Mimi und die kalte Hand - Viveca Lärn - E-Book

Mimi und die kalte Hand E-Book

Viveca Lärn

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Beschreibung

Mimi hat ihr erstes Schuljahr gemeistert und geht jetzt schon in die zweite Klasse. Da muss man auch schon Vorträge halten und Mimis Vortrag handelt von einer alten Burg. Wie es sich für eine richtige Burg gehört, spukt es dort natürlich auch. Mimi findet das ganz schön unheimlich, aber Arne sagt, das sei vollkommen normal. Ob die beiden ein richtiges Gespenst treffen werden? Biografische Anmerkung Viveca Lärn wurde 1944 als Tochter des Journalisten und Zeichners Hubert Lärn in Göteborg geboren. Nach einer Karriere als Journalistin bei verschiedenen schwedischen Zeitungen beschloss sie im Jahr 1983, sich vollständig dem Schreiben von Büchern zu widmen. Seit ihrem ersten Kinderbuch aus dem Jahr 1975 hat sie insgesamt 40 Kinderbücher veröffentlicht. Berühmt wurde sie vor allem durch die Mimmi-Buchserie, die mit dem Buch "Mimmi und das Monster im Schrank" eingeleitet wurde. Viveca Lärn wurde mit vielen Literaturpreisen ausgezeichnet, darunter der Astrid Lindgren-Preis, die Nils Holgersson-Plakette und Expressens Heffaklumb.

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Viveca Lärn

Mimi und die Kalte Hand

Deutsch von Angelika Kutsch

Saga

Mehr aus Mimis Tagebüchern findet ihr in

Mimi und das Monster im Schrank

Mimi in der ersten Klasse

Meine Freundin Roberta und der König

Roberta, mein Tagebuch und ich

Mimis allerbester Freund

und in dem Bilderbuch

Mimi und die Keksfabrik

Vorwort

Heute ist der 5. Januar, und ich bin acht Jahre alt und achtundsiebzig Tage.

Rate mal, was ich in der Hand habe?

In der Hand habe ich ein ganz neues, glänzendweißes Tagebuch. Ein Tagebuch so weiß wie Schnee.

Da fällt mir ein, ich möchte mal wissen, wann denn der richtige Schnee endlich vom Himmel fällt. Die Wolken sind den ganzen Tag so schwer gewesen. Sie sehen aus wie Papas graue Jogginghose, wenn er sie auf die Wäscheleine auf unseren Balkon gehängt hat.

Das ist das erste Tagebuch, das ich mir für mein eigenes Geld gekauft habe. Es hat sechsunddreißig Kronen gekostet. Jetzt hab ich nur noch vierzehn Ein-Kronen-Stücke in meiner Kassenschublade und einen russischen Knopf.

Wenn man etwas für sein eigenes Geld gekauft hat, darf man damit machen, was man will.

Deswegen hab ich das Wort Tagebuch mit einem roten Farbstift ausgestrichen.

Statt dessen hab ich Kapitelbuch darübergeschrieben. Das ist viel frecher.

Außerdem hab ich Bücher mit vielen Kapiteln sehr gern.

Morgen fang ich an, in mein Kapitelbuch zu schreiben.

Mimi

Erstes Kapitel

Ich wurde wach, weil es schneite.

Viele Leute glauben, das ist unmöglich. Es ist nicht unmöglich, daß es schneit, aber daß man davon wach wird. Die Leute, die das glauben, sind noch nie in der Stadt gewesen. Auf dem Land schneit es vielleicht ganz still, und alles andere wird auch ganz still, denn der Schnee legt sich wie Watte auf alle Felder und Äcker. Auf dem Land gibt es ja Hähne, die krähen um sieben Uhr, aber die hört man auch fast gar nicht, wenn es schneit.

Aber in der Stadt ist was los, wenn es schneit!

Nicht die Schneeflocken haben mich geweckt, sondern ein Haufen Männer, die schippten und fluchten und versuchten, ihre Autos zu starten. Ich sprang aus dem Bett und guckte aus dem Fenster. Es sah sehr lustig aus da unten. Die Autos rutschten auf der Straße, und Leute versuchten, Autos anzuschieben, die steckengeblieben waren. Die Frau aus dem Blumengeschäft stand auf einer Leiter mitten in einer Schneewehe und versuchte, den Schnee von der grünen Markise überm Schaufenster wegzufegen. Bestimmt wünschten sich viele, die vorbeigingen, daß sie von der Leiter fallen sollte, und das war gar kein wirklich böser Wunsch, man fällt schließlich ziemlich weich im Schnee.

Vor dem Tabakladen stand mein Papa und schob sich eine Prise Schnupftabak in die Nasenlöcher. Ich glaub, er hat sich Silvester vorgenommen, damit aufzuhören.

Ich machte das Fenster auf und rief ihn.

Er winkte fröhlich und schrie: »Fängt heute nicht wieder die Schule an, Mimi?«

»Ja, um zehn Uhr!« rief ich zurück.

»Willst du, daß ich mit dir komme?« schrie er, daß der Schnupftabak nur so spritzte.

Ich machte das Fenster mit einem Knall zu und sank auf mein Bett. Jetzt war man mal wieder in der ganzen Straße blamiert, und es war nicht das erste Mal. Wenn die Schule in der zweiten Klasse nach den Weihnachtsferien wieder anfängt, dann ist es sozusagen schon das dritte Mal, daß man wieder in die Schule geht. Mindestens. Da brauchen doch Papa oder Mama nicht mehr mitzugehen. Die meisten Eltern haben das kapiert.

Auf meinem Schreibtischstuhl lagen ein Haufen Kleider und ein Blatt Papier.

Hallo, Mimi, Hier sind deine sachen für den schulanfang heute. Das frühstück machst du dir doch selbst? Weck mich, wenn es nötig ist. Küsschen! Mama.

Mama bildet sich wahrscheinlich ein, daß sie sehr ordentlich gewesen ist, weil sie heute nacht in meinem Zimmer rumgestöbert hat, als sie von der Arbeit nach Hause kam. Mein blauer Jeansrock und die rosa Bluse mit den Rüschen lagen ordentlich auf dem Stuhl. Ich ging ins Schlafzimmer und kitzelte sie am Ohr.

»Hallo, Mimi«, murmelte sie. »Mir ist gerade noch rechtzeitig eingefallen, daß heute die Schule wieder anfängt.« Sie drehte sich um und schlief wieder ein und sah dabei sehr zufrieden aus.

»Ja, aber jetzt ist Winter und nicht Sommer!« schrie ich in ihr Ohr. Meine Mama ist so. Aber sie kann sehr gut Kleider für meine Anziehpuppen zeichnen.

Wenn man nun schon zum drittenmal nach den Ferien wieder in die Schule geht, findet man es etwas albern, daß es mit dem Aufruf anfängt. Mein Nachname fängt mit Lan, weil ich Ljung mit Nachnamen heiße, und da muß man ziemlich lange warten, bis man an die Reihe kommt, und das ist langweilig. Das dachte ich jedenfalls, als ich morgens dasaß und mein Frühstück mit den armen paar Zähnen, die ich noch habe, knabberte. In den Weihnachtsferien hab ich nämlich zwei Zähne verloren.

Aber es kam alles ganz anders, als ich dachte.

Auf dem Schulhof war es noch wie immer. Die Jungen standen in einem unordentlichen Haufen zusammen und spielten verrückt. Das taten die Mädchen natürlich nicht. Die standen wie immer zwei und zwei nebeneinander. Linda und Janna flüsterten und amüsierten sich sehr, besonders als sie mich entdeckten. Ich hatte meine neue blaue Mütze auf, die Tante Anna gestrickt hat. Echt Stenmark. Ich dachte also, das wäre okay. Aber weil Linda und Janna so sehr kicherten, stopfte ich sie in die Tasche. Ich hab ja keine Angst davor, Schnee ins Haar zu bekommen. Angelica und Jessica gingen Arm in Arm über den Schulhof und machten lustige Fußspuren in den Schnee. Beim Fahnenmast standen Maria und Maria Magnusson und tauschten ihre Fäustlinge.

Ich wollte den Schnee nicht von meinem Kopf wegwischen, aber er wurde doch ein bißchen schwer und naß, und langsam lief es kalt in meinen Jackenausschnitt am Hals.

Ich beugte mich zurück, so daß der Schnee statt auf meinen Kopf in meinen Mund fiel. Das hat die Zahnärztin jedenfalls noch nie verboten. Übrigens hab ich zwei Fluortabletten auf meinem Wurstbrot für die Frühstückspause.

Da klingelte es. Das war ein sehr schönes Geräusch, das ich schon lange nicht mehr gehört hab. Zuletzt im letzten Jahr, genauer gesagt. Alle stürzten zum Eingang. Ich wollte auch losstürzen, aber in dem Augenblick kam Roberta Karlsson angeschlendert, ganz allein.

»Hallo, Mimi!« rief sie.

Mehrere aus meiner Klasse guckten mich bewundernd an. Roberta Karlsson ist nämlich schon ziemlich groß.

»Hallo«, sagte ich lässig.

»Hast du Post von Lasse aus Norrland?« rief sie.

Ich mußte lachen. »Nee, du«, sagte ich. »Lasse kann ja kaum schreiben. Und wenn er was schreibt, dann bestimmt keine Briefe. Höchstens Autonummern. Jungs schreiben keine Briefe.«

»Ach«, sagte Roberta und zog an ihren Ohrringen, so daß ihre Ohrläppchen ganz lang wurden. »Komisch, daß ich sogar zwei Briefe gekriegt hab! Mit ganz vielen Autonummern aus Norrland.«

Roberta Karlsson ist wirklich ein hoffnungsloser Fall.

»Ich muß rein«, sagte ich. »Gleich werden wir aufgerufen.« »Ja, ja, lauf nur, du Zwerg«, sagte Roberta Karlsson.

Unsere goldige Lehrerin, die Frau Svensson heißt, glitzerte wie eine Wunderkerze, als sie uns guten Tag sagte. An einer Hand trug sie einen dicken Ring aus echtem Gold, aber das hab bestimmt nur ich gesehen.

Wir gingen an ihr vorbei und setzten uns auf unsere alten Plätze. Sobald Frau Svensson sich hinter das Pult gesetzt hatte, schlug sie das Klassenbuch auf und rief unsere Namen auf.

»Arne Andersson!« rief sie.

Ich fiel fast rückwärts vom Stuhl. Ein Glück, daß ich es nicht getan hab, es ist nämlich verboten, in der zweiten Klasse mit dem Stuhl zu wippen.

In der dritten Klasse wird es noch schlimmer. Dann darf man nicht rauchen, und in der vierten dürfen die Mädchen keine Shorts tragen, wenn es auch noch so warm ist. Ja, echt wahr! Und tatsächlich war es Arne Andersson. Oder Arne Schmidt, wie er früher hieß. Oder Arne von Schmidt. So heißt er wirklich, hat er früher behauptet. Arne und ich sind zusammen in die Vorschule gegangen, als wir sechs Jahre alt waren. Und Arne hat mir mal geholfen, ein Monster zu befreien, das im Büro von unserer Lehrerin eingesperrt war. Das war früher in der Vorschule. Dann ist er verschwunden. Und jetzt, in der zweiten Klasse, war er also plötzlich wieder da. Mit den selben dunklen Locken und mindestens genauso vielen Sommersprossen. Aber lang wie eine Lauchstange war er geworden, Arne Andersson von Schmidt.

Zweites Kapitel

Arne wohnt sehr weit weg, nicht mehr in dem gelben Haus am Marktplatz, wo er früher gewohnt hat, als wir noch in die Vorschule gingen. Er ist der einzige aus unserer Klasse, der mit dem Schulbus zur Schule kommt.

»Wohnst du immer noch in Stockholm?« fragte Janna, und Linda kicherte so, daß sie nur noch auf einem Bein stehen konnte.

»Leider nicht«, sagte Arne. »Bis Stockholm sind es ja fünfhundert Kilometer.«

»Aber das wißt ihr wahrscheinlich gar nicht«, sagte Jorma.

»Ihr seid ja noch nie in Stockholm gewesen.«

Jorma hält zu Arne, egal, was Arne tut.

»Ich bin doch schon mal in Stockholm gewesen. Im Tierpark mit meiner Oma«, sagte Janna und plusterte sich auf.

»Das kann ich mir vorstellen, da paßt du genau hin. Zu den affen«, sagte Arne lachend. Er hat auf fast alles eine Antwort.

Gestern hat unsere Lehrerin gesagt, wir sollen besonders nett zu Arne sein, weil er doch neu in der Klasse ist, aber heute sah sie aus, als ob ihr das wieder leid täte.

Arne kennt fast alle, und als es heute nach der großen Pause klingelte, da hat er sich was Lustiges einfallen lassen.

Das hat er in Stockholm gelernt.

Wir gingen nicht in den Klassenraum wie sonst, sondern hüpften alle in einer Reihe auf einem Bein. Aber unsere Lehrerin fand das überhaupt nicht witzig.

Sie fragte uns ziemlich ärgerlich, was wir uns dabei gedacht hätten, so ins Klassenzimmer zu hüpfen. Aber niemand antwortete ihr. Dann fragte sie, wer sich das ausgedacht hätte, und da antwortete auch niemand. Da fragte sie Linda, die ihr am nächsten stand, ob sie etwas von diesem Gehüpfe wisse. Linda schüttelte ängstlich den Kopf.

Aber Maria Magnusson sagte: »Das war doch noch gar nichts. In Stockholm machen sie das jeden Tag.«

Einen Augenblick war es still. Dann guckte Frau Svensson auf ihren Goldring und sagte: »Was für ein Glück, daß wir in unserer netten kleinen Stadt wohnen, wo man sich auch benimmt wie in einer netten kleinen Stadt.«

Das gefiel Linda so gut, daß sie Beifall klatschte, und das tat sie eine ganze Weile.

Um drei Uhr war die Schule erst aus, und da war es schon fast dunkel.

»Es ist ungerecht«, sagte Janna, »daß es im Winter in Schweden so selten hell ist.«

»Und wenn es schon mal hell ist, ist man in der Schule«, sagte Maria Magnusson.

»In Stockholm war es den ganzen Tag dunkel«, sagte Arne.

»Wirklich«, sagte Jorma, »stimmt das?«

»Jedenfalls wenn man in der Untergrundbahn ist«, sagte Arne.

Wir wurden ganz still. Ich glaub nicht, daß jemand aus meiner Klasse jemals mit der U-Bahn gefahren ist. Einige sind mit der Berg-und-Tal-Bahn in unserem Vergnügungspark gefahren, der heißt Liseberg. Aber da ist es nicht dunkel. »Wie viele Male am Tag bist du mit der U-Bahn gefahren, Arne?« fragte Krille.

»Zweimal«, sagte Arne. »Manchmal fünfmal. Kam ganz darauf an, wer an der Sperre saß. Oh, da kommt mein Bus. Tschüs.«

Arne sprang in den Schulbus und drehte sich nicht mehr nach uns um, als der Bus abfuhr. Das war auch gut so. Fast die ganze Klasse stand mit offenem Mund da.

»An der Sperre«, sagte Jorma bewundernd.

»Was heißt das schon, an der Sperre«, sagte Linda mit piepsiger Stimme.

Ja, das möchte ich wirklich wissen. Als ich mit Papa zusammen Mittag aß (braune Bohnen, erinnert mich bloß nicht daran!), fragte ich ihn, was das mit der Sperre bedeutete.

»Hum«, machte Papa. Er blätterte gerade in einer Zeitschrift, in der Stockrosen abgebildet waren. Im Frühling wollte er Stockrosen in unserem Schrebergarten pflanzen. »Aha«, sagte ich, »Sperre ist also so was wie hum. Sehr interessant!«

»Hum«, machte Papa wieder.

Meine Mama sagt, daß man beim Essen nicht lesen darf, außer man ißt ganz allein. Aber mein Papa hat das noch nicht begriffen. Vielleicht denkt er aber auch, daß es kein Lesen ist, wenn er sich ein paar alte Rosen anguckt.

»Was ist eine Sperre, Papa?« fragte ich.

»Hum«, machte er, »hum, hum.«

»Sperre!« schrie ich.

»Hum ... hum, hum«, machte Papa.

Da stand ich auf und sagte: »Papa, gibst du mir bitte fünfhundert Kronen, damit ich mir ein Seeräuberschiff Marke Playmobil kaufen kann?«

»Bist du verrückt«, sagte Papa blitzschnell. »Woher soll ich fünfhundert Kronen nehmen, und du hast doch noch nicht mal Geburtstag!«

»Ich wollte nur wissen, ob du noch lebst«, sagte ich.

Papa schüttelte den Kopf. Ich stellte meinen Teller in das Spülbecken und überlegte, ob ich nicht lieber an der Sperre sitzen wollte statt Hirnchirurg zu werden. Oder Schwimmlehrerin. Oder Delphinzähmerin. Ich weiß nicht, aber wenn ich mal heirate, dann will ich einen Mann haben, der gut hören kann.

Drittes Kapitel

Als wir heute aus der Schule kamen, stand der Schulbus schon da und brummte. Der Schneehaufen auf dem Bürgersteig war kaum zu sehen vor lauter Abgasen.

Das würde dem Hausmeister nicht gefallen.

Aber Busfahrer haben vermutlich keine Angst vor Hausmeistern, denn der Fahrer saß ganz ruhig da und las in einer Zeitung.

Hinten im Bus saßen einige aus der Sechsten und schliefen mit offenem Mund, und die Türöffnung war verstopft von den Erstkläßlern, die gerade einsteigen wollten. Das muß schon besonders schlimm sein, wenn man Erstkläßler Und auch noch vom Lande ist.

»Die warten wohl nur noch auf dich«, sagte Jorma bewundernd und versetzte Arne einen Stoß in die Seite.

Aber Arne warf nur einen verächtlichen Blick auf den Bus und warf seinen Rucksack in die Luft.

»Oh, ich glaub, ich fahre heute nicht nach Hause.«

»Was, was, was, bist du verrückt?« piepste Linda. »Was sagen denn deine Mama und dein Papa? Und der Busfahrer. Und Frau Svensson? Beeil dich und steig ein, Arne.«

Sie war so nervös, daß sie sich in die Handschuhdaumen biß.

»Hat jemand Lust und macht mit? Irgendwas Lustiges?« fragte Arne und hob seinen Rucksack mit einem Fuß hoch. »Ja, ja, ja!« schrien mehrere, meistens Jungs.

Der Fahrer faltete die Zeitung zusammen und steckte sie hinter die Sonnenblende oben an der Windschutzscheibe und fuhr los.

»Aber ich muß zu meiner Tagesmama«, sagte Krille.

»Und ich ins Freizeitheim«, sagte Jorma enttäuscht.

»Ich muß nach Hause, essen«, sagte Maria Magnusson.

Arne guckte niemanden an. Er ging langsam los.

»Entscheidet euch!« rief er über die Schulter.

Alle redeten durcheinander. Ich hatte es fast am besten, denn ich hab keine Tagesmama und kein Freizeitheim, und auf mich wartet niemand mit dem Essen. Ich hab einen eigenen Schlüssel und kann machen, was ich will. Das kommt daher, daß mein Papa immer irgendwann nach Hause kommt, wenn er die Post ausgetragen hat, und dann kann ich auch wieder nicht machen, was ich will.

In dem Augenblick kam Roberta Karlsson. Sie ging an mir vorbei, und ich dachte schon, sie hat mich nicht gesehen, da haute sie mir einen großen Atlas auf den Kopf und sagte: »Komm nachher zu mir, Mimi. Ich bin allein zu Hause. Wir können Popcorn machen.«

Jetzt wurde es wirklich spannend.

Roberta verschwand wie der Blitz, aber Arne ließ sich Zeit. Fast die ganze Klasse latschte hinter ihm her.

»Was wollen wir denn machen, Arne?« fragte Jorma.

»Tja, was wollen wir machen«, sagte Arne. »Was macht ihr denn sonst in diesem Kaff?«

Arne ist wirklich ein komischer Typ. Sogar Björn Axelsson lachte so, daß er in einen Schneehaufen fiel, und wir mußten ihn wieder hochziehen. Björn Axelsson ist sonst so einer, der nur über seine eigenen Witze lacht. Er findet sie jedenfalls selbst witzig.

»Wir gehen ins Freizeitheim und spielen Ball und so was«, sagte Janna.

»Oder wir gucken uns Schaufenster an«, sagte Linda.

»Ich geh in die Küche vom ›Goldenen Schwan‹ und hol mir Fleischklößchenteig«, sagte ich.

»Wenn die Eisbahn geöffnet ist, spielen die Jungs Eishockey«, sagte Ralf Jonsson.

Aber Arne schüttelte dauernd den Kopf. »Stinklangweilig.« Wir waren ziemlich still. In großen Abständen segelten dicke Schneeflocken durch die Luft, und ich schaffte es, drei mit dem Mund aufzufangen. Aber es hatte wohl niemand gesehen.

»Jetzt gehen wir zu meiner Tagesmama«, sagte Janna, nahm Linda am Arm und haute ab.

»Feiglinge!« rief Jorma ihnen hinterher.

Maria und Maria Magnusson gingen in eine andere Richtung weg, ohne ein Wort zu sagen.

»Spielt ihr denn nie in der Burg?« fragte Arne plötzlich.

»Burg, welche Burg?« fragten wir durcheinander und blieben stehen.

Arne zeigte stumm auf die Festung oben auf dem Hügel.

»Ach so, die Festung«, sagten wir. »Das ist doch nur eine alte Festung, keine Burg.«

Die Festung ist eine riesige Ruine, liegt hoch oben auf einem Hügel auf einer Halbinsel zwischen den beiden Flüssen, die um unsere Stadt herum fließen. Die Festung ist siebenhundert Jahre alt und riesengroß, aber wir sind so an sie gewöhnt, daß wir sie gar nicht mehr sehen. Nur die Touristen sehen sie und Leute, die in Stockholm gewesen sind. In der Festung gibt es drei kaputte Türme und einen, der noch fast heil ist. Also nichts Besonderes. Aber es ist ganz lustig, daß im Sommer alte Schafe auf den Wiesen um die Festung grasen. Aber das interessiert niemanden aus meiner Klasse.

»In Stockholm heißt das jedenfalls Burg«, sagte Arne.

»Dann gehen wir doch mal hin«, sagte Krille eifrig.

»Das könnt ihr ja machen«, sagte Arne, »wenn ihr Lust habt. Aber ich hab jetzt Hunger. Ich geh nach Hause.« Und dann drehte er sich um und rannte in die andere Richtung los, so schnell er konnte.

»Wie will er denn jetzt nach Hause kommen?« murmelte Jorma besorgt. »Der Schulbus ist doch weg.«

»Vielleicht fährt er als Anhalter«, sagte ich. »Das ist gefährlich. Einer, der mit meiner Mama zusammen arbeitet, ist mal als Anhalter gefahren, und der, der das Auto fuhr, hat ihm alles Geld weggenommen.«

»Wieviel?« fragte Ralf Jonsson. »Fünfzig Öre, was?«

»Nein, stell dir vor, es war viel mehr«, sagte ich. »Französisches