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Dieses Buch erzählt über eine Reise mit dem Fahrrad im Sommer 2022 durch die USA, beginnend in New York bis zum Pazifischen Ozean in Ocean Shores und nach Seattle (Seatac)
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Seitenzahl: 237
Veröffentlichungsjahr: 2023
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Einen Weg kann man höchstens dann gehen, wenn man damit beginnt.
Nach drei Büchern über meine Radreisen in Europa nach Westen, Norden und Süden möchte ich auch über ihre „logische Fortsetzung“ in der gleichen Form erzählen und meine Leser wieder mitnehmen, von der Großstadt New York durch die wunderschönen aber fordernden Appalachen, das flache Land in der Mitte der USA, durch die unendlichen Weiten Montanas und den Wald der Rocky Mountains bis zum pazifischen Ozean und nach Seattle.
Die Emotionen und Gedanken auf dieser Reise werden genauso thematisiert, wie die Motive und die Strategie, die mich mein Ziel erreichen haben lassen.
Ich möchte meine Leser bewegen, etwas anzupacken und aufzubrechen, auch wenn manche Wege oft schwierig und aussichtslos scheinen. Wir alle haben Emotionen und Ängste bei neuen Herausforderungen – Nur wenn wir sie annehmen, können wir Zuversicht gewinnen und daran wachsen.
Manfred Maier, Kirchberg an der Pielach, Frühjahr 2023
Davor|Fortsetzung
07.7.2022, Flug nach New York
08.7.2022, Der erste Fahrtag
09.7.2022, Aller Anfang ist schwer
10.7.2022, Gastfreundschaft
11.7.2022, Vierter Fahrtag
12.7.2022, Lernen
13.7.2022, Vielfalt
14.7.2022, Tag des Mobile Phones
15.7.2022, Ohio erreicht
16.7.2022, macht optimistisch
17.7.2022, Rainy, but successful
18.7.2022, Elfter Fahrtag
19.7.2022, Illinois, neue Zeitzone
20.7.2022, Zermürbender Wind
21.7.2022, Wisconsin
22.7.2022, Ein Vorbildtag
23.7.2022, Draufgabe
24.7.2022, 2000er geknackt
25.7.2022, Follow the great river,
26.7.2022, Service, für mich und mein Rad
Warum und Wozu?
27.7.2022, Weiter geht’s
28.7.2022, Trotz Wind entspannt und zufrieden
29.7.2022, Nicht nach Plan
30.7.2022, South Dakota
31.7.2022, Starker Wind, ich bleibe
Die Ausrüstung
Das Rad
Das Cockpit und die Lenkertasche
Die Getränkeflaschen
Im Rucksack
Am Mann
Linke Packtasche
Rechte Packtasche
Oben auf dem Gepäckträger
01.8.2022, Die Strategie geht auf
02.8.2022, Immer ein Stück weiter
03.8.2022, Kurzstrecke
04.8.2022, Der Wind schiebt mich
05.8.2022, North Dakota
06.8.2022, Montana
07.8.2022, Eine ruhige Fahrt
08.8.2022, Ruhetag
Was erfolgreich machen kann
Vorbemerkungen
Den Weg zum Ziel bilden viele Schritte. Ich mag sie
Fehler, Probleme und die Schuldigen
Immer das Gleiche
Das richtige Maß
Pflicht und Disziplin
Die Perspektive
Ein Konzept
Wollen – Glauben – Handeln
Erst das Ende ist das Ende
09.8.2022, Schotterpiste
10.8.2022, Ich fliege mit dem Ostwind
11.8.2022, Kurzstrecke
12.8.2022, Ein schöner Tag
13.8.2022, Hochzeitstag
14.8.2022, Es läuft gut
15.8.2022, Service
16.8.2022, Sehr zufrieden
17.8.2022, Schnell
18.8.2022, Kurzstrecke
19.8.2022, Beschaulich und schnell nach Idaho
20.8.2022, Tag 44
21.8.2022, Das Sprunggelenk hält
22.8.2022, Ruhetag
23.8.2022, Washington
24.8.2022, Ereignislos und schnell
25.8.2022, Nie wieder Radweg
26.8.2022, Erzwungener Servicetag
27.8.2022, Alles wieder gut
28.8.2022, A great day
29.8.2022, Einfache Fahrt nach Chehalis
30.8.2022, Schnell und entspannt nach Aberdeen
31.8.2022, Pacific Ocean
01.9.2022, Beginn der Rückreise
02.9.2022, Herbstlich
03.9.2022, Spannend bis zum Schluss
04.9.2022, Zieleinlauf beginnt
05.9.2022, Aufarbeiten und neu organisieren
06.9.2022, Der Versuch, das Rad los zu werden
07.9.2022, Ziellinie und Date
Gedanken zum Abschluss
Nach meinen bisherigen Radreisen von meinem Heimatort in Niederösterreich in die westlichste, nördlichste und südlichste Gegend Europas – jeweils so weit es mit dem Fahrrad geht – wäre die logische Fortsetzung eine Reise nach Osten, bis zum pazifischen Ozean oder (in mehreren Etappen) sogar darüber hinaus.
In den Jahren, in denen ich mir durch viele Überstunden eine berufliche Auszeit dafür erarbeite, kreisen meine Gedanken um eine solche Reise – um mögliche Wege und Ziele, um die Herausforderungen, die Risiken und den Gewinn, den ich mir von einer solchen Reise erwarte.
Irkutsk am Baikalsee scheint mir schließlich als erste Etappe für den Sommer 2022 realistisch und es fließen bereits viel Zeit und Energie in eine konkrete Planung. Der Krieg Russlands gegen die Ukraine lässt aber meine Träume wie die sprichwörtlichen Seifenblasen platzen.
Hadernd und etwas unflexibel und unwillig nach einer Alternative suchend entdecke ich aber schließlich am Ende meines Berichts über meine erste große Radreise nach Finisterre in Spanien die Passage „Ich könnte auch noch zurückfahren, oder mit dem Schiff über den Atlantik.“
Und damit beginne ich mich langsam für eine neue, vielleicht sogar bessere Idee zu faszinieren: Nämlich meine erste Reise im Jahr 2013 nach Finisterre auf der anderen Seite des Atlantik fortzusetzen, immer weiter nach Westen – vielleicht sogar solange, bis ich wieder daheim ankomme.
Sofort nach der Entscheidung im späten Frühjahr entsteht eine Eigendynamik: Ich buche einen Flug nach New York am 7. Juli 2022. Bei allen meinen Radreisen haben meine Frau Sylvia und ich die Rückreise gemeinsam angetreten – also buchen wir für sie einen Flug nach Los Angeles am 6. September, ein Wohnmobil für die Rückreise nach New York und einen gemeinsamen Rückflug nach Wien.
Für die zwei Monate bis zum Date gibt es für mich und mein Rad viele mögliche Ziele und Routen, viele neue Träume und viele Ängste, vor allem die Angst davor, irgendwann mittendrin erkennen zu müssen, dass ich (als Jahrgang 1960) einfach zu alt für ein solches Unternehmen bin.
Aber ich fliege nach New York und fahre los, mit aller Bescheidenheit, jedoch im Bewusstsein, dass man einen Weg höchstens dann gehen kann, wenn man damit beginnt.
Bei meinen bisherigen Radreisen bin ich immer zu Hause weggefahren, ich habe mich dadurch langsam an das für mich Fremde gewöhnen können. Mit dem Start in New York wird nicht nur die Logistik komplizierter, sondern ich falle mitten hinein ins Abenteuer. Dadurch habe ich seit Wochen wieder Schmetterlinge im Bauch, wie beim ersten Mal, insbesondere heute am Flugtag.
Jetzt im Flugzeug, habe ich Zeit, die letzten Wochen der Vorbereitung vorbeiziehen zu lassen. Der immer wieder aufgeschobene Beschluss für diese Reise liegt sehr knapp vor dem heutigen Tag, es ist daher viel zu tun gewesen in den letzten Wochen:
Nach einigen Recherchen im Internet, Telefonaten mit dem Außenministerium und der amerikanischen Botschaft entscheide ich mich rasch für die Unterstützung durch ein Reisebüro. Ein engagierter Mitarbeiter von Ruefa trägt wesentlich zur Planung bei und nimmt mir viel Organisationsarbeit ab:
Die Einreise in die USA ist mit ESTA wesentliche einfacher als mit einem Visum, allerdings beschränkt sich dabei der Aufenthalt auf neunzig Tage und ist mit der Notwendigkeit verbunden, ein Rückflugticket zu buchen. Also wird die Gesamtdauer der Reise mit 89 Tagen, die Dauer für die Radreise mit 60 Tagen festgelegt.
Das Rad kommt zu einem Generalservice, wird gerade noch fertig, ein wenig zerlegt und in einen Karton verpackt. Das restliche Gepäck kommt in eine billige Reisetasche, die ich genauso wie den Karton in New York zurücklassen werde.
Ich buche ein Hotel in Flughafennähe, um nach der Landung ausreichend schlafen zu können, das Rad zusammenzubauen und zu beladen und um mich ein wenig auf die neue Situation einzustellen.
Das übliche Reisegepäck wird um leichtes Kochgeschirr und einen Kocher ergänzt, das Tablet und die Tastatur durch meinen leichten Laptop ersetzt. Ich brauche ihn für vernünftige Kommunikation, für das Schreiben und Veröffentlichen eines Blogs für alle, die gerne virtuell dabei sind, für die laufende Organisation und eine großräumige Routenplanung.
Ein USB-Akku mit größtmöglicher Kapazität, die im Flugzeug zugelassen ist, für alle elektronischen Geräte und ein Reisestecker kommen ebenfalls mit. Ich checke Versicherungen, kläre Zahlungsmodalitäten und die Zugriffsmöglichkeiten auf meine Bankkonten.
Die Navigationsmöglichkeit durch Google-Maps wird durch die App „TomTomGO“ am Handy ergänzt, die zugehörigen Karten speichere ich auf der SD-Card, sodass eine offline-Verwendung möglich ist. Eine amerikanische SIM-Karte für Telefonie und Daten rundet schließlich die Vorbereitung ab.
Wichtigstes Thema in den letzten Tagen ist die Verabschiedung meiner Kinder und Enkelkinder. Es ist mir klar, dass mein Unternehmen nicht ganz risikolos ist und ich möchte meiner Rolle als Vater erwachsener Kinder, vor allem aber als Großvater möglichst lange gesund gerecht werden. Drei Monate sind für kleine Enkelinnen eine lange Zeit. Die Tatsache, dass ich sie so lange nicht sehen werde, macht mir die Entscheidung für dieses Unternehmen schwer. Letztlich aber ist mir sehr schnell klar, dass ich es mir selbst irgendwann nicht verzeihen würde, wenn ich zu Hause bliebe. Und außerdem glaube ich daran, dass meine Umgebung daran profitieren kann, wenn ich hoffentlich reicher an Ausgeglichenheit, Erfahrung und Selbsterfahrung von dieser Reise zurückkomme.
Der heutige Tag verläuft aus objektiver Sicht unspektakulär, für mich aber ist er vielfältig und spannend:
Nach einem guten Frühstück und den letzten Handgriffen zur Packordnung bringt Sylvia mich mit dem Auto zum Flughafen Schwechat. Auf dem Weg dorthin erfahre ich bei einem Kurzbesuch, dass sich ein viertes Enkelkind angekündigt hat – Die Motivation, auf mich Acht zu geben, wird dadurch wesentlich gesteigert.
Am Flughafen scheint zwar die Abgabe des Sportgepäcks keine Routine zu sein, der Rest aber ist der im Wesentlichen vorhersehbare Lauf durch Security-Check, Pass-Kontrolle und Boarding-Prozedere.
Beim Blick aus dem Flugzeugfenster präsentiert sich die Erde unter mir so, als wäre sie bloß eine stark verkleinerte Karte der Wirklichkeit, wodurch mir wieder einmal die Endlichkeit unseres Heimatplaneten bewusst wird. Eine einfache und kurze Rechnung bestätigt: Denkt man sich die Erde auf die Größe eines Fußballs verkleinert, dann bewegt sich das Flugzeug nur Bruchteile eines Millimeters über dem Boden am oberen Ende jenes Teils der Atmosphäre, in dem Leben möglich ist. Die Ozeane würden die Oberfläche zu zwei Dritteln mit einem dünnen Wasserfilm überziehen. Dabei wäre der Mariannengraben, die tiefste Stelle unter der Wasseroberfläche, ein Kratzer im Leder des Balls mit einer Tiefe von ebenfalls nur Bruchteilen eines Millimeters.
Anderseits scheint über den Weiten des Atlantischen Ozeans das Flugzeug still zu stehen und ich kann nicht genug lesen und schreiben, ohne den Eindruck zu bekommen, dass auch die Zeit still steht.
Nach der Landung findet die Langeweile ihre Fortsetzung durch ewig lang empfundenes Anstellen bei der Pass-Kontrolle. Endlich an der Reihe habe ich noch einige Fragen der Einwanderungsbehörde zu beantworten, um einen Überblick zu geben, wer ich bin, was ich hier will und wann ich wieder nach Hause fliegen werde. Es ist aber ein nettes Gespräch und meine Antworten scheinen dem Officer zu gefallen. Nachdem er auf die Frage nach meinem Beruf hört, dass ich Mathematik unterrichte, ist seine abschließende Frage, ob Fünf und Acht eh Zwölf ist. Tatsächlich etwas verunsichert und mich selbst fragend, ob das eine Fangfrage sein soll, korrigiere ich in meiner Antwort zaghaft auf Dreizehn – und ich werde mit einem freundlichen Lächeln in die Vereinigten Staaten von Amerika eingelassen.
Mein Gepäck ist anschließend rasch gefunden, das Taxi zum Hotel kostet mich 45 Dollar, das Hotel selbst 137 Euro – Es ist aber trotzdem unterster Standard, wie ich schon beim Einchecken feststelle. Im Laden ums Eck kaufe ich noch rasch Bier und Trinkwasser. Die späte Stunde und die damit verbundene Dunkelheit in Kombination mit den mir zwielichtig erscheinenden anderen Kunden und der fremden Umgebung bewirken dabei ein leicht mulmiges Gefühl in der Bauchgegend. Die Präsenz von Polizei wirkt dabei bestätigend aber gleichzeitig auch Sicherheit gebend. Als ich einer Polizistin am Ladeneingang die Tür aufhalte, reagiert sie darüber positiv überrascht.
Mehr Zeit als geplant nimmt der Zusammenbau des Rads ein, es ist aber beruhigend zu sehen, dass danach alles einwandfrei funktioniert, sodass die Nachtruhe entspannt beginnen kann. Es ist 23:30 Ortszeit, daheim erwacht bereits der neue Tag, eigentlich habe ich also die Nacht durchgemacht und geh jetzt am Morgen schlafen ...
88 km, 548 hm, maximale Seehöhe: 72 m
Die Nacht war heiß und kurz und von einer intensiven Ameisenjagd im Zimmer begleitet. Menge und Art des Frühstücks versprechen keine lang verfügbare Energie. Die Kommunikationstechnik mit der amerikanischen SIM-Karte im Mobiltelefon funktioniert einwandfrei. Viel Zeit verstreicht noch beim Herstellen der Packordnung, ich gebe den Rad-Karton und das Verpackungsmaterial beim Portier zur Entsorgung ab und hinterlege die Reisetasche mit dem Hinweis, dass ich sie mir im Herbst vielleicht wieder hole. Schnell kaufe ich noch ein paar Sandwiches als Tagesverpflegung und dann geht es los. Raus aus der Stadt zu kommen, mich an das Fahrverhalten des beladenen Rades und an die neue Umgebung zu gewöhnen sind die Ziele des heutigen Tages.
Zunächst lasse ich mich mit der Radeinstellung von Google lotsen. Das funktioniert anfangs recht gut und der Verkehrsstress ist gering. Auch die Brücke nach Manhattan überquere ich noch einfach, dann aber fahre ich mindestens eine Stunde im Kreis: Auf meine Frage, wie ich zur „West-Side“ gelange, zu der viele Wegweiser zeigen und die ich als das auf meinem Weg liegende New Jersey-City interpretiere, antwortet ein Polizist etwas mitleidig lächelnd: „You are at the West-Side“. Erst langsam wird mir klar, dass damit die westliche Seite von Manhattan gemeint ist und daher beide Navigationssysteme für mich nicht mit den Wegweisern übereinstimmen.
Endlich führt mich Google-Maps zu einer Fähre, die mich über den Hudson River und damit auf den von mir gewünschten Weg bringt. Ich suche noch erfolglos an einigen Tankstellen nach einem passenden Anschluss zur Erhöhung des Reifendrucks und ärgere mich, dass ich mich mit der Bedienung der Kamera nicht besser auseinandergesetzt habe.
Der Asphalt ist über weite Strecken viel schlechter als erwartet. Zusammen mit den vielen Ampelstarts kostet das einiges an Energie. Der Weg führt hauptsächlich durch Gegenden, die nicht wirklich Lust auf eine entspannende Einkehr machen, also fahr ich stundenlang durch. Der Stress auf den Highways, Westwind und keine Aussicht auf gewohnte Rahmenbedingungen für Unterkunft und Verpflegung setzen mir ein wenig zu. Der Versuch, den Highways auszuweichen führt zwar durch eine schöne Wohngegend, aber letztlich zugunsten eines rascheren Weiterkommens auf Umwegen wieder zurück. Einen unrunden Lauf des rechten Pedals kann ich zwar rasch als „gestern nicht gut angeschraubt und daher schnell repariert“ einstufen, Nervosität wegen eines eventuell kaputten Tretlagers kommt aber trotzdem kurz auf. Und um mich nicht schon am ersten Tag zu verunsichern und zu verausgaben, peile ich daher das nächstbeste, leider wieder teure Hotel an.
Und jetzt sitze ich nach unbefriedigendem Einkauf im Regen am Zimmer und beginne hadernd zu erkennen, dass ich die Tage genauer, vielleicht auch vollkommen anders planen muss, als bisher. Glücklicherweise ergibt eine erste Recherche, dass – zumindest für die nächsten Tage – die Autobahnen weniger, die Campingplätze häufiger und die Hotels billiger werden.
143 km, 1.319 hm, maximale Seehöhe: 424 m Gesamte Strecke: 231 km, 1.867 hm Der Anfang fehlt – ich habe den Tracker nicht eingeschaltet :(
Ich habe gut geschlafen und mit Dehnen und Massieren der angegriffenen Muskulatur bring ich mich halbwegs auf Vordermann – aber Körper und Gemüt spüren den gestrigen Tag doch ein wenig.
Nach einem kargen Frühstück klicken um 8:00 Uhr die Pedale. Es ist bald heiß, aber der aufkommende Ostwind beflügelt. Im Tagesverlauf wechseln stressige Highways mit schattigen, ruhigen Lokalstraßen. Die Highways brauche ich auf meiner ganzen Reise für ein Weiterkommen mit zufriedenstellendem Tempo. Entgegen meiner ursprünglichen Vorstellung sind das keine Autobahnen, sondern einfach Fernstraßen, die aber sehr unterschiedlich sind: Die Spanne reicht von achtspurig, viel befahren und stressig bis zu zweispurig, einsam und ruhig. Definitiv verboten sind für mich als Radfahrer nur die sogenannten „Interstates“, das sind die mit der „roten Krone“ (siehe Karte) und entsprechen etwa unseren Autobahnen.
Irgendwann in der Tagesmitte gibt’s „Chicken Fingers“ in einem bescheidenen Lokal. Dabei sende ich über Signal Grüße in die laufende Geburtstagsfeier eines Schwagers und freue mich über ein Foto von meinen Enkelinnen als Antwort. Der Straßenverlauf wird immer mehr zu einem kräfteraubenden Auf und Ab.
Glücklicherweise kaufe ich noch schnell an irgendeiner Tankstelle Wasser und Sandwiches. Die angepeilten Motels sind nämlich alle voll belegt, daher entscheide ich mich für den einzigen Campingplatz in erreichbarer Nähe. „100 Mile View Camping“ wird er genannt. Aus dem Namen ist herauslesbar, dass der Platz irgendwo oben liegt, ich habe aber nicht bedacht, wie hoch oben das ist. Also gibt es nach etwa 140 Kilometern zum Abschluss des Tages noch eine richtige Quälerei über rund 250 Höhenmeter. Die Straße verläuft so steil, dass ich das Rad manchmal schieben muss, und ein paar mal habe ich mich am Straßenrand auf den Rücken zu legen, um nicht vor Erschöpfung umzufallen.
Am Ende ist aber alles gut – abgesehen davon, dass der Räuber, der sich mir im Smalltalk als Inhaber des Platzes, Nachfahre von Einwanderern aus der Schweiz und Weinbauer, vorstellt, fünfzig Dollar in bar für die eine Nacht verlangt. Die Gegenleistung besteht aus ein paar mobilen Klo-Häuschen und einem Fass Wasser mit schlecht funktionierendem Auslaufhahn für die Körperpflege. Aber ich werde wenigsten gratis zur Verkostung des Weines eingeladen, den der Schweizer dort an einem Stand zum Verkauf anbietet. Und die Aussicht entspricht tatsächlich fast dem Namen des Platzes und entschädigt ein wenig für die Plagerei.
Bargeldreserven und Muskulatur sind an diesem Abend genauso ausgesaugt, wie der Akku meines Telefons. Ohne Zusatzakku hätte ich schon an diesen ersten beiden Tagen die Navigation nicht geschafft. Heute ist er auch zum Laden des Laptops notwendig, den ich auf einem großen Stein vor dem Zelt sitzend intensiv nutze, um den morgigen Tag zu planen und im Tagebuch zu schreiben. Ich wünsche mir eine gute erste Nacht im Zelt.
110 km, 1.674 hm, maximale Seehöhe: 506 m Gesamte Strecke: 341 km, 3.541 hm
Viel Wind vor dem Zelt, vor allem aber Zweifel an meinem Unternehmen lassen mich sehr schlecht schlafen. Diese Zweifel, die mich vor allem in den Morgenstunden überkommen, begründen sich vermutlich mit dem hohen Puls als Folge der gestrigen Forderung meines Körpers, damit, dass ich mich durch den Preis für den Campingplatz betrogen fühle, mit der Unsicherheit, wie das wohl weitergehen wird und mit einer vermutlich aus all dem resultierenden Sehnsucht nach Sicherheit in der gewohnten Umgebung im Kreis der lieben Menschen daheim. Der Abbau des Zelts und eine minimale Körperpflege nehmen mehr Zeit in Anspruch als geplant.
Aber erwartungsgemäß geht es am Beginn bergab, das entspannt ein wenig. Und auch die Fahrt über die nächsten zwanzig Kilometer verläuft ohne besondere Herausforderungen, allerdings auch ohne besondere Highlights. Dann kommen schlechter Asphalt und ein Streckenverlauf, der zwar immer wieder schnelle Abfahrten beschert, auf den häufigen und steil aufwärts führenden Abschnitten aber spüre ich das Gepäck sehr deutlich, ich fühle mich unangenehm gefordert („Es is a bissl zach“).
Suchend und fragend finde ich aber endlich ein am Weg liegendes Lokal dessen Name „Dutch Kitchen“ hält, was er mir verspricht: Es gibt hier die erste befriedigende Mahlzeit seit ich das letzte Mal die Kochkünste meiner Frau genießen konnte – und sie spendet Kraft für den Nachmittag.
Bei einer langen rasanten Abfahrt entdecke ich aus dem Augenwinkel heraus im letzten Augenblick ein malerisches Gästehaus mit Restaurant und dem Schild „open“ davor und ich beschließe eine Pause für ein kühles Bier (Fotos von Google).
Es gibt keine Möglichkeit, mit der Karte zu zahlen und meine wenigen Dollars will mir die Wirtin auch nicht nehmen, also lädt sie mich auf mein „Corona“ ein und zeigt mir mit ein wenig Stolz das ganze in der Zeit des Vordringens in den Westen errichtete Haus. Außerdem stellt sie fest, dass ihre Urgroßmutter auch aus Austria kommt, sieht daher eine Verpflichtung, mich zu unterstützen und vermittelt mir eine Gratis-Unterkunft bei einem Freund in meinem geplanten Zielort Sunbury.
Dort werde ich herzlich begrüßt, erhalte durch das Haus des selbständigen Physiotherapeuten eine Führung, bekomme das ganze obere Stockwerk zur Nutzung, werde zur Nutzung der Waschmaschine überredet und von dem radbegeisterten Paar zum Barbecue eingeladen und dabei mit wertvollen Tipps für meine Weiterfahrt versorgt.
105 km, 745 hm, maximale Seehöhe: 453 m Gesamte Strecke: 446 km, 4.286 hm ab der letzten Bar hab ich den Tracker wieder nicht eingeschaltet
Im Morgengrauen – das Wort beschreibt nicht nur die Tageszeit, sondern auch meine Stimmung – kommen wieder die gleichen Zweifel wie gestern. Mein Körper ist auch am Morgen noch heiß von der Sonne und mir gehen Abbruchgedanken durch den Kopf. Aber neben meinen Sandwiches stehen mir noch eine Kaffeemaschine und ein paar Goodies von Jim und seiner „girl friend“ für ein gutes Frühstück zur Vefügung. Und als um 7:20 Uhr die Pedale klicken und ich die frische Luft einatme, ist alles wieder besser.
Viele Kilometer denke ich noch über meine Missstimmung nach. Dabei wird mir klar, dass ich mir wirklich Druck nehmen muss. „I have to slow down“, entgegnete ich gestern schon Jim, als er mir beim Barbecue für heute einen Tourenvorschlag gemacht hat, der länger wäre, als der von mir geplante. Ich spüre, dass ich zumindest am Anfang noch die Geborgenheit eines Hotels brauche und akzeptiere, dass es halt dann teurer als geplant wird – was soll’s, mein vierzigjähriges Dienstjubiläum hat mir ein vierfaches Gehalt beschert und ich gestehe mir zu, es für meine Touren zu verwenden :). Außerdem liegen zumindest für die nächsten Tage sowieso nur wenige Campingplätze am Weg und das „Wilde Campieren“ ist mir alleine durch die Wassermenge, die ich mitführen müsste noch zu aufwändig und ich finde kaum Stellen, an denen sich das anbieten würde und die mir sicher erscheinen. Besser ist es, wenn ich mich zunächst auf schaltfreudiges Fahren konzentriere und darauf, meinen Rhythmus beim Treten und für die Pausen zu finden.
Die vorbeiziehende Landschaft ist von Landwirtschaft dominiert – weder hässlich noch fotogen. Kornblumen säumen oft den Straßenrand. Es tut gut, dass hier wirklich „only smooth hills“ sind, wie Jim angekündigt hat. In irgendeinem Nest falle ich in das aufgelassene „Woodward Inn“ ein. „It’s a public“, sagt mir der Nachbar, also lasse ich mich in einen weichen Sessel auf der Terrasse fallen und stille meinen aufkommenden Hunger.
Nach der Pause wird es wieder mühsam: Der Magen ist voll, das Auf und Ab der Straßenführung erinnert an dasWaldviertel,Westwind kommt auf und die Sonne knallt erbarmungslos herunter. Obwohl es nicht mehr weit zum Ziel ist, brauche ich noch ein paar kurze Pausen. In Zukunft muss ich versuchen, früher weg zu kommen, um die Mittagshitze zu vermeiden.
Ein paar Kilometer vor meinem Zielort State College zwingt mich der Anblick einer Bar zu einer Pause. Ein kühles Bier fließt durch die Kehle, zwei der gleichen Sorte kommen in Dosenform in den Rucksack. Im angepeilten Motel ist tatsächlich noch ein Zimmer frei und kurz nach 14 Uhr bin ich eingecheckt – ich habe endlich Zeit.
Im nahegelegenen Supermarkt kann ich ein erstes Preisgefühl bekommen (es ist teuer) und ein wenig einkaufen. Natürlich ist wieder Trinkwasser dabei, denn fast allen bisherigen Empfehlungen zu Folge sollte man das Leitungswasser nicht trinken. Und auch die beste Popocreme, die mir der Verkäufer in der Pharmacia anbieten kann, wandert in das Einkaufswagerl – leider ist sie schon notwendig.
Meine Aufmerksamkeit ist in den ersten Tagen jeder größeren Tour von den neuen Herausforderungen gebunden. Fotografieren ist leider Nebensache. Die Anzahl der Fotos ist daher am Beginn eher gering, die Motive sind nicht immer repräsentativ. Ich versuche aber heute schon mehr als bisher, bei einem guten Abendessen im Pub des Motels meine Eindrücke wenigstens sprachlich im Online-Tagebuch festzuhalten – oft entspannt zurückgelehnt und die Stimmung im Lokal einfangend und genießend. Ich beginne, mich wohl zu fühlen, während daheim schon fast der neue Tag beginnt.
137 km, 2001 hm, maximale Seehöhe: 661 m Gesamte Strecke: 583 km, 6.287 hm
Die Salbe hat sehr gut gewirkt – ich möchte gar nicht wissen, was da alles drinnen ist. Am Morgen kommt noch ein Salbenpflaster auf die Wundstelle, um die Mitte des Tages kann ich es wieder weg geben. Mit wieder ein wenig Morgengrauen mache ich mich an die morgendliche Routine und ich komme wieder erst später weg, als geplant. Aber heute ist es nicht so heiß, denn der Himmel bleibt fast den ganzen Tag bedeckt bis bewölkt.
Das Motto lautet heute von Anfang an: Achte auf dich und vor allem auf deinen Hintern. Bergauf und bergab geht es aus der Stadt. Anfangs habe ich Zweifel gehabt, aber langsam glaube ich, dass meine Geo-Tracker-App die Höhenmeter wirklich richtig anzeigt. Es geht so richtig in die Berge (siehe Etappe), schon für die ersten Kilometer brauche ich zwei Stunden. Natürlich hätte ich vorher auch die Karte studieren können – aber dann ist auch das Unbehagen schon vorher da und es gibt sowieso nur eine Möglichkeit: Man muss drüber, über die Berge.
Der Schweiß rinnt am Brillenglas hinunter, dauernd habe ich schlechte Sicht. Durch die Berge, den immer stärker werdenden Gegenwind und den Rucksack ist die Armmuskulatur stark gefordert. Entschädigt werde ich durch eine rassige Abfahrt nach Philipsburg. Sie ist wirklich schnell, und ich muss mich konzentrieren, dass mich der Wind (oder sonst etwas) nicht aus der Bahn wirft.
Nach der Jausenpause geht’s wieder bergauf, aber auch dieses mal werde ich durch eine lange Abfahrt bis Clearfield belohnt. Beim Anstieg sinniere ich darüber, ob es sinnvoll wäre, den Rucksack zu entsorgen. Den Inhalt könnte ich wahrscheinlich auch in den Radtaschen unterbringen und die Tara von etwa 1,3 Kilogramm wäre weg. Ich könnte mich freier bewegen und den Hintern, offensichtlich meine Schwachstelle, entlassen. Nur die Beinmuskulatur wäre vielleicht mehr beansprucht, aber deren Zustand ist zufriedenstellend.
Nach einem kurzen Regenguss beim nächsten Aufstieg, bei dem ich unter die Bäume flüchte, beginnt mein Handy zu spinnen: Der Ein-Schalter funktioniert nicht mehr. Die provisorische Lösung – Anstecken und Abziehen des Ladekabels zum externen Akku – ist nicht besonders zufriedenstellend.
Bei der nächsten Jause im Schatten einer kleinen aufgelassenen Kirche eines Dörfchens buche ich mir ein Hotel in Brookville. Bis dorthin ist es zwar noch ein ziemliches Stück Wegs, aber mit dem Bewusstsein der Reservierung eine halbwegs entspannte Fahrt. Die Bewohnerin des Kellergeschosses unter der Kirche füllt mir meine Flaschen noch mit gekauftem Trinkwasser und verabschiedet mich mit „god bless you“.
Nach dem Einchecken suche ich noch nach Essbarem, finde ein Fast-Food-“Restaurant“ und schäme mich wie so oft in den letzten Tagen über den Müll, der bei jeder Mahlzeit produziert wird. Selbst beim Frühstück ist alles in Sackerl verpackt und es gibt Plastikbesteck zum Wegwerfen.
Die Beschaffung von Essen und Trinken ist übrigens ein wesentlicher Teil der Herausforderung: Sie hat natürlich rechtzeitig zu erfolgen, und alles was zu viel ist, muss unnötig transportiert werden oder kann in der Tageshitze verderben. Selten finde ich alles in einem Shop und der Abstand zwischen den Versorgungsmöglichkeiten wird von Tag zu Tag größer.
Die heutige Etappe hat ihrem Umfang entsprechend viel Zeit in Anspruch genommen, erst um 19:00 Uhr habe ich das Ziel erreicht. Aber ich habe damit nicht nur viele Kilometer und Höhenmeter hinter mich gebracht, sondern bin auch im übertragenen Sinn ein gutes Stück weitergekommen: durch laufendes Vergegenwärtigen, dass ich nicht bei einem Rennen bin, dass ich mich bremsen muss und nicht hektisch treten darf. Die Kamera habe ich vom Rucksack abgenommen und in die Lenkertasche gelegt, denn dort ist sie schneller einsatzbereit. Die vor meiner Abreise extra gekaufte Halterung am Rucksackriemen landet sofort nach der Entscheidung an Ort und Stelle im Straßengraben – Mein ökologisches Gewissen schämt sich dafür. Nur Fotografieren ist noch immer nicht meine Lieblingsbeschäftigung, es zahlt sich aber auch nicht wirklich aus.
Immerhin aber fallen mir schon einige Besonderheiten auf: Vor vielen Privathäusern ist eine riesige Fahne der USA zu finden, genauso aber auch viele Schilder, die mit sehr unschönen Worten zum Ausdruck bringen, dass der nächste Präsident wieder „Trump“ heißen sollte. Heldenbilder von lokal bekannten Soldaten und Friedhöfe mit vielen Soldatengräbern gehören ebenfalls zu einem typischen Ortsbild.
105 km, 1.351 hm, maximale Seehöhe: 485 m Gesamte Strecke: 688 km, 7.638 hm
Gestern habe ich noch ein Handy-shop um die Ecke gefunden und ich entscheide mich schon fast für eine Verlängerung des Quartiers um einen Tag, um ein neues zu kaufen, da entdecke ich eine App, die diesen Schalter durch die Lautstärketasten ersetzen kann. Sie läuft zwar dauernd im Hintergrund und benötigt daher viel Energie, aber sie funktioniert gut – meine Ausrede für einen Pausentag ist also weg ...
Die Tagesplanung, die ich am Pausentag nach dem Handykauf habe erledigen wollen, erfolgt also während des Frühstücks. Mein Laptop „ThinkPad“ stellt sich dabei zum wiederholten Mal als optimaler Begleiter heraus und ich entdecke die Funktion „entlang der Route suchen“ von Google Maps und damit einen Campingplatz in etwa Hundert Kilometern Entfernung. Der gestern in Frage gestellte Rucksack bleibt vorläufig doch, wird aber erleichtert.
Ich starte erst um 8:40 Uhr, bin aber mit dieser Abfahrtszeit zufrieden, weil sich vorher organisatorisch einiges erledigt hat. Die Strecke ist zunächst einfach, im weiteren Verlauf muss ich aber wieder immer öfter versuchen, die kinetische Energie einer raschen Abfahrt in potentielle Energie für den nächsten Anstieg umzuwandeln.