Missouri-Guerillas - Joe Juhnke - E-Book

Missouri-Guerillas E-Book

Joe Juhnke

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Beschreibung

Nun gibt es eine exklusive Sonderausgabe – Die großen Western Classic Diese Reihe präsentiert den perfekten Westernmix! Vom Bau der Eisenbahn über Siedlertrecks, die aufbrechen, um das Land für sich zu erobern, bis zu Revolverduellen - hier findet jeder Westernfan die richtige Mischung. Lust auf Prärieluft? Dann laden Sie noch heute die neueste Story herunter (und es kann losgehen). Dieser Traditionstitel ist bis heute die "Heimat" erfolgreicher Westernautoren wie G.F. Barner, H.C. Nagel, U.H. Wilken, R.S. Stone und viele mehr. Es regnete seit drei Tagen. Ich stand am Fenster des verwaisten Marshal-Office von Sedalia und schaute hinaus in die grauen Schleier. Shita stand neben mir. Er hatte sich aufgerichtet, die Vorderpfoten auf die Fensterbank gelegt und die dicke schwarze Nase gegen die Scheibe gepresst, an der es außen nass herunterrann. Das Office war Quartier des Ortskommandanten der Unionsarmee, die in den letzten Wochen den Staat Missouri, genau wie alle anderen Staaten der zerschlagenen, im Krieg unterlegenen Südstaatenkonföderation, besetzt hatte. Sedalia war seitdem ein Heerlager. Hier gab es eine der wenigen erhalten gebliebenen Bahnstationen des Südens. Hier liefen Nachrichtenverbindungen zusammen, trafen Nachschubtransporte der Unionsarmee ein und wurden zu ihren Bestimmungsorten weitergeleitet. Seit gestern war ein solcher Transport überfällig – ein besonderer Transport mit Waffen, Munition und einer größeren Menge Sprengstoff. Es handelte sich um besondere Waffen, und zwar um nagelneue Springfield-Gewehre des Modells 1865, Patronenhinterladergewehre mit einem Klappverschluss. Es waren Einzellader, die aber, nach einem Testbericht, unglaublich schnell zu handhaben sein sollten. Fünfhundert dieser neuen Gewehre wurden in Sedalia erwartet, zusammen mit der dazugehörigen Munition im Kaliber 45. Ich befand mich seit einer Woche in Sedalia. Ich, Roy Fango, blutjung, aber alt an Erfahrungen. Ein Getriebener dieses rauen Landes, dieser wilden Zeit. Ohne Anfang und ohne Zukunft? Eigentlich hatte ich nach dem Ende des Krieges die Armee verlassen wollen. Aber dann hatte ich mich breitschlagen lassen, meine Stellung als Zivilscout zu behalten. Das war in North Carolina gewesen, und dort hätte es wahrscheinlich gestimmt. Dann erhielt ich den Marschbefehl nach Missouri, und hier war alles anders.

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Seitenzahl: 143

Veröffentlichungsjahr: 2021

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Die großen Western Classic – 78 –

Missouri-Guerillas

… und ein Sonderauftrag in die Hölle

Joe Juhnke

Es regnete seit drei Tagen. Ich stand am Fenster des verwaisten Marshal-Office von Sedalia und schaute hinaus in die grauen Schleier. Shita stand neben mir. Er hatte sich aufgerichtet, die Vorderpfoten auf die Fensterbank gelegt und die dicke schwarze Nase gegen die Scheibe gepresst, an der es außen nass herunterrann.

Das Office war Quartier des Ortskommandanten der Unionsarmee, die in den letzten Wochen den Staat Missouri, genau wie alle anderen Staaten der zerschlagenen, im Krieg unterlegenen Südstaatenkonföderation, besetzt hatte.

Sedalia war seitdem ein Heerlager. Hier gab es eine der wenigen erhalten gebliebenen Bahnstationen des Südens. Hier liefen Nachrichtenverbindungen zusammen, trafen Nachschubtransporte der Unionsarmee ein und wurden zu ihren Bestimmungsorten weitergeleitet.

Seit gestern war ein solcher Transport überfällig – ein besonderer Transport mit Waffen, Munition und einer größeren Menge Sprengstoff.

Es handelte sich um besondere Waffen, und zwar um nagelneue Springfield-Gewehre des Modells 1865, Patronenhinterladergewehre mit einem Klappverschluss. Es waren Einzellader, die aber, nach einem Testbericht, unglaublich schnell zu handhaben sein sollten. Fünfhundert dieser neuen Gewehre wurden in Sedalia erwartet, zusammen mit der dazugehörigen Munition im Kaliber 45.

Ich befand mich seit einer Woche in Sedalia. Ich, Roy Fango, blutjung, aber alt an Erfahrungen. Ein Getriebener dieses rauen Landes, dieser wilden Zeit. Ohne Anfang und ohne Zukunft? Eigentlich hatte ich nach dem Ende des Krieges die Armee verlassen wollen. Aber dann hatte ich mich breitschlagen lassen, meine Stellung als Zivilscout zu behalten. Das war in North Carolina gewesen, und dort hätte es wahrscheinlich gestimmt. Dann erhielt ich den Marschbefehl nach Missouri, und hier war alles anders.

Hier hatten sich ehemalige Soldaten der Südarmee und versprengte Reste der Guerilla-Bande des William Quantrill zusammengetan und führten den Krieg gegen die einmarschierende Unionsarmee weiter. Sie plünderten, raubten, mordeten und überzogen ganze Landstriche mit ihrem Terror. In North Carolina war mir gesagt worden, dass die Armee in Missouri Zivilangehörige für Sondereinsätze benötigte. Jetzt wusste ich, was darunter zu verstehen war. Wenn der seit gestern erwartete Transport nicht eintraf, begann mein erster Einsatz.

»Noch nichts?«, fragte hinter mir eine Stimme.

Ich drehte mich um. An einem Schreibtisch im Hintergrund des Raumes saß Lieutenant Ragland, der Adjutant von Colonel Miller, dem Stadtkommandanten.

»Nichts«, sagte ich. »Nur Regen, und davon jede Menge.«

»Ein Scheißjob«, sagte Ragland. Er war gerade Anfang zwanzig, blass und schmal und wirkte immer etwas kränklich. »Ich habe nie in den Süden gewollt. Ich hasse den Süden. Von mir aus hätten die verdammten Rebellen unabhängig bleiben können. In Illinois war es viel schöner. Meine Eltern haben dort eine Farm. Meine Braut wartet seit zwei Jahren auf mich. Wenn ich geahnt hätte, dass ich nach dem Krieg in Missouri sitzen würde, wäre ich nie zur Armee gegangen.«

»Ich auch nicht«, sagte ich. Er schien es gar nicht zu hören. Er starrte düster an mir vorbei zum Fenster.

»Wenn der Transport aufgehalten worden ist, wenn die Gewehre und der ganze Sprengstoff den Rebellen in die Hände gefallen sind, dann gnade uns Gott. Fünfhundert Gewehre. Sechshundert Pfund Sprengstoff. Wäre ich bloß in Illinois geblieben!«

Shita bellte. Ich wandte mich wieder dem Fenster zu. Ein Windstoß strich durch die Straße. Der Regen klatschte mit Wucht gegen die Scheiben. Shita stand noch immer mit den Vorderpfoten auf dem Fensterbrett und starrte hinaus.

Ein Schatten tauchte aus den Regenschleiern auf, ein Reiter. Er zügelte sein Pferd vor dem Office und glitt schwerfällig aus dem Sattel.

Ich eilte zur Tür und riss sie auf. Shita folgte mir. Lieutenant Ragland war hinter seinem Schreibtisch aufgesprungen.

Ein Schwall feuchter Luft strich herein. Dann tauchte der Reiter in der Tür auf, ein Unionssoldat. Er war bis auf die Haut durchnässt. Seine Uniformhosen waren von Schlammspritzern bedeckt. Er wirkte übernächtigt, war hohlwangig und unrasiert. Sein Käppi hatte er verloren. Das Haar klebte ihm strähnig am Kopf.

Er taumelte mit unsicheren Schritten über die Schwelle. Shita bellte ihn an und wich leise knurrend zurück. Ich schlug die Tür hinter ihm zu. Lieutenant Ragland umrundete seinen Schreibtisch.

»Corporal Nuttler«, sagte der Soldat. Er versuchte, die Hacken zusammenzuschlagen und fiel dabei beinahe um. Das Sprechen fiel ihm schwer. Seine Stimme klang schwach und rau.

»Was ist los, Mann? Reden Sie!« Ragland trat auf den Soldaten zu.

»Der Transport, Sir, der Waffentransport …«

»Was ist damit? Nun sagen Sie doch was?« Ragland schrie den anderen an.

Mein Herzschlag beschleunigte sich. Ich kannte die Antwort, bevor der Soldat weitersprach.

»Er ist überfallen worden, Sir. Fünf Tote, Sir. Alles weg, die Gewehre, die Munition, der Sprengstoff, alles!«

Fünfhundert nagelneue Gewehre, sechshundert Pfund Sprengstoff. Ich verfluchte den Tag, an dem ich mich bereit erklärt hatte, weiter als Scout bei der Armee zu bleiben.

*

Die drei Wagen erreichten die Furt des Black Fork, fast dreißig Meilen nördlich von Sedalia, als die Sonne im Zenit stand. Seit zwei Stunden regnete es nicht mehr. Überall standen riesige Pfützen, aber der Himmel war blau und ohne Wolken.

Die Raststation auf der anderen Seite des Flusses stand auf einem Hügel. Sie wurde von üppigem Buschland umgeben.

Träge schleppte sich der Fluss ostwärts. Mit müdem Plätschern schlugen die Wellen an die Ufer, die sich während des großen Regens in grundlosen Morast verwandelt hatten.

Auf dem ersten Wagen saß ein dicklicher Mann in einem abgeschabten Frack mit einem ebenso abgeschabten Zylinder auf dem Kopf.

Er wandte sich um und rief den Kutschern auf den nachfolgenden Wagen zu: »Wir sind da! Dort drüben ist es!«

»Sieht sehr ruhig aus«, sagte der Fahrer des zweiten Wagens.

Der dritte schwieg.

Der Mann im Frack sagte: »Die Station ist die Einzige menschliche Ansiedlung im Umkreis von zehn Meilen. Hier sind wir genau richtig.«

»Du bist sicher, dass dort drüben unser Mann sitzt?«

Der Kutscher war hager. Er trug eine graue Uniformhose und ein löchriges Hemd. Er war nicht rasiert. Sein hohlwangiges Gesicht wirkte grau.

»Meine Informationen stimmen immer«, sagte der Mann im Frack. Der dritte Kutscher kicherte leise vor sich hin.

»Ich freue mich auf sein dummes Gesicht«, sagte er.

»Wir sind nicht hier, um unseren Spaß zu haben«, sagte der erste. Seine Stimme hatte einen strengen Unterton angenommen. »Buck Purdey ist uns noch etwas schuldig. Er hat sich nach dem Krieg fein mit den Yankees zusammengetan. Er wird jetzt meine offene Rechnung bezahlen, oder er beißt ins Gras.«

»Die Station sieht gut aus«, sagte der zweite Kutscher. »Solide und sauber. Ich frage mich, wie viele anständige Südstaatler jetzt noch in solchen Häusern wohnen können.«

Der Mann im Frack schwang die Peitsche und trieb sein Gespann an. Es rollte in den Fluss. Die Räder sackten tief in den durchweichten Boden des Ufers und das Bett des Stromes ein. Die Pferde stemmten sich ins Geschirr, die Riemen spannten sich knarrend. Der Black Fork war seicht. Das Wasser reichte kaum über die Radachsen. Als der Mann im Frack seinen Wagen die Böschung des anderen Ufers hinauflenkte, hatte der zweite Wagen bereits die Hälfte des Flusses durchquert, das dritte Gefährt rollte gerade ins Wasser.

Die Raststation lag wie ausgestorben da, als die drei Wagen von der schlammigen Overlandstraße auf den schmalen Seitenweg einschwenkten, der zur Station führte und von hier aus in einem Bogen zur Straße zurückkehrte.

Die Wagen rollten auf den Hof und hielten nebeneinander unweit des Brunnens. Die drei Männer stiegen ab. Sie hielten jetzt Sharps-Gewehre in den Fäusten. Schweigend schritten sie über den Hof zum Stationshaus.

Das Haus hatte einen schmalen Vorbau. Die Dielen knarrten, als die Männer ihn betraten. Im Haus rührte sich noch immer nichts. Vor den Fenstern hingen dichtmaschige Fliegennetze. Von dem vorgebauten Dach baumelten vier Ketten mit winzigen Messingglöckchen herunter, die vom Wind, der über den Fluss strich, leicht hin und her bewegt wurden und ab und zu ein leises Klingen von sich gaben. Bei Nacht und Unwetter sollten die Glöckchen als Orientierungshilfe für Reisende dienen, die sich der Station von der anderen Seite des Flusses näherten.

Der Mann im Frack stieß die Tür auf und betrat noch vor den beiden anderen das Stationsgebäude. Der Stationsraum war geräumig und niedrig. Die Wände waren weiß gekalkt. Die Bodendielen wirkten ausgetreten und staubig. Mehrere längliche Tische mit einfachen Bänken bildeten die Einrichtung, neben einer kurzen Theke unweit der Tür.

Auf der Theke stand eine leere Flasche, in deren Hals eine fast abgebrannte Kerze steckte. Hinter der Theke befand sich eine Tür, die nur durch einen bunten Perlenvorhang verschlossen wurde, der jetzt leise klirrte, als ein junger Mann hindurchtrat.

»Hallo«, sagte der Mann im Frack. Er lächelte freundlich. Er verbeugte sich leicht und tippte an die Krempe seines Zylinders. Seine beiden Begleiter standen reglos hinter ihm.

»Wir suchen Mister Buck Purdey.«

»Mein Vater«, sagte der junge Mann. »Wer sind Sie?«

»Tampico«, sagte der Mann im Frack. »Josh Tampico.« Er lächelte wieder freundlich. »Ist er hier?«

»Mein Vater? Ja. Tampico war der Name, wie?«

Der junge Mann warf einen neugierigen Blick auf den dicken Mann und dann auf die schweigenden, jetzt ebenfalls grinsenden Begleiter, die noch die Kokarden der Südarmee an ihren breitkrempigen Hüten trugen. Einen Moment schien es, als wolle er nach den Namen der beiden Männer fragen. Er unterließ es aber und trat durch den Perlenvorhang zurück.

Es vergingen ein paar Minuten. Dann waren schwere Schritte zu hören. Wenig später tauchte ein untersetzter, breitschultriger Mann hinter der Theke auf. Er hatte ein breites Gesicht mit einem Seehundsbart. Sein Kopf war kahl.

Als er die drei Männer sah, die ihm auf eine eigenartige Weise entgegenlächelten, wurde seine Haltung unvermittelt starr. Er öffnete den Mund, sagte aber nichts.

»Hallo, Purdey«, sagte der Mann im Frack. »Dir geht’s gut, wie? Man sieht es.«

»Hey, Purdey«, sagte der zweite Kutscher. »Fein, dich zu sehen.«

»Erkennst du uns noch, Purdey?« Der dritte schob sich den Hut in den Nacken zurück.

»Du hast dich kaum verändert«, sagte Josh Tampico. »Nur ein bisschen magerer warst du vor ein paar Monaten, als wir uns zum letzten Mal gesehen hatten. Ein bisschen magerer und ein bisschen ängstlicher. Genau genommen sogar verdammt ängstlich. Ich glaube sogar, du hast gezittert.«

Der bärtige Mann antwortete nicht. Die beiden Begleiter von Tampico grinsten weiter ihr starres, kaltes Grinsen, das wie angeklebt in ihren rauen Gesichtern wirkte.

»Ein Mann wie du hängt eben sehr an seinem Leben«, sagte Tampico. »Mehr als an Schwüren und Idealen. Damals, als wir uns kennen lernten, hattest du Ideale, Purdey. Erinnerst du dich? Und du hattest einige Eide geschworen. Soll ich sie dir wiederholen? Als es darauf ankam, hattest du alles zwar sehr schnell vergessen, aber immerhin …«

»Raus!«, sagte der Mann hinter der Theke. »Verschwindet aus meinem Haus. Für Mörder und Blutsauger ist kein Platz unter meinem Dach. Eure Zeiten sind vorbei. Der Krieg ist vorbei. Ihr steht auf der falschen Seite. Ihr habt immer auf der falschen Seite gestanden. An eurer Stelle würde ich schnell verschwinden. Ihr werdet gesucht. Die Yankeesoldaten sind hinter euch her. Verlasst euch darauf, dass ich euch melden werde. Von mir habt ihr nichts zu erwarten.«

»Harte Worte, Purdey«, sagte der Mann im Frack. Er nahm den Zylinder ab und strich sich mit der Linken durch sein dünnes, strähniges dunkelblondes Haar. »Es ist nicht sehr freundlich, was du sagst. Es ist auch sehr unvernünftig, beinahe dumm, Purdey. Mir scheint, du hast nicht nur deine Ideale sehr schnell vergessen, sondern auch das, was vor fünf Monaten passiert ist.«

Hinter ihm knackten metallisch zwei Gewehrhähne. Die beiden Männer, die ihn begleiteten, hatten ihre Karabiner angehoben und zielten links und rechts an ihm vorbei auf den bärtigen Mann hinter der Theke. Der wurde so bleich wie die gekalkten Wände des Stations­raumes.

»Geht jetzt«, sagte der Mann hinter der Theke. Seine Stimme klang unsicher. »Ich will nicht wissen, was ihr von mir wollt. Wahrscheinlich habt ihr irgendeine Schweinerei vor. Aber die Zeit ist vorbei. Jetzt ist Frieden. Man muss sich arrangieren.«

»Wir sind beide unter Quantrill geritten«, sagte Josh Tampico. »Wir waren beide davon überzeugt, dass der Süden uns brauchte, dass ein Sieg der Yankees ein Unglück für den Süden sei. Wir haben damals sogar einen Eid darauf geschworen, dass wir für die Freiheit des Südens unser Leben hergeben wollten. Das galt auch dann noch, als die Lage immer aussichtsloser wurde. Alles schon vergessen, Purdey?«

Der Mann mit dem Zylinder lächelte nicht mehr. Sein rundes Gesicht war ernst, in seinen Augen glomm ein seltsames Licht.

»Vor fünf Monaten in Kansas City, Purdey, da zählte alles das für dich nicht mehr. Als wir das Munitionslager der Yankees ausnehmen wollten, da hast du uns einfach verraten. Dir war die ganze Sache zu heiß geworden. Die Yankees marschierten überall vor. Unsere Position war schlecht. Du hast es vorgezogen, deine Schwüre zu vergessen und dich auf die Seite der Yankees zu schlagen. Sie haben dir was dafür bezahlt, nicht wahr?«

Tampico blickte sich um. »Du hast diese Station dafür erhalten, wie? Ein verdammt schlechter Preis, wenn du mich fragst. Weißt du, wie viele von uns damals draufgegangen sind, als wir in die Falle der Yankees ritten? Dreiundzwanzig Mann! Aber du warst ja auf Seiten der Sieger. Dir konnte nichts mehr passieren. Der Süden hat zwar den Krieg verloren, aber du hattest rechtzeitig den Absprung erwischt. Jetzt bist du fein heraus. Hast du nie daran gedacht, dass du irgendwann einmal die Rechnung dafür bezahlen müsstest, Purdey?«

»Raus!«, schrie der Stationer. Er war noch immer bleich. Seine Stimme überschlug sich fast.

»Ist was passiert, Vater?« Der junge Mann, der die Fremden empfangen hatte, tauchte durch den Perlenvorhang auf. Einer von Tampicos Begleitern schwenkte den Sharps-Karabiner herum und zielte auf ihn.

»Ein Überfall!«, schrie der Junge. »Ihr gottverdammten Halunken!«

Er sprang vor und duckte sich gleichzeitig, während er unter die Theke griff. Als er sich wieder aufrichtete, hielt er eine abgesägte Schrotflinte in den Händen.

Einer der Männer schoss von der Hüfte aus. Die peitschende Detonation fing sich im Raum. Pulverdampf kräuselte sich stinkend aus der Mündung des Karabiners.

Der Stationer schrie auf. Das schwere Geschoss traf den Kolben der Schrotflinte und schmetterte dem jungen Mann das Gewehr aus den Händen. Er brüllte wie am Spieß. Seine geprellten Arme baumelten wie gelähmt nach unten. Der Aufprall der Kugel schleuderte ihn rücklings gegen den Türpfosten, wo er sich mühsam aufrecht hielt.

Eine Frauenstimme schrie hinter dem Perlenvorhang.

Josh Tampico ging langsam zur Theke. Er hielt jetzt einen Revolver in der Faust und zielte genau auf den Kopf des jungen Mannes.

»Ist noch jemand hinten, Purdey?«

»Meine Frau.« Buck Purdey hob langsam die Hände.

»Es freut mich, deine Familie kennen zu lernen, Purdey«, sagte Tampico. »Während des Krieges gab es keine Gelegenheit, leider. Das holen wir jetzt nach.« Seine Stimme wurde unvermittelt scharf. Er sagte: »Und jetzt wirst du gefälligst tun, was wir sagen. Wir haben lange genug geredet. Entweder du gehorchst, oder dein Sohn kriegt eine Kugel in den Schädel!«

Der junge Mann blickte verstört in die Mündung des Revolvers, den Tampico auf ihn gerichtet hatte. Zu seinen Füßen lag die Schrotflinte mit dem zerschossenen Kolben.

Er sagte: »Dad, sind das die Männer, mit denen du im Krieg geritten bist, sind …?«

»Ja«, sagte Buck Purdey. Er blickte Tampico an. »Lasst meine Familie aus dem Spiel.«

Der Mann im Frack beugte sich vor und schlug blitzschnell mit dem Revolverlauf zu. Der Stahl traf den Stationer knallhart auf die linke Schulter. Er stieß einen röchelnden Laut aus und kippte gegen ein Regal. Sein Gesicht lief blau an. Er rang nach Atem. Durch den Perlenvorhang stolperte eine rundliche Frau mit straff zurückgekämmtem Haar, pausbackigem Gesicht und einer einfachen Leinenschürze.

Tampico umrundete die Theke, stieß die Frau brutal beiseite und packte Purdey, der fast doppelt so breit war wie er selbst, am Kragen. Er versetzte dem Mann einen weiteren harten Stoß und trieb ihn vor sich her, hinter der Theke hervor in den Aufenthaltsraum. Hinter ihm begann einer der beiden anderen Männer zu reden.

»Nur mit der Ruhe, Madam, und du auch, Junge. Keinem passiert was, wenn ihr vernünftig seid. Anderenfalls seid ihr dran, und keine noch so heiße Mutterträne erweckt ihren Sohn wieder zum Leben, Madam.«

Der dritte Mann folgte Tampico und stieß Purdey die Mündung seines Karabiners in die Rippen, dass der Stationer aufstöhnte.

»Zum Fenster«, sagte Tampico.

Der andere Mann stieß wieder zu. Buck Purdey stolperte vor dem Gewehrlauf her. Hinter ihm schluchzte seine Frau und verbarg ihr Gesicht in den Händen. Sie lehnte sich gegen die Theke. Sein Sohn stand kreidebleich daneben und hatte die Hände in hilflosem Zorn zu Fäusten geballt.

Am Fenster rechts von der Tür blieb Purdey stehen. Tampico trat neben ihn.

»Siehst du die Wagen draußen, Purdey?«

Er wartete keine Antwort ab, sondern fuhr fort: »Auf den Wagen liegen etwa fünfhundert Gewehre, die dazugehörige Munition und jede Menge Presspulverstangen. Wir brauchen einen sicheren Lagerplatz dafür. Deine Station ist genau richtig. Weit und breit kein Mensch. Außerdem bist du bei den Yankees gut angeschrieben. Kein Mensch wird die Sachen bei dir vermuten. Und es ist eine gute Gelegenheit für dich, deine Fehler auszubügeln. Mehr wollen wir nicht von dir, Purdey. Überleg dir das mal. Wir könnten dich umbringen. Wir könnten deine Frau und deinen Stammhalter umbringen. Wir könnten hier alles anzünden. Aber wir tun es nicht. Wir verlangen für die dreiundzwanzig Mann, die du auf dem Gewissen hast, nichts weiter als einen Gefallen. Danach hast du deine Ruhe.«