Mio-Jana  Immense Liebe und Angst - Michael Kerawalla - E-Book

Mio-Jana Immense Liebe und Angst E-Book

Michael Kerawalla

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Beschreibung

Nach zahlreichen unangenehmen Erfahrungen wird Jana im vorletzten Jahr der Oberschule in eine neue Schulklasse versetzt. Klein, zierlich, schüchtern, ängstlich und mit der Angewohnheit, in jeder freien Minute irgendetwas zu zeichnen, wird sie auch dort schnell zur gemiedenen Außenseiterin. Als ihr wieder einmal auf dem Heimweg von der Schule drei gemeine Mitschülerinnen aus ihrer ehemaligen Klasse auflauern und sie misshandeln, kommt ihr Mio, ein Mädchen aus ihrer Klasse, zu Hilfe. Die beiden freunden sich an und Jana wird sogar zum Mitglied der Clique um Mio, die sie fortan vor den Attacken ihrer Mitschüler beschützt. Bald sind die fünf Mädchen unzertrennlich, während sich zwischen Jana und Mio allmählich zärtliche Gefühle entwickeln. Schließlich gestehen sich beide ihre Liebe zueinander und werden ein Paar, doch ihre Beziehung wird schon bald von zahlreichen Problemen überschattet. Janas ständiger Überlebenskampf wegen ihrer rücksichtslosen Eltern, neidische und gemeine Mitschüler, konservative Lehrer und schließlich ein schrecklicher Unfall bedrohen die junge Liebe. Werden beide genug Kraft haben alles zu überstehen? Wird Jana endlich eine liebevolle Familie finden? Die bittersüße Geschichte zweier lesbischer Mädchen und ihr harter Kampf ums Überleben, um ihre Liebe und ihre Zukunft! Band 1 der Girls-Love Erzählung mit viel Gefühl, Spannung und Humor. Mit Illustrationen des Autors.

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Seitenzahl: 402

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Michael Kerawalla

Mio-Jana

Immense Liebe und Angst

Michael Kerawalla

Mio-Jana

Immense Liebe und Angst

Die Bände der Mio-Jana Reihe:

1. Immense Liebe und Angst (illustriert)

2. Gefahr, Erlösung und neue Wege (illustriert)

Copyright © Michael Kerawalla 2023

Erste Auflage, 2023

2023 Mit Illustrationen des Autors

Druck und Distribution im Auftrag des Autors:

tredition GmbH, Heinz-Beusen-Stieg 5, 22926 Ahrensburg, Germany

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Für die Inhalte ist der Autor verantwortlich. Jede Verwertung ist ohne seine Zustimmung unzulässig. Die Publikation und Verbreitung erfolgen im Auftrag des Autors, zu erreichen unter: tredition GmbH, Abteilung "Impressumservice", Heinz-Beusen-Stieg 5, 22926 Ahrensburg, Deutschland.

Print ISBN: 978-3-3840-1779-6

E-Book ISBN: 978-3-3840-1780-2

Für alle Liebenden

Inhalt

Cover

Titelblatt

Urheberrechte

Die neue Schülerin

Geständnisse

Glückliche Tage

Angst um Jana

Ein verzweifeltes Mädchen

Endlich wieder vereint

Danksagung

Über Young Carers

Tipp: Wuun-Serie, Band 2: Turoon

Tipp: Homoroid-Serie, Band 1: Timuris Auftrag

Mio-Jana Immense Liebe und Angst

Cover

Titelblatt

Urheberrechte

Die neue Schülerin

Tipp: Homoroid-Serie, Band 1: Timuris Auftrag

Mio-Jana Immense Liebe und Angst

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Die neue Schülerin

Wie an jedem Werktag gingen Jana und ich morgens gemeinsam aus dem Haus. Draußen gaben wir uns einen Abschiedskuss.

»Bring dein Gebäude nicht zum Einsturz!«, sagte Jana grinsend.

»Werd’ mir Mühe geben«, antwortete ich schmunzelnd. Dann eilte Jana auch schon die Bahnhofstraße entlang, winkte mir noch einmal fröhlich zu und bog dann eilig um die Ecke. Auch heute war sie zu spät dran und musste sich beeilen, ihren Zug noch zu erwischen. Ich blickte ihr amüsiert hinterher und machte mich dann auch auf den Weg zur Arbeit. Ich war so stolz auf Jana! Bis hierher hatte sie es geschafft ihr Leben zu meistern, obwohl sie einen ziemlich schweren Start hatte! Sie arbeitete als Zeichnerin in einer Anime-Produktionsfirma. Eine Arbeit, die ihr großen Spaß machte und die sie auch sehr gut beherrschte, denn Jana war schon als Kind eine beeindruckende Zeichnerin und hatte damals jede freie Minute genutzt, um ihr Hobby auszuleben. Ich selbst bin in die Fußstapfen meines Vaters getreten und arbeite als Architektin. Eine Arbeit, die auch mir viel Freude bereitet! Doch es gibt nichts, was ich so sehr liebe wie Jana! Inzwischen leben wir schon seit vielen Jahren als gleichgeschlechtliches Paar zusammen und sind ausgesprochen glücklich dabei! Unsere gemeinsame Geschichte begann mit dem Start des vorletzten Oberschuljahres. Damals kam Jana neu in meine Schulklasse. Sie war ein kleines, zierliches, schüchternes, etwas ängstliches Mädchen, das kaum sprach und deshalb von ihren Mitschülern als sonderbar angesehen wurde. Ihre Kontaktscheue wurde von zahlreichen Klassenkameraden als Arroganz missverstanden, weshalb Jana gemieden wurde, was ihr nur recht zu sein schien. Auch ihre Angewohnheit, möglichst in jeder freien Minute irgendetwas zu zeichnen war den meisten Schülern suspekt. Selbst ich traute mich zuerst nicht Kontakt mit ihr aufzunehmen, denn bald schon galt sie in der Klasse als durchgeknallter Freak, den man am besten mied! Doch gerade deshalb, weil sie so anders war, faszinierte sie mich irgendwie und ich hielt sie aus mir damals nicht verständlichen Gründen für sympathisch. Das durften aber meine Freundinnen und die restlichen Schüler nicht wissen, denn sonst hätten sie mich wohl auch zum Freak abgestempelt und gemieden, was mir nicht bekommen wäre. So beobachtete ich Jana längere Zeit heimlich, meist aus der Ferne und möglichst unauffällig, damit es niemand bemerkte. Eines Tages, auf dem Heimweg nach der Schule, sah ich, wie Jana von drei fremden Mädchen in meinem Alter hin und her geschubst wurde, bis sie zu Boden ging. Das ging nun wirklich zu weit, weshalb ich rasch zu ihr lief. »Hey, lasst sie gefälligst in Ruhe!«, rief ich den Mädchen zu und baute mich drohend vor ihnen auf.

»Was willst du denn? Halt dich gefälligst da raus, das ist unsere Sache!«, keifte eines der Mädchen.

»Ja, los, verpiss dich!«, meinte ein anderes Mädchen.

»Verpisst ihr euch lieber! Müsst ja verdammt mutig sein, zu dritt auf ein Mädchen loszugehen!«, schimpfte ich wütend.

»Hast ja eine ganz schön große Klappe. Das werden wir dir gleich mal austreiben!«, meinte das dritte Mädchen und griff nach mir.

Ich erfasste blitzschnell ihre Hand und verdrehte ihr den Arm, worauf sie wimmernd vor mir stand.

»Aua! Lass los! Das tut echt weh!«, jammerte sie.

»So! Wer hat denn hier nun eine große Klappe?«, fragte ich sie und verpasste ihr einen kräftigen Schubs, worauf das Mädchen Bekanntschaft mit dem Boden machte, wobei sie sich beim Abfangen auch noch ungeschickt die Hand verstauchte.

»Aua! Das war voll gemein!«, rief sie und begann zu heulen.

»Na warte, das hast du nicht umsonst getan!«, rief ein anderes Mädchen und schlug nach mir.

Ich wich dem Schlag aus, drehte mich rasch um und rammte ihr meinen Ellbogen in den Magen, worauf das Mädchen zusammenklappte wie ein Taschenmesser und auf die Knie fiel, während sie sich mit schmerzverzerrtem Gesicht den Bauch hielt. Als das dritte Mädchen auf mich losgehen wollte, schleuderte Jana ihr die Schultasche mit voller Wucht an den Kopf. Das Mädchen strauchelte und fiel zu Boden, wo sie benommen liegen blieb und mehrmals den Kopf schüttelte. Ich half Jana beim Aufstehen. »Alles in Ordnung?«, fragte ich besorgt.

»Danke ja, alles noch heil«, antwortete sie.

Ich ergriff ihre Schultasche und gab sie ihr, was sie mit einem dankbaren Lächeln beantwortete. »Los, lass uns von hier verschwinden!«, riet ich und wir eilten davon.

»Das bekommst du noch zurück, du Miststück!«, rief das Mädchen, das sich den Bauch hielt.

Ich drehte mich zu ihr um und vergaß für einen Moment meine gute Erziehung, während ich ihr den erhobenen Mittelfinger entgegenstreckte. Dann bogen wir in eine Seitenstraße ab, wo Jana und ich für die Mädchen außer Sichtweite waren.

»Danke für deine Hilfe! Wäre aber nicht nötig gewesen«, sagte Jana leise, während sie mich verlegen ansah.

»Was heißt ‚nicht nötig gewesen‘? Ich konnte doch nicht einfach zusehen, wie sie zu dritt auf dich losgehen!«, antwortete ich empört.

»Das waren drei Mädchen aus meiner früheren Klasse. Die waren schon immer gemein zu mir. Das bin ich gewöhnt. Jetzt haben sie es wahrscheinlich auch auf dich abgesehen. Das tut mir leid!« Jana senkte kurz verschämt den Blick und sah mich dann entschuldigend an.

»Keine Sorge, mit denen werd’ ich schon fertig!«, antwortete ich beruhigend. »Warum sind die denn so gemein zu dir?«

»Weiß nicht! Die mögen mich einfach nicht. Sagen immer nur ‚blöder Freak‘ zu mir, weil ich alles Mögliche zeichne. In meiner jetzigen Klasse halten mich die meisten auch für einen Freak, lassen mich aber wenigstens in Ruhe.« Jana senkte betrübt den Kopf. »Bin ja selbst schuld, weil ich kaum rede und deswegen abweisend wirke. Außerdem zeichne ich ständig, was euch wahrscheinlich ziemlich schräg vorkommt. Zeichnen macht mir aber einfach total viel Spaß. Na ja, bin wohl wirklich ein Freak«, sagte sie mit verlegenem Lächeln.

»Jetzt mach dich mal nicht schlechter, als du bist! Ist doch nicht schlimm, wenn du nicht viel redest. Besser, als diese Typen, die dir mit ihrem Gelaber ständig in den Ohren liegen! Und wenn du gerne zeichnest, ist das doch völlig in Ordnung!«, beruhigte ich sie.

Jana sah mich verwundert an. »Du bist der erst Mensch, der so denkt! Die meisten mögen mich deswegen nicht oder halten mich für durchgeknallt!«

»Mach dir nichts draus! Für die meisten Leute da draußen ist jeder verrückt, der nicht so denkt, redet und handelt, wie sie selbst!«, sagte ich und winkte ab. »Lass dich davon nicht beeindrucken. Auf mich wirkst du bis jetzt ganz vernünftig!«

»Danke! Du bist nett!«, sagte Jana verlegen und blieb stehen. »Hier wohne ich. Danke nochmals, dass du mich beschützt und mich bis hierher begleitet hast.«

»Gern geschehen! Dann treffen wir uns morgen in der Schule.«

Jana nickte und öffnete die Haustüre des Mehrfamilienhauses, trat ein, winkte schüchtern mit einem feinen Lächeln und wandte sich dann dem Aufzug zu. Ich winkte zurück und machte mich ebenfalls auf den Heimweg. Eigentlich war Jana doch ganz nett und durchaus kein Freak, auch wenn sie oft zeichnete. Andere hatten noch viel schrägere Hobbys. Sie hatte recht schüchtern auf mich gewirkt, weshalb sie wohl auch nicht viel redete und deshalb nur schwer Kontakt zu anderen Menschen fand. Trotzdem war sie mir sympathisch und sie tat mir auch leid, weil sie von den meisten Leuten wegen ihres Verhaltens zum Außenseiter gemacht wurde, was sie aber nicht verdient hatte! Außerdem sah sie süß aus. Jana war etwas kleiner als ich, mit einem zierlichen Körper, hübschem Gesicht und dunklen, kurzen Haaren, die ihr meist etwas wirr im Gesicht hingen. Ihre Schuluniform war ein wenig zu groß und der Rock zu lang, was unvorteilhaft für ihr Aussehen war und die Abneigung einiger Leute ihr gegenüber verstärkte. Wahrscheinlich gab es keine Oberschul-Uniform in ihrer Größe, weil die meisten Mädchen in diesem Alter etwas größer und kräftiger gebaut waren.

So nahm ich mir vor, sie näher kennenzulernen, wenn das auch vorerst bedeutete, von einigen Klassenkameraden gemieden oder gehänselt zu werden. Vielleicht konnte ich die ja zur Vernunft bringen und Jana aus ihrer Außenseiter-Rolle zumindest etwas befreien. Deshalb holte ich sie am nächsten Morgen von ihrer Wohnung ab. Jana sah mich verwundert an, als ich vor ihrer Haustüre stand.

»Guten Morgen! Was machst du denn hier?«, fragte sie erstaunt.

»Ich wollte dich abholen, damit wir gemeinsam zur Schule laufen. Außerdem befürchte ich, dass dir die drei gemeinen Mädchen auf dem Schulweg wieder auflauern, nachdem sie gestern Prügel kassiert haben«, erklärte ich.

Jana musste bei der Erinnerung schmunzeln. »Danke! Das ist nett von dir!« Sie lächelte mich verlegen an.

»Dann lass uns gehen!«, forderte ich sie fröhlich auf, worauf wir uns gemeinsam auf den Weg zur Schule machten.

Jana schwieg kurze Zeit und sah mich unsicher an. »Ist es dir nicht unangenehm, wenn dich die anderen Schüler mit mir sehen. Du könntest auch zum Außenseiter werden, wenn du dich mit einem Freak wie mir abgibst.«

»Erstens bist du kein Freak, sondern ein Mädchen mit einer ganz normalen Begabung zum Zeichnen. Zweitens werde ich denen schon den Kopf zurechtrücken, wenn die mir blöd kommen. Wollen doch mal sehen, ob wir dein Ansehen nicht ein bisschen aufpolieren können!«, antwortete ich aufmunternd und zwinkerte ihr zu, worauf Jana mich erneut verschämt anlächelte.

»Danke! Das ist lieb von dir!«, sie senkte kurz verlegen den Blick. »Hoffentlich bekommst du dann keinen Ärger.«

»Keine Sorge, mit denen werde ich schon fertig!«, versicherte ich und hob mit Verschwörermiene meine Faust, worauf Jana amüsiert lächelte. Kurze Zeit später erreichten wir das Schulgelände, wo sich meine drei Freundinnen Sue, Pia und Sayu zu mir gesellten. Jana grüßte sie schüchtern, worauf ich erzählte, was ihr gestern passiert war, und wie ich ihr geholfen hatte.

»Dann hast du die drei Mädchen mit Karate und Kung-Fu ungespitzt in den Boden gehauen!«, meinte Pia grinsend, boxte und trat nach einem imaginären Gegner.

Ich lachte auf. »Na ja, fast!«, dämpfte ich ihre Begeisterung. Auch Jana lächelte amüsiert.

»Wurdest du dabei verletzt?«, fragte Sayu Jana besorgt.

Meine Begleiterin schüttelte den Kopf. »Nein, dank Mios schneller Hilfe ist mir nichts passiert.« Sayu nickte erleichtert.

»Dann hattest du ja Glück, dass Mio in der Nähe war. Warum sind denn die Mädchen auf dich losgegangen?«, wandte sich Sue an Jana. Die wiederholte noch einmal kurz, was sie mir gestern erzählte.

»Was für fiese Weiber! Gut, dass du sie verprügelt hast!«, bemerkte Pia verärgert und wandte sich dann Jana zu. »Keine Sorge, wenn die nochmals kommen, kriegen sie eine ordentliche Abreibung! Wir sind nämlich alle vier Kampfsport-Spezialisten!«

Ich warf Pia einen amüsierten Blick zu und verdrehte schmunzelnd die Augen, was Jana bemerkte, die sich ein Lächeln verkneifen musste.

»Danke! Ist nett von euch! Dann brauch ich ja keine Angst mehr vor den den gemeinen Mädchen zu haben.«

»Nee, nee, die machen wir ganz schnell platt!«, versicherte Pia. Nun verdrehte auch Sayu die Augen und schüttelte belustigt den Kopf.

Wie es schien, war das Eis zwischen Jana und meinen Freundinnen gebrochen. Pia hatte natürlich wie immer maßlos übertrieben, was unsere Kampfkünste betraf, doch wir vier hatten durchaus schon seit längerer Zeit ein entsprechendes Training absolviert und waren bestimmt nicht wehrlos. Dass Pia uns gleich wie Kampfgiganten präsentierte, lag daran, dass sie Kung-Fu Filme liebte und meist ein wenig überdreht war! Ansonsten war sie aber ganz vernünftig. Sayu war dagegen eher ruhig und besonnen und bildete den Ruhepol unserer kleinen Clique. Sue war unser wandelndes Lexikon. Sie las sehr viel und interessierte sich für fast alles. Es gab kaum eine Frage, die sie nicht beantworten konnte. Ansonsten forschte sie so lange nach, bis sie die richtige Antwort parat hatte, was meist nicht lange dauerte. Trotzdem war sie kein Klugschwätzer, obwohl sie die Lehrer mit ihrem Wissen manchmal zur Verzweiflung trieb. Der Schulalltag verlief auch heute wie immer, nur mit dem Unterschied, dass unsere Clique sich Jana weiter annäherte, sehr zum Erstaunen der anderen Mitschüler. Es wurde natürlich entsprechend getuschelt und gelästert, doch Pia sorgte durchaus dafür, dass weder Jana noch wir vier ‚Kampfgiganten‘ belästigt oder dumm angemacht wurden. Nach Schulende verabschiedeten sich meine drei Freundinnen und machten sich scheinbar auf den Heimweg. Jana war kurz zuvor bereits gegangen, doch ich schaffte es noch, sie mit einem kurzen Sprint einzuholen. »Darf ich dich heute auch nach Hause begleiten?«

»Wenn es für dich kein zu großer Umweg ist«, antwortete Jana besorgt.

Ich schüttelte den Kopf. »Keine Sorge, das passt schon!« Jana war durchaus erfreut, dass ich sie auch heute begleitete.

»Danke übrigens, dass du mich deinen Freundinnen vorgestellt hast. Die waren echt nett zu mir!«, sagte Jana freudig. »Hoffentlich bekommt ihr jetzt keinen Ärger mit den anderen Mitschülern.«

»Keine Sorge, das wird Pia sicher erfolgreich verhindern!«, bemerkte ich schmunzelnd. »Ich hoffe, sie nervt dich nicht, weil sie manchmal recht überdreht ist!«

Jana kicherte vergnügt. »Ich finde sie eher lustig!«

»Das wird dir gleich vergehen!«, hörten wir plötzlich eine drohende Mädchenstimme hinter uns und fuhren herum. Die drei Mädchen von gestern standen hinter uns und hatten noch ein weiteres unbekanntes Mädchen dabei. Alle blickten uns grimmig an. »Wollen mal sehen, ob ihr auch gegen vier Mädchen ankommt!«, knurrte diejenige, die ich gestern in den Magen geschlagen hatte.

Ich sah sie abschätzend an. »Ist schon schade, dass du es nötig hast, dich hinter drei weiteren Mädchen zu verstecken. Wenn du nicht so feige wärst, würdest du dich mir alleine stellen.«

»Hast immer noch eine große Klappe, aber diesmal werden wir euch beiden das Maul stopfen!«, fauchte das Mädchen.

»Daraus wird nichts!«, hörte ich plötzlich eine bekannte Stimme rufen. Im nächsten Moment kamen Pia, Sayu und Sue aus einer Seitenstraße angelaufen, bauten sich drohend vor den vier Mädchen auf und gingen in Angriffsstellung.

Ich folgte ihrem Beispiel. »Mal sehen, ob du jetzt immer noch so große Töne spuckst«, sagte ich drohend zu dem Mädchen. Die Viererbande wirkte auf einmal gar nicht mehr entschlossen. Vor allem, als selbst Jana zu unserer Überraschung die Angriffsstellung imitierte und ein ziemlich grimmiges Gesicht machte.

»Lasst uns endlich in Ruhe, sonst könnt ihr was erleben!«, knurrte sie.

Ich muss zugeben, sie klang wirklich sehr überzeugend, auch wenn es mir schwerfiel ein Schmunzeln zu unterdrücken. Dieses kleine, zierliche, ansonsten ängstliche Mädchen spielte ihre Rolle als furchtlose Kämpferin beeindruckend gut! Wir spielten mit und machten einen weiteren Schritt auf die vier Mädchen zu, wobei sich unsere Blicke verfinsterten.

»Haut ab und lasst euch ja nie wieder blicken, sonst kriegt ihr eine Tracht Prügel, die ihr euer Leben lang nicht mehr vergesst!«, schrie Pia die Mädchen an, die darauf heftig zusammenzuckten und uns mit schreckgeweiteten Augen anstarrten.

»Wird’s bald! Verpisst euch endlich!«, schrie Jana gekonnt wütend. Wir machten einen weiteren Schritt auf die Mädchen zu, die darauf entsetzt die Flucht ergriffen.

»Feige Bande!«, knirschte Sayu, als wir den Mädchen hinterher sahen.

»Mensch Jana! Denen hast du’s aber gegeben! Das war ja schon fast filmreif!«, rief Pia begeistert, worauf unsere neue Freundin verlegen den Blick senkte.

»Beeindruckend!«, sagte ich vergnügt zu ihr.

Jana wurde rot und wäre am liebsten vor Verlegenheit im Boden versunken!

»Oje!«, meinte Sue gerührt. Dann umarmten wir Jana gemeinsam und alberten mit ihr herum, während wir sie auf ihrem restlichen Heimweg begleiteten. Vor ihrer Haustüre verabschiedeten wir sie fröhlich.

»Danke, dass ihr mich vor diesen fiesen Mädchen beschützt habt!«, sagte Jana schüchtern, bevor sie das Wohnhaus betrat.

»Gern geschehen! Dafür sind Freundinnen schließlich da!«, versicherte Sue mit einem warmherzigen Lächeln.

Jana lächelte ebenfalls, winkte uns noch zu und betrat dann das Haus.

»Sagt mal, seid ihr uns gefolgt?«, fragte ich meine Freundinnen, weil sie so plötzlich aufgetaucht waren.

»Nicht direkt. Wir haben nur zufällig beobachtet, wie diese vier fremden Mädchen euch nachgeschlichen sind. Das kam uns seltsam vor, weshalb wir unbemerkt den Mädchen folgten«, erklärte Pia.

»Gut, dass ihr ihnen hinterhergegangen seid und ihren Angriff verhindert habt! Gegen vier Mädchen hätte ich keine Chance gehabt!«, bedankte ich mich bei meinen Freundinnen.

»Ach was! Du wärst bestimmt auch noch mit zehn Mädchen fertig geworden!«, meinte Pia grinsend, während sie wieder einmal einen imaginären Feind boxte und trat. Sue und Sayu warfen sich dabei einen vielsagenden Blick zu und schmunzelten.

»Freut mich, dass du so viel von meinen Kampfkünsten hältst!«, bemerkte ich amüsiert.

»Hey, Leute, wie wäre es, wenn wir Jana in nächster Zeit gemeinsam abholen und nach der Schule wieder heimbegleiten? Sie wohnt ja nicht weit weg. Ich glaube zwar nicht, dass sich die feigen Mädchen nochmals in ihre Nähe trauen, aber man kann nie wissen!«, schlug Sayu vor. Ihr Vorschlag stieß auf allgemeine Zustimmung und so kam es, dass wir Jana täglich Geleitschutz gaben, was ihr zwar anfänglich etwas peinlich war, doch gleichzeitig freute sie sich über so viel Aufmerksamkeit und Hilfsbereitschaft.

Geständnisse

An einem Freitag begann es nachmittags zu regnen, während wir noch in der Schule saßen. Nach dem Unterricht kramte Jana in ihrer Tasche.

»Mist, jetzt habe ich meinen Schirm zuhause vergessen!«, maulte sie missmutig, während sie den Regen durchs Fenster betrachtete.

»Macht nichts, dann teilen wir uns eben meinen Schirm«, beruhigte ich sie.

»Danke Mio! Du bist ein Schatz!«, meinte Jana darauf mit einem erfreuten Lächeln.

»Mach ich doch gerne!«, antwortete ich.

»Sue, Pia, Sayu, ich glaube nicht, dass uns die gemeinen Mädchen bei dem Wetter auflauern. Geht lieber gleich nach Hause, sonst werdet ihr klatschnass«, schlug Jana den Mädchen vor.

Ihr Vorschlag traf auf allgemeines Einverständnis, weshalb nur ich Jana auf dem Heimweg begleitete. Zunächst lief sie dicht neben mir her, doch so konnte der Schirm nicht uns beide trocken halten, weshalb ich ihr anbot, sich bei mir einzuhängen, was sie dann auch zögernd tat. Es war das erste Mal, dass wir uns längere Zeit so nahe kamen, doch es fühlte sich sehr angenehm an. Wir blickten uns beide zuerst etwas verlegen an und schmunzelten, während wir aneinandergeschmiegt weiter liefen. Ich spürte, dass auch Jana die Situation durchaus erfreute, was in mir eine Hoffnung erweckte, die ich schon vor langer Zeit aufgegeben hatte! So liefen wir einige Zeit schweigend nebeneinander her und genossen die gegenseitige Nähe. »Was machst du denn am Wochenende?«, fragte ich schließlich.

»Da habe ich leider ziemlich viel zu tun«, antwortete Jana verschämt. »Bitte sei mir nicht böse, aber dieses Wochenende muss ich einiges erledigen.«

Ich war etwas enttäuscht, versuchte es mir aber nicht anmerken zu lassen. »Schon in Ordnung!«, sagte ich beruhigend, während wir bei der Türe ihres Wohnhauses ankamen, die überdacht war, so dass ich meinen Regenschirm kurz ausschüttelte und abstellte.

»Danke, dass ich unter deinen Schirm durfte!« Jana schenkte mir ein warmherziges Lächeln.

»Gern geschehen!«, antwortete ich und gab das Lächeln zurück. Dann kramte ich in meiner Schultasche und zog einen kleinen Notizblock hervor, auf dem ich meine Telefonnummer notierte, die ich ihr anschließend aushändigte. »Kannst mich ja anrufen, wenn du doch noch Zeit für ein Treffen findest, wenn du Hilfe brauchst, oder einfach nur quatschen willst. Ich gehe meist erst gegen Mitternacht ins Bett. Kannst mich also auch nachts anrufen.«

»Danke, ist lieb von dir!«, meinte Jana ein wenig verlegen und steckte den Zettel ein. »Darf ich dir auch meine Nummer aufschreiben?«

»Gerne!«, erwiderte ich freudig und übergab ihr den Notizblock mit dem Kugelschreiber. Sie schrieb ihre Telefonnummer auf und gab mir beides zurück.

»Ich hoffe, du kannst meine Schrift lesen«, bemerkte sie, worauf ich ihr die Telefonnummer fehlerfrei vorlas. Sie nickte lächelnd. »Dann wünsche ich dir noch ein schönes Wochenende.«

»Wünsche ich dir auch!«, sagte ich fröhlich, steckte den Notizblock ein, ergriff meinen Schirm und winkte ihr noch zu, während sie das Haus betrat. Sie winkte lächelnd zurück und wandte sich dem Aufzug zu, während ich rasch durch den Regen nach Hause lief.

*

Der Samstag war angefüllt mit Besorgungen und Hausarbeit. Insgeheim hoffte ich den ganzen Tag auf einen Anruf von Jana, aber sie meldete sich leider nicht. Erst als ich am späten Abend auf meinem Bett saß, summte plötzlich mein Smartphone. Es war eine Textnachricht von Jana.

‚Bist du noch wach?‘

Ich antwortete mit einem knappen ‚Ja‘. Kurze Zeit später rief sie mich an.

»Guten Abend, Mio. Störe ich gerade?«, fragte Jana unsicher.

»Nein gar nicht! Freut mich, dass du anrufst!«, erwiderte ich fröhlich. »Hattest du einen schönen Tag?«

»Es gab viel zu tun, aber ich habe alles erledigt. Wie lief’s bei dir?«, erkundigte sich Jana.

»Hatte auch einiges zu erledigen. War mit Paps einkaufen, dann musste ich Mama beim Hausputz helfen. War ziemlich öde!«, bemerkte ich gelangweilt.

Jana kicherte. »Kann ich mir vorstellen! Hausputz ist immer echt nervig!«

»Allerdings!«, bestätigte ich. Es folgte eine längere Gesprächspause, bis ich besorgt fragte: »Jana, bist du noch da?«

»Ja! Bitte entschuldige! War gerade in Gedanken«, sagte sie schüchtern.

»Ist alles in Ordnung, oder geht’s dir nicht gut?«, erkundigte ich mich sorgenvoll.

»Doch, doch! Alles bestens!«, versicherte Jana eilig. Es folgte eine weitere kurze Pause. »Du Mio ... würdest du morgen Vormittag ... mit mir spazieren gehen ... oder ist dir das ... zu langweilig?«, fragte sie unsicher.

»Gerne!«, stimmte ich erfreut zu. »Wann soll ich denn zu dir kommen?«

»Wäre neun Uhr in Ordnung?«, erkundigte sich Jana zögerlich.

»Passt bestens!«, versicherte ich.

»Dann freue ich mich schon auf unser Treffen!«, bemerkte Jana erleichtert. »Danke, dass du so spät noch Zeit für mich hattest!«

»Jederzeit gerne! Freue mich auf jeden Anruf von dir!«, versicherte ich, »und auf unser Treffen morgen Vormittag!«

»Ach Mio, du bist echt lieb!«, sagte Jana leise.

Ihr Tonfall klang irgendwie eigenartig. »Ist wirklich alles in Ordnung mit dir?«, fragte ich nochmals besorgt.

»Danke, mir geht es gut. Musst dir keine Sorgen machen«, antwortete sie. »Freue mich einfach nur!«

»Na gut«, bemerkte ich etwas verunsichert. »Du darfst mich aber jederzeit anrufen, wenn du Sorgen hast, oder Hilfe brauchst. Auch mitten in der Nacht!«

»Dank dir! Bist echt ’ne tolle Freundin!«, meinte Jana gerührt. »Das bist du auch für mich!«, versicherte ich.

»Dann ... wünsch ich dir ... noch eine gute Nacht.«

»Wünsch ich dir auch! Schlaf gut, Jana!« Sie beendete das Gespräch, worauf ich noch längere Zeit auf das dunkle Display meines Smartphones starrte und hoffte, dass es ihr wirklich gut ging. Schließlich legte ich das Telefon auf den Nachttisch, löschte das Licht und ging ins Bett, konnte aber längere Zeit nicht einschlafen. Meine Gedanken kehrten immer wieder zu Jana zurück, die ich in letzter Zeit lieb gewonnen hatte. Sie war wirklich anders, als alle Mädchen, die ich bisher kennengelernt hatte. Ihre Schüchternheit machte es ihr schwer, Kontakte zu knüpfen, doch wenn sie mit meinen Freundinnen und mir herumalberte, überwand sie in letzter Zeit ihre Scheu und wirkte recht fröhlich. Trotzdem schien da noch ein schweres graues Tuch über ihrer Seele zu liegen! Unsere Clique hatte zwar versucht, ihre minimale Selbstachtung zu stärken, was uns jedoch bisher kaum gelungen war. Jana musste früher wohl einige recht unangenehme Erfahrungen gemacht und nur sehr wenig Liebe und Anerkennung erfahren haben, sonst wäre sie nicht jedes Mal so gerührt, wenn man ihr half, sie lobte, oder einfach nur freundlich zu ihr war. Vorgänge, die für mich und meine Freundinnen eigentlich selbstverständlich waren! Deshalb war sie vermutlich auch so ängstlich und und zuckte bei jedem lauten Wort oder Geräusch zusammen. Ob sie in der Lage war, dieses Trauma zu überwinden, um irgendwann als selbstbewusste Frau ein selbstbestimmtes Leben zu führen, war fraglich, doch ich wollte sie dabei so gut unterstützen, wie ich nur konnte. Nicht aus Mitleid, das ich durchaus für sie empfand, sondern weil hinter dieser Fassade eines ängstlichen, verunsicherten, schreckhaften Mädchens ein liebevoller, gütiger, hilfsbereiter und sehr lieber Mensch verborgen war! Ihre Aura und ihr wahres Wesen hatten mich sehr berührt und nährten nun immer stärker den Wunsch ihr nahe zu sein. Jana schien sich auch in meiner Nähe wohl zu fühlen, was in mir die Hoffnung stärkte, dass sie vielleicht sogar eines Tages meine wachsenden Gefühle für sie erwiderte. Mit dieser angenehmen Erwartung glitt ich schließlich sanft ins Land der Träume.

*

Jana betrachtete mit Freudentränen in den Augen ihr Smartphone und drückte es dann selig an ihre Brust, während sie auf ihrem Bett lag und an Mio dachte. So lag sie kurze Zeit verträumt da, dann hob sie das Telefon ersatzweise an den Mund, gab ihm einen Kuss und streichelte es sanft, bevor sie es mit einem liebevollen Blick auf ihren Nachttisch legte und nochmals kurz darüber streichelte. Hoffentlich würde sich morgen ihr Traum erfüllen! So kuschelte sie sich freudig in ihr Kissen und schlief wenig später mit einem Lächeln auf den Lippen ein.

*

Am nächsten Morgen stand ich früher auf, als ich es sonntags gewöhnt war, um rechtzeitig bei Jana zu sein. Um ihr zu gefallen, zog ich ein buntes Sommerkleid mit kurzem Rock an und schminkte mich dezent. Als ich gerade gehen wollte, kam mein Vater aus seinem Büro und schaute mich verwundert an.

»Nanu, du bist heute aber früh auf den Beinen«, meinte er erstaunt.

»Ich will mich um neun Uhr mit Jana treffen«, erklärte ich ihm.

»Verstehe!«, meinte mein Vater und musterte mich dann bewundernd. »Siehst hübsch aus, meine Große!«, sagte er stolz mit liebevollem Blick, worauf ich mich verlegen für das Kompliment bedankte. »Wünsche dir noch viel Erfolg!« Er zwinkerte mit Verschwörermiene.

»Danke Paps!«, antwortete ich schmunzelnd. »Bis später! Tschüss!«

»Tschüss, Mio!«, rief er mir noch hinterher, während ich das Haus verließ.

Etwas später klingelte ich bei Jana. Sie meldete sich kurz über die Sprechanlage und sagte, sie würde gleich herunter kommen, was sie dann auch tat. Wir begrüßten uns freudig. Diesmal trug sie eine Bluse mit Blumenmuster und einen kurzen Rock. »Du siehst hübsch in der Kleidung aus. Steht dir echt gut!«

Jana wurde kurz rot und bedankte sich dann schüchtern für das Kompliment. »Du siehst auch hübsch aus!«, antwortete sie darauf beeindruckt, worauf ich kurz verlegen wurde. Es war das erste Mal, dass wir beide keine Schuluniform, sondern Freizeitkleidung trugen.

Sie führte mich zur Uferpromenade des Flusses, der unsere Stadt durchzog, auf der wir entlang liefen, während wir über die Vorgänge der letzten Tage plauderten. Zu dieser frühen Uhrzeit waren hier kaum Leute unterwegs, so dass wir uns ungestört unterhalten konnten. Nach einiger Zeit kamen wir an eine Stelle, wo mehrere Bäume die Promenade säumten.

»Das hier ist meine Lieblingsstelle. Hier sitze ich und zeichne, wenn es meine Zeit erlaubt«, erklärte Jana, während sie sich auf dem Grasstreifen bei den Bäumen niederließ und mich bat, neben ihr Platz zu nehmen, was ich auch tat.

Ich sah mich um und genoss die angenehme Umgebung. »Kann ich gut verstehen. Es ist wirklich schön hier«, gab ich zu. Wir saßen eine Weile schweigend nebeneinander, bis Jana verlegen wurde.

»Du, Mio, hast du einen Freund?«, fragte sie schließlich schüchtern.

Ich schüttelte den Kopf. »Nein, hab ich nicht.«

Jana warf mir einen hoffnungsvollen Blick zu. »Ich habe auch keinen Freund.« Sie zögerte kurz und sah mich dann unsicher an. »Das hat aber einen besonderen Grund«, sagte sie leise und wandte den Blick verlegen zur Seite, während ich sie erstaunt ansah. »Ich ... mag nämlich ... nur Mädchen«, gestand sie und wurde rot. Dann warf sie mir einen um Verständnis bittenden Blick zu. »Wahrscheinlich habe ich dich jetzt erschreckt, oder du findest mich eklig, oder pervers...« Ihre Stimme drohte zu kippen.

Ich nahm ihre Hand in meine, worauf mich Jana überrascht ansah. »Aber nein, Jana! Keine Sorge, du hast mich nicht erschreckt, und du bist auch nicht eklig oder pervers!« Ich zögerte kurz und senkte dann verlegen den Blick. »Mir geht es genau so. Ich mag auch nur Mädchen«, gab ich dann zu.

Jana bekam große Augen. »Wirklich?«, fragte sie verdutzt, worauf ich bestätigend nickte. Sie wusste nicht, was sie sagen sollte, aber ihr Blick drückte Freude über mein Geständnis aus.

Ich schenkte ihr ein warmherziges Lächeln und drückte sanft ihre Hand. »Ich kenne dich zwar erst kurze Zeit, empfinde inzwischen aber deutlich mehr, als nur Sympathie für dich. Ich mag dich wirklich sehr, Jana, und ich möchte dich gerne noch näher kennenlernen«, gestand ich schließlich und warf ihr einen hoffnungsvollen Blick zu.

Jana sah mich gerührt an, dann wurden ihre Augen feucht. Sie erhob sich rasch, drehte sich mir zu, kniete sich über meine Oberschenkel, umarmte mich und drückte mich an sich. »Ach Mio, du ahnst ja gar nicht, wie glücklich du mich machst!«, flüsterte sie schniefend.

Ich war überrascht und gleichzeitig gerührt über Janas heftige Reaktion, umarmte sie ebenfalls und streichelte sie sanft. So lagen wir uns längere Zeit in den Armen und freuten uns über die gegenseitige Nähe.

»Ich hatte die Hoffnung fast schon aufgegeben, einen Menschen wie dich zu finden, der so lieb, verständnisvoll und geduldig ist und mich alten Freak einfach so nimmt, wie ich bin! Und jetzt sagst du mir auch noch, dass du mich magst...« Ihre Stimme brach und sie begann vor Glück zu weinen, während sie sich an mich schmiegte.

»Ich bin doch auch so froh, dass ich dich gefunden habe und du mich ebenso magst!« Meine Augen füllten sich nun gleichfalls mit Tränen und ich drückte Jana an mich. Wieder lagen wir uns längere Zeit in den Armen, bis Jana sich wieder gefangen hatte und mich mit feuchten Augen selig anblickte.

»Du willst also wirklich mit mir gehen?«, fragte sie freudestrahlend. »Ja, das will ich!«, versicherte ich begeistert.

»Ach Mio, du bist...« Jana suchte nach Worten, »einfach ein Schatz!« Dann umarmte sie mich noch einmal überglücklich.

Auch ich drückte sie nochmals an mich und hätte sie am liebsten nie mehr losgelassen! Endlich hatte sich meine Hoffnung erfüllt und ich fand ein Mädchen, das genauso war, wie ich es mir wünschte und das meine Gefühle erwiderte! Ich war so glücklich, dass ich glaubte zu schweben! Während wir uns noch liebevoll umarmten, gab Janas Smartphone plötzlich einen kurzen Signalton von sich und holte uns in die Wirklichkeit zurück. Meine Partnerin zuckte zusammen und sah erschrocken auf ihre Uhr.

»Mist! In einer Stunde muss ich zur Arbeit fahren«, sagte sie enttäuscht.

»Du musst heute, am Sonntag, arbeiten?«, fragte ich verwundert.

»Leider ja!« Sie warf mir einen entschuldigenden Blick zu und erhob sich etwas steif. Darauf reichte sie mir eine Hand, um mir aufzuhelfen. Ich nahm ihre Hilfe an und erhob mich ebenfalls. Dann schlenderten wir Hand in Hand zu ihrem Wohnhaus zurück, wobei sie mir ein Stück aus ihrer traurigen Vergangenheit erzählte. »Meine Eltern haben sich vor vier Jahren scheiden lassen. Meiner Mutter war ich nur im Weg. Ihre Karriere war ihr wichtiger als ich, weshalb mein Vater mich aufnahm. Wir haben uns aber nicht gut verstanden, weshalb er mir die Wohnung mietete, in der ich zur Zeit lebe, damit ich hier wenigstens zur Schule gehen und später vielleicht sogar studieren kann. Mein Vater besitzt eine kleine Firma, die mehrere technische Bauteile für Fahrzeuge herstellt. Sie läuft einigermaßen gut. Er hat sich in den Kopf gesetzt, dass ich später unbedingt diese Firma übernehmen soll, aber ich habe absolut kein Talent dafür! Diese ganzen betriebswirtschaftlichen Dinge sind mir zuwider und ich komme damit einfach nicht zurecht! Ich habe ihm das mehrfach erklärt, aber er will meine Einwände einfach nicht hören! Vor einem Jahr haben wir uns deswegen furchtbar gestritten. Er ist richtig fies geworden und hat ziemlich gemeine Dinge zu mir gesagt, weshalb ich schließlich zu ihm sagte, dass ich ihn nie wieder sehen will! Seitdem haben wir keinen Kontakt mehr zueinander und er hat alle Zahlungen an mich eingestellt, so dass ich nun meinen Lebensunterhalt selbst verdienen muss. Zum Glück habe ich schon bald einen Job in einer kleinen Garküche gefunden. Der Chef ist sehr freundlich und hilfsbereit. Er kann mir zwar nicht viel Geld bezahlen, dafür darf ich dort aber umsonst essen, denn ich kann leider nicht kochen.« Jana senkte kurz verlegen den Blick. »Zumindest verdiene ich genug, dass ich davon leben kann, und das Essen ist gut. Auch die Mitarbeiter sind alle sehr freundlich zu mir und ich fühle mich dort sehr wohl. Inzwischen sind wir schon fast eine kleine Familie. Die Arbeitszeiten sind ideal, so dass ich problemlos zur Schule gehen kann. Leider muss ich auch am Wochenende dort arbeiten. Montags ist mein freier Tag, doch den brauche ich meistens, um meine Wohnung zu putzen, denn unter der Woche reicht mir nach der Schule die Zeit nicht mehr dafür, weil ich auch noch Hausaufgaben machen muss.«

»Dann kommst du aber erst in der Nacht nach Hause!«, bemerkte ich erschrocken. »Hast du keine Angst, dass dir etwas passiert?«

»Keine Sorge! Entweder fährt mich der Chef oder einer der Mitarbeiter nach Hause, damit mir nichts passiert«, versicherte Jana. »Wie gesagt, sie sind alle sehr hilfsbereit!«

Ich war stehengeblieben und sah meine Partnerin bestürzt an. »Oje! Das ist ja total hart, dass du jetzt bereits für deinen Lebensunterhalt so viel arbeiten musst! Du hast ja kaum noch Zeit für dich selbst und viel Geld hast du sicher auch nicht! Dann musst du auch noch für die Schule büffeln! Wie schaffst du denn das alles?«

»Ich hab mich dran gewöhnt und komme auch ganz gut zurecht. Musst dir keine Sorgen machen!«, versuchte Jana mich zu beruhigen.

»Wegen der wenigen Freizeit habe ich immer mein Skizzenbuch dabei und zeichne zu jeder Gelegenheit, die sich ergibt.«

»Verstehe!«, bemerkte ich und sah sie mitleidig an.

»Hey, brauchst dir wirklich keine Sorgen um mich zu machen«, sagte Jana gerührt und streichelte mir über die Wange. »Mir geht es gut und ich verdiene mein eigenes Geld, so dass ich von niemand abhängig bin. Nach dem Schulabschluss musst du auch arbeiten und dein eigenes Geld verdienen. Ich habe eben nur schon früher damit angefangen, das ist alles!«

»Das allein ist es nicht. Viel mehr schockiert mich, dass dich deine Eltern im Stich gelassen haben! Wie können die nur so rücksichtslos und gemein zu dir sein!« Diesmal war ich den Tränen nahe.

»Ich war eben ein dummes Versehen, das sie nun auf bequeme Art losgeworden sind!«, war Janas schockierende Antwort.

»W ... was!«, stotterte ich entsetzt.

»Mach dir nichts draus! Ich bin froh, dass ich mit meinen Eltern nichts mehr zu tun habe und auf eigenen Füßen stehen kann!«, bemerkte Jana beruhigend und sah mich dann fragend und traurig an. »Oder magst du mich jetzt nicht mehr?«

»Aber nein! Natürlich mag ich dich immer noch! Daran hat sich nichts geändert und kein Umstand wird daran jemals etwas ändern, egal wie schlimm er sein mag!«, versicherte ich und umarmte Jana, die mich ebenfalls in die Arme nahm. Wir lächelten uns liebevoll an und schmiegten uns aneinander. »Keine Angst, ab heute bin ich und meine Familie für dich da, egal was auch immer passiert!«

Jana sah mich gerührt an. »Ach Mio, du bist einfach ein Schatz!«

»Und du bist ein ganz besonderes Mädchen!«, sagte ich mit Stolz in der Stimme zu ihr. Als sie mir mit skeptischem Blick widersprechen wollte, legte ich einen Finger über ihre Lippen und sagte grinsend: »Sag jetzt nichts Falsches!«

Jana stutzte kurz und begann dann amüsiert zu lächeln. »Oder was?«

»Du weißt doch, dass ich ein Kampfgigant bin und mindestens zehn Mädchen gleichzeitig verkloppen kann!«, drohte ich scherzhaft.

»Au weia! Da hab ich mich ja auf was eingelassen!«, meinte Jana und zog lächelnd den Kopf ein.

Ich verstrubbelte ihr schmunzelnd die Haare. »Du bist süß!« Dann streichelte ich ihr über die Wange und wurde wieder ernst. »Bitte sag mir, wenn ich oder meine Familie irgendetwas für dich tun können!«

»Danke! Mach ich!«, antwortete Jana gerührt.

»Du sagtest, dass du montags deinen freien Tag hast. Willst du morgen mit uns essen? Meine Mutter kocht sehr gut!«, bot ich ihr an.

»Danke, ist lieb von dir, aber ich muss morgen erst meine Wohnung sauber machen. Da oben sieht es ganz schön wild aus. Bis ich fertig bin, ist es zu spät, um mit euch zu essen!«, erklärte Jana.

»Und wenn ich dir beim Putzen helfe? Dann sind wir schneller fertig!«, schlug ich vor und begann zu grinsen. »Ich bin nämlich nicht nur ein Kampfgigant, sondern auch ein Putzgigant! Frag Mama, die wird es dir bestätigen.«

Jana musste kichern. »Das glaube ich dir sofort! Aber das kann ich nicht von dir verlangen! Ist wirklich lieb von dir, aber das geht echt nicht, dass du jetzt auch noch für mich putzt!«

»Wir sind doch jetzt zusammen, dann können wir ja gleich ausprobieren, wie wir miteinander zurechtkommen«, meinte ich halbernst. »Außerdem entgeht dir ein total leckeres Essen!« Ich summte genüsslich und rieb mir den Bauch.

»Hör auf, sonst bekomme ich wirklich noch Hunger!«, schimpfte Jana in gespieltem Ärger.

Ich machte grinsend weiter, worauf Jana in komischer Verzweiflung die Augen verdrehte. »Hörst du wohl damit auf!«

Ich tat so, als hätte ich sie nicht gehört.

»Ach Mio, das geht wirklich nicht, dass du für mich putzt!«

Ich machte standhaft weiter.

»Sag mal, hörst du mir eigentlich zu?«, fragte Jana scheinbar verärgert.

Ich schüttelte nur grinsend den Kopf.

»Mio! Hör auf damit!«, drohte Jana scherzhaft.

»Oder was?«, fragte ich amüsiert.

Jana stemmte die Arme in die Seiten. »Dann zieh ich dir die Ohren lang, bis sie auf dem Boden schleifen!«

»Ooch«, maulte ich scheinbar beleidigt. Dann legte ich das süßeste Lächeln auf, zu dem ich fähig war. »Ach komm, Jana, lass mich dir doch helfen.«

»Du gibst wohl nie auf!«, stöhnte Jana.

Ich schüttelte wieder grinsend den Kopf.

»Also gut, dann darfst du mir morgen beim Putzen helfen. Aber beschwer dich nicht! Das wird ganz schön hart!«, drohte Jana halbernst.

»Großes Ehrenwort!«, versprach ich.

»Na gut!«, meinte Jana scheinbar wenig überzeugt. Inzwischen waren wir bei ihrer Haustüre angekommen.

»Rufst du mich heute Abend wieder an?«, fragte ich hoffnungsvoll.

»Mach ich, du Sturkopf!«, brummte Jana schmunzelnd.

Wir umarmten uns nochmals glücklich, dann betrat Jana das Gebäude und winkte mir noch fröhlich zu, bevor sie den Aufzug betrat. Ich winkte zum Abschied zurück und machte mich mit gemischten Gefühlen auf den Heimweg. Einerseits war ich selig, dass Jana und ich nun zusammen waren, andererseits war ich schockiert darüber, was Jana mir über ihre Eltern erzählte und sie nun ganz auf sich allein gestellt war! Wie konnten ihre Eltern nur so rücksichtslos sein! Ich dagegen war wohlbehütet in einem lieben Elternhaus aufgewachsen. Mein Vater war Architekt, der sich bei zahlreichen großen Unternehmen einen guten Namen gemacht hatte und dadurch recht viel verdiente. Meine liebevolle Mutter war Hausfrau. Beide waren immer für mich da, hatten mich unterstützt und gefördert und mit viel Zuneigung aufgezogen. Wir wohnten in einem großen Haus und mir hatte es nie an etwas gemangelt! Zum ersten Mal wurde mir bewusst, wie gut es mir eigentlich ging, wofür ich mich nun fast schon schämte, nachdem ich Janas Geschichte kennenlernte und wusste, wie schwer sie es im Vergleich zu mir hatte! Darüber konnte ich einfach nicht hinwegsehen, vor allem jetzt, wo sie mit mir ging! So nahm ich mir vor, sie so gut wie möglich zu unterstützen und für sie da zu sein. Als ich wenig später zu Hause ankam, sahen mich meine Eltern erwartungsvoll an.

»Na, wie ist es gelaufen?«, fragte mein Vater.

»Jana und ich sind jetzt zusammen!«, antwortete ich fröhlich, worauf meine Eltern mich glücklich umarmten und sich mit mir freuten! Anschließend berichtete ich, was Jana mir erzählt hatte, worüber auch meine Eltern sehr erschüttert waren und sie versicherten mir, dass sie gerne auch meine neue Partnerin unterstützen würden, wann immer es nötig sein sollte, wofür ich ihnen sehr dankbar war! Als ich ihnen dann auch noch erzählte, dass ich Jana am nächsten Tag zum Essen eingeladen hatte, waren beide sehr erfreut darüber, sie schon bald kennenzulernen. Nach dem Mittagessen gingen wir gemeinsam in den Zoo, weil meine kleine Schwester Ina Tiere sehr mochte und diesen Wunsch geäußert hatte. Ich muss zugeben, dass ich Jana die ganze Zeit hindurch vermisste und ein schlechtes Gewissen hatte, weil ich mit meiner Familie eine schöne Zeit verbrachte, während Jana arbeiten musste! Als wir an einem Spielplatz im Zoo eine Pause einlegten und Mama mit Ina bei einem Klettergerüst stand, setzte sich mein Vater neben mich.

»Was ist los? Dich beschäftigt doch irgendetwas. Willst du darüber reden?«, fragte er behutsam.

Ich wusste, dass ich meinem Vater nichts vormachen konnte, so bat ich ihn um einen Spaziergang und ließ ihn an meinen Gedanken teilhaben. »Es tut mir leid, dass Jana arbeiten muss, während ich mit euch eine schöne Zeit verbringe. Ja, ich weiß, es gibt viele Menschen, die auch am Wochenende arbeiten müssen, wie Busfahrer, die Bedienungen in den Restaurants oder die Zoomitarbeiter. Aber Jana ist erst siebzehn und sollte noch keine sechs Tage in der Woche für ihren Unterhalt arbeiten müssen! Eigentlich sollte sie doch noch von ihren Eltern unterstützt werden, aber sie ist ganz allein und hat niemanden, der ihr hilft!« Ich sah meinen Vater traurig an, worauf er einen Arm um mich legte.

»Da hast du völlig recht. In dem Alter sollte sie wirklich noch von ihren Eltern unterstützt werden. Es fällt auch mir schwer zu glauben, dass sie von ihren Eltern einfach abgeschoben wurde und nun auf sich allein gestellt ist, aber so etwas kommt leider immer wieder vor. Auch mein Vater war da nicht besser. Er war ein einfacher Arbeiter in einer Metall-Gießerei, was absolut in Ordnung war. Er wollte, dass auch ich gleich nach der Schule eine Arbeit beginnen sollte, doch ich war damals schon von Architektur begeistert und wollte studieren, wovon mein Vater gar nichts hielt! Er meinte, dass studieren nur den Charakter schädige und man davon arrogant und überheblich werde. Es wäre anständiger einer ehrlichen Arbeit nachzugehen. Zu den Universitäten würden nur reiche, arrogante Schnösel gehen, die später Arbeiter wie ihn herumkommandierten. Doch ich wollte unbedingt Architektur studieren. Mein Vater ließ sich leider nicht überzeugen. Im Gegenteil! Er versagte mir sämtliche Unterstützung, wenn ich auf eine Universität gehen sollte, und er drohte sogar damit, mich aus der Wohnung zu werfen!«

Ich sah meinen Vater erschrocken an. »Oje! Was hast du denn dann gemacht?«

»Glücklicherweise hatte ich einen Lehrer, der mein Potenzial erkannte und mich für ein Stipendium vorschlug, das ich dann tatsächlich erhielt! So konnte ich ohne die Unterstützung meines Vaters dennoch mein Ziel erreichen. Der wollte danach nichts mehr von mir wissen und brach den Kontakt zu mir völlig ab. Erst als er gestorben war, bekam ich einen Brief von meiner Mutter, worauf ich ihn bei seinem Begräbnis ein letztes Mal sah.«

Ich sah meinen Vater erschüttert und mit Tränen in den Augen an. »Ach Paps, das ist ja furchtbar! Warum hast du mir denn nie davon erzählt?«, fragte ich mit rauer Stimme.

Er blieb stehen und streichelte mir mit liebevollem Lächeln über den Kopf. »Weißt du, so etwas seinem Kind zu erzählen führt oft zu Missverständnissen. Nach dem Motto: Schau, wie schlecht es mir ergangen ist und wie gut es dir im Verhältnis dazu geht! So etwas führt oft zu Schuldgefühlen bei den Kindern und ich wollte dir nie Schuldgefühle machen. Die habe ich selbst zu Genüge erhalten und ich habe mir vorgenommen, meinen Kindern niemals so etwas anzutun. Im Gegenteil! Meine Kinder sollten später alle Unterstützung bekommen, die ich ihnen geben kann! Ich hoffe, das ist mir gelungen.«

Ich nahm meinen Vater gerührt in die Arme und drückte ihn. »Ja, das ist dir vollkommen gelungen!« Ich schenkte ihm einen liebevollen Blick und gab ihm einen Kuss auf die Wange. »Danke, dass du so offen zu mir bist!«

Er streichelte mir über den Kopf und gab mir einen Kuss auf die Stirn. »Schon in Ordnung, meine Große! Und was Jana betrifft, so haben wir dir ja schon gesagt, dass sie jederzeit mit unserer Unterstützung rechnen kann. Sie ist uns in jedem Fall willkommen! Was auch immer passiert, wir sind ab jetzt auch gerne für sie da!«

Ich blickte meinen Vater dankbar und gerührt an und umarmte ihn nochmals. »Danke! Ihr seid echt die besten Eltern der Welt!«

»Na ja, fast!«, meinte mein Vater schmunzelnd und drückte mich liebevoll. »Jetzt sollten wir aber besser zurückgehen, sonst haben Mama und Ina das ganze Eis im Kiosk aufgegessen!«

»Das geht ja gar nicht!«, empörte ich mich scherzhaft, worauf wir rasch zum Spielplatz zurückkehrten.

»Da seid ihr ja! Ist irgendetwas nicht in Ordnung?«, fragte meine Mutter besorgt.

»Nein, nein! Ich musste meiner frechen Tochter nur kurz die Leviten lesen!«, beruhigte mein Vater lächelnd.

»Das wurde aber auch mal Zeit!«, meinte meine Mutter amüsiert.