Missgeschicke der Evolution - Lisa Signorile - E-Book

Missgeschicke der Evolution E-Book

Lisa Signorile

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  • Herausgeber: btb
  • Kategorie: Lebensstil
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2014
Beschreibung

Die Geschichte der Evolution – so spannend erzählt wie ein Krimi.

Wie pflanzen sich Spinnen fort, und warum ist das Urzeitpferdchen noch nicht ausgestorben?

Im Zuge der Evolution haben sich unzählige skurrile Tierarten entwickelt, von deren Existenz die meisten Menschen nichts wissen. Und natürlich gibt es auch viele Tiere, die zwar gemeinhin bekannt sind, mit denen sich aber nur die Wenigsten näher befassen möchten.

Die promovierte Biologin Lisa Signorile stellt 37 bemerkenswerte Arten vor, von Insekten über Reptilien und Vögeln bis hin zu Säugetieren, und wartet dabei mit beeindruckenden Erkenntnissen, spannenden Geschichten und unvermuteten Überraschungen auf: Begeben Sie sich geschrumpft in ihr eigenes Bett, wo Sie sich Auge in Auge einer Hausstaubmilbe gegenübersehen. Lernen Sie echte Vampire kennen, gewinnen Sie winzige Beutelratten lieb, die wie Äffchen aussehen, und staunen Sie über Elysia, ein Mischwesen aus Schnecke und Pflanze.

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Seitenzahl: 361

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Im Zuge der Evolution haben sich unzählige skurrile Tierarten entwickelt, von deren Existenz die meisten Menschen nichts wissen. Und natürlich gibt es auch viele Tiere, die zwar gemeinhin bekannt sind, mit denen sich aber nur die Wenigsten näher befassen möchten. Diese jedoch faszinieren bei näherer Betrachtung umso mehr, haben sie doch im Laufe der Evolution ganz eigene Mechanismen entwickelt, um auf dieser Welt zu überleben.

Die promovierte Biologin Lisa Signorile stellt 37 bemerkenswerte Arten vor, von Insekten über Reptilien und Vögeln bis hin zu Säugetieren, und wartet dabei mit beeindruckenden Erkenntnissen, spannenden Geschichten und unvermuteten Überraschungen auf: Begeben Sie sich geschrumpft in ihr eigenes Bett, wo Sie sich Auge in Auge einer Hausstaubmilbe gegenübersehen. Lernen Sie echte Vampire kennen, gewinnen Sie winzige Beutelratten lieb, die wie Äffchen aussehen, und staunen Sie über Elysia, einem Mischwesen aus Schnecke und Pflanze.

LISA SIGNORILE hat nach ihrem Diplom in Biologie und einer zeitweiligen Laufbahn als Biochemikerin an verschiedenen Orten der Welt gearbeitet, um Lurche umzusiedeln, tropische Mäuse zu zählen oder Wölfe und Eichhörnchen zu beobachten. Zurzeit lebt sie in London, wo sie sich mit Populationsgenetik beschäftigt.

Lisa Signorile

MISSGESCHICKE DER EVOLUTION

Warum Sie diese Tiere trotzdem lieben sollten

Aus dem Italienischen vonFranziska Kristen

Mit Illustrationen vonInka Hagen

Die italienische Originalausgabe erschien 2012 unter dem Titel »L’orologiaio miope. Tutto quello che avreste sempre voluto sapere sugli animali … che nessuno conosce« bei Codice edizioni, Turin.Der btb Verlag weist ausdrücklich darauf hin, dass im Text enthaltene externe Links vom Verlag nur bis zum Zeitpunkt der Buchveröffentlichung eingesehen werden konnten. Auf spätere Veränderungen hat der Verlag keinerlei Einfluss. Eine Haftung des Verlags für externe Links ist stets ausgeschlossen.

1. Auflage

Copyright © 2012 by Codice edizioni, Torino

Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2014 by btb Verlag

in der Verlagsgruppe Random House GmbH, München

Illustrationen und Buchgestaltung: Inka Hagen

Satz: Uhl + Massopust, Aalen

ISBN 978-3-641-12585-1www.btb-verlag.de

INHALT

Die Evolution ist kein Festschmaus: Anpassung an Extrembedingungen

Vampire aus der Hölle

Würstel mit Zähnen: die Nacktmulle

Unbekannt wie die Schleichenlurche

Aus der Trias mit Schrecken

Asselspinnen auf dem Laufsteg

Im Wunderland

Fumarolen und Riesenwürmer, oder:

Das Monster in uns: einige Beispiele für Parasitismus

Die Wahrheit über Alien

Candiru: der Harnröhrenwels zwischen Mythos und Realität

Der beste Freund des Menschen: die Laus

Weder Menschen- noch Pferdehaar: der merkwürdige Fall der Saitenwürmer

Der Schrecken des Frühlings

Der Drache in uns

Flohmarkt

Die Fliege, die Ameisen enthauptet

Evolution der Vampire

Die Schönen und Verdammten: Säugetiere am Rande des Aussterbens

Die Chiloé-Beutelratte sagt … »Nein!« (zum Aussterben)

Der Preis der Freiheit: Drama in drei Akten

Blau wie ein Kaninchennasenbeutler

Vom Desman wird nichts weggeschmissen

Armer schwarzer Kater oder arme gescheckte Kaffeekatze?

Hello Kitty ist nichts im Vergleich zur Riesenohr-Springmaus

Ratte, Igel oder Ungeheuer?

Entdeckt mich, bitte!

Wenn der kurzsichtige Uhrmacher seine Spässe treibt: aussergewöhnliche evolutionäre Anpassungen

Do octopi dream of eight-legged sheep?

Die photosynthetische Schnecke

Feinstes Vogel-Öl: der Fettschwalm

Verde que te quiero verde

Lurch à la Peter Pan (mit einem Einschlag von Gollum)

Ausserirdische Teddys: die Bärtierchen

Glatt wie die Schleimaale

Hihi

Die Giftmischer

Der Pitohui: Die Geschichte der Entdeckung des ersten Giftvogels

Giftige Säugetiere

Der bemerkenswerte Schlitzrüssler

Alle Spinnen sind giftig, aber manche sind giftiger: die Einsiedlerspinne

Die Vipern Italiens

Der Bambi-Effekt und der Katzenkadaver-Effekt

Bibliografie

Dank

Der kurzsichtige Uhrmacher

Mir ist bewusst, dass die Überschrift dieses Kapitels (und des gleichnamigen Blogs) ziemlich rätselhaft klingt. Es scheint mir daher angebracht, zunächst den Zusammenhang zwischen Uhrmacherhandwerk, Zoologie und Sehschwäche zu klären.

Die ganze Geschichte begann vor über zwei Jahrhunderten und hat für alle, die sich eingehend mit der faszinierenden Komplexität der Evolution beschäftigen, nunmehr folkloristischen Charakter – eine Geschichte, die es lohnt, ein weiteres Mal erzählt zu werden.

Man schreibt das Jahr 1802, als der ehrwürdige britische Philosoph William Paley sein Werk Natural Theology veröffentlicht, das man insofern als Meilenstein der Evolution definieren kann, als es exakt deren Gegenteil vertritt. Es genügte allerdings, um eine Debatte auszulösen, zu der Charles Darwin seinen mehr als entscheidenden Beitrag leistete und die trotz allem noch immer nicht gänzlich verstummt ist. Der entscheidende Abschnitt ist eine Metapher von wenigen Zeilen zu Beginn des Buches. Der ehrwürdige Paley behauptet dort:

»Ich ging einst über eine Haide, und stieß meinen Fuß an einen Stein. Da war mir’s, als fragte mich Jemand, wie der Stein hieher komme? Ich weiß nicht anders, als daß er von jeher da gelegen, gab ich zur Antwort, und dachte, es sollte dem Frager nicht leicht werden, mir zu beweisen, daß ich etwas Widersinniges gesagt habe. Setze ich aber den Fall, ich hätte eine Uhr auf dem Boden gefunden, und würde gefragt, wie die Uhr hieher komme, so würde ich mich sehr bedenken, die vorhin gegebene Antwort – ich wisse nicht anders, als daß sie von jeher da gelegen – nochmals zu geben.«

In einem anderen Abschnitt ergänzt Paley,

»[…] daß die Uhr einen Urheber haben müsse, daß zu irgendwelcher Zeit und an irgendwelchem Orte ein oder mehrere Künstler gelebt haben müssen, die sie zu dem Zwecke, dem sie, wie wir sehen, wirklich entspricht, absichtlich verfertigten.«

Die Uhr mit ihren kleinen, komplizierten Mechanismen ist offensichtlich eine Metapher für die »Schöpfung«, also für die komplexe Formen- und Artenvielfalt lebender Organismen. Der Gedanke ist, dass die Uhr in ihrer Komplexität in jedem Fall von jemandem – eben dem vielzitierten Uhrmacher – erschaffen worden sein muss. Damit kommt der Kerngedanke dessen zum Ausdruck, was man heute als Intelligent Design bezeichnet, demzufolge Gott Urheber der uns bekannten Welt ist.

Zu den ersten, die Paleys Argumentation widerlegten, gehörte natürlich Charles Darwin, der Natural Theology am College gelesen hatte und davon tief beeindruckt war. Allerdings nicht tief genug, um nicht die Irrtümer jener Erörterung im Licht seiner eigenen Theorien zur natürlichen Evolution zu erkennen. So entkräftet Darwin in seiner Autobiografie die Paleysche Analogie:

»Obgleich ich vor einer sehr viel späteren Periode meines Lebens nicht viel über die Existenz eines persönlichen Gottes nachdachte, so will ich doch hier die allgemeinsten Schlußfolgerungen mitteilen, zu denen ich getrieben worden bin. Das alte Argument vom Plan in der Natur, wie Paley es vorbrachte, das mir früher so schlüssig erschien, versagt heute, nachdem das Gesetz der natürlichen Auslese entdeckt worden ist. Wir können zum Beispiel nicht länger folgern, daß das wunderschöne ›Scharnier‹ einer Muschel von einem intelligenten Wesen gebildet worden sein muß wie das Scharnier einer Türe vom Menschen. In der Variabilität der organischen Wesen und in der Wirkungsweise der natürlichen Zuchtwahl scheint nicht mehr Zweckmäßigkeit zu liegen als in der Richtung, in die der Wind weht. Alles in der Natur ist das Ergebnis feststehender Gesetze.«

Die Evolution ist also lediglich das Ergebnis chemischer und physikalischer Gesetze und folgt keinem Plan oder besonderem Ziel. Es gibt keinen Uhrmacher, der die Zahnrädchen entwirft. Die komplexen Räderwerke der »Uhr« sind das Werk der natürlichen Selektion, also jenes Mechanismus, der von Mal zu Mal die der jeweiligen Umwelt am besten angepassten zufälligen Mutationen auswählt.

Richard Dawkins hat das Beispiel des Uhrmachers in seinem Buch Der blinde Uhrmacher wieder aufgegriffen und in brillanter Weise zur Diskussion gestellt. Er schreibt dort:

»Die Analogie zwischen […] Uhr und Lebewesen ist falsch. Allen Anzeichen zum Trotz: Der einzige Uhrmacher in der Natur sind die blinden Kräfte der Physik, wenn sie sich auch auf ihre besondere Weise entfalten. Ein echter Uhrmacher plant: Er entwirft seine Rädchen und Federn, ebenso ihren Zusammenhang, und zielt dabei auf einen künftigen Zweck. Die natürliche Zuchtwahl, der blinde, unbewußte, automatische Vorgang, den Darwin entdeckte und von dem wir heute wissen, daß er die Erklärung für die Existenz und scheinbar zweckmäßige Gestalt alles Lebens ist, zielt auf keinen Zweck. Sie hat keine Augen und blickt nicht in die Zukunft. Sie plant nicht voraus. Sie hat kein Vorstellungsvermögen, keine Voraussicht, sieht überhaupt nicht. Wenn man behauptet, daß sie die Rolle des Uhrmachers in der Natur spielt, dann die eines blinden Uhrmachers.«

Ich will das Bild von Dawkins in diesem Zusammenhang ein wenig entschärfen: Die Evolution, die weder vorausplant noch ein Ziel hat, erinnert mich weniger an den Propheten Teiresias als vielmehr an Mister Magoo, eine alte, sehr kurzsichtige Zeichentrickfigur, die dauernd ihre Brille verliert. Es liegt eine Spannung in der Blindheit, und andere Sinne werden impliziert, die dem Uhrmacher die Richtung weisen können. Wenn ich die Kontaktlinsen verloren habe, stoße ich mich an allen Ecken und Kanten und ziehe mir überall blaue Flecken zu, bis ich den Heimweg gefunden habe.

Um beim Thema Kurzsichtigkeit zu bleiben: Ich habe mich mit der Evolution nicht durch eine Betrachtung derselben als Ganzes auseinandergesetzt, sondern mich hier darauf beschränkt, einige ihrer Protagonisten aus der Nähe zu betrachten.

Die Evolution ist kein Festschmaus: Anpassung an Extrembedingungen

Die Arten verändern sich ständig. Die hier und jetzt besonders überlebensfähigen Tiere sind jene, mit denen wir am vertrautesten sind. Aber was ist mit den anderen, den weniger angepassten? Sie haben nur zwei Möglichkeiten: Entweder sie sterben aus, oder sie entwickeln sich weiter, indem sie eine alternative Nische zum Leben finden. Die Veränderung kann einfach in einer anderen Ernährungsweise bestehen oder in einem veränderten Lebensrhythmus oder in der Wahl weniger begehrter, da ressourcenärmerer Lebensräume. Als Gegenhypothese ließe sich auch behaupten, dass die Tiere, die in einem extremen, ressourcenarmen Umfeld leben, in Wahrheit besonders begünstigt und die Tiere im Amazonas-Urwald eigentlich an einem unwirtlichen Ort beheimatet sind, da dort der Wettbewerb derart groß ist, dass sie sich entweder spezialisieren oder untergehen müssen. In jedem Fall sei betont, dass die Lebewesen unter dem Druck der Evolution einfach großartig darin sind, alle zur Verfügung stehenden Ressourcen zu nutzen und alle möglichen ökologischen Nischen zu erobern. Wenn schließlich alle möglichen Nischen eines bestimmten Lebensraums erobert sind, neigen sie dazu, auch die unmöglichen zu erobern – und genau darum wird es in diesem Kapitel gehen. Sich eine unmögliche Nische zum Leben zu schaffen ist kein unmögliches Unterfangen, auch wenn das wie ein Widerspruch klingt. Wie jeder gute Handwerker weiß, sind für das Gelingen einer komplexen Arbeit zwei fundamentale Elemente nötig: Zeit und passendes Werkzeug.

Eine halbe Milliarde Jahre hat sich in vielen Fällen als ausreichend lang erwiesen, um die notwendigen Anpassungen (Adaptationen) für ein Überleben an unwirtlichen Orten wie den Tiefen der Sandwüste, den Steilhängen von Unterwasservulkanen oder den kalten Wassern der Ozeane zu entwickeln, dort, wo weder Sonnenlicht noch Frischluft vordringen. Aber letztendlich auch, um das Festland zu erobern, das uns selbstverständlich erscheint, für die ersten Fische, die aus dem Wasser auftauchten, jedoch mit Sicherheit einen extremen Lebensraum darstellte: Was wir als »extrem« definieren, ist im Grunde bloß eine Frage des Standpunktes.

Die Anpassung an extreme Lebensräume geht oft mit tiefgreifenden Veränderungen der Körperstruktur und Physiologie einher. In vielen Fällen kommt es zu merkwürdigen Entwicklungen, wie etwa der Verlagerung des Magens in die Beine oder der zunehmenden Schmerzunempfindlichkeit. Für die Lebewesen steht zu viel auf dem Spiel, um dabei nicht mitzumachen: Immerhin geht es ums Überleben, und zwar in einem Winkel der Welt, in den kein Räuber vorzudringen vermag und der daher letztlich der angenehmste Ort ist. Das Ergebnis dieser Anpassungen ist in unseren Augen jedoch oft ziemlich beunruhigend. Es ist nicht Angst oder Schaudern, wie wir sie angesichts eines Wurmparasiten empfinden, oder morbide Faszination wie beim Anblick einer Spinne, die einen ins Netz gegangenen Schmetterling verspeist, sondern eher ein unbestimmtes Gefühl der Neugierde und des Interesses, gepaart mit einem gewissen Argwohn, wenn wir etwa an Nacktmulle oder an die Fauna Schwarzer Raucher denken.

Ich glaube, dass wir Tiere aus extremen Lebensräumen oft deshalb beunruhigend finden, weil es uns nicht gelingt, sie an dem einzigen uns bekannten Maßstab zu messen: an uns selbst. Bisweilen ist es der Anblick, der uns abschreckt, bisweilen sind es die Verhaltensweisen oder die Ernährung. Aber es bleibt die anthropozentrische Sicht, derzufolge wir umso beeindruckter von etwas sind, und zwar meist in einem negativen Sinne, je stärker es von unseren ästhetischen Standards und Gewohnheiten abweicht. Uns bleibt vor Staunen der Mund offen – zumindest meiner Wenigkeit –, wenn wir erfahren, dass etwas derart Anomales denselben Planeten mit uns teilt … und wir keine Ahnung davon hatten. Es ist etwa so, als würde man entdecken, dass im eigenen Wohnzimmer Elfen leben. Allerdings besteht keine Notwendigkeit, auf die Fantasie zurückzugreifen, denn diese unvorstellbaren Kreaturen existieren wirklich.

Vampire aus der Hölle

Vampyroteuthis infernalis

Es herrscht Dunkelheit in der sogenannten Dämmerzone der Ozeane, zwischen 500 und 1000 Metern Tiefe. Das Sonnenlicht dringt nicht so weit vor. Nie. Die gleichbleibende Temperatur entspricht der einer Krypta. Sie liegt zwischen 2 und 6 °C und verändert sich nicht einmal im Sommer. Es fehlt die Luft in diesem Unterseegrab: Der Sauerstoffgehalt ist derart gering (rund 3 % gegenüber den 21 % der Erdatmosphäre), dass hier kaum ein Tier normal atmen kann. Deshalb wird die Dämmerzone auch Oxygen Minimum Zone (OMZ) genannt. Sie ist eine leblose, finstere und kalte Wüste, der sich die Lebewesen in allen Weltmeeren fernhalten.

Und dennoch streift durch diese Abgründe seit Hunderten von Millionen Jahren ein schwarzes Gespenst. Ein auf wunderbare Weise an diesen unwirtlichen Ort angepasstes Geschöpf, das einfach erstaunlich, ja geradezu außerirdisch erscheint.

Der Vampyroteuthis infernalis ist der letzte Vertreter der Vampyromorpha (oder Vampirtintenfischähnlichen), aber das war nicht immer so. Die Vorfahren dieser zarten Wesen entwickelten sich in der Trias aus den Nautiliden, und im Jura, als die Dinosaurier über die Erde herrschten, bevölkerten die Vampyromorpha in vielfältiger Form die Meere. Doch unter dem Druck immer schnellerer und wettbewerbsfähigerer Arten starben sie schließlich einer nach dem anderen aus. Der einzige Überlebende, der Vampirtintenfisch, hat bis in unsere Zeit überdauert, weil es ihm gelungen ist, »in die Hölle« zu gehen, also in jene unmöglichen Gewässer der OMZ, und sich dort anzupassen.

Der Name dieses Tintenfisches ist allerdings irreführend, denn mit einem Vampir hat er nichts gemeinsam. Er saugt niemandem das Blut aus (schon deshalb nicht, weil es, selbst wenn er es wollte, niemanden gibt, dem er es aussaugen könnte). Vielmehr ernährt er sich von Ruderfußkrebsen, Garnelen und Nesseltieren, von kleinen Tieren also, die es zumindest für kurze Zeit schaffen, den Sauerstoffmangel zu kompensieren. Der Vampirtintenfisch ist ein Zwischenglied zwischen Kalamaren und Kraken, von beiden hat er einige Merkmale. Das heißt jedoch nicht, dass eine direkte Abstammungslinie besteht. Die Evolution ist, wie man weiß, unberechenbar, und es gibt zu wenige Fossilien dieser weichen, gallertartigen Geschöpfe, als dass über ihre Entwicklungsgeschichte Gewissheit herrschen könnte.

Vom Kraken hat er seine allgemeine Gestalt, die Flossen auf dem Kopf (die für eine primitivere Krakenform, die sogenannten Cirrata, typisch sind), acht mit Membranen verbundene Tentakeln und das einzelgängerische Gebaren. Vom Kalamar hat er zwei weitere, längere Tentakeln, die allerdings einziehbar und für anderes bestimmt sind, den inneren Knorpel, ein Überbleibsel der Gehäuse der Nautiliden, sowie die fehlende Mantelhöhle.

Und dann sind da natürlich noch die Adaptationen an die Hölle. Die wichtigste betrifft das Überleben unter Sauerstoffmangel: Die beiden Kiemen sind im Verhältnis zur Körpergröße riesig, und das Blut wird durch drei Herzen dorthin gepumpt. Wie alle Tintenfische (oder Coleoidea), so hat auch der Vampirtintenfisch blaues Blut, das Hämocyanin enthält – einen dem Hämoglobin entsprechenden Stoff mit Kupfer an Stelle von Eisen. Das Hämocyanin des Vampyroteuthis ist allerdings in besonderer Weise verändert, so dass es in der Lage ist, das bisschen vorhandenen Sauerstoff zu binden und nach und nach dem Gewebe zuzuführen. Ohne diese Besonderheit könnte auch der Vampirtintenfisch nicht in der Dämmerzone überleben. Allerdings ist er auf diese Weise für ein Leben an irgendeinem anderen Ort der Welt ungeeignet: Im Aquarium beispielsweisesterben Vampyroteuthis nach einem mehrmonatigen Todeskampf.

Mag das Hämocyanin des Vampirtintenfisches auch ganz besonders sein, waren doch weitere Anpassungen nötig. So hat sich beispielsweise der Stoffwechsel auf ein unglaubliches Maß reduziert. Es ist der niedrigste Stoffwechsel für ein Tier dieser Größe. Beim Schwimmen bedient er sich nicht, wie alle anderen Kopffüßer, des Rückstoßantriebes durch Herauspressen des Wassers durch einen Trichter, sondern benutzt die seitlichen Kopfflossen und scheint dabei sanft durch sein schwarzes Meer zu schweben. Die Bewegungen werden dadurch langsamer, der Energieverbrauch verringert sich. Der Körper ist gallertartig, von der Konsistenz einer Qualle, und reich an Ammonium1, das ihm dieselbe Dichte wie Wasser verleiht, so dass das Treibenlassen keinerlei Anstrengung erfordert. Nur ganz junge Vampirtintenfische benutzen den Rückstoßantrieb zur Fortbewegung: Es ist ja bekannt, dass die Jugend voller Energie steckt.

Fühlt er sich bedroht, greift der Vampirtintenfisch auf energiesparende Verteidigungssysteme zurück. Er stülpt sich um wie ein Handschuh und kehrt die mit stachelartigen Zirren übersäte Mantelinnenseite nach außen. In dieser sogenannten Kürbishaltung sieht er fast aus wie ein Igel. Wahlweise »entzündet« er auch seine großen biolumineszenten Leuchtorgane, die sogenannten Photophoren, die sich am Flossenansatz befinden. Die leuchtenden Photophoren sehen aus wie Augen, und Räuber mögen es nicht, beobachtet zu werden. Dann lässt er sie nach und nach erlöschen und erzeugt so den Eindruck, als würde er sich entfernen. Alternativ dazu bedient er sich eines Systems, das den Gegenlichteffekt ausnutzt: Indem er die auf der Körperoberfläche verteilten Photophoren zum Leuchten bringt, insbesondere jene an den Tentakelenden, lässt er seine Umrisse »erstrahlen«, die in den Augen eines an die Dunkelheit gewöhnten Räubers somit undeutlich und verschwommen erscheinen.

Die Lichtproduktion basiert auf zwei Mechanismen, dem des Luciferins, das auch die Glühwürmchen verwenden, und dem des Coelenterazins, das für die Kopffüßer der Tiefsee typisch ist. Beide Systeme verbrauchen Energie, haben also einen ziemlichen Bedarf an Sauerstoff, um zu funktionieren. Plan B sieht entsprechend vor, dass der Vampirtintenfisch statt Tinte einen Schleim aus biolumineszenten Partikeln verspritzt, die an Ort und Stelle bleiben, um den Räuber zu blenden, während sich der Vampir langsam entfernt und in der Dunkelheit verliert. Allerdings in Maßen, denn auch die Erneuerung der biolumineszenten Partikeln kostet. Der Vampirtintenfisch hat teilweise die Fähigkeit bewahrt, die Farbe zu verändern, wie es für andere Kopffüßer typisch ist, etwa für Sepien, die diese Technik zur Tarnung verwenden. Doch bis in diese Tiefen dringt kein Licht vor, und eine Veränderung der Farbe ist keine große Hilfe, um sich zu verstecken. Der Vampyroteuthis hat verglichen mit den anderen Kopffüßern tatsächlich weniger Chromatophoren, hauptsächlich rote und schwarze, und ihm fehlen die Ringmuskeln, die einen raschen Farbwechsel ermöglichen. Seinem Namen entsprechend variiert die Farbe des Vampirtintenfisches zwischen Dunkelrot und Schwarz.

Dieses Tier hat seinerseits kein großes Bedürfnis nach Licht: Seine Augen sind riesig, im Verhältnis zum Körper sind es die größten der gesamten Tierwelt. Wenn es nach oben schaut, erscheint ihm die Welt wie ein gestirnter Himmel aus vagen, durchschimmernden, möglicherweise essbaren Formen. Darüber hinaus verfügt es über Reihen kleiner zusammengesetzter Organe, die das Licht wahrnehmen und es ihm ermöglichen, auch nach hinten wachsam zu sein. Für die Jagd greift es vermutlich nicht auf den Gesichtssinn zurück, sondern spürt die Beute mit den beiden langen einziehbaren Tentakeln auf, den sogenannten Filamenten, bei denen es sich um Tastorgane handelt. Als guter Vampir umschließt es die Beute mit dem um die Tentakeln gespannten Mantel und schnappt sie mit dem spitzen, schnabelähnlichen Kiefer.

Über die Fortpflanzung der Vampirtintenfische weiß man sehr wenig. Aus einer Untersuchung der Drüsen, die mit den Geschlechtsorganen in Verbindung gebracht werden, hat man den Schluss gezogen, dass die Eier sehr klein sind, und da sich die Jungtiere in ziemlicher Tiefe aufhalten, müssen jene in den tiefen Meeresschichten abgelegt werden. Viel mehr ist nicht bekannt, und niemand hat die Tiere jemals bei der Fortpflanzung beobachtet.

Die frisch geborenen Vampirtintenfischchen bewegen sich, wie bereits erwähnt, durch Rückstoßantrieb fort, aber sie haben auch ein Paar Flossen auf dem Kopf. Wenn sie älter werden, bildet sich ein zweites Flossenpaar, weshalb die Vampirchen in einem bestimmten Entwicklungsstadium wie Schmetterlinge mit vier »Flügeln« zu »fliegen« scheinen. Das erste Flossenpaar bildet sich allmählich zurück, und am Ende bleibt nur noch das zweite Paar übrig, das jedoch nach hinten wandert und seine Form leicht verändert. All diese Veränderungen der Flossen haben zunächst den Gedanken nahegelegt, es handle sich um drei verschiedene Arten des Vampyroteuthis. Es ist nicht leicht, eine Art zu untersuchen, die in derartiger Tiefe lebt und praktisch unsichtbar ist, ein schwarzes Wesen in einem schwarzen Meer. Alles, was wir über die Verhaltensweisen dieser Art wissen, verdanken wir den seltenen und zufälligen Begegnungen mit unbemannten Tauchrobotern (Remotely Operated Vehicles) während der Erkundung von Kontinentalhängen und Tiefseebecken.

Die Geheimnisse der Vampire aus der Hölle bleiben daher vorläufig in Dunkel gehüllt.

1 Was jeden Zweifel aus dem Weg räumt, falls Sie sich gefragt haben, ob er zum Verzehr geeignet sei: Nein, er schmeckt nach Katzenpipi.

Würstel mit Zähnen: die Nacktmulle

Heterocephalus glaber

Denkt man an diese Nagetiere, fallen einem sofort zwei Merkmale ein:

1. Sie sind unglaublich hässlich.

2. Es sind die einzigen Säugetiere, die, wie die Bienen, über eusoziale Strukturen verfügen.

Beide Behauptungen sind meiner Ansicht nach zu oberflächlich. Tatsächlich ist die Eusozialität der Nacktmulle lediglich die Spitze des Eisberges einer wunderbaren Reihe notwendiger Anpassungen an ein unwirtliches, ressourcenarmes Habitat wie die Halbwüste auf dem Horn von Afrika; Anpassungen, die, warum auch immer, zu Gunsten der oben genannten Eigenschaften unter den Tisch fallen, in meinen Augen aber weitaus überraschender und bemerkenswerter sind als diese.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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