Mit Anne-Lina in ein neues Leben - Gloria Rosen - E-Book

Mit Anne-Lina in ein neues Leben E-Book

Gloria Rosen

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Beschreibung

Die Familie ist ein Hort der Liebe, Geborgenheit und Zärtlichkeit. Wir alle sehnen uns nach diesem Flucht- und Orientierungspunkt, der unsere persönliche Welt zusammenhält und schön macht. Das wichtigste Bindeglied der Familie ist Mami. In diesen herzenswarmen Romanen wird davon mit meisterhafter Einfühlung erzählt. Die Romanreihe Mami setzt einen unerschütterlichen Wert der Liebe, begeistert die Menschen und lässt sie in unruhigen Zeiten Mut und Hoffnung schöpfen. Kinderglück und Elternfreuden sind durch nichts auf der Welt zu ersetzen. Genau davon kündet Mami.   »Du willst mir in letzter Zeit gar nicht gefallen.« Besorgt musterte Frau Urban ihre Älteste, als sie sich am Abend in der gemütlichen Sesselecke gegenüber saßen. »Dein Gesicht ist viel zu blaß und schmal geworden. Dein Pflichtbewußtsein als Krankenschwester in allen Ehren, aber meiner Meinung nach tust du des Guten zuviel und übernimmst dich in sträflicher Weise. Dein aufreibender Dienst im Krankenhaus und dazu nach Feierabend noch deine Fürsorge um Frau Bilger übersteigt entschieden deine Kräfte.«   »Aber sie ist eine solch reizende Nachbarin, die sich nur schwer an die Krücken gewöhnen kann«, verteidigte sich Ulrike. »Sie ist immer so herzlich zu mir. Es tut mir unsagbar leid, daß sie sich den schlimmen Oberschenkelhalsbruch zugezogen hat und nun dazu verdammt ist, sich ihr künftiges Leben lang nur noch an Krücken bewegen zu können. Schuld daran ist eine kleine Verkürzung ihres Beines, was nie mehr ausgeglichen werden kann.«   »Trotzdem dürfte dir dein Mitgefühl einigen Ärger einbringen. Frau Bilger ist mehr denn je davon überzeugt, daß du ihr doch noch ihren Herzenswunsch erfüllst und ihren Einzigen heiratest. Du solltest ihr nachdrücklich klar machen, daß du niemals daran denkst.«   »Als ob ich das nicht schon hätte.« Die Tochter seufzte tief auf. »Leider will sie nicht einsehen, daß ich nichts für Gerald empfinde. Außerdem weiß ich nicht mal, ob er aus Zuneigung um mich wirbt oder nur deshalb, weil er seiner Mutter eine Freude machen will. Er tut doch alles für sie, denn sie ist ihm mit Abstand das Liebste auf der Welt.«   Das gab Frau Urban spontan zu,

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Seitenzahl: 117

Veröffentlichungsjahr: 2016

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Mami – 1817 –Mit Anne-Lina in ein neues Leben

Gloria Rosen

  »Du willst mir in letzter Zeit gar nicht gefallen.« Besorgt musterte Frau Urban ihre Älteste, als sie sich am Abend in der gemütlichen Sesselecke gegenüber saßen. »Dein Gesicht ist viel zu blaß und schmal geworden. Dein Pflichtbewußtsein als Krankenschwester in allen Ehren, aber meiner Meinung nach tust du des Guten zuviel und übernimmst dich in sträflicher Weise. Dein aufreibender Dienst im Krankenhaus und dazu nach Feierabend noch deine Fürsorge um Frau Bilger übersteigt entschieden deine Kräfte.«

  »Aber sie ist eine solch reizende Nachbarin, die sich nur schwer an die Krücken gewöhnen kann«, verteidigte sich Ulrike. »Sie ist immer so herzlich zu mir. Es tut mir unsagbar leid, daß sie sich den schlimmen Oberschenkelhalsbruch zugezogen hat und nun dazu verdammt ist, sich ihr künftiges Leben lang nur noch an Krücken bewegen zu können. Schuld daran ist eine kleine Verkürzung ihres Beines, was nie mehr ausgeglichen werden kann.«

  »Trotzdem dürfte dir dein Mitgefühl einigen Ärger einbringen. Frau Bilger ist mehr denn je davon überzeugt, daß du ihr doch noch ihren Herzenswunsch erfüllst und ihren Einzigen heiratest. Du solltest ihr nachdrücklich klar machen, daß du niemals daran denkst.«

  »Als ob ich das nicht schon hätte.« Die Tochter seufzte tief auf. »Leider will sie nicht einsehen, daß ich nichts für Gerald empfinde. Außerdem weiß ich nicht mal, ob er aus Zuneigung um mich wirbt oder nur deshalb, weil er seiner Mutter eine Freude machen will. Er tut doch alles für sie, denn sie ist ihm mit Abstand das Liebste auf der Welt.«

  Das gab Frau Urban spontan zu, wobei sie allerdings einschränkte: »Gerald ist zudem ganz vernarrt in dich, was keinesfalls zu übersehen ist.« Sie lächelte. »Vater und ich sind auch stolz auf unsere hübsche Tochter – vielmehr Töchter«, verbesserte sie sich sogleich.

  Dabei fiel ihr Blick auf die Jüngere, die ihrem Vater am Wohnzimmertisch gegenübersaß. Beide konzentrierten sich ganz auf ihr Schachspiel.

  Ulrike war ihrem Blick gefolgt. »Mir ist schleierhaft, welch engelhafte Geduld und Ausdauer meine Schwester in ihrem ansonsten so sprühenden Temperament aufbringen kann.«

  »Schachmatt«, rief Manuela in diesem Moment siegesbewußt aus.

  »Du hast es mal wieder geschafft«, konterte ihr Vater resigniert und zwinkerte ihr dann neidlos zu. Er erhob sich. »Es wird Zeit, daß wir uns zur Ruhe begeben.«

  »Der Meinung bin ich auch. Für mich war es wieder ein aufreibender Tag. Ich wünsche euch eine Gute Nacht.« Ulrike verließ rasch das Zimmer.

  Minuten später ließ sie sich wohlig in ihr Bett fallen. Sie schloß die Augen, konnte aber nicht gleich schlafen.

  Manuela steckte ihren Kopf zur Tür herein. »Darf ich noch einen Moment hereinkommen? Es dauert ganz gewiß nicht lange.«

  Schon saß sie auf Ulrikes Bettrand und griff nach ihren Händen. Ihr Gesicht wirkte ungewöhnlich ernst. »Die Eltern machen sich große Sorgen um dich. Du siehst wirklich ziemlich angegriffen aus. Morgen komme ich mit dir zu Frau Bilger. Du kannst mich einweisen, wie sie zu betreuen ist. Dann nehme ich dir deine Aufgabe ab. Ich tue es wirklich gern.«

  Sie beugte sich näher zu der Schwester und bannte deren Blick in ihrem. »Du machst dir doch nichts aus Gerald, nicht wahr?«

  »Nein. Wieso fragst du so eigentümlich?«

  Da strahlte die Jüngere. »Weil ich bis über beide Ohren in Gerald verliebt bin. Er ist…« Sie brach errötend ab. Ihr Gesicht nahm einen kummervollen Ausdruck an. »Leider sieht er nur dich. Mich beachtet er kaum.«

  Ulrike lächelte sie aufmunternd an. »Dann werden wir uns eben etwas einfallen lassen, damit sich all sein Sinnen und Trachten nur auf dich konzentriert. Aber bitte nicht jetzt, sondern morgen. Ich bin todmüde und möchte endlich schlafen.«

  »Sollst du auch.« Manuela umspannte die Hände der Schwester fester und blickte sie beschwörend an. »Zuvor mußt du aber mir jedoch fest versprechen, daß du dich so bald wie möglich vom Arzt untersuchen läßt. Du schaust nun wirklich hinfällig aus.«

  »Nun übertreibe nicht gleich«, widersprach Ulrike gerührt. »Damit du endlich Ruhe gibst, werde ich in den nächsten Tagen einen von unseren Ärzten im Krankenhaus konsultieren.«

  Aufatmend zog sich Manuela zurück, während die Ältere augenblicklich in einen tiefen Schlaf fiel.

  Der Zufall kam ihr am nächsten Tag zu Hilfe, ihr Versprechen einzulösen. Als Ulrike nämlich in ihrer Freistunde auf einer abgelegenen Bank in den Anlagen des Krankenhauses saß und sich wohlig den wärmenden Strahlen der Sonne hingab, zuckte sie beim Klang einer sonoren Stimme jäh zusammen. Sie starrte den vor ihr stehenden Mann sekundenlang wie aus weiter Ferne an.

  »Habe ich Sie in Ihren Träumen erschreckt? Das wollte ich nicht«, entschuldigte sich Dr. Heiner Harthoff, der Oberarzt ihrer Abteilung. Er musterte sie intensiver. »Unter Ihrer leichten Bräune sehen Sie angegriffen aus. Fehlt Ihnen etwas?«

  Die mitfühlenden Worte ihres väterlichen Freundes, für den Ulrike ihn seit jeher ansah, taten ihr wohl. Sie rückte zur Seite. »Möchten Sie sich nicht zu mir setzen? Ich würde mich gern mit Ihnen unterhalten. Oder haben Sie keine Zeit?«

  »Für die nächsten zwei Stunden schon«, versicherte er ihr und ließ sich neben ihr nieder. »Sie haben doch etwas auf dem Herzen. Wollen Sie sich mir anvertrauen?«

  »Liebend gern, denn mit Ihnen kann ich nahezu alles besprechen, weil Sie stets den besten Rat wissen und zudem äußerst verschwiegen sind.« Sie holte tief Luft. »Ich fühle mich tatsächlich in letzter Zeit überfordert. Irgendwie schlapp und nervös. Mitunter habe ich auf etwas Heißhunger und doch wieder keinen Appetit. Dazu rebelliert manchmal mein Magen. Wahrscheinlich esse ich zu unregelmäßig. Wichtiger als Essen und Trinken ist mir allemal das Wohlbefinden meiner Pfleglinge.«

  »Das ist mir hinreichend bekannt.« Gütig schaute der Arzt sie an. »Wann hatten Sie eigentlich das letzte Mal Urlaub?«

  Ulrike zog die Stirn kraus und dachte nach. Sie zuckte die Achseln. »Das ist schon eine Weile her. Vermutlich im vorletzten Jahr. Es gab stets wichtigere Dinge für mich.«

  »Natürlich, Sie haben sich ja auch ausnutzen lassen.« Der Arzt zankte sie gutmütig aus und gab ihr im bestimmten Ton zu verstehen, daß sie umgehend ihren Urlaub einreichen sollte. Er erhob sich. »Und nun kommen Sie mit mir mit. Ich habe augenblicklich Zeit, um Sie einmal zu untersuchen. Wenn wir wissen, was Ihnen fehlt, kann sofort Abhilfe geschaffen werden.«

  Das war allerdings ein gründlicher Irrtum. »Zwar kann ich Ihnen versichern, daß Sie nicht ernsthaft krank sind, aber…«

  Sie sah ihn beunruhigt an. »Was meinen Sie damit?«

  Er lächelte stillvergnügt vor sich hin un erkundigte sich dann: »Ist Ihnen eigentlich noch gar keine Erleuchtung gekommen, was es mit Ihrem Unwohlsein auf sich hat? Sie sind doch ausgebildete Krankenschwester und eine erstklassige dazu.«

  Als sie nicht antwortete, sondern grüblerisch dreinblickte, sagte er mit ernster Miene: »Menschenskind, Sie bekommen ein Baby. Heiraten Sie darum möglichst bald. Sie und der Vater des Kindes sind sich doch einig, nicht wahr?«

  Zuerst starrte Ulrike ihn ungläubig an. Dann begannen ihre Augen zu strahlen. Ihr Gesicht nahm einen ganz verklärten Ausdruck an. Während sie ihre Hand unwillkürlich auf den Bauch legte, wiederholte sie mehrmals mit glücklicher Stimme: »Wir werden ein Baby haben. Mein Gott, Lutz wird überglücklich sein. Am liebsten würde ich es ihm gleich mitteilen.«

  Sinnend betrachtete der gütige Arzt sie. »Es dürfte das Beste sein, wenn man Sie für den Rest des Tages beurlaubt. Ich selbst werde dafür sorgen, indem ich es auf mich nehme, sie heimgeschickt zu haben, weil Sie infolge Überanstrengung in den letzten Tagen einen Schwächeanfall erlitten haben. So beugen wir vor, daß Sie verraten, was wirklich mit Ihnen los ist. Sie wissen ja selbst, welch Blüten mitunter der Krankenhausklatsch treibt. Darum sollten Sie Ihr Geheimnis vorläufig für sich behalten, bis zumindest Ihre Hochzeit gefeiert worden ist. Was halten sie von meinen Vorschlägen?«

  »Sehr viel. Sie denken aber auch an alles.« Dankbar und bewundernd zugleich schaute Ulrike Dr. Harthoff an. »Ich weiß nicht, wie ich Ihnen Ihr großartiges Verhalten belohnen soll.«

  »Indem Sie jetzt wirklich schleunigst und möglichst ohne Aufsehen hier verschwinden.«

  Es gelang Ulrike dann tatsächlich, daß niemand ihr Fortgehen bemerkte. Wie eine Traumwandlerin schlich sie durch eine Nebentür ins Freie. Sie bekam ein Baby, und Lutz war der Vater. Welch eine glückliche Zukunft lag doch vor ihr.

*

  In Ulrike war ein Singen und Klingen wie nie zuvor. Ihre Augen strahlten mit der Maisonne um die Wette. Mit jeder Faser ihres Herzens sehnte sie sich danach, sofort zu Lutz zu eilen und ihm die glückliche Botschaft zu verkünden.

  Sie eilte auf ihren parkenden Wagen zu. Jäh verhielt sie im Schritt. Erst jetzt ging ihr bewußt auf, daß sie seine Adresse nicht kannte. Er hatte ihr nicht einmal seine Telefonnummer genannt. Das war ihr bislang auch nicht wichtig gewesen. Sie trafen sich ohnehin immer in regelmäßigen Abständen in dem abseits gelegenen Waldlokal »Zur stillen Klause«. Beide stimmten in ihrer Meinung überein, ihr erstes Glück ganz allein für sich zu genießen. Um so glücklicher waren sie.

  Ihr fiel ein, daß sie auch für den heutigen Abend dort verabredet waren. Das versetzte sie sofort wieder in Hochstimmung. Gleichzeitig kam ihr der Gedanke, sich besonders hübsch zu machen. Ihr Treffen würde ja einen besonders feierlichen Anlaß haben. Dazu brauchte sie umbedingt ein festliches Kleid.

  Sie entschloß sich, in die nahegelegene Großstadt zu fahren, weil da die Auswahl weitaus größer war. Zum Glück kannte sie sich dort aus und fand einen Parkplatz in der Nähe der Innenstadt.

  Zielstrebig wandte sie sich den Auslagen des ersten Modegeschäftes zu. Während sie die ausgestellten Modelle eingehend betrachtete, hörte sie plötzlich hinter sich eine Stimme, die sie unter Tausenden heraus erkannt hätte.

  Ruckartig wandte sie sich um. Ihr Blick traf sich mit Lutz’. Sein Gesicht erbleichte. Dann sah er gleichgültig über sie hinweg.

  Er wandte sich einem Kind zu, das ihn anbettelte: »Wann bekomme ich denn nun das versprochene Eis, Vati?«

  Gleichzeitig ertönte eine Frauenstimme: »Du hast es Timo versprochen. Ich sehe außerdem dort drüben eine Eisdiele. Gehen wir also dorthin.«

  Während sich die drei in Bewegung setzten, starrte Ulrike ihnen nach. Das mußte soeben doch wohl ein böser Traum gewesen sein! Es konnte, es durfte nicht sein, daß Lutz… Sie wagte nicht, den Gedanken zu Ende zu bringen. Dennoch vermochte sie den Blick nicht zu lösen von den Dreien, die unweigerlich zusammen gehörten.

  »Ist Ihnen nicht gut, gnädige Frau? Kann ich etwas für Sie tun?« Unbemerkt war ein Herr auf sie aufmerksam geworden, zumal jede Farbe aus ihrem Gesicht gewichen war.

  Ulrike riß sich zusammen. Sie zwang sich sogar ein Lächeln ab. »Vielen Dank für Ihre Sorge. Ich bin wohl ein bißchen zu schnell gegangen, weil ich etwas Dringendes zu erledigen hatte. Ist schon wieder gut.«

  Sie setzte sich rasch in Bewegung und schlug unwillkürlich den Weg zum Parkplatz ein. Mechanisch schloß sie die Autotür auf und setzte sich hinter das Steuer. Bevor sie jedoch den Anlasser betätigte, zwang sie sich eisern zur Ruhe. Sie durfte sich durch keinerlei Probleme belasten, wenn sie ihr Auto nach Hause lenkte. Das könnte nämlich nicht nur sie, sondern auch andere Menschen im Straßenverkehr gefährden.

  Außerdem redete sie sich ein, daß sie falsche Schlüsse gezogen hatte. Lutz hätte sie zumindest gegrüßt, wäre er es gewesen. Entweder handelte es sich um einen unerwähnt gelassenen Zwillingsbruder oder einen unbekannten Doppelgänger. Sie bildete sich ein, daß das Letztere der Fall sein mußte, und verdrängte alle anderen Zweifel.

  Dennoch war ihr die Lust vergangen, sich ein neues Kleid zu kaufen.

  Zum Glück war niemand zu Hause. Sie entsann sich, daß ihre Eltern frühzeitig am Morgen zu Tante Linda, einer Schwester ihres Vaters, gefahren waren, während Manuelas Arbeitstag

im Büro noch nicht beendet

war.

  So fand sie reichlich Zeit und Muße, um über das kurze, schockierende Erlebnis nachzudenken. Sie erwog das Für und Wider, ohne eine Schlußfolgerung zu finden. So gab Ulrike es auf und überließ es der Aufklärung durch Lutz.

  Dennoch verstrich die Zeit heute viel zu langsam und zermürbte sie nahezu.

  Sie langte auch viel zu früh beim Waldlokal an. Kaum hatte sie ihren Wagen geparkt, als eine feste Hand sie am Arm ergriff.

  »Ich warte schon seit einer halben Stunde auf dich«, sagte Lutz ungeduldig und zog sie zu einer abseits stehenden Bank, wo er sie zunächst ungestüm in seine Arme riß und mit einer erschreckenden Leidenschaft küßte.

  Ulrike ließ es willenlos geschehen. So kannte sie ihn gar nicht. Stets war er sanft und liebevoll mit ihr umgesprungen, und seine Küsse von einer tiefen Innigkeit gewesen.

  Als er sie endlich los ließ, sank sie wie betäubt auf die Bank. Sie war unfähig, auch nur ein Wort zu sagen.

  Das nutzte Lutz natürlich aus. Er ließ sich neben sie nieder und umspannte ihre beiden Hände. Dabei sah er sie so verzweifelt an, daß es ihr durch Mark und Bein ging. »Du ahnst gar nicht, wie leid es mir tut, daß du es auf diese schockierende Weise erfahren hast, was ich dir aus grenzenloser Liebe und Angst, dich zu verlieren, verschwiegen habe.«

  Zerknirscht gab er zu, verheiratet zu sein und einen fünfjährigen Sohn zu haben. »Meine Ehe scheint nur nach außen hin glücklich, weil wir diesen Anschein aufrechterhalten. In Wirklichkeit erlebe ich die Hölle an der Seite einer Frau, die absolut gefühlskalt und herrschsüchtig ist. Falls sie überhaupt zur Liebe fähig ist, dann gehört sie ausschließlich unserem Sohn, den sie verwöhnt und verhätschelt. Wehe, ich bestrafe ihn einmal, wenn er es verdient hat. Dann spricht meine Frau tagelang nicht mit mir.«

  Lutz rückte ein wenig von ihr ab. Er lachte bitter auf. »Ich Dussel bin ihr blindlings auf den Leim gegangen. Sie erweckte meine Leidenschaft, weil sie unbedingt verheiratet sein wollte. Was ihr ja auch leicht gelang, bevor ich recht zur Besinnung kam. Wie oft habe ich später bereut, mich in einer schwachen Stunde so sehr vergessen zu haben, daß ich dann plötzlich gezwungen war, sie um des Kindes willen schleunigst zu heiraten. Die Schande…«

  Er brach aufstöhnend ab.

  Ulrike war bis ins Innerste aufgewühlt. Ihre Stimme zitterte, als sie ihm vorwarf: »Wie abscheulich, daß du es so siehst und absolut verkennst, wie schrankenlos die Hingabe einer liebenden Frau ist. Zudem wird heutzutage niemand mehr einer Frau nachreden, die ihr Kind unehelich bekommt und es allein aufzieht.«