Mistelzweigzauber - Sue Moorcroft - E-Book
SONDERANGEBOT

Mistelzweigzauber E-Book

Sue Moorcroft

0,0
8,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 8,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Unterm Mistelzweig küsst es sich am besten. Nach dem Bestseller "Winterzauberküsse" der neue zauberhafte Roman von Erfolgsautorin Sue Moorcroft. Bis Weihnachten soll Innenarchitektin Alexia das heruntergekommene Pub von Middledip zum neuen Dorfmittelpunkt aufpolieren. Alle haben dafür gespendet. Aber Betrüger klauen das Geld und Alexia weiß nicht mehr ein noch aus. Da bietet ihr ausgerechnet der gutaussehende, kratzbürstige Ben Hilfe an. Darf sich Alexia darauf einlassen und vielleicht nicht nur den Auftrag, sondern auch ihr Herz riskieren? Sie weiß: nur mit einer großen Prise Weihnachtszauber wird es im Pub von Middledip ein frohes Fest geben…

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB

Seitenzahl: 503

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Sue Moorcroft

Mistelzweigzauber

Roman

Aus dem Englischen von Tatjana Kruse

FISCHER E-Books

Inhalt

PrologErstes KapitelZweites KapitelDrittes KapitelViertes KapitelFünftes KapitelSechstes KapitelSiebtes KapitelAchtes KapitelNeuntes KapitelZehntes KapitelElftes KapitelZwölftes KapitelDreizehntes KapitelVierzehntes KapitelFünfzehntes KapitelSechzehntes KapitelSiebzehntes KapitelAchzehntes KapitelNeunzehntes KapitelZwanzigstes KapitelEinundzwanzigstes KapitelZweiundzwanzigstes KapitelDreiundzwanzigstes KapitelVierundzwanzigstes KapitelFünfundzwanzigstes KapitelSechsundzwanzigstes KapitelSiebenundzwanzigstes KapitelAchtundzwanzigstes KapitelNeunundzwanzigstes KapitelDreißigstes KapitelEpilog

Prolog

»Ist das dein Ernst?« Ben starrte seine Mutter an.

Penny knetete nervös das Taschentuch in ihrer Hand. »Ich sage ja nur, dass dein Vater gesagt hat, dass nichts von all dem passiert wäre, wenn du dich nicht mit dieser Frau eingelassen hättest. Lloyd wäre nicht … da, wo er jetzt ist.«

Ben ließ sich auf das geblümte Sofa seiner Eltern fallen. Unter seinen verschwitzten Handflächen fühlte sich die Baumwolle kühl an. »Diese Frau heißt Imogen.«

»Ich kann deinen Vater irgendwie verstehen. In Didbury kennt jeder ihre Familie. Die Goodbodys vermehren sich wie die Karnickel, leben von der Stütze, und in ihrem Garten wuchert das Unkraut. Sie könnten aus einer Reality Show im Fernsehen stammen.«

»Imogen hat in ihrem ganzen Leben noch nie Stütze bezogen. Sie arbeitet hart im Vertriebsmanagement, obwohl sich die Leute wegen ihrer Herkunft das Maul über sie zerreißen.« Ben wusste nicht, was ihn mehr aufregte – die Vorurteile seiner Eltern oder dass er sich verpflichtet fühlte, Imogen zu verteidigen.

Seine Mutter ließ sich von seinem Einwand nicht abschrecken. »Die Goodbody-Männer sind Schnorrer, und die Goodbody-Frauen sind Schla…« Sie sah Bens Blick und entschied sich für eine vorsichtigere Formulierung. »Die Frauen treiben sich gerne rum. Wenn sie angeblich mit einer alten Freundin von der Uni ein Wellness-Wochenende gebucht hat, warum saß sie dann mitten in der Nacht bei Lloyd im Auto? Dein Vater hat dich gewarnt, dass du keine ruhige Minute haben würdest, wenn du sie heiratest. Warum bist du beruflich nur so viel unterwegs gewesen? Du bist so ein anständiger, aufrichtiger Mensch, aber konntest du wirklich nicht mal daran denken, dass das ein Spiel mit dem Feuer war? Wenigstens ist Lloyd ungebunden. Aber Imogen war mit dir verheiratet …«

Ben sprang auf. »Lloyd ist mein Bruder!« Er sollte sich mittlerweile daran gewöhnt haben, in jeder Hinsicht der ewige Zweite zu sein, aber auf gar keinen Fall würde er sich an diesem Chaos die Schuld geben lassen.

Penny vergrub das Gesicht in den Händen. »Und diese Tanten von Imogen laufen überall herum und stellen sie als unschuldiges Opfer dar. Sie verbreiten doch tatsächlich, du seist ein gefühlloser, kaltherziger Ehemann gewesen!«

»Glaubst du etwa, das weiß ich nicht? Die Tanten-Mafia stellt mich im Supermarkt jedes Mal zur Rede und will wissen, was aus ›in guten wie in schlechten Tagen‹ geworden ist. Ich habe sogar eine Weihnachtskarte bekommen, die an den ›Ehegelübde-Leugner Ben Hardaker‹ adressiert war!«

Nachdem er die Scheidung eingereicht hatte, wurde er auf der Straße buchstäblich angespuckt. Er hatte sich nie die Mühe gemacht, sich zu verteidigen, denn die Loyalität von Imogens Familie galt allein Imogen. Die hatten ja auch nie mitbekommen, wie Imogen zu ihm gesagt hatte: Ich glaube nicht, dass wir das zusammen durchstehen, Ben. Wenn du mir nicht vergeben kannst, dann musst du dich von mir scheiden lassen. Seine Frage, wie er ihr denn bitteschön vergeben solle, wo sie sich doch standhaft weigerte, ihm zu sagen, was genau in jener eisigen Oktobernacht passiert war, hatte sie so tief verletzt, dass sie nie mit irgendjemandem darüber gesprochen hatte.

Penny schluckte schwer. »Und jetzt setzen dir die Goodbodys so sehr zu, dass du alles verkaufst und von Didbury wegziehst.«

Das erinnerte Ben an die deprimierende Aufgabe, die durch dieses Gespräch unterbrochen worden war: Er musste seine Wohnung ausräumen. Und langwierige Telefonate mit Imogen darüber führen, was sie von ihren Brüdern abholen lassen wollte, kühle Telefonate, bei denen er versuchte, Haltung zu bewahren, während sich sein Herz verkrampfte.

Dasselbe Herz, das ihr nicht vergeben konnte.

Erschöpft ging er zur Tür. »Ich ziehe nicht wegen Imogens Familie weg, Mutter, sondern wegen meiner.«

Erstes Kapitel

Abrissparty der Gemeinde Middledip

Helft uns, den Angel-Pub auszuräumen,

damit daraus das Angel-Gemeindecafé entstehen kann,

und ihr bekommt zum Dank …

Bier und Grillwürste!

Samstag, 9. September

HEUTE!

Im Zuge der Abrissparty hatten begeisterte Dorfbewohner Müll und Gerümpel von Jahrzehnten aus dem einst prachtvollen Angel-Pub in bereitstehende Container verladen. Ein Großteil der fabelhaften Überbleibsel aus der viktorianischen Ära war ausgeräumt worden.

Alexia stieg auf eine Trittleiter in der ehemaligen ›guten Stube‹ des Pubs und machte über den Lärm hinweg eine Ansage. »Ich erkläre hiermit den Abriss für beendet! Und jetzt lasst uns feiern!«

Es wurde gejubelt, einige riefen »Danke, Alexia!«. Sie stieg von der Trittleiter und ignorierte die Woge an Menschen, die zu den Kühlboxen voller Bier brandete. Stattdessen sah sie sich in dem gänzlich leeren, so lange vernachlässigten Raum um. Die entzückenden alten Türen mit den Ätzglasscheiben waren ebenso wie die viktorianische Holztheke eingelagert worden. Dutzende flackernder Teelichter erhellten den Raum statt der Leuchtröhren, die schon entfernt worden waren.

Jemand hatte eine Dockstation für seinen iPod mitgebracht, und die Musik wummerte gegen die nackten Wände, von denen die rote Tapete mit den Nikotinflecken abgerissen worden war. Staubige Menschen plauderten vor dem Flipchart, auf dem Alexias Vision zu sehen war: die Verwandlung des Pub in das Angel-Gemeindecafé, inklusive der großen Eröffnung am Samstag vor Weihnachten. Der Zeitplan war eng, aber ganz abgesehen von den wirtschaftlichen Vorteilen gefiel Alexia die Vorstellung, das Angel-Café weihnachtlich geschmückt zu sehen. Engel und Weihnachten gehörten doch einfach zusammen, oder nicht?

Jodie, Alexias beste Freundin, stellte sich neben sie. Über ihre langen, dunklen Haare zog sich ein Spinnennetz. Sie drückte Alexia eine kalte Dose in die Hand. »Hier. Das hast du dir verdient.«

Alexia zog zufrieden an der Lasche. »Wir haben uns alle was zu trinken verdient. Ich liebe dieses Dorf. Vierzig Leute haben auf ihren freien Samstag verzichtet, nur um uns zu helfen.«

»Sie wünschen sich ein Gemeindecafé, und sie lieben Freibier!« Jodie hob ihre Stimme über den Lärm hinweg. »Shane sagt, er hat die Spiegel, Fliesen und die Ätzglasscheiben bei sich zwischengelagert, damit nichts zu Bruch geht, falls die Leute in Stimmung kommen. Er holt gerade die Würstchen und die Hackbällchen aus deinem Kühlschrank. Sollen wir jemanden suchen, der uns die Grills rausbringt? Seb muss hier irgendwo sein.«

»Nein, nicht Sebastian«, protestierte Alexia. »Ich kann jetzt keinen Ex gebrauchen, der mir an den Fersen klebt. Es muss noch einen anderen Dummen geben, der seine Freizeit dafür nutzt, die schweren Dinger rauszutragen.« Alexias Blick wanderte zu dem einzigen Menschen im Raum, den sie nicht kannte, einen Mann mit zerzausten, strohblonden Haaren. Sie hatte beobachtet, wie er die schwarzweißen Fliesen auf Shanes Truck geladen hatte. Die meisten Leute hatten bei der Arbeit geredet und Witze gerissen, aber der blonde Mann hatte nur gelegentlich etwas gesagt, und auch nur, wenn er direkt angesprochen wurde. Jetzt stand er allein für sich, lehnte mit staubigem T-Shirt und Jeans an der Wand. »Der da«, schlug Alexia vor.

Jodie folgte ihrem Blick. »Du bist seit zwei Minuten Single, und schon wirfst du ein Auge auf den grüblerischen Fremden?«

Alexia grinste. »Die Trennung ist jetzt vier Wochen her. Und was hat es für einen Sinn, Single zu sein, wenn man kein Interesse zeigen kann? Komm.« Sie nahm einen Schluck Bier gegen den Staub in der Kehle, dann ging sie auf den Mann zu, der müßig vier lachende Frauen beobachtete, die versuchten, auf dem Mörtel zu tanzen, auf dem die Bodenfliesen gelegen hatten. Kaum stand Alexia vor ihm, richtete er seinen Blick auf sie.

Sie stellte sich vor und schenkte ihm ihr charmantestes Lächeln. »Ich leite die Sanierung des Pubs. Das hier ist Jodie. Sie wird das Angel-Gemeindecafé führen, sobald es eröffnet.«

»Ich bin Ben.«

Alexia störte sich nicht weiter an der Kürze seiner Antwort. Vermutlich war es nicht einfach, der Einzige zu sein, der sonst keinen kannte. »Danke, dass Sie uns geholfen haben. Sind Sie der Neffe von Gabe Piercy?« Gabe war untypisch schweigsam gewesen, was seinen Neffen anging, als dieser in Middledip aufgetaucht war und strikt für sich blieb.

»Ja, genau.« Er nickte, und eine Strähne seines Haares fiel ihm ins Gesicht.

»Gabe hat Ihnen ja bestimmt erzählt, dass er den Angel-Pub gekauft hat, weil sich das Dorf kein Café leisten kann, außer es hätte einen gemeinschaftlichen Nutzen und …«

Ben beendete den Satz für sie. »… und darum hat er die Miete so weit gesenkt, dass das Café wirtschaftlich betrieben werden kann und der Buchklub und alle anderen Vereine hier einen Ort haben, an dem sie sich treffen können.«

Alexia trat einen Schritt zurück. Es gab ›grüblerisch‹, und es gab ›schroff‹, und ihrer Meinung hatte Ben gerade die Grenze vom einen zum anderen überschritten. »Tut mir leid, wenn ich Sie mit meinen Ausführungen langweile, aber das Haus ist unglaublich faszinierend, und ich freue mich riesig, dass es wieder zum Leben erweckt wird. Und falls Sie fürchten, dass Ihr Onkel über den Tisch gezogen wird«, fügte sie scharf hinzu, »das Dorf hat Geld für die Sanierung gesammelt. Gabe bekommt die Restaurierung zu fairen Preisen und darüber hinaus einen Anteil der Gewinne aus dem Café, der weitaus höher ausfallen wird, als wenn er das Geld einfach in der Bank hätte liegen lassen.«

Sie wollte sich gerade auf dem Absatz umdrehen und jemand Netteren suchen, der für sie die Grillgeräte heranschleppen würde, aber Ben streckte ihr rasch die Hand entgegen und schaute betreten drein. »Entschuldigung, tut mir leid. Ich bin genau wie Gabe ein wenig schrullig, schlimmer noch, ich bin schrullig, und heute ist noch dazu nicht mein Tag. Ich dachte gerade an etwas anderes, als Sie mich angesprochen haben.« Er brachte die Andeutung eines Lächelns zustande. »Lassen Sie uns noch einmal von vorn beginnen. Die Sanierung des Pubs ist ein tolles Gemeinschaftsprojekt. Gabe hat mir erzählt, dass Sie für die Projektleitung kein Geld verlangen.« Bevor Alexia dagegen protestieren konnte, dass Gabe als schrullig bezeichnet wurde, oder erklären konnte, warum sie kostenlos arbeitete, meldete sich Jodie zu Wort, um einen Anteil des Lobs abzugreifen. »Mein Freund Shane erledigt die Bauarbeiten zum Freundschaftspreis, weil ich die Geschäftspartnerin von Gabe in Sachen Café bin. Danke übrigens, dass Sie den Dschungel vor dem Haus gelichtet haben, jetzt können wir zum ersten Mal seit Jahrzehnten das Angel wieder von der Straße aus sehen.«

Jetzt, da Alexia daran erinnert wurde, vergab sie Ben seine Muffigkeit. Zweimal hatte sie bei Besuchen der Baustelle voller Freude gesehen, wie er in einem Klettergurt vom Dach hing, und sich gefragt, wie sein Gesicht unter dem Schutzhelm wohl aussehen mochte. »Wenn das so ist, dann sind Sie praktisch einer von uns langweiligen Freiwilligen, dann muss ich auch kein schlechtes Gewissen haben, wenn ich Sie anmache und bitte, mir mit den Grills zu helfen.«

Es trat eine kurze Pause ein, in der er sie perplex anstarrte. Dann: »Mich anmachen? Sagen Sie mir, wo’s langgeht.«

»Prima.« Sie wurde rot, weil sie wusste, dass ihr nicht nur rein zufällig anmachen statt ansprechen herausgerutscht war. Alexia führte ihn durch die Gruppen plaudernder Dörfler zu dem, was einst die Küche gewesen war, was man noch an zwei weißen Keramikspülen sah, beide gesprungen und rissig. Die drei geliehenen Grillgeräte standen mitten im Raum, als ob sie darauf warteten, zur Party eingeladen zu werden. »Der große Grüne hat Räder, die beiden anderen muss man tragen.«

»Sie beide rollen, ich trage.« Ben hob den abgewetzten Kugelgrill aus Stahl vom Boden, während Alexia und Jodie den grünen Grill durch die Seitentür nach draußen zogen. Bis sie den Grill durch das Unkraut gerollt hatten, das die Ausfahrt zuwucherte, hatte Ben bereits den zweiten Kugelgrill geholt.

Sie überlegten gerade, wo der Boden besonders eben war, als Shane mit den Lebensmitteln angefahren kam, die Alexia und Jodie am Tag zuvor gekauft hatten.

»Shane«, gurrte Jodie und hob die Arme in einer – dieser Tage vertrauten – Bewegung, um ihren Freund zu umarmen.

Shane sah gut aus, das musste Alexia zugeben. Seine kurzen Haare und sein markiger Unterkiefer passten zu seinem Körper, der aufgrund seines Jobs enorm durchtrainiert war. Aber er war nicht der stabile Einfluss, den Alexia sich für ihre langjährige Freundin gewünscht hätte.

»Tim kommt nicht?«, erkundigte sich Alexia.

»Nee, der hat zu tun. Komm her, meine Schöne.« Shane riss Jodie hoch und wirbelte sie herum, was sie zum Quietschen brachte.

Alexia konnte sich sehr gut vorstellen, dass der phlegmatische Tim lieber nach Hause ging als zu einer Party. Shane redete ohnehin genug für zwei.

»Also schön, das ist Gabes Neffe Ben. Er hat …«

Shane schüttelte Bens Hand, ohne den Rest von Alexias Vorstellung abzuwarten. »Alles klar bei dir, Kumpel?« Er strahlte jovial und half Ben, die Gasflaschen an die Grills anzuschließen und einen ramponierten Tisch für das Essen aufzustellen.

Alexia sah, wie Shane ein weiteres Bier für Jodie öffnete, obwohl sie kichernd protestierte, dass eins doch genug sei. Dann sah Alexia von den Lebensmitteln zu Ben, der sich nicht bei der ersten Gelegenheit vom Acker machte, wie sie das beinahe erwartet hatte. »Würden Sie einen Grill bedienen?«

Er zuckte mit den Schultern. »Warum nicht.«

Das Anheizen der Grills dauerte zwanzig Minuten, dann konnten sie ihre Positionen einnehmen und Burger wenden. Ben stand an dem Grill links von Alexia, Jodie auf der rechten Seite. Wenn sie nicht gerade mit Shane schäkerte. Sie schien bereits beschwipst, sie hatte sich vermutlich nicht an ihren Vorsatz gehalten, sich nur einen Drink zu genehmigen.

Alexia runzelte die Stirn. »Du hättest mehr Wasser trinken sollen, Jodie.« Sie wollte witzig klingen, nicht kritisch, aber Jodie spielte bereits Jenga mit den Würstchen.

Shane wedelte Alexias Besorgnis mit seiner Bierdose beiseite. »Es geht ihr gut. Dir geht’s doch gut, oder, Schätzchen? Es geht ihr bestens. Sie ist toll.« Er knabberte an Jodies Nacken, was sie prompt zum Kichern brachte.

Jodie ließ sich von ihm in den Schatten ziehen, um zu knutschen. Alexia schob die Jenga-Würstchen zurecht, damit sie tatsächlich gegrillt und nicht nur gestapelt wurden. Sie seufzte. »Wenn Jodie so weitermacht, hat sie morgen Kopfschmerzen.«

Ben hielt den Blick auf seinen Grill gerichtet. »Es ist ihr Kopf. Was Alkohol angeht, treffen die Leute ihre eigenen Entscheidungen und müssen mit den Konsequenzen leben.«

Alexia wusste nicht, ob die leichte Schärfe in seiner Stimme sich auf Jodies Schwips oder auf ihr Grummeln bezog. Aber da sie vermutlich nicht nur seinen, sondern auch Jodies Grill betreuen musste, fühlte sie sich dazu berechtigt, leicht zu protestieren. »He, Jodie, ich dachte, du hilfst beim Grillen? Shane, könntest du schon mal die Brötchen aufschneiden? Die Würste sind bald fertig.«

Widerstrebend kehrte Jodie auf ihren Posten zurück. Shane bedachte Alexia mit einem finsteren Blick, griff aber nach dem Brotkorb.

Gabe trat auf die Terrasse. Hinter ihm knarrte die einst so eindrucksvolle Eingangstür, von der jetzt der Lack abblätterte. Gabe schnupperte. »Ich rieche Würstchen, und mein Magen knurrt.« Er war bekannt für seinen silbernen Pferdeschwanz und seine exzentrische Kleiderwahl. Nebst seinem hungrigen Gesichtsausdruck trug er an diesem Tag ein elegantes Oberhemd, das er in eine Jogginghose gesteckt hatte.

Alexia grinste. »Die erste Ladung ist gleich fertig.«

Gabe drehte sich rasch um. »Ich gebe allen Bescheid.«

Wenige Sekunden später strömten hungrige Dorfbewohner mit Papptellern herbei, auf die sie Kohlenhydrate und Cholesterin häufen wollten. Fett zischte, und Alexias Augen fingen an zu brennen, weil der Rauch angesichts der Menschenmassen nicht mehr abziehen konnte. »Aua.« Sie versuchte, sich mit dem Ärmel über das Gesicht zu wischen.

»Hier.« Ben reichte ihr eine Küchenrolle. Dabei lächelte er so flüchtig, dass sie es fast nicht mitbekommen hätte.

Es glättete seine gerunzelte Stirn und ließ sie beinahe die Warteschlange vergessen. »Danke.« Sie erwiderte sein Lächeln. Vielleicht brauchte Ben einfach eine Weile, bis er unter fremden Menschen auftaute. Vielleicht …

Aber da lenkte eine vertraute Stimme ihre Aufmerksamkeit auf sich. »Alexia, du siehst gut aus.«

Alexia fuhr zusammen. Sie hatte den hochgewachsenen Mann, der jetzt vor ihrem Grill stand, gar nicht bemerkt.

»Seb! Ich sehe doch aus wie durch den Fleischwolf gedreht.« Sie versuchte, keine Schuldgefühle zu haben, als sie das Kompliment ihres Exfreundes mit einem Lachen abtat. »Möchtest du einen Burger?«

»Ja, bitte.« Sebastian hielt ihr seinen Teller hin. »Soll ich dich nachher nach Hause begleiten?«

Alexia wurde das Herz schwer. Sebastian erinnerte sie immer an einen freundlichen Grizzlybären, mit seinem braunen Haar und seinen breiten Schultern, aber er verhielt sich mehr wie ein Hütehund. »Danke, nicht nötig.«

»Hast du denn schon was vor?«

»Weiß ich noch nicht.«

»Ich frag dich einfach später nochmal.«

Alexia widerstand dem Drang, herauszuplatzen: »Wir sind nicht mehr zusammen, also sei gefälligst nicht so besitzergreifend.« Stattdessen wies sie ihn mit leichter Hand ab. »Nett von dir, aber du weißt doch, dass hier im Dorf niemand eine Begleitung braucht.« Sie sah zum nächsten Wartenden in der Schlange. Zögernd ging Sebastian weiter.

Ben legte mit seiner Zange Würste auf die Teller der Hungrigen, die wie auf einem Fließband an ihm vorbeirollten. »Er hat einen schwermütigen Blick, Sie sind angespannt. Ist das Ihr Exfreund, der Sie immer noch anschmachtet?«

Alexia sah nach, ob Sebastian schon außer Hörweite war. »Gut geraten. Er ist ein wirklich netter Kerl, und ich kenne ihn schon ewig, aber …« Sie seufzte, wusste nicht, wie sie es ausdrücken sollte. Er ist zu nett, zu bieder, zu unaufregend, er erstickt einen förmlich – würde sie herzlos klingen lassen. »Ich bin gerade in einer Phase des Aufbruchs und hoffe, das Dorf bald zu verlassen und mich neuen Projekten in London zuzuwenden. Sebastian dagegen …«

Ben zuckte mit den Schultern. »Wenn Sie mit jemandem nicht zusammensein wollen, dann seien Sie es nicht. Das erfordert keine Rechtfertigung.«

Alexia hielt im Öffnen einer neuen Burgerpackung inne, versuchte, seine plötzlich abweisenden Gesichtszüge zu deuten. »Stimmt«, meinte sie vorsichtig. »Stimmt aber auch wieder nicht. Schon gar nicht bei diesem ›Jemand‹, der offenbar jedes Mal, wenn wir uns begegnen, neu daran erinnert werden muss.«

»Wenn Sie von hier weg sind, wird es leichter.« Ben verteilte weiter Würstchen.

Die Dorfbewohner, mit denen Alexia aufgewachsen war, zogen an ihr vorbei, tratschten ein wenig oder neckten sie. Alexia reagierte gutmütig auf beides und grillte weiter. Bis eine zierliche Frau sich vor ihrem Grill aufbaute und Alexia unter ihrem strengen, blonden Pony finster anstarrte. »Kein Fisch?«

Alexia lächelte, hoffte, das würde jetzt nicht zu einer weiteren unangenehmen Begegnung führen. »Hallo, Carola. Tut mir leid, wir haben keinen Fisch. Wie nett, dass du heute mitgeholfen hast.« In Wirklichkeit hatte Alexia Carola keinen Finger krümmen sehen. Während der Spendensammlung war ihr Carola stets ein Dorn im Auge gewesen. Alexia war sicher, dass Carola nur hier war, um über alles die Nase zu rümpfen.

»Ich esse so gut wie kein Fleisch.«

»Dann vielleicht einen vegetarischer Burger?«

»Nein. Ich nehme zwei Würstchen – wenn du welche hast, die nicht völlig verkohlt sind.«

Alexia beschloss, nicht darauf hinzuweisen, dass die Würstchen nicht vegan waren. Sie gab einfach zwei davon auf Carolas Teller, und die Schlange bewegte sich weiter. Und immer weiter.

»Hallo, Alexia!«, sagte ein großer Mann mit einem schwermütigen Gesicht.

»Hallo, Mr. Carlysle. Ein Würstchen?« Nicht viele Dorfbewohner nannten den Besitzer des größten Anwesens beim Vornamen. Es war immer ›Mr. Carlysle‹ oder, mit vollem Namen, ›Christopher Carlysle‹. Er gehörte zu denen, die nicht auf dieser Party waren, weil sie mitgearbeitet hatten. In seinem Fall ging es darum, Gesicht zu zeigen auf einem Event, zu dem er eine vage Verbindung hatte.

»Sehr schön, sehr schön. Und bitte noch ein Würstchen für Mrs. Carlysle. Sie muss hier irgendwo sein.« Er hielt ihr einen zweiten Teller hin, dann wechselte er ein paar Worte mit Ben und ging weiter.

Einige Leute holten Nachschlag oder kamen sogar ein drittes Mal vorbei. Alexia gewöhnte sich allmählich daran, dass Ben an ihrer Seite war. Die Dorfbewohner wollten ihn zum Reden bringen, aber obwohl er immer freundlich antwortete, hielt er stets auf Distanz.

Alexia bediente ihren Grill und den von Jodie, da Jodie mehr Interesse daran hatte, Shane zu küssen als Würstchen auszuteilen. Alle drei Grills waren so gut wie restlos leergeräumt, bevor auch die Letzten satt geworden waren.

Shane und Jodie brachen eng umschlungen auf, so eng, dass sie aussahen, als absolvierten sie ein Drei-Bein-Rennen. Shane strahlte. »Ich bringe diese wunderschöne Frau jetzt zu Bett, Lexia. Und ich entschuldige mich schon vorab, wenn du weißt, was ich meine?« Er zwinkerte ihr übertrieben zu, während er Jodie die Auffahrt entlangführte.

»Leider weiß ich das nur zu gut«, murmelte Alexia und sah ihnen nach, wie sie über die Cross Street schwankten. Dann richtete sie ihre Aufmerksamkeit wieder auf ihren Grill und legte die letzten Burger und Würstchen auf den glühenden Gitterrost. »Gerade noch genug für uns beide.«

Ben machte die anderen beiden Grills aus und steckte dann die Hände in die Hosentaschen, während sie die Würstchen in einem Strahlenkranz um die Burger arrangierte. »Sie wirkten nicht allzu begeistert über Shanes Bemerkung.«

Alexia warf ihm einen Blick zu. »Jodie wohnt momentan bei mir im Haus.«

»Aha.« Ihm blitzte der Schalk aus den Augen.

Alexia bekam rote Wangen. »Aber immerhin haben sie den Truck von Shane hier stehen lassen und sind nicht zu seiner Wohnung gefahren.«

Jeder Rest von Schalk und Heiterkeit verschwand aus Bens Blick. »Fahren und Alkohol sind keine gute Kombination. Dann teilen Sie und Jodie sich also ein Haus?« Jetzt, da sie von weniger Leuten umgeben waren, schien er bereit zu plaudern.

»Erst seit ein paar Monaten, seit Jodies Ehe zu Bruch ging. Wir sind schon von klein auf befreundet.« Unter dem Vorwand, eine neue Rolle Küchenpapier anzureißen, sah Alexia über ihrer Schulter nach, ob Sebastian irgendwo im Schatten seinen Burger aß, dann fügte sie hinzu: »Seb wollte unbedingt bei mir einziehen, darum war dieses Arrangement sowohl für Jodie als auch für mich vorteilhaft. Mit Shane habe ich allerdings nicht gerechnet, aber Jodie meint, diese heiße ›Affäre‹ wäre bestens geeignet, ihr über ihren Ehemann hinwegzuhelfen.«

Unter seinen widerspenstigen Haaren wurde der Blick von Ben nachdenklich. »Und? Funktioniert es?«

Alexia zuckte mit den Schultern und klopfte einen Burger platt. »Es hat sie ziemlich mitgenommen, als Russ sie verließ, und Shane scheint sie aufzuheitern. Ich wünschte nur, er würde sie nicht ständig zum Trinken animieren. Er muss hier draußen irgendwo Bier gelagert haben, ich habe nicht mitbekommen, dass einer von ihnen ins Haus gegangen ist und neue Dosen geholt hat.«

Sie erwähnte nicht, dass Jodie zu Stimmungsschwankungen neigte. Als Alexia einmal zu Shane sagte, dass Alkohol diese Neigung noch verstärkte, hatte er sie angeschnauzt, sie solle doch bitte keine solche Spaßbremse sein.

Ben schnitt zwei Brötchen auf und legte sie auf ihre Teller. »Die Würstchen sehen gut aus. Ich hab echt Hunger.« Er zog zwei Hocker heran, entfernte mit einem imaginären Taschentuch schwungvoll den Staub, dann ging er ins Haus und kam mit zwei Dosen Bier zurück.

Alexia ließ sich auf einen der Stühle sinken und merkte jetzt erst, wie sehr ihre Füße schmerzten. Obwohl fast alle anderen ins Haus gegangen waren, weil es draußen allmählich kühl wurde, machte es die Restwärme der Grills angenehm, im Freien zu essen. Sie nahm einen Schluck Bier. »Das ist aber mein letztes.«

Ben hielt inne, die Wurstsemmel auf halbem Weg zu seinem Mund. »Glauben Sie ja nicht, ich wolle Sie betrunken machen. Es gibt drinnen auch Limonade, wenn Sie wollen. Ihr Ex hat mich übrigens finster angestarrt, als ich mir zwei Dosen griff.«

Sie musste lachen, dann stöhnte sie auf. »Ich hoffe, er kontrolliert uns jetzt nicht! Jedes Mal, wenn ich ihn sehe, wird mir klar, wie gern ich Single bin.«

Ben sah sie ein paar Sekunden ohne zu lächeln an. »Sie haben mir heute vieles mit auf den Weg gegeben, worüber ich nachdenken werde: über Affären, die einem guttun, und über die Freuden des Ungebundenseins.«

Sein Gesichtsausdruck war so seltsam, dass Alexia nicht wusste, was sie darauf antworten sollte.

Er spürte ihre Verwirrung und lächelte halbherzig. »Meine Frau und ich haben uns vor kurzem getrennt. Es würde mir mein Leben sehr erleichtern, wenn ich lernen könnte, wie man gern Single ist.«

Zweites Kapitel

Alexia legte ihren Burger zur Seite. »Es tut mir leid, falls ich etwas Falsches gesagt habe. Klang ich selbstgefällig oder blasiert?«

Er lächelte, wenn auch etwas bemüht. »Es war erfrischend anders. Man betrachtet die Dinge allzu oft immer aus derselben Perspektive.«

»Sie tragen Ihren Ehering nicht mehr.«

»Ich habe ihn ohnehin nur selten getragen. Er stellt ein Sicherheitsrisiko dar, wenn man in einem Baumwipfel mit einer Kettensäge hantiert.«

Sie schwiegen, kauten ihr Essen, tranken Bier. Immer mehr Leute kamen aus dem Haus und verabschiedeten sich. Diejenigen von ihnen, die mitdachten, warfen ihren Abfall in die bereitgestellte Mülltonne. Alexia erwiderte die Abschiedsgrüße der Dorfbewohner und leckte sich einen Rest Ketchup von den Fingern. Es überraschte sie zwar, dass es schon nach elf Uhr war, aber sie verspürte nicht den Drang, nach Hause zu gehen.

Sebastian kam heraus und zögerte.

»Gute Nacht, Seb«, rief sie etwas zu fröhlich und hoffte, es würde keine Wiederholung des »Kann ich dich nach Hause bringen?«-Gesprächs geben.

Mit einem kurz angebundenen »Nacht« verschwand Sebastian in die dunkle Zufahrt. Alexia bekam Gewissenbisse, als sie seine herabhängenden Schultern sah. Vermutlich hatte Ben recht – es würde einfacher werden, sobald sie ihre Pläne umsetzte und das Dorf verließ.

Gabe tauchte mit einer Schachtel leerer Bierdosen auf. »Die bringe ich zum Recycling.« Er sah zum Haus zurück. »Da drin wirkt es jetzt beängstigend leer. Du wirst doch wieder was Schönes draus machen, oder?«

Alexia musste lachen. »Lass mir Zeit bis Weihnachten. Es ist nur so leer, weil Shane und Tim aus Sicherheitsgründen die alten Holzvertäfelungen eingelagert haben.«

Gabe zog in gespielter Ernsthaftigkeit die Augenbrauen hoch. »Ich gebe dir bis Samstag vor Weihnachten. Dann ist die große Eröffnung.«

Alexia ignorierte Ben, der etwas murmelte, was wie »Verdammt, ist denn schon wieder Weihnachten?« klang, und grinste Gabe an. »Bis Samstag vor Weihnachten. Die Fliesen werden neu gelegt, und der Kamin wird restauriert. Es wird eine umwerfende Weihnachtsdeko im viktorianischen Stil geben, mit Stechpalmen und getrockneten Orangen auf dem Kaminsims. Die Viktorianer mochten zu Weihnachten auch Perlschnüre – es wird absolut großartig aussehen!«

»Ich wusste doch, dass ich mich auf dich verlassen kann.« Gabe tätschelte ihre Schulter. Sie wünschten sich eine gute Nacht, dann marschierte Gabe davon.

 

Alexia warf Ben einen Blick zu. Sein Gesicht wurde nur vom Licht erhellt, das durch die Küchenfenster fiel. »Sie können ruhig ebenfalls gehen und Gabe nach Hause begleiten. Ich räume hier noch auf.« Um Shane und Jodie Zeit zum Einschlafen zu geben, wollte sie nur zu gern noch eine Weile bleiben. Sie fand die Verwandlung des frisch ausgeweideten Pubs in ein Café spannend. Morgen würde sie ihren Fotoapparat mitbringen und Aufnahmen für ihr Portfolio machen. Das war ein wichtiges Projekt für sie, und es wäre gut, diesen leergefegten Zwischenstatus im Bild festzuhalten.

Ben wischte sich die Hände ab. »Ich wohne nicht bei Gabe, sondern in einem Cottage auf dem Gut der Carlysles.«

Alexia setzte einen interessierten Gesichtsausdruck auf, obwohl sie das bereits wusste. In Middledip wusste jeder alles. »Ein Cottage auf dem Gut?« Auf dem Anwesen der Carlysles waren zahlreiche Dorfbewohner beschäftigt, und manche von ihnen wohnten auch dort.

»Nein, im Woodward Cottage am See. Ich konnte Christopher Carlysle überzeugen, dass das für meinen Job notwendig ist.«

»Ich war zuletzt als Teenager im Woodward Cottage. Es war dermaßen heruntergekommen, dass ich mir nicht vorstellen kann, wie heute noch jemand darin wohnen möchte.«

»Offenbar hat Mr. Carlysle Subventionen bekommen und konnte es wieder herrichten. Ihm schwebte vor, dass der Gutsverwalter dort wohnen sollte, aber der hat eine Frau mit zwei pubertierenden Kindern geheiratet, und es gibt im Cottage nur ein einziges Schlafzimmer. Ich wohne jetzt seit ungefähr einem halben Jahr dort.«

»Ein halbes Jahr schon? Es überrascht mich, dass Gabe uns noch nicht bekannt gemacht hat. Ich habe Sie im Dorf nie gesehen, außer wenn Sie mal in den Baumwipfeln hängen.«

Er rieb sich die Nase. »Ich wollte für mich sein.«

Alexia konnte sich gut vorstellen, dass Ben jemand war, der es gut mit sich allein aushielt. Er strahlte die Aura eines Menschen aus, der nicht auf andere angewiesen war. »Ich glaube, neulich wurde im Pub über Sie gesprochen. Sie haben eine zahme Eule als Haustier? Die Jungs kamen zu dem Schluss, dass Sie ein Zauberer sein müssen.«

Der Anflug eines Lächelns zog über sein Gesicht. »Ich habe Barney das Leben gerettet. Eulen sind keine Haustiere. Gabe hat ihn am Waldrand gefunden. Er war aus dem Nest gefallen und hatte sich schwer am Flügel verletzt. Er wird niemals fliegen oder jagen können, darum habe ich ihn bei mir aufgenommen. Wenn ich mich nicht gerade um Barney kümmere, bin ich Baumarzt. Früher hatte ich meine eigene Firma, aber ich habe alles verkauft, bevor ich hergezogen bin. Die Wälder waren nicht so gepflegt, wie sie es sein sollten, darum hat Gabe ein gutes Wort bei Christopher Carlysle für mich eingelegt, und jetzt arbeite ich für die Carlysles. Ich ziehe gern in Ruhe mein Ding durch, und genau solche Mitarbeiter schätzt Mr. Carlysle.« Ben stand auf und trug seinen Stuhl zum Container.

Alexia begriff, dass er das Gespräch für beendet hielt. Sie stand ebenfalls auf und sammelte die Pappteller ein, während Ben die Gasflaschen aus den Grillgeräten nahm.

Sie gingen in den Pub und trafen auf die letzten Nachzügler, die gähnend in die Nacht hinaustraten. Alexia schaltete das Deckenlicht ein und drehte eine Runde, um alle Teelichter auszupusten. »Ich erkläre hiermit die Middledip Abrissparty zu einem vollen Erfolg!«

Ben fuhr mit den Fingerspitzen über einen klaffenden Riss im Gipsverputz. »Fangen die Sanierungsarbeiten in Kürze an?«

»Die Elektriker und Klempner kommen am Montag. Gleichzeitig säubern Shane und Tim die Fliesen, die man wiederverwenden kann. Glücklicherweise sind die Fenster und Türen in Ordnung und auch die meisten Gipsleisten.« Sie sah sich im Schankraum um. Aufgrund des ausgebauten Kamins erinnerte die hintere Wand an einen Mund mit einer großen Lücke im Gebiss.

Ben ging zum Flipchart. »So soll das Ganze einmal aussehen?«

Sie trat zu ihm, warf ihm dabei rasch einen Blick zu, um zu prüfen, ob er nicht einfach nur höflich sein wollte – nicht dass er den Eindruck vermittelte, sich groß um Etikette zu kümmern. »Ja, das ist der Ablaufplan für das Projekt. Die Fotos zeigen den Pub, wie er aussah, als Gabe ihn kaufte. Der Plan reicht bis zu meiner Vision, wie das fertige Café am 23. Dezember aussehen soll. Meine 3D-Zeichnungen dienen als Modelle, und die 2D-Zeichnungen bilden den Grundriss ab. Die angehefteten Farbmuster machen alles etwas hübscher.« Ihr Herz klopfte kurz etwas heftiger, weil das Projekt nun endlich in Gang kam.

»Für so ein Dorf wie das unsere ist eine viktorianische Villa natürlich ziemlich pompös. Als Middledip in den Achtzigern durch die großen Umleitungsstraßen den Anschluss verlor, lohnten sich zwei Pubs nicht mehr. Nur das Three Fishes hat überlebt. Kurz nachdem das Angel geschlossen wurde, starb der Wirt, und seine Frau wohnte noch über zwanzig Jahre lang allein hier im Haus. Schließlich starb sie ohne Testament, und man musste entfernte Cousins ausfindig machen, die das Haus erbten. Es dauerte seine Zeit, bis das Gebäude auf den Markt kam, und dann schien keiner sein Potential zu erkennen.«

Sie sah zu den herrlichen Stuckrosen an der Decke, an der große Glaslampen hingen, bis Shane sie abgenommen hatte, um sie einzulagern. »Es hat mich erstaunt, dass keiner die Villa allein schon wegen der baulichen Schätze gekauft und an einen Bergehof verkauft hat. Die Ziegelaufbauten an der Vorderseite müssen ein Vermögen wert sein. Vielleicht war das Grundstück auch einfach so sehr zugewuchert, dass alle Welt das Angel völlig vergessen hat.«

»Bis Onkel Gabe beschloss, sein Neffe, der Baumchirurg, solle das wuchernde Grünzeug entfernen.«

»Ja, es hat ganz den Anschein, als wären Sie sehr nützlich gewesen«, gab sie ihm recht. Es freute sie, als er ihr Lächeln erwiderte, wenn auch nur halbherzig. Sein normaler Gesichtsausdruck schien ein finsterer zu sein. »Ein Glück, dass Gabe nicht nur wusste, dass es das Angel gab, sondern dass er auch bereit war, in das Gebäude zu investieren, damit das Dorf endlich ein Café bekommt. Und gut, dass durch die Spendenaktion noch mehr Geld zusammenkam. Sonst wäre das Angel vermutlich irgendwann einfach in sich zusammengefallen.«

»Sehr großzügig von den Dorfbewohnern, etwas beizusteuern.«

»Den Ausschlag gab, dass unser Gemeindesaal geschlossen werden musste, weil die Dachbalken verrottet waren. Es wird ein Vermögen kosten, den Gemeindesaal zu sanieren, weitaus mehr, als die Sanierung des Angel. Das Komitee zur Sanierung des Saales muss jetzt mühsam Subventionen beantragen und bei der Kreisverwaltung um Geld betteln. Wir konnten dagegen gleich aktiv werden.«

Er hob eine Braue. »Pech für den Gemeindesaal.«

»Ich komme mir schon recht treulos vor, weil ich auf so vielen Partys im Gemeindesaal war. Aber man kann von Glück reden, wenn der neue Gemeindesaal zu Weihnachten in zwei Jahren eröffnet werden kann. Weil sie all den Gruppen und Vereinen, die sich bislang im Gemeindesaal getroffen haben, eine Versammlungsmöglichkeit bieten können, konnten Jodie und Gabe es Gemeindecafé nennen und Gelder dafür sammeln.« Alexia führte Ben durch eine Tür in einen Nebenraum. »Das ist der sogenannte ›Schankraum für die armen Verwandten‹, in die Glasscheibe der Tür ist ›Öffentlich‹ eingeätzt, man kann es sehen, wenn die Tür da hängt, wo sie hängen soll …« Sie betätigte einen Schalter, als sie eintraten, und eine Leuchtröhre erwachte flackernd zum Leben. An der Wand fanden sich noch Reste der Raufasertapete, die Zeugnis davon ablegte, dass dieser Nebenraum nicht für wert erachtet worden war, den roten Anstrich des großen Schankraumes zu bekommen. »Hier wurde gekegelt und Darts gespielt. Der Raum ist kleiner, eignet sich aber bestens für Vereinstreffen.«

Ben sah sich in dem leeren Raum mit den verschrammten Holzdielen um. »Ich wundere mich, dass die Verantwortlichen für die Gemeindesaalrenovierung nicht verlangt haben, die Gelder, die Sie gesammelt haben, sollten ihnen zugutekommen.«

»Genau das ist leider passiert«, räumte Alexia betreten ein. »Den Vorsitz im Komitee für die Sanierung des Gemeindesaals hat die formidable Carola inne. Das ist die, die am Grill Fisch verlangte. Sie ist total gegen das Gemeindecafé und sagt, wir hätten die Dorfbewohner niemals um Geld für ein Gebäude und ein Café bitten dürfen, das einer Privatperson gehört. Aber wir haben ja niemanden unter Druck gesetzt. Der Gemeindesaal und das Angel-Café stehen in keinerlei Beziehung zueinander, und wir – Gabe, Jodie, ich und Ihr Chef Christopher Carlysle, die wir die Verantwortung für die Finanzierung des Gemeindecafés übernommen haben – werden die Kohle ganz sicher nicht Carola aushändigen.«

In Bens Augen blitzte etwas auf. »Wenn ich nicht selbst aus einem Dorf stammen würde, wäre ich angesichts solcher Intrigen überrascht.« Sein Handy piepte, er zog es heraus und stellte den Ton ab. »So interessant, wie das auch ist, ich muss jetzt nach Hause. Das war der Alarm, der mich daran erinnern soll, Barney sein Abendessen zu verabreichen.«

»Ja klar, Sie müssen ihn füttern.« Alexia spürte den Anflug von Enttäuschung, dass er sie verlassen wollte. Ganz zu schweigen davon, dass sie nun nicht weiter über ihr Lieblingsprojekt reden konnte. Sie ermahnte sich, nicht so idiotisch zu sein. »Ich bleibe noch ein bisschen und schließe dann ab.«

Er zögerte. »Ganz allein?«

Sie verdrehte die Augen. »Fangen Sie nicht auch noch an! Ich könnte mit den Händen voller Geld nachts durch Middledip laufen, und es würde nichts passieren. Ehrlich, wenn ich so weit bin, gehe ich nach Hause.«

»Sie wollen Ihren Freunden noch ein wenig Zeit geben, sich auszutoben?« Er lächelte etwas schräg, und seine Augen funkelten im Licht der Neonröhre.

Alexia spürte, wie sie rot anlief. »Genau das ist mein Plan.«

»Können Sie die beiden nicht einfach bitten, etwas mehr Rücksicht zu nehmen? Es ist schließlich Ihr Haus.«

»Das könnte ich, aber wenn meine Karriere so verläuft, wie ich das plane, dann ziehe ich zu Silvester aus, und Jodie hofft, dass Shane dann in meine Wohnung einzieht. Und die Mieteinnahmen für zwei Wohnungen werden mir das Leben beträchtlich erleichtern.«

Seine grauen Augen musterten sie nachdenklich. Fast beiläufig sagte er: »Ich darf Barney nicht hungern lassen. In seinem Alter muss er dreimal täglich gefüttert werden. Sie könnten mitkommen und ihn kennenlernen. Das würde Sie eine Stunde lang beschäftigen, bis Sie nach Hause können.«

Alexia ging in sich. Es war ja nicht so, als wüsste sie nicht, wie sie sich im Pub ein oder zwei Stunden beschäftigen könnte, aber die Vorstellung eines Abendspaziergangs durch den Wald mit diesem Mann reizte sie. Er bezeichnete sich als ebenso schrullig wie sein Onkel Gabe, aber zufälligerweise war Gabe einer der nettesten Menschen, die sie kannte. Ihre Pläne für das Angel konnten warten. »Ich würde Barney sehr gern kennenlernen und sehen, was aus dem Woodward Cottage geworden ist.«

Sie brachten die abkühlenden Grills in die Küche, für den Fall, dass es anfangen sollte zu regnen, und Ben wartete, bis Alexia die Eingangstür versperrt hatte. Dann spazierten sie gemeinsam in das still daliegende Dorf.

Ben blieb stehen. »Wir könnten die Straße entlanggehen, aber das sind gut zwei Kilometer. Der Fußweg ist wesentlich kürzer, wenn Sie sich nicht vor der Dunkelheit fürchten. Ich habe ein Handy mit Taschenlampenfunktion.«

Alexia lachte über die Vorstellung, sie könnte sich fürchten. »Ich bin hier aufgewachsen. Ich kenne mich auf den Schleichwegen aus, und mein Handy verfügt ebenfalls über eine Taschenlampenfunktion.« Etwas keimte in ihr auf. Aber es war nicht Furcht.

 

Sie hielten sich rechts und überquerten die Port Road. Am Ende des Gehwegs aktivierte Ben die Taschenlampe in seinem Handy und betrat den Reitweg, Alexia tat es ihm gleich. Die gleißenden Lichter erhellten den Trampelpfad und die Vegetation, die bald schon die Zäune zu beiden Seiten des Weges ersetzte. Insekten schwirrten durch das Licht, als fürchteten sich vor dem, was die Menschen vorhatten.

Was genau hatte er vor?

Ben warf Alexia einen Blick zu. »Sind Sie sicher, dass Sie nicht lieber die Straße nehmen möchten?«

Im Schein der Lichter sah er, wie sich ihre Brauen hoben. »Wie bitte, lieber zwei Kilometer laufen als einen? Die Reitwege sind sicher.« Sie erinnerte ihn mit ihren dunklen Locken und dem verschmitzten Lächeln an die Cartoon-Figur Betty Boop. Und mit ihren Rundungen.

Sie besaß darüber hinaus eine lockere Selbstsicherheit und Selbständigkeit, die ihn begreifen ließ, warum ihr Exfreund mit seinem Verhalten sie so auf die Palme brachte.

»Na gut, wenn Sie meinen.« Er ging weiter, beschloss, das alles als seltsames Ende eines merkwürdigen Tages hinzunehmen.

Der Tag hatte schlecht angefangen.

Als er seine Post öffnete, fand er darin sein vorläufiges Scheidungsurteil.

Ein schlichtes, weißes Blatt Papier. Anfangs hatte er es gar nicht gleich begriffen. Er stand auf der Terrasse des Woodward Cottage und las die Worte, die sein Versagen und seinen Verlust symbolisierten. Trauer wallte in ihm auf, und er hätte am liebsten alles kurz und klein geschlagen. Was mit ein Grund gewesen war, warum er Gabes Drängen nachgegeben hatte und mit zur Abrissparty gegangen war.

Er hatte Sachen in die Container geschmettert, als ob jede verbogene Vorhangstange und jeder angeschlagene Spiegel schuld am Ende seiner Ehe gewesen wäre. Eigentlich wollte er hinterher nur noch auf einen Drink bleiben, um den Staub aus seiner Kehle zu schwemmen, aber dann hatte plötzlich Alexia vor ihm gestanden, mit ihren großen Augen und ihrem breiten Lächeln, und hatte ihre Freundlichkeit wie eine Rakete auf ihn abgeschossen. Als er versuchte, sie mit Rüpelhaftigkeit abzuschrecken, entschuldigte er sich zu seiner Überraschung in derselben Sekunde, als er sah, wie gekränkt und bestürzt sie reagierte.

Und als ihr ansteckendes Lächeln ihn wissen ließ, dass sie ihm verzieh, da hatte sich das angefühlt, als sei einer seiner inneren Knoten der Anspannung geplatzt.

Alexia strömte Fröhlichkeit aus zu einer Zeit, als er längst vergessen hatte, was Fröhlichkeit war. Zum ersten Mal spürte er wieder einen Zugang zu jenem fernen, halbvergessenen Ben, dem Ben, der sich noch zu amüsieren wusste, der zu Weihnachten gern unter Menschen war, anstatt sie alle zur Hölle zu wünschen, wie in den vergangenen zwei Jahren.

Im Laufe des Abends hatte er ihre Gesellschaft immer mehr genossen. Er wollte alles über sie erfahren, interessierte sich für das, was sie zu sagen hatte.

Ihretwegen hielt er zu guter Letzt das vorläufige Scheidungsurteil nicht für ein Symbol des Versagens, sondern der Freiheit. Ein seltsamer, verrückter Instinkt hatte urplötzlich die Einladung ins Woodward Cottage aus seinem Mund purzeln lassen, und vermutlich hatte er dabei genauso überrascht gewirkt wie sie.

Vielleicht war es ja ein Grundbedürfnis, aber dennoch ging ihm eine alarmierende Frage nicht mehr aus dem Kopf: Hatte er es noch drauf? Seit acht Jahren hatte er mit niemand anderem geschlafen als mit Imogen. Zwei Jahre hatte er in seinem inneren Labyrinth aus Schmerz und Trauer überhaupt nicht an Sex gedacht. Merkwürdig, dass der Drang jetzt so nachdrücklich erwachte, und zwar dermaßen heftig, dass er sich richtiggehend zwingen musste, an etwas anderes zu denken.

Die Frau neben ihm, mit ihrem Lächeln und dem hautengen T-Shirt, richtete ihre Aufmerksamkeit auf ihn. Sie war nicht die einzige Frau, die das getan hatte, seit ihm Imogen und Lloyd das Herz aus dem Leib gerissen hatten … nur die Einzige, auf die er reagierte.

Er war Manns genug, um sich selbst gegenüber zuzugeben, dass ihre Bindungsfeindlichkeit und ihr Ziel, das Dorf in naher Zukunft zu verlassen, für ihn einen zusätzlichen Reiz darstellten.

Er räusperte sich. »Erzählen Sie mir mehr über Ihre beruflichen Pläne.« Er mochte ein wenig eingerostet sein, aber er war sich ziemlich sicher, dass es ein schlauer Schachzug war, mit einer Frau über sie selbst zu sprechen.

Alexia machte einen kleinen Hüpfer, als ob das Thema ihr Schwung verlieh. »Ich bin Innendekorateurin.«

»Malen und Tapezieren?« Er konnte sich gut vorstellen, wie sie auf einer Leiter stand und eine Farbwalze rollte. Sie schien sich auf der Abrissparty wohl dabei zu fühlen, sich die Hände schmutzig zu machen.

»Nein, das machen Raumausstatter. Ich lege natürlich auch mal Hand an, aber in erster Linie verwalte ich, präsentiere Ideen und Konzepte und lasse Dekorationen nach Maß anfertigen oder organisiere Einzelstücke. Normalerweise überlegen sich Haushaltsvorstände, was ihnen gefällt, besorgen sich das Material und machen alles selbst. Ich bin die Alternative – ich arbeite mit meinen Klienten zusammen, mache ihnen Vorschläge und helfe ihnen, zu einer Entscheidung zu gelangen. Dann realisiere ich die gemeinsamen Pläne, entweder mit Sub-Unternehmern oder indem ich es selbst mache. Manchmal dekoriere ich nur einen einzigen Raum neu, aber ich habe auch sehr viel größere Projekte, vor allem, wenn es um Sanierungen geht. Ich habe sehr darauf geachtet, mir ein phantastisches Netzwerk an Handwerkern aufzubauen, die gern mit mir arbeiten, weil ich ihnen zuhöre und ihre Fertigkeiten angemessen einsetze. Wissen Sie, wie sehr Handwerker im Allgemeinen unterschätzt werden? Vor allem von Architekten und Designern?«

Sie bogen rechts ab, und Alexia kletterte über den Zaun, der das Carlysle’sche Anwesen umgab. Sie sprang auf die andere Seite. »Mein Freund Elton fing seine Ausbildung ungefähr zur selben Zeit an wie ich. Er blieb am Ball und wurde Innenarchitekt, weshalb er mich jetzt um Längen überholt hat – denkt er.«

Er schwang sich ebenfalls über den Zaun. »Aber sagten Sie nicht gerade, dass Sie Innenarchitektin sind?«

»Nein.« Sie blieb stehen, als ob sie es ihm im Gehen nicht verständlich machen könnte. »Ich bin Innendekorateurin. Ein Innenarchitekt hat einen Abschluss, eine professionelle Qualifizierung. Woran Elton mich immer gern erinnert. Ich habe das Studium geschmissen.« Sie grinste Ben verschwörerisch an. »Ich ertrage seine Überlegenheitskommentare nur, weil er für eine Investorin arbeitet. Er akquiriert neue Immobilien für sie und braucht jemanden, der die Sanierungsprojekte leitet. Das könnte ich sein! Darum arbeite ich gerade so intensiv an meinem Portfolio und an meiner Homepage. Alles muss großartig und hochaktuell aussehen. Elton stellt mich der Investorin erst vor, wenn er absolut zufrieden ist.«

Sie gingen weiter. Ben folgte Alexia den schmalen Weg entlang, und bald kamen sie an einem kleinen See vorbei. Ben merkte, dass der Lichtstrahl seines Handys langsam zu Alexias Hintern hochwanderte. Rasch senkte er ihn wieder. »Aber alles hängt von dieser einen Frau mit Geld ab?«

Sie sah ihn über ihre Schulter an. »Stimmt. Sie hat offenbar in der Wirtschaft ein Vermögen gemacht, und jetzt scheffelt sie noch mehr Geld, indem sie ihr Geld mit Eltons Hilfe in Immobilien investiert. Sie verlangt von ihm, alles zu Gold zu machen.«

»Ich verstehe allmählich, warum Sie gern ein Teil davon wären. Wird es Ihren Eltern nichts ausmachen, wenn Sie das Dorf verlassen?«

»Meine Mutter wohnt in Bettsbrough, und mein Vater ist mit seiner neuen Frau nach Bolton gezogen.« Sie blieb stehen, als der Weg nach links abbog. »Wow!«

Sie traten ein paar Schritte weiter auf die Lichtung zu, in der das Cottage lautlos im Mondlicht auf sie wartete. Ben hatte die Erlaubnis, einen Garten hinter dem Cottage anzulegen, falls er das wollte, aber ihm gefiel der natürliche Zustand der Lichtung und die großen Kastanienbäume auf einem Teppich aus Laubmulch.

Alexia betrachtete das kleine Gebäude. »Das kann unmöglich das Woodward Cottage sein! Wenn ich früher herkam, sah man mehr Efeu als Mauern. Es gab keine Fenster und Türen, der Putz bröckelte, und am Ende stürzte das Dach ein. Die Sanierung ist wunderbar gelungen! Es sieht aus wie aus einem Märchen.« Sie ließ sich Zeit, inspizierte das Mauerwerk, bewunderte die Dachgauben. Dann schlenderte sie am Holzstapel vorbei und blieb vor einem Holzgerüst stehen, das am hinteren Ende des Cottage stand, daneben eine Netzrolle. »Was bauen Sie hier?«

»Barneys Voliere. In ein paar Wochen wird er im Freien bleiben können.«

»Es ist riesig!«

»Nicht im Vergleich zum Wald, durch den er eigentlich hätte fliegen sollen.«

»Stimmt. Der Verlust der Mobilität bedeutet auch einen Verlust an Freiheit.«

Sein Hals war plötzlich trocken. »Richtig.«

Sie drehte sich zu ihm um und lächelte ihn an. »Gabe muss große Stücke auf Sie halten, wenn er Ihnen eins seiner Tiere anvertraut.«

Er nickte. »Mein Onkel findet immer Platz für eine Kreatur in Not.« Als Ben unmöglich noch länger in Didbury bleiben konnte, wo alles, was sein gewesen war, nicht länger sein war, hatte Gabe ihm eine Zuflucht angeboten. Schon als Ben als Kind im Schatten seines von allen geliebten großen Bruders gestanden hatte, hatte Gabe ihm seine Zeit und seine Aufmerksamkeit geschenkt. Und nur Gabe war es zu verdanken, dass Ben vom kindlichen Kummer, der Zweitgeborene zu sein, in der Pubertät nicht dazu überging, Probleme zu verursachen.

»Kommen Sie, lernen Sie Barney kennen«, schlug er vor, drehte sich auf dem Absatz um und hätte Alexia in seiner Eile, seiner persönlichen Dunkelheit ins Licht zu entkommen, beinahe umgestoßen.

 

Alexia musste sich beeilen, um mit Ben mitzuhalten, als er zur Eingangstür des Cottage ging, die direkt ins Wohnzimmer führte.

Sie blinzelte, als er das Licht einschaltete. In der Mitte des Raumes blieb sie stehen und drehte sich um die eigene Achse, bewunderte die Holzbalken, die Wendeltreppe in der Ecke, den schwarzen Kaminofen. Zwei Sessel, die nicht zueinander passten, standen auf einem Teppich in Silbergrau und Weidengrün vor dem Kaminofen. »Das Innere enttäuscht nicht.«

»Fühlen Sie sich wie zu Hause. Kaffee?« Ben ging in den Nebenraum.

»Lieber Tee.« Alexia hörte, wie ein Wasserhahn aufgedreht wurde, dann das unmissverständliche Geräusch eines Kessels, der sich allmählich erhitzte.

»Können wir den Ofen anmachen?«, rief sie. »Ich weiß, September ist noch ein wenig früh, aber es wird allmählich kühl, und ich liebe es, ins Feuer zu schauen.«

»Nur zu. Streichhölzer finden Sie auf dem Sims. Und wenn ich etwas im Überfluss habe, dann Feuerholz.«

Die Tür des Ofens quietschte, als Alexia sie öffnete. Sie ging in die Knie, baute rasch ein Bett aus zusammengeknülltem Zeitungspapier und legte einige Holzscheite aus dem Korb neben dem Ofen auf das Papier. Es hatte etwas unglaublich Befriedigendes, das Streichholz anzuzünden und zuzusehen, wie das Zeitungspapier sich schwarzfärbte und zusammenschrumpelte, während die Flammen immer größer wurden.

Ben kehrte mit einem Tablett zurück, auf dem zwei Becher, eine Whiskyflasche und zwei Gläser standen. »Ein Schlummertrunk?«

»Unbedingt.« Alexia setzte sich auf den Teppich, mit dem Rücken gegen einen Sessel, damit sie das tanzende Feuer füttern konnte. Ben goss den Whisky ein.

Er lehnte sich gegen den zweiten Sessel. »Dann ist es also endgültig aus zwischen Ihnen und Sebastian?«

Plötzlich wurde ihr bewusst, wie nah seine Beine den ihren waren. Sie nahm einen Schluck vom Whisky, spürte dessen feurigen Kuss in ihrem Rachen. »Aus und vorbei. Jodie meinte immer, ich hätte mich nur auf ihn eingelassen, weil er so lieb und nett ist. Vielleicht hatte sie recht.«

Ben schnaubte. »Ich bin mir ziemlich sicher, dass die meisten Männer diese Einschätzung hassen würden. Da kann man sie ja gleich als ›langweilig und fade‹ beschreiben.« Der Blick, den er ihr über den Rand seines Glases zuwarf, funkelte. In seinem Whiskyglas spiegelten sich die Flammen.

Sie nahm noch einen Schluck, spürte, wie sich Abgeschlagenheit in ihren Gliedern breitmachte, als die Wirkung des Whiskys auf das Bier traf, das sie im Pub getrunken hatte. »Sind Sie etwa nicht lieb und nett?«

»Nicht, dass ich wüsste. Warum haben Sie sich auf Sebastian eingelassen?« Er bewegte sich, und ihre Beine berührten sich kurz.

Alexia spürte ein Prickeln im Magen. Hatte er das absichtlich gemacht? »Vor ihm war ich mit jemandem zusammen, der ›wartungsintensiv und peinlich‹ war. Hat mich ziemlich geschlaucht.« Sie kehrte zu der Frage zurück, die er umgangen hatte. »Ich würde mich selbst als ›fröhlich und quirlig‹ beschreiben. Jetzt sind Sie dran.«

Er täuschte einen grimmigen Gesichtsausdruck vor. »Ich bin ›bockig und wirr‹.« Seine Züge normalisierten sich wieder. Nach einigen Augenblicken fügte er nachdenklich hinzu. »Und geil.«

Alexia verschluckte sich am Whisky.

Ben wurde knallrot. Er lachte auf, sein Lachen endete mit einem Stöhnen. »Und ich bin furchtbar außer Übung! Tut mir leid, das war schlimm. Streichen Sie es aus Ihrem Gedächtnis. Ganz offensichtlich habe ich vergessen, wie man sich benimmt.«

Alexia kicherte. Trotz seiner zur Schau gestellten Reue fiel ihr auf, dass er sie weiterhin ansah und er folglich an ihrer Reaktion interessiert war.

Sein Bein berührte wieder ihr Bein. Durch den Stoff ihrer Jeans spürte sie eine Hitze, die – da war sich Alexia sicher – nicht vom Feuer und nicht vom Alkohol stammte, obwohl letzterer vermutlich dazu führte, dass sie gelassener und offener war als sonst. »Sie hatten keine … äh … Übung seit dem Ende Ihrer Ehe?«

Er wurde nüchtern. »Ich brauchte Zeit, um mich wieder einzukriegen. Und jetzt strampele ich mich ab.« Er grinste verlegen. »Für Hinweise und Anregungen wäre ich äußerst dankbar.«

Alexia fand seine Offenheit unterhaltsam. »Tja«, fing sie an und lehnte sich etwas entspannter gegen den Sessel, »Tee und Whisky auf einem Tablett zu bringen war unaufdringlich und gab mir die Gelegenheit, selbst zu entscheiden, ob ich noch mehr Alkohol trinken will. Und sich ebenso auf den Boden zu setzen wie ich ist genau das Richtige, um mich dazu zu bringen, Ihnen zu vertrauen. Das haben Sie also alles hingekriegt.«

»Zwei Häkchen.« Seine Augen blitzten.

Alexia schaute streng. »Aber ehrlich, wenn Sie eine Frau zu sich nach Hause einladen, um ihr eine Eule zu zeigen, dann sollten Sie auch eine haben.«

Ben richtete sich abrupt auf. »Barney! Er ist in seiner Wanne. Ich habe ihn immer noch nicht gefüttert.«

Er stellte sein Glas auf das Tablett, stand auf und lief in den Nebenraum.

Alexia erhob sich langsamer, vermutlich, weil das Zimmer allmählich zu schwanken begann. Sie folgte ihm in die Küche und sah, wie er eine Wanne aus durchsichtigem, weißem Plastik unter der Küchentheke hervorzog. Aus dem Innern hörte man indigniertes Scharren. Vorsichtig zog Ben die Wanne auf die roten Fliesen. »Alexia, darf ich Ihnen Barney vorstellen? Barney, gedulde dich noch einen kleinen Moment. Ich bereite dir dein Abendessen zu, während Alexia dir Gesellschaft leistet.«

Ben beschäftigte sich daraufhin in der Küche. Alexia ging neben der Wanne auf die Knie und lugte hinein. »Oh …«

Zwei runde, schwarze Knopfaugen über einem gekrümmten Schnabel, der viel zu groß für das kleine, platte Gesicht und den flauschigen, kugelrunden Körper schien, starrten sie an. Ein Flügel hing schlaff herunter, wie ein leerer Ärmel.

Der Schnabel öffnete sich und stieß ein überraschend lautes HEHHH aus, wie ein Rohr, aus dem unter Druck Gas entweicht.

Alexia lachte entzückt auf. »Du bist hinreißend.« Vorsichtig streckte sie einen Finger aus und berührte den weißen Flaum auf Barneys Brust. »Und weich wie eine Daunenfeder.«

»Vermutlich sind es auch Daunenfedern. Für richtige Federn ist er noch zu klein.« Ben war immer noch mit dem beschäftigt, was er aus dem großen, weißen Kühlschrank genommen hatte. »Schauen Sie lieber weg, falls rohes Fleisch Ihnen Unbehagen bereitet. Er frisst Mäuse und Küken. Ich kaufe sie tiefgefroren von einem Tierfutterhersteller.«

»Ich stamme vom Land. Ich weiß, dass Tiere fressen müssen und dass sie sich gegenseitig auffressen.«

Ben kam zu ihr und kniete sich neben sie. In der Hand hielt er eine rote Brotdose, in der sich kleingehacktes Fleisch befand. Mit einer Pinzette führte er ein winziges Stück an Barneys Schnabel. Barney wippte mit dem Kopf, packte das Fleisch mit dem Schnabel und schluckte es, ohne groß zu kauen, hinunter.

»Süß!« Der etwas bittere Geruch von Barney kämpfte in Alexias Nase gegen den sehr viel angenehmeren Duft nach Mann und Whisky, während Ben geduldig den Jungvogel fütterte. Barney wackelte energisch mit dem Kopf und stieß raue Geräusche aus, die für Alexia so klangen, als wolle er mit einer Halsentzündung singen.

Ben murmelte beruhigend, während Barneys Abendessen allmählich verschwand, und nannte ihn liebevoll ›kleiner Mann‹. Alexia sah fasziniert zu, wie Bens starke, sonnengebräunte Hände den winzigen Daunenball fütterten. Gierig schnappte Barney nach jedem noch so kleinen Brocken.

Schließlich stellte Ben die leere Brotdose zur Seite und zog ein Handtuch aus einer Schublade. Er breitete es auf Alexias Schoß aus, die mittlerweile im Schneidersitz auf dem Boden saß. »Und jetzt, kleiner Mann, kümmerst du dich ein paar Minuten um unseren Gast, während ich den Haushalt versorge.« Vorsichtig hob er den Jungvogel aus der Wanne und drückte ihn in Alexias Hände. Instinktiv formte sie eine Mulde mit den Händen, in die Barney sich kuscheln konnte. »Legen Sie Ihre Hände auf das Handtuch, entspannen Sie sich und lassen Sie ihn herumwirtschaften.«

Alexia staunte, wie leicht und warm der Vogel in ihrer Hand war. »Barney, du bist ja richtig weich und knuffig.«

Barney schnaufte heiter sein hehhh und wackelte mit dem Köpfchen, um alles in der Küche in Augenschein zu nehmen. Wann immer sein Blick auf etwas Neues fiel, flatterte er mit seinem guten Flügelstummel. Alexia atmete angesichts des zweiten, gelähmten Flügels traurig aus, aber wenn Barney sich nicht verletzt hätte, dann hätte sie ihn nie kennengelernt, hätte nie gespürt, wie seine winzigen Krallen unter seinem Löwenzahnflaum über ihre Haut schabten.

Ben füllte einen Eimer mit Wasser, entfernte das verschmutzte Handtuch aus Barneys Wanne und warf es in den Eimer, dann wusch er sich in der Spüle die Hände. Er kehrte zurück und nahm Alexia den fast gewichtslosen Jungvogel ab. Ihre Finger berührten sich, als Barney vom einen zum anderen wechselte. Dann ließ sich Ben neben ihr auf dem Boden nieder und setzte Barney auf den Fliesen ab, damit er sich ein wenig umsehen konnte. Alexia kicherte, als Barney über die Fliesen watschelte und an Schranktüren pickte. »Er ist ja so süß!«

Schließlich legte Ben das Handtuch, das er über Alexias Schoß ausgebreitet hatte, in die Wanne und sammelte Barney wieder ein. »Schlafenszeit, Barney. Vielleicht kommt Alexia einmal wieder vorbei und besucht dich.«

»Nur zu gern.« Alexia erhob sich widerstrebend. Während Ben die Wanne mit Barney wieder unter die Küchentheke schob, sah sie sich um. Ihr fielen die Eichenschränke und die schlichten Arbeitsflächen auf. »Haben Sie die Küche selbst eingebaut? Es wirkt auf charmante Weise ungekünstelt.«

Er zuckte mit den Schultern. »Ich bin nicht der Typ für Schnickschnack.«

»Das sieht man.« Nirgends gab es Bilder oder Deko-Gegenstände. Sie schlenderte in das gleichermaßen karge Wohnzimmer zurück. Form und Bewegung im Raum stammten sämtlich von der puristischen Möblierung und den unebenen Wänden – warm, aber ›schlicht‹ wurde hier zu einer Kunstform.

Ben folgte ihr, blieb vor dem Kaminofen stehen und legte ein Holzscheit nach, obwohl es Alexia im Vergleich zum Küchenboden sehr warm schien. »Wollen Sie einen Blick in den ersten Stock werfen?« Er stand mit dem Rücken zu ihr, aber in seiner Stimme lag ein Unterton, der Alexias Herz dazu brachte, einen Takt auszusetzen.

Wenn er davon sprach, einen ›Blick in den ersten Stock zu werfen‹, meinte er dann nur, dass er ihr zeigen wollte, wie er das obere Stockwerk ausgebaut hatte? Oder wollte er mehr damit andeuten? Hatte es etwas mit dem Interesse in seinem Blick zu tun, wann immer er sie ansah?

Sie war sich ziemlich sicher, dass er einfach nicken und sie zurück ins Dorf begleiten würde, wenn sie jetzt sagte: »Ich glaube, ich möchte lieber nach Hause.«

Aber mit ihm zusammen zu sein, glich der Faszination eines packenden Films: Man wusste nicht, was als Nächstes geschah, und empfand das unwiderstehliche Verlangen, es herauszufinden. Sie entschied sich für eine neutrale Antwort. »Das klingt interessant.«

Ben drehte sich mit einem Lächeln, in dem etwas wie Erleichterung lag, zu ihr um. Er schaltete das Treppenlicht ein und trat zur Seite, damit sie vor ihm hochgehen konnte. Der praktische, beige Läufer auf den Stufen wirkte brandneu. Weil Alexia den ganzen Abend in Staub und Spinnweben verbracht hatte, kickte sie sich die Turnschuhe von den Füßen, bevor sie nach oben ging.

Am Kopfende der Treppe blieb sie stehen, in einem briefmarkengroßen Flur unter einer Dachschräge. Das vorhanglose Fenster gab einen Blick auf die pechschwarze Nacht frei. »Ein Kleinod«, merkte sie an. Die Tür zu ihrer Linken war geschlossen. Der winzige Flur führte in ein offenes Schlafzimmer, das zum größten Teil von einem Doppelbett eingenommen wurde. Zwei kleine Fenster in der Wand gegenüber umrahmten einen Kamin, in dem Papier und Holzscheite lagen.

Als auch Ben am Treppenkopf ankam, spürte sie seine Wärme über die wenigen Zentimeter hinweg, die sie trennten. Er räusperte sich. »Wenigstens ist das Bett gemacht. So gut wie.«

Alexia sah zu der waldgrünen Überdecke, die er über den Haufen an Kissen geworfen hatte. Sie wusste nicht, was sie jetzt tun sollte. Es fühlte sich sowohl falsch an, die geschlossene Tür zu öffnen, als auch einfach in Bens Schlafzimmer zu stürmen. Es war aber auch nicht genug Platz, um zur Seite zu treten und ihn vorbeizulassen. Und wenn sie vorschlug, sofort wieder nach unten zu gehen, würde er womöglich glauben, sie fühle sich besorgt oder bedroht.

So war es aber nicht … sie fühlte sich warm und wohlig. Und das hatte mehr mit seiner Anwesenheit hinter ihr zu tun als mit dem Whisky oder dem Bier.

Weil er so still war, vermutete sie, dass auch ihm »Was jetzt?«-Gedanken durch den Kopf schossen. Die Stille nahm zu, bis Ben sie mit einem Seufzen brach. »Früher hätte ich vermutlich eine Art Plan entwickelt. Es kommt nicht von ungefähr, wenn es heißt, dass man beim ersten Date eine Einladung zum Essen aussprechen sollte.«

Es tröstete sie zwar, dass er sich ebenso unsicher fühlte wie sie, aber er klang so angewidert von sich selbst, dass Alexia spürte, wie ein Lachen in ihr aufstieg. Sie drehte sich um, weil sie etwas Humorvolles anmerken wollte, aber er bewegte sich im selben Moment, und ihre Stirn stieß mit seinem Kinn zusammen. Seine Zähne klackten hörbar. »Aua, tut mir leid!« Sie fasste sich an die Stirn, die sich anfühlte, als wäre darauf der Abdruck seines Kinns eingedrückt. Sein Blick haarsträubender Bestürzung ließ das Lachen in ihr nun doch ausbrechen. »Ich bin auch nicht bereiter als du. Ich bin ja so schmutzig.«

Seine Augen lächelten, und sie machte beschämt einen Rückzieher. »Ich meinte staubig, staubig von der Abrissparty. Außerdem rieche ich nach Grillwurst und …« Sie schlug sich gegen die Stirn. »Und ich kann gar nicht glauben, wie dumm ich gerade plappere.«

Langsam streckte er den Arm aus und öffnete die zuvor geschlossene Tür. Er zog an einer Kordel, und das Licht im Raum ging an. »Bitteschön.«

Alexia sah sich erstaunt um. Es war, als hätte Ben der Schnörkellosigkeit des restlichen Hauses entgegenwirken wollen, indem er das Bad besonders opulent gestaltete. Eine blendend weiße Eckbadewanne und eine dieser Duschkabinen mit unzähligen Seitenbrausen strahlten verführerisch in dem vom Boden bis zur Decke gefliesten Bad.

»Oh.« Sie trat ein, vergaß die beiderseitige Verlegenheit. Ein sehnsuchtsvoller Seufzer brach sich Bahn. »Wie entzückend. Am liebsten würde ich sofort in diese Wanne steigen und baden.«

Mit konzentriertem Gesichtsausdruck beugte er sich vor, drückte den Stöpsel in der Wanne nach unten und schob den Hebel am funkelnden Chromhahn nach oben. Gleich darauf füllte das Rauschen von Wasser den Raum. Ein Klacks Badeschaum aus einer hohen, grünen Flasche sorgte für einen Schaumberg aus herrlich funkelnden Bläschen.