Winterglücksträume - Sue Moorcroft - E-Book
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Winterglücksträume E-Book

Sue Moorcroft

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Beschreibung

So wärmend wie eine Tasse heiße Schokolade – der neue Roman der britischen Erfolgsautorin Als Sky ihren Job kündigt, ersteigert sie ein Haus in dem kleinen Middledip. In dem Dorf hat sie ihr schönstes Weihnachten erlebt und verbindet mit ihm glückliche Kindheitserinnerungen. Sie möchte ihr Leben neu sortieren und freut sich auf ein ruhiges Fest. Doch die Bewohner stecken mitten in den Vorbereitungen für den Weihnachtslichterwettbewerb. Auch Sky muss ihr renovierungsbedürftiges Haus und ihren Garten in einem glänzenden Lichtermeer erstrahlen lassen. Dabei bekommt sie Hilfe von dem attraktiven Daz, in dem sie bald mehr als einen freundlichen Nachbar sieht. Während die beiden sich näherkommen, taucht plötzlich Daz' Exfreundin auf. Wird sich im verschneiten Middledip für Sky dennoch ein Weihnachtsmärchen erfüllen? »Ein Pageturner.« Woman's Weekly Hier werden Weihnachtsträume wahr – Die WinterWeihnachtsZauber-Reihe:  Band 1: Winterzauberküsse Band 2: Mistelzweigzauber  Band 3: Wunderkerzenzauber  Band 4: Schneeflockenglitzern  Band 5: Zimtsternträume  Band 6: Sternschnuppenfunkeln  Band 7: Winterglücksträume Die Romane sind auch unabhängig voneinander ein großer Lesegenuss.

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Seitenzahl: 557

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Sue Moorcroft

Winterglücksträume

Roman

 

Aus dem Englischen von Tanja Hamer

 

Über dieses Buch

 

 

Sky hat die Schatten ihrer Kindheit hinter sich gelassen. Der wichtigste Mensch in ihrem Leben ist ihr Pflegebruder Freddy, in dessen Firma sie arbeitet. Doch als die Beziehung zu Freddy Risse bekommt, ist sie plötzlich allein. Sie kündigt ihren Job und kauft sich ein Haus in Middledip – in dem idyllischen Ort, wo sie sich das erste Mal zu Hause gefühlt und magische Weihnachten verbracht hat. Die Bewohner nehmen sie herzlich auf und mit einem Mal ist Sky Teil des Weihnachtslichterwettbewerbs. Während des festlichen Schmückens verbringt sie viel Zeit mit dem attraktiven Daz. Langsam öffnet sie ihm ihr Herz, doch zu groß ist die Angst, erneut verletzt zu werden. Aus heiterem Himmel erscheint Daz‘ Ex auf der Bildfläche und will ihn zurückgewinnen. Sky muss sich entscheiden: Ist sie bereit, für ihr Winterglück an Daz’ Seite alles zu geben?

 

In Middledip werden Weihnachtsträume wahr – die WinterWeihnachtsZauber-Reihe:

Band 1: Winterzauberküsse

Band 2: Mistelzweigzauber

Band 3: Wunderkerzenzauber

Band 4: Schneeflockenglitzern

Band 5: Zimtsternträume

Band 6: Sternschnuppenfunkeln

Band 7: Winterglücksträume

 

 

Weitere Informationen finden Sie auf www.fischerverlage.de

Biografie

 

 

Sue Moorcroft ist SPIEGEL-Bestsellerautorin. In Deutschland geboren, verbrachte sie ihre Kindheit auf Malta und Zypern und lebt nun in England. Ihr Roman »Winterzauberküsse« stand mehrere Wochen auf der Bestsellerliste. Auch die folgenden Weihnachtsbücher zeigen, dass Sue Moorcroft Weihnachten einfach zauberhaft findet. Neben dem Schreiben entwirft sie Kurse für die London School of Journalism und ist als Bloggerin aktiv.

 

Tanja Hamer, Jahrgang 1980, hat ihr Anglistikstudium in Mainz absolviert und arbeitet seit 2012 als selbständige Übersetzerin. Sie lebt mit ihrer Familie in München.

Inhalt

[Widmung]

Erstes Kapitel

Zweites Kapitel

Drittes Kapitel

Viertes Kapitel

Fünftes Kapitel

Sechstes Kapitel

Siebtes Kapitel

Achtes Kapitel

Neuntes Kapitel

Zehntes Kapitel

Elftes Kapitel

Zwölftes Kapitel

Dreizehntes Kapitel

Vierzehntes Kapitel

Fünfzehntes Kapitel

Sechzehntes Kapitel

Siebzehntes Kapitel

Achtzehntes Kapitel

Neunzehntes Kapitel

Zwanzigstes Kapitel

Einundzwanzigstes Kapitel

Zweiundzwanzigstes Kapitel

Dreiundzwanzigstes Kapitel

Vierundzwanzigstes Kapitel

Epilog

Danksagung

Für Ann Cooper,

ein langjähriges und hochgeschätztes

Mitglied von Team Sue Moorcroft.

Vielen Dank, Annie!

Erstes Kapitel

Sky beendete das Gespräch und wandte sich wieder ihrem Laptop zu. »Klingt, als würde Ramsey seine Deadline halten«, sagte sie zu Freddy.

»Gut«, murmelte er, ohne von seinem Computer aufzusehen.

Minnie, Skys Auszubildende zur Immobilienentwicklerin, gab von ihrem Platz an dem dritten Schreibtisch im Büro aus einen ihrer spitzen Kommentare ab. »In dem Telefonat hast du Freddy als deinen Bruder bezeichnet, aber das ist er nicht. Er war dein Pflegebruder, mehr nicht.«

Vor einigen Monaten hatte sich Freddy Hals über Kopf in Minnie verliebt, und die anspruchsvolle Frau mit dem akkuraten Bobhaarschnitt und ihrer vornehmen Sprache hatte seine Gefühle erwidert. Ihre Freunde bezeichneten ihn als »Minnies raue Seite«, auch wenn sie insgeheim von seiner beinahe goldfarbenen Haut und den dunklen Ringellöckchen, die er von seiner verstorbenen Großmutter aus Trinidad geerbt hatte, beeindruckt waren. Er hatte Sky einmal ein Foto von ihr gezeigt, einer strahlenden Frau in einem tropischen Garten, die ihre Haare in ein rotes Tuch gewickelt hatte. Sky hatte ihn darum beneidet, seine Oma gekannt zu haben.

»Wir sind das nächste an Bruder und Schwester, was jeder von uns aufzuweisen hat«, sagte Sky zu Minnie und kehrte zu ihren Notizen zurück. Schweigen senkte sich über das Büro, so dass nur noch das Rauschen des Verkehrs draußen im Gewerbegebiet von Cambridge und das Klappern der Tastaturen aus dem Verwaltungsbüro nebenan zu hören waren.

Es nagte an Sky, dass Freddy es nicht schaffte, Minnies Gehässigkeiten zu zügeln. Okay, sie und Freddy hatten nur dreizehn Monate lang ein Zuhause bei einer Pflegemutter geteilt – der glücklichste Abschnitt in Skys Kindheit. Doch später, als sie mit sechzehn ihre launische, unzuverlässige Mutter Trish Murray verlassen hatte, war es Freddy gewesen, der Sky bei sich auf dem Fußboden hatte schlafen lassen und dafür gesorgt hatte, dass sie nicht wieder zurückgeschickt wurde. Sie hatte ihren Namen ändern lassen und hieß seitdem Terran, was »von der Erde« bedeutete. Inzwischen war Sky neununddreißig und Freddy dreiundvierzig, und sie leitete mit ihm gemeinsam Freddy Walker Immobilien. Für Sky war Freddy wie ein Bruder, und sie wünschte, er würde sich für ihre Beziehung einsetzen, wenn seine Freundin diese so kleinredete.

Sky sah auf die Uhr. Die Registrierung für die morgige Auktion lief um drei Uhr aus, und sie hatte vor, persönlich teilzunehmen. Sie hatte es so verkauft, dass sie sichergehen wollte, dass Freddy Walker Immobilien der Deal keinesfalls durch die Lappen ging, sollte die Internetverbindung im entscheidenden Moment versagen, aber in Wahrheit ging es ihr um die Immobilie. Das Eckhaus in Middledip, dem Dorf, in dem Sky und Freddy damals von der liebevollen Pflegemutter aufgenommen worden waren. Nan Heather hatten »ihre Kinder« sie genannt.

In dem Moment strahlte Minnie Freddy an. »Bereit fürs Mittagessen, Fred-fred?«

»Klaro«, antwortete Freddy flapsig, aber mit einem zärtlichen Lächeln für seine Liebste.

Sky beobachtete sie, wie sie ihre Jacken anzogen und dabei kaum die Augen voneinander abwenden konnten, was ihnen einige Schwierigkeiten mit den Reißverschlüssen und Knöpfen bereitete. Beim Rausgehen drehte sich Freddy noch mal zu Sky um. »Bis später, Kumpel.« Er nannte jeden »Kumpel«, unabhängig vom Geschlecht. Aus dem unterprivilegierten Jungen, der Freddy einst gewesen war, war zunächst ein Bauarbeiter geworden, der rasch zum Vorarbeiter und schließlich Projektmanager aufgestiegen war. Inzwischen verdiente er als Immobilienentwickler Unsummen. Dennoch hatte er sich nie die Mühe gemacht, seinen Akzent und sein Vokabular an seine teuren Autos und schicken Klamotten anzupassen. Sky dagegen hatte anderen genau zugehört, um sich eine etwas distinguiertere Sprechweise anzueignen.

Nach ein paar Minuten hörte Sky eine Tür schlagen und das Schnurren von Freddys Lexus.

Sie stand auf, machte sich Kaffee und nahm dann ihr Sandwich heraus, von dem sie hin und wieder einen Bissen nahm, während sie durch ihre Arbeitsmails scrollte, ein paar Berichte las und einem Kunden antwortete, der bereit war, in ein neues Projekt zu investieren.

Als Nächstes öffnete sie ihren privaten Posteingang. Der Oktober-Newsletter von einem Reisebüro erinnerte sie daran, dass sie noch nicht entschieden hatte, wie sie ihre Weihnachtsferien verbringen wollte. Ein festlicher Skiurlaub in der Schweiz konkurrierte in ihrem Kopf mit einem deutlich weniger weihnachtlichen Strand in Dubai, wobei ihre Tendenz doch eindeutig bei den frischverschneiten weißen Pisten und Glühwein lag. Zweifellos würde Freddy Weihnachten mit Minnie verbringen, also musste sie wenigstens nicht noch eine andere Person in ihre Entscheidung miteinbeziehen. Andere Beziehungen und Freundschaften waren in letzter Zeit eingeschlafen. Sie wollte zu gern wieder Raum schaffen für neue, aber die Arbeit nahm im Moment den größten Teil ihres Lebens in Anspruch.

Wenn die Baubranche nicht über Weihnachten und Neujahr eine Pause einlegen würde, hätte sie gern am Eckhaus gearbeitet, ein Team aus Maurern zusammengestellt, Elektriker, Klempner, Fliesenleger und Dekorateure angeheuert, um Freddys Pläne in die Tat umzusetzen.

Sie grinste, als sie sich den Werbetext dafür vorstellte.

Richten Sie sich Ihr Büro vorübergehend in einem gemütlichen Cottage ein und verbringen Sie Weihnachten damit, Arbeitspläne umzusetzen und für termingenaue Lieferung von Materialien zu sorgen! Bewundern Sie die festliche Beleuchtung des Dorfpubs, gesellen Sie sich zu den Weihnachtssängern, wenn sie durch unsere zehn Straßen ziehen, und genießen Sie anschließend eine heiße Schokolade im Café. Sie konnte sich aus ihrer Kindheit an kein Café erinnern, aber ihren Recherchen zufolge gab es jetzt eines im Dorf. Und es gab natürlich mehr als zehn Straßen – allerdings nicht viel mehr.

Das Eckhaus an der Winter Street Nummer eins stand auf einem großen Grundstück, das die Grenze zwischen dem ursprünglichen Dorf und dem Gebiet des moderneren und begehrteren Bankside Estate bildete. Das Haus stand leer und war umgeben von einem überwucherten, vernachlässigten Garten. Kurzum, die Immobilie war reif für eine umfassende Sanierung.

Sky seufzte sehnsüchtig. Sie hatte sich sofort in das Eckhaus verliebt, als Freddy ihr den Link zu der Anzeige im Auktionskatalog geschickt hatte. Es war genau in dem Moment gewesen, als sie bereit war, eine weitere Immobilie für ihr eigenes Portfolio zu kaufen. Hätte sie es nur zuerst gesehen … Aber sie würde auf keinen Fall versuchen, es Freddy vor der Nase wegzuschnappen.

Während sie sinnlose Träume hegte, das vernachlässigte, aber wunderschöne Haus zu restaurieren, plante Freddy, es stattdessen in zwei schicke kleine Stadthäuser und zwei Studio-Apartments zu verwandeln. Sky wusste, dass seine Neugestaltung wesentlich profitabler sein würde als ihre Phantasie-Restaurierung, immerhin hatte sie selbst die Entwicklungs- und Leistungspotenzial-Analyse erstellt. Das Eckhaus war weder denkmalgeschützt, noch lag es in einem Landschaftsschutzgebiet, und bei der Begehung vorab hatte der Baugutachter Freddys Vorhaben als für »zu den Plänen der ansässigen Nachbarschaft passend« befunden. Es fiel jungen Leuten schwer, sich für den Kauf einer Immobilie auf dem Land zu entscheiden, und der Umbau des Eckhauses würde perfekte Heime für junge Familien schaffen.

Sky hatte Freddys Absicht in Frage gestellt, den Großteil der originalen, hellgrauen Natursteinfassade mit vorgefärbtem Polymerputz zu überdecken und das Schieferdach durch eine synthetische Version zu ersetzen, hatte allerdings nur Kommentare über gute Dämmung zur Antwort bekommen. Und was war mit den alten Bäumen …? Nun, die, die den Kontrolleur vom zuständigen Amt interessierten, wie die stattliche, weiße Birke im Vorgarten, sollten nicht gefällt werden. Auf der verlängerten Einfahrt und einem praktischen Parkplatz sollten Parkmöglichkeiten für bis zu drei Autos entstehen. Das Eckhaus-Projekt, wie es im Büro inzwischen genannt wurde, konnte Freddy einen ordentlichen Profit bescheren.

Sky hatte keine Wahl gehabt, als Zeichnungen und Studien für die Bewertung vor der Auktion in Auftrag zu geben. Sollte der Hammer zu ihren Gunsten fallen, hätten sie nur zwanzig Tage Zeit, den Kauf abzuschließen.

Dass Sky sich nach dem Eckhaus sehnte, war ihr Geheimnis, dachte sie, während sie einen weiteren Newsletter mit dem Titel Fangen Sie heute mit Ihren Weihnachtseinkäufen an! löschte. Wenn Freddy Walker Immobilien den Zuschlag bekam, würde sie die Umbauarbeiten beaufsichtigen und Middledip regelmäßig besuchen, vielleicht mehrere Male pro Woche. Ihr wurde warm ums Herz, wenn sie daran dachte, wie sie als vernachlässigte Zehnjährige, die ein Zuhause gebraucht hatte, bei Nan Heather angekommen war. Der vierzehnjährige Freddy, der schon dort gewohnt hatte, hatte ihr die Dorfkinder vorgestellt. Sky hatte gewusst, dass sie anders war, weil sie eine Pflegemutter hatte und in der Schule ein kostenloses Mittagessen bekam, aber Freddy war genauso anders gewesen. Das hatte ihre Verbindung zueinander verstärkt.

Ihr einziges Weihnachten in Middledip war magisch gewesen. Eine Feier im Bürgerhaus des Dorfes, der größte, funkelndste Weihnachtsbaum, den Nan Heather in ihr kleines Häuschen hatte quetschen können, das wunderbarste Weihnachtsessen, abgerundet mit einem Christmas-Pudding … und Geschenke. Geschenke! Mal- und Zeichensachen, ein Glitzertop und neue Sportschuhe, Bücher und Handschuhe. Freddy hatte ihr eine Bleistiftkiste aus Pappmasché gebastelt. Sky, die höchstens an ein paar Weihnachtsleckereien in der Schule, eine betrunkene Mom, eine kalte Wohnung, Dosenessen und nur den Fernseher als Gesellschaft gewöhnt war, fühlte sich wie in einem romantischen Weihnachtsfilm. Ein echtes Weihnachtsfest für Sky hätte er heißen können, oder Weihnachten bei Nan Heather.

Wehmütig erinnerte sie sich an Nan Heathers strahlendes Lächeln. Zusätzlich zu warmen Mahlzeiten und warmer Kleidung, die passte, hatte Nan Heather ihnen auch Liebe und Sicherheit geboten.

Sky war bestürzt gewesen, als ihre Zeit in Middledip kurz vor ihrem zwölften Geburtstag zu Ende gegangen war. Trish hatte sich eine Wohnung in Bretton gesichert, am Rande von Peterborough, und sich selbst für fähig erklärt, sich wieder um Sky zu kümmern. Genau genommen, überlegte Sky, während sie eine weitere Werbemail löschte, hatte Trish die Wohnung wahrscheinlich bekommen, weil sie sich in der Lage fühlte, wieder für Sky zu sorgen. Vermutlich war sie in einer Nacht-und-Nebel-Aktion aus ihrer alten Wohnung in Bettsbrough verschwunden, als sie die Miete nicht mehr zahlen konnte, und hatte dann auf Sofas geschlafen oder in einem besetzten Haus, während Sky bei Nan Heather in Pflege war. Oder vielleicht war sie mit jemandem zusammen gewesen, der keine Kinder um sich haben wollte. Wie auch immer, als sich Trish schließlich wieder um eine Wohnung bewarb, hatte sie entschieden, Sky wäre ein wichtiger Haken im richtigen Kästchen.

Sky dachte nicht gern an die Zeit in der neuen Wohnung, die nicht wärmer oder weniger karg gewesen war als die alte, wo sie nachts wach gelegen und sich nach der Behaglichkeit und Liebe bei Nan Heather zurückgesehnt hatte.

Da der Umzug auch einen Schulwechsel nach Peterborough bedeutet hatte, hatte sie von da an nur noch per Mail über den öffentlichen Computer in der Bibliothek mit Freddy in Kontakt bleiben können. Auf diesem Weg erfuhr Sky mit vierzehn von ihm, dass er seinen Schulabschluss geschafft hatte und sein Leben bei der Pflegemutter gegen eine Lehre und ein eigenes Zimmer tauschte. Nan, die zu diesem Zeitpunkt bereits fünfundsechzig gewesen war, ging in Rente und gab die Pflegemutterschaft auf. Sky hatte gerade herausgefunden, dass Trish drei Monate in eine Entzugsklinik musste, und war voller Vorfreude davon ausgegangen, wieder zu Nan Heather nach Middledip zurückkehren zu können. Sie hatte Freddys Nachricht voller Enttäuschung angestarrt.

Für den wütenden Teenager, der sie damals gewesen war, hatte es sich angefühlt, als würde Nan Heather sie im Stich lassen.

Auch wenn die Pflegefamilie, bei der sie in Peterborough gelandet war, sehr nett gewesen war und ihre neuen Pflegeeltern ihr Briefmarken gegeben hatten, um »mit wichtigen Leuten in Kontakt zu bleiben«, hatte Sky aufgehört, Nan Heather zu schreiben. Falls in der Zeit von Trishs Entzug, die zu vier und schließlich fünf Monaten geworden war, Post von Nan Heather in Bretton angekommen war, hatte Sky davon nichts gesehen, als sie widerwillig dorthin zurückgekehrt war. Trish hätte sowieso alle Briefe weggeworfen. Sie hatte nie viel für Papier übriggehabt, außer man konnte einen Joint daraus drehen.

Leider hatte Freddy seine Beziehung zu Nan Heather ebenfalls schleifen lassen, während er mit der Zielstrebigkeit der Jugend seine Karriere aufbaute. Jetzt, siebenundzwanzig Jahre nachdem Sky Middledip verlassen hatte, war Nan Heather sicher nicht mehr da.

Sky klickte auf das Video auf ihrem Laptop, um sich die virtuelle Besichtigung des Eckhauses für die Auktion noch einmal anzusehen. Das Äußere des Hauses war schnell abgehandelt, da die wild wuchernden Bäume und Sträucher das Grundstück regelrecht erstickten. Aber das Innere war wunderschön: große, altmodische Zimmer mit staubigen Kronleuchtern; ein cremefarbener Herd und ein weißes Porzellan-Spülbecken, eingebettet in Küchenschränke aus Massivholz. Einige Zimmer protzten mit freigelegten Steinwänden oder Schnörkeln aus geschwungenem Gusseisen vor den Fenstern, wie in einer mediterranen Villa.

Sky hatte das Grundstück schon besucht, Freddy dies aber verschwiegen. Sie hatte befürchtet, er könnte sie bitten, Minnie mitzunehmen, doch sie hatte nicht gewollt, dass Minnie herablassend auf das Dorf schauen und damit angeben würde, dass ihr Heimatort viel schicker war – auch wenn es stimmte.

Die Winter Street war etwa achthundert Meter von Nan Heathers Häuschen entfernt, aber Sky hatte es dennoch genossen, eine wertvolle Stunde lang wieder in Middledip zu sein, auch wenn sie über sich selbst lachen musste. Warum bist du so aufgeregt, wieder Middledip-Luft zu atmen? Du warst nur ein gutes Jahr hier, als du ein Kind warst. Niemand wird sich an dich erinnern. Vielleicht lebten noch ein paar Verwandte von Nan Heather – sie hatte eine Tochter, einen Schwiegersohn und zwei Enkel, die ein wenig jünger gewesen waren als Sky –, aber für sie würde Sky nur eines der vielen Kinder sein, die kurzzeitig bei Nan Heather untergekommen waren.

Sky schaute die letzten Minuten des Videos, das mit einem letzten Blick durch den Flur mit der hohen Decke und einem Zoom auf das Milchglasfenster der Eingangstür endete. Dann wandte sie sich wieder der Registrierung für die morgige Auktion zu, ehe sie einen Kunden kontaktierte, um mit ihm ihren Enthusiasmus über die Renovierung seines neuen Investments zu teilen, einer Doppelhaushälfte vor den Toren Cambridges. Sie hatten die Arbeiten gestern abgeschlossen. Neue Fenster, Türen und Böden hatten das Haus vollkommen verändert, genau wie sie es versprochen hatte – und sie brauchte die Bestätigung des Eigentümers, dass sie es nun auf dem Mietmarkt anbieten konnte.

Sie notierte sich gerade die vielversprechenden, zu erwartenden Mieteinnahmen, als Freddy ins Büro geplatzt kam, Minnies Hand in seiner.

Er strahlte von einem Ohr zum anderen, seine Jacke stand offen. Ein feuchter brauner Fleck verunzierte die Hosen seines silbergrauen Anzugs.

Sky verharrte mit den Fingern über der Tastatur, während sie das matschige Knie anstarrte. »Bist du hingefallen? Oder musstest du einen Reifen wechseln?« Dann bemerkte sie Minnies Blick, der nicht bloß verklärt, sondern auch … triumphierend war? Ihr wurde flau im Magen.

Minnie strahlte. »Fred-fred hat mir gerade einen Antrag gemacht! Er ist mitten auf der Straße auf die Knie gegangen, nicht wahr, Liebling? Wir werden heiraten. Wir sind nur reingekommen, um dir zu sagen, dass wir zum Cambridge-Einkaufszentrum gehen, um den Ring zu kaufen. Ich stehe ja auf Diamanten.«

Mit den Händen immer noch albern in der Luft, wurde Skys Herz mit einem Mal bleischwer. »Heiraten?«, wiederholte sie stumpfsinnig.

Verschämt schwang Freddy Minnies Hand. »Es ist irre, oder?«, meinte er. »Ich wette, das hättest du in einer Million Jahren nicht erwartet.« Er drückte Minnie an sich, wobei er sie fast von den Füßen riss.

Sky schluckte schwer, vor Bestürzung war ihr ganz schlecht. »Glückwunsch«, murmelte sie.

»Danke!«, erwiderte Freddy glücklich, dem offensichtlich entging, wie sehr sich Sky die Gratulation abringen musste. »Phantastisch, nicht wahr?« Dann sagte er an Minnie gewandt: »Wolltest du nicht Pipi machen? Deshalb sind wir doch zurückgekommen.« Pipi war Freddys Versuch, vor Minnie höflich zu sein.

Sky war es sonnenklar, dass Minnie nur eine Ausrede gebraucht hatte, um Skys Gesicht zu sehen, wenn sie die Neuigkeit erfuhr.

»Oh. Stimmt ja.« Obwohl sie leicht enttäuscht wirkte, dass sie das Feld räumen musste, gab Minnie Freddy noch einen knallenden Kuss und wandte sich zum Gehen. Im Türrahmen zum Verwaltungsbüro blieb sie stehen, offenbar um die frohe Kunde zu verbreiten, wie Sky aus den überraschten Ausrufen urteilte.

Sky blieb mit Freddy und seinem matschigen Knie zurück. Sie spürte eine Traurigkeit, die sich über sie senkte, wie der Oktobernebel vor den Bürofenstern über die Stadt. »Wow«, sagte sie. Dann wieder »Wow«, und »Glückwunsch«. Sie räusperte sich. »Das ist eine Überraschung.« Eine entsetzliche.

Freddy wippte auf den Fersen und vergrub die Hände in den Taschen. »Yep.«

Sky dämmerte, dass sie die kurze Abwesenheit Minnies nutzen musste. »Das wird bestimmt interessant, oder? Wenn Minnie meine Auszubildende, aber mit dem Chef verheiratet ist, meine ich.«

Freddy schlenderte zu seinem Schreibtisch und klickte ziellos mit der Maus herum, während er auf seinen Bildschirm starrte. »Das ist nur eine Frage der Gewöhnung, Kumpel.«

»Klar.« Sky versuchte, ruhig zu bleiben, indem sie tief durchatmete. Mit Freddy zu arbeiten war eine wahre Freude gewesen, bis Minnie dazugekommen war. Sie war unzuverlässig, aber sehr von sich überzeugt – Eigenschaften, die Freddys normalerweise so scharfem Verstand zu entgehen schienen.

Im vergangenen Monat hatte Freddy Minnie das Recht eingeräumt, bei einer Auktion einzukaufen, was sie sogleich grandios vermasselt hatte, indem sie bei einem live gestreamten Event versehentlich ein Ladenlokal gekauft hatte. Das vorangegangene Objekt war im letzten Moment zurückgezogen worden, doch es war Sky unbegreiflich, dass Minnie nicht bemerkt hatte, wie der Auktionator das Objekt zweiunddreißig aufgerufen hatte, einen Laden mit Wohnung darüber, anstatt Objekt einunddreißig, ein leeres Grundstück.

All das schwirrte Sky im Kopf herum, als sie durch zusammengepresste Lippen antwortete: »Eine Menge Gewöhnung, würde ich sagen. Ich nehme an, Minnie wird weiter hier arbeiten?«

»Natürlich.« Freddy kniff die Augen zusammen und starrte auf etwas auf dem Computerbildschirm, was ihm ermöglichte, Skys Blick auszuweichen. Sein schmutziges Knie schien ihn zu verhöhnen, brauner Matsch auf dem feinen Zwirn. »Aber nicht morgen. Wir nehmen ein langes Wochenende, um es Minnies Familie zu erzählen. Mal sehen, was sie von mir halten – ein Rohdiamant mit losem Mundwerk.« Er musste erst gar nicht erwähnen, dass er seine eigenen Eltern nicht mit den frohen Neuigkeiten belästigen würde. Er wüsste noch nicht einmal, wo er anfange sollte, nach seiner Mum zu suchen, und er konnte sich kaum daran erinnern, dass es mal jemanden in seinem Leben gegeben hatte, den er »Dad« genannt hatte.

»Oh«, machte Sky tonlos. »Freddy, ich bin mir nicht sicher, ob ich …«

Minnie rauschte wieder ins Zimmer, rechtzeitig, um Sky zu unterbrechen. »Wir haben auch vor, Weihnachten mit meiner Familie zu verbringen, Sky. Sorry, dass wir dich nicht einladen können, aber du bist eben nur Fred-freds Pflegeschwester, nicht seine leibliche.« Sie senkte verschwörerisch die Stimme. »Wir wollen lieber nach vorn blicken als zurück zu unglücklichen Anfängen.«

Sky errötete. Sie und Freddy waren Opfer dieser »unglücklichen Anfänge« gewesen, aber Minnie ließ es so klingen, als wäre Sky irgendwie dafür verantwortlich. Trotzdem versuchte sie, freundlich zu bleiben. »Freddy und ich haben so manche Weihnachten miteinander verbracht, aber dieses Jahr war das Thema noch gar nicht aufgekommen. Ich werde wahrscheinlich etwas buchen, entweder in …«

Minnie unterbrach sie erneut. »Wir müssen los. Hast du diesen Laden schon wieder abgestoßen?«

Sky schnappte nach Luft. Hatte Minnie vergessen, dass Sky ihre Vorgesetzte war und nicht umgekehrt? Und dass es Minnies Schlamassel war, den Sky aufräumte? Freddy kratzte sich unbeholfen im Nacken, schaffte es aber nicht, Minnie zu korrigieren. Sky richtete ihre Antwort trotzdem an ihn. »Wie abgesprochen, ist der Laden auf dem Markt. Wenn es in acht Wochen keine Interessenten gegeben hat, werde ich ihn wieder zur Auktion stellen.«

»Mach das«, antwortete Freddy nach einer winzigen Pause grimmig.

Er verhielt sich, als wäre es Sky gewesen, die den Fehler begangen hatte. Ihr Herz machte einen Satz. Würde es von jetzt an so laufen in Freddy Walkers Büro? Minnie, die über Sky thronte mit ihrem Verheiratet-mit-dem-Boss-Status? Und Freddy, der erwartete, dass Sky sich damit abfand, anstatt den Respekt zu erhalten, der ihr als Freddys rechte Hand zustand?

Als wollte er diese Drohung bestätigen, fuhr Freddy fort. »Die Auktion für das Eckhaus ist morgen. Weißt du noch, was du zu tun hast?«

In Skys Ohren rauschte das Blut. »Nicht höher bieten als dreihundertfünfzig – obwohl ich denke, dein Limit sollte bei vierhunderttausend liegen«, fügte sie hinzu.

Das veranlasste Minnie, ihren Senf dazuzugeben. »Du kennst die Regeln. Niemals Freddys Limits überschreiten.«

Dieses offensichtliche Kräftemessen ließ Sky eine Augenbraue hochziehen. »Wurde ›Kaufe keinen Laden, wenn du eigentlich ein leeres Grundstück kaufen sollst‹ in die Regeln aufgenommen?«

In Freddys Augen blitzte es auf, und für einen kurzen Moment dachte Sky, er würde lachen und ihren Treffer anerkennen. Stattdessen ließ er Minnie sich bei ihm einhaken und ihn zur Tür ziehen. »Nein«, sagte sie leichthin. »Aber ›Verärgere nicht die Frau des Chefs‹.«

Selbst Freddy schien verunsichert von diesem Niveau an Dreistigkeit, und er verdrehte den Kopf, um Sky einen Blick über die Schulter zuwerfen zu können.

Sie sprang protestierend auf, zog scharf die Luft ein und dachte an all die Sechzehnstundentage und Sechs- oder Siebentagewochen, die ihre Liebe zu ihrem Job verlangt hatte; die ungenutzten Urlaubstage, die Beförderung, von der Freddy oft gesprochen, die er aber nie in die Tat umgesetzt hatte. Ihr Traumjob verwandelte sich vor ihren Augen in eine untragbare Albtraumstelle. »Ich kündige, Freddy«, sagte sie leise, aber mit fester Stimme.

Freddy lachte kurz auf, als würde er sie nicht ernst nehmen, und legte Minnie den Arm um die Taille. »Ja, klar. Bis Montag, Kumpel. Schreib mir morgen, ob du das Haus im guten alten Middledip ergattert hast, ja?«

Vor Wut und Trauer blieben Sky die Worte im Halse stecken.

Das frischverlobte Paar stolzierte aus dem Büro. Die Tür fiel hinter ihnen zu.

Sky ließ sich in ihren Schreibtischstuhl fallen, vor Schock schwindlig. Freddy hatte sie im Stich gelassen. Sie konnte damit leben, dass er Minnie ihr vorzog – aber nicht damit, dass er seelenruhig mit ansah, wie Minnie Skys Würde mit Füßen trat, die in Kroko-Christian-Louboutins steckten.

Hölzern wandte sie sich ihrem Laptop zu und tippte:

Sehr geehrter Freddy Walker,

nur eine kurze Mitteilung, um meine verbale Kündigung zu bestätigen. Mir stehen noch fünf Wochen Urlaub zu, und da ich nie einen Vertrag unterschrieben habe, nehme ich diese Zeit als Kündigungsfrist und betrachte meine Beschäftigung bei Freddy Walker Immobilien mit sofortigem Effekt als beendet, gültig ab heute, 27. Oktober.

Sie druckte ihren Text aus und unterzeichnete das Blatt mit zitternden Händen, ehe sie es auf Freddys Schreibtisch legte. Eine Kopie schickte sie ihm per E-Mail, für den Fall, die Kündigung würde im Chaos seines Arbeitsplatzes untergehen.

Sie verbrachte eine Stunde damit, Dinge zu Ende zu bringen, an diesem, ihrem letzten Tag als Entwicklungsmanagerin, inklusive eines Besuches auf der Webseite des Auktionshauses, wo sie sich Immobilien markierte, die für ihr Portfolio in Frage kämen. Ein neues, eigenes Projekt würde ihr eine gute Überbrückung bieten, bis sie entschieden hatte, was sie als Nächstes tun wollte, nachdem sie den Job, den sie dachte für immer zu haben, verloren hatte.

Eine Träne blieb an ihren Wimpern hängen. Sie blinzelte sie weg.

Dann legte sie ihr Diensthandy und ihren Laptop auf den Schreibtisch und ließ sie dort zurück. Ihr eigenes Handy steckte in ihrer Tasche, und ihr Computer stand zu Hause in ihrem schicken Apartment in einem umgebauten Industriegebäude in Mill Park.

Wie in Trance fuhr sie jetzt dorthin und ging im Kopf ihre Vergangenheit durch, während sie mit dem Verkehr kämpfte und Fahrradfahrer verfluchte. Zwei Jahre war es her, seit sie das Apartment gekauft hatte. Vorher hatte sie drei Jahre in einer anderen Wohnung mit ihrem netten blonden Freund Blake gewohnt. Zwei Jahre davor hatte sie ein Haus mit Garten hinter sich gelassen, als ihr temperamentvoller Ehemann Marcel genug gehabt hatte von ihrem arbeitsbesessenen Lebensstil. Er hatte ihr vorgeworfen, dass sie sich hinter ihrer Arbeit verschanzte, aus der Angst heraus, einer realen, lebendigen Person zu vertrauen würde sie doch nur verletzen. Sky hatte sich an Freddys Schulter ausgeheult und dann umso tiefer in die Arbeit gestürzt.

In Sachen Freundschaft war sie erfolgreicher gewesen als bei Beziehungen, aber irgendwann hatte sie auch ihre Freunde aus den Augen verloren. Eloise war in die Staaten gezogen, Luisa hatte einen Job in einer anderen Stadt angenommen, deren Name Sky nicht mehr einfiel, Marsha war Mutter geworden, und die Weihnachtskarte, die Sky ihr vor ein paar Jahren geschickt hatte, war im Januar mit der Notiz »Empfänger verzogen« zurückgekommen.

Diese negativen Konsequenzen ihrer Besessenheit davon, heruntergekommene Immobilien in wunderschöne Häuser und profitable Investments zu verwandeln, gingen ihr durch den Kopf, als sie auf einem Parkplatz für Elektroautos vor ihrem Apartmentkomplex hielt. Nachdem sie das dicke Kabel angeschlossen hatte, nahm sie den Aufzug ins oberste Stockwerk. Langsam entledigte sie sich ihrer Bürokleidung. Sie wusste, dass sie jetzt noch mehr in der Luft hing als damals, als sie sich aus dem Leben ihrer Mutter verabschiedet hatte. Damals hatte sie wenigstens einen Plan gehabt – auf Freddys Fußboden zu schlafen, bis sie die Schule beendet hatte und genug Geld für eine eigene kleine Wohnung verdienen konnte; hart zu arbeiten und für sich selbst zu sorgen, damit niemand sie mehr enttäuschen konnte.

Aber jetzt war ihr anspruchsvoller, erfüllender Job dahin, Freddy hatte sie verletzt, und ihr blieb nichts.

Sie schlenderte in die Küche, konnte aber weder etwas essen noch trinken. Es war, als hätte ihr Herz seinen normalen Rhythmus vergessen. Es hämmerte wie verrückt in ihrer Brust, so dass sie kaum noch Luft bekam. Panisch und in einem plötzlichen Anflug von Platzangst warf sie sich ihre Jacke wieder über und stürmte durch die Tür und die Treppen hinab, in Richtung Fußgängerzone. Wie ein wahnsinniger Jogger in Jeans und Jacke lief sie benachbarte Straßen entlang, als könnte sie die schrecklichen Ereignisse des Tages hinter sich lassen, indem sie ihre Schritte dem Rhythmus ihres Herzens anpasste.

Es funktionierte nicht.

Freddy würde Minnie heiraten, die vom ersten Tag an vorgehabt hatte, Sky aus Freddys Leben zu verdrängen, sobald sie ihren Hintern in seine Richtung geschwenkt hatte.

Sky zwang sich, ihre Schritte zu verlangsamen, als ihr die Leute seltsame Blicke zuwarfen. Ihre Beine fühlten sich an wie Gummi, und sie hielt taumelnd an, gab vor, ein Fenster mit Halloween-Dekoration aus geschnitzten Kürbissen im Fenster einer Erdgeschosswohnung zu betrachten.

Freddy und Freddy Walker Immobilien waren aus Skys Leben verschwunden. Die Erfüllung war vorbei; die Befriedigung der Recherche, der Organisation, die geistige Arbeit und das Zusammenstellen guter Teams von Handwerkern. Sie hatte mit Freddy eine Vision geteilt und war zuversichtlich gewesen, die versprochene Beförderung würde irgendwann Wirklichkeit werden.

Sie hatte nicht vorhergesehen, dass Freddy es endlich schaffen würde, eine Beziehung länger als sechs Monate zu halten, geschweige denn mitten auf der Straße auf die Knie zu gehen, um einen Heiratsantrag zu machen.

Sie hatte definitiv nicht vorhergesehen, jemals bei Freddy Walker Immobilien zu kündigen und Freddy den Rücken zu kehren. Freddy!

Zweites Kapitel

Obwohl sie total erschöpft war, wusste Sky, dass sie nicht würde schlafen können. Sie schleppte sich ins Bett und schaltete den Fernseher an. Ihr gewohntes Trostpflaster hatte sich seit ihrer Kindheit, in der sie oft alleingelassen worden war, nicht verändert.

Naturdokus.

David Attenborough war ihr Lieblingstierfilmer – ging das nicht jedem so? –, aber sie konnte immer etwas finden, das sie in eine andere Welt versetzte und sie die Realität vergessen ließ. Heute Abend versank sie in einer Sendung über nachtaktive Tiere, danach lief etwas über Eisbären. Die schrumpfenden Pole brachten sie zum Weinen. Zumindest redete sie sich ein, dass das der Grund für die Tränen war, die den Fernsehbildschirm verschleierten.

Schließlich schlief sie ein, eingelullt von dem gedämpften, beruhigenden Geräusch der Stimme von Ralf Little, der Monkey Life moderierte.

Ihr erster wacher Gedanke am Freitagmorgen war: Ich habe gekündigt. Ein Schauer des Erschreckens durchlief sie. Sie ließ sich wieder in ihre Kissen fallen und warf einen Blick auf ihr Handy. Keine Nachrichten von Freddy. Vielleicht konnte sie ihre Kündigung noch zurückziehen und …

Und Freddy würde Minnie immer noch heiraten, die Sky als Hindernis sah, Freddys Vergangenheit auszulöschen.

Dennoch plagten sie Schuldgefühle.

Hätte sie wirklich alles hinschmeißen sollen? Die Angestellten des Verwaltungsbüros hatten vermutlich gestern Abend abgesperrt und würden heute wieder arbeiten. Freddy würde am Montag zurückkehren. Aber … nein. Freddy würde denken, dass er Besseres von ihr erwarten konnte, als ihre Stelle aufzugeben. Sie konnte ihn in ihrem Kopf sagen hören: Wenn du nicht mit Minnie arbeiten kannst, dann hättest du mir Zeit geben sollen, dich zu ersetzen, Kumpel.

Sie zuckte zusammen. Selbst wenn Freddy eine besitzergreifende, arrogante Frau heiratete, war er immer noch Freddy. Die weiße Bettdecke bis zum Kinn gezogen, starrte sie die glatten grauen Wände und die weiße Decke an, während ihr Gewissen mit ihrem Gefühl der Verletztheit rang.

Zumindest hatte sie sich für die Auktion registriert, auf der heute das Eckhaus versteigert werden sollte. Das würde sie noch für Freddy tun.

Tief seufzend setzte sie sich im Bett auf und griff nach ihrem Handy, um eine E-Mail zu verfassen.

Hi, Freddy,

ich habe gestern überreagiert. Ich hoffe, du hast ein fabelhaftes Wochenende und ihr feiert schön. Lass uns am Montag reden. Wir werden schon einen Weg finden.

Sie konnte vorschlagen, dass Minnie nicht länger Skys Auszubildende war. Freddy hatte sowieso vor, seiner neuen Verlobten irgendwann ihr eigenes Kundenportfolio zu geben, also konnte er das auch gleich tun und sie selbst betreuen. Jetzt, da sie etwas getan hatte, fühlte sie sich schon besser, ging in ihrem schicken, weißen Badezimmer duschen, ehe sie sich einen rostfarbenen Hosenanzug und cremefarbene Stiefeletten anzog.

Ihr derzeitiger gehobener Lebensstil war lange ein unerreichbar scheinender Traum gewesen. Sie föhnte sich die Haare und ließ den Blick über das Flachdach des benachbarten Wohnblocks und den Park schweifen. Sie erinnerte sich daran, dass sie vorgehabt hatte, als Person zu wachsen, sich selbst zu verbessern und vielseitiger zu werden, wie ein Immobilienportfolio. Reisen hatte es in ihrer Kindheit nicht gegeben, also hatte sie bei ihrer ersten Arbeitsstelle alle Einladungen von Kollegen angenommen, hatte die freundlichen jungen Frauen, die ihr ganzes Leben lang schon Familienurlaube hatten erleben dürfen, sie durch Flughäfen führen lassen oder sich von ihnen zeigen lassen, wie man mit dem Zug zu Musikfestivals fuhr, mit Rucksack und Zelt auf dem Rücken. Clubs waren verlockend gewesen, Shopping eine Fähigkeit, die sie erst noch lernen musste.

Wenn sie so zurückblickte, war diese Work-Life-Balance gesund gewesen. Hatte sie das Streben nach Erfolg erst über alles gestellt, seit sie bei Freddy Walker angefangen hatte?

Sie versuchte, die unangenehmen Gedanken zu verdrängen und sich auf die Auktion und ihre vertraute, tröstliche Rolle zu konzentrieren, in der sie gut war.

Das Eckhaus würde um die Mittagszeit versteigert werden; ein paar andere Immobilien, an denen sie für ihr eigenes Portfolio interessiert war, waren früher an der Reihe. Das Geld war bereits auf der Bank, verdient mit anderen Immobilien, die sie besaß. Sie war ein Profi, wenn es darum ging, zu kaufen, zu restaurieren, zu vermieten und zu refinanzieren.

Gerade als sie die Arme in die Jacke schob, tauchte eine Benachrichtigung auf ihrem Handybildschirm auf. E-Mail: Freddy. Ein Schauer lief ihr über den Rücken, als sie die Mail öffnete und mit wachsendem Entsetzen las:

Ehrlich gesagt glaube ich du hast recht wahrscheinlich ist nicht genug platz in der firma für Minnie und dich. Lass es uns bei deiner kündigung belassen kumpel x

Sie schnappte nach Luft. Selbst mit Freddys üblicher Ablehnung von Großbuchstaben und Satzzeichen, die bei ihm höchstens von der Autokorrektur eingefügt wurden, war es kaum möglich, es anders zu interpretieren. Wirklich? Wirklich? Das war es für sie und Freddy Walker Immobilien? Das Ende von dreizehn Jahren gemeinsamem Erfolg? Mit flauem Gefühl im Magen und zitternden Fingern berührte Sky Freddys Namen in ihrer Liste der Kontakte und wartete darauf, dass der Anruf durchging. Es war, als würde ihr Leben um sie herum zusammenbrechen.

Es klingelte zweimal, dann ertönte Freddys Stimme. »Nicht jetzt, Sky, Kumpel«, fuhr er sie an.

Erneut durchflutete sie eine Welle von Schock und Schmerz. »Ich will nur mit dir reden …«

»Ich habe gesagt, jetzt nicht, verdammt.« Er legte auf.

Zitternd warf Sky das Handy auf ihr Bett. Wie eine Schlafwandlerin ging sie zu ihrer offenen Küche mit den modernen mattgrauen Einbauschränken und holte sich ein Glas Wasser. Sie brauchte ein paar Minuten, um sich zu sammeln, dann löste Wut den Schmerz ab.

Also, das war es dann. Freddy hätte es nicht deutlicher machen können, dass Sky in der nächsten Phase seines Lebens keine führende Rolle mehr spielen würde. Er hatte etwas Besseres gefunden, auch wenn Sky das nicht getan hatte. Der Verrat schmerzte so sehr, dass sich ihr fast der Magen umdrehte.

Sie sammelte ihre Sachen zusammen, schlüpfte in den schwarzen Wollmantel und nahm den Aufzug ins Erdgeschoss. Eine Stunde später parkte sie vor dem Konferenzzentrum in Peterborough, wo die Auktion abgehalten wurde. Sie bestätigte ihre Registrierung am Eingang und betrat dann die abgeschlossene Atmosphäre des Auktionssaals. Automatisch wählte sie einen Platz, wo sie für den Auktionator gut sichtbar war.

Keine der Immobilien, an denen sie Interesse hatte, war bisher unter den Hammer gekommen. Sie saß regungslos auf dem roten Stuhl und hörte mit halbem Ohr dem Heben und Senken der Stimme des grauhaarigen Auktionators zu, wobei sie die Assistenten beobachtete, die aufmerksam die Bieter im Blick hatten, damit ihnen keine erhobene Hand entging. Es war, als würde Sky über allem schwebend dabei zusehen, wie die Mitarbeiter Gebote per Telefon oder Internet entgegennahmen, Bieter im Saal nickten oder den Kopf schüttelten und ihre Bieterkarte in die Luft streckten. Der Hammer wurde an die Seite des Pults geschlagen, jedes Mal, wenn ein Objekt verkauft wurde.

Die erste potenzielle Immobilie für Sky war Nummer vierzig, ein Haus, das so gut in Schuss war, dass es nur das traurige Zeugnis davon sein konnte, dass ein armer Tropf seine Kreditraten nicht mehr hatte bezahlen können. Es zu kaufen würde wenig Arbeit bedeuten, ehe sie es vermieten könnte, aber auch wenig Potenzial, um den Wert zu steigern. Sie hatte einmal einen solchen guten Handel mit einem bezugsfertigen Haus in Cambridge gemacht, das sie tatsächlich nur durchfegen musste, ehe sie es mit einem Bruttogewinn von sechzigtausend weiterverkauft hatte, was es ihr wiederum ermöglicht hatte, eine andere Immobilie umzubauen, so dass dort kleine Wohnungen für hilfsbedürftige junge Leute entstanden waren.

Dieses Mal gingen die Gebote zu hoch.

Der Auktionator leierte seinen Text herunter, die Bieter rutschten auf ihren Sitzen herum und husteten.

Irgendwann hörte Sky: »Objekt achtundfünfzig. Vier Schlafzimmer, alleinstehende Immobilie auf großzügigem Eckgrundstück, gefragte Dorflage, komplett sanierungsbedürftig.« Das silberne Haar des Auktionators begann in dem überheizten Raum nach vorne zu fallen. »Höre ich ein Eröffnungsgebot von zweihunderttausend?«

Mit einem Mal sah sie den Saal in voller Farbe und scharfem Fokus.

Objekt achtundfünfzig war das Eckhaus. Freddy erwartete von Sky, dass sie bot. Trotz allem würde sie es für ihn erwerben, wenn sie es in seinem Rahmen von dreihundertfünfzigtausend Pfund bekommen würde.

Ein Gebot jagte das andere. Der erste Bieter war ein Mann mit dunklen, glänzenden Haaren, der auf der anderen Seite des Gangs drei Reihen vor ihr saß. Er war ruhig und konzentriert, im Gegensatz zu einer Frau genau vor ihr, die ihre Gebote mit ruckartigem Nicken begleitete. Von der Richtung der deutenden Hand des Auktionators zu urteilen, befanden sich zwei weitere Bieter hinter Sky und ein stellvertretender Bieter des Auktionshauses nahm von ganz vorne teil.

Die Gebote kletterten rasch auf dreihunderttausend. Als der Betrag bei dreihundertvierzigtausend anlangte, waren alle ausgestiegen, bis auf die zuckende Frau und den Typ mit den glänzenden Haaren. Sky saß immer noch regungslos da, bereit für Freddy den Arm zu heben, wenn sie konnte.

Bei dreihundertfünfzig schüttelte die Frau den Kopf, anstatt zu nicken. Sie hatte sich offenbar den gleichen Rahmen gesetzt wie Freddy.

»Dreihunderteinundfünfzig?«, schlug der Auktionator vor.

Der Glänzende-Haare-Kerl nickte. Als er sich zur Seite drehte, erblickte Sky einen leichten Dreitagebart und hohe Wangenknochen.

Der Auktionator benutzte den ganzen Arm, um auf ihn zu zeigen, wie ein Dalek mit seiner Strahlenwaffe. »Der Herr hier vorne für dreihunderteinundfünfzig. Dreihunderteinundfünfzigtausend Pfund.«

Er ließ den Blick über den Saal schweifen, mit diesem intensiven Starren und diesem zeigenden Arm, während seine Assistenten neben ihm ebenfalls den Raum überflogen. »Keine weiteren Gebote? Ich verkaufe. Zum ersten …«

Sky fragte sich, was der Glänzende-Haare-Typ sich als Obergrenze gesetzt hatte.

»… zum zweiten …«

Glänzende-Haare-Typ hielt seine Karte bereit, um sie jederzeit wieder in die Luft zu reißen.

Ein Verlangen nach dem Haus überkam sie, nach dem Dorf, nach etwas, an das sie sich festhalten konnte. Mit klarer Stimme rief Sky »dreihundertsechzig« und hob die rechte Hand.

Der Mann mit den glänzenden Haaren drehte sich in seinem Stuhl um, und sein dunkler Blick richtete sich auf sie. Sie beobachtete, wie er versuchte, dahinterzukommen, warum sie kurz vor dem letzten Hammerschlag erst eingestiegen war und das mit einem Sprung anstatt mit einem kleinen Schritt.

Stumm klärte sie ihn auf: Um dich zu überraschen und zu destabilisieren.

»Neue Bieterin«, rief der Auktionator zufrieden und schwang seinen ausgestreckten Arm in Skys Richtung. »Dreihundertsechzig sind geboten. Dreihundertsechzig, danke, Madam.« Der Arm schwenkte zurück zu dem Mann. »Dreihunderteinundsechzig, Sir?«

Glänzende-Haare-Typ sah Sky abwägend an, dann seinen Katalog, als würde der die Antwort liefern, ob er sich mit ihr anlegen sollte oder nicht.

»Dreihunderteinundsechzig, Sir?«, wiederholte der Auktionator drängelnd.

Nach einer Sekunde nickte der Mann, aber es war ein schnelles, unsicheres Nicken, ganz ohne sein vorheriges, ruhiges Selbstvertrauen.

Er hat seine Obergrenze überschritten. Wahrscheinlich überlegte er, wie viel mehr er zusammenkratzen kann, dachte Sky emotionslos. Sie war noch gut im Rahmen der vierhunderttausend, die sie ohnehin schon die ganze Zeit für die richtige Obergrenze für das Eckhaus gehalten hatte. »Dreihundertfünfundsechzig«, rief sie und hielt die Karte in die Höhe, um den Auktionator dazu zu bringen, den Hammer fallen zu lassen.

Ihr Gegner schüttelte den Kopf.

Sky verspürte einen triumphierenden Rausch, als der Hammer schließlich fiel. Der Auktionator verkündete ihre Kartennummer. Ein Mitarbeiter des Auktionshauses mit grauem Schnauzbart scheuchte sie in Richtung des Tisches, wo die Verträge unterzeichnet wurden, während die Stimme des Auktionators sich hob und senkte, als er zur nächsten Immobilie überging. Sky gab routiniert ihre Daten an: Führerschein, Nachweis über ihren Wohnort und andere Details, die für die Sicherheitsüberprüfung notwendig waren. Sie leistete die Anzahlung und bezahlte die Verwaltungsgebühr, was eines Anrufs bei ihrer Bank bedurfte, und unterzeichnete dann das Memorandum. Der Mann mit dem grauen Schnurrbart erinnerte sie daran, dass es sich um ein bedingungsfreies Bieterverfahren handelte und der Verkauf innerhalb von zwanzig Tagen abgeschlossen sein musste. Sie nickte. Es war alles vertraut und doch surreal.

Sie steckte ihre Kopie des Memorandums ein und stand mit zittrigen Knien auf. Was würde Freddy von ihr denken, wenn er erfuhr, dass sie das Eckhaus für sich selbst gekauft hatte anstatt für die Firma? Sie hatte ihn nicht aufs Kreuz gelegt, aber sie hatte auch noch nie etwas getan, was als Wildern auf seinem Territorium bezeichnet werden konnte.

Draußen in ihrem Auto auf dem kühlen grauen Parkplatz hielt sie inne, um nachzudenken, und plötzlich überkam sie ein Gefühl von Panik, als würde sie fallen, versinken. Sie hatte keine Pläne, musste sich mit niemandem treffen.

Seit dem Tag, als sie der kaum ansprechbaren Trish Murray erklärt hatte, dass sie weggehen würde, die schäbige Wohnung hinter sich gelassen hatte und mit dem Rucksack über der Schulter die verdreckte Treppe hinabgestiegen war, weil der Aufzug wie immer kaputt gewesen war, hatte sie gewusst, was sie zu tun hatte. Zu Freddys Wohnung gelangen. Ihren Schulabschluss mit den bestmöglichen Noten machen – viermal eine Eins plus, viermal eine Eins und zweimal eine Zwei. Einen Ausbildungsplatz bei einer Wohnungsbaugesellschaft ergattern, für ihren Berufsabschluss lernen, im Job vorankommen. Hart arbeiten. Den ganzen Tag arbeiten. So viele Tage wie möglich arbeiten.

Jetzt war es erst zwei Uhr nachmittags und tatsächlich völlig egal, in welcher Richtung sie den Parkplatz verlassen würde.

Sie überlegte fieberhaft, was sie tun könnte, dass nichts mit ihrer Rückkehr in ihre leere Wohnung zu tun hatte … und entschied sich für die Immobilie, die sie gerade erworben hatte. Das Eckhaus gehörte noch nicht offiziell ihr, aber sie konnte sich im Dorf ein wenig umschauen. Sie hatte Hunger. Sie konnte das Café ausprobieren, das auf der Facebook-Seite von Middledip erwähnt wurde. Voll frischer Motivation ließ sie den Wagen an und verließ den Parkplatz.

Auf der Schnellstraße, die schon seit Ewigkeiten mit Verkehrshütchen abgesteckt zu sein schien, war nicht viel Verkehr, und sie brauchte nur eine halbe Stunde, um aus der Stadt heraus, durch Bettsbrough und bis Middledip zu fahren.

Sie parkte vor dem Eckhaus und starrte durch die Windschutzscheibe. Der Himmel war stahlblau, hatte fast die gleiche Farbe wie die Steinwände, die durch einen Dschungel aus Bäumen und Gestrüpp zu sehen waren. Was einmal eine Koniferenhecke gewesen war, explodierte nun förmlich, wie Popeyes Spinat, wenn er die Dose zerquetschte.

Da es niemanden gab, den sie stören konnte, stieg sie aus, knöpfte ihren Mantel zu und trat an das Gartentor. Winter Street und Great Hill Road trafen sich hier, die Hauptstraße war ganz in der Nähe. Das protestierende Quietschen ignorierend, öffnete sie das Gartentor und folgte dem Pfad an überhängenden Büschen vorbei bis zur Haustür aus Eichenholz, mit Milchglasfenster und übergroßem, rostigem Türklopfer.

Sie blieb stehen und kam sich plötzlich ziemlich albern vor. Was tat sie hier? Die einzigen Bewohner des Hauses waren Staubmäuse, und die konnte sie nicht beseitigen, bis sie am 17. November den Vertrag unterzeichnet hatte.

Der Winterwind blies ihr um die Beine, als sie zu dem verrosteten, gusseisernen Tor zurückging und dann nach rechts in die Winter Street abbog, an der wuchernden Hecke vorbei, die den halben Bürgersteig unbenutzbar machte. Eine benachbarte, ordentlich getrimmte Ligusterhecke schien damit angeben zu wollen, wie eine schöne Hecke auszusehen hatte. Sky fand sich am Rande des Bankside Estates wieder. Gebaut aus sandfarbenem Backstein oder in einem altrosa Ton, folgten die Häuser ein paar grundlegenden Designs; die Gärten waren durchweg gepflegt.

Die Winter Street ging in die Top Farm Road über, wo die Grundstücke größer wurden, einige mit Säulen vor dem Eingang, andere mit Solarzellen auf dem Dach. Mit der Dorfmitte als Ziel bog sie nach links ab, überquerte die New Street, wo wie in der Winter Street an einem Ende neue Häuser standen, während man am Übergang zum älteren Teil des Dorfes an der Ladies Lane auch auf ein paar alte Steinhäuser stieß.

Jetzt kannte sie sich wieder aus. Links, am Bürgerhaus und den Sportanlagen vorbei, zum Pub Three Fishes an der Ecke. Stimmt, sie befand sich in der Hauptstraße, wo die Bushaltestelle war. Dort, vor einem Backsteinhäuschen mit einem Springbrunnen im Vorgarten, war sie jeden Morgen in den Bus gestiegen, als sie mit elf Jahren ins Bettsbrough Community College gewechselt war.

Da gab es eine Autowerkstatt. War die damals schon dort gewesen? Sie runzelte nachdenklich die Stirn und verlangsamte ihre Schritte. Stiefeletten mit den Absätzen waren nicht für längere Spaziergänge geeignet, aber sie ignorierte die brennenden Stellen an ihren Füßen und betrachtete den Dorfladen gegenüber der Werkstatt. Damals hatte er Crowthers geheißen. Jetzt stand Booze & News auf dem Schild.

Sie bog um die Ecke auf die Kreuzung The Cross und musterte die Häuschen in der Rotten Row. Sie wusste, wie vermutlich jeder, der mit Immobilien zu tun hatte, dass »Rotten Row« eine Verfälschung von »Rue le Roi« oder »King’s Street« war, aber es musste ein winziger König gewesen sein, nach dem diese Straße benannt war, in der Nan Heathers Haus stand.

Das Häuschen wirkte beinahe unverändert. Dieselbe goldene Ligusterhecke, derselbe rissige Betonpfad zum Seiteneingang. Sky starrte zu den Dachgauben hoch und fragte sich, wer jetzt wohl hier lebte und ob die Nachbarn sich an Nan Heather erinnerten. Sie beschloss, der Sache auf den Grund zu gehen, sobald das Eckhaus wirklich ihr gehörte – bei dem Gedanken musste sie sich kneifen, um es zu glauben –, und bog nach rechts ab. Da war das Café The Angel, ein Haus aus rotem Backstein im viktorianischen Stil, das ein wenig von der Straße zurückversetzt stand. Sky nahm sich einen Moment Zeit, um die alten Backsteine und die mit Fensterkreuzen versehenen Schiebefenster zu bewundern. Dann lockten die beleuchteten Fenster sie mit dem Versprechen auf eine dampfend heiße Tasse Kaffee. Sie ging zur Eingangstür.

Die Einrichtung im Innern war meergrün gehalten, und die Bodenfliesen formten ein fröhliches, mehrfarbiges Mosaik. Gerade als sie bei der glänzenden Glastheke ankam, dankbar um die gemütliche Wärme nach der Kälte draußen, hörte sie eine etwas steif klingende Stimme: »Glückwunsch zum Siegergebot.«

Erschrocken fuhr sie herum.

Der Mann mit den glänzenden Haaren, der gegen sie geboten hatte, starrte sie aus Augen, dunkel wie Kohle, an. »Sie sind das doch, oder? Sie haben gerade das Eckhaus gekauft?«

»Das habe ich.« Obwohl sein Gesichtsausdruck eher finster war, bedachte sie ihn mit einem höflichen Lächeln. »Tut mir leid, dass sie verloren haben.« In der Regel verzogen die Bieter bei Immobilienversteigerungen kaum eine Miene, wenn sie bei der Auktion nicht gewannen. Sie wurde so gut wie nie von Konkurrenten angesprochen – schon gar nicht, wenn das Auktionshaus dreißig Minuten entfernt lag. »Sie wohnen in Middledip?«, fragte sie, um sicherzugehen, dass er ihr nicht gefolgt war.

»Das tue ich. Kann ich Ihnen einen Kaffee spendieren?«, bot er an, ehe er weniger hastig hinzufügte: »Vielleicht einen Snack? Ich hatte noch nichts zu Mittag.«

Sie zögerte. Eigentlich hatte sie ihre Nachrichten lesen und nachsehen wollen, ob Freddy versucht hatte, die Wogen wieder zu glätten. In diesem Fall würde sie ihm erklären, warum sie das Eckhaus für sich selbst gekauft hatte.

Der Glänzende-Haare-Typ wirkte etwas ungehalten wegen seines Verlusts bei der Auktion, aber Sky konnte nur einen freien Tisch ausmachen, weshalb sie am Ende vermutlich sowieso mit ihm zusammensitzen würde. »Nun ja … danke.« Zu ihrem Kaffee entschied sie sich für einen Wrap mit Camembert und Weintrauben und ging vor, um den Tisch zu sichern, während er mit dem Tablett folgte.

Er gesellte sich zu ihr und legte Zuckertütchen und Papierservietten auf den Tisch. »Daz Moran«, stellte er sich vor, während er ihr gegenüber Platz nahm. »Darragh, eigentlich, aber alle nennen mich Daz.«

»Sky Terran«, erwiderte sie und bedankte sich für den Wrap, dessen Verpackung sie sofort aufriss. Der milde Käseduft ließ sie zum ersten Mal, seit Freddy mit seinem dreckigen Knie das Büro betreten hatte, wieder Appetit verspüren. »Ist Darragh ein irischer Name?«

Er nickte und schüttete den Inhalt eines Zuckertütchens in seinen Kaffee. »Meine Eltern sind zum Studieren nach England gekommen.« Er wechselte das Thema. »Ich hatte gehofft, das Eckhaus für ein Projekt mit meinen Freunden zu erwerben.«

»Tut mir leid«, wiederholte sie, ohne es wirklich zu meinen. Schlechte Verlierer hatten auf einer Auktion nichts verloren. Man steckt einen Haufen Arbeit in ein Projekt, dann kommt jemand daher und überbietet einen und alles war umsonst. So war eben das Spiel. »Wozu wolltet ihr das Haus haben?«

Daz packte sein Thunfischsandwich aus und hielt inne, um sich Mayonnaise vom Finger zu lecken. »Schlafsäle. Abenteuerunterkünfte, wie wir es nennen. In der Gegend gibt es Einrichtungen für Outdooraktivitäten. Die brauchen Schlafgelegenheiten für die Kinder und Lehrer oder Jugendleiter. Wir warten schon seit Ewigkeiten darauf, dass das Eckhaus auf den Markt kommt. Es wäre perfekt. Wir haben fünf Schlafsäle mit jeweils vier Doppelstockbetten geplant, Duschräume und einen Speisesaal. Jetzt stehen wir mit leeren Händen da.«

Sie hatte Mitleid mit ihm, dass er so viel Hoffnung in den Kauf gesteckt hatte, aber ihr fiel nur ein Grund ein, warum er weiterhin Energie in diese Unterhaltung stecken sollte, wo der Hammer doch gefallen war. Sie kaute auf ihrem Wrap und genoss die Cremigkeit des Käses und die Süße der roten Trauben. »Wenn Sie in Middledip wohnen, schätze ich, Sie haben mir das Mittagessen spendiert, um sich eine Chance zu verschaffen, herauszufinden, was ich mit der Immobilie vorhabe.«

Er leugnete es nicht. Sein Gesichtsausdruck wurde wieder ernst, was seine Wangen hohl wirken ließ und seine Kieferpartie wie aus Stein gemeißelt. »Das Eckhaus steht auf einem großen Grundstück, und im Dorf gibt es Befürchtungen, dass irgendein Investor es abreißen und einen modernen Wohnkomplex hochziehen könnte. Ich wohne selbst in der Winter Street.« Er fixierte sie mit seinem Blick.

»Ein Immobilienunternehmen hätte schon längst eine Machbarkeitsstudie durchgeführt«, entgegnete sie, provoziert davon, wie er ›irgendein Investor‹ betont hatte, als meinte er damit einen kaltschnäuzigen Immobilienhai. »Die Parkplatzsituation ist unbefriedigend, wenn man vorhat, dort mehrere Wohnungen zu schaffen, selbst wenn die Planung das Fällen von Bäumen erlauben sollte. Es ist unwahrscheinlich, dass eine Erlaubnis für ein mehr als zweistöckiges Gebäude in einer solch ländlichen Gegend erteilt würde, und die bestehende Bausubstanz ist solide, also ist eine Abrissgenehmigung ebenso unwahrscheinlich.«

Er blinzelte unter diesem Schwall an Informationen. »Also, wenn Sie keine Investorin sind … was haben Sie dann mit dem Haus vor?«

Seine Annahme, was ihren Beruf anging, zu korrigieren würde mit Sicherheit eine Menge weiterer Fragen nach sich ziehen, also hielt sie kurz inne, um den Moment zu genießen und den freudigen Rausch, der stark genug war, die Unsicherheit, was ihre Zukunft und ihre Trauer um Freddy anging, kurzeitig zu verdrängen.

»Nicht dass es jemanden etwas anginge«, entgegnete sie mit zuckersüßer Stimme, »aber ich beabsichtige, dort zu wohnen.«

Drittes Kapitel

Es war früh am Abend, als Daz seine Freunde Ismael und Vern an seiner Haustür in der Winter Street begrüßte. »Also, wie ich euch schon in der Nachricht gesagt habe, konnte ich das Eckhaus nicht bekommen. Tut mir leid, Jungs. Ein schöner Investor bin ich.« Er schob sie nach drinnen und schloss die Tür hinter ihnen, bevor zu viel der kalten Oktoberluft mit ihnen hineingelangen konnte.

Ismaels Augen und Haare waren sogar noch dunkler als Daz’ eigene, seine Haut hatte einen mediterranen Goldton, der mit seiner zyprischen Abstammung einherging, und, wie Vern, hatte er Kontakte zu erlebnispädagogischen Einrichtungen. Seufzend sagte er: »Du bist überboten worden. Wir wussten, dass die Konkurrenz eventuell über ein größeres Budget verfügt.«

Vern blickte verdrossen drein. Seine blonden Haare passten zu seinen blassblauen Augen. »Es wäre perfekt gewesen für unsere Zwecke, aber wir werden einfach weitersuchen müssen.«

Sie folgten Daz in die Küche, wo sie ihre Jacken über Barhocker warfen und sich am Küchentresen niederließen, während Daz im Kühlschrank nach Bier suchte. Als er fündig geworden war, schob er seinen Freunden zwei Dosen über die weiße Quarzoberfläche der Arbeitsplatte zu. »Danke, dass ihr hergekommen seid, obwohl wir uns eigentlich im Pub treffen wollten. Wilf ist oben und spielt Computer.« Mit »oben« meinte er das ausgebaute Dachgeschoss, wo er arbeitete und wo seine Computerspielausrüstung aufgebaut war, die wie ein Magnet wirkte auf den elfjährigen Wilford Brown. Er senkte die Stimme. »Seit sein Dad ins Gefängnis gekommen ist und Wilf und seine Mum im Dorf wohnen, ist er oft hier. Er ist völlig verloren, der arme Junge. Zu erfahren, dass Lewis ein Betrüger war, muss niederschmetternd gewesen sein. Er hat das Gefühl, als würde das ganze Dorf über ihn lästern.«

Vern öffnete die Bierdose. »Ich kenne sie zwar nur durch dich, aber seine Mum wird Wilf bestimmt heimholen, wenn du sie darum bittest, oder nicht? Sie scheint echt in Ordnung zu sein.«

»Ja, Courtney ist toll, aber Wilf kann ruhig hier sein.« Daz zog sich einen der weißen Barhocker heran. »Sie hat ihm erlaubt, bis acht zu bleiben, und ich werde ihn nicht früher rauswerfen.« Daz war mit Wilfs Dad Lewis aufgewachsen, und der einzige Brief, den Daz von ihm aus der Haft erhalten hatte, war eine Bitte gewesen. Ob Courtney meine Frau bleibt, ist zweifelhaft, aber sie wird immer Wilfs Mum sein, also bitte habe ein Auge auf sie und den Jungen, wenn es dir möglich ist. Obwohl Daz nicht wirklich eine Aufforderung gebraucht hätte, Courtney und Wilf zu unterstützen, hatte er sich doch angewöhnt, seinen eigenen Schock und seine Enttäuschung über Lewis’ Verhalten herunterzuspielen.

Das vergangene Jahr hatte einer Achterbahnfahrt an Veränderungen geglichen. Daz’ hübsche, aber launenhafte Freundin Abi hatte ihn im November verlassen, um nach London zu ziehen; Lewis war im Januar verhaftet worden, woraufhin Wilf und Courtney im September nach Middledip umziehen mussten. Courtney hatte keine Chance mehr gesehen, das riesige Haus in Bettsbrough ohne Lewis’ Gehalt zu halten.

Ismael und Vern waren tolle Kerle, aber sie waren vergleichsweise erst kurz mit Daz befreundet. Beide waren als Erwachsene nach Middledip gezogen, wohingegen Daz schon sein ganzes Leben hier wohnte. Sie waren beide verheiratet, aber Daz war Single, seit Abi in Richtung der verlockenden Großstadtlichter davongeflattert war. Ismael war gerade Vater geworden, Vern hatte zwei Kinder im Grundschulalter … und Daz hatte keinerlei Erfahrung als Vater, versuchte aber dennoch für einen orientierungslosen Elfjährigen da zu sein. Nichtsdestotrotz, sich gemeinsam mit Vern und Ismael in die Planung der Abenteuerunterkünfte zu stürzen hatte geholfen, ihn von der Tatsache abzulenken, dass Lewis inhaftiert war. Jetzt konnte er das zermürbende Gefühl der Enttäuschung darüber, dass ihnen das Eckhaus durch die Lappen gegangen war, nicht abschütteln.

Ihm war nicht klar gewesen, wie sehr er sich die Veränderung wünschte, die das Projekt mitgebracht hätte, bis sie ihm verweigert worden war.

»Armer Wilf«, meinte Ismael mitfühlend. »Es ist unglaublich hart, wenn jemand, zu dem man aufsieht, einen so im Stich lässt.«

»Ich fand es selbst schwer genug, wie muss es da erst für einen Elfjährigen sein«, stimmte Daz grimmig zu. »Lewis hat in einer Bank gearbeitet. Er muss gewusst haben, dass sein Betrug früher oder später auffliegen würde.« Wie wenn man auf einen blauen Fleck drückt, um zu sehen, wie weh es tat, verspürte er den Drang, immer wieder zu testen, wie sehr es ihn schmerzte, dass Lewis eine vertrauensvolle Position missbraucht hatte, um Kunden auszunehmen.

Vern nahm einen Schluck von seinem Bier. »Ich weiß nicht genau, was er getan hat. Ich habe nur in der Zeitung gelesen, dass eine Frau beteiligt war.«

Daz senkte den Blick, als trüge er eine Mitverantwortung für die Taten seines ältesten Freundes. »Sie war eine alte Bekannte aus der Uni. Schwerkrank. Sie brauchte eine spezielle Behandlung in der EU, und er hat ihre GoFundMe-Webseite organisiert. Er war Leiter einer kleinen Bankfiliale in der Innenstadt, und als das Geld aus den Spenden aufgebraucht war, hat er einen älteren, alleinstehenden Kunden mit gutem Einkommen ins Visier genommen und ihm angeboten, sein Konto zu betreuen. Dann nahm er im Namen dieses Kunden einen Kredit auf, nahm das Geld und bediente die Schulden über das Einkommen des Mannes. Er leitete die Kontoauszüge auf die Bankfiliale um, damit der Kunde ›nicht davon belästigt wurde‹. Als weitere Behandlungen nötig waren … fand er weitere ältere, alleinstehende Kunden, die er ausnehmen konnte – bis einer von ihnen online seine Kontoauszüge einsah und die Wahrheit ans Licht kam. Lewis wurde wegen Veruntreuung zu vier Jahren Haft verurteilt.«

»Wow.« Vern schüttelte entsetzt den Kopf. »Hast du ihn schon besucht … im Gefängnis?« Das letzte Wort schien ihm schwer über die Lippen zu kommen.

Daz hatte eine erprobte Antwort auf diese Frage, die den Vorteil hatte, wahr zu sein, aber gleichzeitig seinen Widerwillen, Lewis unter den gegebenen Umständen zu sehen, verschleierte. »Ich stehe auf seiner Liste der für den Gefängnisbesuch zugelassenen Freunde und Familienmitglieder, aber ich will nicht, dass er seine Besuche an mich verschwendet. Er braucht sie für seine Familie.« Er hatte noch andere, ähnliche Verdrängungstaktiken: Er wollte nicht Lewis’ Vorrat an privatem Geld mit Anrufen dezimieren, selbst E-Mails kosteten vierzig Pence, weil jede Nachricht ausgedruckt und zu dem jeweiligen Häftling gebracht werden musste. Dem Häftling. Den Begriff bloß zu denken, verursachte Daz einen Kloß im Hals. Natürlich hätte er auch etwas für Lewis’ Häftlingskonto spenden können, um den Kontakt zwischen ihnen zu finanzieren. Aber das hatte er nicht getan.

Es bereitete ihm ein schlechtes Gewissen, aber er war nicht der Einzige, der Lewis aus dem Weg ging. Wilf hatte bisher jeglichen Kontakt mit seinem Vater abgelehnt.

Courtney dagegen besuchte ihn alle zwei Wochen, obwohl er ihre Welt auf den Kopf gestellt hatte. Sie sagte, er respektiere sowohl Daz’ als auch Wilfs Gefühle.

Ismael schien zu spüren, dass ein Themenwechsel angebracht war. »Was hat der Käufer denn mit dem Eckhaus vor? Weißt du das?«

Daz setzte die Ellenbogen auf die kühle weiße Quarzplatte, die Abi unbedingt hatte kaufen müssen, um sie dann vor einem Jahr einfach zurückzulassen, wie alles andere im Haus auch, inklusive Daz. »Sie sagt, sie will darin wohnen.«

Ismaels zog die dunklen Brauen hoch. »Hat sie etwa eine riesige Familie? In dem Haus könnte man eine Garnison unterbringen.«

Daz zuckte mit den Schultern und trank noch einen Schluck Bier. »Ich konnte sie schlecht ins Kreuzverhör nehmen, was ihre Familie angeht. Sie hat allerdings gesagt, sie wolle es nicht abreißen und auch keinen hässlichen Wohnkomplex hochziehen.«

Ismael schnaubte. »Meinst du, das hätte sie dir gegenüber zugegeben? Vielleicht hat sie dich als besorgten Dorfbewohner erkannt und dir erzählt, was du hören wolltest.«

Obwohl ihm bei dem Gedanken nicht ganz wohl war, lachte Daz nur. »Komm schon, du zerstörst meinen Glauben an die Menschheit. Und ich habe ihr einen Kaffee spendiert.« Das Leuchten in ihren Augen, als sie gesagt hatte, ich beabsichtige, dort zu wohnen, hatte ihn glauben lassen, dass sie keinerlei Absichten hegte, ihr wunderschönes Dorf zu verschandeln. Andererseits hatte sie auch meinen können: Ich beabsichtige, dort zu wohnen … bis ich die Baugenehmigung habe. Dann stopfe ich das Grundstück voll mit Kaninchenstall-großen Wohnungen und schlage so richtig Profit daraus. War Sky Terran so kaltschnäuzig und berechnend?

Er zog sein Handy hervor und tippte ihren Namen in das Suchfeld. Nachdem er mehrere Schreibweisen ihres Namens ausprobiert hatte, runzelte er die Stirn. »Das scheint ihr LinkedIn-Profil zu sein. Verdammt. Sie ist Entwicklungsmanagerin bei einer Immobilienfirma. Das ist ein anderes Wort für Investor, oder?« Er seufzte schwer und versuchte, sich daran zu erinnern, ob Sky Terran wirklich gesagt hatte, dass sie keine Investorin war. »Obwohl ich davon ausgehe, dass auch ein Investor irgendwo wohnen muss, wie jeder andere auch.«

Ismael sah interessiert auf. »Wie war sie denn so, Daz?«

»Geschäftsfrau, Ende dreißig, würde ich sagen.« Nachdenklich nahm Daz einen Schluck Bier und genoss das Prickeln der Kohlensäure im Mund.

»Hübsch?«, hakte Ismael nach. »Vielleicht hat ihr gutes Aussehen dich geblendet, so dass du ihren schändlichen Plan nicht erkennen konntest.« Sein vielsagendes Grinsen deutete darauf hin, dass er die Enttäuschung des Tages leichter verwand als Daz.

Daz stellte verärgert fest, dass seine Wangen unwillkürlich heiß wurden, als er an ihre schlanke Figur und ihr glänzendes honigblondes Haar dachte, das sie am Hinterkopf zu einem Dutt gedreht hatte. Obwohl er ihre Selbstbeherrschung und ihre Attraktivität noch gut vor Augen hatte, log er. »Ist mir nicht aufgefallen.«

Fußgetrappel auf der Treppe kündigte Bewegung über ihnen an, und Sekunden später stürmte Wilf lautstark über den Holzboden des Flurs. »Mum hat geschrieben. Muss los«, rief er kurz angebunden und steckte die Füße in seine schmutzigen, nicht gebundenen Turnschuhe. Seine braunen Augen wanderten zu Vern und Ismael, und er sagte etwas verspätet: »Hallo.« Dann zog er sich die Kapuze seines Hoodies vom Kopf, was seine mausbraunen Haare in alle Richtungen abstehen ließ.

Vern und Ismael lächelten und erwiderten seinen Gruß. Daz stand auf. »Ich begleite dich zurück, Wilf.«