Mission Erfolg - Dirk Bauermann - E-Book

Mission Erfolg E-Book

Dirk Bauermann

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Beschreibung

Er machte Bayer Leverkusen zum Serienmeister, schrieb mit Bamberg Erfolgsgeschichte und leitet derzeit beim FC Bayern München das wohl spektakulärste Basketball-Projekt Europas. Nach 22 Jahren im Trainer-Geschäft bezeichnet sich Dirk Bauermann selbst als ein 'mit Narben übersätes Schlachtross', das aber des Kämpfens nicht müde geworden ist. Selbst Morddrohungen konnten ihn nicht aufhalten. Was Dirk Bauermann im Innersten antreibt, nach welchen Maximen er handelt, wie er mit Erfolg und Niederlagen umgeht, wie man ein Team mit Herz und Verstand motiviert und es zu einer Einheit zusammenschweißt - all das verrät er in diesem persönlichen Buch.

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Seitenzahl: 289

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Dirk Bauermann

Mission Erfolg

Meine Vision, mein Plan, mein Weg

Unter Mitarbeit von Kai Psotta

HERBiG

Bildnachweis

Alle Abbildungen sind aus dem Archiv des Autors, außer: Bild 1 und 3: © D. Brosda

Besuchen Sie uns im Internet unter

www.herbig-verlag.de

Inhalt

Vorwort

von Uli Hoeneß

Ich bin ein mit Narben übersätes Schlachtross

Wie ich Entscheidungen treffe

AUSZEIT »Ein bisschen Sternekoch, ein bisschen Architekt und ein bisschen wie Steve Jobs«

von Bernd Rauch

Manchmal müssen sie dich fürchten

Warum Machtkämpfe nötig sind

AUSZEIT»Er hat die gleiche Schwäche wie Barack Obama.«

Ein Interview mit Ron Adams

Fuck you

Wie man mit Rückschlägen und Niederlagen umgeht

AUSZEIT»So tickt mein Vater wirklich.«

von Kim Bauermann

Für dieses Spiel würde ich ein Ei opfern

Mit welcher Einstellung man einen Job annehmen muss

AUSZEIT»Das Anti-Feierbiest«

Ein Interview mit Otto Reintjes

Teufel im Geschwindigkeitswahn

Wie man ein Team richtig motiviert

AUSZEIT»Nach Dirks Ansprachen hätte ich durch eine Wand rennen können.«

Ein Interview mit Dirk Nowitzki

Jeder hat eine dunkle Seite

Warum man an seinen Fehlern arbeiten muss

Bad Boys

Wieso eine Mannschaft ihren eigenen Stempel braucht

AUSZEIT»Piep, piep, piep«

von Wolfgang Heyder

Eine Fleischwunde und der Traum von Picasso

Weshalb Erfolg keine Frage des Alters ist

AUSZEIT»Öffmann, der Kassettenrekorder-Zerstörer«

von Ralf Bauermann

Mein dritter Picasso

Warum Bayern wie Kati Witt funktionieren muss

Dank

Vorwort

von Uli Hoeneß

Ich bin seit jeher ein großer Fan des Basketballs, habe auf dem Gymnasium in Ulm selbst in der Schulmannschaft gespielt und war anfangs in München immer bei den Spielen des USC, als Holger Geschwindner dort noch selbst aktiv war. Doch dann ist Basketball irgendwann leider völlig vom Fußball verdrängt worden – bis mich unser Vize-Präsident Bernd Rauch in den vergangenen Jahren immer wieder davon überzeugen wollte, dass der Profi-Basketball auch beim FC Bayern eine Chance verdiene, und es die einzige Sportart sei, die in München neben dem Fußball bestehen könne.

So haben wir im Frühjahr 2010 die Mitglieder des FC Bayern befragt und eine so unglaublich positive Resonanz erhalten, dass für mich – trotz ein wenig Skepsis – feststand, den Versuch zu wagen, Basketball in München dauerhaft zu etablieren – allerdings unter einer ganz klaren Bedingung: Wir müssen dafür Dirk Bauermann als Trainer und »Projektleiter« gewinnen, den erfolgreichsten und bekanntesten Trainer Deutschlands.

Ich kannte Dirk Bauermann nicht persönlich, bevor wir uns zu einem ersten Gespräch in München trafen, um ihm die zweite Liga schmackhaft zu machen. Doch schon nach wenigen Minuten spürte ich, dass da ein Mann saß, der sich total mit einer Sache identifizieren kann, wenn er davon überzeugt ist. Er ist ein Typ, der die Ärmel hochkrempelt, und keiner, der soziale Absicherung bis ans Ende aller Zeiten verlangt. Das hat mir von Anfang an an ihm gefallen, und in dieser Philosophie sind wir uns sehr ähnlich. Deshalb war mir klar, dass unser ehrgeiziges Projekt bestens bei ihm aufgehoben ist.

Mittlerweile arbeitet Bauermann seit eineinhalb Jahren sehr erfolgreich beim FC Bayern, auch deswegen, weil er mittlerweile weiß, was diesen Verein und sein Motto »Mia san mia« so besonders macht. Ob Fußball oder Basketball – der Klub polarisiert, und so soll es auch sein. Wir haben ein gutes Verhältnis, telefonieren regelmäßig und treffen uns etwa alle vier Wochen in meinem Büro an der Säbener Straße und ohnehin bei den Heimspielen in unserer neuen Heimat Audi-Dome.

Ich bin im Großen und Ganzen zufrieden mit der Entwicklung, vor allem, weil die Fans diesen tollen Sport tatsächlich annehmen, und wir mit knapp 5800 Zuschauern pro Heimspiel hinter Berlin und Bamberg drittstärkste Kraft der BBL sind. Doch für mich war von Anfang an ebenso klar: Wenn der FC Bayern etwas anpackt, dann richtig. Und dies bedeutet, in den kommenden Jahren um die Deutsche Meisterschaft mitzuspielen – natürlich mit Dirk Bauermann als unserem Trainer.

Ich bin ein mit Narben übersätes Schlachtross

Wie ich Entscheidungen treffe

Da saß ich also im Büro von Uli Hoeneß, halb Intimkenner des Basketballs in Deutschland, halb Lockvogel, der Begeisterung wecken sollte. Doch der Lockvogel tat sich schwer, Uli Hoeneß wollte nicht. Der Manager des FC Bayern, den ich bis dahin nur aus dem Fernsehen kannte, saß mit verschränkten Armen da und fragte mich nach den Etats von Alba Berlin und Bamberg, wie Play-offs funktionierten. Er war gut vorbereitet, sehr interessiert und stellte viele Fragen. Eine Viertelstunde stand ich Hoeneß Rede und Antwort. In diesem Büro, das so anders war, als ich es von einem Topmanager erwartet hätte. Helles Holz, Korbmöbel, eine rustikale Schrankwand – es erinnerte mich eher an ein Wohnzimmer im Landhausstil, keine Spur von kühler Arbeitswelt. Kein Schnickschnack, kein Chrom, kein Protz, einfach gemütlich, bodenständig. Das Ambiente hatte mir bei dieser unserer ersten persönlichen Begegnung im Januar 2010 geholfen, den Menschen Uli Hoeneß besser einzuordnen. Ich selbst besuche übrigens oft meine Spieler zu Hause. Nicht nur, weil sie sich in ihrem Revier, in ihrem Wohnzimmer, viel mehr öffnen als in fremden, sterilen Hotelzimmern. Man lernt auch viel über die Menschen. Eine Wohnung verrät so viel über den Charakter. So wurde ich auch aus Hoeneß schlauer. 15 Minuten beschnuppern also – und die Hoffnung, dass der Funke wie bei zwei Feuersteinen, die man aufeinanderschlägt, überspringt.

Ein Monat war vergangen, seit die Bayern mich im Dezember 2009 erstmals kontaktiert hatten. Peter Kemmer, der damalige Abteilungsleiter der Basketballer, hatte wissen wollen, ob ich eine Einschätzung geben könne, ob Basketball in München richtig funktionieren kann. Ob ich bereit sei, meine Erfahrung mit dem FC Bayern zu teilen. Natürlich hatte ich damals zugesagt. Denn wenn der FC Bayern etwas für den deutschen Basketball tun wollte, musste ich als Bundestrainer helfen, das Baby zum Laufen zu bringen. Einer so starken Marke muss man einfach unter die Arme greifen. Der FC Bayern ist die Fußballmarke schlechthin in Deutschland. Seit 1965 spielt der Verein ununterbrochen in der Bundesliga. Mit 21 Titeln ist er Rekordmeister. Und auch auf Europas Bühne ist Bayern eine feste Größe. Stark, mächtig, erfolgreich. Und was haben die Bayern im Basketball vorzuweisen? Zweimal waren sie in den 1950er-Jahren Basketballmeister gewesen. Doch seit dem Abstieg der SG München 1977 spielten sie nahezu unter Ausschluss der Öffentlichkeit im Niemandsland. 69 000 Zuschauer kamen zu den Heimspielen der Fußballer, 600 im Schnitt zu den Basketballern. Bayerns Basketball war streng genommen nicht existent. Und nun dachten die Bosse vage nach, das zu ändern. Stundenlang hatte ich mit den Funktionären des FC Bayern Bernd Rauch, Thomas Oehler und Peter Kemmer über Basketball in München diskutiert. Sie hatten auch die Idee gehabt, mich anschließend mit Uli Hoeneß beim Mittagessen zusammenzubringen. Doch die erhoffte Umarmung von ihm war zunächst ausgeblieben. Hoeneß hatte kurzfristig absagen müssen. Termine im Fußball – die haben natürlich Priorität.

Es war mir schwergefallen, dieses erste, verkorkste Treffen richtig einzuordnen. Hoeneß hatte keineswegs sofort angebissen. Im Gegenteil. Er hatte sich beim angedachten Mittagessen entschuldigen lassen. Ich hatte seine Skepsis für diese für ihn neue Welt gespürt. Aber ich wusste auch, dass er keine Ablehnung gegen mich pflegte, und dachte: »Der Typ ist so brillant, so stark, so menschlich, dass mit ihm große Dinge möglich sind. Wenn es Bayern gelingt, Hoeneß zu begeistern, kann man hier eine Lawine auslösen.« Doch ehrlich gesagt, glaubte ich zunächst nicht daran. So richtig wusste ich nicht einmal, wie ernst es den Bayern selbst überhaupt war. Sie hatten mich eingeladen, wollten den Rat des Bundestrainers. Aber der ganz große Bahnhof war es irgendwie nicht. Ich glaube, mit Absicht. Sie wollten überzeugen und nicht mit der Weltmarke FC Bayern blenden. Versprechungen gab es also keine und ein großer Metallkoffer war auch nirgends zu sehen. Weißwürste mit süßem Senf an der Säbener Straße statt Filetsteak bei Käfer. Aber sie wirkten sympathisch und voller Tatendrang – der sachliche, unprätentiöse Peter Kemmer, der akribische, bestens vorbereitete Thomas Oehler und vor allem Bernd Rauch mit seiner großen emotionalen Kraft. Schnell war mir aber auch klar, dass trotz des unbegrenzten Potenzials der Weg an die Spitze im deutschen Basketball brutal schwierig und voller Hindernisse, Gefahren und Widerstände sein würde. Ich fuhr gespalten nach Hause: Mich hatte die Begeisterung gepackt, aber zugleich trieben mich auch Zweifel um.

Offenbar hatte mein kurzes persönliches Gespräch mit Uli Hoeneß im Januar 2010 Spuren hinterlassen, denn im Februar trafen wir uns ein weiteres Mal. Diesmal saßen wir, Uli Hoeneß, Bernd Rauch und Fritz Scherer, ein Mitglied aus dem Aufsichtsrat, zurückgezogen im Bogenhauser Hof. Und Hoeneß sprach: »Ich bin nach wie vor skeptisch. Ich kann das alles noch viel zu wenig einschätzen. Ich will gnadenlose Offenheit, gnadenlose Ehrlichkeit bei allem, was wir jetzt und hier besprechen. Und ich will wissen, ob Sie, Herr Bauermann, bereit wären, Verantwortung bei diesem Projekt zu tragen?« Ich sollte also mehr sein als bloß ein Berater. Nicht nur Ideengeber. Sondern Konstrukteur. Gestalter.

Wir diskutierten, wie man Bayern in die Basketballbundesliga bringen könne. Die Idee, sich mit einer Wildcard in die Erstklassigkeit einzukaufen, wurde schnell ausgeschlossen. Alle waren für den Weg der Glaubwürdigkeit, auch wenn er die Ochsentour durch die zweite Liga bedeutete. Wir sprachen über sportliche Wettbewerbsfähigkeit und Nachhaltigkeit. An diesem Abend spürte ich, wie Hoeneß endlich Gefallen an dem Projekt fand. Plötzlich schien er wirklich interessiert zu sein. Er wollte mehr. Und auch ich wurde etwas zuversichtlicher.

So ein Projekt braucht große Männer. Visionäre. Ein Projekt mit solch einer Tragweite hängt nicht nur von wirtschaftlicher Macht ab, nicht nur von der kühlen Kraft eines Analytikers. Es bedarf vor allem Herzblut und Wärme von Machern wie Uli Hoeneß und Bernd Rauch, die mit unbändigem Willen marschieren und mit schier grenzenloser, gestalterischer Kraft anpacken.

Otto Reintjes ist auch so ein Kerl. Ein völlig verrückter Kerl. 1989 hatte er mich zum Cheftrainer bei Bayer Leverkusen gemacht. Als wir 1990 die erste Meisterschaft geholt hatten, hatte er sich bei unserer Feier nachts um zwei Uhr zu mir gesetzt und gesagt: »Dirk, jetzt müssen wir nach Europa.« Hätte er diese Vision nicht gehabt, hätten wir Leverkusen nie zu dem Serienmeister gemacht, der er von 1990 bis 1997 wurde. Noch in der gleichen Nacht hatten wir, völlig angefixt von der Idee, uns mit dem Sportbeauftragten von Bayer getroffen und ihm unsere Vision erzählt. Bei Bamberg, wo ich später von 2001 bis 2008 Trainer gewesen war, war Wolfgang Heyder mein Mitstreiter, der groß dachte und groß handelte. Genau solche Typen brauchst du an deiner Seite. Wenn du alleine kämpfst, scheiterst du. Du musst mit vereinten Kräften gegen jegliche Blockade ankämpfen, sonst bist du nachhaltig nicht erfolgreich. Interessanterweise wurden sowohl Otto Reintjes als auch Wolfgang Heyder von den Medien jeweils als »Uli Hoeneß des Basketballs« bezeichnet. Das sind sie beide sicher auch auf ihre unterschiedliche Art und Weise. Mit diesem Vergleich wird man Uli Hoeneß aber nicht gerecht. Heyder ist derzeit der erfolgreichste Manager im deutschen Basketball, doch die Titelsammlung von Uli Hoeneß ist um ein Vielfaches größer. Auch Otto Reintjes hat eine Ära geprägt. Er war ohne Zweifel lange Zeit sehr erfolgreich. Aber Otto haben irgendwann ein wenig die gestalterischen Kräfte verlassen. Was alle drei jedoch eint, ist das Engagement, ihr Fleiß und ihre Wärme, mit der sie an Aufgaben herangehen. Jeder von ihnen ist ein perfekter Mitstreiter, wenn es um das Erreichen von Visionen geht.

Bayern wollte mich also. Aber wollte ich auch wirklich? Ich war Bundestrainer mit großer Freude und Genugtuung, hatte meinen Traumjob. Meine Reputation war groß. Neun nationale Meistertitel, vier Pokalsiege, viermal als Trainer des Jahres ausgezeichnet. Was sollte ich in der zweiten Liga? Darauf hatte ich ehrlich gesagt überhaupt keine Lust. Nach allem, was ich in meiner bisherigen Karriere erlebt hatte, erschien sie so schmackhaft wie ein vertrocknetes, hartes Brötchen vom Vortag. Es lag vor mir auf dem Teller, aber ich wollte nicht reinbeißen. Wegschieben konnte ich es allerdings auch nicht. Ich war hin- und hergerissen zwischen der Sorge, einen irreparablen Kollateralschaden zu erleiden, und der Lust, dieses wahnsinnige Projekt mit Hoeneß, Rauch und Co. anzupacken.

Ein Freund von mir sagte einmal: »Wenn man einen Job annimmt, muss man schon anfangen, die nächsten beiden vorzubereiten. Eine Runde Golf hier, ein Abendessen da, Hauptsache Networking und Vorarbeit leisten.« So ticke ich aber überhaupt nicht. So einen Ansatz habe ich nie verfolgt. Mein einziger Ansatz bei jeder Jobentscheidung war immer: Ich muss große Lust darauf haben. Die Aufgabe muss mich faszinieren. Ob der Schritt dann logisch ist oder nicht, interessiert mich weniger. Sonst hätte ich mich letztlich niemals für den FC Bayern entscheiden können oder früher auch nie die beiden Angebote aus Griechenland wahrnehmen dürfen.

Ich orientiere mich nicht an Wahrscheinlichkeiten, scheitern zu können. Man muss mutig sein und Risiken eingehen. Mein Mentor Ed Gregory hatte immer zwei Leitsprüche: »Sei immer du selbst« und »Wer wagt, gewinnt«. Daran habe ich mich immer orientiert, sonst wäre ich wahrscheinlich niemals Basketballtrainer geworden. Otto Reintjes, der den Mut gefunden hatte, mich in jungen Jahren als Trainer einzustellen, hatte mir nach meinem Studium von dem Beruf abgeraten. »Überleg’ dir das sehr genau«, hatte er gesagt, als ich ihn um Rat fragte, ob ich mein Referendariat als Lehrer oder meine Ausbildung zum Trainer machen sollte. »Das ist ein schwieriges Geschäft. Du bist ein talentierter Trainer, aber eigentlich haben Deutsche in dieser Branche kaum eine Chance. Du warst kein Nationalspieler, du hast keine Lobby. Mensch, Junge, mach das nicht! Werde Lehrer und mach etwas Sicheres. Lass das mit dem Trainer.« Ich habe es trotzdem gemacht, weil mein Instinkt mir dazu geraten hat.

Ich treffe ohnehin meine Entscheidungen meist alleine. Egal, wie nahe dir die Menschen stehen, die dir Ratschläge erteilen, ihre Meinung ist eben auch immer nur Produkt ihrer Erfahrungen, Haltungen und Einstellungen. Ich versuche, mir selbst zu trauen und meinem Instinkt zu folgen. Am Ende kann ich im Falle des Scheiterns dann auch nur bei einem die Schuld suchen: mir selbst. Es wäre sicher klüger, vertrauten Menschen mehr zuzuhören, sie zu fragen. Das nicht zu tun, sondern im stillen Kämmerlein zu entscheiden, ist zweifellos eine Schwäche. Alles in allem kann ich mich aber auf meinen Instinkt sehr gut verlassen, und wie es scheint, trifft dies auch bei meiner Pro-Bayern-Entscheidung zu.

Nur die wenigsten haben mir geraten, beim FC Bayern Verantwortung zu übernehmen. Ron Adams, der Assistenztrainer bei den Chicago Bulls, hat mir sogar am Telefon gesagt: »Nimm den Job nicht. Du bist verrückt. Du bist Bundestrainer. Dein Name ist gut. Du bist nicht angreifbar. Du hast die Nationalmannschaft nach 16 Jahren wieder zu Olympia geführt. Du wirst respektiert und anerkannt. Du wirst gemocht. Bayern ist Harakiri. Warte, bis was kommt, wo du nichts falsch machen kannst. So kannst du alles verlieren.« Ron meinte, ich solle warten, bis ein Trainer in Spanien gefeuert wird, und dann hoffen, dass sie mir einen Job bei einem Klub wie Valencia oder Sevilla anbieten, wo ich sicher Europaleague spiele. »Die wissen, was Basketball ist und wie es funktioniert. Denen musst du nicht erst noch das Laufen beibringen, ehe du ihnen den ersten Spielzug erklären kannst«, hat Ron mich noch gewarnt.

Er war nicht der Einzige, der mir abriet. Die Liste derjenigen, die mich für verrückt erklärten, war lang. Aber das war mir egal. Je länger ich mich mit dem Projekt auseinandersetzte, desto größer wurde meine Begeisterung. Man muss Chancen erkennen und ergreifen. Und man muss auch aufpassen, dass man nicht in ein Bedenkenträgertum verfällt, wie es in Deutschland weit verbreitet ist. Ich entschied mich, es zu wagen. Und mit diesem Entschluss holte ich mir mein Lebenselixier zurück, das ich verloren hatte.

Fünf Jahre lang, von 2003 bis 2008, war ich gleichzeitig Vereinstrainer in Bamberg und Bundestrainer gewesen, doch nach der Europameisterschaft 2007 war ich durch diese Doppelbelastung am Ende. Wir hatten nach einem unfassbaren Kraftakt den fünften Platz geholt, waren aber zuvor nach den Niederlagen gegen Spanien und Slowenien extrem hart kritisiert worden. Danach wieder in den Verein zu gehen war brutal gewesen. Ich hatte gemerkt, dass meine Kraft und Energie nicht mehr reichten, um beide Jobs zu 100 Prozent auszufüllen. In meinem letzten Jahr bei Bamberg war ich nicht mehr so gut gewesen, wie ich hätte sein können. Zwischen Verein und Nationalmannschaft waren gerade mal zwei Wochen Pause. In entscheidenden Phasen hatte ich mich gedanklich nicht nur auf eine Sache konzentrieren können, wobei ich sagen muss, dass ich meiner Aufgabe als Bundestrainer immer zu 100 Prozent gerecht geworden bin. Am Schluss hatte also Bamberg gelitten. Ich hatte nicht mehr gewusst, wo rechts und links war. Hätte ich so weitergemacht, hätte ich wahrscheinlich irgendwann einmal sogar meinen Namen vergessen.

Zwei Jahre hatte ich mich dann nur noch auf die Nationalmannschaft konzentriert, wollte meine Tochter unterstützen, die ihre letzten beiden Jahre vor dem Abitur zu bewältigen hatte. Doch so schön es anfangs auch gewesen war, so schnell hatte ich auch gemerkt, wie sehr es mir fehlte, regelmäßig im Basketball zu arbeiten. Je länger ich das machte, desto unglücklicher wurde ich. Ich kann nicht stillsitzen und Däumchen drehen. Das macht mich einfach fertig. Ich war unausgelastet und suchte mir Betätigungsfelder. Mal gab ich Fortbildungen für Nachwuchstrainer, dann referierte ich vor Managern über Motivation. Es war komisch. Sosehr mich die Doppelfunktion als Bundes- und Vereinstrainer zuletzt überfordert hatte – nach kurzer Zeit war ich von nur noch einer Aufgabe fast etwas unterfordert. Das Schlimme nämlich ist, dass die Nationalmannschaft leider nur sechs Wochen im Jahr funktioniert. Basketball ist für mich so wichtig wie die Luft zum Atmen. Nur Bundestrainer – das ist wie nur einmal Sex im Jahr. Und das reichte mir nicht.

Ich sagte also bei den Bayern zu. Auch weil ich ahnte, dass es wie ein Geschenk war. Mein großes Ziel als Trainer ist es, mit einer deutschen Mannschaft unter die letzten vier in Europa, also in die absolut höchste Spitze zu kommen. Man kann aber nicht darauf hoffen, sich in ein gemachtes Bett zu legen, man muss sich das Bett schon selbst machen. Und Bayern ist die Chance, dieses Bett nach meinen Wünschen herzurichten. Hier werden mir die Nägel, Bretter und Materialien hingelegt, die ich brauche, um mir mein perfektes Bett zu bauen. Ab nach Europa und wieder regelmäßig Sex – perfekt!

Ende Mai 2010 sickerten die ersten Informationen über unser Vorhaben an die Presse raus. Die Basketballabteilung hatte eine vereinsinterne Umfrage gestartet und Fragebögen an die rund 140 000 Mitglieder des FC Bayern geschickt, um auszuloten, ob sie sich mehr Engagement im Basketball wünschen würden. 20 000 antworteten, was ein guter Wert ist. Und die Resonanz war positiv. »Sie brüten etwas aus«, hieß es in der Süddeutschen Zeitung. »Demnach soll der FC Bayern gewillt sein, ein paar Millionen Euro in seine Basketballabteilung zu stecken und sich einen Platz für die Saison 2010/11 in der Basketballbundesliga zu erkaufen. Dieses Gerücht, ob Hirngespinst oder wahre Tendenz, machte im Internet die Runde. Ganz sicher dürften diese zuweilen auch unterhaltsamen Spekulationen (jemand meint gar, Dirk Bauermann komme als Trainer nach München) weitergehen, solange der Klub schweigt und intern an der Zukunft bastelt.« Irgendwann verriet dann Wolfgang Heyder in der Bild: »München hat Großes vor. Da wächst ein gewaltiger Konkurrent heran. Das wird ein Meilenstein für den deutschen Basketball.«

Am Dienstag, dem 15. Juni 2010, war es dann so weit: Bayern verkündete offiziell meine Verpflichtung. Der offizielle Startschuss. Doch groß und gewaltig fühlte es sich nicht an.

Es war nicht alles Sonnenschein. Anfangs gab es viele dunkle Stunden. Ich glaube zwar, dass es mir keiner angemerkt hat, aber es gab mehrfach den Moment, wo ich am liebsten hingeworfen hätte. Wir waren einfach meilenweit weg vom Glanz, den man mit dem FC Bayern verbindet. Vor dem ersten Ligaspiel testeten wir die Mannschaft gegen österreichische Erstligisten vor 200 Zuschauern – zuvor hatte ich bei der Weltmeisterschaft in der Türkei vor 15 000 Zuschauern gespielt. Bei den Olympischen Spielen waren 25 000 bei unseren Spielen. Und auch wenn ich prinzipiell kein 9-bis-17-Uhr-Trainer bin, also niemand, der sich an feste Schreibtischzeiten hält und ständig vor seinem Computer hockt, so war es doch befremdlich, kein eigenes Büro zu haben. Außerdem spielten wir in einer Eissporthalle, die zehn Stunden lang vor jedem Spiel von 40 Arbeitern hergerichtet werden musste. Über das Eis wurde ein 32 mal 19 Meter großer Parkettboden aus 283 Einzelstücken verlegt, die Nord- und Südkurve mit schwarzen Vorhängen verdeckt. Der Stadionsprecher erklärte unserem neuen Publikum vor den ersten Testspielen, wann es zwei und wann drei Punkte geben würde. Bei alldem bedarf es schon einer großen Vorstellungskraft und eines großen Optimismus, immer weiter an sein Ziel zu glauben. Nicht nur einmal dachte ich mir: »Du hast einen Fehler gemacht.«

Aber gleichzeitig habe ich mich an einen meiner Leitsätze erinnert: »Wenn du etwas machst, dann mache es richtig. Schau nicht zurück, sondern engagiere dich mit Herz und Seele.« Dann muss man das Drumherum gestalten und darf sich nicht leid tun. Also habe ich versucht zu gestalten, zu führen. Es hat mir auch geholfen, wenn Uli Hoeneß trotz skeptischer Nachfragen optimistisch blieb. »Bei mir ist das Glas immer halb voll und nicht halb leer. Damit bin ich ziemlich weit gekommen im Leben«, sagte er. Also schluckte auch ich meine Zweifel und zwischenzeitlichen Unmut runter. Ich glaube, dass es mir auch gut gelungen ist und ich ein guter Schauspieler war. Und vor allem war es auch richtig, denn das Zweitliga-Jahr war eines der schönsten in meiner Karriere. Und es hat mich in vielen meiner Leitsätze bestätigt.

Eine meiner wichtigsten Überzeugungen lautet: Charakter steht über Talent. Ein schlechter Apfel kann eine ganze Mannschaft kaputt machen. Wenn jemand Banane in der Birne ist, ein sozialer Autist oder totaler Egoist, dann funktioniert er nicht im Mannschaftssport – egal, wie talentiert er auch immer ist.

Das Zweitliga-Jahr hat mich in solchen Einschätzungen, wie gesagt, noch sicherer gemacht, es hat meine Leitplanken gefestigt. Dazu muss man wissen: Eine Basketballmannschaft ist sehr intim. Anders als beim American Football oder im Fußball hocken nur zwölf Leute aufeinander. Die Äpfel liegen also sehr nah beieinander, da kann ein einziger fauler alles verderben, ein Dreckshund tödlich sein. Ich habe Spieler erlebt, die die Freundin von Mitspielern angebaggert haben, die selbst nach großen Siegen das Haar in der Suppe gesucht und gefunden haben: Sie motzten über zu geringe Einsatzzeiten und zu wenig Würfe. Es gab Spieler, die permanent für schlechte Stimmung gesorgt haben – und genau das konnten wir in München nicht gebrauchen.

Ich bin auch niemand, der daran glaubt, dass einen bewusst initiierte Konflikte weiterbringen. Ich glaube nicht an die Theorie, dass jede Mannschaft einen »bad boy« braucht, an dem sich alle reiben. Solche Stressfaktoren können vielleicht kurzfristig Energie freisetzen, aber das auch nur auf Kosten des nachhaltigen Erfolgs. Und so habe ich eine Mannschaft zusammengestellt, die nur aus charakterlich einwandfreien Spielern besteht. Nehmen wir Steffen Hamann. Der hat kein großes Ego. Er stellt sich vielmehr in den Dienst der Mannschaft. Er hält sich nicht für wichtiger als den FC Bayern. Alle Jungs haben Bodenhaftung. Und alle hatten etwas zu verlieren. Es gab für niemanden eine Alternative zum Erfolg. Alles außer Aufstieg war nicht akzeptabel. Bayerns Vizepräsident Bernd Rauch formulierte klipp und klar: »Wir machen das nur einmal. Wenn wir das nicht schaffen, ist diese Sportart für München gestorben. Wir haben Dirk Bauermann nicht für einen längeren Verbleib in der zweiten Liga geholt.«

Ich habe mir kein Team aus Wandervögeln zusammengestellt, niemanden geholt, der nur auf seinen Kontoauszug schaut. Mit solchen Charakteren hätte es hier nie funktionieren können. Denn viele mussten für dieses Abenteuer sogar finanzielle Einbußen in Kauf nehmen. Natürlich waren es keine gigantischen Minusgeschäfte, aber einige der Jungs haben schon ein spürbar geringeres Jahresgehalt verdient, als sie bei anderen Vereinen hätten bekommen können. Keiner wurde mit mehr als 50 000 Euro netto pro Jahr entlohnt. Doch trotz gleich großer oder höherer Angebote auch von Bundesligisten haben sich viele Jungs für Bayern entschieden, weil der Name Bayern München eine so große Wirkung hat. Das Trikot hat so viel mehr Strahlkraft als vieles andere im deutschen Profisport. Bayern strahlt. Und überstrahlte auch die Risiken. Das heißt natürlich nicht, dass wir nur mit dem Finger schnippen brauchten und schon haben wir jeden Wunschspieler bekommen. Sven Schultze etwa oder Patrick Femerling, die ich beide gut aus der Nationalmannschaft kannte, hätte ich gerne in München gehabt. Aber sie entschieden sich gegen Bayern, gegen die zweite Liga und für Alba Berlin.

Normalerweise gibt es bei jedem Verein immer eine Phase in der Saison, in der gar nichts geht. Wo du dich als Trainer vor die Mannschaft stellst und fragst: »Was ist denn mit euch los?« Wo die Spieler ausgelaugt und müde sind oder überspielt. Wo die Laune so schlecht ist, als käme man gerade vom Zähneziehen. Wo dir als Trainer nichts anders übrig bleibt, als sie aus der Halle zu werfen und ihnen kräftig zu drohen. Nachvollziehbar oder nicht – solche Phasen gibt es. Nur nicht in unserem ersten Jahr in München. Alle waren begeistert, alle sind marschiert. Ich musste nicht einmal zum Arschtritt ausholen. Tagein, tagaus wurde Bereitschaft geboten. Unfassbar! Charakter geht über Talent – Bayern hat es ein weiteres Mal bewiesen.

Und noch etwas habe ich bestätigt bekommen: Vertraue auf deine eigene Stärke. Bei vielen Vereinen wird an den falschen Stellen optimiert. Die Trainerstäbe werden zu groß. Es gibt einen Verantwortlichen für die Technik, einen fürs Krafttraining, einen fürs Lauftraining, einen für die Psyche. Jeder davon muss sich positionieren und seine Wichtigkeit unter Beweis stellen. Er versucht, wenn auch nur unterbewusst, aus der Masse herauszustechen und konzentriert sich nicht mehr so auf seine Aufgabe, wie es sein sollte. Man muss nicht alles machen, was geht. In der zweiten Liga hatten wir zum Beispiel keinen Videoanalysten, der uns Spielsequenzen der Gegner vorbereitet hat. Videoanalyse ist ein wichtiges Tool in der Spielvor- und -nachbereitung. Ich halte es aber für wichtiger, die ersten zehn Minuten des Gegners zu sehen, um ein Gefühl für seinen Rhythmus zu bekommen. Zu Beginn steht er stabil, hält das System. Anschließend, wenn die Müdigkeit kommt, werden viele Spieler oft unkontrolliert und vernachlässigen ihre Aufgaben. Erst die letzten Minuten des Spiels werden dann wieder aussagekräftig. Dann kann man sehen, wer in der entscheidenden Phase Verantwortung übernimmt.

Ohnehin zeigt meine Erfahrung, dass man sich viel zu oft viel zu sehr auf den Gegner vorbereitet. Jeder Gegner wird komplett seziert. Du hast sehr detailliertes Wissen, fragst dich immer: »Was sind deren Stärken? Wie können wir sie stoppen?« Dabei ist es wichtiger, dich auf deine eigenen Stärken zu verlassen. Du darfst deine Spieler nicht mit Wissen über die Gegner überfrachten. Je mehr deine Mannschaft auf den Gegner vorbereitet ist, desto weniger setzt sie ihre eigenen Stärken um. Je weniger sie denkt, desto besser ist es. Abläufe müssen instinktiv erfolgen. Denken nimmt Aggressivität und Schnelligkeit. Wir müssen aus einer Position der absoluten Stärke spielen. Ein bisschen muss man natürlich auf den Gegner schauen, aber es reicht, so wenig wie nötig an Stellschrauben zu drehen. Die anderen sollen sich an uns orientieren – dieser Überzeugung war ich immer schon. Durch die fehlende Manpower im ersten Jahr ist es mir aber noch bewusster geworden.

Mit dieser Einstellung sind wir auch in die Saison gegangen. Am 23. September 2010 kamen 2800 Zuschauer zum Testspiel gegen Bamberg, den amtierenden Meister und Pokalsieger. »Ich wünsche uns allen eine wunderschöne Reise in die nächsten Jahre!«, sagte ich, als ich eine Viertelstunde vor dem Anwurf mitten in der Halle stand und das Publikum begrüßte. Und zitierte aus Hermann Hesses Stufen-Gedicht, in dem es heißt: »Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne.« Mehr als viermal so viele Zuschauer wie in der vergangenen Saison waren gekommen, ein kleiner Erfolg. Uli Hoeneß machte den Eröffnungswurf. Er warf zweimal, mit dem ersten Wurf war er nicht zufrieden. Die Flugkurve des Balles war ihm nicht hoch genug.

Und dann, zwei Tage später, ging das spannendste Basketballprojekt Europas mit unserm ersten Heimspiel gegen Heidelberg richtig los. Das Risiko war klar. Ein Scheitern durfte es nicht geben. Und noch etwas machte mich tierisch nervös. Normalerweise sind Zuschauer, egal, wie viele es sind, für mich eine anonyme Masse. Es macht mich nicht nervös, ob da 20 000 oder 100 000 Leute grölen. Aber plötzlich saßen bei unserem ersten Heimspiel die Helden meiner Jugend im Publikum: Paul Breitner, Uli Hoeneß, Katsche Schwarzenbeck. Schon in der Nacht zuvor hatte ich schlechter geschlafen als vor dem Endspiel um die Europameisterschaft. Es war so wenig greifbar für mich, so unkalkulierbar. Wie würde Heidelberg spielen? Wie die Zuschauer auf uns reagieren? Beschädigte ich mich?

In der Halbzeit kam Hoeneß zu meiner Überraschung in die Kabine. Die Spieler wussten erst gar nicht, was sie machen sollten. Sie schauten mich fragend an, weil sie wussten, dass die Kabine für mich ein heiliger Ort ist. Sie wissen, dass ich bei solchen Störungen empfindlich bin. In der Halbzeit hat man eigentlich auch andere Dinge zu tun, als dem Präsidenten die Hand zu schütteln. Aber es störte mich nicht. Es war ja kein Misstrauensbeweis. Hoeneß wollte nicht schauen, was der Bauermann und seine Jungs da eigentlich taten. Er wollte seine Identifikation mit dem Basketball und seine Sympathie zum Ausdruck bringen. Er schüttelte den Spielern die Hand, wünschte viel Glück und verschwand wieder. Eine tolle Geste, die sich in den Köpfen des Teams eingebrannt hat.

Wir siegten 97:69. Anschließend kam Breitner zu mir. Wir sprachen über Real Madrid, die er oft Basketball hat spielen sehen, als er selbst bei Madrid kickte. »Die Basketballer waren eine ganz große Nummer. Die haben in den 70er-Jahren dort mehr verdient als wir Fußballer«, sagte er.

Der Damm war gebrochen, die Leute reagierten fantastisch, jubelten uns zu. Trotzdem schlief ich auch in der Nacht nach dem Spiel schlecht: Steffen Hamann hatte sich den Mittelfuß gebrochen. Aber was unser Projekt anging, so hatte ich jetzt auf allen Ebenen ein gutes Gefühl. Denn das Vorhaben wurde angenommen. Der Optimismus war sogar so groß, dass ich kräftig auf die Euphoriebremse treten musste. Anders als Jahre zuvor bei Bamberg. Dort hatten weder Fans noch Spieler oder Funktionäre an Real Madrid gedacht, sondern nur an schöne Landschaften und eine kleine Stadt. Sich irgendwann mit den Größten des Basketballs zu messen, daran war kein Gedanke gewesen. Aber Entwicklung ist nur möglich, wenn man gerade solche Gedanken zulässt. Die Leute müssen sich daran gewöhnen. Bei Bayern war es anders. Wer Bayern sagt und hört, denkt automatisch an Madrid oder Barcelona. Du kaufst die Vision quasi mit.

Damit aber niemand auf die Idee kam, die Aufgabe »Zweite Liga« zu unterschätzen, musste ich Real erst einmal aus den Köpfen der Spieler und der Fans bekommen. Es durfte nicht passieren, dass wir zu arrogant würden. Arroganz tut niemandem gut. Wir durften nicht an den zweiten Schritt denken, ohne den ersten zu machen. Taten wir auch nicht, sondern marschierten unaufhaltsam Richtung Bundesliga. Am sechsten Spieltag verloren wir gegen Würzburg, am vorletzten Spieltag gegen Paderborn. Ärgerlich, aber nicht schlimm. Das Turboprojekt, wie es die Medien getauft hatten, lief auf Hochtouren.

Dann kam das Rekordspiel. 12 200 Zuschauer wollten am 20. Februar 2011 unsere Basketballer live in der Olympiahalle erleben. Es war nicht mal ein Jahr her, da interessierten sich ein paar Hundert Menschen für Münchner Basketball. Im September zuvor hatte ich noch beobachtet, wie Steffen Hamann völlig unerkannt über das Vereinsgelände an der Säbener Straße spazieren konnte, obwohl in den Sommerferien Tausende Fans den Fußballern zuschauten. Und nun strömten die Massen zu uns. Seit Wochen war das Spiel ausverkauft. Bayerns damaliger Trainer Louis van Gaal war unter den Zuschauern, Christian Nerlinger natürlich auch und viele Spieler. Ex-Bayern-Profi Stefan Effenberg kam in einem Cabrio in die Halle gefahren und brachte den Spielball. Ein Event der Superlative, bei dem wir uns am Gegner Würzburg für die Niederlage mit einem klaren 82:75 rächten.

Sieben Spieltage vor Ende der Saison sicherten wir uns im März 2011 den Aufstieg in die Basketballbundesliga. Fünf Spieltage vor Schluss die Meisterschaft. Ziel erreicht – und Wort gehalten. Dazu muss man wissen: Im Januar hatte mich die Süddeutsche Zeitung um eine Kolumne unter der Rubrik »Das wird mein Jahr« gebeten. Meine Antwort lautete: »Weil wir vom FC Bayern München unser Ziel, die Menschen aus München und der Region für Basketball zu begeistern und von unserem Spiel zu überzeugen, erreichen werden, wird es ein gutes Jahr. Und weil wir den Aufstieg in die Basketballbundesliga schaffen und dort mit großer Energie und viel Begeisterung angreifen werden.« Nicht auszudenken, wenn meinen großen Ankündigungen keine Taten gefolgt wären.

Nach dem großen Spiel gegen Würzburg ging es vier Wochen nur noch um die goldene Ananas. Aber der Begeisterung tat es keinen Abbruch. Eigentlich hätte Bastian Schweinsteiger in dieser Zeit sogar für uns spielen sollen. Die Idee hatten wir bereits zu Jahresbeginn mit Sponsor Adidas durchgesprochen. Das wäre ein Riesenspaß geworden. Aber vor allem zeigt es, wie Bayern tickt: Nach nur wenigen Monaten gab es zwischen den Fußballern und den Basketballern bereits eine engere Beziehung, als es sie jemals bei Bayer Leverkusen gegeben hat. Dort gab es kein Miteinander. Das Verhältnis zwischen beiden Abteilungen war kühl, distanziert, von einer gemeinsamen Identifikation konnte nicht die Rede sein. Dem damaligen Manager Reiner Calmund waren wir ein Dorn im Auge. Wahrscheinlich hätte er gerne unseren Geldhahn zugedreht, um selbst eine größere Unterstützung zu bekommen. Dass Schweinsteiger letztlich doch nicht für uns auflief, war eine Entscheidung des gesunden Menschenverstandes. Nicht auszudenken, wenn er umgeknickt wäre oder sich sonst wie verletzt hätte. Wer weiß, ob sein Gegner ihn nicht mit einem besonders harten Block hätte stellen wollen. Es gab einfach zu viele unkalkulierbare Risiken, wenngleich ich Bastian schon gerne im Basketballtrikot gesehen hätte. Doch auch wenn sich diese Idee bedauerlicherweise nicht hatte umsetzen lassen, so zeigt sie deutlich: Es geht zusammen; wir sind eine Familie. Fußball und Basketball können nebeneinander funktionieren.

Im April 2011 setzte ich mich dann erneut mit Uli Hoeneß zusammen. Wir frühstückten bei ihm zu Hause am Tegernsee. Ständig kam sein Hund an, staubte eine Wurst nach der anderen ab. »Wie viele Jahre wollen Sie bei uns bleiben«, fragte Hoeneß mich. Noch nie zuvor hatte ich meinen Vertrag selbst verhandelt. Das haben immer meine Agenten gemacht. »Drei Jahre«, sagte ich und nannte meine Konditionen. Nicht übertrieben, aber auch nicht ängstlich. »Das machen wir. Das hört sich fair an.« Damit war das Thema durch. Bis 2014 stehe ich bei den Bayern unter Vertrag. Was aber nicht heißt, dass es nicht länger gehen kann. Ich bin niemand, der ständig den Job wechselt. Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass Bayern München meine letzte Vereinsmannschaft ist.

Was dann in den nächsten Wochen passierte, war unglaublich. In einer Tour bekam ich Anrufe von Menschen, die bei uns arbeiten wollten. Halb Basketballdeutschland wollte nach München. Selbst um den Posten des Pressesprechers bewarben sich einige bei mir.