Mesopotamien - Serhij Zhadan - E-Book
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Mesopotamien E-Book

Serhij Zhadan

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Beschreibung

Zhadans Helden kämpfen gegen die Verfinsterung ihres Lebens in der Ukraine. Sie sind Rebellen der Existenz. Und vor dem Hintergrund des Krieges ringen sie um ihre Liebe, um ein mutiges, freies Verhältnis zueinander und um die eine Geschichte, die irgendwann alle über dieses Chaos erzählen werden. Mesopotamien ist das Meisterwerk von Serhij Zhadan, eine leidenschaftliche Liebeserklärung an seine Heimat.

»Zhadan hat ein so wehmütiges, gut gelauntes und kämpferisches Buch geschrieben, wie es lange keins mehr gab. Ein lebendiges Denkmal für die ideale Stadt Charkiw, die bedrohte Stadt, das bedrohte Land. Dabei ist er nicht einen Moment kitschig oder folkloristisch, dafür sind seine Figuren viel zu besoffen, naiv, selbstverliebt und mitunter auch brutal.« Volker Weidermann, Der Spiegel

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Seitenzahl: 433

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»Auf der Straße werde wieder geschossen, sagte sie noch, der Krieg gehe weiter, und niemand habe die Absicht, sich zu ergeben.« Romeo, zwanzig Jahre alt, ist zum Studium nach Charkiw gekommen. Staunend lauscht er den rhapsodischen Liebeserklärungen an die Stadt, mit denen seine Vermieterin ihn von täppischen Annäherungsversuchen abzubringen versucht. Ungläubig nimmt er ihre Sätze zur Kenntnis – wie auch wir, die Leser.

Mesopotamien – der Titel ist wörtlich zu nehmen. Das Zweistromland, der Schauplatz seiner neun »Geschichten und Biographien«, ist ein vieldeutiges Zwischenreich: eine besiedelte Anhöhe zwischen zwei ineinander fließenden Flüssen, zwischen Oberstadt und Unterstadt, privatem Sektor und Armenvierteln, zwischen Sprachen, Kulturen, Nationen, zwischen gestern und morgen, Leben und Tod.

Bewohnt wird das ukrainische Babylon von Menschen wie Marat, Boxer und ungläubiger Moslem aus dem Kaukasus, der eines Abends auf dem Weg zum Zigarettenkiosk erschossen wird. Oder Jura, privat und geschäftlich so gut wie am Ende, der eine schlimme Diagnose neugierig-erleichtert zur Kenntnis nimmt, weil er im Krankenhaus vor seinem Gläubiger sicher ist.

Aus dreißig als »Erläuterungen und Verallgemeinerungen« getarnten Gedichten entwickelt Zhadan poetische Porträts von Menschen, die nur noch auf sich selbst, auf ihre Liebe und Solidarität angewiesen sind. Er findet Bilder für die Hilflosigkeit der Heiligen, für die unaufhaltsame Verwirrung der Seelen, für den Einbruch des Vergangenen in die unklare Gegenwart, für die Glücksmomente angehaltener Zeit.

Serhij Zhadan, 1974 in Starobilsk/Gebiet Luhansk geboren, debütierte als 17-Jähriger und publizierte seit 1995 zwölf Gedichtbände und sieben Prosawerke. Für Die Erfindung des Jazz im Donbass (2010; dt. 2012) erhielt er 2014 den Jan-Michalski-Literaturpreis und den Brücke-Berlin-Preis (zusammen mit Juri Durkot und Sabine Stöhr). Die BBC kürte das Werk zum »Buch des Jahrzehnts«. 2015 erschien ein Band mit jüngsten Gedichte aus dem Krieg: Žittja Mariï (Marienleben). Serhij Zhadan, der populärste ukrainische Schriftsteller seiner Generation, lebt in Charkiw.

»Der Tod, sagte er, kommt uns nie entgegen, er kann warten, steht im frischen smaragdgrünen Gras, unsichtbar und unvermeidlich, und beobachtet, wie leichtsinnig und unvorsichtig wir in seinen Schatten laufen.«

Ein Porträt der Stadt Charkiw und seiner Bewohner an der Schwelle tiefgreifender Veränderungen. In der ostukrainischen Metropole, einem Babylon des 21. Jahrhunderts, steht alles auf dem Spiel. Gelingt es, Vertrauen und Liebe gegen Hass und Gewalt zu verteidigen? Mit poetischem Übermut und in kühnen surrealen Szenen beschwört Serhij Zhadan den Menschheitstraum, trotz aller Unterschiede friedlich und ohne Angst zusammenzuleben.

Serhij Zhadan

Mesopotamien

Aus dem Ukrainischen von Claudia Dathe, Juri Durkot und Sabine Stöhr

Suhrkamp

eBook Suhrkamp Verlag Berlin 2015

Der vorliegende Text folgt der Erstausgabe, 2015

© Suhrkamp Verlag Berlin 2015

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das der Übersetzung, des öffentlichen Vortrags sowie der Übertragung

durch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile.

Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch

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Umschlagfoto: Reiner Riedler / Anzenberger

Umschlaggestaltung: Hermann Michels und Regina Göllner

eISBN 978-3-518-74354-6

www.suhrkamp.de

Mesopotamien

Niemand weiß, woher sie gekommen waren und warum sie sich an diesen Flüssen niedergelassen hatten. Aber ihre Lust am Fischfang und ihre Kenntnisse in Navigation deuten darauf hin, dass sie über das Wasser kamen, flussaufwärts wanderten. Ihre Sprache, so heißt es, eignete sich gut für Gesänge und Verwünschungen. Ihre Frauen waren zart und unbändig. Solche Frauen gebaren kühne Kinder und verursachten ernste Probleme.

Wahre Geschichte der Sumerer, Band 1

Erster Teil

Geschichten und Biographien

Marat

In den vierzig Tagen, die seit Marats Tod vergangen waren, hatte der Frühling in der Stadt Einzug gehalten. Und fast hatte er sie schon wieder verlassen. Marat war Anfang April beigesetzt worden, am übernächsten Dienstag nach Ostern, dem Tag des österlichen Totengedenkens, und jetzt wuchs auf den Hügeln grünes, scharfes Gras : Der Sommer war gekommen. In diesen vierzig Tagen war es uns gelungen, zu vergessen und uns zu beruhigen. Aber nun meldeten sich Marats Eltern telefonisch und riefen uns alles wieder in Erinnerung. Ich dachte : Ja, wirklich, erst vierzig Tage. Die Toten stellen keine Forderungen, die Lebenden sind es, die uns unter Druck setzen.

Er war nur von ein paar Freunden und Nachbarn zu Grabe getragen worden. Die meisten seiner Bekannten – und davon gab es in der Stadt eine ganze Menge – hatten es nicht für möglich gehalten, dass man sie wirklich zu seinem Begräbnis lud. Später entschuldigten sie sich, fuhren auf den Friedhof, suchten den Grabstein. Der April war regnerisch gewesen, hinter dem VW-Bus mit dem Sarg liefen Straßenhunde her wie eine Ehrenwache, und ab und zu fielen sie die schwarzen Reifen des Leichenwagens an, als ob sie Marat nicht ins Totenreich entlassen wollten. Über den Friedhof zogen festliche Scharen, kletterten auf die Hügel, wo ihnen die niedrigen Wolken über den Köpfen hingen, stiegen ins Tal hinab, das von den Regenmassen überflutet wurde, feierten wie es nur ging und mischten Alkohol mit Regenwasser. Wir sind offenbar die einzigen gewesen, die mit einer Leiche zum Friedhof kamen, und müssen ziemlich komisch gewirkt haben – als wären wir mit unserem eigenen Klavier in einen Musikladen marschiert. Ostern schmiss alles über den Haufen und ließ unsere Trauer irgendwie unangebracht erscheinen. Zu Ostern stirbt man nicht. Im Gegenteil, normale Menschen erwachen zu dieser Zeit von den Toten.

Marats Tod war wie sein Leben – unlogisch und geheimnisvoll. Er starb in der Nacht von Samstag auf Sonntag. Marat ging nicht in die Kirche, weil er sich für einen Moslem hielt, noch dazu für einen ungläubigen ; stattdessen latschte er mitten in der Nacht zum Kiosk, Zigaretten kaufen. In Gummischlappen und mit einem Geldschein in der Hand. Da wurde er abgeknallt. Niemand hat etwas gesehen, alle waren in der Kirche. Die Verkäuferin im Kiosk sagte, sie hätte nichts mitbekommen, obwohl sie glaubte, sie habe jemanden singen und Motoren röhren hören, sicher war sie allerdings nicht ; bei Bedarf hätte sie die Stimmen identifizieren können, ob es männliche oder weibliche Stimmen waren, wusste sie nicht zu sagen, aber sie hatte das Kennzeichen des Lada notiert, doch wie sich herausstellte, stand dieser Lada bereits das zweite Jahr am Straßenrand vor der Poliklinik für Studenten, und die Hausmeister horteten darin leere Flaschen und Pappe, die sie auf dem Müll gefunden hatten. Holla, sagten wir uns, die Neunziger kehren zurück, wer ist der nächste ?

Es war unklar, weswegen man ihn abgeknallt hatte. Er machte keine Geschäfte, unterhielt keine Kontakte zur Staatsmacht und hatte keine Feinde, und auch wenn er manche Freunde auf der Straße nicht mehr erkannte, war das kein Grund für eine Schießerei. Auf den Straßen wurde seit etwa zehn Jahren nicht mehr geschossen, höchstens einmal auf Mitarbeiter eines Geldtransportunternehmens, was aber eigentlich nicht zählt – wie viele gibt es davon in Ihrem Bekanntenkreis ? Wir konnten nur rätseln, was tatsächlich passiert war.

Vierzig Tage waren vergangen, die Zeit lief dahin, Flüsse traten über die Ufer und kehrten wieder zurück in ihr Bett. Warme Tage brachen an. Ich wollte nicht hingehen, beschloss sogar anzurufen, um mich zu entschuldigen und abzusagen. Dann aber dachte ich, was ändert das schon ? Ich werde ja sowieso den ganzen Abend daran denken, dann schon besser in der Gesellschaft von Freunden und Angehörigen. Den Kopf sollte man lieber an einem vertrauten Ort verlieren. Ich trat aus dem Haus, machte eine Runde um die Schule, blieb an einem der Kioske stehen, überlegte lange und ohne mich entscheiden zu können, welche Zigaretten ich kaufen sollte, dachte noch – vielleicht doch lieber zurück ? – und ging weiter. Lief den steilen Hang hinauf an den Institutsgebäuden entlang und verlangsamte meinen Schritt erst in Marats Straße. Es war still. Vor dem Haus, im nachmittäglichen Schatten, wärmten sich schläfrige Hunde. Der Anführer hob den Kopf, streifte mich mit einem dunklen, aufmerksamen Blick, senkte den Kopf auf den Asphalt und schloss müde die Augen. Nichts ist passiert. Nichts hat sich verändert.

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