen und Stühlen bestand.

Gelassen schaute sie sich in dem recht kleinen Raum um. Heute sowie gestern waren wieder zahlreiche Gäste in das alte Haus gekommen, die es sich bei einem Glas Burgunder oder einem deftigen Hefeweizen schmecken ließen. Mit Vorliebe beobachtete Melody die neuen Gäste: Althergebrachte Zauberer, die über die neuesten Schlagzeilen redeten; merkwürdig aussehende Hexen, mit Hüten, die aussahen wie aus Schlangenhaut, die sich zur Abwechslung mal vom Kräuter- und Tränkemischen ausruhte; kleine Zwerge, die sich die korpulentesten Essensrichtungen bestellten. Melody hätte schwören können, dass sich einer von ihnen mal rohe Hühnerherzen mit Spargel bestellt hatte.

Allerdings gab es neben den verwunderlichen Gestalten auch jene, die Melody nur zu gut kannte. An einem kleinen Ecktisch, weiter weg von allen anderen, saßen Riley, Lilly, Dan und Ashley zusammen. Vor jedem von ihnen stand ein großer Krug Malzbier, der vor allem bei Dan nicht mehr viel Inhalt besaß.

Melody setzte sich zu ihnen. „Endlich!“, sagte Ashley und grinste ihre Freundin zufrieden an, „wir wollten schon Wetten aufstellen, wie lange du noch schläfst.“

Achselzuckend fuhr sie sich durch das halbtrockene Haar, als die Kellnerin an ihren Tisch kam. „Kann ich Ihnen etwas zu trinken oder essen anbieten?“, fragte sie freundlich. Melody schaute sich daraufhin kurz um und bestellte sich ebenso ein Malzbier. „Für mich bitte noch eins“, fügte Dan noch dazu.

„Das ist jetzt schon dein drittes“, beschwerte sich Ashley.

„Na und“, Dan hob die Schultern. „Wenn’s doch schmeckt.“ Schnaufend lehnte er sich in seinem Stuhl zurück und schaute in die schweigsame Runde.

„Also, wie soll’s jetzt weitergehen?“, fragte Riley, dem die Stille allmählich auf den Geist ging. „Hast du eine Ahnung, wohin wir als Nächstes müssen?“ Er wandte sich mit der Frage an Melody, die zwischen ihm und Ashley saß. Lilly saß ihr genau gegenüber.

„Ich hab keine Ahnung“, gestand sie. Derzeit kam die Kellnerin wieder zu ihnen und stellten Melody und Dan ihr Malzbier auf den Tisch. „In der Prophezeiung hieß es: ich werde die Sonnenstrahlen verstehen …“, meinte sie und nahm einen kräftigen Schluck ihres Getränks.

„Hört sich nicht besonders eindeutig an.“ Ashley legte die Hände auf den Holztisch und spielte an einem der Kronkorken herum. „Sonnenstrahlen sind überall.“

„Es müssen besondere sein. Nicht irgendwelche“, sagte Lilly. Sogleich schaute Melody auf. Endlich hatte ihre Tante ein Wort von sich gegeben. Sie dachte schon, Lilly hätte die Sprache verloren, da sie den ganzen Vormittag noch nichts gesagt hatte.

Was die Beziehung zu Melody und ihrer Tante betraf, war diese in den letzten Monaten mehr denn je gewachsen. Die Zeit hatte die beiden zusammengeschweißt, sodass man sie nicht mehr hätte trennen können. Auch den Kampf vor ein paar Wochen in Daichi hatte keiner von ihnen vergessen. Als Ray wieder aufgetaucht war … die vielen Tote, die in dieser Schlacht zu beklagen waren … die Angst, einander zu verlieren … und vor allem der Verlust von Aquila war ihnen noch lange nicht aus dem Kopf gegangen. Jedoch wusste Melody auch, dass es Aquila – dort wo er jetzt war – bei den Nordlichtern sehr gut hatte.

„Wir müssten dorthin, wo die Sonne am stärksten scheint. Dort wo sie im Zenit steht“, schlug Riley vor.

„Und wo steht die Sonne im Zenit?“, wollte Dan wissen.

„Eigentlich im Süden des Sonnentals.“

„Das wäre aber unlogisch, weil das Eisland auch im Süden liegt und dort steht die Sonne mit Sicherheit nicht im Zenit.“

„Wir wollen ja auch nicht ins Eisland“, verteidigte Riley seinen Vorschlag.

„Aber in die gleiche Himmelsrichtung.“

Genervt fasste sich Ashley an die Stirn. „Ist doch egal, wer von euch recht hat. Wir können sowieso nicht die weite Reise in den Süden machen, wenn wir nicht einmal wissen, ob es auch der richtige Weg ist.“ Dem konnten auch die beiden Jungs nicht widersprechen. So gaben sie sich letzten Endes doch geschlagen und fingen von neuem an über ihre Theorien nachzudenken.

Melody hingegen ließ diese Überlegungen erstmals beiseite und schaute hinaus aus dem Fenster, das sich an der Wand gegenüber ihr und neben Lilly befand.

„Da zieht wohl ein gewaltiges Unwetter auf. Seht euch nur mal an, wie schwarz der Himmel geworden ist.“ Geistesabwesend schaute sie von ihrem Platz aus nach draußen. Die Wolkendecke hatte sich tatsächlich schwarz-grau zugezogen. Blätter und kleine Gegenstände wirbelten durch die Luft.

„Das passiert öfters, dass es bei diesen hohen Temperaturen zu starken Sturmböen und Gewitter kommt“; sagte Lilly. Doch Melody schaute weiter wie in Trance aus dem Fenster. Vor ihren Augen sah sie die Bilder, die ihr in dem Traum gekommen waren: Dicke, schwarze Wolken umschlossen Japan, während Eliot und Kiyoshi verwundet nacheinander das Gelände absuchten. Irgendetwas schien ihr an diesem Tag nicht geheuer, nur wusste sie nicht, was es war, das ihr den Tag versalzen wollte.

„Scheint also, als könnten wir heute Mittag jedenfalls nicht mehr raus“, seufzte Riley, der sich am liebsten sofort auf die Suche nach dem nächsten Juwelsplitter gemacht hätte. Doch das Wetter hatte ihnen da nun mal einen Strich durch die Rechnung gemacht.

„Was hätten wir auch draußen machen können, mal im Ernst, wir haben rein gar keinen Anhaltspunkt“, sagte Dan, dessen Mund mit einem Bierschaumbart umrandet war.

„Vielleicht gibt es hier in diesem Gebäude ja auch eine Bücherei“, schlug Ashley vor.

„Was willst du denn mit einer Bücherei?“ Dan runzelte die Stirn, woraufhin Ashley die Augen verrollte.

„In einer Bücherei gibt es Bücher, falls du das noch nicht gewusst hast, und in denen kann man – falls man diesen IQ besitzt – nachschlagen, um gewisse Hinweise zu gewissen Juwelen zu finden“, entgegnete sie in ihrem üblichen schnippischen Ton.

Melody wusste ganz genau, wieso Ashley bei jeder Kleinigkeit Dan anmachte. Seitdem er sie letztes Jahr auf der Klassenreise nach Waikiki Springs kaum beachtet hatte, war sie nicht besonders gut auf ihn zu sprechen. Und das obwohl er sich so große Sorgen um sie gemacht hatte, als sie von einer Alfin angegriffen worden war. Nichtsdestotrotz hatte sich zwischen den beiden nichts ergeben. Ashley liebte Dan – da war sich Melody sicher – und sie hätte schwören können, dass Dan nicht viel weniger auch für Ashley empfand. Doch besaß dieser fast schon so etwas wie eine Blockade, die ihm im Weg stand, um seiner Freundin seine wahren Gefühle für sie preiszugeben.

Da konnte sich Melody mit Riley glücklich schätzen. Denn dieser hatte alles andere als eine Blockade. Riley war eben durch und durch Riley – und das war auch gut so.

„Oh, sieh an. Madame ‚ Ich bin sowieso viel besser alsihr ’ ist heute mal wieder mit dem falschen Fuß aufgestanden“, konterte Dan zurück.

„Schön, dann kann ich ja gleich wieder ins Bett gehen, wenn es dir lieber ist.“ Und schon war Ashley aufgestanden und wollte gehen, als sie sich noch ein letztes Mal zu den vieren umdrehte. „Ach und übrigens, du hast da was Weißes auf dem Mund. Sieht aus wie Schimmel, vielleicht solltest du dich mal des Öfteren duschen“, schnippte sie und stolzierte in Windeseile die hölzerne Wendeltreppe empor. Derweil schauten die anderen ihr verdutzt nach.

„Holla die Waldfee!“, sagte Riley und räusperte sich. „Ihr beide scheint’s ja nötig zu haben.“ Als er das sagte, musste er sich fast schon ein Lachen verkneifen. Aber auch Melody und Lilly schauten Dan amüsant an.

„WAS?“, fragte dieser als Vorwurf und nahm zeitgleich einen großen Schluck Malzbier – egal wie verschmiert sein Mund davon wurde.

„Ashley scheint ja immer noch auf dich sauer zu sein“, meinte Melody. Dan aber zuckte bloß mit den Achseln.

„Wieso sollte die denn sauer sein?“

„Du hattest sie in Waikiki Springs total ignoriert.“

„Das ist jetzt schon fast ein halbes Jahr her“, verteidigte sich der Junge. „Und außerdem vergesst ihr alle, dass ich mich um sie gekümmert hab, als du in diese Kristallhöhle warst.“

„Du vergisst aber, dass wir Mädchen sind.“

„Und das soll heißen?“

„Das wir nichts vergessen, was ihr Jungs uns antut. Egal wie lange es her ist.“ Mit einem selbstgefälligen Grinsen lehnte sich Melody zurück in ihren Stuhl und schaute energisch in die Augen ihres besten Freundes, der sofort verstand.

„Na gut, na gut. Ich geh ja schon.“ Stöhnend stand Dan auf und ging Ashley hinterher auf ihr Zimmer, um sich zu entschuldigen.

Nun waren nur noch Melody, Riley und Lilly am Tisch übrig geblieben. „Ich geb’ ihm genau eine Minute“, meinte Riley.

„Drei, man muss ja schließlich auch die Treppe berücksichtigen“, gab Lilly bei.

„Ich glaube, es wird nicht einmal eine halbe.“ Melody sowie die anderen beiden schauten abwechselnd zur Wendeltreppe und zur Uhr, die genau über dem Tresen hing. Doch schon nach vierzig Sekunden hörten sie einen lauten Schlag und ihr Freund Dan kam fast schon ein wenig am Boden zerstört die Treppe hinunter.

„Seht ihr. Unter einer Minute“, sagte Melody und grinste ihre beiden Mitstreiter selbstgefällig an. Derweil setzte sich Dan niedergeschlagen wieder zu den dreien an den Tisch und schaute beleidigt in die Runde. „WAS?“, sagte er mit Nachdruck.

„Sie hat deine Endschuldigung nicht angenommen, oder?“, fragte Melody, die sich die Frage auch sehr gut hätte sparen können, denn die Antwort darauf konnte sie sich ja schließlich schon denken.

„Sie hat mich mit offenen Armen begrüßt“, sagte Dan stattdessen ironisch.

„Wie wäre es, wenn du noch mal zu ihr hingehst?“, schlug Lilly vor, doch der Junge schüttelte bloß den Kopf. „Ashley ist ziemlich sensibel, wer weiß, wahrscheinlich weint sie sogar“, fügte sie hinzu.

„Das ist nicht mein Problem“, sagte Dan, der sich sichtlich angegriffen fühlte.

„Na schön“, Melody stöhnte, „dann geh ich eben zu ihr.“

Eilig ging sie die hölzerne Treppe hinauf in den ersten Stock und geradewegs auf ihr Zimmer zu, wo sie sachte mit ihrer Faust anklopfte.

„Ashley? Ich bin’s“, sagte sie leise. Doch nichts kam zurück. „Kann ich reinkommen?“ Immer noch keine Antwort. „Dann komm ich jetzt einfach rein, okay?!“ Mit ihrer Hand drückte sie die Türklinke hinunter und öffnete die Tür – erst einen Spalt weit und schließlich ganz auf. Melody trat in ihr Zimmer und ließ die Tür hinter sich zufallen, da sah sie ihre Freundin weinend auf dem Bett liegen.

Mitfühlend ging sie auf sie zu und setze sich zu ihr auf die Matratze. „Ach Süße. Du darfst dir das nicht immer so zu Herzen nehmen.“ Ashley hatte ihr Gesicht unter dem weichen Kopfkissen vergraben und weinte immer weiter, auch als ihre Freundin ihre Hand auf ihre Schulter legte. „Dan ist eben manchmal ein ziemliches Egoistenschwein. Und wenn er so immer mit dir umgeht, dann hat er dich auch gar nicht verdient“, versuchte sie ihrer Freundin gut zu zureden. Doch vergeblich. Was auch immer Melody tat oder sagte, Ashley weinte weiter ihr Kopfkissen voll. So lange, bis sich ein großer Tränenfleck auf ihm bildete.

„Aber schau mal, du darfst auch nicht vergessen, dass sich Dan richtig liebevoll um dich gekümmert hat, als wir in Misaki waren“, pflichtete Melody bei. „Also, wenn du mich fragst, ich kann mir nicht vorstellen, dass du immer noch sauer auf ihn bist, nur weil er dich in Waikiki Springs ignoriert hat. Klar, war das nicht in Ordnung, aber-“.

„Melody, halt den Mund!“ Auf einmal hatte Ashley ihren Kopf gehoben und sich zu Melody umgedreht.

„Was hast du gesagt?“ Melody war ganz erschrocken. Da hatte sie nun ihrer Freundin helfen wollen und jetzt sollte sie den Mund halten? Zumal so eine Reaktion Ashley überhaupt nicht ähnlich sah.

„Tut mir leid, war nicht so gemeint.“ Ashley legte ihren Kopf in den Nacken und seufzte. „Es ist nur … du hast ja recht.“

„Wobei hab ich recht?“

„Ich bin nicht auf ihn sauer wegen der Klassenfahrt. Das ist ja auch schon lang genug her.“ Sie verschränkte die Arme und atmete tief ein.

„Warum bist du dann sauer auf ihn?“, wollte Melody wissen. Doch ihre Freundin wollte nicht so recht mit der Sprache rausrücken. „Al! Sag jetzt!“