Memoiren eines Münsterländer Mastschweins - Jürgen Buchmann - E-Book

Memoiren eines Münsterländer Mastschweins E-Book

Jürgen Buchmann

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Beschreibung

Ein westfälisches Mastschwein träumt davon, ein Studium zu ergreifen und Literat zu werden, um das Wort zu Fall zu bringen. Vom Onkel, einem geschätzten Eber, wird es in Latein unterrichtet und stellt schnell fest, dass das Glück fernab des heimischen Hofes liegt. Es bricht aus und begibt sich auf eine abenteuerliche Reise, die an der Alma Mater von Bielefeld endet. Die feinsinnige Sprache, der hintergründige Humor sowie zahlreiche Textbezüge machen dieses Buch zu einem Lesevergnügen, das den Leser nicht nur in die westfälische Provinz, sondern in das weite Feld der abendländischen Literatur entführt.

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Seitenzahl: 59

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Memoiren eines Münsterländer Mastschweins

Jürgen Buchmann

Memoiren eines Münsterländer Mastschweins

Erster Teil · Lehrjahre

freiraum-verlag

© 2. Auflage 2012 freiraum-verlag Greifswald Alle Rechte vorbehalten. Illustration, Umschlag und Satz: Isabel Wienold (wienold deSign) 1. Digitale Auflage Digitale Veröffentlichung: Zeilenwert GmbH ISBN: 978-3-943672-02-2

www.freiraum-verlag.de

Dieses Buch ist gewidmet dem Finanzamt Bielefeld-Innenstadt, der einzigen ostwestfälischen Kulturinstitution, die darauf aufmerksam wurde.

Inhaltsverzeichnis

Impressum
Widmung

Erstes Kapitel

Anfangsskrupel und Einstand des Schweins

Zweites Kapitel

Ferkeljahre und Aneignung des Deutschen

Drittes Kapitel

Erste Liebe und Stich des Schweinesken

Viertes Kapitel

Kuratel meines Oheims und Vorsatz, Literat zu werden

Fünftes Kapitel

Verherrlichung des Schweins und permutative Anthropologie des Onkels Salmanassar

Sechstes Kapitel

Der Beichtstuhl von St. Jakobus, nebst Auf- und Abtritt Pater Emmerans

Siebtes Kapitel

Ausspähung und Raub der Hehlkappe

Achtes Kapitel

Nächtliche Flucht und magyarische Abenteuer

Neuntes Kapitel

Straußengefängnis und erneute Flucht

Zehntes Kapitel

Der Kaiser von Bethel

Elftes Kapitel

Absonderliche Begebenheit auf einem Hochsitz

Zwölftes Kapitel

Epiphanie des Landwirts Herbert Diekmannshemke und finaler Galopp
Aus der Mappe des Autors
I. Das Märchen von der Schönen und dem Schwein.
II. Wie Schnöderbast Zinderülpchen verschnuzte

Anhang

Erläuterungen
Stimmen aus dem Stall und Kommentare des Kobens
Danksagung
Der Autor
Veröffentlichungen
Die Illustratorin

Erstes Kapitel

Anfangsskrupel und Einstand des Schweins

Gott sei mit uns – es ist das unaussprechliche Fleisch!

E. A. Poe, Eine Geschichte aus Jerusalem

Schüchtern und nicht ohne Zaudern übergebe ich der Welt diese Seiten, die in Stunden der Muße und Inspiration meiner Feder entströmten. Werden sie vor dem strengen Richtstuhl der Kritik bestehen? Wird ihrem Verfasser vergönnt sein, dereinst einen Platz in der Literaturgeschichte einzunehmen, anstatt auf einer Speisekarte?

Man wird mir zugestehen müssen, dass mein Unternehmen ohne Beispiel ist: Ich werde ein Schwein in aller Naturgetreue zeigen, und dieses Schwein werde ich selbst sein. Ich allein. Tatsächlich wage ich zu behaupten, dass ich anders bin als jeder, dem ich zeit meines Lebens begegnet bin; ja, ich vermute, dass kein zweites Wesen existiert, das beschaffen ist wie ich selber.

Wie aber diese Andersheit in Worte fassen? Gleich zu Anfang komme ich damit auf eine elementare Verlegenheit meines Vorhabens. Man möchte meinen, da alles, was ich mitzuteilen habe, aus meinen eigensten und unmittelbarsten Erfahrungen, Irrtümern und Leidenschaften zusammengesetzt sei und ich meinen Stoff also vollkommen beherrsche, so könne jene Frage höchstens den mir zu Gebote stehenden Takt und Anstand des Ausdrucks betreffen. Indessen bildete die gefällige Fügung des Wortes zu keiner Zeit meine Verlegenheit, und bereits im Koben wusste ich mich einer zierlichen und wohlgesetzten Rede zu befleißigen, in einem Grade, der mir nicht selten den Unmut meiner Stallgenossen eintrug, bis hin zu derber Attacke und zusammengerotteter Verfolgung, vor der ich genötigt war, Zuflucht am äußersten Ende der Koppel zu suchen.

Dort, unter Brombeeren und Hagebutten versteckt und marmoriert von den Prügeln, die ich bezogen hatte, haderte ich mit dem neidischen Stern, der mir die Gabe des Wortes verliehen hatte, zu der Bedingung, von niemand verstanden zu werden.

Man hat mir eingewendet, so ganz anders und unverständlich sei ich nun doch nicht, und was da hinter dem Berge halte, sei denn auch keinesfalls einzig und unvergleichlich, sondern nichts weiter als eben das Schweinische. Aber hier muss ich Protest einlegen. Unausbleiblich verbindet sich mit dem Etikett schweinisch die Erwartung eines strotzenden und unverhältnismäßigen Erfindungsreichtums auf dem Felde des Erotischen – eine Erwartung, wie man hinzufügen darf, die im allgemeinen darauf rechnet, möglichst ausführlich bedient zu werden. Meinerseits lege ich Wert auf die Feststellung, dass die Andeutungen der frühreifen, nach dem Willen ihrer und meiner Eltern zum Ehebunde mit mir bestimmten Porcella, die mit allerlei verstohlen-bedeutsamer Musterung meiner Person einhergingen, mich umgekehrt eher unbehaglich berührten, und ich beeile mich zu versichern, dass es mir fern liegt, in diesen Blättern das Stalltor ländlicher Lüsternheit und quiekender Ausschweifungen aufzustoßen – selbst wenn die Hälfte meiner Leserschaft an dieser Stelle das Buch aus der Hand legt.

Um Missverständnissen entgegenzuwirken, habe ich mich entschieden, den Begriff des Schweinischen in diesen Blättern durch den des Schweinesken zu ersetzen: Nicht ohne Bedacht beschwört er die Arabeske, jenes Ornament, das an die Zeichen einer Schrift gemahnt, dessen Botschaft jedoch unbestimmt und gleichsam in der Schwebe bleibt.

Wenn meiner Großmama ein ohrenfälliges Malheur entfuhr, pflegte sie auszurufen: „Schwejn blejwt schwejn, dao helpet kenne pillen.“ Ich gestehe, dass es Augenblicke gab, in denen ich sie um diese naive Gewissheit beneidete. Was ist das Schwein? Was ist das Schweineske? Wenn niemand mich danach fragt, weiß ich es; will ich es einem Frager erklären, weiß ich es nicht. Hier meine Geschichte: Mag sich der Leser seinen Reim darauf machen.

Stimmen aus dem Stall und Kommentare des Kobens

De Herold, so´n klaougschejter was dat, de wull dat schwejn dat kwieken lärn. Jümmers de näsen inne lucht. Den büss du nich vöüerniem genaouch wään. Wenn du äinn hess fäöiern laoten, ha he dat gesichte votaogen un iss ´n pa schritt trügge blejm´m. So äinn was dat.

Zweites Kapitel

Ferkeljahre und Aneignung des Deutschen

Glánde sués laetí redeúnt.

Fett von der Eichelmast, zieh´n stallwärts zufrieden die Schweine.

Vergil, Georgica. Vom Landbau (29 v. Chr.)

Ostwestfalen hat mich hervorgebracht, jener begünstigte Landstrich, welcher, gelinde und ohne Schroffheit sowohl in Hinsicht auf die Witterungsverhältnisse wie auch auf die Bodenbeschaffenheit, reich besetzt mit Städten und Dörfern und von Raps- und Rübenfeldern geschmückt, wohl zu den lieblichsten der bewohnten Erde gehört. Ich übergehe die weitläufige Beschreibung des Mastholter Kobens, wo ich zu Füßen der Jakobuskirche unter verschmitzten, weißbewimperten Veilchenäuglein und elastischen, gesellig drängenden Flanken als Nachfahr einer Familie von reinstem Münsterländer Geblüt zum Jungschwein heranwuchs, und wende mich der erheblicheren und bedeutenderes Interesse erheischenden Frage zu, wie ich als Schwein zum Deutschen, der Sprache eines Goethe und Thomas Mann fand.

Zugleich bitte ich um Verständnis, wenn ich Abstand davon nehme, Proben des Schweinischen mitzuteilen. Ich habe feststellen müssen, dass Ermunterungen in dieser Richtung in der Mehrzahl der Fälle weniger linguistischem Bedürfnis als einer seichten Sensationslust entspringen, die darauf spekuliert, mit oinkoink!grunz! quiek! und ähnlichen Unsäglichkeiten amüsiert zu werden, und deren Applaus sich zuverlässig verdoppeln würde, wenn ich zugleich mit einem Sonnenschirm auf einem Drahtseil balancieren wollte.

Ich muss an dieser Stelle indes eine elementare Erinnerung einfließen lassen. Wie in der rosigen Glätte und blonden Beflaumung seines Teints das Schwein dem Menschen unter allen Lebewesen zweifellos am nächsten steht, so existiert auch zwischen schweinischer und menschlicher Rede kein durchaus unüberwindlicher Abgrund. Beide sind in gleicher Weise zum Zweck der Bezeichnung auf einen Vorrat quiekender, schmatzender und grunzender Laute verwiesen, deren geschmeidiges Wirken im Dienste des Geistes in gleichem Maße Bewunderung abnötigt, mag es sich nun in kennerisch-wägendem Kommentar vor dem täglichen Troge bewähren oder auf dem Sofa mit dem Brauseruf Tor! zur Stunde der Sportschau das Außerordentliche, schlechthin Überwältigende beschwören.

Auf meine frühsten Erdentage, die des Wortes entrieten, folgten sehr bald die ersten Versuche der Rede. Denn entwickelt das Schwein sich ohnehin zielstrebiger und mit behenderem Pass als der Mensch, so sollte sich dies Tempo noch beschleunigen durch die üppig bemessenen Rationen der biologischen Wertkost, die Herbert Diekmannshemke, unser Herr und Meister, uns zukommen ließ, mit einem Behagen an unserem Appetit, das mir als Ausdruck seltener Selbstlosigkeit erschien, zumal er sich niemals an unseren Mahlzeiten beteiligte.