Menschen mit Demenz begleiten - Günther Schwarz - E-Book

Menschen mit Demenz begleiten E-Book

Günther Schwarz

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Beschreibung

So vieles, was bleibt Die professionelle Begegnung mit demenziell erkrankten Menschen folgt ganz eigenen Erfordernissen: In jeder Krankheitsphase müssen die verbliebenen Fähigkeiten erkannt und gefördert werden, die Beziehung muss stets wohlgesonnen und konstruktiv gestaltet sein und die Autonomie gilt es zu unterstützen. Anhand von Beispielen und praxisnahen Anregungen stellt Günther Schwarz den Hilfeprozess im Verlauf der Erkrankung dar und beschreibt, wie in Berufsalltag und Begleitung geeignete Lebensräume und Betreuungsformen geschaffen werden können. Therapeutische Zugänge und Hilfen je nach Krankheitsphase werden auf verständliche Weise vermittelt. Das Buch zeigt professionellen Helfer*innen, wie ihre Arbeit hilfreich und förderlich bleibt, und zwar auch dann noch, wenn die Beziehungsgestaltung zur Herausforderung wird.

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Seitenzahl: 179

Veröffentlichungsjahr: 2021

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PraxisWissen

Günther Schwarz

Menschen mit Demenz begleiten

GÜNTHER SCHWARZ, Jahrgang 1958, Studium der Psychologie. Mitbegründer mehrerer Projekte und Einrichtungen zur Betreuung Demenzkranker in Baden-Württemberg. Heute in der »Fachberatung Demenz« der Evangelischen Gesellschaft in Stuttgart tätig. Autor mehrerer Bücher.

Die Reihe PraxisWissen wird herausgegeben von:

Michaela Amering, Andreas Bechdolf, Michael Eink, Caroline Gurtner, Klaus Obert und Tobias Teismann

Günther Schwarz

Menschen mit Demenz begleiten

PraxisWissen 12

1. Auflage 2021

ISBN 978-3-96605-156-9

ISBN E-Book (PDF) 978-3-96605-157-6

ISBN E-Book (EPUB) 978-3-96605-158-3

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-db.de abrufbar.

© Psychiatrie Verlag GmbH, Köln 2021

Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf ohne Zustimmung des Verlags vervielfältigt, digitalisiert oder verbreitet werden.

Lektorat: Uwe Britten, Eisenach

Umschlagkonzeption und -gestaltung: studio goe, Düsseldorf, unter Verwendung eines Fotos von Andrii Tokarchuk/istockphoto.com

Typografiekonzeption und Satz: Iga Bielejec, Nierstein

Inhalt

Cover

Titel

Der Autor

Impressum

Vergessen ist grundmenschlich – Vorwort

Grundlagen

Häufigkeit von Demenzerkrankungen

Formen von Demenzerkrankungen

Ursachen, Diagnostik und medizinische Behandlung

Normale geistige Veränderungen im Alter

Ursachen der Alzheimer-Krankheit

Molekularbiologische und biochemische Veränderungen

Diagnostik

Medikamentöse Behandlung

Behandlung indirekter Folgen

Krankheitsverlauf und das Verstehen von Veränderungen

Der Beginn der Erkrankung

Die fortschreitende Erkrankung

Die letzte Krankheitsphase

Unterschiede bei anderen Demenzformen

Das Gedächtnis

Implizites und explizites Wissen

Gedächtnis, Emotion und Aufmerksamkeit

Therapeutische Hilfen in der Betreuung

Konzepte zur Betreuung Demenzkranker

Grundhaltung im Umgang mit Demenzkranken

Gedächtnistrainings

Realitätsorientierungstraining

Validation

Erinnerungspflege

Lernen und üben – verhaltenstherapeutische Hilfen

Milieutherapie: Hilfen durch die Umgebungsgestaltung

Selbsterhaltungstherapie

Intuition – die erlebnisorientierte Pflege

Körper- und Sinnesorientierung

Zusammenschau der Ansätze

Besondere Herausforderungen in der Betreuung

Kommunikation

Beschäftigung und Tätigsein

Umgang mit herausforderndem Verhalten

Verwahrlosung

Unterstützung für Angehörige

Akzeptanz

Belastungen

Rollenkonflikte

Für sich selbst etwas tun – Schlussbemerkung

Ausgewählte Literatur

Internetseiten

Vergessen ist grundmenschlich – Vorwort

Die Begegnung mit einem demenzkranken Menschen löst unterschiedliche Reaktionen in uns aus. Das können Ängste sein, einmal selbst an einer Demenz zu erkranken, Mitgefühl, Unsicherheiten im Umgang mit dem Erkrankten oder auch Ablehnung und Distanzierung. In unserer intellektuell geprägten Gesellschaft gehört der Verlust geistiger Fähigkeiten zu den schwersten Beeinträchtigungen, die wir uns vorstellen können. Dass auch demenzkranke Menschen über Lebensqualität verfügen können und wie Andere auch Glück, Liebe, Harmonie und Zufriedenheit erleben, ist für viele zunächst kaum vorstellbar.

Tatsächlich bringt eine Demenzerkrankung hohe Belastungen für die Betroffenen selbst, aber auch für ihre Angehörigen mit sich. Und doch: Je mehr Verständnis für die Kranken und ihre Beeinträchtigungen entsteht und je mehr geeignete Lebensräume und Betreuungsformen für Betroffene geschaffen werden, desto mehr ist ein »Leben mit Demenz« möglich.

Menschen mit einer Demenz begegnen uns oft sehr gefühlvoll, natürlich und authentisch. Wir können im Kontakt mit ihnen unsere eigene Emotionalität auf lebendige Weise einbringen und können durch ihre unverfälschten Reaktionen auch viel über uns selbst erfahren. Demenzkranke Menschen sind oft reich an Erinnerungen und Erfahrungen, die ihnen teilweise so präsent sind, dass wir den Eindruck haben, mit ihnen eine Zeitreise in die Vergangenheit zu unternehmen. Der Kontakt mit ihnen eröffnet uns Einblicke, die uns sonst verborgen bleiben können.

Mehr als eineinhalb Millionen Menschen sind in Deutschland von einer Demenzerkrankung betroffen, jeder Fünfte derjenigen, die älter als achtzig Jahre sind. Demenzerkrankungen bleiben eine große Herausforderung für unsere Gesellschaft. Jeder Mensch kann im Lauf seines Lebens an einer Demenz erkranken. Aufgrund der demografischen Entwicklung wird die Zahl der Betroffenen weiter steigen.

Für die Betreuung der Erkrankten brauchen wir vor allem Einfühlungsvermögen, Akzeptanz und Wissen über die Krankheit.

Dieses Buch soll vorrangig dazu dienen, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in psychosozialen und psychiatrischen Diensten, interessierte Pflegekräfte sowie ehrenamtlich Tätige, aber auch betroffene Angehörige mit dem Umgang mit demenzkranken Menschen vertraut zu machen und praxisnah Anregungen für die Betreuung, Begleitung und Beratung zu geben.

Im Vordergrund steht dabei, wie das Leben für Betroffene und ihre Angehörigen möglichst lebenswert und erfüllend gestaltet werden kann und wie Belastungen und Konflikte vermindert werden können.

Wichtig für uns Helfende ist, dass wir bei der Arbeit auch an uns selbst denken. Wo Nähe und Beziehung eine große Bedeutung haben, braucht es einen achtsamen Umgang mit sich selbst sowie mit den eigenen Ressourcen und inneren Kraftquellen. Daher will das Buch immer wieder ansprechen, was Helfer an Unterstützung, Erleichterung, Selbstsorge oder auch Fürsorge benötigen. Die Betreuung demenzkranker Menschen erfordert ein gewisses Maß an Bescheidenheit und Demut. Bescheidenheit brauchen wir, um auch kleine Erfolge und Glücksmomente in der Begegnung wertschätzen zu können. Demut, um trotz des Engagements und des beständigen Einsatzes das Fortschreiten der Erkrankung anzunehmen. Fehler und Fehleinschätzungen sind bei der Betreuung unvermeidbar. Die Bereitschaft, Fehler zu machen, ermöglicht es uns, zu lernen und uns unvoreingenommen auf jeden einzelnen demenzkranken Menschen einzulassen. Fehler zeigen uns zugleich immer wieder auch unsere eigenen Begrenztheiten und bringen uns damit auf eine Ebene mit demenzkranken Menschen, auf der wir partnerschaftlich und auf Augenhöhe miteinander umgehen können. Das Buch will Mut machen, Neues auszuprobieren. Es will vor allem wichtige Grundlagen auf verständliche Weise vermitteln.

Bedanken möchte ich mich bei den Familien und den demenzkranken Menschen, die ich bis heute kennenlernen durfte. Durch die Begegnungen mit ihnen ist dieses Buch möglich geworden. Ebenso bedanke ich mich für Unterstützung bei meiner Frau, bei vielen Kolleginnen und Kollegen und bei unserem großen Kreis ehrenamtlich Tätiger, die Demenzkranke betreuen.

Günther Schwarz

Grundlagen

Häufigkeit von Demenzerkrankungen

In Deutschland sind derzeit etwa 1,6 Millionen Menschen von einer Demenzerkrankung betroffen. Das Erkrankungsrisiko nimmt zu, je älter wir werden. Von einer bereits klar zu diagnostizierenden Demenz sind unter den Sechzig- bis Siebzigjährigen etwa 1–2 Prozent der Menschen betroffen. Zwischen siebzig und achtzig Jahren sind es bereits 5–7 Prozent und zwischen achtzig und neunzig Jahren 15–20 Prozent. Das heißt, fast jeder Fünfte in dieser Altersgruppe leidet an einer demenziellen Erkrankung. Insgesamt sind etwa 1,5 Prozent der Menschen in Deutschland betroffen.

Betrachtet man nur die Gruppe der Betroffenen, so sind derzeit etwa zwei Drittel der Erkrankten über achtzig Jahre alt. Nur etwa 3 Prozent sind jünger als 65 Jahre (rund 20.000 Menschen in Deutschland). In Einzelfällen kann die Krankheit allerdings sogar schon im dreißigsten Lebensjahrzehnt oder auch früher beginnen.

ABBILDUNG 1

Anteil Demenzkranker an den Altersgruppen

Insgesamt werden derzeit 60–70 Prozent der Betroffenen zu Hause betreut. Zwischen 30 und 40 Prozent leben in stationären Pflegeeinrichtungen. Etwa zwei Drittel aller Demenzerkrankten ziehen im Lauf der Erkrankung in eine stationäre Pflegeeinrichtung.

Die heutige Altersgruppe der 55- bis 65-Jährigen (»Babyboomer«) wird in den kommenden Jahrzehnten für einen erheblichen Anstieg des Anteils älterer Menschen in unserer Bevölkerung sorgen. Hierdurch wird auch die Zahl an Demenz erkrankter Personen zunehmen. Bis zum Jahr 2050 ist von einer Zunahme um 0,8 bis 1,2 Millionen auszugehen. Fast zwei Drittel der Erkrankten in Deutschland sind Frauen; dies hat beinahe ausschließlich mit der höheren Lebenserwartung von Frauen zu tun.

Formen von Demenzerkrankungen

Je nach Studie und je nach der dabei verwendeten Differenzierung der Krankheitsformen schwanken die Angaben zur relativen Häufigkeit der einzelnen Formen. Zudem leiden Menschen nicht selten an zwei Formen einer Demenzerkrankung gleichzeitig, etwa an der Alzheimer-Krankheit und an einer durchblutungsbedingten Demenz, wodurch sich Überschneidungen in der Zuordnung ergeben. In manchen Fällen ist die diagnostische Zuordnung ohnehin schwierig und hängt von den angewandten Diagnosekriterien ab.

Trotzdem lässt sich sicher sagen, dass 60–70 Prozent aller Demenzkranken, also zwei Drittel der Erkrankten, der Alzheimer-Krankheit zuzuordnen sind. Bei 10–20 Prozent sind Durchblutungsstörungen die Ursache für die fortschreitenden geistigen Beeinträchtigungen (vaskuläre Demenz). Jeweils etwa 5–10 Prozent der Kranken leiden an einer Frontotemporalen Demenz oder einer Lewy-Körperchen-Demenz. Und bei rund 5 Prozent der Betroffenen tritt die Demenz in Zusammenhang mit Morbus Parkinson auf. Die übrigen 5–10 Prozent der Demenzerkrankungen setzen sich aus etwa siebzig zum Teil sehr seltenen Erkrankungsformen und Ursachen zusammen, von denen ein Teil heute jedoch gut behandelbar ist (etwa Demenzen, die durch Funktionsstörungen innerer Organe oder einen Tumor ausgelöst werden).

ABBILDUNG 2

Verteilung der Demenzformen

Ursachen, Diagnostik und medizinische Behandlung

Normale geistige Veränderungen im Alter

Viele Veränderungen, die auf eine Demenz hinweisen können, sind anfangs häufig schwer von einer altersgemäß nachlassenden Lern-, Konzentrations- und Aufmerksamkeitsleistung zu unterscheiden. Auch ist eine häufige und durchaus plausible Erklärung für auftretende Vergesslichkeit und andere geistige Leistungseinschränkungen, dass der Betreffende momentan seelisch belastet oder geistig sehr gefordert ist. Tatsächlich kann psychischer Stress zeitweise zu deutlichen geistigen Einschränkungen wie Unkonzentriertheit und Vergesslichkeit führen.

Insbesondere ältere Menschen reagieren oft sehr deutlich auf Stresssituationen, da sie weniger geistige Reserven besitzen, um eine Stresssituation auszugleichen. So kann zum Beispiel ein Orts- und Wohnungswechsel bei einem älteren Menschen zeitweise zu auffallender Desorientiertheit führen. Ebenso kann eine veränderte Lebenssituation etwa nach dem Tod des Partners große geistige Anpassungsleistungen erfordern.

Auch emotionale Belastungen wie eine starke Trauerreaktion können zu geistigen Einschränkungen in der Art führen, dass die Gedanken einseitig nur um ein Thema kreisen und andere Dinge kaum aufgenommen oder schnell wieder vergessen werden. Bei einer ausgeprägten Depression können als Begleitsymptomatik eine erhebliche Verlangsamung im Denken und eine hohe Unkonzentriertheit auftreten.

Um zu entscheiden, ob bei einer Person seelische Belastungen zu den geistigen Beeinträchtigungen führen oder ob eine beginnende Demenzerkrankung verantwortlich ist, muss der Rat erfahrener und kompetenter Fachleute eingeholt werden.

Das folgende Schaubild zeigt, dass bereits etwa ab einem Alter von 35 Jahren sogenannte »flüssige Intelligenzleistungen« natürlicherweise nachlassen. Das sind vor allem die Konzentration, das Informationsverarbeitungstempo und das Kurzzeitgedächtnis. Das heißt, bei uns allen lassen bestimmte Fähigkeiten mit dem Älterwerden nach. Allerdings kann sich beispielsweise die Wissensmenge bis ins hohe Alter hinein erweitern.

ABBILDUNG 3

Denkleistung im biografischen Verlauf

Ursachen der Alzheimer-Krankheit

Man geht heute davon aus, dass es nicht die eine Ursache für die Alzheimer-Krankheit gibt; wahrscheinlich existieren viele Faktoren, deren Zusammenwirken eine große Rolle spielt.

Die meisten Menschen (etwa 80 Prozent) besitzen vermutlich Erbfaktoren, die das Auftreten einer Alzheimer-Erkrankung möglich machen. Die Kombination unterschiedlicher genetischer Faktoren führt je nach Häufung und Zusammenwirken dazu, dass einige Menschen ein geringes, andere ein erhöhtes Erkrankungsrisiko in sich tragen. Eine Voraussage ist derzeit noch nicht möglich und das Erkrankungsrisiko wird auch nicht einfach vererbt, sondern ist individuell sehr komplex (individuelle genetische Konstitution). Lediglich in 1–3 Prozent aller Krankheitsfälle wird die Alzheimer-Krankheit durch bestimmte bekannte Genveränderungen autosomal-dominant vererbt. Das bedeutet, dass ein Kind mit fünfzigprozentiger Wahrscheinlichkeit die Genveränderung von einem Elternteil übernimmt und dann mit Sicherheit in einem bestimmten Alter (meist zwischen fünfzig und sechzig) erkrankt. Eine Faustregel besagt: Erst wenn drei Familienmitglieder in direkter Linie (Eltern, Geschwister oder Kinder) von einer eindeutig diagnostizierten Alzheimer-Krankheit betroffen sind oder waren, wird von einem vermutlich erhöhten biologischen Krankheitsrisiko in der Familie ausgegangen.

Umwelteinflüsse bzw. die Lebensgestaltung können das Auftreten einer Alzheimer-Erkrankung in gewissen Grenzen ebenfalls beeinflussen oder zumindest den Zeitpunkt des Krankheitsbeginns um einige Jahre vorziehen oder nach hinten verschieben.

Ungünstig wirken sich vermutlich starkes Rauchen, übermäßiger Alkoholkonsum, dauerhafte geistige Unterforderung, zurückliegende schwere Hirnschädigungen, Bluthochdruck und eventuell auch anhaltender psychischer Stress und Schlafmangel sowie eine Depression aus.

Der wichtigste allgemeine Risikofaktor für die Alzheimer-Krankheit ist und bleibt das Alter. Je älter wir werden, desto höher wird auch das Risiko, an Alzheimer zu erkranken.

Eine wirksame Vorbeugung gibt es bisher nicht. Es wird jedoch vermutet – unter anderem durch retrospektive Studien, die allerdings in ihrer Aussagekraft vorsichtig beurteilt werden sollten –, dass die folgenden Faktoren Einfluss auf das individuelle Krankheitsrisiko haben oder den Beginn einer Erkrankung um einige Jahre hinauszögern:

geistige Beweglichkeit,

vitaminreiche und gesunde (etwa mediterrane) Ernährung,

körperliche Bewegung.

Molekularbiologische und biochemische Veränderungen

Bei der Alzheimer-Krankheit treten Veränderungen in den Nervenzellen des Gehirns wie auch an deren Verbindungsstellen (Synapsen) sowie in der Umgebung der Zellen auf. Diese Veränderungen führen zu zunehmenden Funktionseinschränkungen und schließlich zum vollständigen Niedergang der Nervenzellen. Diese Schädigung geht im Wesentlichen von veränderten köpereigenen Eiweißstoffen aus, den sogenannten Beta-Amyloid-Proteinen und den Tau-Fibrillen. Diese in übermäßiger Zahl durch eine Fehlsteuerung im natürlichen molekularbiologischen Kreislauf in den Nervenzellen und um sie herum. Die genauen Ursachen für diese Fehlsteuerung sind noch nicht bekannt, obwohl der Entstehungsprozess auf molekularbiologischer Ebene bereits in vielen Teilen nachvollziehbar und beschreibbar ist.

Der Krankheitsprozess beginnt wohl bereits zwanzig bis dreißig Jahre vor dem Auftreten erster deutlicher Krankheitssymptome. Das heißt, die Alzheimer-Krankheit beginnt auf molekularbiologischer Ebene lange bevor die ersten Krankheitszeichen bemerkbar sind. Gesunde Nervenzellen können zunächst den Verlust funktionseingeschränkter Zellen über längere Zeit ausgleichen. Erst wenn im Lauf der Jahre mehr als 30–40 Prozent aller Nervenzellen stark geschädigt sind, gelingt dieser Ausgleich nicht mehr und es treten erste Symptome auf.

Diagnostik

Die meisten Menschen gehen am häufigsten zu ihrem Hausarzt. Hausärzte sollten daher in der Lage sein, die Symptome einer Demenzerkrankung frühzeitig zu erkennen. Leider ist dies häufig nicht der Fall, da es schwierig ist, im Rahmen eines üblichen kurzen Gesprächskontakts frühzeitig auf eine Demenzerkrankung aufmerksam zu werden. Ein demenzkranker Mensch kann im Rahmen eines zehnminütigen Kontakts mit einem Gesprächspartner, der über seine aktuelle Lebenssituation nicht gut informiert ist, sehr kompetent erscheinen. Daher sind es meist Familienangehörige, die als Erste aufmerksam werden.

Die eigentliche Diagnose, das heißt die genaue Abklärung und Feststellung der Form der Demenzerkrankung, ist Aufgabe eines in diesem Bereich kompetenten Facharztes für Neurologie und/oder Psychiatrie. Bei Unsicherheiten sollte man sich an eine »Gedächtnissprechstunde« oder eine »Memoryklinik« wenden, die bereits in vielen größeren Städten – zumeist an psychiatrischen Kliniken – eingerichtet sind.

Von örtlichen Angehörigengruppen und Alzheimer-Gesellschaften sind oft brauchbare Hinweise zu erfahren, welcher örtliche Arzt in Bezug auf Demenzerkrankungen erfahren und kompetent ist. Bei der Diagnose wie auch bei der medikamentösen Behandlung von Demenzerkrankungen können schwerwiegende Fehler gemacht werden, deshalb sollte der Arzt gezielt ausgewählt werden. Gutes Fachwissen in der Diagnose und Behandlung von Demenzerkrankungen ist auch heute noch nicht sehr verbreitet, sodass sich auch psychiatrisch Tätige gezielt informieren und von ihnen betreute Personen wirklich an Fachstellen verwiesen werden sollten.

Um die Alzheimer-Krankheit diagnostizieren zu können, muss ein Ausschlussverfahren angewendet werden. Das heißt, der Reihe nach müssen verschiedene Ursachen für eine Demenz überprüft und ausgeschlossen werden. Die Diagnosesicherheit liegt bei guter Fachkompetenz bei über 95 Prozent. Künftig sollen spezielle Blutuntersuchungen die Diagnose im Frühstadium erleichtern. Durch Untersuchung der Rückenmarksflüssigkeit ist dies heute schon möglich.

Eine gründliche Diagnostik ist in der Praxis zunächst deshalb wichtig, um gut behandelbare und heilbare Demenzerkrankungen (etwa 5 Prozent aller Fälle) rechtzeitig zu erkennen. Behandelbare Beeinträchtigungen der geistigen Leistungsfähigkeit können beispielsweise entstehen durch Schilddrüsenhormonstörungen, Tablettenunverträglichkeiten, Vitamin-B-Mangel, Flüssigkeitsmangel, Blutungen im Gehirn, übermäßige Ansammlung von Hirnwasser (Normaldruckhydrozephalus), gutartige Tumore oder andere Organstörungen. Auch bestimmte Formen einer Depression können einer Alzheimer-Krankheit ähnlich sein.

Eine gründliche und frühzeitige Diagnostik ist aber auch für eine sinnvolle medikamentöse Behandlung unerlässlich. Diagnosestellungen wie »Hirnatrophie«, »Hirnorganisches Psychosyndrom«, »Cerebralsklerose« oder »Altersdemenz« sind keine Diagnosen, sondern unscharfe oder nichtssagende Begriffe.

Zur Diagnostik gehören in jedem Fall ein Blutbild, eine gründliche körperliche Untersuchung (das heißt auch die Untersuchung aller inneren Organe), eine Computer- oder Kernspintomografie des Schädels und, ganz wesentlich, ein ausführliches Gespräch mit dem Patienten und dessen Angehörigen.

Besonders bei leichten geistigen Beeinträchtigungen müssen bei einer Demenzdiagnostik immer auch psychodiagnostische Verfahren zum Einsatz kommen, da durch die technischen Untersuchungsmethoden meist noch keine Veränderungen feststellbar sind. Einfach durchführbar auch durch geschulte Laien ist etwa der »Dem Tect«. Dieser lässt sich in ca. 15 Minuten durchführen. Wer Interesse an dem Test hat, kann sich an den Buchautor wenden. Als Bestandteil solcher »Screening-Verfahren« ist zudem der Uhrentest bekannt geworden, bei dem auf Anweisung das Zifferblatt und die Zeigerstellung einer Uhr mit einer bestimmten Uhrzeit gezeichnet werden sollen. Der vielfach eingesetzte Mini-Mental-Test (MMSE) ist für die Früherkennung eher ungeeignet, da er wenig sensitiv ist. Das bedeutet, dass der Test eine beginnende Erkrankung oft nicht erkennt. Viele leicht erkrankte Menschen erreichen insbesondere bei hohem Bildungsstand noch gute Testergebnisse. Dieser Test wird heute vor allem eingesetzt, um das geistige Leistungsniveau im Verlauf einer Demenzerkrankung zu beschreiben.

Bei Anzeichen für eine Demenzerkrankung ist eine frühe diagnostische Abklärung durch kompetente Fachleute wichtig.

Bei diagnostischen Unsicherheiten ist die Erstellung eines umfangreicheren neuropsychologischen Profils durch einen erfahrenen Neuropsychologen sinnvoll. Es ermöglicht eine differenzierte Einschätzung kognitiver Fähigkeiten. Kognitive Tests erleben Menschen mit Demenz meist als sehr unangenehm. Die Untersucher brauchen Einfühlungsvermögen und Erfahrung. Auch Ärzte müssen grundsätzlich wertschätzend und einfühlsam mit demenzkranken Menschen umgehen. Tun sie dies nicht, verweigern Erkrankte nicht selten Besuche bei ihnen, da sie befürchten, von ihnen bloßgestellt und missachtet zu werden.

Medikamentöse Behandlung

Menschen mit einer Demenz werden nicht selten unzureichend oder falsch medikamentös behandelt. Gründe hierfür sind meist fehlendes geriatrisches oder gerontopsychiatrisches Fachwissen und Erfahrung.

Es stehen heute eine Reihe von Medikamenten (»Antidementiva«) zur Verfügung, die die geistigen Beeinträchtigungen von Alzheimer-Patienten und zum Teil auch bei anderen Demenzformen lindern und damit die Lebensqualität der Menschen verbessern können. Da die Medikamente bei jedem Erkrankten unterschiedlich wirken können, sind eine sorgsame Auswahl und Erprobung wichtig.

Wer sich über die Antidementiva informieren möchte, kann sich hier einen guten und immer aktuellen Überblick verschaffen: www.deutsche-alzheimer.de, siehe unter »Publikationen« und »Informationsblätter«.

NEBENWIRKUNGEN  Mögliche Nebenwirkungen sind Probleme im Magen-Darm-Bereich, die durch eine langsame Dosissteigerung meistens vermeidbar sind. Auch Unruhe oder Müdigkeit können auftreten. Leider ist es bisher nicht möglich, vorauszusagen, bei welchem Patienten welches Medikament gut wirkt und zugleich die geringsten Nebenwirkungen aufweist. Daher muss die Behandlung versuchsweise begonnen werden.

Die Wirkung der Medikamente kann sich unter Umständen erst nach drei Monaten zeigen. Bereits ein unveränderter Zustand der Patientinnen und Patienten über mehrere Monate deutet darauf hin, dass ein Medikament wirkt. Es verhindert über eine gewisse Zeit möglicherweise, dass die Erkrankung fortschreitet.

Die für die frühe bis mittlere Krankheitsphase der Alzheimer-Krankheit von den Kassen zugelassenen und derzeit nach wie vor wirksamsten Medikamente sind die Acetylcholinesterasehemmer (siehe Abbildung 4). Sie können immerhin eine Linderung der Krankheitssymptome bewirken, die einer Verzögerung des Krankheitsverlaufs um ein bis zwei Jahre entspricht. Die bisherigen Erkenntnisse legen nahe, dass sich die Krankheitsdauer (verbleibende Lebenszeit) durch die Medikamente nicht wesentlich verlängert.

Für die mittlere und fortgeschrittene Krankheitsphase ist der Wirkstoff Memantin zugelassen und als wirksam überprüft. Memantin soll neben der geistig aktivierenden Wirkung bei einigen Betroffenen auch ausgleichend auf das soziale Verhalten und positiv auf den Schlaf-Wach-Rhythmus wirken.

In großen Studien konnte gezeigt werden, dass die genannten Wirkstoffe neben der Verbesserung von geistigen Leistungen vor allem auch Alltagsaktivitäten steigern können, etwa selbstständiger zu essen, sich besser ankleiden oder waschen zu können. Sogar der Einzug in ein Pflegeheim lässt sich so um bis zu einem Jahr hinauszögern. In einigen Studien ergaben sich auch klare Entlastungseffekte bei der täglichen Pflegezeit, die die Angehörigen zur Versorgung der Kranken aufbringen.

Es konnte zudem gezeigt werden, dass Memantin ebenso in der Frühphase wirkt und umgekehrt die Acetylcholinesterasehemmer ebenso in der fortgeschrittenen Krankheitsphase. Die Verordnungsmöglichkeiten sind daher erweitert. Etwa konnte auch eine leicht verstärkte Wirkung bestätigt werden, wenn ein Acetylcholinesterasehemmer in Kombination mit einem Memantine eingenommen wird. Aus Kostengründen wird diese Kombination jedoch nur sehr selten verordnet und von den Kassen auch nicht finanziert.

Sinnvoll sind Antidementiva, wenn sie die Lebensqualität erkrankter Menschen erhöhen und die Personen dadurch länger selbstständig bleiben können. In fortgeschrittenen Krankheitsstadien sind solche Auswirkungen zunehmend weniger feststellbar. Ein zu frühes Absetzen der Medikamente kann jedoch zu einem Fähigkeitsabfall führen.

Geeignete Medikamente können die Lebensqualität Demenzkranker erhöhen, aber kaum die zu erwartende Lebenszeit.

Behandlung indirekter Folgen

Auch indirekte Folgen von Demenzerkrankungen wie depressive Verstimmungen, Angstzustände, wahnhafte Vorstellungen oder Halluzinationen, starke Anspannung, Unruhe, Reizbarkeit oder Aggressionszustände können mit Medikamenten positiv beeinflusst werden.

An erster Stelle sollten allerdings immer nichtmedikamentöse Wege stehen, indem versucht wird, die Ursachen und Zusammenhänge für ein Verhalten oder einen Gefühlszustand besser zu verstehen und aus diesem Verständnis heraus die Lebensqualität zu verbessern. Zum Beispiel können die räumliche Umgebung oder der Tagesablauf verändert, anregende Aktivitäten durchgeführt werden, körperliche Betätigung angeboten oder Verhaltensweisen und Haltungen gegenüber dem Kranken verändert werden.

Vor der Gabe von Psychopharmaka sollte immer die Frage gestellt werden: Leidet der Kranke selbst unter einem als problematisch oder krankhaft eingestuften Verhalten oder leidet eher die Umgebung darunter? Nur die Leidenssituation des Kranken und die Einschränkungen, die er erlebt, begründen eine medizinische Behandlung. Lediglich in Ausnahmefällen kann zum Beispiel die Belastungssituation eines Angehörigen mit ein Grund sein, um medizinisch zu intervenieren. Wenn etwa die nächtlichen Aktivitäten eines Betroffenen für betreuende Angehörige in der Wohnung zu einer großen Belastung werden, können schlaffördernde Mittel auch dem Angehörigen zu ausreichendem Nachtschlaf verhelfen. > Herausforderndes Verhalten, Seiten 131 f. 

Die medikamentöse Behandlung durch einen niedergelassenen (Fach-)Arzt kann an Grenzen stoßen, wenn eine intensive Überwachung der Medikation erforderlich ist. Ein Krankenhausaufenthalt ist jedoch für Menschen mit Demenz oft eine große Belastung durch den Umgebungswechsel und die veränderte Tagesstruktur. Eine Abwägung der Vor- und Nachteile bzw. der Risiken und Chancen eines Krankenhausaufenthalts ist wichtig.

Die in Abbildung 4 dargestellten medikamentösen Therapieoptionen gelten für die Alzheimer-Krankheit und nur teilweise auch für andere Demenzerkrankungen. Auf wichtige Abweichungen bei der Therapie anderer Formen wird im Kapitel »Unterschiede bei anderen Demenzformen« hingewiesen.

Die Behandlung älterer demenzkranker Menschen mit Psychopharmaka erfordert besonderes Fachwissen. Beispielsweise sind Dosierungen in der Regel niedriger anzusetzen als bei anderen Patienten und Patientinnen. Einige Medikamente verstärken die geistigen Beeinträchtigungen der Erkrankten oder führen zu erhöhter Sturzgefahr.

Fachinformationen zur medikamentösen Behandlung sind im Internet unter www.deutsche-alzheimer.de (siehe »Publikationen« / »Informationsblätter«) zu finden. Ausführliche Informationen unter: www.dggpp.de (siehe »Publikationen« / »Grundpositionen« / »Behandlung gerontopsychiatrischer Erkrankungen«) sowie zu Diagnose und Behandlung in den S3-Leitlinien Demenzen, die hier zu finden sind: www.dgppn.de.

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ABBILDUNG 4

Medikamentöse Therapieoptionen bei Demenz (nach BREDTHAUER 2006)

Substanzklasse

Substanz

Anfangs

dosis (mg)

Mittl.

Dosis (mg)

Besonderheiten

A N T I D E P R E S S I VA 

Sedierende

Mirtazapin (z.B. Remergil®)

(7,5) –15

15–30

Appetit*, Schmerz*

Trazodon (z.B. Thombran®)

25–50

50–100

Antriebssteigernde

Citalopram (z.B. Cipramil®)

10–20

20–30

Initial Unruhe / Übelk. Hyponatriämie, EPS

Reboxetin (z.B. Edronax®)

2–4

4 (– 6)

Parkinson*

»Neutrale«

Venlafaxin (Trevilor ret.®)

75

75 (–150)

Schmerz*

N E U R O L E P T I K A 

Atypika

Risperidon (Risperdal®)

0,25–0,5

0,25–1 –1,5

Orthost. Dysreg., EPS

Quetiapin (Seroquel®)

12,5–25

25–