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Jonathan Clegg

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Beschreibung

Zwei Könige des Fußballs und ihr Kampf um die Krone Lionel Messi und Christiano Ronaldo: Sie sind lebende Legenden. Seit bald zwei Dekaden dominieren und prägen sie die Fußballwelt. In ihrer Liga spielt niemand sonst. Und so stehen sich die beiden seit 15 Jahren in einem furiosen Zweikampf um Tore und Titel gegenüber, der beide zu immer neuen Höchstleistungen anspornt. Das Duell dieser Ausnahmetalente zu verstehen bedeutet, den modernen Fußball zu verstehen. Jonathan Clegg und Joshua Robinson geben in ihrer Doppelbiografie einen einzigartigen Einblick in die Welt der Champions League und des Fußballmarktes. Und sie bereiten uns auf den Showdown vor, der in der Sache Messi vs. Ronaldo ansteht: die WM 2022. Denn beiden Kontrahenten fehlt bisher die Krönung: der Weltmeistertitel.  

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Joshua Robinson / Jonathan Clegg

Messi vs. Ronaldo

Das Duell – Die Geschichte zweier Jahrhundertfußballer

Aus dem Englischen von Cornelius Hartz

dtv Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG, München

Für unsere Eltern, in Liebe. Aline & Jeffrey, Lizzie & Ant

 

Und für Evie und Cooper, mit ziemlicher Sicherheit zukünftige Gewinner des Ballon d’Or.

Vorwort

Wer von Lionel Messi, Cristiano Ronaldo und der Ära erzählen will, die die beiden geprägt haben, dem stehen unzählige Möglichkeiten offen. Jedes Wochenende, an dem sie in der spanischen Liga auf dem Spielfeld standen, war eine eigene kleine Seifenoper. Jeder Sommer mit einem großen Turnier war ein nervenzerrüttendes Psychodrama. Und abseits des Spielfelds bauten sich sowohl Messi als auch Ronaldo ein globales Imperium auf, mit dem sie ein Level des Ruhms erreichten, das normalerweise US-Präsidenten und Päpsten vorbehalten ist.

Jeder dieser zwei Ausnahmefußballer bietet für sich genommen genug Stoff für ein eigenes Porträt, und natürlich ist über beide schon viel geschrieben worden. Aber jede Darstellung, die sich nur auf einen der beiden konzentriert, weist zwangsläufig eine klaffende Lücke auf. Denn ob es ihnen gefällt oder nicht: Messi und Ronaldo sind untrennbar miteinander und mit der Geschichte des jeweils anderen verbunden. Jetzt, wo sich ihre Karrieren dem Ende zuneigen, sind sie endlich selbstbewusst genug, das zuzugeben. Fast zwanzig Jahre lang haben sie sich gegenseitig angespornt. Um der Größte zu sein, mussten sie zuallererst besser sein als der jeweils andere.

Allerdings hatte diese Auseinandersetzung wesentlich mehr Facetten als bloß die eines Duells auf dem Fußballplatz. In ihrem eng miteinander verwobenen Bestreben, Geschichte zu schreiben, wurden Ronaldo und Messi zu zwei Gravitationszentren des beliebtesten Sports der Welt und übten auf alles und jeden, der in ihre Umlaufbahn kam, eine enorme Anziehungskraft aus. In keinem anderen Zwanzigjahreszeitraum seit der Erfindung des Fernsehens, hat sich die Welt des Sports so dramatisch verändert, wie in der Blütezeit von Messi und Ronaldo. Und das Bemerkenswerteste an dieser Epoche war, dass die Spieler an der Weltspitze die ganze Zeit über dieselben waren.

Seit fast 15 Jahren berichten wir als Reporter des Wall Street Journal über Messi und Ronaldo, über ihre Karrieren und deren Dominoeffekt. Wir habe ihre Erfolge auf vier Kontinenten beobachtet, waren bei Champions-League-Finals, bei Europa- und bei Weltmeisterschaften dabei. Wir haben miterlebt, wie sie sich gegenseitig immer wieder zu Höchstleistungen angespornt haben, von Messis viertem Champions-League-Titel in Berlin bis zu Ronaldos Befreiungsschlag mit Portugal bei der EM2016. Aber wir haben auch miterlebt, wie sie herbe Enttäuschungen verkraften mussten. Zum Bespiel an einem Abend im Jahr 2014 in Rio de Janeiro, als wir mit Sonnenbrand und Schlafmangel zum Maracanã-Stadion liefen, voller Erwartung, Lionel Messi dabei zu bewundern, wie er auf südamerikanischem Boden seinen ersten WM-Titel gewinnen würde.

An jenem Abend hatte Messi die Chance, Weltmeister zu werden und sich damit in der alles beherrschenden Frage »Messi oder Ronaldo?« einen entscheidenden Vorteil zu verschaffen. Als Argentinien dann aber Deutschland unterlag, wurde uns schlagartig klar: Diese Frage wird sich möglicherweise niemals klären lassen. Aber vielleicht muss sie das auch gar nicht.

Deshalb ist dies nicht bloß eine Doppelbiografie zweier brillanter Fußballer. Der springende Punkt dieses Buches ist, dass es nicht nur um die beiden geht. Dass es niemals nur um die beiden ging.

Messi vs. Ronaldo erzählt die Geschichte, wie zur selben Zeit zwei geniale Fußballer aufgetaucht sind, um die Sportwelt umzukrempeln und die Veränderungen, die bereits im Gange waren, zu beschleunigen. In diesem Buch dienen die beiden als Prisma, durch das wir den modernen Fußball beleuchten. Wir untersuchen ihre Macht, ihre Reichweite und ihren Einfluss. Das »Duell« zwischen Messi und Ronaldo fand vor allem abseits der Stadien statt – auf dem Spielfeld sind sie nur rund drei Dutzend Mal aufeinandergetroffen. Aber das ändert nichts daran, dass ihre Rivalität ganze wirtschaftliche und kulturelle Ökosysteme durcheinandergebracht hat. Dabei waren sich die zwei weder der Konsequenzen ihres Handelns bewusst noch hätten sie sie beeinflussen können.

Es gibt zwar bereits einige Biografien über diese beiden Männer, aber noch keine ernsthafte journalistische Aufarbeitung der Art und Weise, wie sie weltweit den Fußball und die ökonomischen Aspekte des Profisports beeinflusst und quasi nebenbei neu definiert haben, was heute einen globalen Superstar ausmacht.

Insgeheim wissen Messi und Ronaldo genau, dass ihr wichtigster Geschäftspartner der jeweils andere ist. Ihre Rivalität generiert sogar in ansonsten ganz rationalen Menschen so viel Energie, dass ihre Währung inzwischen gar nicht mehr der Sport ist. Jetzt, wo ihre Karrieren als Fußballer bald zu Ende sind, geht es nur noch darum, ob man sie liebt oder hasst – eine Debatte, die Messi und Ronaldo schon lange nicht mehr versuchen selbst zu lenken. Dabei waren diese zwei außergewöhnlichen Fußballer von Anfang an so unterschiedlich, dass sie es Fans stets leicht gemacht haben, sich für eine Seite zu entscheiden. Sie sind in jeder Hinsicht gegensätzlich: Der eine ist groß, der andere klein. Der eine stürmt an den gegnerischen Verteidigern vorbei, der andere schlängelt sich zwischen ihnen hindurch. Der eine ist ein eiskalter Torjäger, der andere ein Spielmacher. Der eine ist schüchtern und bescheiden, der andere ein eitler Pfau. Sie wissen schon, wer wer ist.

Jahrelang sorgte Messi dafür, dass man den Eindruck hatte, Fußball sei die einfachste Sache der Welt, wenn er scheinbar mühelos seine atemberaubenden Tore erzielte. Und Ronaldo bewirkte, dass man den Eindruck hatte, Fußball sei die schwierigste Sache der Welt, wenn er jeden seiner sorgfältig gestählten Muskeln und jede Sehne in seinem Körper anspannte, um den Ball ins Tor zu befördern.

Die Kunst der beiden brauchte keinen Dolmetscher. Von Shanghai bis São Paulo verstanden die Fans ganz instinktiv, wie die neue fußballerische Weltordnung aussah: Erst kamen diese beiden, und dahinter erst alle anderen. Messi und Ronaldo bestritten im Schnitt jeden dritten Tag ein Spiel und erzielten in praktisch jedem davon ein Tor. Doch je eingehender wir uns mit ihnen beschäftigten und je länger ihre Karrieren andauern, desto ähnlicher kommen sie uns vor.

Für dieses Buch haben wir zahlreiche vertrauliche Dokumente gesichtet und über Jahre hinweg persönliche Gespräche mit Führungskräften aus der Welt des Sports, mit Fußballtrainern und mit Mannschaftskameraden geführt. Es ist eine Momentaufnahme der Welt, die Messi und Ronaldo geschaffen haben, und den Mittelpunkt dieser Welt bilden ihre zwei größten Stars. Einige Interviewpartner, die Messi und Ronaldo besonders nahestehen, wollten anonym bleiben, um ihre persönlichen Beziehungen (und gelegentlich auch ihren Lebensunterhalt) nicht zu gefährden. Wenn wir ganze Unterhaltungen wiedergegeben haben, so sind diese nach den Berichten von Personen rekonstruiert, die persönlich anwesend waren oder unmittelbar danach informiert wurden.

Und nebenbei haben wir immer wieder das Wichtigste getan, das man im Fußball in der Messi-Ronaldo-Ära tun kann: Wir haben ihnen beim Spielen zugesehen.

 

Joshua Robinson und Jonathan Clegg, April 2022

Einleitung

Zürich, Dezember 2007

 

Zwei der größten Fußballer aller Zeiten saßen in einem Opernhaus in der Schweiz und fühlten sich sichtlich unwohl. Beide fragten sich, warum sie sich überhaupt die Mühe gemacht hatten, anzureisen. Lionel Messi fiel das lange Haar auf die Schultern seines dunklen Anzugs, der mindestens eine Nummer zu groß für seinen schmalen Oberkörper wirkte. Und Cristiano Ronaldo trug diamantene Ohrstecker und einen Smoking, obwohl der Dresscode der Veranstaltung gar keinen verlangte.

Keiner der beiden wollte dort sein. Keiner der beiden durfte gehen.

Dass sie wie gemaßregelte Schuljungen auf ihren Plätzen saßen, hatte mit dem leeren Stuhl zwischen ihnen zu tun. Sie waren zum ersten Mal auf der FIFA World Player Gala, bei der Jahr für Jahr, begleitet von jeder Menge peinlichem Smalltalk, die größten fußballerischen Talente gefeiert wurden, und Messi und Ronaldo waren beide fast zum Weltfußballer des Jahres 2007 gewählt worden. Aber eben nur fast. Stattdessen war diese Ehre dem brasilianischen Spielmacher Ricardo Izecson dos Santos Leite, genannt Kaká, zuteilgeworden, der gerade auf der Bühne seine Trophäe entgegennahm. Er war älter als Messi und Ronaldo, aber beide fanden, dass er längst kein so guter Fußballer war wie sie.

Dieser Ansicht waren noch mindestens zwei weitere Männer, die an jenem Abend auf den samtbezogenen Sitzen des Züricher Opernhauses saßen.

Der eine war ein Portugiese mit zurückgegeltem Haar namens Jorge Mendes, der früher Nachtclubbesitzer gewesen war, sich als Fußballagent neu erfunden hatte und seither immer ganz lässig mit mehreren Handys jonglierte, während er quer durch Europa iberische und südamerikanische Spieler vermittelte. Ronaldo auf die Bühne der Gala zu bringen, war ein wichtiger Baustein seines großen Plans: seinen Klienten zum reichsten Sportler der Welt zu machen.

Der andere hieß ebenfalls Jorge, und er war womöglich noch empörter. Die Rede ist von Jorge Messi, dem Vater von Lionel, der sich nach wie vor meistens in seiner argentinischen Heimatstadt Rosario aufhielt. Es war kaum sieben Jahre her, dass er seinen greinenden Sohn in einen Flieger nach Spanien gesteckt hatte, in der Hoffnung, dass der Kleine die Trainer des FC Barcelona beeindrucken würde. Der ehemalige Vorarbeiter in einer Metallfabrik war nun ebenfalls Agent und musste sich in der am meisten umkämpften Sparte der Welt des Sports durchboxen – Agent eines Klienten, der zufällig den gleichen Nachnamen trug wie er.

Sie alle lernten an jenem Abend eine wichtige Lektion. Preisverleihungen hatten im Fußball noch nie viel gezählt. Die Trophäen, auf die es wirklich ankam, wurden auf dem Platz verliehen, am Ende eines harten Kampfes, und dabei trugen die Beteiligten keine Designeranzüge, sondern Shorts. Doch genau das sollte sich bald ändern. Der Sport, mit dem sie aufgewachsen waren, hatte noch nie eine solch epochale Rivalität zwischen zwei Solisten erlebt. Was an diesem Abend in Zürich nämlich niemand ahnte: Die Jungs, die Platz zwei und drei belegten, waren im Begriff, aus dem Fußball eine Individualsportart zu machen. Und ihr Schlachtfeld war nicht der Fußballplatz, es waren Preisverleihungen wie diese – sobald die zwei endlich auch solche Preise bekamen.

Dennoch konnten weder Messi und Ronaldo noch die zwei Jorges darüber hinwegsehen, dass dieses Event, das unter Umständen langfristige Auswirkungen auf Transferzahlungen und Sponsorenverträge haben würde, so ablief, als wäre es Sepp Blatters persönliche Cocktailparty. Lange bevor herauskam, dass Blatter sich selbst mehrere Dutzend Millionen Dollar in Form von unerlaubten Boni ausgezahlt hatte (was enthüllt wurde, während er noch dabei war, die Millionen auszugeben), hatte der langjährige FIFA-Präsident diese Preisverleihung initiiert, die für ihn vor allem eine Gelegenheit war, sich mit Fußballlegenden und Supermodels zu umgeben. In diesem Jahr wurde die Gala zum ersten Mal komplett live übertragen, und Blatter spielte seine Lieblingsrolle in der Welt des Fußballs: die des Moderators auf der Bühne. Neben ihm saßen zwei bekannte Schweizer TV-Gesichter, deren Aufgabe es war, die Abläufe im Auge zu behalten und Blatters Worte auf Französisch, Englisch und Deutsch zu wiederholen. Um den wichtigsten Preis des Abends zu verleihen, hatte der FIFA-Präsident einen ganz besonderen Stargast verpflichtet: den zum damaligen Zeitpunkt erfolgreichsten Torschützen und Fußballer aller Zeiten, den dreimaligen Weltmeister Pelé. Das war für die FIFA in etwa so, als würde bei den Grammys Paul McCartney die Bühne betreten.

Die Organisation, die sich unter Blatters Ägide von einem kleinen Veranstalter von Fußballturnieren zu einem globalen Monstrum für Vermarktung und Fernsehrechte aufgeschwungen hatte, verfügte zu diesem Zeitpunkt über ein Barvermögen von rund 350 Millionen Euro. Was ihr Tagesgeschäft betraf, so glich die FIFA eher einem Plattenlabel oder einer mittelgroßen Versicherungsgesellschaft als einem Sportverband. Und wie jede Plattenfirma, die etwas auf sich hält, hatte sie großes Interesse daran, ihre eigenen Stars zu produzieren.

Das Problem war, dass sich der Fußballhimmel Mitte der 2000er-Jahre ein wenig zugezogen hatte. Die vier Männer, die von 1996 bis 2005 abwechselnd als Weltfußballer ausgezeichnet worden waren, kamen langsam in die Jahre. Bei den Galácticos von Real Madrid – Zinédine Zidane, Luís Figo und dem Brasilianer Ronaldo – hatte das Alter seine Spuren hinterlassen, und sie hatten ein paar Kilo zugelegt, während der zweifache Weltfußballer Ronaldinho zwischen all den nächtlichen Strandpartys kaum noch Zeit fand, seine Spiele für Barcelona zu bestreiten. An der Spitze der Nahrungskette des Fußballs war so wenig los, dass die Auszeichnung 2006 schließlich an Fabio Cannavaro gegangen war: einen Verteidiger.

Jetzt war also Kaká an der Reihe. Der Junge aus der Mittelschicht von São Paulo gab im Mittelfeld des AC Mailand den Ton an und wirkte so leichtfüßig, dass seine Gegner regelmäßig überrascht waren, dass sie gegen ihn keine Chance hatten. Der frischgebackene Champions-League-Gewinner Kaká galt bereits vor Cristiano Ronaldo als Goldjunge und lange bevor Leo Messi auf 1,70 Meter herangewachsen war.

»Meine Damen und Herren, der entscheidende Moment. Ich habe durchaus Übung im Öffnen von Briefumschlägen«, verkündete Blatter ohne einen Hauch von Ironie. »Meine Damen und Herren, der Gewinner der Auszeichnung FIFA-Weltfußballer des Jahres 2007 auf dieser Gala hier in Zürich ist … Kakáááá.«

Kaká erhob sich. Pelé, ein Mann, der für alles und jeden Reklame machte, von American Express bis Viagra, gratulierte seinem Landsmann voller Stolz. Messi und Ronaldo blieben auf der Reservebank sitzen.

Für Messi und Ronaldo kam erschwerend hinzu, dass sie gerade ein Déjà-vu erlebten: Zwei Wochen zuvor in Paris bei der Verleihung des Ballon d’Or (einer ähnlich wichtigen Auszeichnung für den Fußballer des Jahres, die später für ein paar Jahre mit der Auszeichnung der FIFA zusammengelegt werden sollte) hatten sie genau diese Prozedur schon einmal durchmachen müssen. Insofern war es keine große Überraschung mehr. »Um ehrlich zu sein, habe ich es schon ein wenig erwartet«, gab Kaká später zu. »Ich habe die Champions League gewonnen und war im Wettbewerb der beste Torschütze … Das ist das Wichtigste. Man muss in einem Siegerteam spielen.«

Allerdings spielten Messi und Ronaldo nun auch nicht gerade in der Kreisliga. Messi, damals 20, hatte sich unter den wachsamen Augen des ehemaligen niederländischen Rekordspielers Frank Rijkaard einen Stammplatz in der Startaufstellung des FC Barcelona erspielt, und seither versuchte sein Trainer verzweifelt herauszufinden, auf welcher Position er das argentinische Dribbeltalent am besten einsetzen konnte. Und Ronaldo, 22, war bei Manchester United bereits ein echter Star. Sein Trainer Alex Ferguson arbeitete schon seit vier Jahren daran, ihn zum perfekten Mittelstürmer zu formen. Beide waren Weltklasse und hatten Champions-League- und Premier-League-Siege im Gepäck.

Und dennoch hatte Kaká mehr Stimmen erhalten als sie beide zusammen. Als letzte Demütigung für die Verlierer lud Blatter sie zu gemeinsamen Fotos auf die Bühne ein. Dort überreichte Pelé ihnen Trophäen, die ein Stück kleiner waren als die von Kaká und die die Fußball-Legende zu allem Überfluss auch noch durcheinanderbrachte: Irrtümlich überreichte er Ronaldo den Preis für Platz zwei und Messi den für Platz drei. Blatter musste eingreifen, um sicherzustellen, dass die zwei genialen Fußballer jeweils die richtige Trophäe in der Hand hielten. »Zweiter … zweiter Platz für Lionel«, sagte einer der beiden Moderatoren auf der Bühne auf Englisch mit dem typisch europäischen Akzent, der den Weltfußball prägt. »Könnten Sie bitte tauschen?«

Selbst Ronaldo, dem selten etwas peinlich war, fand das Ganze für einen kurzen Moment ziemlich unangenehm. Er hatte nämlich gerade festgestellt, dass es etwas gab, das noch schlimmer war, als bei diesem Event aufzutauchen und zu verlieren: bei diesem Event aufzutauchen und seine Trophäe an Messi abgeben zu müssen. Während sie also die Auszeichnungen für Platz zwei und drei tauschten, wünschte sich Ronaldo, der Boden des Opernhauses würde sich auftun und ihn verschlingen. Doch stattdessen musste er noch einen letzten Schlag unter die Gürtellinie hinnehmen: »Ihr habt es wirklich versucht«, verkündete einer der Moderatoren der kichernden Menge, »aber ihr habt es nicht geschafft.«

Was Ronaldo ebenfalls nicht schaffte, war sich ein Lächeln abzuringen. Er und Messi mussten bis zum Ende der Show auf der Bühne stehen bleiben, als ein Orchester sie zu den Klängen von »The Impossible Dream« aus dem Musical Der Mann von La Mancha verabschiedete. Sie waren nicht wegen irgendwelcher Broadway-Schlager ins Opernhaus gekommen. Und sie waren ganz bestimmt nicht angereist, um nicht zu gewinnen.

Wie sich allerdings herausstellen sollte, erledigte sich dieses Problem bald von selbst. Als das nächste Mal jemand Weltfußballer des Jahres wurde, der nicht Ronaldo oder Messi hieß, schrieb man bereits das Jahr 2018. Egal, was Kaká über siegreiche Teams zu sagen hatte: Dies war die wichtigste Auszeichnung für individuelle Leistungen im beliebtesten Mannschaftssport der Welt – und die, die Messi und Ronaldo am meisten am Herzen lag.

Nur in dieser Arena konnten sie sich unabhängig von ihren Teamkameraden oder irgendwelchen Begleitumständen direkt miteinander messen.

Hier konnte die Welt live sehen, wer der Größte war. Zehn Jahre, eine ganze Fußball-Ära lang, erhielt jedes Jahr einer der beiden die höchste Einzelauszeichnung ihres Sports. Zehn Jahre, die geprägt waren von ihren Duellen, von den atemberaubenden Summen, die sie verdienten, und von den Trümmern, die sie hinterließen.

Teil IZwei Genies

EinsDamals auf Madeira

Es war fast ein Uhr nachts, und Cristiano Ronaldo entspannte sich in der kühlen Umkleidekabine von Sporting Lissabon, als sei nichts gewesen. Draußen, in der Hitze des Sommers 2003, waren die Fans immer noch ganz aus dem Häuschen von dem, was sie da gerade erlebt hatten. Ihr Team hatte mit einem 3:1-Sieg gegen Manchester United sein neues Stadion eingeweiht, und ganz besonders ein Spieler hatte alle beeindruckt: ausgerechnet der Jüngste im Team.

Auch Ronaldos Teamkameraden konnten es immer noch nicht glauben, als sie sich das Tape von den Knöcheln rissen und versuchten, die letzten zwei Stunden zu verarbeiten. Was war denn bloß mit Cristiano los?

Der 17-Jährige mit den blondierten Strähnen und den Pickeln im Gesicht hatte schon seit Tagen Signale ausgesendet, die hatten erahnen lassen, dass Großes bevorstand. Beim Training war es keinem verborgen geblieben. Ronaldo hatte mehr Gel denn je im Haar gehabt und vor Intensität geglüht. Seit ihm der Teammanager Fernando Santos eröffnet hatte, dass er bei der großen Galavorstellung gegen Manchester United dabei sein würde, war er wie im Tunnel gewesen. »Cristiano musste gar nicht aussprechen, was er vorhatte«, erzählt João Pinto, der zwei von Sportings drei Toren an diesem Abend erzielte. »Was er fühlte und was er wollte, stand ihm ins Gesicht geschrieben.«

Und was er wollte, war vor allem eines: Manchester United beeindrucken.

Ein Stück den Korridor hinunter, in der engen Umkleidekabine der Gäste, herrschte währenddessen das reinste Chaos. Die Spieler von United hatten Sonnenbrand, litten unter Jetlag und versuchten ebenfalls, die vergangenen zwei Stunden zu verarbeiten. Sie hätten kaum sagen können, wie spät es war oder wo genau sie sich eigentlich befanden, seit sie ihr Trainingslager in den USA beendet hatten und an jenem Morgen um vier Uhr früh in Portugal gelandet waren. Im Grunde wussten sie nur eines: Gerade eben hatte sie jemand aufs Kreuz gelegt, der aussah wie ein pubertierender Bengel.

Jedes Mal, wenn Ronaldo den Ball bekommen hatte, war elektrischer Strom durch seine Füße geflossen. Er war den Flügel auf und ab gerannt und hatte die Verteidiger mit so viel Tempo und Geschick umspielt, dass Uniteds Trainer Alex Ferguson später erzählte, sein Verteidiger John O’Shea sei in der Halbzeit mit Migräne in die Kabine gekommen. Der kämpferische Mittelfeldspieler Roy Keane war weniger nachsichtig: O’Shea, meinte er, habe wie ein »verdammter Clown« gespielt. »Es war ja nicht so, dass er bloß an ihm vorbeigezogen wäre«, staunte Verteidiger Phil Neville. »Es waren die Sprünge, die Tricks und das Selbstvertrauen dieses Jungen. Die haben mich mehr beeindruckt als alles andere … Er wirkte so stolz, nach dem Motto: ›Das hier ist mein Stadion.‹«

Die Spieler von United wären zu diesem Freundschaftsspiel am liebsten gar nicht erst angereist, doch jetzt, wo sie gerade von einem Halbwüchsigen blamiert worden waren, wünschten sie sich erst recht, sie wären überhaupt nicht hergekommen. Dass sie nach Portugal geflogen waren, war eine reine Gefälligkeit. United und Sporting hatten Jahre zuvor eine entsprechende Absichtserklärung unterzeichnet, um die Zusammenarbeit zwischen den Vereinen zu stärken. In Wirklichkeit ging es dem englischen Spitzenclub dabei darum, die Spieler der portugiesischen Jugendkader im Auge zu behalten. Als Sporting also bei United angefragt hatte, ob sie das neue Estádio José Alvalade XXI am Eröffnungsabend mit ihrer Anwesenheit beehren wollten, war es nur logisch, dass der britische Club dem Wunsch nachgekommen war. Die ganze Angelegenheit war für Sporting vor allem eine Möglichkeit, sich selbst zu feiern – in der Halbzeit wechselte das Team sogar die Outfits und tauschte die traditionellen grün-weißen Heim- gegen die goldfarbenen Auswärtstrikots. Die Spieler von United bekamen das kaum mit. Sie hatten ohnehin wenig Ahnung, wer ihre Gegner waren.

Eine Dreiviertelstunde später war ihnen zumindest einer von ihnen aufgefallen. Die älteren Spieler bedrängten Ferguson schon während der Halbzeitpause und versuchten ihn zu überreden, den Knaben, der ihnen an diesem Abend das Leben so schwer machte, unter Vertrag zu nehmen: »Den brauchen wir im Team, Boss!« Sie ahnten nicht, dass das längst in Arbeit war und drüben in der anderen Umkleide alle über Ronaldos nahe Zukunft im Bilde waren. »Am Ende des Spiels«, so Pinto, »war uns bereits klar, dass er höchstwahrscheinlich nach Manchester gehen würde. Wir haben über nichts anderes gesprochen.«

Außerhalb der Umkleidekabine von Sporting wussten nur drei weitere Männer im Stadion konkret, was an diesem Abend noch geschehen würde: Alex Ferguson, ein Agent namens Jorge Mendes und Cristiano selbst. Allerdings hatte in ganz Europa jeder, der sich mit solchen Dingen beschäftigte, zumindest eine Vorahnung.

Die verblüfften Spieler von United mochten die ersten außerhalb Portugals gewesen sein, die am eigenen Leib zu spüren bekamen, wozu er fähig war, aber sie zählten zugleich zu den letzten, die seinen Namen erfuhren.

Denn im Sommer des Jahres 2003 war Cristiano Ronaldo eigentlich schon kein Geheimtipp mehr.

Cristiano Ronaldos Herkunftsgeschichte ist das fußballerische Äquivalent zu der von Peter Parker, der zu Spiderman mutiert, nachdem er von einer radioaktiven Spinne gebissen wird. Heute, viele Jahre später, glaubt jeder die Geschichte des unbekannten Jungen zu kennen, der Manchester United bezwang und sich damit den Wechsel zum berühmtesten Verein der Welt verdiente.

In Wirklichkeit hatte Ronaldo seine »Superkräfte« natürlich nicht über Nacht entwickelt – sie waren das Ergebnis jahrelanger harter Arbeit. In Portugal verglich man ihn bereits mit einigen der größten Fußballer aller Zeiten. Die Nachwuchsspieler im Leistungszentrum von Sporting Lissabon hatten ihm den Spitznamen »Kluivert« verpasst, weil seine schlaksige Statur und seine technischen Fähigkeiten sie an den berühmten Stürmer aus den Niederlanden erinnerten. Der Trainer des FC Porto verglich ihn mit einem anderen niederländischen Torjäger: »Als ich ihn das erste Mal spielen sah, sagte ich zu meinem Assistenten: ›Das ist der Sohn von van Basten‹«, erinnert sich José Mourinho. »Damals kannte ich nicht einmal seinen richtigen Namen.«

Ronaldos Ruf eilte ihm schließlich so sehr voraus, dass er sogar einen ehemaligen Angestellten einer Videothek erreichte, der gerade dabei war, sich in der Fußballwelt als Spieleragent einen Namen zu machen: Jorge Mendes. Bald schon war Cristiano Ronaldo sein wichtigster Kunde.

Mendes war zu Beginn der 2000er-Jahre noch relativ neu im Geschäft, doch er hatte bereits begriffen, wie der Hase lief. Anstatt darauf zu warten, dass an Transfers interessierte Vereine mit einem Angebot auf ihn zukamen, tat er sich mit den Verkäufern zusammen und schuf die Märkte kurzerhand selbst. Ende 2002 informierte er den Sportdirektor von Sporting Lissabon, Carlos Freitas, dass Cristiano Ronaldo seinen Vertrag, der noch ganze 18 Monate lief, nicht verlängern würde. Es war an der Zeit, andere Vereine darauf aufmerksam zu machen, dass Ronaldo bald verfügbar war.

Mendes hatte den richtigen Zeitpunkt erwischt. Er wusste, dass die meisten europäischen Spitzenklubs seinen Klienten bereits auf dem Schirm hatten, darunter mehrere Clubs der finanzstarken Premier League. Die britischen Fußballvereine – allen voran Manchester United – ritten seit kurzem auf einer regelrechten Welle von Fernseh- und Werbeeinnahmen und waren auf dem besten Wege, die mächtigsten von ganz Europa zu werden und somit die mehr als zehn Jahre währende Vorherrschaft der Italiener zu beenden. Arsenal hatte Ronaldo schon zum Training in den Norden Londons geholt, und der Vizepräsident des Vereins, David Dein, flog persönlich nach Portugal, um ein Angebot abzugeben. Newcastle United, das sich bereits im Jahr zuvor bei Sporting erfolgreich um einen Spieler namens Hugo Viana bemüht hatte, mischte ebenfalls mit. Und auch Liverpool hatte Ronaldo auf dem Radar und machte ein Angebot, obwohl man sich dort insgeheim Sorgen darüber machte, wie die Fans es aufnehmen würden, wenn der Verein, der eigentlich auf der Jagd nach Trophäen sein sollte, schon wieder »nur« ein vielversprechendes junges Talent unter Vertrag nahm. Sogar Everton, der zweitbekannteste Verein Liverpools, wusste von Ronaldo. Der Club hätte ihn 2002 für 2 Millionen Pfund kaufen können, entschied sich dann aber doch dafür, an einem anderen renitenten Teenager festzuhalten, den man bereits unter Vertrag hatte: Wayne Rooney.

Zu einem Zeitpunkt heckten Mendes und Sporting einen Deal aus, um Ronaldo nach Italien zu schicken, zu Juventus Turin. Der Transfer scheiterte daran, dass sich der chilenische Stürmer Marcelo Salas weigerte, im Gegenzug zu Sporting zu wechseln, sagt Freitas. Das gleiche Problem trat auf, als Sporting Ronaldo dem französischen Verein Olympique Lyonnais anbot – dessen Stürmer Tony Vairelles hatte auch kein Interesse an einem Wechsel nach Portugal. Mendes führte in Lissabon außerdem Gespräche mit dem Geschäftsführer von Real Madrid, Ramón Martínez, jedoch ebenfalls ohne Erfolg.

Das lukrativste Angebot kam vom italienischen Verein Parma, der Sporting einen einstelligen Millionenbetrag bot und den Deal zusätzlich mit 4 Millionen Euro für Mendes plus 4 Millionen für Cristiano persönlich versüßen wollte.

Aber letztlich ging es gar nicht ums Geld. Zumindest noch nicht. Für Dinge wie ein großes Haus, eine mit 400 Diamanten besetzte Uhr von Jacob & Co., einen Bugatti, noch einen Bugatti und eine maßgefertigte Kryotherapie-Eiskammer war später noch genug Zeit.

Mendes wusste, was Ronaldo brauchte, und das war viel schwieriger zu bekommen als Geld. Er brauchte Zeit.

Jede freie Minute mit Fußballspielen zu verbringen – das war so ziemlich das Einzige, was Cristiano Ronaldo dos Santos Aveiro wollte, seit er laufen gelernt hatte.

Ronaldo wuchs auf Madeira auf, einem zerklüfteten vulkanischen Felsen mitten im Atlantik. Mit drei Jahren bekam er zu Weihnachten einen Fußball geschenkt, und in den restlichen neun Jahren, die er auf der Insel lebte, sah man ihn so gut wie nie ohne.

Er nahm seinen Ball überallhin mit – ins Klassenzimmer und, wenn er die Schule schwänzte, in die enge Gasse hinter der Wohnung seiner Familie, wo er mit größeren Kindern Fußball spielte. Er nahm ihn mit in die Kirche, an den Esstisch und sogar ins Bett, in dem winzigen Zimmer, das er sich mit seinem älteren Bruder und seinen beiden Schwestern teilte.

All das ist für fußballbegeisterte Kinder auf der ganzen Welt völlig normal und gehört zur Herkunftsgeschichte quasi jedes Fußballers, der berühmt geworden ist – bis auf die Tatsache, dass wir uns im Falle von Ronaldo wie erwähnt auf einem zerklüfteten vulkanischen Felsen mitten im Atlantik befinden. Madeira liegt 950 Kilometer von der Küste Portugals entfernt und näher an Afrika als an Europa. Die Insel hat viele Vorzüge, wie ein gemäßigtes Klima, eine exotische Flora und einen charmanten Hafen, wo Margaret Thatcher einst ihre Flitterwochen verbrachte. Aber die Straßen dort sind komplett irre – steil, kurvig, uneben, und viele liegen am Rand von Klippen. Auf diesen gewundenen, tückischen Straßen hat Cristiano Ronaldo das Dribbeln gelernt. Wenn wir von seiner Kindheit und frühen Jugend etwas lernen können, dann wohl dies: Nichts zwingt einen so sehr dazu, die Grundlagen der Ballkontrolle zu beherrschen, wie das Wissen, dass man das Leder nach einer allzu kräftigen Flanke drei Kilometer weit einen Abhang hinunterschicken kann.

Mit sechs Jahren ging Ronaldo bereits so gekonnt mit dem Ball um, dass abends hinter dem Haus der Familie Erwachsene vorbeikamen, um ihm bei seinen Tricks zuzusehen. »Der Ball berührte nie den Boden«, berichtet ein Nachbar, der auf der anderen Straßenseite wohnte. »Es war, als wäre er an seinem Fuß befestigt.«

Als er im Alter von sieben Jahren dem örtlichen Fußballverein CF Andorinha beitrat, kamen die anderen Kinder schnell zu demselben Schluss. Es ist nicht so, dass es besonders schwer war, in dem winzigen, halbprofessionellen Verein für Aufsehen zu sorgen. In den Höhen Madeiras und in den Tiefen der fünften Liga Portugals angesiedelt, bestand Andorinha aus kaum mehr als einem baufälligen Vereinsheim, zwei kleinen, mit Löchern übersäten Fußballfeldern und einem Kaffeestand. Dass der berühmteste Fußballspieler der portugiesischen Geschichte seine Karriere bei einem Verein begann, der so unbekannt war, dass selbst die meisten Bewohner Madeiras noch nie von ihm gehört hatten, liegt daran, dass Ronaldos Vater, Dinis Aveiro, dort der Zeugwart war.

Mit Cristiano Ronaldo an Bord sollte sich das bald ändern. Es dauerte nicht lange, bis auch die anderen Vereine der Insel auf sein Talent aufmerksam wurden. 1993 tat der CS Marítimo den ersten formellen Schritt und bot 50.000 Escudos (umgerechnet etwa 250 Euro), um Ronaldo in seine Jugendmannschaft aufzunehmen. Das war mehr, als die meisten Menschen auf Madeira pro Monat verdienten – eine absurde Summe für einen Achtjährigen. Dennoch lehnte Andorinha sofort ab. Die Verantwortlichen dort wussten, was für ein seltenes Talent sie in ihrem Verein hatten. Wenn sie Ronaldo gehen ließen, dann höchstens gegen ein wirklich sensationelles Angebot, eines, das noch eher seinem immensen Potenzial entsprach. Im Jahr darauf unterbreitete Marítimos Hauptkonkurrent Andorinha ein Angebot, das für den Verein und insbesondere für seinen leidgeprüften Zeugwart Dinis Aveiro viel wertvoller war: Im Sommer 1994 wechselte Ronaldo zu Nacional Funchal, und im Gegenzug erhielt der CF Andorinha zwei Saisons lang neue Trikots und eine komplette Trainingsausrüstung.

Für Ronaldo war der Wechsel zu Nacional ein großer Schritt nach vorn. Die Einrichtungen waren besser, die Trainer waren besser, die anderen Spieler waren besser. Aber das Ergebnis war genau das gleiche. Die Spiele und Trainingseinheiten bestanden zumeist daraus, dass Ronaldo mit dem Ball herumlief und niemand es schaffte, ihn ihm abzunehmen. Das lag zum einen an seinen überragenden Fähigkeiten und zum anderen an seiner neuen Angewohnheit, sich tief in die eigene Hälfte fallen zu lassen, sich den Ball zu schnappen und zu versuchen, an allen gegnerischen Spielern vorbeizudribbeln, um dann aufs Tor zu schießen. Es war ein berauschender Anblick, der Ronaldos Gegner in den Wahnsinn trieb – Ronaldos Mannschaftskameraden allerdings auch. Egal wie viele gegnerische Spieler ihn umzingelten, er gab nie den Ball ab. »Sie riefen immer: ›Gib ab, gib ab!‹, aber ich sah keinen, zu dem ich hätte passen können«, so Ronaldo. »Ich sah immer nur den Ball.«

Es war nicht nur praktisch unmöglich, Ronaldo den Ball abzunehmen, es war auch wenig ratsam: In den seltenen Fällen, wenn er den Ball verlor, und in den noch viel selteneren Fällen, wenn er ein ganzes Spiel verlor, brach er unweigerlich in Tränen aus, und oft war er noch Stunden später am Schluchzen. »Manchmal weinte er sogar, wenn seine Mannschaft ein Spiel gewann, nämlich dann, wenn er glaubte, dass er nicht gut gespielt hatte«, erzählt Pedro Talhinas, der Jugendtrainer von Nacional. »Mit Misserfolgen konnte er gar nicht umgehen.«

Glücklicherweise gehörten Misserfolge bei Cristiano Ronaldo nicht gerade zur Tagesordnung. Innerhalb eines Jahres nach seinem Wechsel führte er Nacional zur regionalen Meisterschaft, was für alle im Verein ein Grund zum Feiern war – für alle außer die Trainer: Sie hatten sich bereits damit abgefunden, dass Ronaldo bald weiterziehen würde. Der Junge, der einst zu Weihnachten seinen ersten Fußball geschenkt bekommen hatte, besaß eindeutig eine ganz besondere Gabe.

»Wir wussten, dass er nicht bei uns bleiben würde«, so Talhinas. »Ein Spieler wie er bleibt nicht lange auf Madeira.«

Jeder portugiesische Junge, der jemals davon geträumt hat, Profifußballer zu werden (und das Zeug dazu hat), landet unweigerlich bei einem der drei wichtigsten Vereine des Landes: bei Benfica Lissabon, beim FC Porto oder bei Sporting Lissabon. Bis auf zwei Ausnahmen haben Os Três Grandes, »die Großen Drei«, in der 88-jährigen Geschichte des portugiesischen Profifußballs sämtliche Meisterschaften gewonnen.

Doch die vielen Titel sind bloß ein Teil der Geschichte. Denn die Großen Drei hatten nicht nur die portugiesische Liga fest im Griff, sondern auch die besten jungen Talente des Landes. Fast jeder bedeutende portugiesische Spieler der letzten vierzig Jahre ist in einem ihrer Juniorenkader groß geworden, und der Wettbewerb um die besten Nachwuchsspieler ist dort so hart wie nirgendwo sonst auf der Welt. Das liegt daran, dass die Suche nach Talenten dort zu gleichen Teilen eine sportliche und eine wirtschaftliche Priorität ist. In Portugal, wo die Fernseh- und Sponsorengelder deutlich niedriger sind als in den anderen europäischen Top-Ligen, können sich selbst Vereine wie Porto und Benfica oft nicht die astronomischen Ablösesummen und Gehälter leisten, mit denen man die besten Spieler aus dem Ausland anlockt. Die Kader bestehen größtenteils aus einheimischen Spielern, die bereits im Alter von neun Jahren rekrutiert, in Wohnheimen untergebracht und sorgfältig zu Profifußballern herangezogen werden. Mit 17 Jahren werden alle, die gut genug sind, in die erste Mannschaft aufgenommen, und denen, die es nicht schaffen, wird nahegelegt, bei einem der anderen 15 Vereine der Primeira Liga zu unterschreiben. Das erklärt auch, warum Jahr für Jahr praktisch immer einer der Três Grandes portugiesischer Meister wird.

Dieser intensive Fokus auf die Jugendförderung hat dazu geführt, dass Fußballer neben Sardinen in bunten Konservendosen zu Portugals beliebtestem Exportgut geworden sind. Wenn die reichsten Vereine Europas auf der Suche nach dem nächsten großen Talent sind, schauen sie sich immer zuerst in Portugal um, und dort in den Kadern der drei wichtigsten Vereine. Für junge portugiesische Spieler sind die Großen Drei daher nicht nur die beste Chance auf Ruhm in der Primeira Liga. Sie sind auch das Tor zu den europäischen Top-Ligen und zu dem Ruhm und Reichtum, der ihnen dort winkt.

Insofern war es logisch, dass Cristiano Ronaldo irgendwann bei einem der Großen Drei landen würde. Die Frage war nur, welcher von ihnen ihn als Erster finden würde.

Ein altgedienter Scout namens Aurélio Pereira war damals bereits an ihm dran. Fast sein ganzes Leben lang hatte er es sich zur Aufgabe gemacht, für Sporting durch Portugal zu reisen und die vielversprechendsten Spieler des Landes zu verpflichten. Im Frühjahr 1997 war diese Mission bemerkenswert erfolgreich verlaufen. Obwohl Sporting seit einer Weile hinter seinen beiden direkten Konkurrenten zurückgeblieben war und den Meistertitel seit 15 Jahren nicht mehr gewonnen hatte, hatte der Verein damals die talentiertesten Nachwuchstalente in seinem Kader.

Das war fast ausschließlich das Verdienst von Pereira, einem ruhigen, wachsamen Mann mit dicken Augenbrauen, einem dicken Schnurrbart und langsam dünner werdendem Haar. Als Jugendtrainer von Sporting Lissabon hatte Pereira persönlich einige der begabtesten Spieler rekrutiert, die Portugal je hervorgebracht hat. Unter ihm kamen sowohl Paulo Futre als auch Luís Figo zum Verein und entwickelten sich zu Weltklassespielern. Mehr als ein Dutzend Jungs holte Pereira in den Club, die später zu wichtigen Stützen der portugiesischen Nationalmannschaft wurden, darunter Jorge Cadete, Luís Boa Morte und Simão Sabrosa. Als Portugal 1991 zum zweiten Mal in Folge die Junioren-Fußballweltmeisterschaft gewann, bestand die Mannschaft größtenteils aus Spielern von Sporting, darunter Emílio Peixe, der zum besten Spieler des Turniers gewählt wurde. Pereira hatte ihn entdeckt, als Peixe neun Jahre alt war.

Es war eine Gabe, die Pereira schon immer besessen hatte, bereits als 14-jähriger Hoffnungsträger in Sportings Jugendmannschaft. Der Erste, der damals erkannte, dass Aurélio Pereira es als Spieler nicht in die erste Liga schaffen würde, war er selbst. Doch selbst so viele Jahre später fällt es ihm heute immer noch schwer zu erklären, wie es ihm regelmäßig gelang, einem wilden Haufen dürrer Jugendlicher dabei zuzusehen, wie sie einem Ball nachjagten, und sofort zu erkennen, welcher von ihnen der Diamant war. Oft waren es winzige Details, die anderen Scouts gar nicht auffielen – die Art und Weise, wie ein Junge seinen Körper verdrehte, wenn er einen Pass annahm, oder wie er sich auf dem Feld bewegte. Pereira sagt, allein an der Art und Weise, wie der zwölfjährige Figo seine Schnürsenkel band, habe er erkennen können, dass er einmal einer der ganz Großen werden würde.

Selbst in einem Land mit mehr als 100.000 registrierten Jugendspielern war sich Pereira sicher, dass er die besten von ihnen identifizieren konnte. Die Herausforderung bestand vor allem darin, zusammen mit dem einen Mitarbeiter, der ihm 1987 als Leiter der neu gegründeten Jugendabteilung von Sporting zugewiesen wurde, genug Spieler zu sichten. Also griff Pereira zu einer Maßnahme, die Topmanager lieben, wenn sie ein allzu hohes Arbeitspensum mit mangelnden Ressourcen bewältigen sollen: Outsourcing.

Kurz nach seinem Amtsantritt schrieb Pereira alle 90.000 Mitglieder, genannt socios, von Sporting an und bat sie, die besten Nachwuchsspieler in ihrer Region zu empfehlen. Die Bitte erwies sich als Volltreffer. Er machte sich die tiefe Überzeugung aller Fußballfans zunutze, dass sie einen guten Riecher für neue Talente haben. Innerhalb weniger Tage trudelten die ersten Antworten ein. Nach ein paar Wochen begannen Pereira und sein vollkommen überlasteter Assistent, die Tipps zu sammeln und nach Alter und Wohnort zu sortieren. Und binnen weniger Monate hatte Pereira die umfassendste Datenbank junger Talente zusammengestellt, die der portugiesische Fußball je gesehen hatte.

Was als improvisierte Notlösung begonnen hatte, entwickelte sich schnell zu einer unschätzbaren Ressource.

Im Laufe der nächsten zehn Jahre baute Pereira mithilfe seines Netzwerks von Möchtegern-Scouts neue Rekrutierungskanäle auf, die sich über das ganze Land erstreckten. Die socios nannten Pereira die besten Spieler ihrer Region, und die besten von ihnen brachte er zu Sporting. Keine Empfehlung war zu obskur, kein Ort zu abgelegen. Einmal fuhr er fünfhundert Kilometer weit in das Bergstädtchen Bragança an der nordöstlichen Grenze zu Spanien, nur um sich dort einen jungen Spieler anzuschauen. Pereira benötigte ganze drei Minuten, um einzuschätzen, ob der Knabe es schaffen würde, dann hatte er genug gesehen, stieg sofort wieder in sein Auto und fuhr die fünfhundert Kilometer zurück nach Hause.

Daher dachte sich Aurélio Pereira auch nichts weiter dabei, als ihn an einem kalten Februarnachmittag jemand anrief, der behauptete, er habe einen heißen Tipp für ihn. Es handelte sich um João Marques de Freitas, der schon sein ganzes Leben lang Fan von Sporting Lissabon war, obwohl er 950 Kilometer entfernt auf der Insel Madeira lebte.

»Mestre Aurélio, ich habe da etwas für Sie«, sagte de Freitas. »Es gibt hier einen Jungen, der angeblich sehr talentiert ist.«

Auch wenn Pereira jede Woche Dutzende solcher Tipps bekam, nahm er jeden einzelnen Hinweis ernst. Die Jugendakademie von Sporting war in den letzten zehn Jahren sehr erfolgreich, aber auch sehr teuer geworden. Die besten Nachwuchsspieler brauchten die beste Ausstattung, und die Spielfelder und Trainingseinrichtungen in Schuss zu halten kostete die Akademie inzwischen jede Saison umgerechnet fast eine Million Euro. Pereira wusste, dass er es sich nicht leisten konnte, einen Hinweis auf ein mögliches Talent zu ignorieren. Und wenn der Junge wirklich so gut war, würden ihn über kurz oder lang auch die Scouts von Benfica und Porto auf dem Schirm haben, selbst wenn er so weit weg wohnte wie auf Madeira.

»Wie alt ist er denn?«, fragte Pereira und hatte bereits den neuen Eintrag in seiner Datenbank vor Augen.

»Er ist elf.«

Pereira verzog den Mund. »Das ist aber sehr jung.«

»Und er ist klein«, fügte de Freitas hinzu, »richtig schmächtig.«

Pereira war egal, wie groß der Knabe war. Kleiner war manchmal sogar besser. In dem Alter fielen manche größere Jungen beim Fußball allein wegen ihrer körperlichen Überlegenheit auf. Pereira rekrutierte lieber die schmächtigen, die körperlich noch nicht so weit waren. Wenn sie sich erst einmal entwickelten, kamen ihre Fähigkeiten umso besser zum Tragen. Viel wichtiger war die Frage, woher der Junge kam. Pereira hatte gegenüber Jungen aus Madeira so seine Vorbehalte. Er hatte das schon allzu oft erlebt: Die Umstellung war so groß, dass sie Heimweh bekamen, und die große Entfernung machte alles noch komplizierter. Beim ersten Anzeichen von Schwierigkeiten liefen sie davon, zurück auf ihre Insel im Atlantik.

»Er ist bei Nacional«, fuhr de Freitas fort. »Die Trainer meinen, er sei sehr gut.«

Pereira wurde hellhörig. Nacional war ein interessanter Fall. Der Verein aus Madeira schuldete Sporting rund 20.000 Euro, nachdem sie vor kurzem einen Verteidiger namens Franco verpflichtet hatten, einen jungen Mann, den Pereira fast zehn Jahre zuvor als Teenager angeworben hatte. Er dachte nach. Wenn der Junge so gut war, wie sie sagten, könnte man sich vielleicht unter der Hand einigen.

Ein wenig widerstrebend willigte Pereira also ein und sagte de Freitas, er werde einen seiner Scouts vorbeischicken, um sich den Jungen anzuschauen. Wenn er vielversprechend sei, werde er ihn zu einem kleinen Probetraining nach Lissabon holen. Und wenn die Dinge so liefen, wie er es erwartete, werde Cristiano Ronaldo schon nach ein, zwei Tagen wieder daheim auf Madeira sein. Für Sporting würden so außer für das Flugticket keine Kosten entstehen.

Aurélio Pereira brauchte nicht lange, um festzustellen, was in Cristiano Ronaldo steckte – und dieses Mal hatte es nichts damit zu tun, wie er sich die Schnürsenkel band.

Am zweiten Tag des Probetrainings begab sich Pereira von seinem Büro aus zum Trainingsgelände neben dem Estádio José Alvalade XXI, um sich den Jungen persönlich anzuschauen. Ronaldos technische Fähigkeiten waren unübersehbar. Er konnte beidfüßig mit dem Ball umgehen und war ein geborener Sportler. Pereira fiel auf, wie schnell er sich bewegte, wenn er in Ballbesitz war, als wäre der Fußball nur die Verlängerung seines Körpers. Doch er kontrollierte nicht nur den Ball, sondern vor allem die anderen Kinder: Cristiano Ronaldo gab ihnen Anweisungen, wohin sie laufen und wohin sie den Ball passen sollten (meistens direkt zurück zu ihm). Er trainiert während des Spiels seine Mitspieler, ging es Pereira durch den Kopf. Der Junge war völlig furchtlos und ließ sich von nichts und niemandem aus der Ruhe bringen, ganz anders als die schüchternen, introvertierten Inselkinder von Madeira, die er bis dato erlebt hatte.

Pereira sagte immer, es gäbe drei Arten von Fußballern: gute Fußballer, herausragende Fußballer und pures Talent. Mit dem richtigen Training und der richtigen Einstellung könne aus einem guten ein herausragender Fußballer werden. Pures Talent jedoch lasse sich nicht durch Training erreichen, und sei jemand noch so gut. Dazu seien eine gewisse Charakterstärke nötig und ein angeborenes Selbstvertrauen. Charisma. Wenn Pereira Ronaldo beobachtete, kam es ihm vor, als bewundere er schon heute ein Idol von morgen. Ein paar Jungs, die gerade von Cristiano Ronaldo nach Strich und Faden ausgedribbelt worden waren, bettelten ihren Trainer an, ihn zu verpflichten. Und das nicht zum letzten Mal. »Die älteren Kinder spürten, dass er etwas hatte«, erinnert sich Pereira, »dass er anders war, außergewöhnlich.«

Noch am selben Abend verfasste er eine Notiz an den Vorstand von Sporting und riet dringend, Ronaldo an Bord zu holen, selbst wenn sie dafür auf das Geld verzichten müssten, das Nacional Funchal ihnen noch schuldete. Er wusste, dass dies eine ungewöhnliche Bitte war. Sporting Lissabon war es nicht gewohnt, Ablösesummen für Knirpse zu zahlen, die gerade erst die Grundschule hinter sich hatten, geschweige denn fünfstellige Ablösesummen. Aber Pereira war hartnäckig. »Es mag absurd erscheinen, so viel für einen Zwölfjährigen zu bezahlen«, schrieb Pereira, »aber er hat enormes Talent. Es wäre eine großartige Investition für die Zukunft.«

Zwei Tage später erhielt Pereira die Mitteilung, dass der Deal genehmigt war. Dennoch sagte der Finanzvorstand des Vereins zu ihm, er sei ja wohl verrückt geworden.

In Gedanken war Cristiano Ronaldo bereits auf dem besten Wege, das Leben eines Fußballprofis zu führen. Bei Sporting erinnerte man ihn dann unsanft daran, dass er erst zwölf war.

Als Anwärter der Akademie wurde von ihm erwartet, dass er jeden Morgen am Unterricht teilnahm, und er durfte seine Schularbeiten nicht schleifen lassen. Wer zu schlechte Noten hatte, blieb sitzen und musste das Schuljahr wiederholen. Von den jungen Leuten wurde jederzeit ein respektvoller und höflicher Umgang erwartet. Leider stellte man bei Sporting fest, dass es fast genauso schwierig war, Cristiano Ronaldo Manieren beizubringen, wie ihm im Zweikampf den Ball abzunehmen.

Lissabon war eine große Umstellung für ihn. Er war knapp tausend Kilometer von zu Hause entfernt, aber für ihn fühlte es sich an wie ein fremder Planet. Die anderen Jungs hänselten ihn gnadenlos wegen seines starken madeirischen Dialekts, und auf dem Schulhof prügelte er sich ständig. Als Ronaldo den Eindruck hatte, eine Lehrerin mache sich über seine Art zu reden lustig, warf er einen Stuhl nach ihr.

Er war einsam und hatte Heimweh. Monatelang weinte er jeden Tag. Schlechte Noten und unentschuldigte Fehlzeiten häuften sich, und der Vorstand von Sporting drohte, ihn nach Hause zu schicken, falls sich sein Verhalten nicht bessern sollte. Ronaldo dachte selbst immer wieder daran, alles abzubrechen. Diese Situation zog sich fast ein Jahr lang hin, bis sich das Problem schließlich so erledigte, wie es Probleme im Falle von begabten Sportlern schon immer taten: Verein und Spieler einigten sich, und Ronaldo wurde stillschweigend erlaubt, mit der Schule aufzuhören. »Ich hatte immer das Gefühl, dass ich nicht für die Schule geschaffen bin«, erklärte Ronaldo später. »Was hätte ich tun sollen?«

Die Zeit, die er sonst mit Mathematik oder Chemie verbracht hätte, nutzte er nun, um an etwas zu arbeiten, für das er sich wirklich und aufrichtig interessierte: sich selbst.

Mit 14 Jahren war er immer noch dünn wie ein Torpfosten, und er wusste, dass jeder, der breiter und kräftiger war als er, ihn ganz leicht foulen konnte, um ihm den Ball abzunehmen. Außerdem waren so ziemlich alle anderen größer als er. Aber Ronaldo hatte in Biologie immerhin so viel aufgepasst, dass er wusste, wie sich sein Problem ganz einfach lösen ließ.

»Ich war dünn. Ich hatte keine Muskeln. Also traf ich eine Entscheidung«, schrieb Ronaldo später. »Ich wollte mich nicht mehr wie ein kleines Kind benehmen. Ich wollte trainieren, als könnte ich der Beste der Welt sein.«

Aber Sporting ließ ihn nicht. Die Jugendakademie des Vereins hatte strenge Grenzen für die Zeit, die junge Spieler trainieren durften. Das war eine der goldenen Regeln, die Aurélio Pereira selbst aufgestellt hatte: »Wir stecken keine Kinder ins Fitnessstudio«, sagte er. »Das ist eines der Geheimnisse, warum unsere Spieler so lange Karrieren haben: Wir setzen auf das natürliche Wachstum, das ist uns ganz wichtig.«

Allerdings hatte Ronaldo bereits 14 Jahre natürliches Wachstum hinter sich, und es hatte nicht den gewünschten Effekt gehabt. Also schlich er sich regelmäßig nachts aus dem Schlafsaal, um im Fitnessstudio zu trainieren. Als die Trainer von Sporting ihn erwischten, bekam er Hausarrest. Als er sich trotzdem weiterhin nachts rausschlich, schlossen sie jeden Abend den Fitnessraum ab. Doch Ronaldo ließ sich sein Workout nicht verbieten. Nach dem Training nahm er zwei Eimer mit in die Duschen, füllte sie mit Wasser und benutzte sie als Gewichte für Kniebeugen und Liegestütze. Als sie ihm auch die Eimer wegnahmen, schnallte er sich Gewichte an die Knöchel, ging in der Stadt zu einer Ampel und rannte mit den Autos um die Wette. Und als die Trainer ihm nach dem Training sogar die Fußbälle wegnahmen, damit er es nicht übertrieb, fand er in der Cafeteria eine Schüssel Obst und übte mit Orangen, den Ball hochzuhalten.

»Ständig wollte er mehr und mehr und mehr«, erzählt Carlos Bruno, der Fitnesstrainer von Sporting. »Die meisten Spieler beschweren sich, wenn ihnen das Training zu lange dauert. Cristiano war ein Typ, dem das Training gar nicht lange genug dauern konnte.«

Ronaldos Physis entwickelte sich so schließlich genau in die Richtung, die er sich erhofft hatte. Bald konnte er es auf dem Spielfeld auch körperlich mit allen anderen aufnehmen, und kein Gegner kicherte mehr über seine geringe Körpergröße. »Jetzt sahen sie mich an, als würde ich mit ihnen kurzen Prozess machen«, schrieb Ronaldo. Und meistens tat er das auch. Seine Fortschritte sorgten dafür, dass auch die Nationaltrainer auf ihn aufmerksam wurden, und Anfang 2001 debütierte er in der portugiesischen U-15-Nationalmannschaft und erzielte beim 2:1-Sieg gegen Südafrika direkt ein Tor. In jenem Jahr bestritt er noch elf weitere Spiele für sein Land und schoss dabei neun Tore. Ronaldo kehrte zu Sporting zurück und war überzeugt, dass er auf dem richtigen Weg war. Zu seinen Mannschaftskameraden sagte er: »Eines Tages werde ich der Beste der Welt sein.«

Zu diesem Schluss waren die Trainer des Jugendkaders schon Monate zuvor gekommen. Aurélio Pereira war sich dessen so sicher, dass er sogar den Vereinsvorstand informiert hatte. »Er sagte mir: ›Wir haben den besten 15-jährigen Fußballer der Welt‹«, erzählt Carlos Freitas, der ehemalige Sportdirektor von Sporting Lissabon. »Natürlich glaubte ich da noch, er sei vielleicht ein bisschen zu euphorisch.«

Im Sommer 2001 geriet Ronaldos rasanter Aufstieg dann auch tatsächlich ins Stocken. Das Team, das ihn schließlich ausbremste, waren die Physiologen der Abteilung für Humankinetik an der Technischen Universität Lissabon. Dort musste er sich den üblichen Tests unterziehen, die Sporting von allen U-18-Spielern verlangte, um sich zu vergewissern, dass sie für den Profifußball geeignet waren. Sie maßen Ronaldos Knochendichte, seine Wachstumsrate und seine körperliche Reife, und kamen am Ende zu dem Schluss, dass regelmäßiges Spielen gegen erwachsene Männer seine körperliche Entwicklung behindern könne. Die Physiologen empfahlen, Ronaldo noch ein Jahr in der Jugendmannschaft zu lassen, damit er die Chance hat, sich weiterhin auf natürliche Weise zu entwickeln.

Um der Natur ein wenig auf die Sprünge zu helfen, entwarf Sporting ein spezielles Kraft- und Koordinationstraining für Ronaldo, um ihn noch explosiver zu machen – anders als das planlose Krafttraining, das er heimlich alleine absolviert hatte. Der Trainer der Profis, László Bölöni, wollte ihn so kräftig, vielseitig und gefährlich wie möglich haben, bevor er ihn in die erste Mannschaft aufnahm. »Er würde sehr schnell auf sehr starke Verteidiger treffen, die versuchen würden, ihn bis Brasilien zu kicken«, so Bölöni. »Er verstand, dass es nicht nur auf die technischen Fähigkeiten ankommt, die die Portugiesen so lieben und auf die sie manchmal ein wenig zu viel Wert legen.«

Im Sommer 2002 konnten ihn die Schlauberger der Universität dann nicht mehr zurückhalten. Seine Zeit im Jugendkader war vorbei.

Dass Ronaldo trotzdem noch weiter an sich arbeiten musste, wurde schnell deutlich, als er im Sommer 2002 vor Beginn der nächsten Saison zur ersten Mannschaft von Sporting stieß. Bei seiner ersten Trainingseinheit war er so aufgeregt, dass er beim ersten Pass, der ihn erreichte, etwas tat, das vollkommen ungewöhnlich für ihn war: Er spielte den Ball direkt zurück. »Ich war supernervös, schließlich spielte ich neben einigen meiner Helden«, erinnerte sich Ronaldo später. Und als ob das nicht schon schlimm genug gewesen wäre, fühlte er sich in der Nähe von Starstürmer Mário Jardel besonders verlegen: Seit ein paar Wochen bandelte er nämlich mit dessen jüngerer Schwester an.

Bis zwischen Ronaldo und László Bölöni der Funke übersprang, dauerte es daher etwas länger. Bölöni, ein ruppiger Rumäne mit dicker Brille, war im Jahr zuvor zu Sporting gekommen und hatte den Verein gleich in seiner ersten Saison zum Doppelsieg von Meisterschaft und Pokal geführt. Jetzt wollte er die Champions League gewinnen, und er war alles andere als überzeugt, dass ein weiterer Grünschnabel aus der Akademie des alten Aurélio ihm helfen würde, dieses Ziel zu erreichen.

Ein paar Tage nach Beginn der Vorsaison war er noch skeptischer. Seine nervöse Angewohnheit, den Ball zu passen, sobald er ihn bekam, hatte Ronaldo zwar überwunden. Jetzt war das Problem jedoch, dass er den Ball wieder gar nicht mehr abspielte, wenn er ihn erst einmal hatte.

»Er hat kein taktisches Bewusstsein, weder als Einzel- noch als Mannschaftsspieler«, schrieb Bölöni in einem seiner ersten Trainerberichte über Ronaldo und klagte darüber, dass er sich zu sehr auf sein Dribbling verlasse und eine Vorliebe für Übersteiger habe. Bölöni beendete den Bericht mit einem einzigen Wort, das er zweimal unterstrich: »Egoist«.

Zu diesem Zeitpunkt sah es ganz so aus, als würde es noch eine Weile dauern, bis Cristiano Ronaldo in der ersten Mannschaft regelmäßig zum Einsatz kommen würde – im Gegensatz zu Hugo Viana und Ricardo Quaresma, zwei seiner Teamkameraden von der Jugendakademie, die im Jahr zuvor direkt von der A-Jugend in Bölönis Startformation aufgestiegen waren. Doch dann geschah in jenem Sommer etwas, das Ronaldo in die Karten spielte: Sportings Torjäger João Pinto boxte während Portugals WM-Niederlage gegen Südkorea einen Schiedsrichter in den Magen und wurde von der FIFA für vier Monate gesperrt. Und als Bölöni Sportdirektor Carlos Freitas fragte, wie viel er für einen Ersatzstürmer ausgeben könne, lautete die unmissverständliche Antwort: gar nichts. Der Verein war pleite.

Also machte sich Bölöni daran, seinen Ersatz-Ersatzmann Ronaldo in die Mannschaft einzubinden. Seine erste Maßnahme bestand darin, ihn von seiner Position als Mittelstürmer auf den Flügel zu versetzen, wo seine Steilpässe effektiver sein würden. Als Zweites befahl er ihm, seine Dribblings und Übersteiger zu reduzieren. Allerdings wusste er, dass er Ronaldo nicht dazu bringen würde, sie ganz zu unterlassen: »Ich musste ihm klarmachen, dass es in Ordnung ist, an einem oder zwei Spielern vorbeizudribbeln«, so Bölöni, »aber nicht an fünf.«

Es dauerte nicht lange, bis Ronaldo wieder das tat, was er am besten konnte: Tore schießen. Seinen ersten Treffer als Profi für Sporting erzielte er in einem Testspiel gegen Betis Sevilla. Damals war er noch so unbekannt, dass der Fernsehsender, der das Spiel übertrug, den Namen des Torschützen als »Custodio Ronaldo« einblendete. Bei seinem ersten Einsatz in der Primeira Liga, am 29. September 2002, schrieben sie seinen Namen dann aber richtig, als er eingewechselt wurde.

Acht Tage später stand Ronaldo zum ersten Mal in der Startelf und erzielte direkt zwei Tore. Das erste war ein spektakulärer Treffer nach ein paar Übersteigern.

Auf der Tribüne fiel seine Mutter Dolores Aveiro beinahe in Ohnmacht.

Nicht nur sie war von Ronaldos Leistung überwältigt, sondern auch Les Kershaw, der Chefscout von Manchester United. Er befand sich gerade in Lissabon, um sich Cristiano Ronaldo und dessen Teamkameraden Ricardo Quaresma anzuschauen, und war an jenem Tag ebenfalls im Stadion.

Manchester United beobachtete die beiden bereits seit zwei Jahren, aber in letzter Zeit war das Interesse der Briten noch einmal gestiegen. Schuld daran war vor allem Carlos Queiroz, ein ehemaliger Trainer von Sporting Lissabon, der in Mosambik geboren worden war, als das Land noch eine portugiesische Kolonie gewesen war, und im Sommer als Co-Trainer von Alex Ferguson bei Manchester United angeheuert hatte. In einem der ersten Gespräche, die Queiroz mit seinem neuen Boss führte, ging es um die besten Nachwuchsspieler Portugals und insbesondere um die beiden jungen Wunderkinder seines alten Vereins.

Queiroz sprach sich lautstark für Ronaldo und Quaresma aus. Als man ihn fragte, wen von beiden United unter Vertrag nehmen solle, musste er nicht lange überlegen: »Klarer Fall – beide!«

Auch Kershaw war überzeugt, dass beide genug Talent hatten, um es im Old Trafford zu schaffen. Doch was ihr Temperament anging, hatte er so seine Zweifel. Quaresma war technisch geradezu unverschämt geschickt, schien aber taktisch wenig diszipliniert und brachte seine Gegner ständig auf die Palme. Im Derby gegen Benfica dauerte es gerade einmal neun Minuten, bis er die Rote Karte kassierte, weil er einen Verteidiger getreten und ihm obendrein noch eine Kopfnuss verpasst hatte. Ronaldo war auf dem Spielfeld zwar disziplinierter, hatte aber die Angewohnheit, sich aus dem Spiel auszuklinken, wenn etwas nicht so lief, wie er es geplant hatte.

Je öfter Kershaw ihn im Laufe der Saison 2002/03 beobachtete, desto mehr schwanden jedoch seine Bedenken. Ronaldo bekam einen Stammplatz bei Sporting. Und in jenem Sommer wurde Kershaw Zeuge, wie der Junge das Turnier von Toulon dominierte und Portugal geradewegs zum Titel führte – und das als jüngster Spieler auf dem Feld. (Außerdem geschah etwas, das sich wie ein roter Faden durch seine Karriere ziehen sollte: Ronaldo verpasste ganz knapp die Auszeichnung als bester Spieler. Sie ging an einen kleinen Mittelfeldspieler aus Argentinien namens Javier Mascherano.)

Kershaws abschließender Scouting-Bericht über Ronaldo hatte es in sich. Manchester United musste dringend handeln. Ronaldo war jetzt 18 Jahre alt, das letzte Jahr seines Vertrags lief bereits, und die finanzielle Lage von Sporting war so prekär, dass der Verein unbedingt Geld verdienen musste. Quaresma war bereits im Sommer an den FC Barcelona verkauft worden, der sich seither in die lange Liste der Vereine eingereiht hatte, die Ronaldo haben wollten. Txiki Begiristain, der amtierende Sportdirektor von Barça, plante im Sommer sogar, persönlich nach Lissabon zu fahren, um sich Ronaldo in einem Testspiel vor Beginn der neuen Spielzeit anzuschauen, das anlässlich der Eröffnung des neuen Stadions von Sporting veranstaltet wurde. Der Gegner: Manchester United.

Kurz nach vier Uhr morgens landete die Mannschaft aus England. Sie waren über Nacht aus Philadelphia nach Lissabon geflogen.

Das Spiel gegen Sporting würde erst in vierzig Stunden stattfinden, aber als die Spieler von United aus dem Flugzeug stiegen, wussten sie kaum, welcher Wochentag gerade war. Sie waren nun seit fast drei Wochen unterwegs, und das Spiel gegen Lissabon war das fünfte Spiel in drei verschiedenen Zeitzonen. Alex Ferguson schickte seine Spieler direkt ins Hotel und wies sie an, sich auszuruhen. An jenem Tag würde es keine gemeinsamen Teamaktivitäten mehr geben. Alle waren viel zu erschöpft, um zu trainieren. Und außerdem hatte Ferguson eigene Pläne.

Uniteds Trainer, ein schroffer Schotte, der aus dem Glasgower Werftenviertel stammte, war nicht etwa zum einflussreichsten britischen Fußballtrainer aufgestiegen, weil er so ein brillanter Taktiker war. Nein, der ehemalige Stürmer und Ex-Kneipenwirt hatte es wegen zwei ganz anderer Eigenschaften an die Spitze der Premier League geschafft: Die erste war seine Motivationskraft, der sich niemand entziehen konnte (wobei er seine Spieler manchmal auf eine Art und Weise anbrüllte, die als »Haartrockner-Behandlung« bekannt wurde). Die zweite war, dass er irgendwie immer genau wusste, wann er seine Mannschaft umstrukturieren musste. Die Landung in Portugal war so ein Moment.

Ferguson hatte gerade noch Zeit sich umzuziehen, dann machte er sich schon auf den Weg nach Cascais, ein Küstenstädtchen westlich von Lissabon. Doch in die Sonne legen wollte er sich dort nicht.

Er wollte Jorge Mendes treffen, zum scheinbar ersten Mal. Tatsächlich waren sie sich schon einmal begegnet, doch konnte sich einer der beiden an diese frühere Begegnung besser erinnern als der andere.

Ein Jahr zuvor hatte Mendes erfahren, dass Carlos Queiroz auf der Suche nach einem Ersatztorwart war. Mendes hatte zu diesem Zeitpunkt keinen passenden Klienten, aber für einen findigen Fußballagenten war das kein allzu großes Problem, und die Chance, bei Ferguson vorstellig zu werden, wollte er sich nicht entgehen lassen. Also rief Mendes ein paar Bekannte an, und kurz darauf konnte er bereits als Vermittler für den geplanten Transfer eines Torwarts namens Ricardo von Real Valladolid zu Manchester United auftreten. Das Wichtige für Mendes war, dass er zu der Gruppe von Agenten und Beratern gehörte, die nach Manchester fahren würden, um den Deal perfekt zu machen.

Zumindest war das der Plan. Doch am Tag vor der Reise war Mendes mit seiner Freundin spätabends von Madrid nach Porto unterwegs, als sich bei dem LKW, der vor ihnen fuhr, die Hinterachse löste. Mendes wich aus und verlor die Kontrolle über seinen Porsche. Das Auto drehte sich um neunzig Grad und donnerte gegen die Leitplanke. Die Airbags retteten beiden das Leben, aber Mendes’ Gesicht war blutverschmiert. Als die Sanitäter am Unfallort eintrafen, stellten sie fest, dass bei ihm an einem Ohr die ganze Haut abgerissen war.

Sobald der Krankenwagen ihn in der Notaufnahme abgesetzt hatte, teilte Mendes den Pflegern mit, er habe leider keine Zeit, sich ärztlich untersuchen zu lassen. Stattdessen rannte er zur nächsten Apotheke, schnappte sich vier Rollen Mullbinden und nahm ein Taxi zum Flughafen. Am Vormittag ging noch ein Flug nach Manchester. Mendes ging an Bord und stopfte sich eine der Mullbindenrollen ins Ohr, damit kein Blut auf seinen Anzug tropfte.

Die Reise war eine einzige Quälerei, aber Mendes schaffte es. Ihm gelang es sogar, sich am Verhandlungstisch so zu platzieren, dass Ferguson sein verunstaltetes, bandagiertes Ohr nicht sehen konnte. Doch all der Aufwand hatte nicht den erwünschten Erfolg. Mendes, dessen Ohr die ganze Zeit über pochte, sagte während des Treffens kaum mehr als vier Worte. Ein Jahr später erinnerte sich Ferguson nicht mehr daran, dass er überhaupt da gewesen war.

Diesmal hatte Jorge Mendes mehr zu sagen.

Er wusste, dass Manchester United einen aufsehenerregenden Neuzugang brauchte. Der Verein hatte jede Menge Geld und war auf der Suche nach neuen Offensivspielern. Im Fußball werden Spieler während zweier festgelegter Zeiträume im Jahr ge- und verkauft, und solange der Preis stimmt, nimmt der Verkäufer dabei gelegentlich auch den Verlust seiner Stars hin. In drei Wochen würde sich das Sommer-Transferfenster wieder schließen. Sogar die dienstälteren Spieler von United warteten ungeduldig darauf, dass Ferguson endlich handelte.

Mendes stand ebenfalls unter Druck. Er hatte Ronaldo – und Ronaldos Mutter – davon überzeugt, dass er der richtige Mann war, um die Karriere des Jungen in die gewünschte Richtung zu lenken, doch jetzt musste er auch abliefern. Schließlich hatte er Ronaldo von einem anderen Agenten namens José Veiga abgeworben, in dessen Kundenkartei sich so ziemlich alle großen Talente fanden, die ein portugiesisches Trikot trugen. Als bekannt wurde, dass Sporting Lissabon mit Hugo Viana, Ricardo Quaresma und Ronaldo drei neue junge Spieler im Kader hatte, die auf dem besten Weg zu internationalem Ruhm waren, hatte Veiga sich direkt alle drei geschnappt. Aber er war zu sehr von der alten Schule, um sich eingehender mit irgendwelchen Teenagern zu beschäftigen. Veiga hatte genug damit zu tun, sich um Superstars zu kümmern, die zwischen dem FC Barcelona und Real Madrid wechselten. Als Ronaldo sich darüber beschwerte, dass Sporting sein Gehalt nicht pünktlich zahlte oder er keine zusätzlichen Freikarten für seine Mutter bekam, reichte Veiga ihn an einen seiner Assistenten weiter.

Da witterte Mendes seine Chance. Er lud Ronaldo zum Abendessen ein und gab für Dolores die ganze Zeit über den netten Schwiegersohn. Ein paar Wochen später trennte sich Ronaldo per Fax von Veiga. Mendes hatte alles richtig gemacht.