Memoirs of Carl Wippo. Lebenserinnerungen von Carl Wippo - Matthias Blazek - E-Book

Memoirs of Carl Wippo. Lebenserinnerungen von Carl Wippo E-Book

Matthias Blazek

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Beschreibung

Niedergeschriebene Lebenserinnerungen sind keine Selbstverständlichkeit – schon gar nicht von deutschen Arbeitern und Migranten im 19. Jahrhundert. In dem vorliegenden Band werden erstmals die ungewöhnlichen Lebenserinnerungen von Carl Wippo (1827-1898) der Öffentlichkeit zugänglich gemacht – editorisch aufbereitet, sachkundig kommentiert und in einen historischen Kontext eingebettet durch Matthias Blazek, Journalist und Historiograph. Carl Wippo war Sattler, Eisenbahnbauarbeiter, später Polsterer und Amerika-Auswanderer – und er war zudem unsterblich verliebt. Seine Migration nach Amerika hätte zur Folge haben müssen, dass die Gedanken an seine Angebetete verblassen. Weit gefehlt! Trotz aller Widrigkeiten bewahrheitete sich bei Wippo die alte Regel: "Man sieht sich immer zweimal im Leben." Aus kleinen Hoffnungsschimmern, langen Reisen und durch die Hilfe von Freunden und Familie entwickelte sich schließlich eine erfüllte Lovestory, die im Königreich Hannover begann und nach zahlreichen Verwicklungen ihr glückliches Ende in Chicago finden konnte. Mit seinem neuen Buch rund um die anrührende und fesselnde Lebensgeschichte von Carl Wippo spricht Matthias Blazek nicht nur Leser mit Interesse an der Geschichte der Auswanderung nach Nordamerika aus dem Königreich Hannover an; auch Eisenbahnhistoriker, die Nachfahren Ausgewanderter und – nicht zuletzt mit Blick auf die zahlreichen Ortschaften in Niedersachsen, die behandelt werden – auch Heimatkundler werden viele Informationen mit Begeisterung, Faszination und Staunen zur Kenntnis nehmen. Auch wer an der Eroberung des amerikanischen Westens interessiert ist, findet zahlreiche verblüffende Fakten – wie immer bei Matthias Blazek spannend aufbereitet und anschaulich präsentiert.

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ibidem-Verag, Stuttgart

Memoirs of Carl Wippo

Lebenserinnerungen von Carl Wippo

 

 

Beiträge über die Auswanderung nach Nordamerika

aus dem Königreich Hannover in den Jahren 1846-1852

 

„Die Eindrücke, die ich auf meinen Reisen von der atlantischen bis zur pazifischen Küste und bei der Besichtigung aller großen Industrie- und Handels-Zentren in mich aufgenommen habe, sind in der Hauptsache überwältigend. Man darf wirklich von einer »gigantischen Stärke« der Nation sprechen.“

Im 19. Jahrhundert erschien Amerika vielen Deutschen als „Land der unbegrenzten Möglichkeiten“. Den Begriff selbst prägte der aus Tarnowitz (Oberschlesien) stammende jüdische Bankier und Industrielle Ludwig Max Goldberger (1848-1913) in einem Reisebericht. Der Titel des Buches lautete entsprechend „Das Land der unbegrenzten Möglichkeiten – Beobachtungen über das Wirtschaftsleben der Vereinigten Staaten von Amerika“, es erschien im Verlag F. Fontane & Co., Berlin-Leipzig 1903.

 

 

 

Vorwort

Niedergeschriebene Lebenserinnerungen sind keine Selbstverständlichkeit. Schon gar nicht von deutschen Arbeitern im 19. Jahrhundert. Carl Wippo (1827-1898) war Sattler, Eisenbahnbauarbeiter, später Polsterer – und er war unsterblich verliebt. Sein Auswandern nach Amerika hätte zur Folge haben müssen, dass die Gedanken an seine Angebetete verblassen. Gefehlt! „Man sieht sich immer zweimal im Leben.“ Dieser Spruch, der dem Schicksal eng verhaftet ist, sollte sich bei Wippo bewahrheiten. Aus kleinen Hoffnungsschimmern, langen Reisen, dem Mitwirken des sozialen Umfeldes und weiterer Komponenten entwickelte sich schließlich eine erfüllte Lovestory, die im Königreich Hannover begann und ihr glückliches Ende in Chicago finden sollte.

Das Ende der Memoiren ist offen. Dafür sind es heute die Nachkommen von Carl Wippo in den Vereinigten Staaten von Amerika, die die Erinnerungen von Generation zu Generation weitergeben.

Die Nachkommen fanden schließlich im Jahr 2015 den Weg zum Verfasser dieses Werkes, der ihnen mit mancherlei Informationen weiterhelfen konnte. Charles Bowman, der mit seiner Frau Linda aus Florida/USA angereist war, war insbesondere interessiert an dem Ort, wo Dorette Wippo als Mädchen gelebt hatte, dem Vorwerk Müggenburg an der Kreisgrenze zwischen Celle und Hannover.

Doch die Gebäude und die Gärten der „Müggenburg“, dem Sehnsuchtsort Carl Wippos, wo er und Dorette heimlich die ersten Liebesschwüre tauschten und von wo er in die Fremde aufbrach, existieren nicht mehr. Zwar wurden die Gebäude nach einem Brand (1921) vollständig neu errichtet, doch 1965 wurden das Wohnhaus mit der Gastwirtschaft und die Stallgebäude, Jahre später die alte Scheune abgerissen und das Grundstück so eingeebnet, dass außer zwei alten Kastanien so gut wie nichts mehr an diesen historischen Ort erinnert. Die Straßenbaubehörde hat jedoch ihren Plan, über das Grundstück eine Begradigung der alten B3 vorzunehmen, nie realisiert.

Das Nachfolgegebäude „Hotel Müggenburg“, 500 Meter entfernt als nüchterner Zweckbau errichtet, vermochte die Atmosphäre der alten „Müggenburg“ nicht zu bewahren. Etwas fremd an ihrem Ort, wird sie nun, so die Planung, ein Ort für Fremde, für Flüchtlinge.

Es kommen in Carl Wippos Memoiren einige Dinge zur Sprache, die für ihn insgesamt weniger bedeutsam waren, die aber aus heutiger Sicht einer besonderen Würdigung bedürfen. Die Rede ist von der Frühzeit des hannoverschen Eisenbahnbaus, von einer Rettungsaktion des „Schwarzen Herzogs“ Friedrich Wilhelm von Braunschweig-Lüneburg-Oels, von der Verwandtschaft zum Pionier des deutschen Feuerwehrwesens Carl Elleke, von der Frühzeit der deutschen Kolonie in Chicago, ja überhaupt der heutigen Riesenmetropole aus der Zeit vor dem großen Brand.

Der Zufall will es, dass die Spurensuche eines weiteren Meyer-Nachfahren, Kázmér Szalay aus Ungarn, nach Adelheidsdorf geführt hat, zeitgleich, aber völlig unabhängig von der Suche der Wippo-Nachfahren.

Die Memoiren Carl Wippos verdienen eine besondere Aufmerksamkeit.

Denn Carl Wippo liefert mit seinen Aufzeichnungen nicht nur detailreiche Einblicke in die sozialen Umwälzungen seiner Zeit, die infolge der einsetzenden Industrialisierung zu einer nicht unerheblichen Auswanderungswelle nach Amerika führen, sondern sie sind auch – und das zum Teil mit einer geradezu poetischen Ausdruckskraft – ein facettenreiches Zeugnis damaliger Lebensformen und Geschlechterbeziehungen. Es ist eine Zeit des Aufbruchs, der Abenteuer, und die Aufzeichnungen des Carl Wippo geben in subtiler Weise auch Kunde von dem Mut, dem Gestaltungswillen, der Solidarität seiner Generation. Und, last not least, sie sind ein berührendes Dokument einer unbedingten Liebe zwischen zwei jungen Menschen, zwischen denen nicht nur das starre Moralkorsett jener Zeiten liegt, sondern irgendwann dann auch der „Große Teich.“

Der Verfasser

 

 

 

 

 

 

Zur Textübertragung:

Der Text ist orthographisch unverändert transkribiert worden. Auf Schreibfehler, die auf Fehler bei der Texterfassung hindeuten (grundsätzlich abgesehen von Groß- und Kleinschreibung), wurde mit dem Zusatz „(sic!)“ (sīc erat scriptum: „so stand es geschrieben“) hingewiesen. Die Groß- und Kleinschreibung spielt in den Memoiren eine eher untergeordnete Rolle, ein Angleichen an die richtige Schreibweise hält der Verfasser nicht für erforderlich. Fast durchgängig beachtete Carl Wippo nicht das Gebot, mit „daß“ (heute analog „dass“) Objekt-, Subjekt- und Attributsätze einzuleiten. Beispiel: „Wenn es geht, das [richtig: daß, heute dass] der Wind günstig ist, fährt das Schiff in diesen Tagen unter Segel.“ Anstelle des Eszetts (ß) hat Carl Wippo vielfach den Buchstaben s verwendet (Beispiel: „musten“). „Famielie“ schrieb er durchweg so. Der Buchstabe d unterscheidet sich in den Memoiren in der Groß- und Kleinschreibung nicht und wurde bei der Abschrift in der Briefanrede durchweg groß geschrieben. Die buchstabengetreue Transkription erfolgte im Zeitraum September 2015 bis März 2016.

 

 

 

 

Inhaltsverzeichnis

a. Carl Wippo bringt 1864 seine Memoiren zu Papier

b. Heinrich Meyer versteckt den Herzog von Braunschweig

c. Der Originaltext der Lebenserinnerungen

d. Vorwort, Chicago, 1. Januar 1864

e. Anfänge des Eisenbahnbaus (1842)

f. Familiäres

g. Abreise von Peine

h. Bau der Eisenbahnbrücken um Celle herum

i. Ankunft bei der Müggenburg

j. Rettungsaktion im Hôtel d’Hanovre in Celle

k. Wirt und Wirtin Schädtler

l. Carl Wippo begegnet zum ersten Mal Dorette

m. Umzug nach Adelheidsdorf

n. Weggang nach Uelzen

o. Neuer Arbeitsplatz Bahnhof Wunstorf

p. Dorette in Stixe an der Elbe

q. Märzrevolution (Deutsche Revolution von 1848/49)

r. „Freundlich grüßt Ihre Dorette.“

s. Pfingsten 1848 unter der großen Linde bei der Müggenburg

t. Carls Bruder August ereilt ein tödlicher Hitzschlag

u. Carl trifft in Amerika ein

v. Marsch nach Chicago

w. Die Eltern und Bruder Albert kommen nach

x. Vetter Carl Elleke I bietet seine Dienste an

y. Dorette kommt nach und beide heiraten 1855

z. Nachbar Solomon Wilson stirbt

Impressum

Treffen im Hause Blazek in Adelheidsdorf, 19. September 2015 (von links):

Linda und Charles „Chuck“ Bowman, beide aus Florida angereist, Matthias Blazek.

Foto: Blazek

 

Von einem, der nach Amerika ging

„Memoirs of Carl Wippo“

Lebenserinnerungen von Carl Wippo

„Mit schweren Herzen schieden wir von Celle“

 

Carl Wippo bringt 1864 seine Memoiren zu Papier

Sattlerfamilie aus Peine arbeitet am Brückenbau in und um Celle mit

- Prolog -

Der aus Peine stammende Carl Wippo (1827-1898), der nach Chicago auswanderte und Dorette Meyer (1827-1876), Tochter des Vorwerkspächters auf der Müggenburg, heiratete, brachte in seiner neuen Heimat seine Erinnerungen zu Papier. Darin geht er auf die frühe Zeit des hannoverschen Eisenbahnbaus ein. Wippo war gemeinsam mit seinem Vater am Eisenbahnbrückenbau in und um Celle, bei Uelzen und an anderen Orten beteiligt gewesen.

Carl Wippo und Dorette Wippo, geb. Meyer, in den 1870er Jahren. Foto: Charles Bowman

Carl Wippo hat Weitsicht bewiesen. Der Eisenbahnbauarbeiter hatte das Königreich Hannover verlassen, um sich in Amerika eine neue Existenz aufzubauen. Seiner Nachwelt hinterließ er seine Erinnerungen in schriftlicher Form, die er am 1. Januar 1864 in Chicago mit einem Geleitwort versah. Er entschuldigte sich beim Leser hinsichtlich Schrift und Form. Was er hinterließ, ist jedoch sehr interessant und lesenswert. Es handelt sich um ein besonderes Zeugnis der frühesten Zeit des hannoverschen Eisenbahnbaus, in dem die Brückenbauten um Celle herum, der vielerwähnte Müggenburger Vorwerkspächter Heinrich Meyer und der Celler Feuerwehrpionier Carl Elleke (1814-1871) eine Rolle spielen. Das Besondere: Nicht ein „Schreiberling“ hat das Erlebte zu Papier gebracht, sondern ein Handwerker. Dazu gehörte eine beachtliche Portion Mut, Wille und Durchhaltevermögen. Carl Wippo brachte all dieses auf.

Am Neujahrstag 1864 leitete Wippo in der US-amerikanischen Großstadt Chicago im Bundesstaat Illinois seine Erinnerungen mit einem Vorwort ein. „Die Erinnerung an die glückliche Zeit unserer ersten Liebe, die zweimalige spätere Trennung und die schließliche glückliche Vereinigung nach einem Zeitraum von zehn Jahren; machte schon öfter den Entschluß in mir rege, unsere Erlebnisse in eine Erzählung zusammen zu stellen, nicht etwa, um Sie (sic!) Publiciren (sic!) zu lassen, sondern nur zur Erinnerung und Belustigung der eigenen Familie.“

Wippos Memoiren beginnen im Jahr 1842, als im Königreich Hannover der Bau der ersten Eisenbahn einsetzte. Große Hoffnungen seien von manchen Seiten daran geknüpft worden, während von anderen Seiten ebenso viele Befürchtungen und Verwünschungen laut geworden seien. Carl Wippo war damals noch Jugendlicher. Zurückblickend bewertete er die Neuerungen so: „Wie es denn gewöhnlich der Fall ist, wenn etwas großartiges Neues, alte lang bestandene Gewohnheiten aufhebt, und nichts hat wohl größere Umwälzungen im Bürgerlichen Leben hervorgebracht als eben die Dampfkraft und mit ihr die Eisenbahn.“

Jeder, der sich durch die Eisenbahn beeinträchtigt glaubte, so Wippo weiter, suchte daher den bestmöglichen Vorteil davon zu ziehen und arbeitete an derselben, um später eine der zahllosen Stellen zu bekommen, welche beim Betrieb der Eisenbahn vergeben wurden. So habe man Militärpersonen, verarmten Adel, Gelehrte, Kaufleute, Handwerker, Bauern und Tagelöhner gesehen, die gewöhnlichste Handarbeiten verrichteten und mit anderen an einem Karren zogen, die vielleicht eben eine Arbeits- und Besserungs-Anstalt verlassen hatten. Dabei beobachtete Carl Wippo: „Gleichsam als habe die alles nivellirende Eisenbahn auch schon die schroffen Abstände der verschiedenen Klassen geebnet. Es war oft traurig genug anzusehen, wenn gebildete aber verarmte Leute, in Gesellschaft von rohen verkommenen Subjecten arbeiten, und deren faule Witze und rohe Scherze anhören mußten, doch das war nun einmal nicht zu ändern, und jeder suchte daher so gut es ging carriere zu machen.“

Altgediente Militärs wurden jedoch nach Wippos Wahrnehmung allen vorgezogen. Sie hätten die besten Stellen erhalten. Auch die anderen hätten ihren Kenntnissen entsprechende Plätze erhalten. „Nur der Handwerkerstand nicht, er hatte keine Freunde höheren Orts, die ihn empfehlen konnten, er mußte von der Pike herauf dienen, und doch verließen verarmte Handwerker massenweise ihre Werkstätten namentlich in den kleinern Städten, wo sie ohnehin nur ein klägliches Dasein fristeten; um ebenfalls die zwar hä(r)tere aber doch lohnendere Arbeit des Eisenbahnbaues zu verrichten, da auch mancher von ihnen nicht der letzte zu sein hoffte, dem eine Stelle an der Eisenbahn zufallen möge.“

Auch Carl Wippo, sein Bruder August und sein Vater, George Henry Conrad Wippo (1796-1873), hatten damals gedacht, ob es nicht ratsam sei, sich um eine Stelle zu bewerben. In letzter Zeit waren die Geschäfte wohl so still geworden, dass kaum die laufenden Ausgaben gedeckt werden konnten. „Und wie würde es erst noch werden“, fragte Carl Wippo, „wenn durch das Dampfroß die vierbeinigen Rosse außer Dienst gesetzt würden, wodurch das Sattler Geschäft bedeutend verlieren mußte“. 

Ein Vetter (Cousin) Wippos war als Bauführer angestellt, und wohlwissend, dass das Sattler-Geschäft in Peine ziemlich am Ende war, riet er ihnen, auch zur Eisenbahn zu gehen, denn, so habe er gesagt, jedem von ihnen sei eine Stelle gewiss, dafür werde er schon sorgen. Angesichts dieser in Aussicht stehenden Stellen, welche in mancher Hinsicht Lockendes boten, beschlossen die drei Wippos, dem Rat des Vetters zu folgen. Der Vater war 46 Jahre alt, August und Carl waren 19 und 16 Jahre. Der Vater hatte beiden das Sattlerhandwerk, einen Beruf des lederverarbeitenden Gewerbes, beigebracht, der bereits seit fast zweihundert Jahren in ihrer Familie ausgeübt worden war. Carl Wippo erinnerte sich, dass es daher eine schwer zu beschließende Trennung gewesen sei. „Mancher sich besser dünkende sah auch wohl gar mit Stolz auf uns herab und wunderte sich, daß auch wir an der Eisenbahn arbeiteten; aber der feste Wille, und die Hoffnung auf künftige bessere Zeiten, ließen alle Strapazen glücklich überwinden, und der Gedanke: ‚Arbeit schändet nicht‘, ließ uns ruhig unsern einmal eingeschlagenen Weg verfolgen.“

Die Personenzuglokomotive „Ernst August“ soll eine der ersten Dampflokomotiven für die Königlich Hannöverschen Staatseisenbahnen der Maschinenfabrik Georg Egestorff in Linden bei Hannover gewesen sein. Sie wurde am 15. Juni 1846 auf der Strecke Lehrte-Hildesheim in Dienst gestellt und war bis 1872 im Einsatz. In dieser Zeit legte sie mehr als 1000 Meilen zurück, was damals lobend erwähnt wurde. Digitale Sammlung Matthias Blazek

Es vergingen beinahe 18 Monate, und die Bahn von Hannover nach Braunschweig war nahezu fertiggestellt, als die Sattler schließlich erfuhren, dass niemand unter 25 oder über 40 Jahren Aussicht auf eine Stelle hatte, und somit niemand von ihnen. Allerdings waren noch weitere Bahnen geplant, und daher war ihnen die Möglichkeit gegeben, sich noch weiter zu bewerben.

Auch sagte ihnen jener Vetter, dass, je länger sie beim Bau angestellt seien, desto bessere Stellen sie später erhalten würden. Das klang überzeugend, und so beschlossen der Vater und die Brüder, das einmal Angefangene weiter zu verfolgen. 

 

Die nächste Bahn, deren Bau anstand, war die Celle-Harburger Bahn, und man orientierte sich daher nach Celle. An einem schönen Augustmorgen im Jahre 1844 verließen die drei Männer Peine, um nach dem sieben Stunden entfernten Celle zu gehen. Carl Wippo erinnerte sich, dass sie angesichts ihrer Veränderung teils wehmütige, teils freudige Gefühle hatten. Wehmütige Gefühle seien es gewesen, weil sie nun das liebe alte Geschäft, welches fast Jahrhunderte in ihrer Familie gewesen war, verlassen wollten, woran sie trotz der schlechten Zeiten doch noch mit großer Liebe hingen und welches sie während der Verfolgung ihrer Pläne, bei der Eisenbahn zu arbeiten, weitergeführt hatten, um sich einen Rückzug offenzuhalten, falls sie bei einer Verteilung der Stellen übergangen werden sollten. Wehmütig auch, weil in Celle verschiedene Verwandte und Freunde wohnten, welche sie nach damaligen und dortigen Begriffen in ihrer „Erniedrigung“ als Eisenbahnarbeiter sehen würden. Wehmütig und ängstlich schließlich zugleich, weil sie nicht wussten, ob und welche Beschäftigung sie dort erhalten würden.

Freudige Gefühle waren es aber zuletzt, indem sie wussten, dass ihr Vetter auch dorthin versetzt werden würde, sobald die Arbeiten in Peine beendet sein würden. Auch waren sie ja schon durch denselben mit mehreren anderen Angestellten bekannt gemacht, und so unterlag es doch wohl keinem Zweifel, dass sie ihrem Ziel in Celle um ein Beträchtliches näher rücken würden. Und so kam es denn auch.

Nach kurzer Anwesenheit wurden sie endlich provisorisch angestellt, und zwar Vater und Bruder als Schachtmeister und Carl wegen seiner Jugend zunächst als Hilfsaufseher. Als solche wurden sie dem Brückenbau zugeteilt.

Nun fühlten sie sich sicher, denn jetzt hatten sie zu befehlen statt zu arbeiten. Vier große Brücken, zwei über die Fuhse und zwei über die Aller, wurden unter ziemlich schwierigen Verhältnissen bei Celle gebaut. Trotz der Tausenden von Menschen, welche daran beschäftigt waren, ging der Bau nach Wippos Worten „doch langsam von statten“. Dazu kam der Winter, das Jahr näherte sich seinem Ende, und mit den Weihnachtsfeiertagen war starker Frost gekommen, sodass der Bau für die Zeit der strengsten Kälte ausgesetzt wurde. Den drei Wippos war es somit vergönnt, längere Zeit zu Hause sein zu können. Sie reisten daher am 24. Dezember 1844 nach Peine und kehrten in der zweiten Januarwoche des Jahres 1845 wieder nach Celle zurück.

Die Bauarbeiten wurden wieder aufgenommen und ohne erhebliche Unterbrechung so weit gebracht, dass die Fuhse-Brücken im April 1845 schon über dem Niveau des Wassers waren. Und da die Vollendung derselben mehr in den Händen der Maurer und Zimmerleute lag und daher mit weniger Aufsicht vollendet werden konnte, so wurden ein Bauführer und Carl Wippo nach der königlichen Domäne Müggenburg südlich von Celle versetzt, um dort ebenfalls, allerdings kleinere, Brücken zu bauen.

Im Bereich der Müggenburg fand Carl Wippo „nichts als Heide, Moor, und Sandland“. Das Hauptgebäude war „ein altmodisches gewöhnliches Haus, jedoch sehr bequem für Landwirthschaft, und Wirthschaft eingerichtet, mit den dazu gehörenden Stallungen und sonstigen Gebäuden versehen, und sehr günstig gelegen. An der andern Seite der Chausee (sic!) gerade gegenüber wohnt auch ein Chausee-Einnehmer, welcher fast der einzige Nachbar der Bewohner der Müggenburg ist, da die Adelheidsdorfer ziemlich weit entfernt sind und die Müggenburger weniger Nachbarschaft mit ihnen unterhalten“. 

Der Premier-Lieutenant im Königlich Han¬-no¬ver¬schen Ingenieurkorps August Papen (1799-1858) zeichnete auf der 1839 veröffentlichten Karte 41 „Celle“ von seinem Topographischen Atlas des Königreichs Hannover und Herzogtums Braunschweig recht präzise die Wege, Ortschaften, Einzelgebäude und Wasserläufe ein. In diesem Bereich halfen die Männer aus der Familie Wippo beim Eisenbahnbrückenbau

Pächter Heinrich Meyer, „der dicke Meyer“, der seinerzeit als Kellner im Hotel d’Hannovre in Celle dem Herzog von Braunschweig Unterschlupf gewährt hatte, war am 1. Oktober 1844 am Schlagfluss (Schlaganfall) gestorben. Der Ökonom Carl Ludwig (Louis) Schaedtler, der Meyers Tochter Caroline geheiratet hatte, hatte danach die Pachtung übernommen. Mit nicht einmal 50 Jahren war Schaedtler bereits lahm und taub. Und durch die Eisenbahn war der Müggenburg eine Haupterwerbsquelle genommen.

Dorette Meyer, jüngste von sechs Töchtern, am 3. Dezember 1827 auf der Domäne Müggenburg geboren, war Papas Liebling gewesen, sie erfreute sich in ihrer Kindheit des Beinamens „Schottländer“, welchen er ihr gegeben hatte. Denn kein Staket, kein Obstbaum war zu hoch, kein Bach zu breit und zu tief für sie, sie hatte stets übermütige Streiche im Sinn. Der Vater kam damit gut klar und zeigte sich als ihr Beschützer. Seinem „Schottländer“ durfte niemand ein Haar krümmen.

Des Vaters Tod hatte die Familie unvorbereitet getroffen. Der Vormund der minderjährigen Dorette wird als eigennütziger, habsüchtiger und gefühlloser Mensch beschrieben, der die Vormundschaft zu seinem Vorteil auszubeuten suchte.

 

In dieser schweren Zeit trafen Carl Wippo und der Bauführer in der Müggenburg ein, um dort ihren Wohnsitz für einige Monate aufzuschlagen. Drei Zimmer wurden gemietet, welche beide gemeinschaftlich bewohnten. Der Wirt, Louis Schaedtler, „ein äußerst gutmüthiger und gebildeter Mann“, aber wie erwähnt taub und lahm, war kein besonderer Gesellschafter; auch die Frau, eine tüchtige Wirtin, resolut und infolge der Erkrankung des Mannes das Kommando führend, war wenig gesprächig, da ihr bei der Aufsicht über das große Hauswesen wenig Zeit zum Plaudern übrig blieb.

Carl Wippo, der soeben sein achtzehntes Lebensjahr überschritten hatte, lernte Dorette Meyer kennen, die ihrer Schwester Caroline den Haushalt führen half, und verliebte sich Hals über Kopf in sie. Es war eine Liebe mit Hindernissen, die von langen Auszeiten geprägt waren, am Ende aber doch ein Happy-end erfuhr.

Der Sommer verging, und die Bauten in der Nähe der Müggenburg sollten bald vollendet sein. Ihre nächste Station war über eine Stunde entfernt, und da der Bauführer lahm war und so nahe wie möglich bei den Bauplätzen wohnen musste, beschlossen die beiden Arbeiter, nach Adelheidsdorf überzusiedeln. Carl Wippo: „Mit blutenden Herzen wurden die Sachen gepackt, und die liebe Müggenburg verlassen; doch hatte ich noch fast täglich einmal unsere noch nicht vollendeten Bauten zu besuchen und benutzte dieses dann ebenfalls zu einem Besuche in Müggenburg.“

Der Winter von 1846 war sehr mild gewesen, fast kein Schnee und kein Eis hatten sich sehen lassen, im Februar blühten die Bäume in vielen Gegenden, und der Brückenbau konnte daher ungestört fortgesetzt werden. Daher waren ihre Bauten früher fertig, als sie im vergangenen Herbst geglaubt hatten. Und mit dem Frühling kam daher auch ihre Versetzung an einen neuen Bauplatz. Dieses Mal aber durchaus nicht nach Wippos Geschmack, denn sie mussten weit in die Lüneburger Heide wandern und dort unweit Uelzen neue Brücken bauen.

Im Spätherbst waren ihre Bauten fertig, und sie hatten das Vergnügen, an die Hannover-Mindener Bahn versetzt zu werden, und zwar zum großen Wunstorfer Bahnhof.

Fünf Jahre später, am 15. Oktober 1852, ging jener Carl Wippo mit 160 Auswanderern in Bremerhaven unter Segel und traf am 11. Oktober des Jahres in New York ein. Zweieinhalb Jahre später folgte ihm auch seine Jugendliebe, Dorette Meyer, nach. Beide heirateten am 12. Juli 1855 in Chicago. Das ist aber eine andere Geschichte.

 

 

Heinrich Christoph Meyer versteckt den Herzog von Braunschweig vor den Franzosen und erhält 1809 das Vorwerk Müggenburg südlich von Celle zu einem niedrigen Mietpreis

Dorette Meyer von der Müggenburg im Familienkreis