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Wenn in der kapitalistischen Gesellschaft soziale Probleme auftreten, wird dem in der Regel mit monetären Reformvorschlägen entgegengetreten. Aber kann das überhaupt funktionieren? Alfred Müller zeigt an drei Beispielen, dass die Begrenzung auf das Geld und den Staat an den Problemursachen meist vorbeigeht. Die kranke kapitalistische Gesellschaft lässt sich auf Dauer weder durch Geldreformen noch durch die Staatsregulierung heilen, es müssen andere Mittel ergriffen werden. Müller erklärt, warum und wie Transformationsschritte in Richtung einer alternativen, besseren Gesellschaft veranlasst werden müssen. Denn genau hier liegt nach Marx die Hauptaufgabe der Arbeiter- und Protestbewegung - im Gegensatz zur Vermischung von Ideen von Keynes oder Gesell zur Rettung des Kapitalismus.
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Seitenzahl: 367
Veröffentlichungsjahr: 2016
WISSENSCHAFTLICHE BEITRÄGE AUS DEM TECTUM VERLAG
Reihe Wirtschaftswissenschaften
WISSENSCHAFTLICHE BEITRÄGE AUS DEM TECTUM VERLAG
Reihe Wirtschaftswissenschaften
Band 77
Alfred Müller
Mit Marx in eine bessere Gesellschaft
Über die Nutzlosigkeit von Geldreformen im kranken Kapitalismus
Tectum Verlag
AlfredMüller
Mit Marx in eine bessere Gesellschaft. Über die Nutzlosigkeit von Geldreformen im kranken Kapitalismus
Wissenschaftliche Beiträge aus dem Tectum Verlag:
Reihe: Wirtschaftswissenschaften; Bd. 77
© Tectum Verlag Marburg, 2015
ISBN: 978-3-8288-6373-6
(Dieser Titel ist zugleich als gedrucktes Buch unter der ISBN 978-3-8288-3668-6 im Tectum Verlag erschienen.)
ISSN: 1861-8073
Satz: Sabine Borhau | Tectum Verlag
Coverdesign: Marjan Haidar
Alle Rechte vorbehalten
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Bibliografische Informationen der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der
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sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
Marx kontra Keynes
1Unterschiedliche Wege zur Ökonomie
2Keynes’ Marx-Bewertung
3Keynes’ Marx-Kenntnisse
4Keynes und Marx zum Kapitalismus
4.1Systembestimmung
4.2Geldwirtschaft
4.3Unternehmerwirtschaft
4.4Profitorientierung
4.5Lohnarbeit
5Keynes und Marx zum Profit
6Keynes und Marx zum Wirtschaftsgleichgewicht
7Modellannahmen bei Keynes und Marx
8Keynes und Marx zur Geld- und Zinstheorie
8.1Keynes’ Geld- und Zinstheorie
8.2Marx’ Geld- und Zinstheorie
9Keynes und Marx zur Arbeitslosigkeit
10Keynes und Marx zur Konjunkturtheorie und - politik
11Keynes und Marx zur Stagnationstheorie
11.1Keynes’ Stagnationstheorie
11.2Marx’ Stagnationstheorie
12Keynes und Marx zur Staatstheorie
12.1Keynes’ Staatstheorie
12.2Marx’ Staatstheorie
13Bedeutung der Psychologie bei Keynes und Marx
14Integration von Keynes und Marx
15Zusammenfassung
Marx kontra Gesell
A.Silvio Gesell
B.Gesells Freiwirtschaftslehre
1Die Natürliche Wirtschaftsordnung
2Geldbestimmung
3Geldfunktionen
4Geldzins
5Arbeiter
6Lohn
7Gewinn
8Volkseinkommen und Einkommensverteilung
9Ökonomische Ausbeutung
10Klassenverhältnis
11Arbeitskampf
12Wesensmerkmale und historische Entwicklung des Kapitalismus
13Funktionsweise der Marktwirtschaft
14Ursachen der zyklischen Wirtschaftskrisen
15Arbeitslosigkeit
16Stagnation
17Überwindung des Kapitalismus
18Staat im Kapitalismus und in der natürlichen Wirtschaftsordnung
C.Gesells Kritik an Marx
D.Marxistische Kritik an Gesell
1Oberflächliche Marx-Kenntnisse
2Kritik an Gesells Laissez-faire-Marktwirtschaft
3Kritik an Gesells ahistorischem Ansatz
4Kritik an Gesells Geld- und Zinstheorie
5Kritik an Gesells Wert- und Preistheorie
6Kritik an Gesells Produktionsmittel- vermietungstheorie
7Kritik an Gesells Ausbeutungstheorie
8Kritik an Gesells Lohntheorie
9Kritik an Gesells Klassentheorie
10Kritik an Gesells Abschaffung des Schmarotzertums
11Kritik an Gesells Arbeitskampftheorie
12Kritik an Gesells Transformationsstrategie
13Kritik an Gesells Kapitalismusbestimmung und –entstehung
14Kritik an Gesells Krisentheorie
15Kritik an Gesells Arbeitslosigkeitserklärung
16Kritik an Gesells Menschen- und Gesellschaftsbild
17Kritik an Gesells Anarchismusvorstellung
18Kritik an Gesells Forderung nach Abschaffung sozialer und medizinischer Sicherungssysteme
19Kritik an Gesells Forderung der Bodenverstaatlichung
20Kritik an Gesells Freihandelsforderung
21Kritik an Gesells ausbleibender Marktvermachtung
E.Folgen der Gesell - Freiwirtschaft für die Gegenwart
F.Integration von Gesell und Marx
Simons Wunderwelt
Schlussbetrachtungen
Literatur
Einleitung
Im Kapitalismus dreht sich alles ums Geld. Wer kein Geld hat, verhungert. Wer wenig Geld hat verarmt, wer viel Geld hat, lebt im Luxus und hat Macht über Waren, Menschen und die Politik. Wenn Geld den Markt überschwemmt, können Finanz- und Immobilienblasen entstehen, und wenn Geld gehortet wird, kann Nachfrage fehlen.
Angesichts der vielfältigenKrisen und sozialen Bedrohungenhäufen sich Vorstellungen, denen zufolge die bestehenden Übel nicht in der kapitalistischen Produktionsweise, sondern in der vorhandenen Geldordnung zu sehen seien. Daher reichten Geldreformen, sodie Meinungen der Geldökonomen, zur Stabilisierung der kapitalistischen Wirtschaftaus, und die Warenproduktion, die Lohnarbeit und die Profitausrichtung der Produktion könnten erhalten bleiben. Die Vorschläge der Geldreformer zur Schaffung einer heilen Welt sind zahlreich. Sie reichen von der Bankenregulierung bis zum Privat- und Staatsgeld, vom Schwund-,Vollgeld und 100-%-Geldbis zur Abschaffung des Bargeldes.
Beim Privatgeld (Free Banking) soll die Krisenfreiheit über mehrere mit einander konkurrierende private Geldarten, beim Staatsgeld über die staatliche Geldherausgabe, beim Schwundgeld (auch Freigeld,Schrumpfgeld oder umlaufgesichertes Geldgenannt) über den Wertverlust der Geldhaltung, beim 100-%-Geld über die volle Mindestreservendeckung und beim Vollgeld über die Aufhebung der Geldschöpfungsmöglichkeit der Geschäftsbanken erfolgen. Die Abschaffung des Bargeldes soll es ermöglichen, gewünschte Negativzinsen leichter durchsetzen zu können.
Bei vielen Menschen fallen diese geldlichen Deutungen auf fruchtbaren Boden, weil sie den eigenen Erfahrungen entsprechen. Selbst einige Marxisten greifen heute auf monetäre Erklärungen der sozialen Missstände und Krisen zurück. Sie werfen wesentliche marxsche Theorien über Bord, sehen das Hauptproblem im Finanzkapital und reduzieren Karl Marx auf einen Finanzanalytiker. Nicht mehr der Realbereich sei die Quelle der Zerstörung, sondern der instabilitätsauslösende Finanzmarkt.
Schon zu Marx’ Zeiten waren die systemstabilisierenden Gedanken der Geldökonomen weit verbreitet. In dem Maße, wie die Wut und der Protest gegen das kapitalistische System wächst, richtet sich die Polemik gegen das Geld als die augenscheinlichste und handgreiflichste Form des Kapitals. Durch allerlei Künsteleien an den Finanzen sollen dann, wie Marx hervorhebt, die Probleme gelöst werden. Solange die Operationen gegen das Geld als solches gerichtet sind, handelt es sich aber nach Marx bloß um einenAngriff auf Folgeerscheinungen, deren eigentliche Ursachen bestehen bleiben. Die eingesetzten Heilmittel müssendaher wirkungslos bleiben.
Marx kritisierte die Monetärökonomen heftig, weil sie in ihrer Theorie und Praxisdie Erscheinungen der Zirkulationssphäre für alle Übel der Welt verantwortlich machen, die kapitalistische Marktwirtschaft verewigen, alle immanenten Gegensätze vertuschen, nur die instabilen Finanzauswirkungen bekämpfen, die Irrtümer der bürgerlichen Ökonomie verbreiten und das Paradies auf Erden versprechen, ohne dabei den eigentlichen Verursacher der Übel, das kapitalistische System, anzutasten. Für ihn sind die Geldreformer Zirkulationskünstler, die an der Geldschraube drehen, aber die kapitalistische Produktionsweise erhalten wollen.
Ich beschränke mich in der folgenden Analyse und Kritik der Geldreformer stellvertretend aufzwei Geldökonomen: auf John Maynard Keynes und auf Silvio Gesell. Keyneswar und ist ein weltberühmter britischer Wirtschaftswissenschaftler. Seine systemstabilisierenden Vorstellungen und Empfehlungen sind bis heute die vorherrschende Alternative zu den Rezepten der marktgläubigen Neoklassiker.
Silvio Gesells Lehre der „Freiwirtschaft“ gewinnt in Form der Konzepte vonSchwundgeld,Regionalgeldund Negativzinsan Popularität. Seine Vorschläge haben viele Anhänger gefunden. In Deutschland und weltweit gibt es bereits eine beachtliche Zahl an Regionalwährungen. Der Negativzins breitet sich mit einer erheblichen Dynamik aus, erhitzt die Gemüter und bringt jede Tischgesellschaft in Schwung.
Keynes und Gesell sind davon überzeugt, dass esKrisen und Arbeitslosigkeit gebe, weil die Marktakteure Geld horteten. Trotz dieser gemeinsamen Ursache gelangen sie zu unterschiedlichenSchlussfolgerungen: Bei Keynes soll der Staat, bei Gesell die Schaffung von Schwundgelddie wirtschaftlichen Missstände beheben.
Aufgrund der Ausbreitung der Vorschläge zur Geldreform ist es wichtig, sich mit den Positionen und Politikempfehlungen der Geldreformer kritisch auseinanderzusetzen und deren analytische Schwächen und Grenzen aufzuzeigen. Nur so lassen sich Irrwege vermeiden und erfolgreiche Therapien zur Problembewältigung entwickeln.
Angesichts der Suche nach alternativen schlüssigen Erklärungs- und Lösungsansätzen für die aktuellen wirtschaftlichen Probleme soll es das Ziel des vorliegenden Buches sein, die Ideen von Keynes und Gesell aus marxscher Sicht neu zu durchleuchten und ihre Tragfähigkeit zu überprüfen. Heute sind Marx’ Ideen wichtiger als je zuvor. Nach Ansicht der Kapitalvertreter und Marx-Kritiker ist Marx längst auf dem Müllhaufen der Geschichte gelandet. Seine treffende Analyse der kapitalistischen Funktionszusammenhängeund die Richtigkeit seiner Prognosen belegen jedoch die Aktualität seiner Theorien.
Der erste Teil des Buches bezieht sich auf Keynes, der zweite auf Gesell. Beide Abschnitte sind in sich selbstständig aufgebaut und können getrennt gelesen werden. Da Keynes und Gesell viele gemeinsameAuffassungen haben und die vorliegenden Ausführungen nacheinander erfolgen, bestehenin den Bereichen der Tragfähigkeitsbewertungeinige Wiederholungen. Diese er-leichtern das Verständnis der teilweise fachlich ausgerichteten Analyse.
Danken möchte ich Christa Bauermeister und Karl Wegener, die mir bei der Korrektur der vorliegenden Arbeit geholfen haben.
Marx kontra Keynes
1Unterschiedliche Wege zur Ökonomie
Über Marx (1818 – 1883) und Keynes (1883 – 1946) wurde angesichts ihrer Bedeutung schon viel geschrieben.1 Trotzdem soll an dieser Stelle der Versuch gemacht werden, einige wichtige Gemeinsamkeiten und Unterschiede deutlicher hervorzuheben und für die aktuelle Politik nutzbar zu machen.
In dieser Untersuchung führe ich keinen vollständigen Vergleich der Theorien von Marx und Keynes durch. Diese Aufgabe ist angesichts des Umfangs der Themen zu komplex. Ich konzentriere mich auf wichtige ökonomische Ansätze, in denen ich die Grundlage für die unterschiedlichen wirtschaftlichen Erklärungen und daraus resultierend für die abweichenden wirtschaftspolitischen Lösungsempfehlungen sehe. Um mögliche Fehlinterpretationen zu vermeiden, verwende ich bei Keynes an vielen Stellen die ursprünglichen englischen Aussagen. Übersetzungen stehen jeweils danach in Klammern.
Marx kamin Trier als Sohn eines Juristen zur Welt. Am 5.3.2018 würde er seinen zweihundersten Geburtstag feiern. Er studierte Jura, Geschichte und Philosophie.2 Erst im Alter von 24 Jahren kam erzur Ökonomie.3 Auf die Bedeutung der Wirtschaft stieß er über die Beschäftigung mit den ärmlichen Lebensverhältnissen der Moselbauernund den „Debatten […] über Freihan-del und Schutzzoll“(MEW 13, S. 8).
Bis 1846/47 entwickelte er während seiner Zeit in Paris und in Brüssel und in Zusammenarbeit mit Friedrich Engels wesentliche Grundzüge seiner Ökonomie.4 Nach einer Pause in den Revolutionsjahren 1848 bis 1849 baute erin London ab 1850 seine ökonomischen Theorien5 weiter aus. Großbritannien war zu seiner Zeit die führende kapitalistische Weltmacht, in Europa am weitesten entwickelt und ein hervorragendes Feld für wirtschaftliche, politische und soziale Studien. Marx vertiefte im Zeitablauf seine wirtschaftlichen Theorieerkenntnisse, veränderteaber nicht, wiespäter Keynes, seine wirtschaftstheoretische Grundausrichtung. Die einmal gewonnenen Erkenntnisse dienten seinen ökonomischen Studien als Leitfaden.6 Seine Werttheorie entwickelte er in der Auseinandersetzung mit den Lehren der ökonomischen Klassiker William Petty(1623–1687), David Ricardo (1772–1823) und Adam Smith (1723–1790). Im Laufe seines Lebens baute er sie zur Mehrwert- und kapitalistischen Entwicklungstheorie aus. Marx war nicht nur theoretisch, sondern auch praktisch tätig. Er rebellierte schon als junger Mensch gegen die undemokratischen und menschenunwürdigen Zustände seiner Zeit und wurde aufgrund seiner demokratischen und obrigkeitskritischen Ansichten und Tätigkeiten als Unruhestifter und Staatsfeind von der Polizei überwacht, verfolgt, verhört, bedroht und mehrmals des Landes verwiesen. Aufgrund staatlicher Unterdrückungsmaßnahmen wurde seine Kandidatur für die Professur in Bonn abgelehnt und die von ihm geleitete regierungskritische „Rheinische Zeitung“ verboten;er wurde polizeilich bespitzelt, aus Deutschland, Frankreich und Belgien ausgewiesen, wegen Hochverrat und Aufreizung zur Rebellion angeklagtund mehrmals verhaftet.
Keynes wurde in Marx’ Todesjahr am 5. Juni 1883 im englischen Cambridge geboren. In seiner Kindheit und Jugendzeit erlebte Großbritannien einen wirtschaftlichen Aufschwung. Dieser schuf damals in der Bevölkerung eine hohe Systemgläubigkeit. Sein Vater, Professor für Politische Ökonomie7, vermittelte seinem Sohnersteökonomische Kenntnisse. Von ihm übernahm der junge Keynes die Kritik am Laissez-faire-Systemund die Einsicht in die erforderliche Staatsregulierung.
Keynes studierte 1902–1905 zwar zunächst Mathematik, wechselte aber drei Jahre später als 22-Jähriger unter dem Einfluss des neoklassischen Ökonomen Alfred Marshall (1842–1924) zur Nationalökonomie. Seine ökonomische Einführungsliteratur bestand im Wesentlichen aus John Stuart Mills „Prinzipien der politischen Ökonomie“ und Alfred Marshalls „Prinzipien der Volkswirtschaft“. Keyneswar als Beamter, Dozent und Regierungsberater in verschiedenen staatlichen Einrichtungen8 tätig und dem englischen Könighaus untertänig verpflichtet. 1942 erhielt er für seine treuen Verdienste von König Georg VI. den Titel„Baron Keynes of Tilton”. Seitdem gehörte er zum Adel und nahm „einen Sitz im Oberhaus in der Fraktion der Liberalen ein“.9
Keynes wuchs als Neoklassikerauf. Er schrieb späterals 52-Jähriger, dass er in seinen jungen Jahren als gläubiger Schüler der (neo)klassischen Theorie nicht angezweifelt habe, was ihm gelehrt worden war.10 Aufgrund seiner Erfahrungen mit der anhaltenden britischen Massenarbeitslosigkeit in den 1920-er Jahren und der Weltwirtschaftskrisevon 1929 begann er sein neoklassisches Weltbild kritisch zu überprüfen.11 Sein Hauptwerk12 schrieb er nach Ausbruch der Weltwirtschaftskrise in den Jahren1933 bis 1936. In diesem Werk befreite er sich von einigenwichtigen neoklassischen Vorstellungen, konnte sich aber in vielen Bereichen nicht von der neoklassischen Theorie trennen. Neoklassisch blieben bei ihm: die Produktions-, Knappheits- und Mikrotheorie, die Firmentheorie, die Kapitaltheorie, die Integration neoklassischer Vollbeschäftigungspostulate und die psychologische Verhaltensbestimmung der Wirtschaftssubjekte. Für Heinz Kurz13 ist die gebliebene keynessche Vermischung von neoklassischen und eigenen neuen Ideen ein wesentlicher Grund, warum es Keynes nicht gelang, die Wirtschaftstheorie zu revolutionieren.
Dagegen enthalten dem Postkeynesianer Hyman Minsky14 zufolge Keynes’ Gedanken durchaus revolutionäre Keime. Diese seien nur durch die neoklassische Syntheseverdeckt worden. Keynes habe zwar versäumt, sich vollständig von den „gewohnten Formen des Denkens und des Ausdrucks“ (AT, S.VII) zu lösen und habedie schon zu seiner Zeit entworfene und heute kritisierte Keynes-Standardinterpretation nicht zurückgewiesen, jedoch beinhalten, worauf Minsky hinweist, seine neuen Gedanken einen scharfen Bruch mit seinen früheren Vorstellungen und eine elementare Kritik der neoklassischen Wirtschaftslehre.
Die in den ökonomischen Lehrbüchern vorherrschende Keynes-Standardinterpretation ist eine Integration keynesianischer und neoklassischer Gedanken. Sie wird von den Postkeynesianern15 abgelehnt und von ihnen als neoklassische Synthese, Hydraulik- oder Bastardkeynesianismus bezeichnet.
Die sowohl von Marx und Keynes kritisierte neoklassische Theorie ist ein Gedankengebäude zur Verteidigung des kapitalistischen Wirtschaftssystems. Die Grundthese der Neoklassiker lautet: Der Kapitalismus ermöglicht ohne lenkende Eingriffe des Staates für alle Menschen ein Leben in Wohlstand. Mit wirklichkeitsfremden und abgehobenen Annahmen versuchen sie nachzuwei-sen, dass das kapitalistische System stabil und alternativlos sei und mit seinen Harmonie-, Markt- und Innovationskräften die Wohlfahrt der gesamten Bevölkerung steigere. Freie Märkte seien die beste Einrichtung, um das Wirtschaftsleben einer Gesellschaft zu organisieren. Sie seien effizient, könnten Schocks leicht abfedern und führten aufgrund des flexiblen Preismechanismus zum Vollbeschäftigungsgleichgewicht. Die Neoklassikentstand im 19. Jahrhundertund dominiertals Herrschaftstheoriein den kapitalistischen Ländern bis heutedie Ausbildung, Forschung, Politikberatung und Medienberichterstattung. Mit ihrer Kapitalismusverherrlichung und ihrem Marktfundamentalismus richten die Neoklassiker viel Schaden an.
1Einen Überblick über bisherige Vergleiche bietet Fritsch (1968), S. 149, Fn. 110.
2„Mein Fachstudium war das der Jurisprudenz, die ich jedoch nur als untergeordnete Disziplin neben Philosophie und Geschichte betrieb“ (MEW 13, S. 7).
3„Im Jahr 1842/43, als Redakteur der ‚Rheinischen Zeitung‘, kam ich zuerst in die Verlegenheit, über sogenannte materielle Interessen mitsprechen zu müssen.“ Sie „gaben die ersten Anlässe zu meiner Beschäftigung mit ökonomischen Fragen“ (MEW 13, S. 7f.); vgl. Hosfeld (2010) u. MEW 1, S. 601.
4Marx: Ich begann die Erforschung der politischen Ökonomie in Paris und setzte sie in Brüssel fort (vgl. MEW 13, S. 8).
5Vgl. MEW 42, S. Vff.
6„Das allgemeine Resultat, das sich mir ergab und, einmal gewonnen, [diente] meinen Studien zum Leitfaden” (MEW 13, S. 8).
7Vgl. http://www.biography.com/people/john-maynard-keynes-9364200?page=2 (Zugriff am 30.08.2014).
8Keynes war tätig: als höherer Beamter im Indien-, Schatz- und Finanzministerium, als Dozent an der Universität Cambridge, in der englischen Zentralbank als Zuständiger für die Kriegslastenfinanzierung und Kriegsverhandlungen mit den USA, als Mitarbeiter im Wirtschaftsbeirat des Premierministers, als britischer Delegierter bei den Versailler Vertragsverhandlungen und als Leiter der britischen Delegation auf der Bretton-Woods-Konferenz.
9Vgl. Blomert (2007), S. 124.
10Vgl. Keynes (1936): Allgemeine Theorie der Beschäftigung, des Zinses und des Geldes, Vorworte zur englischen und deutschen Ausgabe, S. V-IV.
11„Alle früheren Lehren […] waren entweder irrelevant oder regelrecht abträglich gewesen. Wir haben die Wirtschaftsordnung, unter der wir leben, nicht nur nicht verstanden, sondern in solchem Maße verkannt, dass wir Methoden adaptierten, die zu unserem allergrößtem Nachteil wirken“ (zitiert nach Nasar 2011, S. 405).
12Allgemeine Theorie der Beschäftigung, des Zinses und des Geldes (im Folgenden zitiert als AT).
13Vgl. Kurz (2012), S. 209.
14Vgl. Minsky (2007), S. 13ff.
15Es gibt verschiedene Strömungen des Keynesianismus. Postkeynesianer nehmen für sich in Anspruch, Keynes richtig zu interpretieren. Ihre Gemeinsamkeiten bestehen in der Ablehnung der Neoklassik, der neoklassischen Keynes-Synthese und des Neukeynesianismus. Sie übernehmen vom AT-Keynes die Konzepte der unfreiwilligen Arbeitslosigkeit, der effektiven Nachfrage, der Geldwirtschaft, der Zukunftsunsicherheit, der Liquiditätspräferenz und die Ersparnisbestimmung durch das Einkommen. Innerhalb des Postkeynesianismus bestehen wieder unterschiedliche Richtungen.
2Keynes’ Marx-Bewertung
Trotz der ihnengemeinsamen Kritik an der Neoklassik war Keynesein Marx-Gegner. Der marxistische Sozialismus sei, so Keynes, „eine unlogische und langweilige Lehre“. Er sei gekennzeichnet durch „logische Trugschlüsse“ und ein „Beispiel der Gedankenarmut, der Unfähigkeit, einen Vorgang zu analysieren.“16
„How can I accept a doctrine”, betonte Keynes, “which sets up as itsbible, above and beyond criticism, an obsolete economic textbook which I know to be not only scientifically erroneous but without interest or application for the modern world?” (Wie kann ich eine Lehre akzeptieren, dieals ihre Bibel, jenseits jedweder Kritik und darüber hinaus, ein veraltetes ökonomisches Lehrbuchfestlegt, von dem ich weiß, dass es nicht nur wissenschaftliche Irrtümer enthält, sondern dass es für die moderne Welt uninteressant und nicht auf sie anwendbar ist?).
„How can I adopt a creed which, preferring the mud to the fish, exalts the boorish proletariat above the bourgeois and the intelligentsia who, with whatever faults, are the quality in life and surely carry the seeds of all human advancement?“(Wie kann ich ein Glaubensbekenntnis übernehmen, das den Schlamm dem Fisch vorzieht und das rüpelhafte Proletariat über die bürgerliche Intelligenz verherrlicht, die doch, welche Fehler sie auch immer haben, das Leben lebenswert machen und sicherlich den Keim allen menschlichen Fortschritts tragen?).17
1933 lobte er zwar Marx, weil dieser in seiner Wirtschaftstheorie die Geldwirtschaft einbezogen, die Unterschiede zwischen der Natural- und der Geldwirtschaft sowie zwischen der Waren- und der Kapitalzirkulation verstanden und die Krisenhaftigkeit des Systems erkannt habe.18 Diese punktuelle wirtschaftstheoretische Anerkennung änderte aber nichts an seiner grundsätzlichen Marx-Ablehnung.
1935 bezeichnete Keynes in einem Brief an George Bernard Shaw „Das Kapital“von Marx als „dreary, out-of-date, scientifically erroneous“(langweilig, überholt, wissenschaftlich falsch).19 Für ihn waren seine Gefühle über „Das Kapital“ „the same as my feelings about the Koran” (dieselben wie meine Gefühle über den Koran) (CW 28, S. 38). Keynes Ziel war es, mit seiner Neukonzeption der Makrotheorie „the Ricardian foundations of Marxism“(die ricardianischen Fundamente des Marxismus) (CW 28, S. 42) unter ihm wegzureißen („to knock away“).1936 schrieb er in seinem Hauptwerk, der AT: „Der Zweck des Buches als Ganzes kann als die Aufstellung eines antimarxistischen Sozialismus beschrieben werden,[…] auf theoretischen Grundlagen aufgebaut, die von jenen von Marx grundverschieden sind, indem sie sich auf eine Verwerfung statt auf eine Annahme der klassischen Hypothesen stützen, und auf eine Entfesselung des Wettbewerbs, statt auf seine Abschaffung. Ich glaube, dass die Zukunft mehr vom Geiste Gesells als von jenem von Marx lernen wird“(AT, S. 300).
Als seine Schülerin Joan Robinson ihr Buch „An Essay on Marxian Economics“ herausbrachte, schrieb ihr Keynes 1942:„I am left with the feeling, which I had before on less evidence, that he [Marx, AM] had a penetrating and original flair but was a very poor thinker indeed.“20 (Ich bleibe mit dem Gefühl zurück, das ich schon vorher anhand von weniger Indizien hatte: dass er [Marx, AM]einen durchdringenden und originellen Spürsinn hatte, aber in der Tat ein sehr schwacher Denker war).
Woraus resultierte die grundlegende keynessche Marx-Abneigung? Hierfür gibt es mehrere Gründe21 :
–Als Cambridge-Absolvent gehörte Keynes zu den Anhängern der Neoklassik. Für Marx waren die Neoklassiker Apologeten des Kapitals.
–Keynes sah sich als Vertreter des gebildeten Bürgertums22, der Bevölkerungsminderheit. Marx war ein Vertreter der abhängig Beschäftigten, der Bevölkerungsmehrheit.
–Keynes war Befürworter der Eugenik23, einer Elitenlehre, die die Bevölkerung in wenige Höher- und viele Minderwertige aufteilt. Marx lehnte diese Lehre ab. Er unterschied die Bevölkerung nach Herrschafts- und Unterdrückungsverhältnissen.
–Nach Keynes sollte die geistige Elite die politischen Maßstäbe vorgeben, da die Durchschnittsperson unmündig sei, keine klare Meinung über die komplexen Zusammenhänge und keine Urteilsfähigkeit habe.24 Marx setzte sich für die Herrschaft des Volkes ein.
–Keynes Ziel war es, klassenneutral „die Menge des Guten im Universum zu maximieren.“25 Marx kämpfte für die Emanzipation der Unterdrückten.
–Keynes war als erfolgreicher Börsenspekulant26 und Staatsbeamtersehr wohlhabend und daher eng mit der herrschenden Wirtschaftsordnung verflochten. Marx dagegen wurde politisch verfolgt, war als Erwerbstätiger zeitlebens armund überlebte nur mit finanzieller Unterstützung, vor allem seines Freundes Engels.
–Keynes übernahm von Marshall, vom Bloomsbury-Kreis27 und aus der Erfahrung der Aufschwungsperiode von 1860 – 191328 die Vorstellung, dass im Kapitalismus die materiellen Lebensbedürfnisse weitgehend erfüllbar seien. Marx betonte neben der kapitalistischen Reichtumsentwicklungstets die parallel verlaufende Verelendung und Verarmung vieler.
–Keynes warkein Freund der Demokratie.29 Marx dagegen setzte sich für eine umfassende Demokratie30 ein.
–Keynesschätzte das Privateigentum an Produktionsmitteln31, Marx forderte seine Aufhebung.32
–Keynessah nicht im Privateigentum an Produktionsmitteln die Ursache der größten wirtschaftlichen Übel, sondern in Risiken, Unsicherheit und Unwissenheit.33 Für Marx dagegen war das kapitalistische Privateigentum an Produktionsmitteln die Quelle der sozialen, wirtschaftlichen und ökologischen Übel.34
–Keynes sah „keinen Grund anzunehmen, dass das bestehende System die in Gebrauch befindlichen Erzeugungsfaktoren ernstlich fehlbeschäftigt“ (AT, S. 320). Nach Marx führen die vielfältigen systembedingten Krisen und die Massenarbeitslosigkeit zur Ineffizienz und zur erheblichen Ressourcenverschwendung.
–Keynes sah die Lösung der wirtschaftlichen Probleme im klugen Nachdenken der Staatsvertreter.35 Marx erkannte im Klassenkampf die Lösung.
–Keynes lehnte im Gegensatz zu Marx Klassenkampf und Gewerkschaften ab36 undsetzte sich für die Verknüpfung von Staatsregulierung und„Ausübung der privaten Initiative“ sowiedas „freie Spiel der wirtschaftlichen Kräfte“ (AT, S. 320) ein37, für ein „regime which deliberately aims at controlling and directing economic forces in the interests of social justice and social stability“ (eine Ordnung, die absichtlich darauf zielt, wirtschaftliche Kräfte im Interesse von sozialer Gerechtigkeit und gesellschaftlicher Stabilität zu kontrollieren und zu leiten) (CW 9, S. 305).
–Keynes ordnete sich der Liberalen Partei zu.38 Marx unterstützte die Arbeiterparteien.
–Keynes forderte, anders als Marx, den „klug“ geleiteten Kapitalismus.39 Der Kapitalismus hat aus seiner Sicht viele Schwächen, jedoch mehr Vor- als Nachteile.40 Marx forderte die Überwindung des Kapitalismus.
–Keyneslehnte im Gegensatz zu Marxdie demokratische Wirtschaftsplanung41 ab undglaubte, innerhalb des Kapitalismus mit Hilfe des Staates die große soziale Ungleichheit42 abbauen, die Vollbeschäftigung realisieren und die Unternehmen in „den Dienst des Gemeinwesens“ (AT, S. 318) einspannen zu können.43
–Keynes hatte nach Skidelsky44 die Vision einer harmonischen kapitalistischen Welt, in der Vollbeschäftigung hergestellt und soziale Ungerechtigkeit und makroökonomische Ungleichgewichte beseitigt werden können. Für Marx war diese Denkweise idealistisch und ahistorisch. Wie alle Gesellschaftssysteme ist, wie Marx darlegte, der Kapitalismus eine historische Erscheinung: mit einem Anfang und einem Ende. Marx zeigte auf, dass der Kapitalismusim Zeitablauf aufgrund seiner inneren Widersprüchevon der Bevölkerungsmehrheit abgeschafft und durch eine bessere Gesellschaftsordnung ersetzt werden kann.
–Keynes hatte gegenüber dem Sozialismus eine feindselige Haltung.45 Marx dagegen empfahl den Sozialismusals überlegene Kapitalismusalternative.46
Die wesentlichen Ursachen der keynesschen Marx-Kritik sind nach diesen Ausführungen seineelitäre Einkommens- und Interessenslage, sein elitäres Verhalten, sein Staats- und Kapitalismusglaube und seine Demokratie-, Klassenkampf-, Gewerkschafts- und Sozialismusablehnung.
3Keynes’ Marx-Kenntnisse
Ein weiterer wichtiger und nicht unerheblicher Grund der Marx-Ablehnung waren Keynesfehlende Kenntnis der Werke und Theorien von Karl Marx.
Obwohl Keynes forderte, man müsse„die Geschichte der Meinungen studieren, ehe man den eigenen Geist befreien kann“47, erfüllte eraufgrund seiner vorurteilsbeladenen Marx-Abneigungbei Marx diesen selbstgestellten wissenschaftlichen Anspruchnicht. Eine sachlich fundierte Ablehnung der marxschen Positionen hätte die Kenntnis, Analyse und Abwägung der Stärken und Schwächen der marxschen Theorie vorausgesetzt: erforderliche wissenschaftliche Maßstäbe, die Keynes nicht erfüllte. Keynes verfügte über Grundkenntnisseim Deutschen und er hätte als Ökonom reichlich Gelegenheit gehabt, die auf Englisch vorliegenden Marx-Werkezu studieren und sich eine fundierte Meinung über Marx zu bilden.
Tatsächlich hat er nie ernsthaft ein Werk von Marx gelesen. 1932 teilte Keynes Piero Sraffa mit: „I made a good try at the Marx volumes, but I swear that it absolutely beats me what you find in them or what you expected me to find! I did not discover a single sentence of any conceivable interest to a rational human being. For next vacation you must give me a marked copy“ (Ich habe es ernsthaft mit den Marx-Bänden versucht, aber ich schwöre, dass ich nicht die allergeringste Ahnung davon habe, was Sie daran finden oder was Sie von mir erwartet haben, dass ich es daran fände! Ich habe nicht einen einzigen Satz entdeckt, von dem man sich irgendwie hätte vorstellen können, dass er ein vernünftiges menschliches Wesen interessieren würde. Für den nächsten Urlaub müssen Sie mir ein Exemplar mit Anmerkungen geben).48 1935 stellte Keynes, nachdem er die gerade herausgegebene Marx-Engels-Korrespondenz gelesen hatte, fest, dasser Engels gegenüber Marx bevorzuge.49
Nach 1935 blieben seine Marx-Studien in Versuchen („in a good try“) stecken und kamen nicht über Anfangseinblicke hinaus. Joan Robinson, eine Schülerin von Keynes, wies 1980 darauf hin: Keynes „had no time for Marx“ (Keynes hatte keine Zeit für Marx) (S. 102); „Keynes himself never studied Marxian economics […], Marxian ideology was alien to him“(S. 121) (Keynes selbst hatte die marxsche Ökonomik nie studiert […], marxsche Ideologie war ihm fremd). Dieser Meinung schließt sich Sardoniin seinem Marx-Keynes-Vergleich an:
„Keynes’s knowledge of Marx’s economics was mainly based on secondary literature rather than on a direct acquaintance with the original writings of Marx“50 (Keynes’Kenntnis der marxschen Ökonomik stützte sich hauptsächlich auf Sekundärliteraturstatt auf eine unmittelbare Kenntnis Marx’ eigener Schriften).
Eine andere Meinung vertritt Behrens. Er schreibt: „Contrary to a generally held belief Keynes did study Marx in great detail“51 (Entgegen der allgemein verbreiteten Meinung hat Keynes Marx sehr detailliert studiert). Einen Beweis für seine These bleibt er aber schuldig. Ähnlich betont Thweatt52 : Keynes’ Sraffa-Anmerkungen seien ein Beweis vertiefter keynesscher Marx-Kenntnisse. Wäre dem so gewesen, wären die Keynes’ Kommentare über Marx weniger vorurteilsbeladen gewesen. Genausoist die Aussage von Willke, Keynes „hatte Marx gelesen“53, irreführend, weil in dieser Feststellung das Ausmaß der keynesschen Marx-Studien verschwiegen wird.
Keynes’Marx-Bewertungen entstammen primär punktuellen Analysen und einer unwissenschaftlichen Arbeitsweise, bei der er höchst vorurteilsbeladen, undifferenziert, pauschal und fachlich ohne Beweiskraft vorging. Keynes stützte sich in seinem 1933er AT-Entwurf zwar auf die marxsche Kreislaufform G–W–G’, doch nach neueren Erkenntnissen entnahm er diese den Ausführungen Harlan Linneus McCrackens (1871 – 1889), ohne die Quellen angegeben zu haben. So schrieb er am 31. August 1933 an McCracken: „Dear Dr. McCracken, Having now read your book, I must again thank you for having sent it to me. For I have found it of much interest, particularly perhaps the passages relating to Karl Marx, with which I have never been so familiar as I ought to have been. […]Yours very truly, J. M. Keynes“54 (Sehr geehrter Herr Dr. McCracken, nachdem ich nun ihr Buch gelesen habe, muss ich Ihnen erneut dafür danken, dass sie es mir zugeschickt haben. Denn ich habe es sehr interessant gefunden, besonders vielleicht die Passagen, die sich auf Marx beziehen, mit dem ich niemals so vertraut war, wie ich es hätte sein sollen).
Hätte Keynes in den letzten Lebensjahren seine Aversionen gegen Marx ausräumen können?
Seine unterschiedliche Klassen- und Interessenszuordnung, seine ideologische Voreingenommenheit und seine geringen Marx-Kenntnisse sprechen, wie auch Sardoni55 betont, dagegen.
47Keynes (1926b), S. 18.
48Zitiert nach Marcuzzo(2013), S. 66.
49Vgl. Keynes, CW 28, S. 42.
50Sardoni (2014), S. 7.
51Behrens, R. (1985), S. 3.
52Vgl. Thweatt (1983), S. 617.
53Willke (2002), S. 25.
54Kates (2007), S. 5.
55Vgl. Sardoni (2014), S. 17.
4Keynes und Marx zum Kapitalismus
4.1Systembestimmung
Wer wirtschaftliche Zusammenhänge analysieren, wirtschaftliche Mängel erfassen und wirtschaftliche Probleme lösen will, sollte sich über die Wirtschaft, in der wir leben, und über ihre Funktionsweise im Klaren sein. Und wer bezweckt den Kapitalismus zu verteidigen, ihn zu kritisieren, ihn abzulehnen oder ihn von anderen Wirtschaftssystemen zu unterscheiden, der sollte ein genaues Bild von den wesentlichen Merkmalen des Kapitalismus haben. Häufig wird behauptet, es gäbe kein einheitliches kapitalistisches System, sondern nur Kapitalismen, nur vielfältige Ausprägungen und Entwicklungsstufen56 oder nur Mischsysteme. So unterscheide sich der amerikanische Kapitalismus wesentlich vom europäischen, der südliche vom westlichen Kapitalismus, der Raubtier- vom Staatskapitalismus und der Industrie- wesentlich vom Finanzkapitalismus. Diese Anschauungen schaffen Verwirrungund keinen präzisen Einblickdarüber, was unter einer kapitalistischen Ökonomie zu verstehenist. Neoklassiker vermeiden den für sie negativ besetzten Ausdruck „Kapitalismus“ und kennzeichnen das kapitalistische System als„Marktwirtschaft“. Mit dieser Zuordnung reduzieren sie das herrschende Wirtschaftssystem fälschlicherweise auf eine Tauschwirtschaft und vernächlässigen die Produktions- und Verwertungssphäre.
Was verstehen Keynes und Marx unter einem kapitalistischen Wirtschaftssystem?
Keynes bezeichnetin seiner Abhandlung „Vom Gelde“ die kapitalistische Gesellschaft als ein „Regime des kapitalistischen Individualismus“ (S. 609) undein „System individuellen Wettbewerbs“ (S. 128);in der AT als „individuelle[n] Kapitalismus“ (S. 268), als „kapitalistische[n] Indi-vidualismus“ (S. 321), als „Kapitalismus“ (S. 317) und als „System freier Lohnabkommen“ (S. 224). Trotz seiner theoretischen Wandlung hat er, wie die Aufstellung zeigt, seine Systembezeichnungen beibehalten.
In den Entwürfen zur AT57 ordnet er dem kapitalistischen System, in Abgrenzung zur Neoklassik, eine Geldwirtschaft (monetary economy) und eine Unternehmerwirtschaft (entrepreneur economy) zu, wobei er die Unternehmerwirtschaft in Anlehnung an die marxschen Darstellungen als Kreislauf58 G – W – G’ bestimmt: Die Unternehmen kaufen mit und verkaufen gegen Geld;ihre Geldeinnahmen müssen die Geldausgaben übersteigen. In dieser keynesschen geldbezogenen Unternehmerwirtschaft ist das Unternehmen„dealing throughout in terms of sums of money. It has no object in the world except to end up with more money than it started with“ (bezieht sich das Unternehmen durchweg auf Geldbeträge. Es hat kein Ziel in der Welt, außer mit mehr Geld zu enden als es am Anfang hatte).„That is the essential characteristic of an entrepreneur economy“(Dies ist das wesentliche Merkmal einer Unternehmerwirtschaft)betont Keynes (CW 29, S. 89).
Gleichzeitig legt Keynes fest, wer in der Unternehmerwirtschaft über die Produktion bestimmt. In der GT59, S. 77, schreibt er: „I now think, the volume of employment (and consequently of output and real income) is fixed by the entrepreneur under the motive of seeking to maximize his present and prospective profits“ 60 (Ich denke jetzt, dass das Beschäftigungsvolumen [und folglich das der Produktion und des Realeinkommens] vom Unternehmer mit der Zielsetzung festgesetzt wird, seine gegenwärtigen und voraussichtlichen Profite zu maximieren).
Bestimmen wir aus diesen Ausführungen diekeynesschen Systemmerkmale des Kapitalismus, so ist nach Keynes die kapitalistische Wirtschaft durch vier Kriterien gekennzeichnet, durch:
a.eine Geldwirtschaft (monetary economy),
b.eine Unternehmerwirtschaft (entrepreneur economy),
c.freie Lohnabkommen und durch
d.eine Profitorientierung(the motive of seeking to maximize his present and prospectiveprofits).
Diese Systembestimmung entspricht auf dem ersten Blick der marxschen Kennzeichnung des Kapitalismus. Das kapitalistische Wirtschaftssystem ist nach Marxeine Produktionsweise61 mit:
a.einer monetärentwickelten Warenproduktion,
b.einem Minderheitseigentum an Produktionsmitteln,
c.einer Lohnarbeit der Erwerbsbevölkerungsmehrheit und
d.einer Profitorientierung.
Aus diesen vier Merkmalen ergibt sichdie marxsche Grundstruktur des kapitalistischen Systems. Sie bestimmen die Systemlogik und prägen die gesamte Lebensphase der kapitalistischen Ökonomie, unabhängig von den jeweiligen zeithistorischen und regionalen Formen des Kapitalismus. Eine entwicklungsbezogene Änderung der kapitalistischen Systemelemente und damit eine Änderung der Funktionslogik sind in der marxschen Systemtheorie nicht enthalten. Solange eine geld-, lohnarbeits- und profitorientierte Produktions- und Marktökonomie mit Privateigentum an Produktionsmitteln überwiegt, besteht eine kapitalistische Produktionsweise.„Dies hindert nicht“, hebt Marx hervor, „daß dieselbe ökonomische Basis – dieselbe den Hauptbedingungen nach – durch zahllos verschiedne empirische Umstände, Naturbedingungen, Racenverhältnisse, von außen wirkende geschichtliche Einflüsse usw., unendliche Varianten und Abstufungen in der Erscheinung zeigen kann, die nur durch Analyse dieser empirisch gegebnen Umstände zu begreifen sind“ (MEW 25, S. 800).
Grundlage der marxschen Kennzeichnung des Kapitalismus sind die folgenden Ausführungen: Der Arbeitsprozess „wird nur kapitalistischer Prozeß […], wenn 1. Warenproduktion […] die allgemeine Form der Produktion ist; 2.[…]die Arbeit Lohnarbeit ist; 3.[…] die Produkte der Arbeit […] als ihr Nichteigentum, als fremdes Eigentum […] gegenüberstehen“ (MEW 26.3, S. 481). Direkter „Zweck und bestimmendes Motiv der Produktion“ ist die„Produktion des Mehrwerts“(MEW 25, S. 887). Das Kapital selbst setzt eine Verteilung voraus: „die Expropriation der Arbeiter von den Arbeitsbedingungen, die Konzentration dieser Bedingungen in den Händen einer Minorität von Individuen“ (MEW 25, S. 886). Die kapitalistische Warenproduktionunterstellt „das Kapital in Geldform oder das Geldkapital als primus motor für jedes neu beginnende Geschäft und als kontinuierlichen Motor“(MEW 24, S. 355).
Trotz der Ähnlichkeiten der keynesschen und marxschen Systemzuordnungensind die Unterschiede erheblich. Unterschiede bestehen in der Markt-, Konkurrenz- und Produktionsgewichtung, im Verständnis der Geldwirtschaft, in der Berücksichtigung der wirtschaftlichen Herrschaftsbeziehungen, in der Interpretation der Lohnarbeit, in der Begründung der Profitorientierung und in der Erklärung des Profits.
In der Literatur existieren recht diffuse Typisierungen des Marxschen Kapitalismus. Exemplarisch seien drei neuere Beispiele genannt. Aus der Sicht von Jürgen Kocka62 bestehen die marxschen Systemelemente des Kapitalismus aus dem Markt, der Akkumulation, der Lohnarbeit und der Dynamik des kapitalistischen Systems. Bei dieser Systemkennzeichnung stützt er sich nur teilweise auf marxsche Aussagen. Entsprechend gelangt er zu einem unvollständigen und recht wirren marxschen Verständnis der kapitalistischen Produktionsweise.
Nach Dow63 ergibt sichder marxsche Kapitalismus aus den folgenden vier Bestandteilen: Marktallokation der Ressourcen, Warenproduktion, erwartete Profitabilität als das Hauptkriterium der Produktion, hierarchische oder undemokratische Kontrolle des Produktionsprozesses. In dieser Definition fehlen die Geldwirtschaft und die Lohnarbeit. Die Warenproduktion taucht gleich zweimal aufund die ungleichen Eigentumsstrukturen versteckt Dow hinter den undemokratischen Kontrollprozessen. Noch verworrener wird es bei Goldberg64, der den Kapitalismus neu erfinden will und die Systemmerkmale auf die Kapitalakkumulation und den Klassenkampf bezieht. Hier ist mit dem Begriff „Kapitalakkumulation“ das Kapital bereits vorgegeben und Goldberg verfängt sich im typischen Kennzeichnungsfehler, bei dem die Voraussetzung (die Kapitalakkumulation)das zu Bestimmende (den Kapitalismus)bereitsenthält.
Es sollte im Interesse der Marxisten sein, die marxschen Strukturmerkmale der kapitalistischen Produktionweise zu übernehmen, weil nur auf dieser Grundlage ein fundiertes Verständnis der kapitalistischen Dynamik und aus dieser Kenntnis eine sachkundige Alternativstrategie entwickelt werden kann.
4.2Geldwirtschaft
Keynes und Marx sind sich, in Abgrenzung zur Neoklassik, darin einig, dass in der kapitalistischen Marktwirtschaft keine, wie in der Neoklassik unterstellt, naturalwirtschaftlichen Marktbeziehungen, keine Bartertauschgeschäfte65, dominieren, sondern der Tausch über Geld stattfindet, die Vertragsbeziehungen geldlich erfolgen, die zukünftigen Ein- und Auszahlungen unbekannt sind, die kapitalistische Marktwirtschaft zu Konflikten zwischen Einzel- und Gesamtinteressen führt, die Märkte nicht effizient sind und folglich sowohl auf den Finanz- alsauch aufden Realmärkten Instabilitäten bestehen.
Keynes Geldwirtschaft entspricht jedochnicht der marxschen monetären Warenproduktion. Er reduziert seine Geldwirtschaft im Gegensatz zu Marx auf die Zukunftsunsicherheit und deren Folgen für die Beschäftigung. Keynes unterscheidet bei seiner Systembestimmung zwischen einer realen und einer monetären Tauschökonomie.„An economy which uses money but uses it merely as a neutral link between transactions in real things and real assets and does not allow it to enter into motives or decisions, might be called…. a real exchange economy.
The theory which I desiderate would deal […] with an economy in which money plays a part of its own and affects motives and decisions and is, in short, one of the operative factors in the situation, so that the course of events cannot be predicted, either in the long period or in the short, without knowledge of the behaviour of money between the first and last. And this is which we ought to mean when we speak of amonetary economy“(Eine Ökonomie, die Geld benutzt, aber es nur als neutrale Verbindung zwischen Transaktionen in realen Dingen und realen Vermögen benutzt und die es nicht erlaubt, es in Motivation oder Entscheidungen einfließen zu lassen, könnte [...] als reale Tauschökonomie bezeichnet werden. Die Theorie, die ich mir wünsche, würde von einer Ökonomie handeln, in der Geld eine eigene Rolle spielt, wo Geld die Motivationen und Entscheidungen beeinflusst und wo, kurz gesagt, Geld einen der wirksamen Faktorenin der Situation darstellt, so dass der Verlauf der Ereignisse nicht vorhergesagt werden kann, weder in der langen noch in der kurzen Frist, ohne Kenntnis über das Geldverhalten zwischen dem ersten und dem letzten. Und dies ist, was wir meinen sollten, wenn wir von einer Geldwirtschaft sprechen) (CW 13, S. 408f.).
Keynes legt hier in Abgrenzung zur Neoklassik die Auswahl auf eine Wirtschaft, in der Geld die Motive, Entscheidungen und Anschauungen der Wirtschaftssubjekte sowohl in der kurz- als auch in der langfristigen Periodebeeinflusst und bewirkt, dass die Zukunft nicht vorhersehbar ist.
Seine Erklärung der Unsicherheit bleibt defizitär, weil die allgemeine Zukunftsunsicherheit nicht aus der Geldexistenz folgt, da in der wirklichen Welt die Zukunft auch ohne Geld unsicher ist. Unsichere Zukunftserwartungen als Motor und Bremse der ökonomischen Entwicklung gibt es seit menschengedenken, in der Subsistenz-, in der Geld- und in der Planwirtschaft. Eindeutige Zukunftskenntnisse, wie sie die Neoklassik in ihren Modellannahmen unterstellt, fehlen in allen Produktionsweisen. In der Geldwirtschaft kommt lediglich die Unsicherheit über zukünftige Zahlungsströme und Zahlungsmöglichkeiten hinzu, die aber das Wesensmerkmal der Zukunftsunsicherheit nicht verändern.
Ein entscheidender Schwachpunkt der keynesschen Geldwirtschaftstheorie liegtdarin, dass Keynes einerseits die Unsicherheit aus der Geldwirtschaft ableitetund andererseits die Geldwirtschaft aus der Unsicherheit. Wer hier was bestimmt, bleibt völlig offen. Wenn die Geldwirtschaft Unsicherheit erzeugt, muss das Geld bereits vor der Unsicherheit existieren und kann nicht selbst über die Unsicherheit bestimmt werden.
Der Postkeynesianer Paul Davidson nennt die Welt der Zukunftsunsicherheit eine nicht-ergodische Welt66. Seines Erachtens trennte sich der AT- Keynes mit der Unsicherheitsannahme vom neoklassischen Axiom der sicheren Vorhersehbarkeit und erklärte u. a. mit der Zukunftsunsicherheit in Abgrenzung zur Effizienztheorie der Neoklassiker die Ineffizienz der Märkte.67 Die Zukunftsunsicherheit bewirkt, so Davidson, dass Gewinnerwartungen und ökonomische Entscheidungen nicht aus gegenwärtigen und vergangenen Erfahrungen abgeleitet werden können, sondern alleine auf Gefühlen basieren.68 Aus diesen Gefühlsschwankungen über die Zukunftsereignisse entstehedie Ineffizienz der Märkte.69
Für Marx ist die Geldwirtschaft zwar ebenfalls durch Unsicherheiten und fehlende zukünftige Marktinformationen geprägt, jedoch bestimmen ihmzufolge diese Merkmale nicht die kapitalistischemonetäre Warenproduktion, da Unsicherheitensystemübergreifend auftreten. Geld ist nicht der Auslöser der Zukunftsunsicherheit, die Unsicherheit nicht der Auslöser des Geldes und wechselnde Anschauungen und Erwartungen der Wirtschaftssubjekte sind nach Marx nicht die Ursache für kapitalistische Entwicklungen. Dies wäre für ihn eine Psychologisierung der Ökonomie, die von den wesentlichen Merkmalen der jeweils spezifischen Produktionsweise ablenkt. Die Wirtschaftsakteure schwimmen nicht wie bei den Keynesianern auf der Welle ihrer Gefühle, sondern sie orientieren sich bei ihren ökonomischen Entscheidungen an vergangenen und gegenwärtigen Daten, um die Zukunftsunsicherheit einzuschränken. Damit befinden sie sich nicht in der neoklassischen fiktiven Welt der sicheren Zukunftskenntnis, sondern verbleiben in der chaotischen Welt des Marktes mit all den möglichen Irrtümern. Was Davidson in seiner nicht-ergodischen Welt übersieht, ist die Tatsache, dass es vor allem der Markt ist, der die Unsicherheit vervielfältigt. Auf dem Markt kennt kein Marktakteur die Aktionen und Reaktionen der Konkurrenten. Die Produzenten wissen daher marktbedingt nicht, wie sich ihr Absatz und damit ihr individueller Profit entwickeln werden. Aufgrund der Marktlogik, der Privat-, Tausch-, Geld- und Konkurrenzbeziehungen besteht in der Marktwirtschaft keine Übersicht über die vielfältigen gegenwärtigen und zukünftigen Absatz- und Preisentwicklungen.
Keynes definiert die „Geldwirtschaft“ über die Anschauungen und Motive der Marktakteure, Marx über strukturell institutionelle Zusammenhänge. Das eigentliche Geheimnis des Geldwesens liegt nach Marx nicht in den Natureigenschaften des Menschen, sondern in der Ware und ihren widersprüchlichen Eigenschaften. Für Marx ist entscheidend, in welche Produktionsweisen die Geldwirtschaft integriert ist. „Die einfache Geldzirkulation und selbst die Zirkulation des Geldes als Zahlungsmittel“ bestand nach Marx schon „lange vor der kapitalistischen Produktion, ohne daß Krisen vorkämen“ (MEW 26.2, S. 513). Eine Geldwirtschaft in der Sklaven-, Feudal- und in der sozialistischen Gesellschaft weist andere Merkmale auf als eine Geldwirtschaft in der kapitalistischen Wirtschaft. Keynes Fehler besteht darin, dass er nicht zwischen den einzelnen monetären Produktionsweisen differenziert und sein Konzept der Geldwirtschaft exogen auf alle Produktionsformen, in denen Geld existierte und existiert, überträgt.
Historisch entfaltete sich die Geldwirtschaft mit der Ausbreitung der Arbeitsteilung, der Durchsetzungvon Tauschgeschäften und der Lohnarbeit. Erst seit etwa fünfhundert Jahren entwickelt sich die Markt- und mit ihr die Geldwirtschaft aus „kleinen, nur lokal bedeutsamen Märkten über einen auf spezielle Produkte beschränkten Fernhandel zum ökonomischen Organisationsprinzip der ganzen Welt“70