Michael Schumacher - Karin Sturm - E-Book

Michael Schumacher E-Book

Karin Sturm

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Beschreibung

Ich kann doch Dinge, die ich sehr gerne mache, nicht deshalb sein lassen, weil dabei vielleicht etwas passieren könnte. Wenn mir eines Tages etwas zustoßen sollte, dann ist das Schicksal." Der tragische Skiunfall von Michael Schumacher im Dezember 2013 schockiert die ganze Welt. Es wirkt wie Ironie, dass der 7-malige Formel-1-Weltmeister aus seinen rasanten Rennen so gut wie unverletzt hervorging – und dann bei einem Familienausflug in den französischen Alpen beim Skifahren so schwer stürzt. Die Motorsport-Journalistin Karin Sturm ist seit mehr als 30 Jahren fester Bestandteil der Formel-1-Szene und kennt Michael Schumacher seit dem Beginn seiner Karriere. In dieser Biografie schildert sie das gesamte Leben des Rekordweltmeisters, lässt zahlreiche Weggefährten zu Wort kommen und zeigt den Menschen Michael Schumacher auch von seiner persönlichen Seite.

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Seitenzahl: 405

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Titel

Karin Sturm

MICHAEL

SCHUMACHER

Die Biografie

HERBiG

Impressum

www.herbig-verlag.de

© für die Originalausgabe und das eBook: 2014 LangenMüller in der F. A. Herbig Verlagsbuchhandlung GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten

Umschlaggestaltung: Wolfgang Heinzel

Umschlagmotiv: picture-alliance, Frankfurt

Satz: EDV-Fotosatz Huber/Verlagsservice G. Pfeifer, Germering

ISBN 978-3-7766-8198-7

INHALT

1. SCHICKSALSTAG IM SCHNEE

29. Dezember 2013

2. EIN KLEINER UNFALL

Der Beginn einer großen Karriere

3. DER WEG NACH OBEN

Aus Kerpen in die große Welt

4. FORMEL 1

Ein Cockpit aus heiterem Himmel

5. DER ERSTE SIEG

Ein spezieller Gegner

6. SCHUMACHER-MANIA

Deutschland wird Formel-1-Nation

7. WELTMEISTER

Ein Jahr mit vielen Schatten

8. HIGHLIGHT HOCHZEIT

Und noch ein Titel

9. EINE NEUE WELT

Der Schritt zu Ferrari

10. DIE FAMILIE WÄCHST

Das erste Kind

11. EIN NEUER GEGNER

Konkurrenz und Bruderliebe

12. WARNSCHUSS IN SILVERSTONE

»Nur« ein Beinbruch

13. DER BEGINN EINER GRANDIOSEN SERIE

Erster Titel für Ferrari

14. DER FÜNFTE TITEL

Auf einer Stufe mit Fangio

15. FORMEL SCHUMACHER UND FERRARI

Immer neue Rekorde

16. DAS ENDE DER DOMINANZ

Der erste Rücktritt

17. MOTORRAD-UNFALL

… mit Folgen

18. BEREIT ZUM COMEBACK

Mit 41 Jahren noch einmal zurück zur Formel 1

19. UNERFÜLLTE SILBERTRÄUME

… und unerklärliche Unfälle

20. DER 300. GRAND PRIX

Der »neue« Schumi feiert Jubiläum

21. DER ZWEITE RÜCKTRITT

Nicht ganz freiwillig?

22. LANGES WARTEN

Hoffnung auf die Zukunft

ANHANG

Register

BILDTEIL

1. SCHICKSALSTAG IM SCHNEE

29. Dezember 2013

Es ist ein Tag wie jeder andere, eigentlich sogar ein besonders schöner Tag: jener Sonntag, der 29. Dezember 2013, der für Michael Schumacher zum Schicksalstag wird. Strahlender Sonnenschein begrüßt ihn, seinen Sohn Mick und ein paar Freunde, als sie in den französischen Alpen im Skigebiet Les Trois Vallées zur Piste aufbrechen. Schumacher hat sich dort, im Skiort Meribel, schon vor vielen Jahren ein großes Ferienhaus gekauft, verbringt dort gern vor allem die Zeit zwischen den Jahren mit Familie und Freunden.

Es ist das Leben, das ihm gefällt, das er sucht, gerade jetzt, nach den vielen Jahren im Rampenlicht. Privat, umgeben von Menschen, denen er hundertprozentig vertraut, entspannt, locker. Die Bedingungen stimmen: Über Nacht hat es ein bisschen geschneit, jetzt scheint die Sonne, angenehme Temperaturen um die null Grad … Der fatale Sturz passiert kurz nach 11 Uhr vormittags, in einem nicht präparierten Pistenbereich, aber nicht in wirklich schwierigem Gelände. Das gibt es in Les Trois Vallées zwar auch, bis hin zur Olympia-Abfahrt von 1992, aber dort fährt Schumacher nicht entlang, sondern am Westhang des Saulire-Massivs, dort, wo auch tagtäglich unzählige Freizeitsportler unterwegs sind.

Schumacher hat das Skifahren nicht schon als Kind gelernt, für solche »Extravaganzen« gab es in seiner Familie keine Möglichkeiten. Im Flachland von Kerpen lag diese Art von Freizeitbetätigung ja sowieso nicht besonders nahe. Aber er ist ein guter Skifahrer. In seiner Ferrari-Zeit macht er beim traditionellen Winter-Event der Italiener in Madonna di Campiglio stets eine gute Figur, steht sehr sicher auf den Brettern und hat auch mit dem dort alljährlich ausgeflaggten Riesenslalomkurs keine Probleme.

Das Problem an diesem Sonntag, fünf Tage vor »Schumis« 45. Geburtstag, ist wohl eher ein Zusammentreffen unglücklicher Umstände: Es liegt weniger Schnee als normal in Meribel, dadurch sind Felsen in dem unpräparierten Gelände nur knapp von einer Schneeauflage bedeckt. Andere, größere stehen sogar weit heraus. Die Kombination aus beidem wird Schumacher wohl zum Verhängnis.

Die allerersten Meldungen klingen nicht einmal so dramatisch. Die Retter, die Schumacher an der Unfallstelle erstversorgen, erzählen, sie hätten ihn bei Bewusstsein, halb sitzend, halb stehend, angetroffen, er sei allerdings sehr aufgeregt gewesen und habe etwas verwirrt gewirkt. Der Chef der Skistation in Meribel lässt verlauten, der siebenmalige Formel-1-Weltmeister sei zwar mit dem Helikopter abtransportiert worden, habe aber wohl nur eine Gehirnerschütterung erlitten. Auch Sebastian Vettel schickt noch eine kurze SMS an sein früheres großes Vorbild, das in den gemeinsamen Formel-1-Zeiten immer mehr zum Freund geworden ist: »Habe gehört, du bist gestürzt. Hoffe, es ist nichts Schlimmes. Gute Besserung.«

Erst gegen Abend dringen die Nachrichten durch, wird der extreme Ernst der Lage klar: Schon bei seiner Einlieferung per Rettungshubschrauber in die Uniklinik Grenoble, etwa eineinhalb Stunden nach dem Sturz, war Schumacher bewusstlos. Die Ärzte diagnostizierten ein sehr schweres Schädel-Hirn-Trauma, eine sofortige Notoperation war nötig. Durch das Ansteigen des Hirndrucks, ausgelöst durch massive Blutungen, bestand absolute Lebensgefahr. Zur Entlastung musste die Schädeldecke geöffnet werden, ein großes subdurales Hämatom wurde entfernt. Danach wird Schumacher in ein künstliches Koma versetzt, der Körper auf 34 bis 35 Grad heruntergekühlt, um den Stoffwechsel zu verlangsamen und den im Gehirn ankommenden Sauerstoff dadurch besser nutzbar zu machen.

Einige Tage später folgt noch eine zweite Operation, nachdem sich seine Gesamtverfassung stabilisiert hat. Zwischenzeitlich hatten die Ärzte in Grenoble nach Auswertung einer weiteren Computertomografie nur noch geringe Hoffnungen, befürchteten das Schlimmste. Die zweite Operation sorgt für eine leichte Verbesserung, allerdings müssen die Ärzte zugeben, dass nicht alle Blutansammlungen entfernt werden konnten – einige sind durch ihre Lage im Gehirn von außen nicht zugänglich. Auf Prognosen kann und will sich niemand einlassen. Abwarten und hoffen, mehr bleibt auch Michaels Frau Corinna und den Kindern Gina-Maria und Mick nicht übrig …

Während Schumacher in der Klinik um sein Leben kämpft, passiert draußen vor dem Krankenhaus das, was in der heutigen Medienwelt in so einem Fall anscheinend unvermeidbar ist. Das persönliche Drama eines Einzelnen wird zum Anlass für ein Medienspektakel von unglaublichem Ausmaß. 40 bis 50 Fernsehteams aus aller Welt, insgesamt an die 200 Journalisten, halten sich tagelang vor dem Klinikgebäude auf, versuchen auf der Jagd nach Neuigkeiten wirklich alles, um an Informationen zu gelangen. Ein Sicherheitsmann erzählt Schumachers Managerin und Pressesprecherin Sabine Kehm, die im Urlaub von der Tragödie erfuhr und sofort nach Grenoble gereist ist, dass ein Journalist versucht habe, sich als Priester verkleidet in die Klinik einzuschleichen.

Sabine Kehm, die seit 1999 für Schumacher arbeitet, hat die schwierige Aufgabe, zwischen zwei Welten zu stehen – in einer auch für sie persönlich schwierigen Situation. Da ist auf der einen Seite die Öffentlichkeit, die nach Informationen lechzt, und auf der anderen die Familie eines Weltstars, der über mehr als zwei Jahrzehnte hinweg wie kaum ein anderer Wert darauf legte, sein Privatleben aus der Öffentlichkeit herauszuhalten.

Dies gelang in all den Erfolgsjahren, über sieben Formel-1-WM-Titel hinweg, auch weitgehend. Zum Teil mithilfe von massivem juristischem Druck, Unterlassungserklärungen und Klageandrohungen, etwa bei der Veröffentlichung von Fotos der Kinder. Selbst als Sohn Mick anfing, offizielle Kart-Rennen zu fahren, durfte darüber nicht weiter berichtet werden – alles zum Schutz der Familie, der Privatsphäre. Homestorys aus seinem großen Anwesen am Genfer See – ein absolutes Tabu, undenkbar, selbst für »befreundete«, sehr wichtige Medien. Maximal auf der benachbarten Pferderanch seiner Frau Corinna gewährte Schumacher ausgewählten Journalisten in der späteren Phase seiner Karriere hin und wieder einmal Zutritt.

Und jetzt, gut ein Jahr nach dem endgültigen Rückzug ins Privatleben, steht er stärker im Blickpunkt der Öffentlichkeit als je zuvor, mit dem Privatesten, das es eigentlich gibt: dem eigenen Überleben, der eigenen Gesundheit. Der Mann, der seit Beginn seiner Karriere immer Boris Becker als »warnendes Beispiel« vor Augen hatte, der mehr als einmal betonte, »so wie Becker will ich es nicht machen, so will ich nicht leben, so, dass alles Private sofort zum öffentlichen Ereignis wird«.

Sofort kommen natürlich Fragen nach Schuld und Verantwortung auf. Ganz schnell schießen auch die Spekulationen über die Unfallursache in die Höhe: Schumacher sei viel zu schnell unterwegs gewesen, verbreiten einige Medien. Auch die durchaus seriöse britische Times spricht von bis zu 100 Stundenkilometern und beruft sich dabei auf »Ermittlerkreise«. Klar – es passt ja auch so schön ins Klischee: Formel-1-Fahrer sind Geschwindigkeits-Junkies, brauchen das Risiko und das damit verbundene Adrenalin. Und jetzt hat es der Risikofreund Schumacher eben einmal übertrieben und musste dafür teuer bezahlen. Simpel und einfach, in schlau klingende Kommentare verpackt.

Eines stimmt: Formel-1-Fahrer, nicht nur Schumacher, haben grundsätzlich wohl eine etwas andere Einschätzung von Risiko und Risiko-Beherrschung als ein Normalbürger, sonst könnten sie im Rennsport auch keinen Erfolg haben. Was sich natürlich ab und an auch neben der Rennstrecke zeigt: Michael Schumacher fährt nach seinem ersten Rücktritt begeistert am Limit Motorrad, geht Fallschirmspringen, Drachenfliegen und Tauchen. Der kolumbianische Rennfahrer Juan Pablo Montoya holte sich vor einigen Jahren einmal beim wilden Motocross-Fahren eine Schulterverletzung. Bruno Senna erzählt grinsend davon, wie er als Jugendlicher mit ein paar Kumpels aus gut 25 Meter Höhe aus einem Hubschrauber ins Meer gesprungen sei. An die Jet-Ski-Rennen, die sich sein Onkel Ayrton Anfang der 90er-Jahre mit Freunden lieferte, zum Teil unter einem niedrigen Bootssteg hindurch, kann Senna sich auch noch gut erinnern.

Trotzdem, in diesem Fall ist sie eben dennoch falsch, die Theorie vom übertriebenen Risiko: Schon ein Blick auf Schumachers Unfallstelle, eine relativ flache Tiefschneepassage zwischen einer blauen (leichten) und einer roten (mittelschweren) Piste macht klar: Hohe Geschwindigkeit scheint an dieser Stelle kaum möglich. Und als die ermittelnde französische Staatsanwaltschaft am 8. Januar 2014 auf einer Pressekonferenz die ersten Untersuchungsergebnisse bekannt gibt, betont sie: Schumacher sei zwar außerhalb der markierten Piste, aber mit durchaus angemessener Geschwindigkeit unterwegs gewesen. Aufschluss darüber gibt vor allem die Helmkamera, mit der Schumacher bei seiner Schicksalsfahrt zufällig unterwegs ist und die unter anderem etwa die letzten zwei Minuten vor dem Sturz aufgezeichnet hat. Die Kamera wurde der Staatsanwaltschaft von Schumachers Familie übergeben, »die, wie wir betonen möchten, sehr kooperativ mit uns zusammengearbeitet hat«.

Die Aufzeichnung zeigt auch ziemlich genau den Unfallablauf: Schumacher fährt ein paar Meter außerhalb der markierten Piste, als er bei einem Schwungansatz an einem unter etwas Schnee verborgenen Felsen hängen bleibt, ausgehoben wird und kopfüber auf einen etwa dreieinhalb Meter tiefer gelegenen Felsen stürzt. Womit es auch eine plausible Erklärung für die vorher immer wieder gestellte Frage gibt, wie es denn sein könne, dass bei einem Sturz mit relativ niedriger Geschwindigkeit der Helm in zwei Teile breche. »Die Fallhöhe war in dieser Konstellation ja wohl sehr hoch, dadurch wirken extreme Kräfte. Und wenn dann vielleicht unglücklicherweise der Felsen an der Aufprallstelle nicht glatt war, sondern da noch irgendwo eine Ecke oder Kante hervorstand, dann kann das durchaus passieren, ohne das irgendein Problem mit dem Helm vorlag, das man eventuell dem Hersteller ankreiden könnte«, meint ein Experte, der Chefjustiziar des Deutschen Skiverbandes, Gerhard Dambreck.

Hinweise auf Fremdverschulden irgendeiner Art seien bis jetzt nicht aufgetaucht, erklärt jedenfalls der Staatsanwalt Patrick Quincy und betont gleichzeitig, dass die jetzt angestellten Untersuchungen dem normalen Prozedere bei derartigen schweren Unfällen entsprechen. Jede Wintersaison ermittele man in »etwa 50 gleich gelagerten Fällen«, und zwar »mit gleicher Strenge und Aufmerksamkeit«. Die vorhandenen Pistenmarkierungen hätten allen nationalen und internationalen Regeln entsprochen, den Betreibern der Lifte und Pisten sei nichts vorzuwerfen. Ein wichtiger Punkt – denn auf Schadenersatzklagen spezialisierte französische Anwälte hatten ja schon versucht, in dieser Beziehung Vorwürfe zu erheben, wohl in der Hoffnung, ein lukratives Verfahren in die Hände zu bekommen. Dennoch werde weiter ermittelt, noch mehr Details ausgewertet, auch Schumachers Skiausrüstung werde weiter untersucht, um alle Eventualitäten auszuschließen.

Dambreck rechnet allerdings nicht wirklich mit weiteren Erkenntnissen, eventuellen Klagen oder Verfahren: »Es sieht so aus, als sei das einer jener unglücklichen Unfälle, die immer wieder einmal passieren, wo man niemandem wirklich einen Vorwurf machen kann.« Auch die Tatsache, dass Schumacher den markierten Pistenbereich verlassen hat, sehen viele bei genauerer Betrachtung der Unfallstelle nicht als besonders kritikwürdig an. »Das mache ich in so einem Gelände doch auch immer wieder mal, das ist doch völlig normal«, geben zumindest unter der Hand die meisten Skifahrer zu, »da denkt doch jeder, dass das harmlos ist.« Mitte Februar stellt die Staatsanwaltschaft dann die Ermittlungen auch ein.

Pech, Verkettung unglücklicher Umstände, vielleicht auch Schicksal? Nach seinem Unfall in Silverstone 1999, bei dem er sich einen Beinbruch zuzog, antwortete Michael Schumacher auf die Frage nach Angst, Risiko und Vorsicht, ob im Rennauto oder außerhalb, einmal: »Ich kann doch nicht Dinge, die ich sehr gerne mache, nur deshalb nicht tun, weil dabei vielleicht etwas passieren könnte. Wenn mir eines Tages etwas zustoßen sollte, dann ist das Schicksal.«

Besonders bitter ist es natürlich dann, wenn es nicht da passiert, wo man eher damit rechnen muss, im Formel-1-Auto, vielleicht auch noch auf dem Motorrad, sondern bei einer eher harmlosen Freizeitbeschäftigung. Die Formel-1-Szene reagiert sehr betroffen. Sehr, sehr viele Fahrer und Teams schicken über Twitter und Facebook Genesungswünsche, bei den ersten Testfahrten des Jahres 2014 im spanischen Jerez fährt Mercedes mit dem Aufkleber »KeepFightingMichael«, das Ferrari-Team sendet einen Gruß via Boxentafel: »Forza Michael«. Zuvor hat das Team, für das Schumacher insgesamt fünf Weltmeistertitel einfuhr, auf seiner Homepage schon eine Seite mit Botschaften für seinen Ex-Piloten eingerichtet, von Mitarbeitern und Freunden. 72 sollen es am Ende werden, so viele wie die Zahl der Siege, die er für Ferrari holte. Sebastian Vettel meint nachdenklich: »Es berührt einen schon sehr. Man betet und hofft halt, hofft, dass das Wunder geschieht und Michael als der Gleiche aufwacht oder zurückkommt, der er früher einmal war.«

Auch die Fans begleiten Schumachers schwersten Kampf mit viel Anteilnahme: Am 3. Januar, seinem 45. Geburtstag, wird die Klinik in Grenoble zum Wallfahrtsort seiner – vor allem italienischen, aber auch deutschen – Fans. Der 1. FC Köln, immer Schumachers Lieblingsverein, richtet Mitte Januar vor einem Testspiel gegen den FC Schalke 04 zusammen mit dem Michael-Schumacher-Fanclub Kerpen per Riesenbanner eine Botschaft an seinen treuen Anhänger. »Gute Besserung! Du schaffst das, Michael«, steht darauf. »Uns war wichtig, dass wir eine Form finden, mit der nicht nur der FC, sondern Fußball- und Formel-1-Fans der ganzen Region gemeinsam der Familie Schumacher noch einmal zeigen können, wie nah uns sein Unfall geht«, sagt der Kölner Vereinspräsident Werner Spinner.

Bei Michael Viehmann, dem Präsidenten des Kerpener Fanclubs, finden viele eine Anlaufadresse: »Die Zuschriften und Anrufe reißen einfach nicht ab. Wir bekommen Briefe von Kindern, in denen gemalte Bilder von und für Michael Schumacher sind.« Gerade eben, so erzählt er, sei »eine ganze Familie in unseren Fanclub eingetreten. Die Tochter hatte ein Bild von sich dabei. Darauf war sie selbst zu sehen, wie sie mit zwei Jahren in voller Schumacher-Montur auf einem Ferrari-Bobby-Car sitzt. Es sind einfach sehr bewegende Momente, die sich hier zurzeit abspielen. Die Anteilnahme hier und in aller Welt ist sehr groß.« Clubintern würden alle Briefe und Zuschriften gesammelt. »In Kerpen haben wir einen ›Zaun der Hoffnung‹ errichtet, der inzwischen voller Kappen und Genesungswünsche ist. Die werden dann anschließend in unser Archiv kommen.« Die Masse der Zuschriften ist überwältigend: »Wir haben bei 800 000 Briefen aufgehört zu zählen. Das war bereits nach zwei bis drei Tagen der Fall.«

Auch im belgischen Spa ist die Anteilnahme groß. Hier debütierte Schumacher 1991 in der Formel 1, gewann 1992 seinen ersten Grand Prix, holte 2004 seinen siebten WM-Titel und fuhr 2012 sein 300. Formel-1-Rennen, woraufhin er zum Ehrenbürger von Spa ernannt wurde. In dieser mit Schumacher so eng verknüpften Stadt lädt am 26. Januar der belgische Michael-Schumacher-Fanclub zu einer Sympathiekundgebung auf der Rennstrecke Spa-Francorchamps ein. Die Teilnehmer sollen eine Runde auf der sieben Kilometer langen Rennstrecke zu Fuß zurücklegen. Organisatorin Heidi Hendrickx will mit dieser Wanderung eine »positive Energie« an die Adresse von Michael Schumacher senden, »damit dieser den wichtigsten Sieg seiner Karriere erringt«. Teilweise mit Ferrari-Fahnen oder lebensgroßen Pappfiguren ausgestattet, kommen mehrere Hundert Fans auf Schumachers Lieblingsstrecke, gerne auch als »sein Wohnzimmer« bezeichnet, um die 7,004 Kilometer auf der extra dafür gesperrten Strecke gemeinsam zu absolvieren.

Eine gefühlte Ewigkeit lang hört man kaum etwas über Schumachers Gesundheitszustand. Erst Ende Januar, nach gut vier Wochen, gibt es für alle einen Hoffnungsschimmer. Da beginnen die Ärzte in Grenoble damit, ganz langsam Schumacher aus dem künstlichen Koma zu holen. Eigentlich soll die Information darüber erst nach draußen gelangen, wenn der Prozess schon deutlich weiter fortgeschritten ist, sich stabilisiert hat. Aber französische Medien mit guten Kontakten in der Klinik wissen sehr früh Bescheid, berichten auch Details. Zum Beispiel, dass Schumacher bei einer Untersuchung auf Reize reagiere und mit den Augen geblinzelt habe. Einen Tag lang bezeichnet Sabine Kehm die Meldungen noch als »Spekulationen, die wir nicht kommentieren«, doch als immer mehr durchsickert und die Nachricht überall die Runde macht, entschließt sie sich zusammen mit der Familie, zumindest die Tatsache, dass mit der Aufwachphase begonnen worden sei, doch zu bestätigen. »Michaels Narkosemittel werden seit Kurzem reduziert, um ihn in einen Aufwachprozess zu überführen, der sehr lange dauern kann. Es war ursprünglich die klare Absprache zwischen allen Beteiligten, diese Information zum Schutz der Familie erst zu kommunizieren, wenn sich dieser Prozess konsolidiert hat.« In Zukunft solle die Öffentlichkeit keine »Zwischenstandsmeldungen« mehr erwarten – es werde erst dann wieder neue Informationen geben, wenn klare Fakten vorlägen.

Die in allen möglichen Medien befragten Fachärzte sind sich jedoch darüber einig, dass das wahrscheinlich noch einige Zeit dauern werde. Dabei seien weder Prognosen über genaue Zeiträume des Aufwachprozesses noch über mögliche Spätfolgen möglich. Die Rehabilitationsmaßnahmen und deren Erfolge seien in solchen Fällen meist langwierig. »Wenn jemand vier Wochen im Koma lag, dann muss er ganz viele Dinge sowieso erst einmal wieder neu lernen, ohne dass man daraus sofort Schlüsse auf den Grad einer eventuellen Hirnschädigung ziehen kann«, sagt Dr. Gerhard Jan Jungehülsing, Neurologe und Chefarzt des Jüdischen Krankenhauses in Berlin. »Allein die Tatsache, dass jemand vier Wochen lang intubiert war und künstlich beatmet wurde, bedeutet, dass Dinge wie Atmen, Schlucken und Sprechen nicht mehr automatisch funktionieren, sondern wieder gelernt werden müssen.« Ganz wichtig sei in dieser Phase auch, dass der Patient keine Ängste und keine Panik empfindet, was sehr leicht passieren könne. »Da haben die Ärzte dann die Möglichkeit, mit Medikamenten gegenzusteuern. Aber auch die Umgebung, die Familie können da eine sehr wichtige Rolle spielen. Die Erfahrung zeigt, dass es Patienten viel hilft, wenn sie zum Beispiel vertraute Stimmen hören, von ihnen sehr nahestehenden Personen berührt werden – auch wenn sie sich danach manchmal nicht daran erinnern können.«

Geduld ist also weiter gefragt, Geduld und die Hoffnung, dass das, was Michael Schumacher mit 91 Grand-Prix-Siegen und sieben WM-Titeln zum erfolgreichsten Formel-1-Fahrer aller Zeiten gemacht hat, ihm jetzt auch auf seinem schwersten Weg hilft, dem Weg zurück in ein normales Leben. Ehrgeiz, Disziplin, Ausdauer, Fleiß – diese Qualitäten brachten ihn in seinem Sport an die Spitze. Qualitäten, die die Ärzte für ganz entscheidend halten für die Erfolgsaussichten von Schädel-Hirn-Trauma-Patienten in der Rehabilitation. Diese dauert oft zwischen sechs Monaten und zwei Jahren und erfordert sehr viel Einsatz und Mitarbeit des Patienten.

Einer, der mit Michael Schumacher bangt und hofft und »jeden Tag für ihn betet«, ist sein ehemaliger Teamkollege bei Ferrari, Felipe Massa. Der Brasilianer lag nach einem schweren Unfall 2009 in Budapest mit massiven Kopfverletzungen selbst zwei Tage im Koma, kam aber im Jahr darauf auf die Rennstrecken zurück. »Ich hoffe, dass er stark genug ist, um sich zu erholen.« Doch wenn einer stark genug sei, um aus so einer Situation wieder herauszukommen, dann Michael Schumacher: »Er ist sehr athletisch, was ihm bei der Genesung helfen wird«, ist sich Massa sicher: »Nach meinem Unfall habe ich mich schneller als erwartet erholt, weil ich so fit war. Das hilft. Ich hoffe, dass dies auch bei ihm ein Vorteil ist. Ich hoffe, dass er langsam aufwacht. Es tut mir so leid, was ihm passiert ist. Er ist für mich ein guter Freund und großer Bruder. Ich hoffe, er kommt zurück und kann sich ein Formel-1-Auto anhören und ansehen, und das an seinem Lieblingsort: der Rennstrecke.«

2. EIN KLEINER UNFALL

Der Beginn einer großen Karriere

Ironie des Schicksals: Der Weg auf die Rennstrecken, die mehr als 20 Jahre von Michael Schumachers Leben prägen werden, beginnt mit einem Missgeschick, mit einem kleinen Unfall.

Mit vier Jahren macht der spätere Superstar bereits die Gegend unsicher – mit einem Kart, das aus einem Kettcar und einem Mofa-Motor zusammengebastelt ist. Als einmal ein Laternenpfahl im Weg steht und Klein Michael damit Bekanntschaft macht, kommt Vater Rolf ins Nachdenken und entscheidet: »So geht das nicht weiter, das ist zu gefährlich, von jetzt an fährst du nur noch auf einer ordentlichen Bahn.«

Was ja auch kein größeres Problem darstellt, schließlich ist Rolf Schumacher Platzwart der örtlichen Kartbahn in Kerpen. Und auch Michaels Mutter Elisabeth fehlt dort nur selten. Sie betreut die Imbissbude, die später zur Gaststätte ausgebaut wird, versorgt die Kartfahrer und ihren Anhang mit Würstchen, Pommes und Getränken. So hat Michael Schumacher alle Möglichkeiten, so viel und so lange zu üben, wie er will. Mit seinem Helm, der wie bei einer Comicfigur mit Antennen besetzt ist, fegt er über die Bahn. Wobei der Vater den Helm erst noch ausstopfen muss, »weil er Michael viel zu groß ist«.

Genauso groß ist freilich der Spaß, den der Kleine von Anfang an hat, »speziell im Nassen«, wie sich der Vater später erinnert. »Dann fuhr er die Geraden rauf und runter und wendete, indem er die Handbremse anzog.« Auch sonst hat Michael den Bogen schnell raus, übt schon mit seinem ersten Kart das Schleudern und lernt, das Gefährt dabei trotzdem unter Kontrolle zu halten. Andere Dinge, die kleinen Jungs auch Spaß machen, kommen trotzdem nicht zu kurz: Spielen, anderer Sport wie Fußball, ein bisschen Tennis, auch Klettern. Was dem Vater schon damals auffällt: »Michael hatte eigentlich nie Angst vor irgendetwas – und schon damals war er bei allem, was er tat, voll bei der Sache.«

Auch der erste etwas ernstere Kartunfall schreckt ihn nicht ab: ein Crash, bei dem er sich eine tiefe Schnittwunde am Knie zuzieht, die sogar genäht werden muss, von der er erst einmal aber gar nichts bemerkt. Sechs Jahre alt ist er damals und der Vater redet Klartext: Der Unfall sei nur passiert, weil er sich dumm angestellt habe, macht er Michael klar. Er schärft seinem Sohn ein, in Zukunft besser aufzupassen und so etwas nie wieder zu machen. »Er sagte, jetzt kannst du dein Kart in die Garage schieben und es ist Schluss für heute oder für diese Woche oder was auch immer. Ich habe geweint, das Kart heimgeschoben – und erst dort das Blut an meinem Knie gesehen und gemerkt, dass ich mich verletzt hatte.«

Auch wenn Rolf Schumacher glaubt, dass dieser Unfall seinen Sohn vielleicht zum Aufhören bewegen würde – Michael denkt gar nicht daran. »Das hat mich nicht erschreckt oder mir Angst gemacht. Ich habe eigentlich nie Angst gehabt«, sagt er viel später einmal, als er schon einige Crashs im Formel-1-Auto hinter sich hat, im Rückblick auf die Kartzeit. »Auch in späteren Jahren, in ernsthafteren Wettkämpfen, baute ich kaum Unfälle. Es gibt nur einen nennenswerten, an den ich mich erinnere. Ich überschlug mich und brach mir eine Rippe, das war’s …« Auch die Sorge des Vaters hält sich meist in Grenzen: »Ich kann nicht behaupten, dass ich jemals wirklich Angst um Michael gehabt hätte, aber natürlich denkt man ab und zu an die Gefahren. Später, in der Formel 1, war ich dann immer froh, wenn der Start vorbei war. Das ist ja die kritischste Phase eines Rennens.« Was den kleinen Michael zusätzlich zum Weitermachen motiviert: Schnell kommen die ersten Erfolge. Mit fünf Jahren gewinnt er seinen ersten Pokal, als kleiner Knirps zwischen lauter 13- und 14-Jährigen. »Es war ein großer, blank polierter Autokolben, auf ein Stück Holz geschraubt.« Mit sechs holt er seinen ersten echten Titel bei der Clubmeisterschaft in Kerpen.

Die Probleme liegen auf anderem Gebiet. Finanziell sind die Schumachers nicht auf Rosen gebettet, also ist die Materialfrage immer kompliziert. Mit den Geräten seiner Konkurrenten können Schumachers Karts technisch selten mithalten. Da müssen öfter alte Teile verwendet werden, die der Vater dann einbaut, oder Reifen, die ein Konkurrent bereits als »abgefahren« in der Mülltonne entsorgt hat. Einmal, als ein neuer Motor für 800 Mark fällig ist, wird es kritisch, wäre die Kartkarriere des zukünftigen Superstars beinahe schon wieder beendet. Rolf Schumacher muss passen: »Tut mir sehr leid, mein Junge, aber das ist zu viel, den kann ich dir nicht mehr kaufen.«

Dafür, dass es doch weitergeht, sorgen die ersten Förderer, die das Talent des kleinen Kartpiloten erkannt haben – und die wesentlich bessere finanzielle Möglichkeiten haben als die Familie Schumacher. Da ist erst einmal Gerd Noack, ein Freund des Vaters, der mit einem Tapeten- und Teppichgeschäft zu Wohlstand gekommen ist. Und dann Jürgen Dilk: einer, der als Aufsteller von Spielautomaten gutes Geld gemacht hat, ein Rennsport-Begeisterter, der Schumacher auch viel später noch begleiten wird, zum Beispiel über viele Jahre seinen offiziellen Fanclub leitet.

Damit haben die Schumachers – und auch Michael selbst – erst einmal eine große Sorge weniger: Der Filius kann weiter Rennen fahren, ohne dass man zu sehr über die Finanzierung nachdenken muss. Schulden machen für die Karriere – das wäre in der eher konservativ-kleinbürgerlichen Familie nie infrage gekommen. Das hätte Michael selbst auch nie vorgeschlagen oder gar von seinen Eltern erwartet: »Ich bin von Anfang an dazu erzogen worden, nur das auszugeben, was ich habe.« Karriereaufbau auf Kreditbasis, so wie das etwa Niki Lauda tat, um den Sprung in die Formel 1 zu schaffen, das hätte er sich niemals vorstellen können.

Zusätzlich sind diese Förderer auch Ansporn. Neben seinem eigenen Ehrgeiz fühlt sich Schumacher auch ihnen gegenüber dazu verpflichtet, immer das Bestmögliche zu leisten, immer das Optimale aus sich herauszuholen. »Wenn die mir helfen, dann muss ich ihnen doch wenigstens dadurch etwas zurückgeben, dass ich alles tue, was mir möglich ist. Da kann ich mich doch nicht hängen lassen.«

Und noch etwas zeichnet die beiden Förderer aus – genauso wie auch Vater Schumacher. Sie entsprechen nicht dem typischen Klischee der Rennsportväter oder -unterstützer, dem auch heute noch an vielen Kartbahnen zu besichtigenden Pendant zu den berühmt-berüchtigten Eiskunstlaufmüttern: ehrgeiziger als ihre Kinder, oft bei dem Versuch gescheitert, selbst Karriere zu machen, alle Hoffnungen und Wünsche auf ihren Nachwuchs projizierend, schwer enttäuscht, oft wütend, wenn es nicht so läuft, wie sie sich das vorgestellt haben. Auch Fahrer, die es bis in die Formel 1 schafften, mussten schon unter solchen Eltern leiden: Der Italiener Andrea de Cesaris etwa, der von 1980 bis 1994 insgesamt 208 Grands Prix bestritt, ohne allerdings je einen zu gewinnen, kassierte bis in seine Formel-3-Zeit hinein von seinem Vater Ohrfeigen, wenn der nicht zufrieden war. Bei Michael Schumacher macht niemand Druck – und es ist auch überhaupt nicht nötig. Er ist vom Fahren fasziniert und weiß selbst ganz genau, was er will: weiterkommen, Erfolg haben.

Und den hat er. Zunächst in den regionalen und nationalen Jugendklassen, dann später auch bei den Junioren. Zwischendurch schaut sich Schumacher bei seinen Rennen auch schon mal diejenigen an, die schon ein Stück weiter sind als er. 1980 beispielsweise fährt er mit seinem Vater ins nahe gelegene Belgien – in Nivelles finden dort die Kart-Weltmeisterschaften statt. Dort fällt ihm ein Fahrer nicht nur durch seinen knalligen gelben Helm auf, sondern vor allem durch seinen Fahrstil: »Der war irgendwie verrückt und sehr eindrucksvoll …« Weltmeister wird der Teenager, der Michael so begeistert, zwar nicht, sondern »nur« Zweiter – dafür wird er aber später ein ganz Großer. Über einige Jahre ist er Schumachers Idol, später seine Messlatte und sein erster großer Gegner: Ayrton Senna.

So professionell wie später geht es damals noch nicht zur Sache: Sei es in Ernährungsfragen, wo die Pommes bei Mama oft zu gut schmecken, sei es ein Abend in der Disco, den der zwölfjährige Schumacher bei einem Campingurlaub mit älteren Kart-Freunden verbringt: »Ich habe mich immer hinter den anderen, größeren versteckt und mich irgendwie mit reingeschlichen, ich war ja eigentlich noch viel zu jung …« Trotzdem siegt er natürlich weiter: 1984 wird Schumacher zum ersten Mal deutscher Juniorenmeister – aber an eine große Karriere im Rennsport denkt er da noch nicht. »Am Anfang war es ein reines Vergnügen, ein Hobby, mehr nicht. Es war etwas, was mir Spaß machte. Wenn man jung ist, macht man alles mit, spielt auch Fußball oder Tennis …« Ein Jugendidol für Schumi ist auch sein Namensvetter, der Kölner Fußball-Torwart Toni Schumacher. »Ich habe ja damals auch schon sehr gern Fußball gespielt«, sagt er – woran sich auch später nichts ändern wird …

Aber Kartfahren ist schon deshalb etwas anderes, weil er dabei eben der Beste ist, schlechteres Material als die Konkurrenz hin oder her. Freilich hätte Schumacher damals nie gedacht, dass er einmal Profi-Rennfahrer werden, das Hobby zum gut bezahlten Beruf machen würde. »Das kam erst später, als ich schon 19 oder 20 war. Erst in der Formel 3, als ich zu Mercedes kam, glaubte ich daran, dass ich eine Zukunft im Motorsport haben könnte.«

Mitte der Achtziger gilt es erst einmal, die Realschule abzuschließen. Die Schulzeit ist für Schumacher nicht immer mit den allerbesten Erinnerungen behaftet. Erstens einmal, weil er der Theorie nie viel abgewinnen konnte: »Ich habe die Schule zu Ende gemacht, aber ich habe sie gehasst. Wir haben ja auch jede Minute auf der Kartbahn verbracht.« Der jüngere Bruder Ralf ist nämlich sehr bald auch dabei. »Da haben die Hausaufgaben natürlich gelitten.« Gemocht hätte er sie sowieso nicht: »Lernen, dazusitzen und die Vokabeln einer Fremdsprache zu pauken«, das ist ihm auch zehn Jahre später noch zuwider: »Anfang 1995, als ich bei Renault war, nahm ich Französischunterricht. Drei Stunden am Tag. Ich bin fast wahnsinnig geworden. Es war mir einfach zu viel und ich konnte mir nichts mehr merken.« Nur das, was er für nützlich hält, was er wirklich will, das lernt er auch: Englisch zum Beispiel, »weil ich wusste, dass ich diese Sprache im Motorsport brauche«. Und noch etwas tut während der Schulzeit ein bisschen weh: Gegenüber besser gestellten Klassenkameraden fühlt sich Schumacher ein bisschen zurückgesetzt. »Ich hatte ganze drei Hosen im Schrank hängen. Meine Mitschüler dagegen waren immer schick angezogen. Mein Vater sagte, wenn ich etwas anderes zum Anziehen wolle, dann müsse ich mir das selber verdienen.«

1985 hätte der tödliche Unfall eines deutschen Formel-1-Fahrers Schumachers Karriere beinahe gestoppt: Am 1. September stirbt Stefan Bellof in Spa in einem Gruppe-C-Porsche in einem Rennen der Sportwagen-WM. Für Jürgen Dilk, der Schumacher nicht nur finanziell fördert, sondern ihn auch oft zu Rennen begleitet, war Bellof ein Idol. Und auf einmal bekommt Dilk Angst. »Angst, dass Michael auch so etwas zustoßen könnte. Ich wollte, dass er aufhört. Aber ich hatte nicht mit seinem Ehrgeiz und mit seinem Sturkopf gerechnet.« Mit Tränen in den Augen sei Michael damals zu ihm gekommen und habe gesagt: »Herr Dilk, bitte fahren Sie weiter mit mir zu den Rennen. Mir passiert auch nichts. Ich verspreche Ihnen, ich passe auf. Ich will doch auch gar kein Formel-1-Fahrer werden, sondern nur weiter Kart fahren. Und das ist doch nicht so gefährlich.«

Dilk lässt sich überzeugen, macht weiter in seiner Unterstützungsarbeit, mit eigenem Geld, aber auch mit Sponsorengeldern, die er von Unternehmen, Autohäusern, Werkstätten erhält. Und Schumacher fährt weiter von Erfolg zu Erfolg. 1985 wird er zum zweiten Mal Deutscher Juniorenmeister und Junioren-Vizeweltmeister, 1986 Dritter der Deutschen Meisterschaft, 1987 Deutscher Meister und Europameister. Auch technisch steigt er in dieser Zeit tiefer in den Rennsport ein – mit einer Lehre als Kfz-Mechaniker, sein erstes Gehalt beträgt 528 Mark brutto. Er beginnt die Ausbildung nicht unbedingt mit dem Ziel, diesen Beruf später auch auszuüben, denn dort so exakt und präzise zu arbeiten, wie es verlangt wird, das kann er sich kaum vorstellen. »Aber die Lehre war für mich im Rennsport sicher ein Vorteil. Wenn du dich mit der Technik auskennst, kannst du noch viel besser beschreiben, was ein Auto macht, hast vielleicht auch Ideen, was man verändern und besser machen könnte.« Einer seiner Ausbilder aus jener Zeit verrät später: »Im Praktischen war er sehr gut, nur mit der Schule nahm er es nicht so ernst.« Er habe damals sogar die Prüfung schmeißen wollen, sie hätten ihm aber alle gesagt, er solle das unbedingt fertig machen, um dann wenigstens einen ordentlichen Beruf zu haben. »Und er hat die Prüfung dann auch geschafft, sogar ein halbes Jahr früher.«

Die nächste große Prüfung auf der Rennstrecke besteht er ebenfalls mit Bravour: den Umstieg vom Kart in ein richtiges Rennauto …

3. DER WEG NACH OBEN

Aus Kerpen in die große Welt

Der erste Kontakt mit der Welt der echten Rennautos findet im Herbst 1987 statt. Wieder ist es Jürgen Dilk, der mithilft, der die Kontakte herstellt und dafür sorgt, dass Michael Schumacher bei Testfahrten auf dem Hockenheimring einen Formel Ford 1600 des Eufra-Teams ausprobieren darf. In der Nacht davor ist Schumacher sehr nervös, kann kaum schlafen. Außerdem macht er sich Sorgen, wie er überhaupt zu dem Rennen gelangen soll. Seine Eltern haben kein Geld und auch kein Auto, um ihn nach Hockenheim zu fahren. Erst nach Mitternacht erreicht er Dilk, der verspricht, ihn hinzubringen. Michael hat trotzdem Angst, sein Förderer könne aus irgendeinem Grund nicht kommen. Aber alles klappt – und nach 20 Testrunden hat Schumacher einen Vertrag in der Tasche, fährt in diesem Jahr noch vier Rennen in der Formel Ford und wird sogar deutscher Vizemeister. Bei seinen ersten Rennen haben seine Freunde für ihn eine ganz besondere Motivation: Sie halten ihm den Playboy vor die Nase und versprechen: »Wenn du gewinnst, darfst du dir eine aussuchen.« Als Schumacher nach einem Sieg das »Geschenk« einfordert, reißen sie eine Seite aus dem Heft heraus: »Da hast du sie!«

1988 startet er sogar in mehreren Serien. In der Formel Ford bestreitet er die deutsche und die Europameisterschaft, dazu kommt der Sieg bei der deutschen Meisterschaft in der Formel König. Der Eindruck aus dem Vorjahr bestätigt sich: Der Wechsel vom Kart in den »richtigen« Automobilsport fällt ihm nicht schwer, er gewinnt sofort wieder Rennen, in allen Klassen. Sein fahrerisches Talent setzt sich durch, Siege sind schon fast normal. Doch bei Weitem nicht aus allen überlegenen Meistern in den Nachwuchsklassen werden Formel-1-Weltstars. Dazu braucht es neben dem Talent auch sehr viel Härte, Durchsetzungsvermögen, absolute Zielstrebigkeit und auch das Glück, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein. Und üblicherweise auch immer weiter Geldgeber, Mäzene, Sponsoren, die den weiteren Aufstieg finanzieren.

Als Michael Schumacher im Herbst 1988, mit dem Formel-König-Titel und dem Titel als Vizemeister in der Formel-Ford-EM in der Tasche, vor der Frage steht, wie es nun weitergehen soll, hat er auch Glück. Das Glück, durch sein Können den richtigen Leuten aufgefallen zu sein. Willi Weber, erfolgreicher Formel-3-Teamchef und gerade mit Joachim Winkelhock deutscher Meister geworden, sucht einen Nachfolger für Winkelhock, der die Formel 3 verlassen will und Formel-1-Pläne schmiedet. Weber hört sich in der Szene um, erkundigt sich nach Talenten. Er fragt auch Domingos Piedade, den damaligen AMG-Mercedes-Geschäftsführer, einen Portugiesen, der seit Langem auch in der Formel 1 zu Hause ist. Anfang und Mitte der 80er-Jahre hat er sich um Michele Alboreto und zeitweise auch ein bisschen um Ayrton Senna gekümmert. Piedade kennt sich auch in der deutschen Nachwuchs-, vor allem in der Kart-Szene sehr gut aus, denn seine beiden Söhne sind dort selbst aktiv. Seine Empfehlung: »Da gibt es einen, der ist eine Klasse für sich – Michael Schumacher.« Auch Gerd Krämer, der als VIP-Betreuer von Mercedes seit Jahren in der Formel 1 ein und aus geht und mit vielen Stars befreundet ist, sich aber auch für den Nachwuchs interessiert, bestärkt ihn: »Schau dir den Schumacher doch mal an!«

Weber tut es – und ist sofort begeistert. Bei einem Formel-König-Rennen auf dem Salzburgring, im strömenden Regen, sieht er sein künftiges Juwel zum ersten Mal. Michael geht vom siebten Startplatz aus ins Rennen – und kommt als Erster aus der ersten Runde zurück. Was Weber aber noch mehr imponiert: »Die Präzision, mit der er fährt, die Sauberkeit seiner Linie, die in jeder Runde absolut identisch ist, seine Fahrzeugbeherrschung.« Noch zweimal beobachtet er ihn, diesmal in der Formel Ford in Mainz-Finthen und in Hockenheim. Dann ist er endgültig überzeugt: »Der Junge ist so gut, der hat eine Chance verdient. Alles, was er macht, wirkt so leicht, so spielerisch, so souverän. Der muss etwas Besonderes sein.«

Also bietet er Michael einen Test in seinem Formel-3-Auto an. Für den ist das natürlich wie Weihnachten und Geburtstag zusammen. Ein paar Tage später ist es dann am Nürburgring tatsächlich so weit. Schumacher sitzt zum ersten Mal in einem Formel-3-Rennwagen. Natürlich will er auch gleich zeigen, was er kann. Er ist auf Anhieb schnell, aber nach fünf Runden setzt er das Auto in die Leitplanken. »Mein Fehler«, sagt er sofort ehrlich zu Willi Weber. Der reagiert anders, als die meisten Teamchefs in einer solchen Situation reagieren würden. Denn junge Fahrer, die bei ihrem ersten Test etwas kaputt machen, haben oft schon alle Chancen verspielt. Weber dagegen nimmt es gelassen: »Wir reparieren jetzt das Auto, viel ist ja nicht dran passiert, und dann fährst du noch mal.«

Inzwischen ist sich Michael auch bewusst, »dass ich da zu sehr mit Gewalt an die Sache herangegangen bin, über dem Limit war, was nicht gut gehen konnte. Und vor allem war ich dadurch auch nicht so schnell, wie ich hätte sein können.« Den zweiten Anlauf geht er, zumindest rein gefühlsmäßig, ruhiger an und ist prompt deutlich schneller als vorher. Und auch gleich mal eineinhalb Sekunden schneller als der Stammpilot von Webers Formel-3-Rennstall WTS. Der Teamchef weiß sofort: Seine Ahnung hat ihn nicht getäuscht. In Michael Schumacher hat er ein absolutes Supertalent gefunden.

Er macht ihm sofort ein Angebot, die deutsche Formel-3-Meisterschaft 1989 für das WTS-Team zu fahren. Natürlich ist Schumacher begeistert, aber er bleibt Realist. Schließlich weiß er auch, was eine Formel-3-Saison kostet: Bis zu einer dreiviertel Million Mark muss man in einem Top-Team auf den Tisch legen. »Das wäre schon toll«, sagt er. »Natürlich würde ich das lieber tun als alles andere. Aber ich habe kein Geld.« Darüber hat sich Weber auch schon seine Gedanken gemacht – und eine Entscheidung getroffen, die sich langfristig sowohl für ihn als auch für Schumacher als im wahrsten Sinne des Wortes unbezahlbar erweisen wird. Er hat so viel Vertrauen in diesen Jungen, dass er eigenes Geld riskiert. Er wird Schumacher die Saison erst einmal finanzieren, das Risiko tragen. Wenn sich dann Sponsoren finden, umso besser.

»Du brauchst bei mir kein Geld mitzubringen, du brauchst nur so weiterzufahren wie bisher«, erklärt er Michael. Außerdem werde er ihm sogar ein kleines Monatsgehalt zahlen. Noch am gleichen Abend wird der Vertrag unterschrieben. Nicht nur ein Formel-3-Vertrag für die Saison 1989, sondern auch ein Management-Vertrag zwischen Weber und Schumacher für die nächsten zehn Jahre. Gemeinsam wollen sie den Aufstieg nach ganz oben schaffen. Klar, dass der Geschäftsmann Weber auch ein bisschen geschäftlich denkt. Wenn er Schumacher die Chance gibt, Karriere zu machen, dann will er später, wenn das Ziel erreicht ist, auch selbst davon profitieren. Das berühmte »Los, das ich damals in der Lotterie gekauft habe, als Einziger«, soll ihm schließlich auch einen Hauptgewinn bringen.

Aber er weiß auch, dass sein Rohdiamant noch ein bisschen Schliff braucht. Im Auto, auf der Rennstrecke selbst, am allerwenigsten. Aber daneben. In der Formel 3 steht Schumacher – inzwischen auch ins Nachwuchsförderungsprogramm der ONS (Oberste Nationale Sportkommission für den Automobilsport in Deutschland GmbH) aufgenommen, was 200 000 Mark Fördergelder als Mitgift für das Team bedeutet – erstmals ein bisschen im Blickpunkt der Öffentlichkeit. Wer weiterkommen will, muss auch dementsprechend auftreten. Weber führt seinen Schützling die ersten Schritte auf diesem Weg, den die Mercedes-Schule später fortsetzen wird.

Auf der Strecke hat Schumacher sofort Erfolg: Er erringt drei dritte Plätze in den ersten drei Rennen und somit die Führung in der Meisterschaft. Und dass er sich auch als Neuling von der Konkurrenz nichts bieten lässt, stellt er gleich einmal klar. Er hält beispielsweise dagegen, als der schon wesentlich etabliertere Michael Bartels, der später als langjähriger Freund von Steffi Graf in die Schlagzeilen gerät, sich heftig mit ihm anlegt: »Der Bartels ist mir voll in die Seite gefahren, so geht’s doch nicht«, macht er seinem Ärger nachher Luft. Nur ein verbogener Flügel als Folge der Aktion kostet ihn den ersten Sieg bei einem Formel-3-Rennen.

Dieser Sieg kommt trotzdem bald. In der Meisterschaft hält Michael seine Führung, Frank Schmickler, der eigentlich als Nummer-1-Pilot bei WTS gestartet ist, stellt er schnell in den Schatten. In seinem fünften Rennen, im österreichischen Zeltweg, ist der erste Triumph fällig: unter schwierigen Bedingungen, im strömenden Regen, nach einem harten Duell mit Heinz-Harald Frentzen. Sogar Willi Weber werden die schnellen Erfolge seines Schützlings allmählich unheimlich: »Hoffentlich steigt ihm der Erfolg nicht zu Kopf, er ist doch noch so jung und soll noch viel lernen.«

Aber Michael bleibt auf dem Teppich. Ein paar nicht ganz so gute Ergebnisse im Sommer kosten ihn die Meisterschaftsführung. Der Österreicher Karl Wendlinger und Heinz-Harald Frentzen ziehen vorbei. Als die Formel-3-Truppe zum vorletzten Meisterschaftslauf an den Nürburgring kommt, scheint die Entscheidung eigentlich nur noch zwischen Wendlinger und Frentzen fallen zu können. Aber nachdem sich Michael Bartels noch einmal in die Meisterschaft einmischt, ist vor dem Finale in Hockenheim wieder alles offen: Frentzen wird von Bartels von der Strecke geschoben und Wendlinger in das Manöver verwickelt. Schumacher feiert währenddessen souverän seinen zweiten Saisonsieg.

In Hockenheim geht es dann drunter und drüber, am Ende wird Schumacher knapp hinter Frentzen Dritter. Im Nachhinein ist Willi Weber über den verlorenen Titel gar nicht so unglücklich: »Damit kann Michael noch ein zweites Jahr bei mir in der Formel 3 fahren und hat ein neues Ziel. Wäre er jetzt schon Meister geworden, hätte das nicht mehr viel gebracht, aber ich hätte auch nicht gewusst, wo ich ihn sonst unterbringen soll. So können wir jetzt 1990 gemeinsam auf den Titel losgehen.«

Was dann auch klappt, auch wenn der Anfang alles andere als vielversprechend ist. Erst leistet sich Schumacher zweimal, in Führung liegend, durch eigene Fehler Ausrutscher, dann gibt es auf dem Nürburgring Riesenwirbel. Dort muss Schumacher aus der letzten Reihe starten, weil die Sportkommissare feststellen, dass sein Auto im Training untergewichtig gewesen sei. Unter diesen Bedingungen ist Platz fünf nach einer rasanten Aufholjagd zwar ein Erfolg, aber Schumacher hat nach drei Rennen bereits 42 Punkte Rückstand auf den in der Meisterschaft führenden Wolfgang Kaufmann. Er ist auch erst einmal ziemlich angesäuert: »Wenn das so weitergeht, fahre ich nächstes Jahr wieder Kart …«

Dass auch die ersten gehässigen Kommentare von außen nicht lange auf sich warten lassen, macht die Lage nicht besser. Aber dann zeigt der 21-Jährige allen, dass man einen Michael Schumacher nicht unterschätzen sollte. In eindrucksvoller Manier findet er aus dem ersten kleinen Tief seiner Karriere heraus. Von den nächsten sechs Läufen gewinnt er fünf, einmal wird er Zweiter. »Das Wichtigste war, nicht die Nerven zu verlieren, nach dem schlechten Anfang nichts mit Gewalt zu versuchen, sondern in aller Ruhe konsequent weiterzuarbeiten.«

Nach dem vorletzten Rennen am Nürburgring steht er provisorisch als Meister fest, obwohl er diesmal ausnahmsweise nicht auf dem Treppchen steht, sondern nur Vierter wird, nachdem ihn Titel-Konkurrent Otto Rensing schon in der ersten Kurve unsanft von der Strecke bugsiert hat. Aber nachdem Rensing zwar vor Schumacher ins Ziel gekommen ist, auf der Strecke jedoch zwischenzeitlich in mehrere sehr strittige Aktionen verwickelt war und deshalb am Ende disqualifiziert wird, scheint alles klar. Wirklich feiern kann die WTS-Truppe allerdings erst einen Monat später, als ein Protest von VW gegen die Rensing-Disqualifikation abgewiesen wird: Der festgestellte Regelverstoß des Überholens unter gelber Flagge bleibt bestehen. So kann Michael bereits als Meister ins Saisonfinale in Hockenheim gehen, wo er sich nur einem Gaststarter aus der britischen Formel-3-Meisterschaft beugen muss: einem jungen Finnen namens Mika Häkkinen. Die Revanche kommt ein paar Wochen später, als die beiden beim internationalen Formel-3-Klassiker in Macau, der schon viele Motorsport-Superstars hervorgebracht hat, wieder aufeinandertreffen. Diesmal heißt der Sieger Schumacher – Häkkinen fliegt in der letzten Runde bei einer Gewaltattacke auf den führenden Michael in die Leitplanken.

Aber nicht nur der Formel-3-Meistertitel und der international sehr wichtige Macau-Erfolg bringen Schumacher 1990 auf der Karriereleiter weiter. Mindestens genauso wichtig ist der Schritt ins Gruppe-C-Werksteam von Mercedes. Also weg von den offenen Formel-Autos mit den frei stehenden Rädern, deren Königsklasse die Formel 1 ist, in eine andere Welt: zu den Sportwagen, Rennautos mit Dach über dem Kopf, die Räder von der Karosserie verdeckt. Außerdem sind die Rennen dort keine Sprint-, sondern Langstreckenrennen über mindestens sechs Stunden, weshalb sich auch immer mindestens zwei Fahrer ein Auto teilen und abwechselnd hinter dem Lenkrad sitzen – die Fahrerwechsel bei den Boxenstopps machen einen besonderen Reiz dieser Motorsport-Kategorie aus. Viele Experten schütteln freilich damals über die Entscheidung von Willi Weber, diesen Weg für den vielversprechenden Formel-Piloten auszuwählen, den Kopf. Ein Ausflug zu den Sportwagen, was soll das einem jungen Talent denn bringen, das ist die vorherrschende Meinung.

Bei Mercedes will Jochen Neerpasch, der einst als BMW-Rennleiter als Macher des dortigen berühmten BMW-Junior-Teams bekannt wurde, nun das Experiment, das bei BMW so gut funktioniert hat, wiederholen: Drei Mercedes-Junioren möchte er für die Zukunft aufbauen, seine Wahl fällt auf Schumacher, Frentzen und Wendlinger. An der Seite der »alten Hasen« Jochen Mass, Jean-Louis Schlesser und Mauro Baldi sollen die Jungen bei Sauber-Mercedes, benannt nach dem Teamchef Peter Sauber, vor allem eines: lernen, lernen, lernen … Auf der Strecke genauso wie neben der Strecke: Wie man sich gut verkauft, wie man sich in Gesellschaft bewegt, das Benehmen in guten Restaurants, gekonnter Umgang mit den Medien, souveränes Auftreten im Fernsehen – all das steht auf dem Lehrplan. Alles, was man heute als Profisportler eben so braucht.

Für Schumacher, der seine Herkunft aus kleinen Verhältnissen nicht verleugnen kann und es auch nicht will, ist das eine neue Welt. Aber er will auch hier lernen – und er lernt schnell. Der Unterschied zwischen dem Michael Schumacher der Jahre 1990/91 und dem Jungen, der am Anfang seiner Formel-3-Zeit immer etwas unsicher und manchmal auch unbeholfen wirkte, sobald es nicht ums reine Fahren ging, ist enorm. Er lernt sehr gut Englisch und erfährt, wie sich ein zukünftiger Star ohne größere Probleme in der Öffentlichkeit bewegen sollte: Souveräne, lockere Präsentation in Interviews sowie ein angenehmes, nettes Auftreten werden geübt, auch Rhetorikkurse und das Training von Live-Situationen vor TV-Kameras stehen auf dem Programm. Da wird geschliffen und gefeilt, bis die Youngsters sich wie ausgebuffte Medienprofis bewegen.

Auf der Rennstrecke braucht Schumacher weniger Training. Was an ihm auffällt: Er ist immer sofort da. Teamchef Peter Sauber erinnert sich später: »Sobald er ins Auto stieg, war er schnell. Er brauchte keine langen Eingewöhnungszeiten, er hat immer gleich auf Anhieb tolle Zeiten vorgelegt. Im Laufe der Zeit sind die anderen oft herangekommen, die Unterschiede waren am Ende sehr oft minimal, aber Michael hat immer erst einmal vorgelegt. Das hat ihn herausgehoben.«

Speziell zwischen Schumacher und Frentzen entwickelt sich in dieser Zeit eine ziemlich heftige Rivalität: Wer von den beiden tatsächlich öfter der Schnellere war, wird nie ganz klar. Das ist auch immer davon abhängig, welchem der damaligen Augenzeugen man später zuhört und glaubt. Eines ist sicher: Viele Experten halten damals Frentzen für das größere Naturtalent, den mit dem höheren »natural speed«, wie das im Rennsportenglisch heißt. Was Schumacher ärgert – und noch mehr anstachelt, diesen Eindruck zu revidieren. Vor allem, weil er sich schon damals, wohl nicht ganz zu Unrecht, als denjenigen sieht, der härter arbeitet und fleißiger trainiert und der dann die »Belohnung«, den Titel, auch eher verdient habe als einer, der nicht ganz so extrem sein ganzes Leben einzig und allein auf den Rennsport fixiert.

Aber er ist auch bereit, genau hinzuschauen, wenn der Rivale etwas besser kann. Gleichzeitig schnell und spritsparend zu fahren zum Beispiel, was damals bei den Langstreckenrennen der Gruppe C sehr wichtig ist. Bei einem Test in Jerez geht es genau darum – und Frentzen meistert die Aufgabe zunächst deutlich besser. Schumacher kann den Unterschied zunächst kaum fassen, achtet aber dann ganz genau auf Frentzens Fahrweise, als der wieder auf der Strecke ist, hört auf Drehzahlen, auf jeden Schaltvorgang. Beim zweiten Versuch schafft er es dann auch, schnell zu sein und das Spritlimit trotzdem einzuhalten.

Die Rivalität der beiden ist damals schon groß, später wird sie sich vom Sportlichen auch auf das Private ausdehnen. Denn Frentzens damalige Freundin Corinna wird 1991 die neue Partnerin von Schumacher, was natürlich erst einmal eine Menge Konfliktpotenzial mit sich bringt, dazu mehr in Kapitel 5.

Dass es bis zum ersten Sieg in der Gruppe C eine Weile dauert, tut Schumachers Image keinen Abbruch, er überzeugt auch so. Lehrmeister Jochen Mass, als besonderer Betreuer für die Junioren zuständig, lässt keine Gelegenheit aus, seinen Schützling zu loben: »Mir war von Anfang an klar, wie gut er ist, welches Potenzial er hat – und er wird immer besser.« Im Mercedes-Team von Peter Sauber lernt Schumacher auch: Fehler macht am Anfang jeder. Sie sind kein Beinbruch – wenn man daraus lernt. Das Wissen, auch einmal einen Fehler machen zu dürfen, ohne gleich Konsequenzen für die Karriere befürchten zu müssen, gibt Sicherheit. Sicherheit und das Selbstvertrauen, ans Limit zu gehen, wirklich die eigenen Grenzen und die des Autos immer wieder zu erfahren und zu erfühlen.

Und noch etwas lernt er, was gerade in der Arbeit mit einem großen Team, wie es ihm später in der Formel 1 begegnen wird, besonders wichtig ist: Er lernt, in so einer Mannschaft wirklich professionell zu arbeiten, »er lernt vor allem Disziplin«, wie Mass es ausdrückt. Lange, konzentrierte Briefings nach jedem Training, Abstimmungsarbeit auch mithilfe der Elektronik, die Arbeit mit Computern nicht nur im Motor-, sondern auch im Fahrwerksbereich – all das wird damals in der Gruppe C schon wesentlich intensiver und extremer betrieben als in der Formel 3. Als Schumacher zwei Jahre später bei Benetton mit einem aktiven Aufhängungssystem konfrontiert wird, das die Straßenlage des Autos auf elektronischem Weg immer optimal an die in jedem Moment gerade herrschenden Bedingungen anpasst, damals gerade der »letzte Schrei« in der Formel 1, ist das für ihn nichts völlig Neues: »Versuche in diese Richtung gab es damals bei Mercedes schon.«