Miss Bayles und die tote Nachbarin - Ein Fall für China Bayles 1 - Susan Wittig Albert - E-Book
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Miss Bayles und die tote Nachbarin - Ein Fall für China Bayles 1 E-Book

Susan Wittig Albert

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Beschreibung

Denn die Katze lässt das Mausen nicht: Der humorvolle Krimi »Miss Bayles und die tote Nachbarin« von Susan Wittig Albert jetzt als eBook bei dotbooks. Also wirklich, jetzt reicht’s: Wer will sein Leben schon dauergestresst verbringen? Also beschließt Miss China Bayles, ihre Großstadt-Karriere als Staatsanwältin an den Nagel zu hängen – und eröffnet einen Kräuterladen in Pecan Springs, einem kleinen Ort im malerischen Hinterland von Texas. Hier will sie in Ruhe und Frieden leben … doch das ist nicht so einfach, wie Miss Bayles es sich vorgestellt hat. Denn zum einen stolpert sie mitten hinein in die Ermittlungen zu einem mysteriösen Todesfall – zum anderen will sie den Provinz-Polizisten nicht glauben, dass es sich dabei um einen Selbstmord handelt. Und obwohl Miss Bayles doch gerade noch wild entschlossen war, nur noch verträumt an duftendem Thymian und anderen Kräutern zu schnuppern, erwacht ihr alter Jagdinstinkt – und so macht sie sich auf Spurensuche … Jetzt als eBook kaufen und genießen: Der Cosy-Krimi »Miss Bayles und die tote Nachbarin« ist der Auftakt zur amerikanischen Erfolgsserie von Susan Wittig Albert, die Fans von Laura Childs und M.C. Beaton begeistern wird. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

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Seitenzahl: 394

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Über dieses Buch:

Also wirklich, jetzt reicht’s: Wer will sein Leben schon dauergestresst verbringen? Also beschließt Miss China Bayles, ihre Großstadt-Karriere als Staatsanwältin an den Nagel zu hängen – und eröffnet einen Kräuterladen in Pecan Springs, einem kleinen Ort im malerischen Hinterland von Texas. Hier will sie in Ruhe und Frieden leben … doch das ist nicht so einfach, wie Miss Bayles es sich vorgestellt hat. Denn zum einen stolpert sie mitten hinein in die Ermittlungen zu einem mysteriösen Todesfall – zum anderen will sie den Provinz-Polizisten nicht glauben, dass es sich dabei um einen Selbstmord handelt. Und obwohl Miss Bayles doch gerade noch wild entschlossen war, nur noch verträumt an duftendem Thymian und anderen Kräutern zu schnuppern, erwacht ihr alter Jagdinstinkt – und so macht sie sich auf Spurensuche …

Über die Autorin:

Susan Wittig Albert wuchs in dem kleinen Städchen Bismarck, Illinois auf und zog zum Studium nach Berkeley, Kalifornien. Nach einigen Jahren Lehrtätigkeit als Englischprofessorin in New Orleans und Austin konzentrierte sie sich komplett auf das Schreiben ihrer Romane. Susan Wittig Albert erreicht mit ihren Büchern regelmäßig die New York Times-Bestsellerlisten.

Bei dotbooks erscheinen die folgenden Romane aus ihrer Cosy-Krimi-Reihe »Ein Fall für China Bayles«:

»Miss Bayles und die tote Nachbarin«

»Miss Bayles und die Nacht der Toten«

»Miss Bayles und der Mord am Professor«

»Miss Bayles und die üblichen Verdächtigen«

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eBook-Neuausgabe April 2021

Die amerikanische Originalausgabe erschien erstmals 1995 unter dem Originaltitel »Rosemary Remembered« bei The Berkley Publishing Group, New York. Die deutsche Erstausgabe erschien 1998 unter dem Titel »Gegen Mord ist kein Kraut gewachsen« bei Droemer Knaur.

Copyright © der amerikanischen Originalausgabe 1994 by Susan Wittig Albert

Copyright © der deutschen Erstausgabe 1998 der deutschsprachigen Ausgabe bei Droemersche Verlagsanstalt Th. Knaur Nachf., München

Copyright © der Neuausgabe 2021 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Wildes Blut – Atelier für Gestaltung Stephanie Weischer unter Verwendung mehrerer Bildmotive von © shutterstock / Sean Pavone / Ola-la / VICUSCHKA sowie © pixabay / DarkmoonArt_de

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (CG)

ISBN 978-3-96655-447-3

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Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags

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Susan Wittig Albert

Miss Bayles und die tote Nachbarin

Kriminalroman

Aus dem Amerikanischen von Bettina Böck

dotbooks.

Vorbemerkung der Autorin

Dieser Roman spielt in der frei erfundenen Stadt Pecan Springs (Texas), mit fiktiven Orten wie dem Pecan River und der Central Texas State University. Leser, die sich im Hügelland von Zentraltexas auskennen, sollten Pecan Springs nicht mit realen Orten wie San Marcos, New Braunfels, Wimberley oder Fredericksburg verwechseln, und auch nicht die CTSU mit örtlichen Universitäten. Die Autorin hat die Personen und Ereignisse in diesem Buch zum Vergnügen des Lesers frei erfunden und möchte keine Verbindung zu echten Personen oder Ereignissen herstellen.

Kapitel 1

Wenn ich gewußt hätte, wie diese Woche enden würde, hätte ich sie gleich am Montag morgen umgetauscht. Aber jener Morgen hat mich hinters Licht geführt. Es war ein Tag, wie er die Geschäftsleute von Pecan Springs bis in die Cowboystiefel hinein jucken mußte. Der glühendheiße Texassommer war auf dem Abmarsch, die Zedern standen rot vor einem tiefblauen Himmel, und ich lachte vor mich hin, als ich über den gepflasterten Weg auf die Straße hinausging. Seit zwei Jahren war ich jetzt in Pecan Springs, und ich freute mich noch immer, Houston mit beinahe intaktem Verstand und einem beträchtlichen Teil meiner Jugend entkommen zu sein. Ich hatte dort, so schien es, eine Ewigkeit in einer Anwaltskanzlei verbracht – auf ein paar Jahrhunderte mehr oder weniger kommt es dabei nicht an. Diese Kanzlei war auf Verfassungsrecht spezialisiert, und die Klienten waren meist große, nicht immer wohlriechende Fische, die für eine gute Verteidigung schon was hinblättern konnten. Mit ein wenig mitgenommenen Neununddreißig entschloß ich mich dann, meine Yuppie-Wohnung samt Sauna zu verkaufen, und zog nach Pecan Springs, Texas, fünfzehntausend Einwohner, Touristen und Studenten der Central Texas State University nicht mitgezählt.

Ich hatte meine Ersparnisse in ein hundert Jahre altes Haus gesteckt und unten einen Kräuterladen mit dem Namen Thyme and Seasons Herb Company eingerichtet. Jeder im Büro war sich damals sicher, daß ich verrückt geworden sei. Nur ich wußte, daß ich endlich normal war. Ich will damit nicht sagen, daß ich jede Minute hellauf begeistert war von meiner neuen Idee, keineswegs, aber ich hatte mich auf der Karriereleiter nach oben geboxt und so viel von der schattigen Seite des Rechts gesehen, daß es mir für den Rest meines Lebens reichte.

Mein Laden geht auf die Crockett Street hinaus, ein paar Blocks vom Marktplatz und ein paar mehr von der CTSU entfernt. Pecan Springs ist ein malerisches Städtchen, genau in der Mitte zwischen Austin im Norden und San Antonio im Süden. Diejenigen, die Texas nur mit Gestrüpp und stachligen Riesenkakteen verbinden, sind jedesmal überrascht, wenn sie das von Zedern umsäumte weiße Edwards Plateau, das sich bis nach Hill Country erstreckt, und das fruchtbare Ackerland sehen, das im Osten bis an die Golfküste reicht. Im Westen liegen die Highland Lakes; sie hängen am silbernen Band des Colorado River wie Münzen an einer Kette. Hier vergnügt sich das Geld aus Dallas und Houston. Zehn Meilen von Pecan Springs entfernt ist der Canyon Lake, eine Ausbuchtung des Guadalupe River, die von mehreren luxuriösen Feriensiedlungen umgeben ist. Dort fließt der San Marcos River aus dem Spring Lake und schlängelt sich glasklar an prächtigen Zypressen und Platanen vorbei. Pecan Springs mag zwar solche Großstadtvorzüge wie ein Opernhaus oder Ballett entbehren, aber ich für meinen Teil ziehe es vor, an einem schönen Ort im Grünen zu wohnen, mit blauen Seen und weißen Bergen in unmittelbarer Nähe. Wenn man fünfzehn Jahre lang täglich Kopf und Kragen auf dem Highway nach Houston riskiert hat, dann kann einen der bloße Gedanke, nicht jeden Morgen ins Auto steigen zu müssen, durchaus schon zum Frühstück fröhlich stimmen. Heute war mein freier Tag. Der Laden war geschlossen, und ich war auf dem Weg ins Kunstgewerbehaus gleich nebenan, ein stattliches viktorianisches Gebäude, in dem die verschiedensten Handwerks- und Antiquitätenläden sowie Boutiquen untergebracht sind.

Als ich durch die Buntglastür trat, war Gretel Schumaker gerade dabei, ein Bündel frisch gezogene Kerzen in die Auslage, früher einmal die Eingangshalle zu hängen. Sie verschwand förmlich in ihren Schöpfungen, einem ganzen Wald aus duftenden Kerzen in jeder Farbe und Form.

»Hallo, China«, rief sie. Gretel ist blond und ziemlich kräftig gebaut, genau wie ihre Mutter und die deutsche Großmutter, die ebenfalls Kerzen machen. Es ist ein Familienunternehmen. »Hast du Lavendelöl da? Mom will morgen Lavendelkerzen ziehen.«

»Hab ich. Klopf in einer Stunde hinten an die Küchentür, dann ist es fertig.« Ich wohne hinterm Laden, was für meine Nachbarn soviel wie immer geöffnet heißt. Das kann einem schon mal auf die Nerven gehen, aber im großen und ganzen ist es okay.

Da ich etwas zu erledigen hatte, nickte ich Peter Dudley nur zu. Er polierte im ehemaligen Speisezimmer – heute ein sündhaft teurer Antiquitätenladen – Glas aus den Zwanzigern. Mehr als ein Nicken, und man ist verloren. Dieser Schwätzer wird nur noch von Constance Letterman, der Besitzerin des Kunstgewerbehauses, übertroffen. Peter trägt ein schwarzes Toupet, um seine kahle Stelle zu verbergen, offene weiße Hemden, die er aufkrempelt, und pastellfarbene Hosen. Er ist eine Besonderheit hier in Pecan Springs, wo jeder in Jeans, Cowboystiefeln und T-Shirts rumläuft. Genau das, was auch ich heute anhatte. Mein T-Shirt verkündete, daß hinter jeder erfolgreichen Frau allein sie selbst zu suchen sei.

»Wenn du zu unserer lieben Constance willst, hast du sie gerade verpaßt«, sagte Peter und stellte den Fiesta-Krug so vorsichtig ab, als handle es sich um den größten Diamanten der Welt. »Sie ist rüber zur Zeitung.«

»Danke«, erwiderte ich und stieg die herrschaftliche Treppe zum zweiten Stock hinauf. Ich wollte zu Violetts Puppenhaus, einem winzigen Laden, passenderweise ins ehemalige Kinderzimmer gezwängt, und vom Boden bis zur Decke voll mit Puppen. Jede von ihnen war einzigartig und von Violett Hall höchstpersönlich handgefertigt. Violett selbst ist schüchtern und hat ein hübsches Gesicht. Sie lächelt wie Amor, hat braune Mamie-Eisenhower-Fransen und über den Ohren sauber gelegte Lockenröllchen, die Peter liebevoll »Mottengaragen« nennt.

Ihre ganzen fünfzig und noch was Jahre hat sie in Pecan Springs verbracht. Sie war Hausfrau und hat ihre kranke Mutter gepflegt, bis diese vor ein paar Jahren starb. Wenn sie sich nicht gerade um ihre Mutter oder eine Schar Katzen und Vögel kümmerte, in die sie vernarrt ist, nähte sie ausgestopfte Kühe, Patchwork-Schweine oder karierte Hühner für den ersten Ferienbasar der Baptisten oder den Back- und Bastelmarkt der Stadtbücherei. Nachdem Mrs. Hall gestorben war, überredete Constance Violett dazu, das Kinderzimmer zu mieten und ihr Hobby zum Beruf zu machen. Das hat offenbar auch geklappt. Ihre pausbackigen Puppen und ausgestopften Tiere sind in verschiedenen Zeitungen und Zeitschriften sehr gelobt worden. Sie hat Kunden bis aus Little Rock. Viel bleibt ihr bestimmt nicht am Monatsende – das bleibt keinem im Kunstgewerbehaus –, aber Constance sagt, daß Violett die Miete stets pünktlich zahlt. Für ein Dach überm Kopf und das Katzenfutter scheint es immerhin zu reichen. Ihre Tiere liebt Violett über alles. Das war der eine Grund für meinen Besuch. Ich brachte die bestellten Tinkturen, eine gegen Katzenmilben und eine andere gegen Fußpilz. Der Fußpilz muß ihr wirklich zu schaffen gemacht haben. Ich sah, daß sie Sandalen anstatt der obligatorischen Collegeschuhe anhatte, die sie sonst zu dem unauffällig geschnittenen Rock und der hochgeschlossenen weißen Bluse trägt. Violetts Aufzug erinnerte mich immer an eine Schulmädchenuniform.

Ich war nicht die einzige Person im Laden. Violett bediente gerade zwei gutgekleidete Touristinnen. Sie waren selbst wie Puppen – eine hatte unbeschreiblich blaue, die andere unbeschreiblich rote Haare. Beide waren herausgeputzt und trugen Hosen. Während ich wartete, sah ich mich nach einem Geschenk um, denn das war der andere Grund, weswegen ich gekommen war. Heute war Jo Gilberts neunundfünfzigster Geburtstag, und sie mußte ein bißchen aufgeheitert werden. Jo hatte Brustkrebs.

Ich betrachtete Violetts Puppen und Tiere. Jo ist zu realistisch für irgendwelchen Kitsch. Mein Blick fiel auf eine rot karierte Gans mit frechen Augen. Ihr rebellischer Gesichtsausdruck erinnerte mich an Jo. Sie ist ein Organisationstalent. Sie hat die Frauenbewegung von Pecan Springs organisiert, das naserümpfende Jungvolk ignorierend. Aus Pecan Springs' »wildem Westen« hat sie allen Widerständen zum Trotz einen Park gemacht, und vor kurzem hat sie die Initiative gegen den Flughafen ins Leben gerufen. Diese wehrt sich dagegen, daß wenige Meilen von Pecan Springs entfernt, gegenüber der geplanten Schnellinie, jetzt auch noch der Flughafen von Austin und San Antonio entstehen soll. Als ich die Gans sah, mußte ich lachen. Das einzige, was ihr fehlte, war ein Schild mit der Aufschrift: DER FLUGHAFEN IST MIST.

Im Umdrehen, die Gans unterm Arm, sah ich, wie die Dame mit den blauen Haaren einen dicken rosa Bären hochhob; auf der Schürze stand StrawBerry, und um den rosa Strohhut war ein Kranz aus Erdbeeren gewunden. Die Dame reckte sich über den Tresen und rief »Ist der nicht süß, Maxine? Ein StrawBerry-Bär.«

»Ein StrawBerry-Bär!« echote Maxine und klatschte in die Hände. »Den wünscht sich meine Enkelin.«

Ich war noch nie Mutter gewesen und wollte auch noch nie eine sein. Ich habe keine Ahnung, worauf Kinder heutzutage fliegen. Aber daß die StrawBerry-Bären sich bei den Vier- bis Achtjährigen größter Beliebtheit erfreuen, das weiß sogar ich, und zwar deswegen, weil Rosalind »Roz« Kotner, Jos Freundin, sich die ausgedacht hat. Roz' Lebensgeschichte war die des ewigen Aschenputtels, bis zu dem Zeitpunkt, an dem sie mit den StrawBerry-Bären groß rauskam. Später machte sie sich dann noch mit Büchern und anderen Spielsachen einen Namen, und die Einschaltquoten des StrawBerry-Clubs stiegen ins Unermeßliche. Bis dahin lebte Roz genau wie jede andere kleine Schauspielerin, nämlich von der Hand in den Mund. Damals war sie Untermieterin bei Jo.

Aber das war damals und ist jetzt sechs Jahre her. Heute lebt sie in New York, nimmt ihre wöchentliche StrawBerry-Show vor einer Schar bewundernder Kinderaugen auf, überwacht ihr wachsendes StrawBerry-Imperium und posiert für Zeitschriften, zum Beispiel im letzten Monat für das People Magazine. Da hockt sie auf einer Pyramide aus rosa Bären, und überall liegen die Dollarscheine. Die Titelgeschichte handelt nur davon, wie viele tausend StrawBerries bereits verkauft wurden und wieviel Millionen Dollar Roz im nächsten Jahr zu ergattern hofft. Das Ganze ist schon eine Leistung für ein Mädchen aus Texas mit nichts als einem Teddybär und 'ner tollen Idee.

Aber diesen einen Bären sollte Maxines Enkelin nicht bekommen. »Tut mir leid«, sagte Violett bestimmt, »das ist ein ... der ist unverkäuflich.« Sie nahm Maxine den Bären aus der Hand und legte ihn unter die Ladentheke.

Maxine zog einen Schmollmund. »Oh, nirgends habe ich mehr einen bekommen. Sogar Toys-"R"-Us muß sie nachbestellen. Kann ich ihn nicht doch ...?«

Violett lachte. »Ich zeig Ihnen mal Miss Prissy, eine süße kleine Lady mit Rüschenschürze und rosa Schuhen. Die gefällt Ihnen bestimmt auch.«

Das war offenbar der Fall, denn ein paar Augenblicke später klingelte die Kasse, und die beiden Freundinnen verließen kurz darauf den Laden.

Ich brachte meine Gans an die Kasse. »Ich glaube, die ist ein schönes Geburtstagsgeschenk für Jo. Hier sind deine Tinkturen.« Ich reichte ihr das Päckchen und legte mein Geld auf den Tisch.

»Wie geht es ihr?«

Ich antwortete mit einem ausweichenden Achselzucken. In der letzten Zeit hatte Jo einen deprimierten Eindruck auf mich gemacht. Möglicherweise, weil die Flughafengegner von der hiesigen Zeitung in der Luft zerrissen worden waren. Man wollte Pecan Springs offenbar unbedingt in einen Flughafenvorort verwandeln.

Oder vielleicht war es der Geburtstag. Mich deprimieren Geburtstage auch, obwohl ich es erst bis zum zweiundvierzigsten geschafft habe. Aber immerhin zähle ich noch. Vermutlich wäre ich weit mehr deprimiert, wenn ich bei Nummer neunundfünfzig angekommen wäre und mein Arzt mir eröffnet hätte, daß es möglicherweise der letzte sei. Trotz Brustamputation und Chemotherapie breitete sich der Krebs weiter aus. »Soweit ich weiß, ist ihre Tochter gerade da«, sagte Violett. Sie steckte die Tinktur in die Tasche und gab mir meine restlichen sieben Dollar und zweiundvierzig Cent.

»Stimmt«, erwiderte ich.

Meredith ist Steuerberaterin in Dallas und für ein paar Wochen zu Besuch.

Violett seufzte. »Hoffentlich hat sie nicht vor, die Karriere aufzugeben, um ihre Mutter zu pflegen. Das wäre ein zu großes Opfer.«

»Ich glaube, sie macht es nur vorübergehend«, sagte ich und bereute es im selben Augenblick. Es konnte laut Jos Arzt hi der Tat sehr vorübergehend sein.

Der deutsche Steinmetz, der mein altes zweistöckiges Haus gebaut hat, hat sein Handwerk wirklich verstanden. Jeder der quadratischen Kalksteine paßt auf den Millimeter genau an seinen Platz. Das Haus liegt auf einem langen, schmalen Grundstück, zehn Meter von der Straße entfernt. Vor und hinter dem Haus habe ich Kräuterbeete, mehr um Kunden zu animieren, als um eigene Kräuter zu ziehen. Trotzdem verbringe ich jede Woche ein paar Stunden hier, grabe und pflanze und versuche die saure Erde ein wenig zu verbessern. Heute nachmittag habe ich am Zaun eine Reihe Knoblauch gepflanzt.

Viele fragen mich, warum ich von der Juristerei zu den Kräutern übergewechselt bin. Meine Standardantwort lautet Sie widersprechen nicht, lügen nicht, betrügen nicht und führen nichts gegen einen im Schilde. Das stimmt zwar, ist aber zu einfach. Zum einen habe ich aufgehört, an eine Verbindung zwischen der Gerechtigkeit und unserem Rechtssystem zu glauben. Und zum anderen hat mich mein Beruf arroganter, ehrgeiziger und rücksichtsloser werden lassen, als ich es in Wahrheit bin. Ich konnte voraussehen, was aus mir werden würde, wenn ich noch lange dabeibliebe: das genaue Abbild meiner vier Chefs – nur noch die Arbeit und ansonsten ein völlig leeres Leben.

Für die Kräuter habe ich mich deshalb entschieden, weil ich mich schon als Kind für alles begeisterte, was wächst. Das ist etwas, was ich von meiner Großmutter väterlicherseits geerbt habe – sie hatte wohl den besten Kräutergarten in der ganzen Gegend um New Orleans. Auch ihren Namen habe ich geerbt, China Bayles. Auf die oft gestellte Frage, was das für ein eigenartiger Name sei, erzähle ich regelmäßig die Geschichte, daß meine Großmutter in Schanghai während des Boxeraufstands gezeugt wurde. Das ist natürlich eine Lüge. Ich habe nicht die leiseste Ahnung, wo meine Großmutter gezeugt worden ist. Als ich noch Rechtsanwältin war, habe ich nur meine Initialen benutzt, um zu vertuschen, daß hinter ihnen eine Frau steckt. Jetzt bin ich wieder China. Das ist doch gut, oder?

Ich werde auch gefragt, wie ich überhaupt zur Rechtswissenschaft gekommen bin. Als Kind wollte ich, um die Wahrheit zu sagen, eigentlich Botanikerin werden. Aber mein Vater erwartete, daß sein einziges Kind, wenn es schon kein Junge war, wenigstens in seine Fußstapfen trat. Das fand ich dann auch in Ordnung. Seine Macht hat mich immer fasziniert, und ich wünschte mir, ihm so ähnlich zu werden wie möglich. Wie meine Mutter wollte ich jedenfalls bestimmt nicht werden, so träge und langweilig. Also studierte ich Jura, gebrauchte meine Ellbogen und gab mir Mühe zu beweisen, wie toll ich war. Dabei machte ich jede Menge Geld.

Ob meinem Vater das gefiel? Ich bezweifle es. Er hat mich jedenfalls nie gefragt, ob ich in seine Kanzlei eintreten will. Aber ich sah darin den einzigen Weg, Aufmerksamkeit von ihm zu erhalten.

Zugegeben, ein bißchen schizophren war ich schon. Der eine Teil von mir wollte die erfolgreichste und am besten verdienende Rechtsanwältin in ganz Houston sein, aber der andere Teil träumte noch immer davon, Botanikerin zu werden. Als Rechtsanwältin pflanzte ich auch schon Kräuter, so viele, wie mir das eigens für mich gebaute Blumenfenster erlaubte. Und als ich an dem Punkt angekommen war, da ich wußte, daß es Zeit war auszusteigen, hatte ich auch nicht mehr wahnsinnig viel Lust, noch was ganz anderes anzufangen.

Mit Pflanzen kannte ich mich aus, die machten mir Spaß, und außerdem dachte ich, daß mir ein Kräuterladen ein ruhigeres und weniger anstrengendes Leben erlauben würde. Aber meine Beiträge an die Anwaltskammer zahle ich immer noch, um mir ein Hintertürchen offenzulassen, falls es mit dem Laden den Bach runtergeht. Ich könnte auch jetzt noch ein paar Fälle bearbeiten, wenn es nötig wäre, aber das war es bisher nicht. Alles in allem kann ich mich nicht beklagen.

Ich war gerade mit meiner Knoblauchreihe fertig, als Ruby Wilcox um die Ecke bog, und hinter ihr Meredith, Jos Tochter. Ich richtete mich auf.

Die Fassade meines alten Steinhauses ist zweigeteilt. In der einen Hälfte ist Thyme and Seasons, und die andere hat Ruby für ihren Chrystal Cave gemietet, Pecan Springs' einzigen New-Age-Laden. In ihren Pfennigabsätzen bringt es Ruby auf einsneunzig. Ihr feuerroter Lockenkopf, das offene Lachen, das sommersprossige Gesicht – dies alles macht aus ihren dreiundvierzig Jahren zehn weniger. Unsere Zusammenarbeit ist einfach prima. Der Chrystal Cave hilft mir nicht nur, die Unkosten fürs Haus zu tragen, sondern wir springen auch oft füreinander ein, so daß keine ständig an ihren Laden gekettet ist. Selbst wenn man seine Arbeit liebt, kann ein Einmannbetrieb bisweilen ein ganz schöner Klotz am Bein sein.

Ruby ließ sich auf die weiß gestrichene Eisenbank vor dem Minzebeet fallen und stellte die Tüten auf den Boden. Meredith setzte sich daneben. Meredith hat Jos klare graue Augen, ein energisches Kinn, und wie Jo hat sie ihr kurzes schwarzes und drahtiges Haar streng nach hinten gekämmt. Beide haben sie, passend zu den energischen Gesichtszügen, eine aufrechte Körperhaltung und sind ausgesprochen geradeheraus, gelegentlich fast barsch. Auf jeden Fall weiß man immer, woran man ist.

Ich mag Meredith wahrscheinlich deshalb, weil sie ihrer Mutter so ähnlich ist. Jo ist so was wie eine Ersatzmutter für mich. Bei ihr bekomme ich zu essen, sie hat mich den richtigen Leuten vorgestellt, und ich kann mit ihr reden, wenn mir danach ist. Zu meiner eigenen Mutter habe ich, milde ausgedrückt, ein recht angespanntes Verhältnis. Jo hat also einen leeren Platz in meinem Leben ausgefüllt. Die Tatsache, daß sich Meredith und Jo so ähnlich sind, erklärt vermutlich auch, warum die beiden sich nicht besonders gut vertragen. Beide sind sehr zurückhaltend und legen großen Wert auf ihre Privatsphäre. Das verbietet ihnen wirklich enge Freundschaften. Und wenn irgendwo Dummheit ins Spiel kommt, sind sie beide nicht unbedingt nachsichtig. Das alles hält mich aber nicht davon ab, sie wirklich sehr zu mögen. »Was pflanzt du?« fragte Ruby, streifte ihre Schuhe ab und ließ ihre Füße erst links-, dann rechtsherum kreisen. Ruby ist sehr beweglich, denn sie macht Yoga.

»Knoblauch.« Ich pflanze soviel wie möglich davon an und kaufe noch von einer nahe gelegenen Gärtnerei dazu. Die Kunden mögen Knoblauchzöpfe. »Ich habe ein Geburtstagsgeschenk für deine Mutter«, sagte ich zu Meredith. »Wie geht es ihr?«

»Auf das Feiern von Geburtstagen war sie noch nie besonders scharf«, antwortete Meredith.

»Und in der letzten Zeit ist sie ziemlich deprimiert wegen ... na, du weißt ja. Mit dem Geld kann es jetzt auch noch knapp werden. Sie ist nicht gut versichert, und wenn es hart auf hart kommt ... Aber wenigstens heitert sie ihr neues Hobby ein bißchen auf.«

»Neues Hobby?«

»Vögel beobachten«, informierte mich Ruby.

Meredith nickte. »Ganz gleich, wie schlecht es ihr geht, jeden Morgen stapft sie mit dem Fernglas und dem Vogelbuch aus dem Haus. Man muß sie einfach bewundern.«

»Sie ist eben auf dem Weg«, sagte Ruby vergnügt und ließ ihre Füße in die andere Richtung kreisen. Ruby glaubt an die Therapiealternativen des New Age, worin sie so was wie eine Expertin ist. Sie hatte mit Jo zusammen ein »Genesungsprogramm« zusammengestellt – fett- und zuckerfreie Nahrung, wöchentliche Visualisierung, tägliche Meditation und stündliche Zustimmung. Das alles soll Jos krankem Immunsystem dabei helfen, über die wuchernden Krebszellen zu triumphieren. Ruby nennt es den heilenden Weg, den Weg zur Genesung. »Mystischer Hokuspokus«, nennt es mein Freund Mike McQuaid. Die amerikanische Ärztevereinigung hat vermutlich noch andere Namen dafür. Mir war das gleich. Ich hoffte nur, daß das, was Ruby und Jo da taten, Jo helfen würde, mit dem fertig zu werden, was mit ihrem Körper geschah, und daß es ihr wenigstens ein bißchen Erleichterung verschaffte. Ich mochte Jo zu sehr, um mir zu wünschen, daß ihr Leben um den Preis von Schmerzen verlängert würde.

»Was habt ihr denn den ganzen Tag gemacht?« fragte ich und zwickte die Seitenarme einer langen, dünnen Dillpflanze ab. Dill ist etwas Wunderbares, aber entsetzlich platzraubend. Wenn er einmal ausgestreut hat, ist er einfach überall. Ruby streckte die Arme in die Höhe, atmete tief ein und beugte sich dann zu den Zehen hinunter. »Kleider kaufen«, preßte sie hervor, »in Austin.« Und wieder strecken, Luft holen und runter zu den Zehen.

Bei Kleidern hat Ruby einen Hang zum Dramatischen. Man ist beeindruckt, wenn man sie für die Tarot- oder Astrologiekurse angezogen sieht, die sie regelmäßig abhält.

Ruby ist meine beste Freundin, aber in Sachen Kleider sind wir vollkommen verschieden. Sie schwärmt fürs Extravagante, ich fürs Schlichte – Jeans und T-Shirt, mit den verschiedenen Umwelt- und Feministenparolen vorne drauf, dazu Turnschuhe oder Cowboystiefel. Mein glattes braunes Haar trage ich kurz und mache keine Anstalten, die graue Strähne an meiner linken Schläfe zu verbergen. Ich gebe zu, ich habe ein paar schicke Kleider und auch ein paar maßgeschneiderte Röcke und Blusen – alles Überbleibsel aus meiner Berufszeit –, aber damit hat es sich auch schon. Daß ich mich jetzt nicht mehr in das Gegenstück eines Herrenanzugs schmeißen mußte, war eine der großen Erleichterungen für mich. Ebenso genoß ich es, nicht mehr wie ein Mann reden oder handeln zu müssen. Ich war damals an einem Punkt angelangt, an dem ich mir wie ein Transvestit vorkam, wenn ich etwas mit Rüschen anhatte. Sie würden mich vielleicht heute nicht viel weiblicher finden, jedenfalls nicht im herkömmlichen Sinn, aber ich kann mir wenigstens aussuchen, wie ich sein möchte, und das ist doch schon mal was.

»Ich habe mir einen blauen Jogginganzug von den Dallas-Cowboys und ein paar Laufschuhe gekauft«, sagte Meredith. Sie zerrte die Schuhe aus der Tüte. »Sears hatte sie im Angebot. Nette Raupenschlepper, was?«

»Das kannst du laut sagen. Damit hinterläßt du Spuren wie Zorro.«

Ruby streckte sich noch einmal. »Da hast du's, Meredith, Anwalt bleibt Anwalt.«

»Ha, ha, ha.«

Meredith verschränkte die Hände hinterm Kopf. »Hast du jemals bereut, dich von der Juristerei verabschiedet zu haben?«

»Noch nie.«

Jahrelang hatte ich zugelassen, daß meine Karriere mein gesamtes Leben bestimmte. Sie hatte mir eine Selbstsicherheit verschafft, von der sich sogar noch ein Mann was abschneiden könnte.

Als ich draußen war, hatte ich in den ersten Monaten keinerlei inneren Halt. Ich hatte den Boden unter den Füßen verloren, war ein bei hohem Seegang in einen Strudel geratenes Schiff. Jede Menge Schuldgefühle meldeten sich, so zum Beispiel, daß ich meine Fähigkeiten ungenutzt lasse, daß ich aufgehört hatte, der Sache zu dienen, ja, noch schlimmer, daß ich sie verraten hatte – die Vorhaltung einiger Feministen-Freundinnen. Doch die Schuldgefühle legten sich, und ich fand wieder neuen Halt, als ich lernte, auf andere Weise zu leben. Mittlerweile habe ich eigene Wurzeln und bin nicht mehr an einen Anker gebunden.

»Frag mich mal«, sagte Ruby. Wir lachten. Ruby hatte sich vor drei Jahren von einer siebzehnjährigen Ehe verabschiedet. Ward, ihr Mann, zog die klassische Nummer ab und verliebte sich in seine Sekretärin. Ruby winkelte die Beine zum perfekten Lotussitz. »Oder will vielleicht einer behaupten, verheiratet zu sein und ein Kind aufzuziehen sei kein Fulltime-Job?«

»Sicher«, sagte Meredith mit einem Grinsen. »Das Problem ist nur, die Leiter hat bloß eine einzige Sprosse, die Bezahlung ist hundsmiserabel, und Alter zählt nicht.«

»Trotzdem, einfach war das nicht. Mit einmal ist alles weg – das schöne Haus, das Auto, der Country-Club, einfach alles.«

»Eine Zeitlang hättest du schließlich Unterstützung bekommen können«, erinnerte ich sie.

Ruby hob den Kopf und funkelte mich an. »Sag nur noch, du würdest von so einem Geld nehmen. Die Kleine ist doch bloß 'n paar Monate älter als Shannon.« Shannon ist die Tochter von Ruby und Ward und besucht seit zwei Jahren die High-School. »Aber ich muß sagen, es war es wert. Keine Märchen mehr, sich nicht mehr fragen müssen, hat er, hat er nicht, kein ...«

»...Geld mehr«, ergänzte ich. »Du hörst auf, und die Zahlungen werden eingestellt.«

Meredith zupfte etwas Minze ab. »Ich glaube, das Geld ist es, was mir abgehen würde, Dallas weniger, mit seinem Verkehr, dem Krach und dieser Kriminalität. Ich wohne in einem hübschen Vorort, aber es ist zweimal bei mir eingebrochen worden, und drei Blocks weiter wurde eine Frau aus dem Supermarkt entführt. Vor einiger Zeit habe ich mir einen Revolver gekauft.«

»Oh, wirklich?« fragte Ruby interessiert. Sie ist süchtig nach knarrentragenden Detektiven wie Kinsey Millhone und V. I. Warshawski.

Meredith nickte. »›Der große Gleichmacher‹ sagt mein Schießlehrer dazu. Eine Waffe scheint wirklich die einzige Sprache zu sein, die manche Leute verstehen.« Sie betrachtete die rosa Kletterrose, die die steinerne Gartenumrandung erklomm, um ihre Knospen der Sonne entgegenzustrecken. »Um ehrlich zu sein, ich habe auch schon mal daran gedacht aufzuhören. Sich sein Geld schnappen und ein ruhiges kleines Städtchen aussuchen wie das hier – einfach alle Brücken hinter sich abbrechen. Vielleicht wär's das ja.«

Ruby nickte ermutigend. »Ich schätze mal, eine gute Steuerberaterin kann überall ihr Geld verdienen. Das heißt, falls du dich jetzt nicht lieber aufs Killen verlegst.«

»Freiwillige Einfachheit«, schlug ich vor. »Du brauchst den Willen zur Einfachheit. Da kann ich dir ein Buch geben.« Ruby grinste mich an. Über Geld reden Ruby und ich häufiger. Meistens allerdings über das, das uns fehlt. Ich bin zwar mit einem schönen Batzen ausgeschieden, aber der regelmäßige Scheck geht einem einfach ab. Aus der Juristerei auszusteigen hatte definitiv bedeutet, den Gürtel enger zu schnallen.

»›Freiwillige Einfachheit‹, das ist wahrscheinlich an einem Ort wie diesem gar nicht so schlecht«, sagte Meredith. Sie warf einen Blick auf die Uhr und stand auf. »Ich muß los, ihr Lieben, noch einkaufen und bei Adele den Schokoladenkuchen für Mutters Geburtstag abholen.« Adele, deren Laden Sweets for the Sweet heißt, macht die besten Kuchen auf der Welt. »Heute morgen hatten Mutter und ich eine kleine Meinungsverschiedenheit, und ich denke, eines von Adeles Meisterwerken könnte die Wogen glätten helfen.«

»Ich hab mein Geschenk noch nicht eingepackt, aber du kannst es trotzdem mitnehmen«, sagte ich und ging die karierte Gans holen. Meredith mußte über das Schild mit der Aufschrift: DER FLUGHAFEN IST MIST, das ich ihr umgehängt hatte, lachen.

Nachdem sie gegangen war, wandte ich mich an Ruby.

»Ich hab noch zwei Lachssteaks da, und ich dachte mir, ich mach sie in Zitronenbutter mit Dill. Bleibst du zum Essen?«

»Ein Angebot, das ich nicht ablehnen kann. Ich zieh auch die neuen Klamotten an.«

Ich lachte. »Mir soll's recht sein. Wir sind aber nur zu zweit, es sei denn, du lädst noch jemanden ein.«

Seit ihrer Scheidung war Ruby mit jeder Menge Männern ausgegangen, aber in letzter Zeit wurde sie wählerischer. Sie sagt, sie suche einen, der auf dem Weg ist.

Ruby schüttelte den Kopf. »Nein, nur du und ich.« Sie legte mir den Arm um die Schulter. »Kann ich mich nicht mal allein für meine beste Freundin umziehen?«

»Natürlich, solange du das nicht auch von mir verlangst.«

Ich zupfte eine Handvoll Dill für die Soße ab. In Houston hatte ich weder viel Zeit zum Kochen noch zum Essen gehabt. Oder vielleicht stand Essen einfach nicht oben auf der Liste. Aber seit mit Houston Schluß ist, ist das alles ganz anders. Ich könnte ohne Schwierigkeiten zum Pummel werden. Die Kalorien schwitze ich mir dann ein paarmal in der Woche im Fitneßcenter meiner Freundin Jerri runter. Und ich fahre mit dem Rad statt mit dem Auto. In Pecan Springs geht so was.

Ruby kam mit in die Küche. Der Vorbesitzer des Hauses, ein cleverer junger Architekt, hat es komplett renoviert. Sein Büro war dort, wo jetzt Rubys Laden ist. Gewohnt haben sie nach hinten raus, genau wie ich. Ich habe vier große, helle Räume – eine Küche, ein Wohnzimmer, ein Schlafzimmer und ein Gästezimmer/Büro. Die Bruchsteinmauern sind hundert Jahre alt, und die rohen Pinienholzdecken werden durch handbehauene Balken aus Zypressenholz abgestützt, wie es am San Marcos River wächst.

Es ist ein hübsches Plätzchen. Im Garten befindet sich noch ein kleineres, aber genauso hübsches Haus, ehemals der Stall. Es steht immer leer bis auf die wenigen Male, wenn ich einen Wochenendgast habe.

Ruby ging ins Schlafzimmer, um ihr durchsichtiges schwarz-oranges Oberteil mit Fledermausärmeln und ihre schwarzorangen Stretchhosen anzuziehen. Sie sah wie ein einsfünfundachtzig großes Pfauenauge aus. Kurz darauf flatterte sie auf den Barhocker in der Küche und fing an, ihre Fingernägel passend zum Oberteil orangerot zu lackieren. Rubys Nägel sind so kunstvoll und lang, daß sie einen Minderwertigkeitskomplex bei mir auslösen, und das, obwohl ich sie gar nicht haben will. Meine sind praktisch, aber sie sehen immer aus, als ob ich gerade nach Regenwürmern gesucht hätte. Und so falsch ist das auch gar nicht, denn ich grabe viel in der Erde.

Während Ruby ihre Nägel lackierte, legte ich zwei Kartoffeln in die Mikrowelle, warf meinen guten alten Home-Comfort-Gasofen an, bereitete die Zitronensoße zu und stellte die kobaltblauen Teller auf den Pinientisch – der ganze Stolz meiner Küche. Die Tischplatte ist verkratzt und an einer Stelle sogar verbrannt. Da muß irgend jemand mal einen heißen Topf abgestellt haben. Aber der Tisch ist massiv, und man hat genügend Platz, um darauf Kräuter zu hacken, Kränze zu binden, etwas anzurühren und zu essen – alles zur selben Zeit. Der Rest der Küche ist genauso. Es ist richtig Platz zum Kochen, nicht nur dazu, Fertigfutter so lange aufzubewahren, bis es Zeit ist, Wasser und Hitze dazuzugeben und es zu servieren. Der grün-weiße Emailofen ist älter als ich, aber absolut zuverlässig. Dann gibt es noch zwei Spülbecken, die tief genug sind, daß man seine Arme bis zu den Ellbogen hineintauchen kann. Außerdem habe ich ein weiteres Becken für die Kräuter und den Salat. Der riesige Kühlschrank ist oft voller frischer und getrockneter Kräuter sowie Knoblauchzöpfen. Und von der Decke hängen getrocknete Chilischoten.

Der Lachs war in einer Viertelstunde fertig. Wir hatten gerade zu essen angefangen, als das Telefon klingelte. Ich griff nach dem Hörer in der Küche.

Merediths Stimme war betont ruhig und kontrolliert, aber sie vibrierte wie eine gespannte Schnur. »China, du mußt kommen.«

Ich sah auf den rosa Lachs in Zitronensoße mit Dill. Mein Lieblingsessen. »Jetzt gleich?«

»Ja, gleich.« Ich hörte, wie sie die Luft einsog. »Es ist wegen Mutter. Sie ist tot, China.«

»Jo ist tot?« fragte ich bestürzt.

Rubys Gabel klapperte auf dem Teller. »Tot?« wiederholte sie. Die riesigen grünen Augen befanden sich plötzlich in einem kreideweißen Gesicht. »Aber sie kann doch nicht ... Ich meine, so schnell ...«

»Auf dem Tisch steht ein Pillenfläschchen, und daneben liegt ein Brief«, sagte Meredith. »Sieht aus, als hätte sie sich umgebracht.«

»Selbstmord!« rief ich.

»Nein!« schrie Ruby und flatterte mit ihren Schmetterlingsflügeln. »Das hat sie nicht getan. Sie kann es nicht getan haben, sie war doch auf dem Weg.«

Kapitel 2

Jo Gilbert war schön gewesen, aufrecht und unnachgiebig, eine respekteinflößende ältere Frau. Aber jetzt war sie weder schön noch unnachgiebig. Sie lag auf dem Sofa vor dem Kamin. Ihr Kopf war über die linke Schulter gerutscht, der linke Arm hing schlaff herunter, die Finger waren kraftlos nach innen gebogen, die Beine geöffnet. Sie war knochenlos, ein kalter, wabbliger Klumpen Fleisch, der sich dem Tod überlassen hatte.

Ich sah auf das wächserne Gesicht, den strengen, halb geöffneten Mund, die Lider, die sich geschlossen hatten über Augen, welche nie wieder sehen würden. Ich wandte mich ab. Ich war schon oft von ängstlichen Klienten zu einem Toten gerufen worden – als Schutzschild gegen das Gesetz. An der Stelle, wo der Tot verwundet, wo man den Schock spürt, war mir bereits eine Hornhaut gewachsen. Sie war einmal so dick gewesen, daß ich sogar fähig gewesen war, einen Menschen zu töten, um mich selbst zu verteidigen. Aber ich war nicht mehr derselbe Mensch. Die Hornhaut war aufgeweicht, der Schmerz sickerte wieder ein, so stechend und beißend wie Säure.

Und das hier war Jo. Eine Frau, für die ich wie ... nein ... für die ich mehr als für meine eigene Mutter empfand. Plötzlich wurde mir klar, daß ich mich auf ein langes Sterben eingestellt hatte, auf eines mit genügend Zeit, um sich zu verabschieden, nicht auf einen hastigen und würdelosen Abgang, der mich darum brachte, ihr zu sagen, daß ich sie liebte. Plötzlich war ich irgendwie wütend, so als hätte Jo einfach nicht das Recht gehabt, sich auf diese Weise davonzumachen und mich verstört und hilflos zurückzulassen.

Neben mir hörte ich Ruby wimmern. Sie hatte den Kopf abgewandt. »Ich kann's einfach nicht fassen.«

Bubba Harris, der Polizeichef von Pecan Springs, stand über den Kaffeetisch gebeugt. Dort lagen Die Vögel Nordamerikas und ein Fernglas. Dann war da noch ein Wasserglas, ein leeres Fläschchen Schlaftabletten, eine leere Flasche Smirnoff, eine Bloody Mary Texas, extra scharf, und ein aus einem Notizbuch gerissenes Blatt Papier. Was daraufstand, konnte ich nicht lesen.

Bubba richtete sich auf. »Offenbar hat sie eine Handvoll Pillen geschluckt und kräftig nachgespült.« Er sah vorwurfsvoll auf Jo. »Scheiß-Kombination. Bringt einen sicher, wenn auch schmerzlos, unter die Erde.«

Bubba Harris ist seit über zehn Jahren Polizeichef von Pecan Springs. Er ist ein anständiger Kerl, Anfang Fünfzig, bewegt sich langsam und redet bedächtig. Sein Lone-Star-Bierbauch hängt über seine Lone-Star-Gürtelschnalle, sein braunes Haar wird langsam grau, und er saugt ständig an einer überdimensionalen Zigarre, die er nie ansteckt und die sein Gesicht mit den Hängebacken wie das eines Zwerges erscheinen läßt. Dummerweise kann ich Bubba nie ansehen, ohne dabei an Jackie Glaeson in Smoky und der Bandit denken zu müssen. Aber hinter diesem reichlich ausgestopften Nacken verbirgt sich die stählerne Härte, die eine lange und strenge Herrschaft über eine Stadt eben mit sich bringt. Laut meinem Freund McQuaid – früher ein auf Mord spezialisierter Detective in Houston, der heute Strafrecht an der Central Texas State University unterrichtet – wird in Texas nur jedes fünfte Verbrechen mit Gefängnis bestraft. In Pecan Springs dagegen, sagt er, würden von fünf Fällen vier aufgeklärt. Hier führt Bubba das Regiment, und das weiß nicht nur er, sondern auch sonst fast jeder.

Bubba sah mich an. Er brauchte eine Weile, bis er wußte, wo er mich hinstecken sollte, und als er es wußte, zuckte seine Zigarre, und die dicken Brauen zogen sich zu einem finsteren Blick zusammen. Kurz nachdem ich damals meinen Laden eröffnet hatte, hatten wir ein kleines Streitgespräch darüber geführt, ob der Verkauf von Heilkräutern als ohne Lizenz praktizierte Medizin ausgelegt werden könnte oder nicht. Ich habe ihn auf mein Schild: »Nicht berechtigt zu Diagnose oder Behandlung« aufmerksam gemacht. Wenn jemand etwas haben will, verkaufe ich es ihm, und ich verweise auf entsprechende Literatur, aber das ist auch alles. Und das habe ich Bubba gesagt. Vermutlich trifft er nicht alle Tage eine siebzig Kilo schwere, ein Meter fünfundachtzig große Frau, die sich in Rechtsfragen auskennt und ihm Kontra bietet. Er hatte mich nicht vergessen. Und er wußte auch, daß ich eine Freundin von Jo war.

Aber nicht nur ich bin widerborstig, sondern auch Ruby. »Und ich sage noch einmal, das war kein Selbstmord. Jo würde sich nicht umbringen.«

Bubba rollte die Zigarre von einem Mundwinkel in den anderen. »Sie meinen, es war ein Unfall? Möglich, daß sie nicht gewußt hat, was passiert, wenn man Pillen mit so 'nem Zeug nimmt. Aber was ist dann mit dem Brief?«

»Was steht denn drin?« fragte ich.

Bubba beugte sich vor, um ihn beim Lesen nicht berühren zu müssen. »Was ich gesagt habe, tut mir leid. Bitte verzeih.«

Auch Ruby beugte sich vor. »Er ist weder unterschrieben, noch steht drin, wen sie damit meint.«

»Ihre Handschrift?«

»Ich weiß nicht«, sagte sie zögernd. »Vielleicht.«

»Na, wir werden's schon rausfinden.« Bubba schob die Zigarre in den gegenüberliegenden Mundwinkel. »Aussehen tut's jedenfalls wie Selbstmord.«

»Nein. Ich meine ...« Ruby ruderte mit den Armen, ein aufgebrachter Schmetterling. »Ich meine, sie hat alles getan, um wieder gesund zu werden. Sie hat nicht gern Medizin genommen, besonders keine Schlaftabletten und ganz bestimmt keine, um sich damit umzubringen.«

Bubbas Augenbrauen zogen sich zusammen. »Sie hatte nicht mehr lang zu leben, oder? Hab irgend so was gehört.«

»Sie hatte Krebs«, sagte Ruby. »Aber aufgegeben hätte sie nie. Niemals.« Ruby schluckte und drehte der erkaltenden Toten hilflos den Rücken zu. »Niemals.«

Ich blickte auf das leere Pillenfläschchen. Ich wollte genau wie Ruby nicht daran glauben, daß Jo sich umgebracht hatte. Aber ich hatte etwas in mir, das darauf trainiert war, Beweismaterial sachlich zu betrachten und daraus brauchbare Schlüsse zu ziehen. Wahrscheinlich oder nicht, dieser Teil in mir mußte die Möglichkeit zulassen, daß wachsende Schmerzen oder die Angst, ihren Freunden zur Last zu fallen, Jo zu etwas getrieben hatte, was unter normalen Umständen völlig undenkbar für sie gewesen wäre.

Eine Handvoll Schlaftabletten und ein paar starke Bloody Marys waren ihr möglicherweise als das beste Mittel erschienen, dieser schrecklichen Krankheit zu entkommen. Niedergeschlagen war sie schon länger, und heute war ihr Geburtstag. Vielleicht war das für sie der Tag, ihrem Leben ein Ende zu setzen.

»Na ja, vielleicht war's ja tatsächlich ein Unfall«, sagte Bubba. »Sie hat 'n paar Pillen genommen, was getrunken, wurde etwas benommen und hat dann noch was getrunken. Alles schon vorgekommen.«

»Aber bereits der erste Punkt ist falsch. Sie hätte überhaupt keine Pillen genommen«, beharrte Ruby.

Bubba zuckte mit den Schultern. »Wir werden ja sehen, was der Richter dazu sagt.«

Ich verzog das Gesicht. In Texas muß jeder nicht ganz eindeutige Fall vor den Friedensrichter, auch wenn der häufig gar nicht dafür ausgebildet ist.

Bubba deutete mit dem Kopf in Richtung Küche. »Ihre Tochter ist da drin? Schauen Sie doch mal nach ihr. Ich verständige inzwischen das Watson Funeral Home, damit die sich um die Angelegenheit kümmern.«

So spricht jeder anständige Texaner das Wort »Angelegenheit« aus, selbst einer, der es bis zu den Regierungsangelegenheiten geschafft hat und nach Washington abgewandert ist. Ich habe mich lange gefragt, ob die mich in ihrem Klub aufnehmen würden, wenn ich es auch so aussprach. Und als ich merkte, daß ich anfing, es auszuprobieren, wußte ich, daß es an der Zeit war umzusatteln.

Bubba war mit dem Telefon beschäftigt, Ruby und ich waren also entlassen. Ich gab ihr einen kleinen Schubs, und wir gingen den dunklen Flur hinunter zur Küche.

Meredith saß in der schönen alten Küche an einem Tisch mit einem Wachstuch und hatte den Kopf auf die Arme gelegt. Es war dunkel, und auf dem Gasofen pfiff der rot emaillierte Teekessel vor sich hin. Auf der gelben Küchentheke stand eine weiße Tortenschachtel, und daneben lagen ein Paket Geburtstagskerzen und die karierte Gans. Ich nahm den Teekessel vom Ofen und knipste das Licht über der Spüle an. Ruby beugte sich über Meredith und sagte leise: »Es tut mir so leid, Meredith.«

»Ja«, pflichtete ich matt bei. Aber »leid tun« sagte überhaupt nichts. Es drückte weder die Traurigkeit noch den Verlust aus, den ich empfand, hier, in dieser gelb gestrichenen Küche stehend, mit Jos Geburtstagskuchen und meiner karierten Gans auf der Küchentheke – während das Beerdigungsinstitut gerade den Auftrag erhielt, die »Angelegenheit« zu übernehmen, den Leichnam ins Adams County Hospital zu bringen. Dort würde irgendein Arzt Jo aufschneiden und uns dann mitteilen, was es war, das sie umgebracht hatte. Was blieb da noch zu sagen?

Meredith hob verzweifelt den Kopf. »Ich hab nicht mal gewußt, daß sie überhaupt solche Pillen hatte.«

»Und ich hab noch nie erlebt, daß sie mehr als einen Drink zu sich genommen hat«, erklärte Ruby.

Meredith lehnte sich weinend an Ruby. »Sie hat mal Hepatitis gehabt. Sie hat nie viel vertragen. Das letztemal, als ich die Smirnoffflasche gesehen habe, war sie noch mehr als halb voll.« Sie schwieg eine Weile. »Ich hab auch nicht gewußt, daß sie was von diesem extra scharfen Zeug im Haus hatte. Sie hat es gern zum Frühstück getrunken. Davon werde sie wach, hat sie gesagt. Aber es war uns ausgegangen, und der Getränkemarkt hatte auch keines mehr.« Ihr blasses Gesicht war schmerzverzerrt und wirkte blau in dem flackernden Licht der Leuchtstoffröhre. »Aber die Pillen sind das, was mich am meisten verwirrt. Sie muß sie nur gekauft haben, um ...«

Ruby war empört. »Jo und Tabletten kaufen?« Sie schüttelte energisch den Kopf. »Sie hat sich selbst hypnotisiert. Sie hat sich strikt geweigert, irgendein chemisches Zeug zu nehmen, nur um weg zu sein oder keine Schmerzen mehr zu spüren. Tabletten! So was hätte sie einfach nicht genommen.«

Ich ging zu dem Schrank, in dem Jo ihre Tassen aufbewahrte. Sie hingen alle ordentlich an ihren Haken. Ich verstand das alles nicht. Wo einmal etwas Wichtiges gelebt hatte, war jetzt nur Kälte und Leere. Aber dem auszuweichen würde Jo nicht wiederbringen. »Was ist mit dem Brief?« Für mich war es ein Abschiedsbrief.

Ruby schüttelte stur den Kopf. »Ich weiß nicht. Aber Jo wäre nicht den leichtesten Weg gegangen. Der Krebs war für sie die Lektion, die es in diesem Leben zu lernen galt. Sie wollte sich ihr stellen, sie lernen und nicht vor ihr weglaufen. Das ist Teil der Heilung.«

Ich nahm drei Tassen aus dem Schrank und stellte sie auf die Küchentheke. Wenn Ruby so redet, fühle ich mich immer irgendwie unwohl, wie ein Atheist bei der Andacht. Vielleicht ist das so, weil ich noch nicht auf dem heilenden Weg bin. Dafür muß ich laut Ruby erst die Wut auf Leatha, meine Mutter, abbauen. Ich bin zwar schon sanfter geworden, seit ich mich von der Juristerei verabschiedet habe, aber meine Wut aufzugeben, dazu bin ich noch nicht bereit. Sie hat so lange zu mir gehört, daß ich mir gar nicht vorstellen kann, wie es ist, ohne sie zu sein.

Ruby nahm Merediths Hand. »Deine Mom hatte den Mut, das zu tun, was sie wollte. Sie hatte einen ungeheuren Willen. Ihr nächstes Leben wird etwas ganz Besonderes sein.«

Ich tat Pfefferminztee in die Kanne und goß kochendes Wasser darauf. Dabei fragte ich mich, ob sich Ruby bewußt war, daß das, was sie sagte, mißverstanden werden konnte. Jo hatte den Mut dazu gehabt, sich umzubringen, vorausgesetzt, daß sie es wollte.

»Was ist mit dem Brief?« wiederholte ich.

Meredith fuhr sich mit beiden Handrücken über die Augen. »Heute morgen haben wir uns gestritten. Tochter-Mutter-Probleme, nichts Weltbewegendes, aber offenbar schlimm genug, daß sie sich noch entschuldigen wollte, bevor sie ...« Sie schüttelte den Kopf, und wieder liefen die Tränen. »O Gott, ich könnte nicht mehr leben, wenn ich wüßte, daß es unser Streit war, der sie dazu getrieben hat.«

Ich sah Meredith an. »Bist du sicher, daß keine Tabletten im Haus waren?«

Sie schüttelte wieder den Kopf. »Gestern nacht konnte ich nicht schlafen. Ich mache keine Selbsthypnose und habe auch nicht Mutters Medikamentenspleen. Ich habe sie gefragt, ob sie irgendwelche Schlaftabletten habe, und sie sagte nein.« Meredith verzog das Gesicht. »Sie muß sie heute morgen erst gekauft haben. Oder sie hat mich angelogen.«

»Jetzt hört mir mal zu«, sagte Ruby eindringlich. »Gestern nachmittag war ich bei ihr, und wir haben wie immer zusammen Yoga gemacht. Da hätte ich doch gemerkt, wenn sie an ... Es ging ihr gut.« Sie schloß die Augen. »Es ging ihr gut«, wiederholte sie so hartnäckig, als wäre sie für Jos Gemütszustand verantwortlich.

Meredith sah mich an. Die grauen Augen waren ganz trüb. »Aber irgendwas ist komisch, China. Irgend jemand war hier, während Ruby und ich in Austin waren.«

Ich stand auf und schaltete die flackernde Leuchtstoffröhre aus und dafür die Lampe über dem Tisch an. Ich hasse diese Dinger, selbst wenn sie funktionieren. In diesem Licht sieht man immer gleich wie eine Vierundzwanzigstundenleiche aus. Und außerdem erinnert es mich an das Licht in Leathas Küche und an das bläulich blasse Gesicht meiner Mutter, wenn sie getrunken hatte. »Wer? Wer war hier?«

»Ich weiß es nicht. Ich bin wegen des Kuchens und der Gans hinten reingekommen. Ich wollte sie überraschen. Und dann bin ich ins Wohnzimmer gegangen und habe ...« Sie schluckte und rang um Fassung. Als sie wieder ruhiger geworden war, sprach sie weiter. »... und habe Parfüm gerochen. Ich habe eine sehr feine Nase. Aber ich habe es nicht erkannt. Irgendwas Exotisches.«

»Ich habe nichts gerochen«, sagte ich.

»Nein, jetzt nicht mehr.« Sie ließ müde ihre Schultern kreisen. Ruby stellte sich hinter sie, um ihr die Schulterblätter zu massieren. »Nur ein winziger Hauch. Ich habe die Tür aufgemacht, und weg war er. Gleich darauf habe ich Mutter gefunden. Und dann sind die Sanitäter gekommen und haben versucht, sie wiederzubeleben. Doch es war zu spät. Sie sagten, sie sei tot, und haben diesen schrecklichen Polizisten gerufen, der wie nasser Tabak riecht.« Sie verzog den Mund. »Gott sei Dank raucht er das Ding nicht auch noch.«