Mit den Augen meiner Schwester - Julie Cohen - E-Book
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Mit den Augen meiner Schwester E-Book

Julie Cohen

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Beschreibung

Eine unvergessliche Schwesterngeschichte vom Weglaufen und Nach-Hause-Finden

Als Kind konnte Liza Haven es kaum erwarten, ihrem beschaulichen Heimatort Stoneguard zu entfliehen. Lange war sie schon nicht mehr dort – seit jenem schrecklichen Weihnachtsfest, als die Mutter Lizas Schwester Lee zu ihrer Nachfolgerin in der familieneigenen Eiscreme-Manufaktur bestimmte. Als Liza nun nach Jahren in Amerika nach England zurückkehrt, muss sie feststellen, dass ihre scheinbar perfekte Schwester sich aus dem Staub gemacht hat. Unbeabsichtigt schlüpft sie in Lees Rolle und erkennt, dass deren Leben nicht so leicht und sorgenfrei ist, wie sie immer angenommen hatte. Ihren kleinen Heimatort hingegen findet sie gar nicht mehr so übel – Lees festen Freund Will übrigens auch nicht …

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Seitenzahl: 561

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Julie Cohen über die Entstehung ihres Romans Mit den Augen meiner Schwester

Mit den Augen meiner Schwester ist ein dickes Buch, und es geht darin um ein paar große Themen: Identität, Alzheimer, Verlust, Vergebung, Verantwortung – und wie man aus Rote Bete und Meerrettich Eiscreme macht.

Ich habe ungefähr ein Jahr gebraucht, um diesen Roman zu schreiben, und bin dafür durch ganz Wiltshire gereist, wo die Geschichte spielt. Ich habe eine Eiscreme-Fabrik besucht, mit Stuntfrauen gesprochen und Zwillinge interviewt. Ich habe viel zu viel Eiscreme gegessen und viel zu viele Action-Filme angeschaut. Die Recherche war toll.

Und das Schreiben? Um ehrlich zu sein, hatte ich eine höllische Angst davor. Ich liebe Herausforderungen, aber dieses Buch zu schreiben war eine wirklich, wirklich große Herausforderung. Doch ich habe gelernt, dass es gut ist, Angst zu haben. Denn es zeigt einem, dass man gerade an seine Grenzen geht, um seine Ziele zu erreichen.

Liza, die Protagonistin inMit den Augen meiner Schwester, und Lee, ihre Zwillingsschwester, müssen ebenfalls lernen, mit ihren Ängsten umzugehen. Liza hat als Stuntfrau so viel Zeit damit verbracht, Risiken einzugehen, dass sie gar keine Angst mehr empfindet – auch keine gute Angst, aus der man lernt und die einen am Leben hält. Lee hingegen wird von ihrer Angst gefangen gehalten. Sie ist wie gelähmt, bis sie eine radikale und für sie selbst erschreckende Entscheidung trifft. Es ist wahrscheinlich kein Zufall, dass die beiden Schwestern im Roman die gleiche Lektion lernen wie ich beim Schreiben ihrer Geschichte …

Über die Autorin

Julie Cohen studierte Englisch an der Brown University in Rhode Island, USA. 1992 zog sie für ein Literatur-Aufbaustudium nach England und begann dort als Lehrerin zu arbeiten. Mittlerweile leitet sie Schreib-Workshops in England und den USA und widmet sich ansonsten voll und ganz dem Schreiben. Die Autorin lebt mit ihrem Mann und ihrem kleinen Sohn in Berkshire. Mit den Augen meiner Schwester ist ihr erster Roman im Diana Verlag.

JULIE COHEN

Mit den Augen meiner Schwester

Roman

Aus dem Englischen von Astrid Finke

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen. Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

Die Originalausgabe erschien 2010 unter dem Titel Getting Away With It bei HEADLINE REVIEW, an imprint of HEADLINE PUBLISHING GROUP

Copyright © 2010 Julie Cohen

Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2012

by Diana Verlag, München,

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München.

Redaktion | Heiko Arntz

Umschlaggestaltung | t.mutzenbach design, München

Umschlagmotiv | © shutterstock

Satz | Leingärtner, Nabburg

Alle Rechte vorbehalten

ISBN 978-3-641-07655-9 V003

www.diana-verlag.de

Für meine Mutter

Der Geburtstag

Ich saß in einem Goldlamékleid, das mir kaum über den Hintern reichte, auf der Felskante und ließ die Beine über dem Abgrund baumeln. Meine nackten Oberschenkel waren von Gänsehaut überzogen. Um die Schultern hatte ich mir eine Winterjacke gelegt, und meine blonde Perücke kauerte neben mir wie ein kleines, extrem langhaariges Tier, ein mutiertes Meerschweinchen vielleicht.

Unter mir erstreckten sich die Gelb- und Brauntöne der Wüste wie ein weites, trockenes Meer. Kakteen und Felsbrocken warfen lange blaue Schatten. Es sah kalt aus, aber nicht so kalt, wie mein Körper sich anfühlte. Die Sonne kam eben erst über die Bergspitze gekrochen, und das Filmteam, das zu dieser gnadenlos frühen Stunde mit dem Bus aus Barstow angekarrt worden war, scharte sich um seine Ausrüstung. Alle steckten in Pullis und Anoraks, umklammerten Pappbecher mit Kaffee und waren in Dampfschwaden eingehüllt.

Ich gähnte und zappelte mit den Füßen in den flachen Mokassins. Es war ein ganz schönes Stück von hier bis nach unten in den Wüstensand. Die Leute dachten immer, Filme zu drehen wäre total aufregend und glamourös, erst recht für eine Stuntfrau, aber größtenteils bestand es aus endloser Warterei zu unmöglichen Uhrzeiten. Ich hätte gut noch ein, zwei Stunden Schlaf vertragen können. In meiner Jackentasche wühlte ich nach den extrastarken Pfefferminzpastillen und wollte mir gerade eine in den Mund stecken, als ich hinter mir das Knirschen von Kies hörte.

»Schickes Kleid«, sagte Allen.

»Ein Schneeanzug wäre mir lieber.«

»Hast du da drin zufällig ein bisschen Hühnerbrust? Ich hab noch nicht gefrühstückt.«

Ich schielte in meinen Ausschnitt, der mit keinerlei Einlagen getunt war, weder vom Typ Hühnerfilet noch sonstigen. Die Dinger hasste ich noch mehr als die Perücken; es gab nichts Blöderes, als mitten in einer Kampfszene seinem Gegner einen Teil der eigenen Oberweite ins Gesicht zu schleudern. »Gott sei Dank steht heute kein Geflügel auf der Karte. Die Heldin hat nur Körbchengröße B.«

Ich hörte ihn hinter mir über die Leitplanke klettern. »Bist du sicher, dass das nicht gefährlich ist?«

»Nein. Aber genau das ist ja der Spaß daran.«

Sein großer, vertrauter Körper ließ sich neben mir auf der Felskante nieder. »Ich hab dir noch einen Kaffee mitgebracht.«

»Danke. Kann ich gut gebrauchen.« Ich nahm ihm den dampfenden Becher ab, und er sorgte dafür, dass unsere Finger sich dabei berührten.

»Hübscher Ausblick.«

Ich zuckte die Achseln. »Wüste eben.«

»Eigentlich meinte ich deine Beine.«

Ich musste lachen. Allen konnte ohne mit der Wimper zu zucken von Wolkenkratzern springen, er konnte mich in einem fairen Kampf niederringen, und er konnte mich immer zum Lachen bringen, selbst wenn mir nicht danach war – wie gestern Abend zum Beispiel. Jetzt rubbelte er sich mit der Hand durch die kurzen schwarzen Haare und dann über die Stoppeln an seinem Kinn.

»War lustig gestern«, sagte er.

»Ja.«

»Allerdings bin ich ein bisschen angeschlagen. Du?«

»Mir geht’s gut.«

»Du wirkst ein bisschen nervös.«

»Tja, ich hänge hier über dem Abgrund.«

Er lachte sein kehliges texanisches Lachen. »Ich glaube nicht, dass es daran liegt.«

»Nein, ich warte nur darauf, dass das Auto endlich kommt«, sagte ich, was mindestens ein Drittel der Wahrheit war. »Ich kann es kaum erwarten, es zu sehen.«

»Ja, der Wagen ist mit Sicherheit ein Traum. Liza, mir hat es gestern ehrlich gut gefallen.«

Daraus, wie er das sagte, wie er mit den Fingerspitzen über die Gänsehaut auf meinem Bein strich, schloss ich, dass er nicht das Trinkgelage mit dem Team im Purple Armadillo meinte, sondern das, was hinterher in seinem Hotelzimmer passiert war.

»Es war sehr schön«, sagte ich, und ich meinte es auch so. »Danke.«

Ich lächelte ihn von der Seite an. Er hatte sich zu oft die Nase gebrochen, um gut auszusehen, aber ich mochte die Fältchen um seine Augen, wenn er grinste, und ich mochte seine Hände, und ich mochte, wie er mich gestern Nacht vor der Einsamkeit bewahrt hatte. Er war einer von den Guten, auch wenn er auf der Leinwand meistens den Bösewicht doubelte. Umgänglich und gelassen und viel zu nett für mich.

»Ist das jetzt ein Scherz oder nicht?«, fragte er.

»Wie bitte?«

»Heute ist der erste April. Hast du nicht heute Geburtstag? Oder war es gestern? Bei der ganzen Feierei hab ich den Überblick verloren.«

»Ach so. Nein, heute. Ich werde heute dreißig. Gestern hatte meine Schwester.« Man hätte annehmen sollen, dass die Kälte und der Kater und das angenehme Ziehen in den Muskeln nach einer Nacht voller anstrengendem, athletischem Sex mich betäubt hätten gegen den leichten Stich in der Herzgegend und das schlechte Gewissen, das ich empfand, wenn ich Lee erwähnte.

»Das ist cool. Ihr wurdet mit einem Tag Abstand geboren?«

»Nein, nur zehn Minuten, kurz vor und kurz nach Mitternacht. Sie hat am einunddreißigsten März Geburtstag und ich am ersten April.«

»Zwillinge? Seht ihr genau gleich aus?« Er zog mit übertrieben anzüglicher Miene eine Augenbraue hoch.

»Das kannst du dir abschminken. Wir sind vollkommen verschieden, und wir teilen uns keine Männer.«

»Zwillinge mit unterschiedlichen Geburtstagen. Dann durftet ihr immer zwei Partys feiern?«

»Eine war mehr als genug.«

»Schade, dass du dieses Jahr arbeiten musst. Sie fehlt dir bestimmt, oder?«

»Sie hat zu tun. Und ich … hab sie eine Weile nicht gesehen.« Ich hob einen Stein auf und warf ihn in den Abgrund. Ich sah ihm nach, wie er von einem Grasbüschel abprallte und dann außer Sicht geriet. »Ich wünschte, die würden sich beeilen und endlich mit dem Enzo hier aufkreuzen. Wenn wir noch lange warten, ist das Licht weg, und ich will nicht morgen schon wieder so früh aufstehen.«

»Habt ihr euch gestritten?«

»Offen gestanden möchte ich nicht darüber sprechen, Al.«

»Ich habe vier Brüder, und wir haben uns ständig gestritten. Aber dann haben wir uns geprügelt und sind hinterher ein paar Bier trinken gegangen. Mädchen sind da anders, schätze ich mal.«

»Meine Schwester steht nicht so auf Prügeleien oder Bier. Hey, da ist ja der Laster.« Ich zeigte auf ein silberfarbenes Fahrzeug in der Ferne, das auf der Wüstenpiste eine Staubwolke hinter sich herzog. Als ich Anstalten machte aufzustehen, hielt Allen mich am Handgelenk fest.

»Ich habe nachgedacht, Liza.«

Oh nein. Mein Magen zog sich zusammen.

»Es kommt mir albern vor, dass wir beide in L. A. wohnen und uns außerhalb der Arbeit nie sehen. Wir sollten uns öfter mal treffen.«

»Al, ich mag dich. Und gestern war wirklich schön, aber mehr auch nicht. Wir haben getrunken, ich war ein bisschen einsam, wir haben die Nacht zusammen verbracht. Belassen wir es dabei, okay?«

Er zuckte die Achseln. »Du müsstest nicht einsam sein. Wir haben viel gemeinsam, wir wohnen in derselben Stadt, es klappt gut im Bett. Einen Versuch wäre es doch wert.«

Ich holte tief Luft. »Al, du weißt, dass das nicht mein Ding ist.«

»Gestern Nacht schien es aber dein Ding zu sein.« Er strich mit dem Daumen an meinem Arm hoch, der unter der Jacke nackt war. »Denk ein paar Minuten drüber nach.«

»Das muss ich nicht. Du bist Stuntman, ich bin Stuntfrau, wir arbeiten in denselben Filmen – es wäre so bequem, stimmt’s? Und es ist ja auch nett und so, aber irgendwie zu gefahrlos. Ich kenne dich in- und auswendig und du mich. Es ist, wie so zu tun, als würde man kämpfen.«

»Das muss nicht so sein. Ich glaube, wir könnten wirklich etwas aufbauen, Liza. Wir könnten ein gutes Team abgeben.«

Ich schüttelte den Kopf. »Ich bin kein Teammensch. Ich bin gern allein.«

»Gestern hast du gesagt, du wärst einsam.«

»Tja, an seinem Geburtstag ist wohl niemand gern allein. Aber eine Beziehung kommt für mich nicht infrage, weder mit dir noch mit sonst jemandem. Ich bin einfach nicht der sesshafte Typ.«

»Mit anderen Worten, es liegt nicht an mir, sondern an dir.« Er lächelte und klang so locker und freundlich wie immer, aber ich entdeckte ein schwaches Funkeln von Verletztheit in seinen blauen Augen. Achselzuckend fügte er hinzu: »Klar. Das höre ich nicht zum ersten Mal. Hab schon kapiert. Schwamm drüber. Also, hättest du vielleicht Lust, deinen echten Geburtstag heute Abend mit mir zu feiern? Wir könnten Kuchen und Eis besorgen oder so was.«

Ich seufzte, stand auf und schnappte mir meine Perücke. »Tut mir leid, ich mag kein Eis.« Für einen kurzen Moment legte ich meine Hand auf seine kräftige Schulter. »Belassen wir es lieber bei den schönen Erinnerungen, einverstanden?«

»Klar. Schon okay.« Er stand ebenfalls auf und klopfte sich die Kleidung ab. Erde rieselte von seiner Hose und kleinere Steine, die über die Felskante hüpften. Wir stiegen über die Leitplanke und gingen auf die im Halbkreis angeordneten Fahrzeuge und Wohnwagen und Zelte zu, vor denen der Rest des Teams plötzlich in Bewegung gekommen war und sich für den Laster bereitmachte, der gleich eintreffen würde.

Ich trank meinen Kaffee aus und zerknüllte den Becher in der Hand. Auf dieses Gespräch hätte ich heute Morgen wirklich verzichten können. Besser gesagt, weniger auf das Gespräch als darauf, dass Al ganz offensichtlich gute Miene zum bösen Spiel machte. Vor allem, da ich in Gedanken schon bei der – wahrscheinlich rosaroten – Glückwunschkarte war, die mit Sicherheit inzwischen auf der Fußmatte meiner Wohnung in L. A. lag. Lee schickte immer eine Karte. Egal was passierte, egal was zwischen uns vorgefallen war. Es erfüllte sie mit Genugtuung, wenn sie mir schrieb; sie wusste, sie hatte ihre Pflicht erfüllt, hatte das Richtige getan.

Auch ich dachte an unsere Geburtstage. Natürlich. Aber nicht so wie sie. Es war einer der vielen Unterschiede zwischen uns. Sie verschickte Karten und telefonierte – ich betrank mich, ließ mich flachlegen und überlegte, was sie wohl ohne mich machte. In Stoneguard war jetzt schon Mittagszeit; sie saß im Büro von Ice Cream Heaven, vor sich auf dem Schreibtisch einen frischen Blumenstrauß. Bestimmt hatte sie massenhaft Glückwunschkarten bekommen und alle fein säuberlich aufgereiht.

Ich hatte ihr sogar auch eine geschrieben. Sie lag noch auf dem Tisch in meiner Wohnung in Los Angeles, weil ich vergessen hatte, sie vor meiner Abreise in die Post zu stecken. Vielleicht sollte ich Lee anrufen. Ja, ich sollte sie definitiv anrufen. Es war höchste Zeit.

Das Problem war, dass ich so selten tun wollte, was ich tun sollte. Siehe Al, der neben mir herlief.

»Alles in Ordnung bei dir?«, fragte er jetzt.

»Ja. Wunderbar. Warum?«

»Ich dachte nur …« Ich versuchte, ihn zu unterbrechen, aber er sprach einfach weiter. »Nein, es geht nicht darum. Ich meine nur, verkatert, wie du wahrscheinlich bist – kannst du da wirklich einen Stunt durchziehen?«

»Ich bin nicht verkatert.«

»Niemand wird was dagegen haben, wenn wir auf Nummer sicher gehen. Es ist ein teures Auto. Und die Straße ist gefährlich. Wir können es auf morgen verschieben. Wenn du willst, nehme ich die Schuld auf mich.«

Ich blieb stehen. »Mir geht es gut, Al. Ich mache den Stunt.«

»Wenn du wirklich meinst.«

»Absolut. Machst du mir jetzt das Leben schwer, weil ich nicht mit dir gehen will?«

Seit ich ihn kannte, hatte Al immer gelächelt. Immer texanisch gut gelaunt, selbst mitten im Stunt. Plötzlich nicht mehr. Sein Mund verzog sich zu einem Strich, seine Miene verdunkelte sich, selbst seine gebrochene Nase schien etwas Gewaltsames auszustrahlen.

»Nein«, sagte er, »ich stelle dir ein paar Fragen, weil ich ein Profi bin. Du hast letzte Nacht getrunken, und ich mache mir Sorgen um deine Sicherheit. Ich würde jedem anderen dasselbe sagen.«

»Dann geh und sag es jedem anderen, denn ich bin auch ein Profi, und ich weiß ganz genau, ob ich Auto fahren kann oder nicht.«

Damit knallte ich mir die Perücke auf den Kopf und stapfte davon. Im Gehen warf ich meine Winterjacke weg, aber ich nahm die kalte Luft auf Armen und Brust kaum wahr.

Todd, der Regisseur der Second Unit, kam mir auf dem Weg zu den anderen entgegen. Er war ein großer, verklemmter Typ, der eine Wollmütze trug und sich vor Aufregung und Kälte die dürren Hände rieb. »In fünf Minuten ist es da«, teilte er mir mit.

»Ich weiß, ich kann es kaum erwarten.«

»Der Besitzer kommt ebenfalls – Gloria wird ihn uns vom Leib halten, damit wir ungestört drehen können. Soweit ich weiß, musste er heute Morgen extra noch zum Friseur, deshalb kommt der Wagen so spät.«

Ich verdrehte die Augen, sagte aber: »Vermutlich will man möglichst gut aussehen, wenn das eigene Auto zum Star eines Hollywoodfilms wird.«

»So was in der Art. Kannst du dann loslegen?«

»Jederzeit.«

Wir stießen zum Second-Unit-Team, das sich am Straßenrand versammelt hatte und auf den Laster wartete. Ich spürte mehr, als ich sah, wie Allen sich mit ein paar Metern Abstand zu uns stellte. Das übliche morgendliche Gejammer verklang zu einem Murmeln, als das silberfarbene Fahrzeug mit dem langen Anhänger mit dem Grollen und Zischen hydraulischer Bremsen vor uns anhielt. »Möglicherweise wäre er ein bisschen schneller gewesen, wenn er den Enzo selbst gefahren hätte«, brummelte ich halblaut. »Immerhin schafft die Kiste dreihundertfünfzig Sachen.«

»Er meinte, er will keinen Wüstenstaub auf seinem Baby«, raunte Todd zurück. »Außerdem bin ich mir nicht ganz sicher, ob der Mann ihn überhaupt je selbst fährt. Ich glaube, das Ding ist eher zum Angeben gedacht.«

»Es ist ein Verbrechen, so einen Wagen zu besitzen und nicht zu fahren.«

»Vielleicht ist er einfach ein schlechter Fahrer.« Hogan, der Stunt-Koordinator, stand hinter uns. »Wie geht’s dir heute, Liza?«

»Super.«

»Die Sache müsste eigentlich problemlos über die Bühne gehen; du brauchst nur das Auto gut aussehen zu lassen, was bei so einem Gefährt nicht schwer ist. Es ist nicht nötig, voll aufzudrehen. Geh ganz auf Nummer sicher.«

Ich nickte. Für Hogan hatte ich schon häufig gearbeitet, und er wusste, was ich konnte. Die Stuntbranche basiert auf Vertrauen und guten Kontakten; man muss die richtigen Leute kennen und einen anständigen Job abliefern, damit man beim nächsten Mal wieder angerufen wird.

Wir sahen zu, wie der Lastwagenfahrer den Anhänger öffnete und die Rampe ausklappte. Und dann wurde das Auto von seinen Fesseln befreit und losgelassen.

Roter als die Sünde und glänzender als die Versuchung, flach auf dem Boden wie ein Raubtier. Selbst wenn es stillstand, sah es schnell aus. Mit einem Aufbrüllen erwachte es zum Leben und rollte über die Rampe auf die Straße. Ich leckte mir erwartungsvoll die Lippen.

Während ich um die Motorhaube herumspazierte, tastete ich es mit den Augen ab. Man stelle sich vor, so ein Auto, eines der schnellsten auf dem ganzen Planeten, nie voll auszufahren. Sich mehr dafür zu interessieren, wie man darin aussah, als den Rausch, das Adrenalin, die Kraft zu spüren. Es Baby zu nennen.

Dieses Auto war ganz eindeutig ausgewachsen.

»Können wir?«, fragte ich Todd.

»Klar, es ist alles aufgebaut, und ich möchte nicht, dass die Sonne zu hoch steht. Wäre schön, wenn wir es in einem Take haben, sonst müssen wir es morgen noch mal machen.«

»Sollte kein Problem sein.« Die Maskenbildner fielen über mich her, zupften missbilligend an meiner Perücke, und während sie an mir herummachten, griff ich mir mein Walkie-Talkie.

»Ein Probedurchlauf mit halbem Tempo«, teilte Hogan mir mit.

»Brauche ich nicht – wir stehen unter Zeitdruck.«

Hogan runzelte die Stirn. »Hast du so einen schon mal gefahren?«

»Es ist ein Auto, Hogan. Ich kann es fahren.«

Hinter mir hörte ich ein dezentes Geräusch, wie ein Hüsteln. Ich schielte über die Schulter: Allen.

Nach einer letzten Puderquastenattacke stieg ich in den Wagen.

»Erst ein Probedurchlauf«, wiederholte Hogan, der den Kopf durch die Tür steckte. »Und denk dran, wir testen den Wagen nicht aus, wir lassen ihn nur gut aussehen. Geh ganz …«

»… auf Nummer sicher. Kapiert.« Ich zog die Tür zu, drehte den Schlüssel im Zündschloss und drückte den Anlassknopf auf dem Armaturenbrett.

Himmlisch. Der Motor fauchte hinter mir auf und ließ meine Wirbelsäule vibrieren. Wahnsinn. Ich berührte das Gaspedal, nur ein zartes Antippen mit den Zehenspitzen, und er antwortete mit einem lauten Brüllen.

Vor mir wurde der Weg frei gemacht, und ich rollte – ganz beherrschte, geschmeidige Stärke – zum Startpunkt. Das Kamerafahrzeug wartete schon.

Ich sah mich im Inneren des Wagens um, fühlte ihn um mich herum leben, entdeckte die Gimmicks. Natürlich konnte ein Auto wie dieses sein wahres Wesen erst zeigen, wenn es gefahren wurde, im richtigen Tempo. Ich warf einen Blick auf die Straße vor mir; sie wand sich den Berg hinunter, auf der linken Seite ging es hinter der Leitplanke steil nach unten. Ganz kurz stellte ich mir vor, ohne Vorwarnung aufs Gas zu treten, von null auf hundert in einer Sekunde zu jagen, das Team, das auf Hogans Signal wartete, auseinanderzuscheuchen. Ich könnte an den Kameras vorbeiröhren, die »Nummer sicher« vergessen und, sobald ich die Bergstraße hinter mir hatte, auf dieser herrlichen, langen, geraden Wüstenstrecke richtig aufdrehen und ausprobieren, was das Schätzchen so draufhatte. Nur das Auto, ich und eine lange, schnelle Fahrt nach nirgendwo.

Selbstverständlich würde ich das nicht tun. Eine Spritztour mit dem sagenhaft teuren vierrädrigen Hauptdarsteller eines Hollywoodfilms war eine Abkürzung in die Arbeitslosigkeit – wenn nicht in den Knast. Doch einen winzigen Sekundenbruchteil schloss ich die Augen und malte es mir aus. Dann schlug ich sie wieder auf und wartete auf das Signal.

Das Walkie-Talkie knackte. »Kann losgehen, Liza«, sagte Hogans Stimme. Das Auto machte einen Satz vorwärts und presste mich in den Sitz. Ich verzog den Mund zu einem Lächeln. Das Filmteam schoss schemenhaft an mir vorbei, die aufgehende Sonne vergoldete die Felskante zu meiner Rechten.

»Probedurchlauf«, mahnte Hogans Stimme. »Immer mit der Ruhe, gewöhn dich an den Wagen.«

Ich schaltete mit den Knöpfen am Steuerrad, genoss die sequenzielle Übertragung. Die Lenkung reagierte auf die kleinste Bewegung. Sehr schön. Das käme im Rennmodus noch besser; ich berührte den Sensor, sofort sprang der nächste Gang ein, und die Lenkung wurde noch härter. Das Auto nahm die ersten Kurven wie eine Perle, die über ein Seidenband rollt – glatt, schnell, mühelos.

Es war zu einfach. So ein Wagen wollte getreten werden; wahrscheinlich war er noch nie getreten worden, bei einem solchen Besitzer. Der Spielraum von »Nummer sicher« war noch lange nicht ausgeschöpft, und Todd filmte bereits; mit etwas Glück konnte ich den Probedurchlauf schon richtig hinkriegen, und wir könnten alle nach Hause gehen.

Ich legte den Fuß fester aufs Gaspedal und drückte drauf. Nicht bis zum Anschlag, nein.

Aber stärker. Immer ein bisschen stärker.

Vielleicht auch viel stärker.

»Nicht so schnell, Liza«, sagte Hogan.

Anmutig glitt der Ferrari um die Kurven. Unter mir verschwanden die Schatten aus der Wüste. Ich hatte ungefähr die Hälfte der Bergstrecke zurückgelegt, war aber immer noch hoch genug, um das Gefühl zu haben, ich müsste nur ein bisschen mehr Gas geben und könnte fliegen. Direkt in den sich aufhellenden Himmel, zwischen die schwerelosen Wolken.

»Alles Gute zum Geburtstag«, wünschte ich mir. Meine Stimme ging im Dröhnen des Motors unter, und ich beschleunigte noch ein bisschen. Das Auto knurrte zufrieden. Vor mir lag ein kurzer gerader Abschnitt mit Gefälle, und ich nutzte ihn, um noch ein bisschen Tempo zu machen.

Was hatte Allen vorhin eigentlich geredet? Ich kannte meine Grenzen, meine Fähigkeiten. Ich wusste, wer ich war, und ich hatte mich noch nie in meinem Leben besser gefühlt.

»Langsamer, Liza«, krächzte Hogan. »Sofort.«

»Ja, klar«, sagte ich, obwohl er mich nicht hören konnte.

Eine Kamera samt Crew war neben der Leitplanke in der nächsten Kehre postiert, um eine Totale zu filmen, wenn ich vorbeifuhr. Ich hatte die Kurve schön geschnitten und ein bisschen Kies aufspritzen lassen. Lächelnd griff ich für die Drehung nach der Handbremse, und genau in diesem Moment bemerkte ich, dass ich schneller fuhr, als ich gedacht hatte.

»Mist«, murmelte ich, vielleicht schrie ich es auch, ich weiß es nicht, denn das Auto war so laut, und ich kurbelte am Lenkrad und zog die Handbremse, und der Wagen schlitterte seitwärts, und noch mehr Kies stob auf, wie geplant. Jetzt musste ich nur noch vom Gas gehen und wegrutschen – und alles wäre gut. Gut.

Mist.

In Augenblicken wie diesem verlangsamt sich alles. Ich sah Rory, so hieß der Kameramann, obwohl ich bis dahin gar nicht gewusst hatte, dass ich das wusste, und neben ihm Wanda, die einen gelben Schal trug. Rorys Gesicht war von der Kamera verdeckt, aber Wanda konzentrierte sich auf das Auto und grinste mit zusammengekniffenen Augen. Sie hatte keine Ahnung, dass etwas nicht stimmte. Fahr die Kamera nicht über den Haufen, so lautet die oberste Regel, aber eigentlich sollte es heißen: Fahr die Kamera-Crew nicht über den Haufen.

Ich brauchte mehr Tempo, sonst würde ich die beiden seitlich umpflügen und über die Felskante stoßen. Also drückte ich das Pedal durch, und der Wagen, dieser erstaunlich sensible Wagen, reagierte sofort und schnellte nach vorn, als seinem hungrigen Motor die Extraportion Benzin zugeführt wurde. Die Vorderreifen griffen auf dem Asphalt und entfernten mich von den Kameraleuten, und ich hielt das Steuer fest und versuchte, auf der Straße zu bleiben. Aber ich fuhr zu schnell.

»Scheiße, Liza, was zum Henker treibst du da?«, brüllte das Walkie-Talkie.

Das Heck brach aus, und ich steuerte gegen, aber vor mir war eine Felsmauer und hinter mir ein Abhang, nicht sehr steil an dieser Stelle, das nicht, aber ausreichend, um mich in die Wüste abstürzen zu lassen, und ich spürte diesen Moment, in dem das Auto zu schleudern beschließt und man absolut nichts tun kann, als es auszusitzen und zu hoffen, dass genug Platz ist.

Es war nicht genug Platz. Ich presste mich in die Sitzlehne.

Ich sah jeden einzelnen Stein und jedes Grasbüschel am Wegesrand. Eine kleine Pflanze mit rosa Blüten. Kies, der von den Reifen abprallte. Ganz weit links, in Sicherheit, konnte ich Wandas gelben Schal ausmachen, und dann spürte ich das Knirschen der Leitplanke an der Seite des Wagens und ein Übelkeit erregendes Kippen.

April, April, hatte ich noch Zeit zu sagen, oder auch nur zu denken, und dann flog das Auto.

Ein endloses Jetzt. Keine Vergangenheit und keine Vorstellung von der Zukunft. Schwerkraft weg, Kontrolle auch.

Meine Eingeweide verkrampften sich vor etwas, das Angst sein konnte. Oder Freude.

Der Motorenlärm schien verschwunden, ich hörte nur noch das Rauschen von Luft. Ein seltsam leeres Geräusch. Draußen hätte die Welt verschwimmen sollen, aber ich sah Zweige, die wie Skelettfinger über das Fenster schabten. Dann ein Ruck, als hätte mich jemand plötzlich getreten. Ein Krachen. Gefolgt von einem langen, splitternden Kreischen. Etwas knackte, ich fühlte es in meinem Inneren knacken. Die Seite der vorderen Haube zerknitterte in Zeitlupe, die Windschutzscheibe sprang, und der Abhang war unnatürlich nah und kam immer näher. Draußen lag eine zerknautschte Cola-light-Dose. Wäre die Scheibe nicht gewesen, hätte ich sie berühren können.

Wie ein riesiges Kissen pustete sich der Airbag um mich herum auf. Ich spürte keinen Schmerz, spürte gar nichts. In diesem Moment setzte mein Atem vor Panik aus, das Auto überschlug sich, prallte gegen etwas und blieb richtig herum stehen.

Ich hätte etwas fühlen müssen. Ich hätte Schmerz fühlen müssen. Ich blickte nach unten, konnte meine Beine aber nicht sehen, nur den weißen Airbag, und dann zwang ich mich zu atmen und roch das Feuer.

»Das war’s wohl für den Enzo«, nuschelte ich in das Luftkissen, tastete nach dem Schloss des Sicherheitsgurts und schnallte mich ab. Das konnte ich immerhin. Dann stützte ich meine Hände – die unverletzt zu sein schienen, wie auch meine Arme; zumindest entdeckte ich kein Blut – auf dem Sitz ab und drückte mich hoch, so fest ich konnte, denn wenn das Auto brannte, dann musste ich schleunigst hier raus.

Ich kam nicht vom Sitz los.

Etwas Warmes tröpfelte mir ins Auge. Ich blinzelte, und es rieselte nach unten. Als ich meine Zungenspitze ausstreckte, schmeckte ich Blut. Ich musste mir den Kopf gestoßen haben, aber wenn ich von der Hüfte abwärts nichts mehr spürte, war das wohl meine geringste Sorge. Es musste eine Rippe gewesen sein, die da geknackt hatte. Eine Rippe. Nicht meine Wirbelsäule. Bitte.

Aber es war weiter hinten gewesen als die Rippen.

Ich versuchte, meine Beine zu drehen, sie am Wagenboden abzustützen, während ich mich an dem Griff über der Tür festhielt und hochzog. Es wurde heißer, und ich roch Benzin, roch schmorendes Plastik und glühendes Metall, und jetzt konnte ich die Flammen sehen, links neben der erstickenden Umarmung des Airbags. Ich zog, schaffte einen Zentimeter. Zog fester.

In der Ferne waren inzwischen Rufe zu hören, und Sirenen. Lauter waren allerdings die Stimmen in meinem Kopf, während ich gegen das Auto kämpfte.

Auf Nummer sicher, sagte Hogan.

Einen Versuch wäre es doch wert, sagte Al.

Das sind meine Listen, sagte meine Mutter.

Am meisten Lärm machte die rosa Glückwunschkarte, die auf der Fußmatte in meiner Wohnung in Los Angeles lag.

Ich zog. Und keuchte, als die Flammen mein Bein erreichten, die Haut meines nackten rechten Beins, aber ich schrie nicht, denn der Schmerz war gut. Er bedeutete, dass meine untere Hälfte noch da war, und wenn ich nur aus dem Wagen käme, wäre alles gut, wenn ich nur fester ziehen und mich mit den Zehen abstoßen könnte … Ein heftiges Brennen schoss meine Beine hinauf, als hätte das Feuer mich daran erinnert, wie man wieder etwas spürte. Schwarze Punkte tanzten vor meinen Augen, verschmolzen miteinander, verdeckten die Flammen in meinem Sichtfeld.

»Liza!«, hörte ich aus der Richtung, aus der ich eigentlich niemanden erwartet hatte, und dann sah ich durch die aufblühende Schwärze hindurch Al ganz nah. Er packte mich unter den Achseln, warf sich nach hinten, und ich glitt unter dem Airbag hervor und halb widerstrebend, halb willig aus dem zerstörten Auto hinaus wie ein Neugeborenes aus dem Schoß seiner Mutter.

Das wirkliche Leben

Viereinhalb Monate später

Seit drei Wochen führte ich jetzt Telefonate und ließ alle Welt wissen, dass ich wieder gesund sei, quasi ganz die Alte – zumindest fast –, und Arbeit suche. Vor dem Unfall hätte ich nur ein, zwei Leuten Bescheid geben müssen, und durch Mundpropaganda wären genug Angebote reingekommen, um mir in Ruhe eins auszusuchen. Jetzt aber hatten einige sich nicht einmal die Mühe gemacht, zu verbergen, dass sie über mich lachten.

Und niemand rief an, obwohl mein Handy immer in Reichweite war; beim Schlafen lag es neben mir auf dem Kissen, für den Fall, dass jemand aus einer anderen Zeitzone mich erreichen wollte. Ich hatte den Ferrari und damit ganz offensichtlich auch meine Karriere an die Wand gefahren.

Gerade war ich vom Einkaufen nach Hause gekommen und hatte die paar Lebensmittel, die ich brauchte, im Kühlschrank verstaut. Die Klimaanlage war kaputt, und es war unerträglich heiß. Mit einer Flasche Wasser in der Hand ging ich ins Wohnzimmer, um mich ein bisschen auszustrecken.

Die Physiotherapie ist eine strenge Zuchtmeisterin, aber sie belohnt einen, wenn man sich ihr unterwirft. Nachdem die zertrümmerten Knochen in meinen Beinen und meinem Fuß und meiner Wirbelsäule wieder zusammengewachsen waren, hatte sie mir die Fähigkeit zu laufen zurückgegeben, sogar rennen konnte ich, wenn auch leicht schief. Die anfangs chronischen Schmerzen waren so weit zurückgegangen, dass ich sie mit ein paar Ibuprofen gänzlich betäuben konnte. Mein glatzköpfiger und muskelbepackter Physiotherapeut, Marv, ein extrem zäher Bursche, der jeden Abend nach unserer Hydrotherapiestunde als Marlene Dietrich verkleidet in einem Varieté sang, meinte, ich sei seine Erfolgsstory des Jahres. Natürlich half es, dass ich vor dem Unfall sehr fit gewesen war, aber hauptsächlich lag es an Marv und der Zuchtmeisterin, dass ich wieder annähernd zu der Person wurde, die ich einmal gewesen war. Trotz meiner Narben, der fehlenden Milz und der Erinnerungen an jenen Morgen, die meine Träume öfter heimsuchten, als sie sollten.

Schade nur, dass ich keinen Job bekam.

Meine Wohnzimmereinrichtung war, wie der Rest meiner Zweizimmerwohnung, spartanisch. Ich besaß nur die Möbel, die ich unbedingt brauchte: eine kleine Couch, einen Fernseher. Einen Futon im Schlafzimmer. Meine Mahlzeiten aß ich normalerweise auf einem Hocker an der Frühstückstheke oder im Stehen in der Küche. Auf dem Teppich im Wohnzimmer lagen eine Matte und ein paar Hanteln zum Trainieren, außerdem gab es einen Tisch für meinen Laptop. Ich hatte schon in Holiday Inns übernachtet, die luxuriöser ausgestattet waren. Theoretisch hätte ich jede Menge Dinge an die Wand hängen können – Urkunden, Fotos, Standbilder aus Filmen, Autogramme –, aber es lohnte die Mühe nicht. Normalerweise verbrachte ich kaum Zeit hier; ich war unterwegs, am Set, und die Wohnung immer nur eine Zwischenstation. Eine kleine Pause von meinem wirklichen Leben.

Nur dass sie in letzter Zeit mein wirkliches Leben geworden war. Seit April hatte ich sie praktisch nur für die Physiotherapiestunden verlassen, und die waren seit Wochen vorbei. Man konnte sich nicht ewig im Fitnessstudio herumtreiben, nicht mal in L. A.

Mein Sporttraining hatte ich für den heutigen Tag schon absolviert, das Einkaufen erledigt, auf Kino hatte ich keine Lust, und es war zu heiß, um in der Wohnung zu bleiben. An Tagen wie diesem hätte ich früher eine Tour mit meiner Triumph Bonneville gemacht, über die Route 1 nach Malibu, so schnell es nur ging.

Ich bekam feuchte Hände. Heute nicht. Vielleicht ein anderes Mal.

Was ich wirklich gern getan hätte, wäre, in einer kühlen Bar zu sitzen, ein Bier zu trinken und ein bisschen zu quatschen, so wie ich das früher an freien Tagen für gewöhnlich mit Leuten vom Second-Unit-Team gemacht hatte. Das Problem war jetzt natürlich: Mit wem? Ich ging das Adressbuch in meinem Handy durch: Sie arbeitete; er war im Ausland; sie war eine Zicke; er war Alkoholiker; sie hatte mich seit über einem Jahr nicht angerufen; sie bildete sich ein, ich hätte ihr den Auftrag weggeschnappt, nur weil er mir zuerst angeboten worden war. Als Allens Name auf dem Bildschirm auftauchte, scrollte ich schnell weiter. Er hatte mich im Krankenhaus besucht, nachdem ich zu mir gekommen war, doch da der zweite Satz, der nach »Wie geht es dir?« aus seinem Mund kam, lautete: »Ich hab es dir ja gesagt«, hatte ich ihn nicht sonderlich herzlich begrüßt. Gut, okay, ich hatte seinen Blumenstrauß nach ihm geworfen.

Es gab niemanden, den ich anrufen, niemanden, mit dem ich mich treffen konnte. L. A. war mein Pausenhof, wo man hinging, wenn man drinnen nicht rauchen durfte; mein wirkliches Leben führte ich, wenn ich arbeitete.

Ich streckte mich auf der Matte auf dem Fußboden aus – ohne Freunde und ohne Job und ohne einen Plan.

Ich war gern allein. Ich wollte allein sein. Den Großteil meiner prägenden Jahre, einschließlich der Monate im Mutterleib, hatte ich in engem Kontakt mit anderen Menschen verbracht, und das reichte. Mal davon abgesehen, dass nach einer Kindheit und Jugend in Stoneguard wohl jeder um Privatsphäre betteln würde.

Ein bisschen Einsamkeit war da kein hoher Preis.

Ich stand auf und checkte meine E-Mails. Zwei Spams, die mir sexfördernde Pillen beziehungsweise Uni-Abschlüsse anboten, und eine Nachricht von meiner Schwester.

VON: Lee Haven <[email protected]>An: Liza <[email protected]>Gesendet: 14. August 23:34 Betreff: Ich wette, ich weiß …

… was du zum Frühstück hattest. Rühreier auf Toast? Das hatte ich. Es war köstlich.

Alles Liebe,

Lee xx

Ich musste lächeln. Das war ein alter Witz zwischen mir und meiner Schwester: Sie versuchte zu beweisen, dass wir eine übersinnliche Verbindung hatten, indem sie beispielsweise zeigte, dass wir an einem bestimmten Tag dasselbe gegessen hatten, trotz der achttausend Kilometer, acht Zeitzonen und dem einen Ozean, die uns trennten. Es klappte nie. Ich war mir nicht sicher, ob sie wirklich glaubte, dass es irgendwann funktionieren würde, oder ob es nur eine Ausrede war, um in Kontakt zu bleiben. Es war ein Spiel, das wir über E-Mail, SMS und Telefon spielen konnten, ohne an den tiefer gehenden Differenzen zwischen uns kratzen zu müssen. Ich klickte den Antworten-Button und schrieb:

Ich hatte zwei Blaubeer-Pop-Tarts und eine Dose Cola light. Wieder falsch. Aber einen Versuch war’s wert.

L xx

Ich musste beim Schreiben grinsen und stellte mir ihre bestürzte Reaktion auf meine ungesunde Ernährung vor, aber sobald die Mail in den Äther verschwunden war, verschwand auch mein Lächeln.

Die gleichen Gene zu haben hieß nicht, dass meine Schwester und ich die gleichen Gedanken oder Träume oder auch nur Geschmäcker hatten. Was durch den Vorfall im April hinlänglich bewiesen wurde. Jeder übersinnlich auch nur mäßig begabte Zwilling sollte doch wohl merken, wenn seine Schwester einen Autounfall hatte und in Lebensgefahr schwebte – erst recht an ihrem Geburtstag. Aber Lee war nicht an mein Krankenbett geeilt. Sie hatte mir auch nicht aus heiterem Himmel Genesungswünsche geschickt. Hätte sie von der Sache gewusst, hätte sie zweifellos Derartiges getan, aber sie ahnte nichts, weil ich ihr nichts erzählt hatte.

Es reichte schon, dass ich die Lachnummer der gesamten Branche in Hollywood war. Ich brauchte nicht auch noch Lees Mitleid.

SMS, E-Mails und Telefonate verbargen eine Menge, wenn man wollte.

Ich legte mich wieder auf den Fußboden, machte ein paar Dehnübungen und gab es dann auf.

Auf allen vieren kroch ich zum Telefon; so war ich auf Augenhöhe damit. Im Abstand von einem halben Meter hockte ich mich hin und starrte es beschwörend an.

Klingel, befahl ich ihm stumm. Klingel!

Es klingelte nicht. Das hier war einfach lächerlich.

Es musste etwas passieren. Ich war noch nie der Typ gewesen, der etwas für schlechte Zeiten zurücklegte; das bisschen, das ich gespart hatte, würde nicht ewig reichen. Ich brauchte Arbeit. Und ich musste aus dieser Wohnung raus, raus aus dieser Stadt, ehe sie mich in den Wahnsinn trieb. Ich war gesund und fit, und wenn die Aufträge mir nicht nachliefen, dann musste ich eben den Aufträgen nachlaufen.

Damit konnte ich genauso gut in London anfangen.

Diebische Schönheit

Sie ist nicht sicher, warum sie es tut, und das allein ist beängstigend und schön, denn sonst weiß sie immer, warum sie etwas tut. Die Stofftasche mit ihren Einkäufen über dem Arm – nichts Aufregendes, Bettwäsche und eine Lotion –, schlendert sie die glänzenden Vitrinen des Kaufhauses entlang, sieht die bonbonbunte Kosmetikauslage und bleibt stehen. Ihr Blick wird nicht von den Rosatönen angezogen, sondern von Rot und Violett; einem Fläschchen Nagellack in einem unnatürlichen Türkis, das ein Teenager zu T-Shirt und zerrissener Jeans tragen würde.

Sie hebt es hoch. Es ist klein, rund, hart und kühl – eindeutig real –, und es passt in ihre Handfläche. Rasch lässt sie das Fläschchen in ihre Tasche fallen. Es landet zwischen der in Plastik verpackten Bettwäsche, ohne ein Geräusch zu machen.

Ihr Atem beschleunigt sich, ihr Herz pocht laut. Sie sieht sich nicht um, geht auf die Tür zu, bemüht sich, ganz normal zu laufen, aber sie spürt den starren Ausdruck auf ihrem Gesicht, und sie weiß, dass die Leute sich bestimmt nach ihr umdrehen. Einander anstupsen, flüstern: »Hast du das gesehen?« Sie hält die Augen fest geradeaus gerichtet und versucht, an nichts zu denken, vor allem nicht an die Wachleute oder diese seltsamen Säulendinger zu beiden Seiten des Ausgangs, die Ladendiebe auffliegen lassen sollen.

Dann ist sie draußen, ist entwischt und läuft schnell weiter, ein ungläubiges Kichern entschlüpft ihr, als sie den Aufzug zum Parkhaus ansteuert. Sie kann nicht fassen, dass sie das gerade getan hat.

Auf dem Weg nach Hause schwört sie sich, es nie wieder zu tun, und verdrängt den Gedanken, dass es nicht das erste Mal war.

Das Wiedersehen

Lee wartete in der Lobby meines Hotels, als ich nach unten kam. Sie saß mit einer Zeitung auf dem Schoß und einer Tasse Tee auf dem Tischchen neben sich in einem der Sessel. Die Handtasche hatte sie neben den Stuhl gestellt, trotz der Londoner Diebe. Obwohl sie mit dem Rücken zu mir saß, erkannte ich sie sofort. Die glatten, dunkelbraunen Haare hatte sie hinter die Ohren geklemmt, und sie trug die Perlenohrringe unserer Großmutter.

Eineiige Zwillinge gehören zu den wenigen Menschen auf der Welt, die wissen, wie ihr eigener Hinterkopf aussieht. Ich blieb mit widerstreitenden Empfindungen neben dem Lift stehen. Eigentlich wollte ich sofort zu Lee rennen und sie an mich drücken, gleichzeitig wäre ich am liebsten klammheimlich wieder verschwunden.

Sie hob den Kopf, sah sich um und erblickte mich. Den Bruchteil einer Sekunde lang glaubte ich, dieselben Bedenken in ihrer Miene zu entdecken, doch dann lächelte sie, ein breites, warmes Lee-Lächeln, und ich konnte mir nicht vorstellen, dass sie jemals Zweifel bezüglich irgendetwas gehabt hatte.

»Liza«, sagte sie, kam auf mich zu und umarmte mich. Wir legten uns gegenseitig den Kopf auf die Schulter, unsere Hände berührten jeweils die gleiche Stelle auf dem Rücken der anderen. Ich hatte meine Schwester seit über eineinhalb Jahren nicht mehr im Arm gehabt. Sie roch nach Vanille und Tee, und ihre Strickjacke war weich. Dann traten wir beide auf Armeslänge zurück und betrachteten einander.

»Du hast dir die Haare wachsen lassen«, sagte sie. »Ich hatte mit kurzen gerechnet.«

Ich zupfte daran. »Ja, es war mir zu umständlich, zum Friseur zu gehen. Du hast einen Pony.«

»Du auch. Genau den gleichen.« Sie lachte und deutete auf den Spiegel an der Wand neben der Rezeption. »Oh mein Gott, das ist ja witzig, wir haben jetzt den gleichen Haarschnitt. Und deine Fingernägel hast du auch wachsen lassen!«

»Das haben die irgendwie von allein gemacht.« Besser gesagt, ich hatte ausnahmsweise mal nichts unternommen, um sie abzubrechen. Und sie in Form zu feilen schlug immerhin ein bisschen Zeit tot. Ich musterte Lee. Sie trug ein weißes, ärmelloses Top, einen rosa-weiß gestreiften, ausgestellten Rock und rosa Kitten Heels. Sie sah aus wie eine Schüssel Erdbeereis.

Früher hatte ich den Körper meiner Schwester mit meinem eigenen verglichen, in jenen erwartungsvollen, unbeholfenen Tagen, als wir beide die Pubertät herbeisehnten. Auch danach noch. Damals wusste ich nicht, lernte es aber später, dass jede Frau diese verstohlenen Vergleiche anstellt. Aber die Gleichheit schärft die Sinne, und man sieht noch die winzigsten Unterschiede maßlos vergrößert wie unter einem Mikroskop; sie übertreibt Vorzüge und bauscht Makel auf.

»Du siehst großartig aus«, sagte ich zu Lee. »Machst du Sport?«

Sie zuckte verlegen die Achseln. »Ach, Candace hat mir Yoga aufgeschwatzt.«

»Es wirkt. Deine Oberarme sind viel straffer.«

»Es hilft mir zu entspannen. Natürlich bin ich nicht so fit wie du – ich meine, ich verdiene mir meinen Lebensunterhalt damit, dass ich Eissorten probiere, und du machst lauter so sportliche Sachen.«

Wie in meiner Wohnung auf und ab zu tigern und sinnlose Besorgungen zu erledigen. »Wahrscheinlich bist du viel gelenkiger als ich.«

»Und entspannter?« Sie verzog den Mund zu einem unsicheren Grinsen.

»Das versteht sich von selbst.« Allerdings lagen um ihre Augen herum kleine Fältchen, die bei unserer letzten Begegnung noch nicht dagewesen waren. Ihre Haut schimmerte auch nicht mehr so wie früher. Sie wirkte müde.

Vielleicht hatte dieses Treffen sie auch nur genauso nervös gemacht wie mich.

»Das ist wirklich witzig«, wiederholte sie und betrachtete unser Spiegelbild. »Beim letzten Mal sahen wir uns überhaupt nicht ähnlich. Und jetzt könnte man uns, abgesehen von der Figur, kaum auseinanderhalten.«

»Ich glaube, jeder wüsste Bescheid, sobald wir den Mund aufmachen.«

Sie nahm meine Hand. »Liza, ich freu mich so, dich zu sehen! Es ist toll, dass du in London bist. Ich habe dich vermisst.«

Ich drückte ihre Finger. »Möchtest du was trinken?«, fragte ich rasch, bevor das Thema gefährlich wurde.

»Nein, ich hab schon einen Tee, danke. Soll ich dir auch eine Tasse bestellen?«

»Ich meinte was Richtiges zu trinken. Ich hab einen Riesenjetlag, ich brauche einen Muntermacher. Komm, gehen wir in die Bar.« Ich lief voraus. Lee holte ihre Handtasche und die Teetasse und folgte mir.

»Wie war dein Flug?«

»Entsetzlich. Es ist immer entsetzlich. Vierzehn Stunden mit verbrauchter Luft und ohne Beinfreiheit.«

»Bist du gestern angekommen?«

»Heute ganz früh morgens.«

»Tja, ich hoffe, die Reise lohnt sich für dich. Ist dieser neue Film aufregend?«

Ich richtete den Blick angestrengt auf die schön aufgereihten, funkelnden Flaschen hinter der Theke. »Ziemlich aufregend. Was möchtest du?«

»Ich bleibe bei Tee, danke. Und worum geht es in dem Film?«

Ich bestellte eine Cola light mit Rum und noch eine Tasse Tee für Lee. »Ach, so ein Actionstreifen«, sagte ich leichthin. »Bestimmt nichts, was du dir ansehen würdest.«

»Vor ein paar Monaten habe ich mir Sucker Punch ausgeliehen. Aber ich hab dich nicht erkannt.«

»Blöde Perücke und Brusteinlagen.« Ich bezahlte unsere Getränke beim Barkeeper. »Da drüben in der Ecke ist ein Tisch frei.«

»Bleibst du lange in England?«

»Weiß ich noch nicht«, sagte ich wahrheitsgemäß. »Ich habe kein Rückflugticket gebucht. Hängt davon ab, wie lange es dauert.«

Sie schüttelte den Kopf. »Es ist mir ein Rätsel, wie du es schaffst, so ein sprunghaftes Leben zu führen.«

»Und mir ist ein Rätsel, wie du immer am selben Fleck wohnen und dieselbe Arbeit machen kannst.« Ich hatte es kaum ausgesprochen, als sie sich bereits auf die Lippe biss. Ich hatte einen wunden Punkt erwischt, zu früh. »Jedenfalls«, sagte ich, »bin ich froh, dass du so spontan aus Stoneguard herkommen konntest.«

»Aber das ist doch klar.« Sie senkte den Blick auf ihre Teetasse. »Wir haben uns zu lange nicht gesehen.«

Ich trank einen Schluck. Eine Weile lang sagte keine von uns etwas oder sah die andere an.

Das Problem war, dass es zu viele wunde Punkte gab. Zu viele Dinge, die wir in vorsichtigen Telefonaten und albernen E-Mails wohlweislich nicht erwähnten.

»Also, die Haven-Schwestern machen endlich mal die Stadt unsicher«, sagte ich schließlich betont fröhlich. »Wo gehen wir hin?«

»Ich weiß ja nicht, was du vorhattest, aber ich bin davon ausgegangen, dass wir wohl irgendwann etwas essen müssen, und habe uns einen Tisch reserviert. Ich hoffe, das ist okay.«

»Wunderbar«, sagte ich, obwohl ich eigentlich lieber in eine laute Kneipe gegangen wäre, einen Klub mit wummernder Musik. Da konnte man sich nicht so gut unterhalten.

»Dann können wir in Ruhe plaudern«, sagte Lee. »Eigentlich ist es sogar ziemlich aufregend – ich hab einen Platz im Jett ergattert, in Chelsea.«

»Wo?«

»Im Jett. Das ist wahnsinnig angesagt, angeblich ist es praktisch unmöglich, da reinzukommen, aber der Eigentümer ist ein Kunde von uns, also hab ich meine Beziehungen spielen lassen. Ich glaube, es wird dir gefallen. Aber wenn du lieber woanders hinmöchtest …«

»Du kennst ja meine Essgewohnheiten«, meinte ich achselzuckend. »Solange es Wein gibt, ist alles gut.«

»Wenn du lieber was anderes machen willst, sag es. Mir ist es wirklich egal, Hauptsache, wir verbringen ein bisschen Zeit miteinander.«

»Nein, ein Restaurant ist prima. Du hast recht – essen müssen wir schließlich. Muss ich da einen Rock anziehen? Ich hab nämlich keinen.«

»Die Jeans ist in Ordnung, glaube ich, aber hast du vielleicht ein schickeres Oberteil?«

Natürlich war das, was ich anhatte, nicht gut genug. Ich schluckte meine Entgegnung herunter und sagte: »Vielleicht finde ich oben im Koffer was.«

»Das ist super. Bei der Gelegenheit könnte ich mich auch ein bisschen frisch machen.«

»Dann bleibst du heute Nacht hier? Ich habe ein zweites Bett im Zimmer. Du bist natürlich herzlich eingeladen.«

Lee schüttelte schnell den Kopf. »Würde ich liebend gern, Liza, aber ich muss den letzten Zug erwischen.«

»Der letzte Zug nach Stoneguard geht irgendwann um halb elf; da fängt der Abend doch erst an.«

»Aber ich kann Mama unmöglich über Nacht allein lassen.«

»Ich dachte, sie hätte jemanden, der sie betreut.«

»Schon, aber …« Sie verzog das Gesicht. »Lieber nicht. Außerdem muss ich morgen früh arbeiten, und du vermutlich auch?«

»Na ja.« Ich rutschte auf meinem Stuhl herum. »Ehrlich gesagt, geht es eher um Sondierungsgespräche. Ich treffe ein paar Leute, mit denen ich über den Film rede.«

»Und gedreht wird dann später?«

»Genau.« Die Lüge kam mir ohne Schwierigkeiten oder Bedenken über die Lippen. Mit etwas Glück wäre es demnächst ohnehin die Wahrheit. Wenn nicht dieser Film, dann käme bald etwas anderes. Vielleicht fürs Fernsehen oder der ein oder andere Werbespot. Irgendeiner meiner alten Kontakte in England wäre sicher bereit, mir eine Chance zu geben. Ich betrachtete diese Hotelrechnung als Investition, bis ich das Geld wieder hereinholen könnte. Genau wie das Flugticket zur Hauptreisezeit, das ich kurzfristig teuer erstanden hatte. Das Prinzip war, ein wenig Geld zu riskieren, um viel zu verdienen. Momentan wahrscheinlich immerhin sicherer als der Börsenmarkt.

Das hieß natürlich, falls ich Arbeit bekäme. Und warum machte ich mir überhaupt Gedanken wegen der Lügen? Im Lügen war ich doch quasi ein Profi.

Ich leerte mein Glas. »Wollen wir? Wir können kurz nach oben gehen, und ich ziehe mich um.«

»Okay. Der Tisch ist für halb acht reserviert. Das Jett ist nicht weit weg, wir können durch den Park hinlaufen.«

»Oder wir nehmen ein Taxi.« Ich stand auf. »Ich werde nie verstehen, warum du überall so langsam wie möglich ankommen willst.«

»Ich sehe einfach keinen Grund zur Eile.« Sie erhob sich ebenfalls und strich sich den Rock glatt.

»Und genau deshalb, Schwesterherz, würde niemand uns miteinander verwechseln. Komm schon, ich glaube, es ist noch ein bisschen Gin in der Minibar.« Ich machte mich auf den Weg zum Aufzug, blieb aber stehen, weil ich merkte, dass Lee mir nicht folgte. Als ich mich nach ihr umdrehte, stand sie immer noch neben dem Tisch und beobachtete mich.

»Was denn?«, fragte ich.

»Was ist mit deinem Rücken?«

Ich legte mir die Hand aufs Kreuz und zog sie wieder weg. »Nichts. Warum?«

»Du gehst komisch.«

»Ach, ich bin nur steif vom Flug. Ich muss mich ein bisschen strecken, dann geht es wieder.«

Ich musste überzeugend geklungen haben, denn sie nickte. Wenn ich mir Mühe gab, humpelte ich auch gar nicht. Ich drückte den Knopf am Lift und sah meine Schwester mit dem Alles-wunderbar-alles-super-Lächeln an, das ich mir von ihr abgeschaut hatte.

»Ich mache mir Sorgen um dich«, sagte sie leise. »Deine Arbeit ist so gefährlich. Eines Tages wirst du dich noch schlimm verletzen.«

»Unsinn. Ich bin ein Profi. In meinem Job geht es zu hundert Prozent um Sicherheit, sonst würde ich ihn nicht machen.« Ich war dankbar, dass der Aufzug genau in dem Moment kam.

»Ich kann nicht nachvollziehen, warum du es genießt, deinen Hals zu riskieren, und das jeden Tag.«

»Man fühlt sich lebendiger.« Ich drückte den Knopf für mein Stockwerk.

In meinem Zimmer zog ich einen besseren BH aus dem Koffer und griff nach dem Saum meines T-Shirts, um es mir über den Kopf zu ziehen.

Dann zögerte ich. »Ich ziehe mich kurz im Bad um, und du kannst danach rein.«

Eine Sekunde lang dachte ich, Lee würde etwas sagen, denn egal, wie sehr unser Bedürfnis nach Intimsphäre mit zunehmendem Alter auch gewachsen sein mochte – wir hatten uns nie voreinander geniert. Wozu auch, wenn wir doch genau gleich aussahen? Aber sie schwieg, legte nur meinen Koffer aufs Bett und holte ein paar Bügel aus dem Schrank.

Im Badezimmer machte ich die Tür hinter mir zu und lehnte mich ans Waschbecken, während ich zwei Tabletten aus einem der Ibuprofen-Päckchen in meinem Kulturbeutel drückte. Durch Schmerz fordert dein Körper dich auf, einen Gang runterzuschalten, hatte ich einen meiner ersten Kampfsportlehrer noch im Ohr. Aber im Moment wollte ich lieber nicht auf meinen Körper hören. Es war auch gar nicht so schlimm, nur ein Ziehen im unteren Rückenbereich, aber wenn Lee das Humpeln bemerkt hatte, sollte ich es besser abstellen. Ich schluckte beide Tabletten auf einmal, ohne mit Wasser nachzuspülen. Aus unerfindlichen Gründen schien der bittere Kreidegeschmack sie schneller wirken zu lassen.

Rasch zog ich BH und Bluse an, ohne in den Spiegel zu sehen, zog mir einen Kamm durch die Haare und schnappte mir meine Schminktasche.

»Ah, gut, ist das dein Make-up? Ich hab meinen Lippenstift vergessen«, sagte Lee, als ich zurück ins Zimmer kam.

»Der perfekte Zwilling vergisst seinen Lippenstift?«

»Ich bin nicht immer so perfekt.« Lees Stimme war leise, ihr Blick auf die Bettdecke gerichtet. Sofort tat mir meine Bemerkung leid.

»Du kannst dir meinen leihen, kein Problem«, sagte ich.

Sie richtete sich auf, als wäre sie gerade aufgewacht, und lächelte mich an. »Danke, Liza.«

»Wozu hat man denn eine Schwester?«

Sie gab keine Antwort, und wir verfielen wieder in Schweigen.

»Weißt du …«, begann sie schließlich, räusperte sich und fing noch mal neu an. »Weißt du, was lustig wäre? Früher haben wir uns gegenseitig geschminkt, erinnerst du dich?«

Es war ein Friedensangebot. Ich nickte. »Ja, ich hab dir beigebracht, wie man flüssigen Eyeliner aufträgt.«

»Du warst mir voraus.«

»Nur so ungefähr vier Jahre.«

Wir rutschten auf dem Bett herum, sodass wir einander im Schneidersitz gegenübersaßen, die Schminktasche zwischen uns. »Weißt du noch, als Miss Hanson mich zum ersten Mal nach Hause geschickt hat?«

»Sie hat gesagt, du sähest aus wie eine Prostituierte, die sich als Clown verkleidet hat.«

Ich lachte. »Das mit dem Clown hab ich ihr übel genommen.«

»Was hat Mama damals eigentlich mit dir gemacht? Sie war ja nicht gerade begeistert vom Schminken.«

»Nichts. Ich hab es ihr nie erzählt. Ich bin mit dem Zug nach Swindon gefahren und hab den ganzen Tag am Spielautomaten verbracht.«

»In deiner Schuluniform? Woher hattest du das Geld für die Fahrkarte?«

»Lee, soweit ich mich erinnere, habe ich bis zu meinem zwanzigsten Lebensjahr nie für einen Zug bezahlt.« Ich musterte ihre Gesichtszüge genau. Im Detail betrachtet waren die Unterschiede zwischen uns ziemlich offensichtlich. »Du brauchst ein bisschen mehr Lidschatten und etwas Grundierung – darf ich?«

»Sicher. Du kannst machen, was du willst, wenn ich auch darf.«

»Klar doch.« Ich schmierte mir etwas Foundation auf den Handrücken, tupfte ein Schwämmchen hinein und strich sie ihr aufs Gesicht.

»Einmal hast du mich überredet, für dich zum Zahnarzt zu gehen – weißt du noch?«, fragte sie. »Deswegen wurden meine Zähne zweimal direkt hintereinander gereinigt.«

»Und du hast einmal ein Geografie-Referat für mich vorbereitet. Das war die einzige Eins, die ich jemals bekommen habe.« Ich wusste, was hier geschah – wir woben uns eine hübsche kleine Decke aus Erinnerungen, um uns in sie einzuhüllen und das Trennende zu verbergen.

»Und dieser Junge damals, der in den Ferien da war, der den ganzen Tag vor der Eisdiele auf mich gewartet hat, weil er dachte, ich wäre du – wie hieß er noch mal?«

»Die Namen habe ich alle vergessen.«

Unsere Knie berührten sich; unsere Hände tanzten umeinander herum, unsere Blicke wichen sich nicht aus. Dann schloss Lee die Augen, damit ich Lidschatten auftragen konnte. Als sie danach meine Wimpern tuschte, blinzelte sie teilnahmsvoll. Einen Moment lang, während wir einander die Lippen anmalten, hatte ich das Gefühl, in einen Spiegel zu blicken, mir selbst Farbe auf den Mund aufzutragen.

Das war es, was ich am meisten vermisste. Die seltenen Augenblicke müheloser Harmonie, in denen wir als zwei Hälften desselben Menschen funktionierten. Die Zeiten, in denen wir nicht konkurrierten, in denen wir die Unzulänglichkeiten der anderen ausglichen, statt sie zu betonen. Wir schminkten einander sorgfältig, und als wir fertig waren, begutachteten wir gemeinsam unser Werk.

»Wir werden einen wunderbaren Abend haben«, sagte Lee.

Unsere Blicke trafen sich im Spiegel, und wir sahen beide weg.

Schwestern unter sich

Das Essen im Jett war merkwürdig. Es war eines dieser Lokale, in denen jede Zutat in eine andere Form oder Konsistenz gebracht wurde, lauter Schäume und Gelees und zu akkuraten Mini-Kunstwerken arrangierte Kleinteile. Ich persönlich interessierte mich mehr für den Wein. Ehe unser überfürsorglicher Kellner eingreifen konnte, holte ich die Flasche aus dem Kühler und schenkte uns nach.

»Solltest du dich nicht ein bisschen zurückhalten?«, fragte Lee. »Du musst doch morgen arbeiten, oder?«

»Und du könntest ein bisschen schneller trinken, um locker zu werden.« Ich hielt ihr mein Glas entgegen. »Prost.«

»Prost.« Sie trank einen winzigen Schluck, den sie sofort verdünnte, indem sie an ihrem Wasser nippte.

»Was gibt es Neues in Stoneguard?«

»Du wärst vermutlich nicht der Meinung, dass es sich groß verändert hat«, gab Lee zurück und pikste in eins der Objekte auf ihrem Teller. »Dieses Wassermelonenkonfekt ist toll – möchtest du mal probieren?«

»Nein, danke. Also immer noch voller Touristen und Geschäftemacher?«

»Du bist so abschätzig, Liza. Die Leute in Stoneguard sind sehr freundlich. Und die Touristen sind unsere Lebensgrundlage.«

»Das hast du schön gesagt. Die Einwohner von Stoneguard mästen sich an den Besuchern, saugen ihnen das Blut aus wie ein einziger riesiger Blutegel.«

»Du bist zynisch.«

»Du weißt, dass ich es noch nie mochte. Das ist nichts Neues.«

Sie schüttelte den Kopf. »Und wie ist es in Los Angeles?«

»Heiß ist es. Und aufregend. Es ist immer was los, verstehst du?«

»In Stoneguard ist auch immer was los.«

Ich schnaubte. »Ja, die Volkstanzgruppe trifft sich und der Verein zur Erhaltung der Ley-Linien.«

»Du kannst es nicht mit einer Großstadt vergleichen, Liza.«

»Stimmt. Mit L. A. lässt es sich nicht ansatzweise vergleichen.«

»Kennst du überhaupt deine Nachbarn in Kalifornien?«

»Nein. Und genau so soll es sein. Ich hab in meiner Jugend genug neugierige Blicke auf mich gezogen – das reicht für ein Leben.«

Sie seufzte. »Tja, ich hab dort jedenfalls immer genug zu tun. Und in einer Kleinstadt fühlt man sich einfach aufgehoben. Die Leute kennen einen.«

Ich wusste, dass wir uns darüber nie einigen würden, also wechselte ich das Thema. »Was ist mit deinem Liebesleben? Gibt es wenigstens ein paar vernünftige Männer in Stoneguard – oder sonst irgendwo in Wiltshire?«

»Es gibt sogar viele vernünftige Männer. Und mit meinem Liebesleben ist alles in bester Ordnung, danke. Das da sieht super aus – darf ich mal probieren?« Ich schob ihr meinen Teller hin, und sie nahm eine Gabel voll, steckte sie in den Mund und schloss die Augen. »Hmmm. Das ist echt, echt gut.« Sie wischte sich den Mund mit der Serviette ab.

»Du warst diejenige, die sich immer verlieben und heiraten und Kinder kriegen wollte. Früher warst du total verknallt in den Sohn von Lord Naughton – weißt du noch? Was ist überhaupt aus dem geworden?«

»Er ist wieder in der Stadt, lässt den Familiensitz restaurieren.«

»Was war das nur für ein Blödmann! Und hattest du nicht einen Freund, als wir uns das letzte Mal gesehen haben? Einen Möbelrestaurator oder so was?«

»Antiquitätenhändler. Wir sind nicht mehr zusammen. Schmeckt dir dein Essen?«

»Ja, ganz gut.«

»Der Koch, Edmund Jett, hat zwei Michelin-Sterne.«

»Na ja, so viel gibt es über einen Eiffelturm aus Krebsfleisch dann auch wieder nicht zu sagen.« Ich goss mir Wein nach. »Vielleicht sollten wir noch eine Flasche bestellen.«

»Bist du sicher, dass das eine gute Idee ist?«

»Nein, aber wann hätte mich das je abgehalten?« Ich machte den Kellner auf mich aufmerksam.

»Ich möchte nicht …«

»Du brauchst nichts davon zu trinken, keine Sorge.«

»Nein, ich wollte sagen, ich möchte nicht streiten. Nicht heute. Wir haben uns so lange nicht gesehen, ich möchte einfach einen schönen Abend haben. Bitte.«

Wut kochte in mir hoch. Sie begleitete mich schon fast so lange wie Lee.

»Was du sagen wolltest, ist, dass unser letzter Streit meine Schuld war, und auch dass wir uns so lange nicht gesehen haben, ist meine Schuld.«

»Nein, ich meinte …«

Der Kellner kam. »Noch eine Flasche, bitte«, sagte ich, und er ging. Die Wangen meiner Schwester waren gerötet. Eine Auseinandersetzung in der Öffentlichkeit. Wie peinlich für sie.

»Wir sind Schwestern«, sagte sie ruhig. »Ist es denn wirklich so schwierig, sich einen Abend lang zu vertragen?«

Ich seufzte. Und trank den letzten Schluck Wein aus meinem Glas. »Nein. Okay. Vergiss es.« Obwohl mir durchaus auffiel, dass sie mir, was meine Schuld an dem Streit betraf, nicht widersprach, hatte sie nicht ganz unrecht. Sie hatte mir gefehlt, auch wenn ich das nicht zugeben würde. »Ich esse brav meinen Teller leer, und dann können wir reden, über was du willst.« Ich lud den Rest meines Essens auf meine Gabel, steckte alles in den Mund und kaute.

Als ich den Kopf hob, starrte Lee in ihr Wasserglas. Das Besteck hatte sie ordentlich auf ihren nicht leeren Teller gelegt.

»Hast du keinen Hunger?«, fragte ich.

Sie blinzelte. »Ich lasse Platz für den Nachtisch.«

»Stimmt, hier werden eure Produkte serviert. Wie läuft es überhaupt bei Ice Cream Heaven?«

»Gut. Viel los – du weißt ja.«

Ich wusste nicht, aber ich nickte, denn das war ein weiteres hochsensibles Thema, auf das ich möglichst nicht näher eingehen wollte. Der Kellner räumte unsere Teller ab und gab uns Dessertkarten. Ich klappte meine gar nicht auf, sondern goss mir Wein aus der neuen Flasche ein, aber Lee fuhr vollkommen versunken mit dem Finger über das Papier. Süßes nahm sie sehr ernst.

»Was möchtest du?«, fragte sie mich.

»Mir reicht der Wein.«

»Ich probiere den Knickerbocker Glory. Soviel ich gehört habe, macht Edmund interessante Sachen damit.«

Ein Eisbecher. Natürlich. Lee gab lächelnd ihre Bestellung beim Kellner auf.

»Eine Sache, mit der ich in Stoneguard unter anderem beschäftigt bin, ist ein Wohltätigkeitsball, den ich organisiere«, sagte sie mit der Miene einer Frau, die das interessanteste Thema der Welt anschneidet.

»Ach ja?«

»Na ja, es ist eher eine Disco. Keine große Gala oder so, und es findet in der Schulaula statt, aber alle helfen mit, und es kommen viele Leute. Am nächsten Wochenende.«

»Aha.«

»Man glaubt gar nicht, wie viel Planung so eine kleine Sache erfordert. Es hat Wochen gedauert! Es gibt so viel zu erledigen, das ganze Essen und die Musik und das Licht, und dann natürlich die Einladungen und die Werbung. Aber ich hoffe wirklich, dass es ein Erfolg wird. Es soll ein bisschen anders als die üblichen Feste sein, die ständig veranstaltet werden – du weißt schon, ein bisschen zeitgemäßer.«

»Du meinst, es soll Musik laufen, die jünger als dreihundert Jahre ist?«

»Ja. Nigel Peach legt auf – er hat vor ein paar Jahren mal bei Radio Wiltshire gearbeitet. Er spielt alles von Oldies bis zu aktuellen Sachen. Es wird bestimmt lustig. Die Leute reden von nichts anderem. Und der Erlös geht an die Alzheimerforschung. Wegen …«

»Verstehe.«

»Ich wollte auch meinen Teil beitragen, und ich hatte das Gefühl, so etwas könnte ich vielleicht ganz gut.«

»Pass bloß auf, sonst verwandelst du dich noch in Ma Gamble.«