Merci, Udo! - Paul Sahner - E-Book

Merci, Udo! E-Book

Paul Sahner

0,0

Beschreibung

Ein "Merci, Udo!" kommt Millionen von Fans über die Lippen. Jahrzehntelang bejubelten sie den Gesang, die Gefühle und das Leben des Entertainers Udo Jürgens. Er war der Gentleman am Klavier. Sein großartiges Repertoire umfasste sowohl allseits beliebte Party-Kracher als auch kritische Töne. Bis zuletzt stand er auf der Bühne. Der bekannte Journalist Paul Sahner hat Udo Jürgens viele Jahre begleitet. Zusammen mit anderen prominenten Weggefährten des Sängers gibt er einen tiefen Einblick in das bewegte Leben des Entertainers.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 162

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Paul Sahner

Merci, Udo!

Impressum

© Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2015

Alle Rechte vorbehalten

www.herder.de

Umschlaggestaltung: Verlag Herder

Umschlagmotiv Vorderseite: © ddp images

Umschlagmotiv Rückseite: © POP-EYE/Weihs

E-Book-Konvertierung: le-tex publishing services GmbH, Leipzig

ISBN (E-Book) 978-3-451-80536-3

ISBN (Buch) 978-3-451-34256-1

Für Martina

Folgende im Buch verwendete Texte sind zuerst an anderer Stelle erschienen:

Der Ausschnitt des Gesprächs zwischen Giovanni di Lorenzo und Udo Jürgens erschien im August 2014 im ZEIT Magazin.

Der Nachruf von Gerhard Matzig mit dem Titel »Weltbürger am Klavier« erschien am 22. Dezember 2014 in der Süddeutsche Zeitung.

Das Penthouse-Interview brachte das Magazin im Januar-Heft des Jahres 1992.

Der autobiographische Roman »Der Mann mit dem Fagott«, auf den verwiesen und aus dem zitiert wird, erschien 2004 bei Limes, München, in der Verlagsgruppe Random House.

Das Doppelinterview mit Panja und Jenny (1997), die Geschichte über Sabrina Burda und die Tochter Gloria (März 2010), der Artikel »Der Pate aus dem Schloss« (August 2004) sowie das Gespräch über Ronald Schill und Corinna (November 2004) hat Paul Sahner für die BUNTE geschrieben. Für den Epilog hat er Teile seines Nachrufs auf Udo Jürgens verwendet (BUNTE, Heft 1/2015).

Der Ausschnitt des Gesprächs zwischen Alexander Gorkow und Udo Jürgens erschien im Dezember 2004 in der SZ am Wochenende.

»Weil er ein Held ist«, die 80 Gründe, warum wir ihn lieben, von Kathrin Spoerr brachte die Welt am Sonntag am 28.September 2014.

Das Gespräch zwischen Freddy Burger und Christine Maier erschien in der Schweizer Tageszeitung Blick am 28. Dezember 2014.

Inhalt

Ein Paukenschlag – Der Tote am Bodensee

1 Wenn einer immer wütender wird

Anruf bei Franz Beckenbauer

2 Eine sensible Seele am Presse-Pranger

Anruf bei Karl Dall und Hellmuth Karasek

3 Alle reden – Panja, Jenny und auch der Schwiegersohn

Anruf bei Mario Adorf und Frank Elstner

4 Aber bitte mit Gloria

Anruf bei Thomas Veszelits

5 Der Pate aus dem Schloss

Anruf bei Edgar Berger

6 Corinnas Affäre – »Wenn es wenigstens Joschka Fischer wäre«

Anruf bei Udo

7 Achtzig Gründe, warum wir Udo lieben

Anruf bei Wolfgang Joop

8 Die Sache mit den beiden Managern

Anruf bei Paola Felix, Werner Kimmig und Niki Lauda

Ausklang: Auf Augenhöhe – oder auch nicht

Dank

Biografische Notizen

Ein Paukenschlag – Der Tote am Bodensee

Der Tote am Bodensee. Kein Tatort-Krimi, sondern der überraschende Abgang eines Mannes, der in vielen Dingen größer als groß und für Millionen seiner Fans der Allergrößte war. Udo Jürgens. Eine Legende, die unsterblich schien, die die Fortsetzung seiner Tournee im Februar 2015 kaum erwarten konnte, sackt beim Sonntagsspaziergang an der Uferpromenade von Gottlieben zusammen. Er ist achtzig. Sein Freund, Chauffeur und Drummer Billy Todzo reißt beim nahen Gemeindehaus den öffentlichen Defibrillator aus der Verankerung, das Gerät versetzt dem Zusammengebrochenen Stromstöße, der Krankenwagen rast mit dem Sterbenden in die Klinik, zwei Stunden kämpfen die Ärzte vergeblich gegen den Tod. »Um 16.25 Uhr«, so berichtet Bild, »versammelt sich ein kleiner geschockter Kreis Freunde um das Totenbett.« Pepe Lienhard, sein Vertrauter und Bandleader, erzählt: »Udo lag ganz friedlich da, die Arme über die Brust gefaltet. Es sah aus, als würde er schlafen. Ich dachte, er würde jeden Moment die Augen aufschlagen, aber das tat er natürlich nicht. Ich konnte einfach nicht begreifen, dass er tot war.«

Der Tote vom Bodensee. Ist das ein Zeichen, dass dieses für viele Menschen einzigartige Musikgenie, der rastlose Jäger der Zweisamkeit, der ewige Zweifler an sich und der Menschheit und dem Gott, den er nicht fand, weil er ihn nie suchte – dass also dieser Über-Udo ausgerechnet an dem See das Ufer verließ, den drei Länder für sich beanspruchen? Österreich, da war er geboren, Deutschland, da wurde er Gigant, Schweiz, da fand er seine letzte Liebe. Sein Tod kam schnell und schmerzlos, sagen die Menschen, die ihn lieben. Wenigstens das.

An diesem Sonntag, kurz nach 17 Uhr, überlegen meine Frau Martina und ich, wo wir in Schwabing essen sollen. Sie schlägt Thai vor, ich italienisch. Wir einigen uns auf österreichische Küche. Die Waldfee in der Occamstraße. Wiener Schnitzel, Backhendl-Salat, einen Schoppen Riesling. Mein Handy ploppt. Breaking News. Erst n-tv, dann Bild. Oder umgekehrt. Die Meldung ist kurz und schrecklich: Udo Jürgens ist tot. Ich rufe meine Kollegin Patricia Riekel an, die BUNTE-Chefin. Sie weiß auch schon Bescheid. Sie ist bewegt, wie alle Kollegen, die in der folgenden Nacht Abschied nehmen von »Deutschlands größter Showlegende.« Sie sagt: »Wir treffen uns in der Redaktion, bin auf dem Weg.«

Die Rechnung bitte! Doch kein Kaiserschmarren?, fragt der Waldfee-Wirt, der wie Udo aus Kärnten stammt. Er kann nicht fassen, was ich ihm sage. Er ist bestürzt. Erzählt, dass vor ein paar Wochen Freunde von ihm nach einem Udo-Konzert in sein Schwabinger Gasthaus eingekehrt sind. Den ganzen Abend hätten sie geschwärmt. Diese Power mit achtzig! Auch ihre Kinder, die Justin-Bieber-Miley-Cyrus-Generation, hätten sich anstecken lassen von dem Mann, der ihr Urgroßvater sein könnte.

Ich bringe meine Frau nach Hause. Wir schweigen ein paar Sekunden. Dann summt sie unseren Lieblings-Udo-Hit »Ich war noch niemals in New York«. Ich summe mit. Passanten gucken uns schräg an. Sie wissen es noch nicht. Wir streifen das Haus, wo früher der Kunstsammler Cornelius Gurlitt wohnte, nicht einsam in seiner verschrobenen Welt, weil die Bilder, die ihm genommen wurden, seine Freunde waren. Ob auch er wohl ein Udo-Jürgens-Fan war? Oder auch nicht? Ein kruder Gedanke. So ist das wohl, wenn man die Realität verdrängen will.

Ich bin dann als Erster in der Redaktion – der kürzeste Weg. Was soll ich schreiben über den Mann, den ich kennenlernte, als ich fünfundzwanzig Jahre alt war und er zehn Jahre älter? Das BUNTE-Team trifft in der Redaktion ein. Eine lange Nacht, um ein Denkmal zu ehren. Ich beschließe, meinen Abschied vor allem, aber nicht nur, dem Womanizer zu widmen, mit einem Satz, den mir der Unersättliche immer wieder gesagt hat: »Allen Frauen bin ich sehr dankbar. Sie haben mir einen Teil meiner Einsamkeit genommen.«

19 Uhr ist es nun, und ich denke, dass ich zwei wichtige Frauen in seinem Leben anrufen sollte. Zuerst wähle ich die Handynummer von Corinna, Udos zweiter Ehefrau. Sie war sechzehn, als sie sich in Udo verliebte. Sie trennte sich nach zwölf Jahren von ihm, weil er sie nicht heiraten wollte. Sie ließ sich von einem anderen Mann verwöhnen. Udo, der mit Niederlagen schlecht umgehen konnte, kämpfte um sie. Heimliche Hochzeit in New York, nicht einmal seine Kinder hatte er eingeweiht. Corinna reagiert gefasst, als ich ihr kondoliere. Und dann erzählt sie: »Es war ein gnädiger Tod. Oft hat Udo mir gesagt, dass er keine Angst vor dem Tod hätte, nur vor einem schleichenden Siechtum. Zu meinem Geburtstag am 28. November hat er mir eine poetische, sehr liebevolle SMS geschickt, die ich nie löschen werde. Er hat mich geprägt, mir die wichtigste Zeit meines Lebens geschenkt.« Sie sagt noch, er habe, auch nach der Scheidung, gern mal ihre kranke Mutter besucht, die ihren Schwiegersohn bis zuletzt verehrte – trotz der heftigen Scheidungsschlacht.

Am Abend, als die Welt Abschied nimmt von Udo Jürgens, einer Welt, mit der er sich, je älter er wurde, immer kritischer und wütender auseinandergesetzt hatte als die meisten seiner Heile-Welt-Kollegen, klingelt bei der Wiener Juristin Sabrina Burda das Handy. Ihre Sekretärin teilt ihr mit: »Udo Jürgens ist gestorben.« Sabrina Burda schließt die Augen. Auch sie war sechzehn, als Udo sie bei einem Spaziergang im Wienerwald ansprach. Sie zittert nun. Ihre Tochter Gloria, die sich bereits für die Weihnachtsfeier in ihrer Tanzschule anzogen hat, fragt: »Mama, was ist?« Die Mutter sagt: »Dein Vater ist tot.« Gloria, Udos uneheliche Tochter, die vor einem Jahr ihre Matura bestanden hat, klammert sich an die Mutter, schluchzt: »Ich habe nun nie mehr die Gelegenheit, mich mit meinem Vater auszusprechen. Es gab so viele Dinge, die er mir hätte erklären sollen.« Ihre Mutter erzählt mir noch an diesem Abend: »Sie hat ihn so unendlich geliebt, es war keine einfache Tochter-Vater-Beziehung, obwohl Udo insgeheim stolz war auf sie.«

Ich rufe dann noch Hans R. Beierlein an, Udos Schöpfer. Der Manager, der ihn groß gemacht hat. Er ist hörbar erschüttert über den plötzlichen Abschied seines Freundes: »Udo strotzte doch so vor Lebenslust. Jedoch war es der sanfte Tod, den er sich immer gewünscht hat. Aber was heißt das schon? Nur sein Körper ist tot, seine Lieder machen ihn unsterblich. Merci, Udo!«

Als ich in dieser Nacht gegen zwei Uhr früh nach Hause komme, kann ich nicht einschlafen. Ich will aber nicht Udos Nummer-eins-Hits abspielen, muss auch den Fernseher ausschalten mit all den gut gemeinten Nachrufen auf allen Kanälen. Udo unser. Ein Volk unter Schockstarre. Es war, als wäre ein Familienmitglied aus dem kuscheligen Nest gerissen worden, der Mann am Klavier, dessen Konzerte so kommunikativ waren wie eine Nacht am Lagerfeuer. Vater unser, erst am Flügel, dann im weißen Bademantel. Ich war aufgekratzt.

Vor fünfundvierzig Jahren hatten wir uns kennengelernt, damals in einer Schwabinger Wohnung, weit nach Mitternacht, als er plötzlich aufkreuzte. Eine seiner Freundinnen und meine damalige Freundin teilten sich eine WG. Dass ich da war, jemand, den er nicht kannte, schien ihn zu stören. Doch nach ein paar Schoppen Wein duzte er mich und ich, mit fünfundzwanzig Jahren gerade als Lokalredakteur der ostwestfälischen Provinz entkommen, rief gleich am nächsten Tag meine Eltern an. Stellt euch vor, wen ich gestern getroffen habe … und so weiter.

Solche Schnipsel fügten sich in dieser Nacht zu einer Collage. Udo lebte, sein plötzlicher Herztod verblasste, verdrängt von meinen Erinnerungen. Kopfkino. Nach einem Udo-Konzert in Berlin schüttelte mir ein überschwänglicher Harald Juhnke sekundenlang die Hand: »Siehste, Paule, det issen Weltstar.« Noch so ein Bild: Monti Lüftner, der viel zu früh verstorbene Musik-Tycoon, der mit seiner zum Bertelsmann-Konzern gehörenden Plattenfirma Ariola den Jürgens-Boom mit entfachte, nimmt dich mit zum Wörther See. Im Schlosshotel Seefels gibt Udo spontan eine Session. Der Weekend-Flirt, den du gerade erst kennengelernt hast, lässt sich in dieser Nacht nicht mehr blicken. Erst beim späten Frühstück taucht die blonde Schönheit wieder auf, himmelt Udo an, tut so, als ob sie dich nicht kennt, rauscht mit ihm an dir vorbei auf sein Boesch-Boot, das größte am See. Später stößt noch Jörg Haider dazu, der umstrittene Rechtspopulist. Bussi links, Bussi rechts, im Nachhinein distanziert sich Udo: »Politisch geig ich ihm meine Meinung.« Oder: Du sitzt mit Udo an der Bar des Bayerischen Hofs in München. Anfang der Neunziger. Ein Männergespräch über Frauen. Die er hatte, na klar, dann eine überraschende Wendung, seine Stimme wird zärtlicher als zuvor: »Mit Aenne Burda verbindet mich eine tiefe, von Emotionen geprägte Beziehung. Sie ist eine tolle Frau, außergewöhnlich und immer noch wunderschön. Sie ist über achtzig Jahre alt. Sie ist immer noch sexy.«

Ich musste auch an einen heißen Sommertag denken. Einige Kollegen besuchten mich in meiner oberbayerischen Heimat. Sie brachten den inzwischen verstorbenen FAZ-Herausgeber und Autor Frank Schirrmacher mit. Mein Ghettoblaster plärrte: »Griechischer Wein«. Wir plärrten mit. Schirrmacher outete sich als Jürgens-Fan. Und ich dachte, Respekt, auch kluge Köpfe mögen Schenkelklopfer.

Ich erinnerte mich an ein Schreiben seiner Anwälte. Sie wollten meiner damaligen TV-Talkshow Aber bitte mit Sahner gerichtlich den Titel verbieten lassen: »wg. Urheberrecht«. Sein Lied »Aber bitte mit Sahne« sei geschützt. Ich rief Udo an, er kümmerte sich wohl darum. Der Name blieb.

Seltsam, was mir noch alles durch den Kopf ging in dieser Nacht. Auch, dass ich doch erst vor ein paar Monaten den Kollegen Giovanni di Lorenzo angerufen hatte, ihm gratulierte für sein außergewöhnliches Zeit-Magazin-Gespräch zum achtzigsten Geburtstag von Udo Jürgens. Da ging es zum Beispiel um das Befinden des Künstlers und die Frage war:

»In welchen Situationen kommt bei Ihnen dieser ›tipping point‹, in dem das Hochgefühl sich ganz schnell in Melancholie umkehrt oder sogar in eine Depression?«

Und Udo antwortete: »Das sind Situationen, die sich aus dem Alltag ergeben. Wenn die Alltagsprobleme wieder reingeschwemmt werden in die Euphorie. Mit dem nächsten Telefonat ist bereits das erste Problem da, das man nicht gleich lösen kann. Da färbt sich die Stimmung um, sie wird grauer.«

»Sie haben viele, viele Jahre an Schlaflosigkeit gelitten?«

»Ja, ich weiß nicht, warum, aber inzwischen schlafe ich wunderbar. Auf meinem Nachtkästchen liegt keine einzige Tablette mehr.«

»Schlaflosigkeit wird oft als Symptom von Depressionen gewertet?«

»Ich glaube, in dieser Zeit der Euphorie war ich auch immer deprimiert, weil es eben ein Scheinglück ist, kein wahres, tiefes, bleibendes Glück. Das hat sich auch in meinem Privatleben geäußert: Ich habe mich als jüngerer Mann wahnsinnig schnell verliebt, aber sehr oft in meinem Leben hat sich auch schnell eine gewisse Ernüchterung eingestellt. Letztlich ist es vermutlich die zweite Variante, die Zufriedenheit, die im Leben die bedeutendere ist. Aber wenn du die Phase der Euphorie nicht erlebt hast und die Phase der Traurigkeit, dann wirst du nichts Bedeutendes schaffen. Wenn du Musik machen willst, wenn du schreiben willst, wenn du auch literarisch tätig sein willst, mit der Sprache umgehen willst, dann musst du von Euphorie in Traurigkeit verfallen.«

Puzzlesteine fügten sich zusammen zu einem UJ-Mosaik, und bevor ich einschlief, fiel mir noch ein beruhigender Satz ein, den er mir bei einer unserer letzten Begegnungen gesagt hatte: »Tot ist der Mensch erst dann, wenn der letzte Mensch stirbt, der sich seiner erinnert.«

Vielleicht zwei Stunden später klingelte mein Handy. Claudia Miedke war dran, seit fast zwanzig Jahren meine unverzichtbare Assistentin bei BUNTE. »Guten Morgen, Paul, Herr Herder möchte dich sprechen.« Ich ahnte, was der Verleger wollte, sagte aber: »Nett, dass Sie sich mal wieder melden. Sie wollen mir bestimmt entspannte Feiertage wünschen.« Schweigen. Dann, Verleger sind auch nur Menschen: »Doch ja. Aber ich hätte da noch eine ganz kleine Bitte …«

Die kleine Bitte war, dass ich ein Buch über Udo Jürgens schreiben sollte. Ach, wie nett. Wie lange habe ich Zeit? Manuel Herder: »Am 4. Januar muss der Text fertig sein, sonst können wir nicht am 22. Januar ausliefern.« Ein Schnellschuss also.

Bedenkzeit. Er könne sich gerne noch mal melden, in zwei, drei Stunden. Schon nach zwanzig Minuten rief ich ihn an, okay, wir machen das. Doch kaum hatte ich aufgelegt, kamen mir Zweifel. Udo war doch so etwas wie ein Freund, unsere Gespräche waren meist geprägt von seiner schonungslosen Offenheit, je älter er wurde, umso vehementer und zorniger setzte er sich mit sich, seinen Ängsten und all den Typen auseinander, die seine Branche ausstößt. Ohne sie zu verletzen. Er nannte Namen und stellte klar, dass sie nicht im Interview vorkommen dürften. Er war ja kein Kollegenschwein. Und diese oft an Intimbeichten grenzenden Dialoge müsste ich nun noch einmal bewerten, ergänzen, manches auch streichen. »Schreib das Buch«, sagte Hans Beierlein, »so nah wie du kam ihm kaum einer.«

1 Wenn einer immer wütender wird

Oft begannen unsere Telefongespräche mit der harmlosen Frage:

Grüß dich, Udo, wo steckst du gerade?

In Amsterdam. Ich habe gestern Holland aufgemischt.

Wie mischt man Holland auf?

Ich habe zwei gigantische Konzerte hier gegeben, die wirklich ganz phantastisch waren. Rotterdam und Amsterdam. Beide brechend ausverkauft. Also gigantisch, gigantisch.

Gratuliere!

Freut man sich natürlich.

Bist du dort ein genauso großer Star wie im deutschsprachigen Raum?

Wahrscheinlich nicht gleich groß. Die Kölnarena könnte ich hier nicht füllen. Aber deswegen rufst du nicht an. Was kann ich für dich tun?

Ich möchte mit dir über Gott reden. Ich brauche einen Quote von dir für eine Umfrage. Wie bist du erzogen worden?

Ich bin evangelisch erzogen worden von den Eltern mit einer gewissen Distanz zur Religion. Den Eltern war das nie so ganz geheuer. Und je älter sie wurden, je näher sie selbst dem Tod kamen, desto weiter haben sie sich von religiösen Gedanken entfernt. Weil sie immer mehr das Problem mit sich rumgetragen haben, dass die religiösen Führer nie jemals Abstand genommen haben, nie sich jemals entschuldigt haben für das, was ihre Religion auf dieser Welt angerichtet hat, für Inquisition und den ewigen Unfrieden, für all die Religionskriege. Also, irgendwann muss jeder nachdenkliche Mensch begreifen, dass die Religiosität von einer Gewaltwelle in die nächste führt. Und das seit Jahrtausenden. Ich respektiere jeden gläubigen Menschen, bin auch befreundet mit Pfarrern, sogar mit katholischen.

Wie verlaufen die Diskussionen zwischen den Geistlichen und dir, der sich von Gott distanziert?

Die können mich verdammt gut verstehen. Ich kenne einen katholischen Pfarrer, der homosexuell ist. Der kommt oft in meine Konzerte. Mit dem habe ich oft geredet, er saß abends mit mir am Tisch. Er war mir so nahe und sagte: »Udo, ich kann dich so gut verstehen. Ich muss mein schwieriges Sexualleben verstecken. Was soll ich bloß machen?« Ich habe ihn beruhigt, du musst dein Leben leben, frei von Schuldgefühlen, weil es normal ist, dass du so bist, wie du bist. Nicht du bist ein Sünder, die Schuld liegt bei denen, die dein Leben anprangern.

Du hast ihm sozusagen die Absolution erteilt?

Ja, so ungefähr. Er war erleichtert, so eine Stimme zu hören. Fatal ist, wie von fast allen Religionen der Welt die Frauen unterdrückt werden. Darüber habe ich schon als junger Mensch sehr viel nachgedacht.

Ich hatte genug Stoff für den Quote. Aber Udo kam in Fahrt, ganz atheistischer Eiferer, der nun erklärte, warum er erst mit achtundzwanzig aus der Kirche ausgetreten war: »Offiziell, ja. Aber ich war schon mit Anfang zwanzig sehr stark kritisch eingestellt.«

Du bist also Atheist?

Ich glaube an die Macht des Guten im Menschen. Das ist meine Religion, wenn du so willst. Es gibt Menschen, die Gutes tun. Ich glaube an die Kunst des Ganzen, sie ist für sich eine Religion. Literatur, Malerei, was da alles Phantastisches geschöpft wurde. Denke an Goethe und Schiller, an Beethoven und Bach. Das ist die wahre Religion. Und diese Schaffenden haben eine Unsterblichkeit erreicht durch ihre Kunst. Ich kann auch nicht mit dem Gedanken leben, dass jeder Mistkerl auf dieser Erde unsterblich ist. Massenmörder und Kinderschänder. Wozu sollten wir das verdient haben, wir Menschen? Wir ruinieren den Erdball. Wir roden die Erde. Wir machen das Klima kaputt. Wir begehen die grausamsten Verbrechen, Mordtaten, Kriege, Vergewaltigungen, ja, Massenvergewaltigungen in allen Erdteilen. Diese Brut kann doch nicht unsterblich sein. Unsterblichkeit kann ein Mensch sich vielleicht dadurch erlangen, wenn er, ich wiederhole, wie Goethe oder wie Beethoven gewesen ist.

Oder wie Udo Jürgens?

Darüber mache ich mir keine Gedanken. Wahrscheinlich nicht. Aber Unsterblichkeit hat meiner Meinung nach nichts mit der Tatsache zu tun, dass wir Menschen sind. Wir bezeichnen uns als die Krone der Schöpfung und nehmen uns die Unverschämtheit heraus, diese Erde total zu dominieren. Wir maßen uns an, die Erde ruinös zu behandeln und halten uns für die Größten.

Nie mal so gedacht, lieber Gott, wenn es dich wirklich gibt, greif mal ein?

Immer wieder. Hey, rufe ich dann, wenn du irgendwo steckst, greif ein! Warum verhinderst du nicht das Elend, warum werden immer die Ärmsten und die Schwächsten bestraft auf der Erde, während die Reichsten und Stärksten oft frei ausgehen?

Betest du?

Nicht in der Form, wie man das in der Kirche tut. Aber wenn ein Künstler musiziert, er mit seinem ganzen Herzen und tiefen Emotionen tausende Menschen berührt, ihnen Freude schenkt, ist das für mich ein nahezu religiöser Vorgang. Ich bin kein Mensch, der an nichts außer an Kohle glaubt. Ich glaube an menschliche Werte, an Ethik, Nächstenliebe, ganz tief und intensiv.

Immer mehr Christen nähern sich dem Buddhismus.