Mit der Familie brechen - Sherrie Campbell - E-Book

Mit der Familie brechen E-Book

Sherrie Campbell

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Beschreibung

Familienmitglieder sind unsere ersten und oft lebenslangen Bezugspersonen. Doch was passiert, wenn diese engsten Vertrauten uns körperliches oder seelisches Leid zufügen oder uns für ihre Zwecke missbrauchen? Eine Trennung wird dann zum Akt des Selbstschutzes. Was so logisch klingt, ist in der Praxis eine der schwersten Entscheidungen, die Kopf und Herz gleichermaßen bejahen müssen. Sherrie Campbell, Expertin und selbst Betroffene, bietet in ihrem Buch alltagspraktische Hilfen für Menschen, die unter toxischen familiären Beziehungen leiden und einen Ausweg suchen. Das Buch ist eine Schatztruhe voller Informationen und emotionaler Unterstützung, die dabei helfen, gesunde Grenzen zu setzen. Es wird klar: Bei der Trennung geht es nicht darum, anderen die eigene Entscheidung verständlich zu machen, sondern darum, den Mut aufzubringen, sich zu befreien. Es ist ein langer Prozess, sich selbst zu erlauben, mit der Familie zu brechen. Doch dieser Weg lohnt sich, denn er ermöglicht Heilung und persönliches Wachstum.

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EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Sherrie CampbellMit der Familie brechenToxische Beziehungen beenden – unbeschwert leben und lieben

Über dieses Buch

Trennung von der Familie als Selbstschutz

Familienmitglieder sind unsere ersten und oft lebenslangen Bezugspersonen. Doch was passiert, wenn diese engsten Vertrauten uns körperliches oder seelisches Leid zufügen oder uns für ihre Zwecke missbrauchen? Eine Trennung wird dann zum Akt des Selbstschutzes.

Was so logisch klingt, ist in der Praxis eine der schwersten Entscheidungen, die Kopf und Herz gleichermaßen bejahen müssen. Sherrie Campbell, Expertin und selbst Betroffene, bietet in ihrem Buch alltagspraktische Hilfen für Menschen, die unter toxischen familiären Beziehungen leiden und einen Ausweg suchen.

Das Buch ist eine Schatztruhe voller Informationen und emotionaler Unterstützung, die dabei helfen, gesunde Grenzen zu setzen. Es wird klar: Bei der Trennung geht es nicht darum, anderen die eigene Entscheidung verständlich zu machen, sondern darum, den Mut aufzubringen, sich zu befreien. Es ist ein langer Prozess, sich selbst zu erlauben, mit der Familie zu brechen. Doch dieser Weg lohnt sich, denn er ermöglicht Heilung und persönliches Wachstum.

Sherrie Campbell, Ph.D., hat sich darauf spezialisiert, Menschen zu helfen, sich aus toxischen Beziehungen zu lösen. Sie arbeitet in eigener Praxis in Orange County, Kalifornien.

Copyright: © der deutschen Ausgabe: Junfermann Verlag, Paderborn 2025

Copyright: © 2022 Sherrie Campbell Translated from the English language: ADULT SURVIVORS OF TOXIC FAMILY MEMBERSFirst published by: New Harbinger Publications, Inc.

Coverfoto: © yukipon (www.istockphoto.com)

Übersetzerin: Elisabeth Vorspohl

Covergestaltung / Reihenentwurf: Junfermann Druck & Service GmbH & Co. KG, Paderborn

Satz, Layout & Digitalisierung: Junfermann Druck & Service GmbH & Co. KG, Paderborn

Alle Rechte vorbehalten.

Wir behalten uns eine Benutzung des Werkes für Text und Data Mining i.S.v. § 44b UrhG vor.

Junfermann Verlag GmbH, Driburger Straße 24d, D-33100 Paderborn, Tel.: +49 5251 1344-0, E-Mail: [email protected]

Erscheinungsjahr dieser E-Book-Ausgabe: 2025

ISBN 978-3-7495-0650-7

ISBN dieses E-Books: 978-3-7495-0651-4 (EPUB), 978-3-7495-0652-1 (PDF).

Meiner wunderbaren Tochter London gewidmet. Du bist mein „Warum“. Ich liebe dich.

Vorwort

Es überrascht nicht, dass einige der schwierigsten Aspekte der Psychotherapie mit erschütternden Erfahrungen von Menschen zusammenhängen, die dem toxischen Einfluss missbräuchlicher Partner:innen, Väter, Mütter oder anderer Familienmitglieder ausgesetzt sind. Das emotionale Leid kann intensiv sein und Betroffene in Hoffnungslosigkeit, Depression, nicht endende Sorgen oder Angst stürzen. Vielleicht verfallen auch Sie hin und wieder in fehlangepasste Muster der Selbstzweifel und der Selbstaufopferung, um zu überleben: Sie verleugnen Ihre Bedürfnisse, unterdrücken Ihre Freude, verlieren Ihre Zuversicht sowie Ihre ansonsten stabile Selbstvertretungskompetenz und bringen Ihre authentische Stimme zum Schweigen.

Als Narzissmus-Expertin begegne ich häufig Menschen, die durch Partner:innen oder andere Familienangehörige Verrat, Missbrauch, Vernachlässigung, Unterdrückung, „Gaslighting“, Missachtung, Kontrolle und Verachtung erlitten haben. Das Leben in einer toxischen Familie, in der nichtverhandelbare Grenzen grundsätzlich missachtet werden, kann bewirken, dass das menschliche Überlebenssystem bestimmte Coping-Reaktionen aktiviert, zum Beispiel Loyalität um jeden Preis, Unterwerfung unter unrealistischen Erwartungen und Belastungen, Selbstschädigung, intensive Wut oder eine ausgeprägte emotionale Gehemmtheit. Diese fehlangepassten Muster bilden sich in früher Kindheit, wenn emotionale Bedürfnisse unbefriedigt bleiben und entwicklungsschädliche Erfahrungen (neben Biologie und angeborenem Temperament) zur Grundlage des kindlichen Selbstbildes werden. Sie entwickeln sich zu lebenslangen automatischen Reaktionen auf Bedrohungen, mit denen die Betroffenen in ihrer Familie großgeworden sind.

Ich könnte also gar nicht glücklicher darüber sein, dass meine Kollegin Dr. Sherrie Campbell Mit der Familie brechen geschrieben hat. In diesem außerordentlichen Buch spricht sie eloquent und mit klarer Stimme. Beeindruckend ist auch ihre beziehungsreiche Metaphorik, der die Weisheit ihrer persönlichen sowie beruflichen Erfahrungen zugrunde liegt. Sherrie gewährt uns einen unverfälschten Einblick in die Herausforderungen, mit denen sie selbst konfrontiert war, und in ihren berührenden Kampf, ihre Entschlossenheit und Stärke. Sie erläutert mutige, unverzichtbare Strategien für einen angemessenen Umgang mit den einseitigen Botschaften und emotional verzerrten Denkmustern, die aus der ständigen Konfrontation mit zerstörerischen Lebensentwürfen hervorgehen. Sherrie erinnert uns daran, dass keine Familie perfekt ist und dass schmerzvolle familiäre Schwierigkeiten oder Konflikte noch lange, nachdem sie sich ereignet haben, in uns nachhallen können. Streit und Meinungsverschiedenheiten sind, so erläutert sie, Teil zwischenmenschlicher Interaktionen, aber wir müssen zwischen verhandelbaren Konflikten und unerträglichen toxischen Beziehungen, in denen emotionale Gesundheit ohne das Setzen klarer Grenzen nicht möglich ist, unterscheiden.

Dieses Buch unterstützt Sie in der Kunst, Grenzen zu setzen, indem Sie Häufigkeit und Intensität Ihres Kontakts mit toxischen Familienangehörigen überdenken und in Ihrem Sinne anpassen. Indem Sherry die gravierendsten Schwierigkeiten und die leidvoll gehüteten Geheimnisse, die so viele Menschen lebenslang bedrücken, beleuchtet, lädt sie ihre Leserinnen und Leser dazu ein, eine Tür zu einer Welt zu öffnen, in der sie ihr Leid und ihre Trauer anerkennen und verarbeiten können. Es ist eine Welt, in der Sie zu sich finden können und sich nicht länger verloren fühlen, sondern Ihr Leben selbst in die Hand nehmen.

Sherrie hat ihrer klinischen Praxis als Beraterin und Psychotherapeutin viele Jahre gewidmet und in dieser Zeit mehrere Bücher geschrieben. Mit der Familie brechen ist ein einzigartiger Ratgeber, in dem Sie nicht nur Ihre eigenen Erfahrungen wiedererkennen, sondern auch effektive Heilungsstrategien für die alten, tiefsitzenden emotionalen Wunden finden werden, die nach wie vor innerhalb der Mauern Ihres emotionalen Gedächtnisses widerhallen. Die von Sherrie erläuterten Strategien können destruktive Lebensmuster in gesunde, trag- und zukunftsfähige transformieren.

Ich empfehle Dr. Campbells Buch als unschätzbar wertvolle Hilfe für jeden, der sich mit den nicht endenden Schwierigkeiten und Herausforderungen toxischer Familienbande oder mit den Nachwirkungen einer toxischen Beziehung auseinandersetzen muss. Mit der Familie brechen beleuchtet den Weg zu emotionaler Emanzipation, zu einem wiedererwachten und erneuerten Gefühl der eigenen Stärke und einem tiefen, erleichterten Ausatmen.

Wendy T. Behary

Verfasserin des internationalen Bestsellers Mit Narzissten leben: Wie Sie selbstbezogene Menschen entlarven und dabei wachsen können1

Einleitung: Sie haben die Erlaubnis

Die Entscheidung, mit der Familie zu brechen, ist eine Aufgabe für Körper, Geist und Seele. Grenzen zu ziehen, die einen vollständigen oder weitgehenden Kontaktabbruch bedeuten, setzt voraus, dass Sie blind darauf vertrauen, Ihr Leben allein besser bewältigen zu können. Vollständiger Kontaktabbruch bedeutet, dass ab sofort jeder direkte oder indirekte physische, verbale oder schriftliche Kontakt zwischen Ihnen selbst und der betreffenden anderen Person oder Personengruppe untersagt ist. Diese Entscheidung muss in der festen Überzeugung getroffen werden, dass es Ihnen allein, ohne Ihre Familie, nicht nur „einigermaßen gut“ gehen wird, sondern besser als einigermaßen gut. Ihre Definition von „einigermaßen gut“ muss nicht unbedingt dem entsprechen, was Sie erhofft oder sich ursprünglich vorgestellt haben, aber ich versichere Ihnen, dass es auch unter diesen Umständen durchaus möglich ist, ein gesundes, zufriedenes Leben zu führen.

Die Grenzen, bei deren Festsetzung und Aufrechterhaltung ich Ihnen in diesem Buch helfen werde, können die emotionale und mentale Sicherheit herstellen, die Sie Ihr ganzes Leben lang gebraucht haben. Diese Grenzen bringen Ihnen die langersehnte Entlastung von dem Druck und den Zwängen, die Ihre Familie Ihnen auferlegt hat. Sie ermöglichen es Ihnen, Ihr Leben frei von den ständigen Manipulationen, der Kontrolle, der Dramatik und den manipulativen Spielchen Ihres toxischen Familiensystems zu leben.

Dennoch habe ich am eigenen Leib erfahren, dass der Bruch mit der Familie zwei konkurrierende emotionale Seiten hat. Er ist einerseits total befreiend. Wir können stolz darauf sein, endlich für unser Recht, als der Mensch, der wir sind, geliebt zu werden, einzustehen. Andererseits sind untergründige Selbstzweifel und toxische Schamgefühle nicht zu leugnen, die uns auf unserem weiteren Weg zusetzen und uns manchmal fragen lassen, ob wir womöglich einen furchtbaren Fehler gemacht haben.

Warum? Weil es um unsere Familie geht. Wer sehnt sich nicht nach einer liebevollen Familie? Wer braucht sie nicht? Jeder ersehnt und jeder braucht sie.

Das System, in dem psychisch missbräuchliche Familienmitglieder agieren, weigert sich, andere Denk- und Verhaltensweisen als die eigenen anzuerkennen. In toxischen Familiensystemen gibt es keinen Platz für Veränderung, für andere Vorstellungen, für flexibles Denken oder geistig aufgeschlossene Menschen. Wir haben dies toleriert, indem wir uns dem emotionalen Missbrauch gefügt haben. Dadurch wurde die gesunde Entwicklung der Individualität, Freiheit, Liebe und Zufriedenheit, auf die jeder Mensch ein Recht hat, untergraben.

Eine toxische Familiendynamik beruht weitgehend auf dem Paradigma des Gruppendenkens, demzufolge die gesamte Denkweise der Gruppe und alle Entscheidungen, die sie trifft, in krassem Gegensatz stehen zu der Kreativität, Unabhängigkeit oder individuellen Verantwortung einzelner Familienmitglieder. Toxische Familiensysteme funktionieren, weil ihm zahlreiche Mitglieder angehören, die stark sind, wenn Gruppenzwang als Einschüchterungsmethode angewendet wird und Sie ein unschuldiges Kind sind. Dieser Art von Einschüchterung waren Sie seit frühester Kindheit ausgesetzt.

Als Psychologin, Forscherin, Lernende und Behandlerin weiß ich, dass niemand imstande ist, sich selbst als der Mensch, der er ist, kennenzulernen, weiterzuentwickeln und anzunehmen, wenn er einem System verbunden bleibt, das Individualität oder individuelle Verantwortlichkeit hintertreibt. Das Selbstwertgefühl, das Sie empfinden und entdecken möchten, bleibt unerreichbar, weil Ihre Angehörigen Ihnen die Möglichkeit verwehren, sich von ihnen loszulösen und aus ihrer Umklammerung zu befreien. Um Ihren Selbstwert definieren zu können, sind Separation und Individuation unabdingbar.

Als ich mir meinen Ausweg aus einer toxischen Familiendynamik erkämpfte, um zu genesen, habe ich festgestellt, dass die meisten Quellen, von denen ich mir Hilfe erhoffte, die Option des Bruchs mit der Familie nicht empfahlen, geschweige denn befürworteten. Ich erfuhr, was toxisch ist, dass es unterschiedliche Typen toxischer Persönlichkeiten gibt, dass toxische Familienmitglieder uns auf unterschiedliche Weise beeinflussen und dass dieses toxische System sich darauf auswirkt, wie wir in der Welt zurechtkommen. Die Kenntnisse, die ich mir lesend und forschend aneignen konnte, haben meine Weiterentwicklung zwar enorm bereichert, doch ich suchte nahezu vergeblich nach der Erlaubnis, allein, ohne Familie, für mich selbst zu sorgen. Darüber hinaus konnte mir niemand die Fragen beantworten, die ich mir stellte, während ich mein Trauma untersuchte, denn die Literatur legt uns nahe, die Verbindung mit unserer Familie zumindest zu einem gewissen Grad aufrechtzuerhalten, weil dies Teil der Schmerzbewältigung sei.

Nun war mir allerdings vollkommen klar, dass ich weiterhin manipuliert und emotional missbraucht werden würde, wenn ich den Missbrauch tolerierte. Dem einen oder anderen ist es vielleicht möglich, die Verbindung zu einer psychisch missbräuchlichen Familie aufrechtzuerhalten, doch viele von uns wissen, dass dieser Kontakt es unmöglich macht, zu wachsen und gesund zu werden.

Die Verbindung zur Familie würde bedeuten, weiterhin ein Leben in Unterdrückung und Angst zu führen und den Missbrauch hinzunehmen – eine viktimisierte Version des Menschen zu sein, der wir eigentlich sind. Warum sollte dies irgendjemandem guttun? Ich habe jahrelang in solchen Verhältnissen gelebt, und die Forschung konnte mir nicht helfen, gesund und eigenständig zu werden. Vielleicht ergeht es Ihnen nicht anders, als es mir ergangen ist, und Sie sind überzeugt, nur dann ein „guter Mensch“ sein zu können, wenn Sie einen gewissen Kontakt zu Ihrer toxischen Familie aufrechterhalten. Aber diese „gute“ Version Ihrer selbst ist vollkommen unauthentisch. Ihrer Familie kommt sie entgegen, aber Ihnen selbst tut sie nicht gut. Ein „guter Mensch“ zu sein bedeutet in den Augen Ihrer Angehörigen, dass Sie verfügbar bleiben und sich weiterhin missbrauchen lassen.

Es kann Jahre dauern, die Verbindung zu kappen, denn wir können uns nicht vorstellen, wie unser Leben anschließend aussehen wird. Der Gedanke, fortan ganz allein zu leben, macht Angst. Ich selbst habe den Mut, mich fortan meiner Genesung zu widmen, erst fassen können, als ich das Gefühl hatte, in meinem Schmerz, meinen inneren Konflikten und meinen Ängsten wirklich verstanden zu werden. Ich war darauf angewiesen zu sehen, wie sich jemand, der den Prozess des Bruchs mit der Familie durchlief, fühlte und mit welchen Schwierigkeiten oder Konflikten man konfrontiert ist, wenn es darum geht, Entscheidungen zu treffen. Das ist der Grund, weshalb ich in diesem Buch meine eigene Geschichte – die gleichermaßen befreiend wie furchterregend ist – schildere.

Auf meinem Weg zur Heilung im Anschluss an die Trennung von meinen Angehörigen habe ich mich wie eine einsame Pionierin gefühlt. Ich musste diesen Weg blindlings zurücklegen, aber heute weiß ich, wo’s lang geht, sodass ich Ihnen allen, die Sie in der Forschung auf dieselben enttäuschenden Lücken gestoßen sind, etwas Besonderes und Wertvolles mit auf den Weg geben kann.

Ich bin fest davon überzeugt, dass wir nicht genesen können, solange wir den emotionalen Missbrauch tolerieren. Das ist der Grund, weshalb ich selbst und viele andere den strikten Kontaktabbruch beschlossen haben. Ich habe dies 2019 in meinem Buch But It’s Your Family: Cutting Ties with Toxic Family Members and Loving Yourself in the Aftermath2 geschildert. Ich erläutere die Zeit nach dem Bruch, weil viele Menschen, die die Worte „Verbindung kappen“ oder „Kontaktabbruch“ hören, automatisch annehmen, dass diejenigen, die eine solche Grenze ziehen, wütende, verbitterte, unreife, gehässige, verwöhnte, eifersüchtige und anspruchsvolle Kinder seien, die sich ihren nächsten Angehörigen gegenüber grausam und irrational verhalten. Nichts könnte weiter von der Wahrheit entfernt sein. Mit der Familie zu brechen, hat nichts mit Bosheit, Hass, Dickköpfigkeit, Unversöhnlichkeit oder Rachsucht zu tun. Der Kontaktabbruch dient einzig und allein unserer Selbstfürsorge.

Ich habe meine Bücher nicht geschrieben, um Familien zu zerstören. Ich kann keine Familie zerstören, die toxisch und bereits zerbrochen ist. Mein Wunsch ist es, Licht auf dieses wichtige Thema zu werfen und gesunde, praktikable Möglichkeiten der Selbstfürsorge aufzuzeigen. Meiner Ansicht nach bewirkt der Bruch mit der Familie vor allem eines: den Zusammenhalt der Familien künftiger Generationen – nachdem jemand wie Sie oder ich beschlossen haben, dass wir dem Missbrauch in der Familie ein Ende setzen.

Die Beendigung der Beziehung zu toxischen Angehörigen bringt Hoffnung und Klarheit ins Leben, und in diesem Buch werfe ich Licht sowohl auf die damit einhergehenden Chancen als auch auf die Schwierigkeiten. Von klein an hat man Ihnen quasi einprogrammiert, sich selbst nicht zu trauen. Dieser Mangel an Selbstvertrauen macht es Überlebenden unglaublich schwer, die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um sich zu schützen. Der Mangel an Selbstvertrauen kann sich anfühlen wie ein langsames Ausbluten, wenn Sie sich ständig fragen, ob Sie die richtige Entscheidung getroffen haben oder wenn Sie sich von einer Gesellschaft ungerecht beurteilt und kritisiert fühlen, für die es unvorstellbar ist, dass jemand gezwungen sein sollte, Familienbande zu durchtrennen. Weil Sie dazu erzogen worden sind, unsicher zu sein und sich unsicher zu fühlen, überrascht es nicht, dass Sie sich fragen, ob Sie womöglich überempfindlich sind oder übertriebene Grenzen ziehen. Ich weiß, dass es für ein erfülltes Leben, das Ihnen Freude schenkt und in dem Sie Liebe finden, unabdingbar ist, diese Selbstzweifel zu überwinden. Nach dem Bruch haben Sie die Chance, all die Verwirrung, die Schuldgefühle, Ihre Angst, Einsamkeit und Traurigkeit verstehen zu lernen. Die Hilfen und Fertigkeiten, die in diesem Buch beschrieben werden, zeigen Ihnen neue Grenzen auf, die Sie ziehen, und neue Denkweisen, die Sie sich zu eigen machen können.

Nachdem Sie Ihren toxischen Familienangehörigen mitgeteilt haben, dass Sie jeden weiteren Kontakt ablehnen, besteht das größte Geschenk, das Sie sich selbst machen können, in der Ungestörtheit Ihrer Zeit und Ihres Raumes, um Ihre Kernwunden (tiefe emotionale Verletzungen, die das Leben in allen Lebensbereichen beeinflussen können) zu heilen und eine echte und tiefe Genesung einzuleiten. Ihre Kernbedürfnisse beginnen mit der Geburt und müssen befriedigt werden. Zu diesen Kernbedürfnissen zählen u. a. angemessene Zeit, Liebe und Aufmerksamkeit sowie das Bedürfnis, gehört, validiert und verstanden zu werden. Bleiben diese Bedürfnisse unbefriedigt, besteht keine Möglichkeit, sozusagen zum Lebensanfang zurückzuspulen, um ihnen durch spätere Liebesbeziehungen Genüge zu tun. Die Forschung empfiehlt uns naiverweise, Beziehungen außerhalb der Familie zu suchen, in denen unsere Grundbedürfnisse nach Liebe, Anerkennung und emotionalem Beistand befriedigt werden. Auch wenn andere Liebesbeziehungen für unser Wohlbefinden notwendig und von elementarer Bedeutung sind, halte ich es nicht nur für unzulässig, andere unter Druck zu setzen, damit sie die Bedürfnisse, die von der eigenen Familie vernachlässigt wurden, befriedigen; meiner Ansicht nach ist ein solches Ansinnen auch vollkommen unrealistisch. Es ist unklug und emotional gefährlich, davon auszugehen, dass irgendjemand den Kernbedürfnissen, die nur durch die Familie, in die wir hineingeboren werden, befriedigt werden können, gerecht zu werden vermag. Die Botschaft solcher Informationen lautet, dass andere Menschen unsere Wunden heilen und unsere Kernbedürfnisse befriedigen können, und das ist falsch und irreführend. Letztlich müssen wir nämlich lernen, unsere Wunden selbst zu heilen und unsere Bedürfnisse selbst zu befriedigen.

Ihre Genesung setzt eine gründliche Untersuchung Ihrer Erfahrungen, die Sie an den Punkt, an dem Sie heute sind, gebracht haben, voraus. Ihre wichtigste Aufgabe als Mensch besteht darin, sich ihr Leben wieder zu eigen zu machen und es selbst in die Hand zu nehmen. Meine einzige Absicht, mein Herzenswunsch sozusagen, besteht darin, Ihnen dabei zu helfen, sich Ihren Impuls, den Weg der Genesung zu beschreiten, zunutze zu machen und ihm zu folgen. Ich werde auch die unerwarteten Härten und Rückschläge beschreiben, die ich selbst und andere nach dem Bruch mit unseren Familien erlebt haben, und Ihnen Tipps geben, die es Ihnen erleichtern, sich auf Ihre Selbstfürsorge zu konzentrieren ohne zurückzublicken. Ihre destruktive Familie muss zu dem Genesungsprozess nichts beitragen. Die erfolgreichste Genesung ist die, die Sie sich selbst erarbeiten. Ich erteile Ihnen die Erlaubnis, Folgendes zu tun:

Sie dürfen Beziehungen zu Ihren toxischen Familienangehörigen beenden.

Sie dürfen jedem auf Nimmerwiedersehen den Rücken kehren, der Ihr Wohlbefinden konsequent untergräbt.

Sie dürfen wütend sein, für sich selbst sorgen und sich um Ihre Bedürfnisse kümmern, statt gutgläubig auf Versöhnungsangebote einzugehen.

Sie dürfen die besten Entscheidungen für Ihr selbstbestimmtes Leben treffen, ohne irgendjemandem eine Erklärung schuldig zu sein.

Um sich immer wieder, wenn es nötig ist, daran zu erinnern, laden Sie dieses kostenfreie Onlinetool herunter, drucken Sie es aus und bewahren Sie es so auf, dass Sie jederzeit einen Blick darauf werfen können: http://www.junfermann.de

TEIL I: FRIEDEN MIT IHRER ENTSCHEIDUNG SCHLIESSEN

1. Der Kontaktabbruch dient dem Selbstschutz

Wenn Sie Verbindungen kappen, tun Sie dies, um sich zu schützen und selbstständig zu werden. Es geschieht nicht in der Absicht, Ihre Angehörigen zu verletzen, ihnen wehzutun oder sie vor den Kopf zu stoßen. Wenn Sie eine solche Entscheidung treffen, tun Sie nicht etwa Ihrer Familie etwas an; vielmehr tun Sie etwas für sich selbst. Dennoch werden Ihnen auf diesem Weg der Emanzipation nicht nur Rosen gestreut. Ihnen werden unweigerlich hässliche, schmerzvolle Momente begegnen, und gerade deshalb dürfen Sie nie vergessen, dass Sie all dies tun, um für sich selbst Sorge zu tragen.

Es gibt mancherlei Gründe, weshalb wir es für nötig erachten, familiäre Beziehungen – zu Eltern, Geschwistern, eigenen erwachsenen Kindern oder Angehörigen der erweiterten Familie – zu beenden. Ironischerweise unterscheiden sich diese Gründe nicht wesentlich von den Gründen, die Sie zum Bruch mit einem toxischen Freund, einer Liebespartnerin oder einem Mitarbeiter veranlassen. Hier einige der häufigen Gründe, weshalb Sie den Kontakt zu missbräuchlichen Familienangehörigen vielleicht schon abgebrochen haben oder abbrechen wollen:

Emotionaler Missbrauch und Manipulation, einschließlich Geschichtsklitterung (falsche Darstellung oder Deutung von vergangenen Ereignissen), „Gaslighting“ (Manipulation, mit der andere gezielt in ihrer Wahrnehmung verunsichert werden), Lügen, Schmierenkampagnen, Projektion, Triangulierung (dysfunktionale Dreierkonstellation, bei der zwei – oft hierarchisch höher gestellte – Menschen sich gegen einen Dritten verbünden), Ablenkung, Schuldzuweisung, Beschämung, Ausgrenzung, Drama, Entwaffnung durch geheuchelte Freundlichkeit, manipulative Zurückholversuche, Spionieren, Übergriffigkeit, Kontrolle oder Streitsucht

Finanzieller Missbrauch

Körperliche Misshandlung

Sexueller Missbrauch

Sucht und Vernachlässigung

Andere oder unvereinbare Werte

Schwache Grenzen

Allgemeine Respektlosigkeit

Mangelnde Loyalität und Ehrlichkeit

Ausgrenzung einer Person durch die ganze Familie

Streuen von Gerüchten

Ich hoffe, dass Sie diese häufigen Gründe, die Menschen zum Bruch mit ihrer Familie veranlassen, mit einer gewissen Erleichterung gelesen haben, denn die Liste zeigt Ihnen, dass Sie nicht allein sind. Glücklicherweise sind die Gründe für einen Kontaktabbruch leichter zu begreifen als die verschiedenen Möglichkeiten, Beziehungen zu toxischen Angehörigen zu beenden, denn der Bruch setzt voraus, dass Sie selbst aktiv werden – was in solchen emotional aufgeladenen Situationen unweigerlich Furcht und Angst erzeugt. Es gibt folgende Möglichkeiten, Ihren Angehörigen mitzuteilen, dass Sie jeden weiteren Kontakt durch klare Grenzen unterbinden werden:

Sie können ein Gespräch führen (wohlwissend, dass nichts dabei herauskommen wird).

Sie können einen Brief schreiben, in dem Sie Ihre Entscheidung detailliert begründen.

Sie können sich ohne weitere Erklärung zurückziehen.

Sie können eine Kontaktsperre einführen und sämtliche Versuche einer Kontaktaufnahme blockieren, entfernen, löschen.

Aha-Moment: Es gibt keine perfekte Methode, um Verbindungen zu kappen. Entscheidend ist, dass Sie eine Beziehung beenden, wenn es für Sie nötig ist.

Gönnen Sie sich einen Moment der Ruhe: Überlegen Sie, welcher Weg für Sie selbst am einfachsten und mit möglichst wenig Schmerzen gangbar ist – auch wenn keine Methode völlig konfliktfrei sein wird. Schreiben Sie auf, wie Sie vorgehen werden, um sich künftig selbst zu schützen. Wovor genau wollen Sie sich schützen? Welche Verhaltensweisen wollen Sie aus Ihrem Leben verbannen? Im Grunde schreiben Sie auf, wie Sie von dem Bruch mit Ihrer Familie profitieren werden. Behalten Sie diese Gedanken im Hinterkopf, während Sie in diesem Buch lesen, wie sich der Prozess, den negativen Einfluss Ihrer Angehörigen auf Ihr Leben zu stoppen, vollzieht.

1.1 Definition typischer Eigenschaften toxischer Menschen

Um toxische Familienangehörige besser zu verstehen, ist es wichtig, die charakteristischen Eigenschaften zu kennen, die jemanden zu einer toxischen Persönlichkeit machen. Ich ziehe das Wort „toxisch“ den Begriffen oder Diagnosen vor, die im DSM-5* verwendet werden. „Toxisch“ charakterisiert Individuen, die zahlreiche Merkmale der im DSM-5 beschriebenen „Cluster-B-Persönlichkeitsstörungen“ aufweisen. Wenn Sie die charakteristischen Eigenschaften Ihrer toxischen Familienangehörigen wiedererkennen, werden Sie besser verstehen, mit wem und womit Sie es zu tun haben. Die folgenden Eigenschaften zeigen Ihnen, dass Sie sich den emotionalen Missbrauch durch diese Personen nicht einbilden, weil Sie überempfindlich sind, wie Ihre Angehörigen Sie glauben machen wollen, sondern dass diese Menschen tatsächlich als toxisch zu diagnostizieren sind. Toxische Individuen

fühlen sich nur wohl, wenn sie im Mittelpunkt stehen,

wechseln blitzschnell von einer Gefühlslage in die andere,

gebärden sich hochdramatisch,

sind in übertriebenem Maß um ihre äußere Erscheinung besorgt,

gieren nach Zuspruch und Beifall,

reagieren überempfindlich auf Kritik oder Missbilligung,

haben eine geringe Frustrationstoleranz,

treffen unüberlegte Entscheidungen,

haben Schwierigkeiten, ihre – oft unauthentisch oder oberflächlich wirkenden – Beziehungen aufrechtzuerhalten,

setzen Suiziddrohungen oder -versuche ein, um Aufmerksamkeit zu erheischen,

übertreiben ihre Leistungen und Talente,

halten sich für überlegen,

reißen Gespräche an sich,

erwarten besondere Gefälligkeiten und selbstverständliche Erfüllung all ihrer Erwartungen,

übervorteilen andere,

sind eifersüchtig und machen andere schlecht,

verhalten sich arrogant oder hochnäsig,

verlangen Gunsterweisungen,

haben Schwierigkeiten, ihre Emotionen und ihr Verhalten zu regulieren,

sind unfähig, mit Stress umzugehen und / oder sich an Veränderungen anzupassen,

sind sarkastisch und verbittert,

gehen erwachsenen Pflichten aus dem Weg, indem sie sich passiv und hilflos verhalten,

haben große Angst, verlassen zu werden,

haben eine pessimistische oder negative Lebensauffassung,

haben Schwierigkeiten mit dem Alleinsein,

scheren sich nicht um Richtig und Falsch,

lügen oder betrügen chronisch, um andere auszunutzen,

sind kaltherzig, zynisch und haben keinen Respekt vor anderen,

setzen Charme oder Witz ein, um andere zu ihrem persönlichen Vorteil oder zu ihrem Vergnügen zu manipulieren,

sind extrem selbstherrlich,

geraten immer wieder mit dem Gesetz in Konflikt,

sind kriminell,

verletzen wiederholt die Rechte anderer durch Einschüchterung und Unehrlichkeit,

sind unempathisch und zeigen keine Reue, wenn sie anderen wehgetan haben,

sind unfähig, die negativen Konsequenzen ihres Verhaltens zu berücksichtigen oder aus ihnen zu lernen.

Wenn Sie diese Liste durchgelesen haben, fühlen Sie sich hoffentlich in Ihrer Entscheidung bestätigt, den Kontakt zu Ihrer Familie abzubrechen. Die Liste beweist, dass der Missbrauch und die Manipulation, die Sie erlebt haben, real sind, und macht Ihnen Mut, den entscheidenden Schritt zu gehen.

1.2 Angehörige mit Fehlern versus toxische Angehörige

Jeder Mensch legt mitunter toxische Eigenschaften oder Verhaltensweisen an den Tag, denn niemand von uns ist perfekt. In meinem Beispiel konzentriere ich mich speziell auf Eltern, aber die Ergebnisse sind auch auf andere Mitglieder Ihrer toxischen Familie anwendbar. Alle Eltern werden ihre Kinder hin und wieder versehentlich verletzen. Das Leben ist schwer, und selbst den gesündesten Müttern und Vätern ist es nicht möglich, in jeder Sekunde, in der ihre Kinder sie brauchen, für sie da zu sein. Wenn Sie selbst Kinder haben, werden Sie sich zweifellos an schwierige Momente erinnern, die Sie bedauern. Aber die normalen Fehler oder Versäumnisse, die Sie sich als Eltern zuschulden kommen lassen, sind nicht toxisch.

Solche suboptimalen Momente sind menschlich und normal. Entscheidend ist, dass es Ihnen als Mutter oder Vater miserabel geht, wenn Sie Ihre Kinder verletzt haben. Ihre natürlichen Schuld- und Reuegefühle veranlassen Sie, den Schaden wiedergutzumachen, statt Ihren Kindern die Schuld daran zu geben, dass Sie sich über sich selbst schämen.

Genau dies aber tun toxische Familienmitglieder. Mit ihrem fragilen Ego finden sie es einfacher, anderen die Schuld daran zuzuschreiben, dass sie sich schlecht fühlen. Toxische Eltern machen ihre unschuldigen Kinder glauben, dass sie bessere Eltern sein könnten, wenn nur die Kinder besser oder weniger anspruchsvoll wären. Als Kind können Sie sich nicht vorstellen, dass Ihre Eltern jemals Fehler machen könnten. Unbewusst verinnerlichen Kinder die von den Eltern auf sie projizierte Scham über Dinge, die sie nicht getan, und Konflikte, die sie nicht verursacht haben. In jeder beschämenden Situation lernen sie, dass sie „böse“ sind.

Was ich selbst, Sie und viele andere Überlebende im Laufe der Zeit verarbeiten müssen, ist die grausame Realität, dass unsere Familienangehörigen uns nicht wirklich geliebt haben und lieben. Nicht weil mit uns, als wir klein waren, etwas nicht stimmte, sondern weil Liebe in den Augen dieser Eltern nichts zählt. Das Einzige, was für Ihre toxischen Angehörigen zählt, ist Macht.

In meinem Fall verhielt es sich so, dass meine Mutter ihre Liebe zu mir geheuchelt hat. Ich hatte immer das Gefühl, dass sie mich nur liebte, weil es von ihr erwartet wurde. Sie liebte mich, weil ich eine Verpflichtung war. Ich weiß, dass meine Ahnung zutreffend war, denn ich habe immer gemerkt, dass sie mich verachtete und die anderen Familienmitglieder anders behandelte. Freilich war sie hin und wieder freundlich zu mir und schenkte mir ihre Aufmerksamkeit (dies ist notwendig, wenn man jemanden erfolgreich manipulieren will), so dass ich mich weiterhin dem Glauben hingab, von ihr geliebt zu werden, aber tief im Innern habe ich es immer besser gewusst. Ich sah es ihrem Gesicht an, fühlte es in ihrer Körpersprache und hörte es an ihrem Tonfall. Die eigenen Instinkte signalisieren uns, ob wir aufrichtig geliebt werden, und meine Mutter hat mir dieses Gefühl nicht vermittelt.

Gönnen Sie sich einen Moment der Ruhe: Überlegen Sie, ob Sie sich je von einem Ihrer Angehörigen oder von allen Mitgliedern der Familie wirklich geliebt fühlten. Hören Sie in sich hinein, um herauszufinden, was Sie innerlich fühlten, wenn Sie sich von Ihrer Familie nicht geliebt fühlten, und wie sie dies verinnerlicht haben.

Wenn man tief in der Seele weiß, dass es die Liebe, die einem die eigene Familie schenken sollte, nie gegeben hat, muss man Entscheidungen treffen, um sich vor emotionalem Missbrauch und vor Manipulation zu schützen.

Aha-Moment: Durch den Bruch mit der Familie verändern wir uns, wir heilen, wir werden gesünder. Unsere toxischen Angehörigen nicht.

Das Schwierigste daran? Es macht Angst, eine Entscheidung zu treffen, wenn man nicht viele andere kennt, die das Gleiche tun mussten. Es gibt kein Modell oder Protokoll, dem man folgen, und keine positiven oder negativen Ergebnisse, die man sich ansehen könnte. Bevor man eine lebensverändernde Entscheidung trifft, ist es deshalb ungemein hilfreich, sich ein Bild davon zu machen, wie viele Menschen in der gleichen Situation gewesen sind. Schauen wir uns also die Zahlen an.

1.3 Wie häufig sagen sich Menschen von ihrer Familie los?

Es gibt viele Menschen, deren nächsten Angehörigen dermaßen destruktiv sind, dass es keine gesunde Möglichkeit gibt, den psychischen Missbrauch zu ertragen, um eine Beziehung aufrechtzuerhalten. Laut einer US-amerikanischen Studie aus dem Jahr 2015, über die Susan Adcox berichtet, haben sich 40 Prozent der befragten Personen ihrer Familie irgendwann im Leben entfremdet. Die Entfremdung betrifft häufig die erweiterte Familie, oft aber auch die Herkunftsfamilie. Zehn Prozent der Mütter haben laut dieser Studie zu mindestens einem erwachsenen Kind keinen Kontakt mehr.3

Shahida Arabi, Verfasserin des Buches Healing Adult Children of Narcissists, hat mehr als 700 Studienteilnehmer befragt. Von ihnen hatten

36 Prozent eine narzisstische Mutter,

22 Prozent einen narzisstischen Vater,

14 Prozent eine toxische Mutter und einen toxischen Vater,

86 Prozent einen durchgängig unempathischen Elternteil,

84 Prozent einen egozentrischen Elternteil,

76 Prozent einen extrem anspruchsvollen Elternteil,

74 Prozent einen Elternteil, der auf vermeintliche Kritik oder empfundene Kränkung mit extremer Wut reagierte.

4

Mehr als 800 Freiwillige nahmen an „Hidden Voices: Family Estrangement in Adulthood“ teil, einem gemeinsamen Projekt des Centre for Family Research der University of Cambridge, UK, und der Wohltätigkeitsorganisation Stand Alone. Zu ihnen zählten Eltern, die die Beziehung zu ihren Kindern beendet hatten, und Kinder, die den Kontakt zu ihren Eltern abgebrochen hatten, so dass die Studie zwei unterschiedliche Perspektiven beleuchtet. Sie kam zu folgenden Ergebnissen:

Mehr als 50 Prozent der erwachsenen Kinder, die keinen Kontakt zu mindestens einem Elternteil mehr haben, geben an, den Kontakt selbst abgebrochen zu haben.

Lediglich 5–6 Prozent der Eltern berichten, die Beziehung beendet zu haben.

Von den erwachsenen Kindern ohne Kontakt zu den Eltern konnten sich 79 Prozent eine funktionierende Beziehung zu ihrer Mutter nicht vorstellen.

Von den erwachsenen Kindern ohne Kontakt zu den Eltern gaben 71 Prozent an, dass eine funktionierende Beziehung zu ihrem Vater für immer ausgeschlossen sei.

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Auf die Frage, was sie sich von ihren Eltern wünschten, gaben erwachsene Kinder zur Antwort: „[…] engere, positivere, liebevollere Beziehungen. Zudem wünschten sie sich eine Mutter, die weniger kritisiert und verurteilt und eigenes verletzendes Verhalten anerkennt, statt es abzustreiten. Vom Vater wünschten sich dieselben erwachsenen Kinder, dass er größeres Interesse an ihrem Leben zeige und anderen Familienmitgliedern einschließlich Ehefrau oder Partnerin die Stirn böte.“6

Gut möglich, dass Sie sich mit den Gedanken und Gefühlen der Interviewten identifizieren können. Zu wissen, dass sich bis zu 40 Prozent der Menschen ihrer Familie entfremdet haben, wird Sie hoffentlich in Ihrer eigenen Entscheidung bestätigen. Vielleicht fragen Sie sich, warum Sie nicht gewusst haben, wie häufig Menschen mit ihrer Familie brechen. Und nun stellen Sie sich vor, wie hoch die Zahlen wären, wenn alle Menschen in Ihrer Situation über den emotionalen Missbrauch, den sie erleiden, sprächen – es wären weit mehr als 40 Prozent. Viele schweigen, weil sie direkt oder indirekt manipuliert wurden und verinnerlicht haben, dass man Familiengeheimnisse nicht ausplaudern darf.

1.4 Die stumme Epidemie der familiären Entfremdung

Dass Sie so wenig darüber wissen, wie sich das Leben ohne die Familie anfühlt, ist darauf zurückzuführen, dass viele Überlebende ihr Leiden verschweigen. Weil man nur selten über familiäre Entfremdung spricht, leuchtet auch ein, dass sie oft missverstanden wird. Manche Überlebende sprechen nicht offen darüber, weil sie es als demütigend empfinden. Andere haben Angst, dass man sie für grausam halten könnte. Und wieder andere behalten die Entfremdung aus Scham für sich, weil sie befürchten, dass man sie verurteilen wird.

In diesem Buch nutze ich meine persönliche Erfahrung als Überlebende meiner entfremdeten eigenen Familie und die persönlichen Erfahrungen vieler meiner Patient:innen und Follower auf sozialen Medien sowie meine Sachkenntnis als führende Expertin auf diesem Gebiet, um all jenen unter Ihnen zu helfen, die mit ihrer Familie gebrochen haben, weil sie ein sinnhaltiges und bedeutungsvolles Leben führen wollen. Ich möchte die Schamgefühle und die Verwirrung, die Sie empfinden, aus ihrem dunklen Versteck hervorholen und sie beleuchten, um sie zu untersuchen, zu validieren (anzuerkennen) und zu heilen. Ich weiß, dass Sie den Spieß herumdrehen und das, was Sie verletzen sollte, in etwas verblüffend Eindrucksvolles transformieren können.

Um dies zu erreichen, müssen Sie stolz sein auf die Entscheidungen, die Sie getroffen haben oder künftig treffen werden, um sich vor Familienangehörigen, die Ihrer psychischen Gesundheit und Ihrem Wohlergehen schaden, zu schützen. Ganz gleich, was auf Ihrer Reise noch vor Ihnen liegt: Sie schulden sich selbst Respekt vor Ihren Entscheidungen, die Ihnen helfen, ein eigenständiges, selbstbestimmtes Leben zu führen.

* DSM-5 ist die Abkürzung für die fünfte Auflage des Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders (englisch für „Diagnostischer und statistischer Leitfaden psychischer Störungen“). Es stellt das dominierende psychiatrische Klassifikationssystem in den USA dar und spielt dort eine zentrale Rolle bei der Definition von psychischen Erkrankungen. Die deutsche Ausgabe wird von P. Falkai und H.-U. Wittchen herausgegeben (Hogrefe) [Anm. d. Red.].

2. Warum es noch immer weh tut

Es tut weh, eine Beziehung zu beenden. Nicht unbedingt, weil Sie sich Gespräche mit Ihren Angehörigen wünschen und sich ihnen verbunden fühlen möchten, sondern weil wir uns kaum vorstellen können, dass irgendein Familienmitglied – vor allem ein Elternteil, eine Schwester oder ein Bruder, erwachsene Kinder, Cousinen oder Cousins oder Großeltern – zufrieden damit sein könnte, seine eigenen Kinder, Enkelkinder, Geschwister, Cousinen, Cousins oder Eltern nicht mehr zu sehen. Zu realisieren, dass Ihre toxischen Angehörigen es vorziehen, Sie oder Ihre Kinder nie wiederzusehen, statt sich einfach bei Ihnen zu entschuldigen, nachdem Sie ihrem missbräuchlichen Verhalten die Stirn geboten haben, fühlt sich irgendwie unwirklich an. Und dieses Gefühl ist so intensiv, dass es fast lähmend wirkt. Das ist der Moment, in dem Sie begreifen, dass Ihre Angehörigen tatsächlich keinerlei Reue empfinden, und diese Erkenntnis kann sich anfühlen, als ob man erstickt.

Inhaltsverzeichnis

Über dieses Buch

Vorwort

Einleitung: Sie haben die Erlaubnis

TEIL I: FRIEDEN MIT IHRER ENTSCHEIDUNG SCHLIESSEN

1. Der Kontaktabbruch dient dem Selbstschutz

1.1 Definition typischer Eigenschaften toxischer Menschen

1.2 Angehörige mit Fehlern versus toxische Angehörige

1.3 Wie häufig sagen sich Menschen von ihrer Familie los?

1.4 Die stumme Epidemie der familiären Entfremdung

2. Warum es noch immer weh tut

2.1 Die Stille danach

2.2 Rechnen Sie damit, dass starke Bindungen Ihnen Ihre Entscheidung schwer machen

2.3 Zuversicht ist nicht erforderlich

2.4 In einer emotionalen Dauerschleife gefangen

3. Es ist gut, Grenzen zu haben

3.1 Die Erlaubnis anderer ist entbehrlich

3.2 Toleranzgrenzen klären

3.3 Was Sie nach dem Bruch tun und was Sie lassen sollten

3.4 Die doppelte Fessel des verdrehten Unsinns

3.5 Konservierte Familienbilder hinterfragen

3.6 Grenzen setzen, indem man Verwandtschaftsbezeichnungen nicht länger benutzt

3.7 Neue Wege zum Berggipfel

4. Das entscheidende Bedürfnis zu trauern

4.1 Sie haben ein Recht auf Ihre Gefühle

4.2 Schritte zu gesunder Trauer

4.3 Die Trauerarbeit bringt Sie voran

5. Die soziale Leere, die der Verlust der Familienbande hinterlässt

5.1 Wenn andere einen missverstehen

5.2 Übergriffe auf Ihre Privatsphäre

5.3 Verletzungen bei sozialen Veranstaltungen oder Geselligkeiten

5.4 Bagatellisierung Ihrer Erfahrungen

5.5 Weg mit dem „Familienplakat“!

5.6 Dem Anpassungsdruck widerstehen

5.7 Die soziale Macht von „Familie“, Sie selbst zu sein

TEIL II: NUN KÖNNEN SIE GENESEN

6. Die tiefen Wunden des Selbstzweifels und der Wertlosigkeit

6.1 Kernverletzungen verstehen

6.2 Selbstzweifel beginnen in der frühen Kindheit

6.3 Die Auswirkungen einer unsicheren Bindung an Bezugspersonen

6.4 Ihre Kernverletzung beeinträchtigt Ihre Liebesfähigkeit

6.5 Mit der Grundangst leben

6.6 Wissenschaft und Bindung

7. Wie sich toxische Schamgefühle entwickeln

7.1 Autonomie versus Scham und Zweifel

7.2 Initiative versus Schuldgefühle

7.3 Tüchtigkeit / Fleiß versus Unterlegenheit

7.4 Identität versus Identitätskonfusion

7.5 Intimität versus Isolation

7.6 Generativität versus Stagnation

7.7 Ich-Integrität versus Verzweiflung

7.8 Für Veränderungen ist es nie zu spät

8. Toxische Schamgefühle überwinden

8.1 Toxische Scham wird durch ein Verständnis der Ganzheit geheilt

8.2 Ihr unauthentisches Selbst

8.3 Angst vor der Meinung anderer Leute

8.4 Die Suche nach Ihrem wahren Selbst

8.5 Ihre persönlichen Rechte

8.6 Emotionale Flashbacks

8.7 Verachtung durch die Eltern weckt toxische Scham

8.8 Selbstaufopferung

8.9 Der bösartige innere Kritiker

8.10 Soziale Ängste

8.11 Die Heilung der K-PTBS mit den drei Cs

8.12 Die Heilung der K-PTBS durch Nachbeelterung

8.13 Gesunde weibliche / mütterliche Energie

8.14 Gesunde männliche / väterliche Energie

8.15 Heilende Affirmationen

8.16 Wie Überlebende einer toxischen Familie genesen können

9. Emotionale Einsamkeit und Nichtzugehörigkeit

9.1 Die Verlassenheitswunde

9.2 Selbstliebe beginnt mit der Untersuchung des Selbsthasses

9.3 Haben Sie Ihre Familie verlassen?

9.4 Emotional stärkende Beziehungen aufbauen

10. Die Niedergeschlagenheit überwinden

10.1 Der Wert einer therapeutischen Beziehung

10.2 Zerbrochene Anteile wiederbeleben

10.3 Der negative Einfluss selbstlimitierender Überzeugungen

10.4 Sich selbst von Grund auf vertrauen

10.5 Emotionale Trigger als Portale zur Transformation

11. Auf dem Weg zu Empathie und Selbstliebe

11.1 Ihre Geschichte zu erzählen ist heilsam

11.2 Kompetente Empathen

11.3 Die Macht der Selbstliebe

11.4 Bedeutsamkeit der Selbstfürsorge

12. Der Weg zu Ihrer tiefsten, dauerhaftesten Verbindung

12.1 Die eigene Verletzlichkeit anerkennen

12.2 Die unschätzbar wertvollen Lektionen des Herzschmerzes

12.3 Die Wahrheit über emotionale Stärke

12.4 Können tiefe Wunden vollständig heilen?

TEIL III: PRAKTISCHE TIPPS ZUM UMGANG MIT DEN FOLGEN

13. Rachsüchtige Familienangehörige

13.1 Kontraintuitiv

13.2 Energierauben und Kräftemessen

13.3 Gewinner gegen Verlierer

14. Den sekundären Missbrauch bewältigen: Geschenke und Karten, finanzieller Missbrauch sowie Krankheit und Tod in der Familie

14.1 Sekundärer Missbrauch

14.2 Warum ist sekundärer Missbrauch so schmerzhaft?

15. Die schmutzige Arbeit, Menschen, Feiertage, soziale Medien und wichtige Ereignisse zu instrumentalisieren

15.1 Triangulierung: Andere benutzen, damit sie die schmutzige Arbeit erledigen

15.2 Feiertage und wichtige Veranstaltungen

15.3 Gemeinsame Familienfeiern

15.4 Soziale Medien

15.5 Selbstzweifel und Angst infolge des Missbrauchs nach dem Bruch

16. Wertvolle Beziehungen zu nichttoxischen Familienmitgliedern schützen

16.1 Der Sündenbock

16.2 Nicht verhandelbare Grenzen schaffen Klarheit

16.3 Emotionsregulation

16.4 Wohlbefinden und psychische Gesundheit schützen

16.5 Umgang mit unangenehmen Zufallssituationen

Zum Schluss: Befreiung durch Eigenständigkeit

Dank

Literatur

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