Menschen in finsteren Zeiten - Hannah Arendt - E-Book

Menschen in finsteren Zeiten E-Book

Hannah Arendt

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Beschreibung

Die große Philosophin Hannah Arendt porträtiert Persönlichkeiten wie Rosa Luxemburg, Karl Jaspers, Bertolt Brecht, Walter Benjamin und Tania Blixen: »Gemeinsam ist allen das Zeitalter, in das ihre Lebenszeit fiel, die Welt der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts mit ihren politischen Katastrophen, moralischen Desastern und einer erstaunlichen Entwicklung von Kunst und Wissenschaft.«

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Vorwort

Die im Laufe von zwölf Jahren geschriebenen Essays und Artikel, die in diesem Buch gesammelt sind, verdanken ihre Entstehung bestimmten Anlässen oder Gelegenheiten. Hauptsächlich befassen sie sich mit Personen – mit der Art und Weise, wie diese ihr Leben lebten, wie sie sich in der Welt bewegten und wie sie von der geschichtlichen Zeit berührt wurden. Die Menschen, die hier zusammengebracht werden, könnten kaum verschiedener sein, und man kann sich unschwer vorstellen, wie sie sich, wenn befragt, gewehrt hätten, sozusagen in einem gemeinsamen Raum versammelt zu werden. Denn weder in ihren Begabungen noch in ihren Überzeugungen, weder hinsichtlich ihres Berufs noch in bezug auf ihr Milieu weisen sie Gemeinsamkeiten auf; sie haben auch kaum etwas voneinander gewußt. Doch waren sie Zeitgenossen, als solche allerdings verschiedenen Generationen zugehörig – ausgenommen natürlich Lessing, der aber im einleitenden Essay so behandelt wird, als sei er ihr Zeitgenosse. Gemeinsam also ist allen das Zeitalter, in das ihre Lebenszeit fiel, die Welt der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts mit ihren politischen Katastrophen, moralischen Desastern und einer erstaunlichen Entwicklung von Kunst und Wissenschaft. Und wiewohl dieses Zeitalter einige von ihnen tötete und Leben und Werk anderer bestimmte, gibt es ein paar nahezu Unberührte und keinen, von dem behauptet werden könnte, daß er durch dieses Zeitalter bedingt sei. Wer Ausschau hält nach epochalen Figuren, nach Menschen, die zum »Mundstück der Zeit« wurden, nach Exponenten der Geschichte: Der wird hier vergeblich suchen.

Dennoch ist, denke ich, überall in diesem Buch die geschichtliche Zeit, sind die im Titel angesprochenen »finsteren Zeiten« sichtbar. Ich entnehme den Ausdruck Brechts berühmtem Gedicht »An die Nachgeborenen«, in dem von der Unordnung und dem Hunger die Rede ist, von den Schlachten und Schlächtern, von der Empörung über Ungerechtigkeit und der Verzweiflung, »wenn da nur Unrecht war und keine Empörung«, vom legitimen Haß, der gleichwohl häßlich macht, vom wohlbegründeten Zorn, der die Stimme heiser werden läßt.[1] All dies war durchaus wirklich, weil es sich in der Öffentlichkeit abspielte; es hatte nichts Geheimes oder Mysteriöses an sich. Dennoch war es keineswegs für alle sichtbar, ja überhaupt nur schwer wahrnehmbar; denn bis zu dem Augenblick, da die Katastrophe alles und jeden überraschte, war es zugedeckt – nicht von Wirklichem, sondern von dem in höchstem Maße wirkungsvollen und doppelzüngigen Gerede nahezu aller Amtsträger, die unliebsame Tatsachen und berechtigte Besorgnisse unaufhaltsam und einfallsreich weginterpretierten. Wenn wir an finstere Zeiten denken und an Menschen, die darin leben und sich bewegen, dann müssen wir diese Camouflage, die vom »Establishment« – oder dem »System«, wie es seinerzeit hieß – ausging und gefördert wurde, mitberücksichtigen. Falls es die Funktion des öffentlichen Bereichs ist, Licht auf die menschlichen Angelegenheiten zu werfen – durch Bereitstellung eines Erscheinungsraumes, in dem die Menschen mit Taten und Worten, zum Guten oder Schlechten, zeigen können, wer sie sind und was sie tun können –, so ist es dunkel, wenn dieses Licht gelöscht wird von »Glaubwürdigkeitslücken« und »unsichtbarer Herrschaft«, von einer Rede, die das, was ist, nicht offenlegt, sondern unter den Teppich kehrt, von moralischen und sonstigen Ermahnungen, die unter dem Vorwand, alte Wahrheiten hochzuhalten, jede Wahrheit in bedeutungslose Trivialität verwandeln.

Nichts von all dem ist neu. Es sind dies die Bedingungen, die bereits vor dreißig Jahren Sartre in seinem Roman Der Ekel (den ich noch immer für sein bestes Buch halte) in den Begriffen der Unaufrichtigkeit und des »esprit de sérieux« beschrieben hat: eine Welt, in der jeder, der öffentliche Anerkennung genießt, zu den »salauds« gehört, und in der alles, was ist, in einer undurchsichtigen, bedeutungslosen Diesseitigkeit, welche die Sinne trübt und Ekel erregt, existiert.[2] Und es sind die gleichen Bedingungen, die vor vierzig Jahren Heidegger (wenn auch mit ganz anderen Absichten) unheimlich treffsicher in jenen Paragraphen von Sein und Zeit beschrieb, die sich mit dem »Man«, dem »Gerede« beschäftigen,[3] allgemein gesprochen mit allem, was, unverborgen und von der Privatheit des Selbst nicht geschützt, in der Öffentlichkeit erscheint. In der menschlichen Existenz, wie er sie beschrieb, wird alles, was wirklich oder authentisch ist, von der überwältigenden Macht des »Geredes« angegriffen. Jenes wächst unwiderstehlich aus dem öffentlichen Bereich heraus und bestimmt jeden Aspekt der alltäglichen Existenz; es antizipiert und nihiliert den Sinn oder Unsinn all dessen, was die Zukunft bringen mag. Aus der »Unverständlichkeit der Trivialität« dieser gemeinsamen Alltagswelt gibt es, nach Heidegger, keinen anderen Ausweg als den Rückzug in jene Einsamkeit, die die Philosophen seit Parmenides und Plato dem politischen Bereich entgegengesetzt haben. Wir befassen uns hier nicht mit der philosophischen Relevanz von Heideggers Analysen (die m. E. unleugbar ist), noch mit der hinter ihnen stehenden Denktradition, sondern ausschließlich mit gewissen unterschwelligen Zeiterfahrungen und ihrer begrifflichen Beschreibung. Der entscheidende Punkt in unserem Zusammenhang ist, daß die sarkastische, widersinnig klingende Feststellung: Das Licht der Öffentlichkeit verdunkelt alles,[4] die Sache im Kern trifft, ja nichts anderes ist als die prägnanteste Zusammenfassung bestehender Bedingungen.

»Finstere Zeiten« – in dem weiteren Sinne, in dem ich den Ausdruck hier verwenden will – sind als solche mit den Ungeheuerlichkeiten dieses Jahrhunderts nicht identisch; denn jene sind, wie wir wissen, von einer erschreckenden Neuheit. Finstere Zeiten sind, im Gegenteil, nicht nur nichts Neues in der Geschichte, sondern auch nichts Seltenes, selbst wenn es sie vielleicht in der amerikanischen Geschichte nicht gegeben hat – einer Geschichte, die allerdings, in Vergangenheit und Gegenwart, ein anderes durchaus vergleichbares Maß an Verbrechen und Katastrophen aufzuweisen hat. Die Überzeugung, daß wir selbst dann, wenn die Zeiten am dunkelsten sind, das Recht haben, auf etwas Erhellung zu hoffen, und daß solche Erhellung weniger von Theorien und Begriffen als von jenem unsicheren, flackernden und oft schwachen Licht ausgehen könnte, welches einige Männer und Frauen unter beinahe allen Umständen in ihrem Leben und ihren Werken anzünden und über der ihnen auf der Erde gegebenen Lebenszeit leuchten lassen – diese Überzeugung bildet den unausgesprochenen Hintergrund für die hier vorgelegten Persönlichkeitsprofile. Ob das Licht dieser Menschen das einer Kerze oder einer strahlenden Sonne war: Das vermögen wir mit unseren so sehr an die Dunkelheit gewöhnten Augen wohl kaum zu sagen. Doch eine objektive Bewertung dieser Art scheint mir von zweitrangiger Bedeutung zu sein; sie kann ruhig den Nachgeborenen überlassen werden.

Januar 1968

Gedanken zu Lessing

Von der Menschlichkeit in finsteren Zeiten

I

Die Auszeichnung, die eine freie Stadt verleiht, und ein Preis, der sich auf den Namen Lessings beruft, sind eine große Ehrung. Ich gebe zu, daß ich nicht weiß, wie ich dazu gekommen bin, und auch, daß es mir nicht ganz leicht gefallen ist, damit zu Rande zu kommen. Dabei darf ich von der heiklen Frage des Verdienstes ganz absehen. Gerade in dieser Hinsicht erteilt uns die Ehrung ja eine sehr eindringliche Lektion in Bescheidenheit, indem sie uns einfach die Kompetenz abspricht, über uns selbst und unsere eigenen Verdienste so urteilen zu können, wie wir über die Verdienste und Leistungen anderer Menschen urteilen. In der Ehrung meldet sich die Welt zu Wort, und wenn wir sie annehmen und für sie danken, so können wir es nur ohne alle Selbstreflexion im Rahmen unserer Haltung zur Welt, zu einer Welt und Öffentlichkeit nämlich, welcher wir den Raum verdanken, in den wir sprechen und in dem wir gehört werden.

Aber die Ehrung mahnt uns nicht nur auf besondere, unüberhörbare Weise an die Dankbarkeit, die wir der Welt schulden; sie ist darüber hinaus in einem sehr hohen Maße weltverpflichtend, weil sie uns, da wir sie ja auch immer ablehnen können, in unserer Stellung zur Welt nicht nur bestärkt, sondern uns auch auf sie festlegt. Daß ein Mensch in der Öffentlichkeit überhaupt erscheint, daß die Öffentlichkeit ihn akzeptiert und bestätigt, ist keineswegs selbstverständlich. Nur das Genie wird von seiner Begabung selbst in die Öffentlichkeit gedrängt und braucht sich zu ihr nicht erst zu entschließen. In diesem einzigen Fall setzt die Ehrung dann den Einklang mit der Welt nur fort, läßt den Grundakkord nochmals in aller Öffentlichkeit erklingen, der unabhängig von Überlegungen und Entschlüssen, unabhängig auch von allen Verpflichtungen, gleichsam wie ein Naturphänomen bereits in die Menschengesellschaft geklungen ist. Hier gilt in der Tat, was Lessing einmal in zwei seiner schönsten Verszeilen über den genialen Mann gesagt hat:[1]

Was ihn bewegt, bewegt; was ihm gefällt, gefällt.

Sein glücklicher Geschmack ist der Geschmack der Welt.

Nichts, scheint mir, ist in unserer Zeit fragwürdiger als unsere Haltung zur Welt, nichts weniger selbstverständlich als der Einklang mit der Öffentlichkeit, zu dem die Ehrung verpflichtet und den sie bestätigt. In unserem Jahrhundert hat selbst das Geniale sich nur im Widerspruch und Streit mit der Welt und ihrer Öffentlichkeit entfalten können, wiewohl es natürlich wie eh und je den ihm eigenen Einklang in die Menschengesellschaft findet. Aber die Welt und die Menschen, welche sie bewohnen, sind nicht dasselbe. Die Welt liegt zwischen den Menschen, und dies Zwischen – viel mehr als, wie man häufig meint, die Menschen oder gar der Mensch – ist heute der Gegenstand der größten Sorge und der offenbarsten Erschütterung in nahe-zu allen Ländern der Erde. Selbst wo die Welt noch halbwegs in Ordnung ist oder halbwegs in Ordnung gehalten wird, hat die Öffentlichkeit doch die Leuchtkraft verloren, die ursprünglich zu ihrem eigensten Wesen gehört. Mehr und mehr Menschen in den Ländern der westlichen Welt, die seit dem Untergang der Antike die Freiheit von Politik als eine der Grundfreiheiten begreift, machen von dieser Freiheit Gebrauch und haben sich von der Welt und den Verpflichtungen in ihr zurückgezogen. Dieser Rückzug aus der Welt braucht den Menschen nicht zu schaden, er kann sogar große Begabungen bis ins Genialische steigern und so auf Umwegen wieder der Welt zugute kommen. Nur tritt mit einem jeden solchen Rückzug ein beinahe nachweisbarer Weltverlust ein; was verlorengeht, ist der spezifische und meist unersetzliche Zwischenraum, der sich gerade zwischen diesem Menschen und seinen Mitmenschen gebildet hätte.

Wenn man sich so überlegt, wie es denn eigentlich um Ehrungen und Preise der Öffentlichkeit unter den gegenwärtigen Weltumständen bestellt sei, kann man wohl auf den Gedanken kommen, der Hamburger Senat habe eine dem Ei des Kolumbus nicht unähnliche Lösung des Problems gefunden, als er beschloß, den Preis der Stadt gerade mit dem Namen Lessings zu verbinden. Denn Lessing hat den Einklang in die Welt und die Öffentlichkeit nie gefunden, wohl auch nie finden wollen, und hat sich doch auf seine Weise ihr immer verpflichtet gefühlt. Dabei waren besondere, einmalige Umstände mit im Spiel. Die deutsche Öffentlichkeit war auf ihn nicht vorbereitet und hat ihn, wohl auch zu Lebzeiten, nie geehrt. Ihm selbst fehlte, seinem eigenen Urteil zufolge, der glücklich-natürliche Einklang mit der Welt, die Verkettung von Verdienst und Glück, die er wie Goethe für das Zeichen des Genies hielt. Lessing glaubte, der Kritik etwas zu schulden, was »dem Genie sehr nahekommt«, was aber dennoch das natürliche Eingespieltsein mit der Welt, wo Fortuna lächelt, wenn Virtù sich zeigt, niemals erreicht. All das mag wichtig genug gewesen sein, war aber nicht ausschlaggebend. Man möchte meinen, er habe irgendwann einmal sich entschlossen, das Genie, den Mann des »glücklichen Geschmacks«, zwar zu bewundern, selbst aber denen nachzugehen, die er einmal halb ironisch die »Weltweisen« genannt hat, die »überall, wo sie ihre Augen hinfallen lassen, … die Stützen der bekanntesten Wahrheiten (erzittern)«[2] machen. Seine Haltung zur Welt war weder positiv noch negativ, sondern radikal kritisch und, was die Öffentlichkeit anlangte, durchaus revolutionär; aber sie blieb der Welt verpflichtet, verließ ihren Boden niemals und übersteigerte nichts in die Schwärmerei einer Utopie. Das Revolutionäre paarte sich bei Lessing mit einer eigentümlichen Parteiischkeit, die ihn mit einer manchmal fast übertrieben anmutenden Genauigkeit an das konkrete Detail band und die vielen Mißverständnissen ausgesetzt gewesen ist. Lessings Größe nämlich bestand unter anderem darin, daß er sich niemals von einer sogenannten Objektivität oder Sachlichkeit dazu verführen ließ, das eigentliche Weltverhältnis und den Weltstand der von ihm angegriffenen oder gepriesenen Sachen und Männer aus den Augen zu verlieren. Das ist ihm gerade in Deutschland schlecht genug bekommen, wo man noch weniger als anderswo begreifen mag, was Kritik ist, und daß Gerechtigkeit mit Objektivität im gewöhnlichen Verstande wenig zu tun hat.

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