Mitte 1 - Albrecht Behmel - E-Book

Mitte 1 E-Book

Albrecht Behmel

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Beschreibung

Was kann in Berlin-Mitte schon schief gehen, wenn man ein enthusiastischer Schussel ist? "Mitte" ist eine Komödie über eine Exzentriker-WG, deren Bewohner sich gegenseitig das Leben schwer machen, die Partner suchen, finden und es wieder bereuen; die Karrieren bauen und zerstören, während sie sich fragen, wohin es mit der Selbstverwirklichung ihrer Mitbewohner noch führen soll. "In erster Linie wollte ich den Geist der späten Neunziger Jahre einfangen und zu leichter Lektüre machen, lustig, fies, frivol, realistisch - mit viel Berliner Lokalkolorit: Sex, Clubs, Gym, Musik, Mode, Drogen, Alkohol, Kunst... der ganz alltägliche Mix eben. Es ist damit auch ein ironischer Blick auf mich selbst geworden, wobei ich betonen will, dass sämtliche Figuren rein fiktiv sind, inklusive des Erzählers. Allein die Kulisse der Stadt ist real."

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Seitenzahl: 398

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MITTE 1

 

 

VON

ALBRECHT BREHMEL

 

 

 

 

Impressum:

Cover: Karsten Sturm-Chichili Agency

Foto: Tilman Hampl

© 110th / Chichili Agency 2014

EPUB ISBN 978-3-95865-241-5

MOBI ISBN 978-3-95865-242-2

 

Urheberrechtshinweis:

Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Autors oder der beteiligten Agentur „Chichili Agency“ reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

 

 

 

 

Für Cörd

 

 

 

 

Wampe con carne

"Albrecht", sagte die Wibke Schmidt zu mir, als ich total entspannt bei mir zuhause in der Badewanne lag, "du wirst fett!"

Ich sagte:

“Das darf doch nicht wahr sein!”

Weil: Das war wieder eine von genau den Frechheiten, die ich mir jeden Tag in meiner eigenen Wohnung anhören muss, seit die alle bei mir eingezogen sind. Und von all denen ist die Wibke Schmidt das beste Mittel gegen Entspannung, das ich kenne. Sie sagte:

"Doch, fett wirst!"

"Sag mal, knirscht dir die Bindung, Wibke?"

"Okay, wärs dir lieber mit dickleibig, feist, untersetzt, hm?"

"Also, ich bin überhaupt nicht untersetzt …"

Für alles muss man sich entschuldigen in seiner eigenen Wohnung.

"Doch, ziemlich untersetzt sogar, vor allem am Unterbauch. Hier!"

Sie griff mir voll an die Schwarte. Ich sagte:

"Ouh! He!"

Dann ist sie in die Küche gegangen, und ich hab mir vorgenommen, nur noch Schaumbäder zu nehmen. Blickdicht. Und dabei hatte ich mich eigentlich nur in die Badewanne gelegt, weil die Jenny, meine heimliche Liebe, im Schlafzimmer saß und die ganze Zeit gesungen hat. Das Bad ist der einzige Ort, wo ich im Moment meine Ruhe habe – jedenfalls im Prinzip. Und dann kommt die Wibke und verleidet mir das Asyl.

Ich muss sagen, ich fand das auch inhaltlich unfair von der Wibke Schmidt, weil, es ist doch so: Die Wibke Schmidt braucht vier bis fünf warme Mahlzeiten am Tag, ständig hungrig, wenn ihr versteht, was ich meine: Sie frisst wie eine der ernster zu nehmenden ägyptischen Plagen, aber das Komische an der Sache ist, dass sie selber kein einziges Gramm zunimmt, jedenfalls nicht öffentlich, weil sie jedes Mal, wenn sie mal zu doll an die Steaks gegangen ist, sofort zum Sport rennt und sich wieder alles von den Hüften runterstrampelt.

Ihre Fitness-Kurse heißen:

Pilatus; Bauch-Attack und Rock yo' Butt - oder so ähnlich. Und ich? Na, ich kriege halt auch vier bis fünf warme Mahlzeiten am Tag und werde untersetzt. Aber: Ich hatte wirklich zugenommen. Oder: Der Schaum stand nicht hoch genug, also hab ich noch mal heißes Wasser nachlaufen lassen. Half auch nicht.

Die Wibke Schmidt hat vorher schon eine ganze Weile lang versucht, mich dazu zu bringen, mit ihr ins Gym zu gehen, eben weil sie fand, dass ich zu fett bin. Sie funkte:

"Aber nein, das ist es doch gar nicht: Mehr Bewegung würde dir einfach gut tun, meinst du nicht auch? Und es wär doch auch schön, wenn wir zwei mehr miteinander unternehmen, wenn du schon nicht mit mir in den Aquarellkurs willst."

Sie hatte direkt in mein Gehirn reingeredet, die Wibke Schmidt, exakt da, wo sich mein Gewissen versteckt hält und hofft, dass niemand es entdeckt ... Das macht sie immer, die Wibke, redet mir direkt ins Hirn rein. Manchmal ist das Okay, wenn ich beim Kaisers vergessen habe, was ich mitbringen soll, aber meistens nervt es mich einfach nur.

Das ist ja überhaupt ganz oft so bei den Frauen, dass sie zuerst ganz harmlos und lieb aussehen und so tun, als würden sie dich für irgendwas bewundern, und, zack, entern sie dir die Kommandobrücke, übernehmen die Kontrolle über deinen Öltanker, und dann ordnen sie einfach einen neuen Kurs an: Aquarell-Atoll oder so eine Region, wo die ganzen Atomtests stattfinden. Da steuern sie dann drauf zu.

Jedenfalls hab ich beim Abtrocknen meinen Bauch angeschaut und beschlossen, dass ich mehr Bewegung brauche, und dass auch mein täglicher Spaziergang durch Berlin-Mitte nicht reicht, wenn man mal ehrlich ist.

Außerdem: Die Wibke hatte mir ja schon Sportsachen und Gymtreter gekauft, und die hatte ich ganz ordentlich erst mal einen Monat lang in den Schrank gestellt, wo der Orest sie nicht finden kann. Ja, und dann bin ich halt in Gottes Namen Mitglied im Gym von der Wibke geworden, aber sie war immer noch nicht zufrieden und hat angefangen, an meiner Ernährung herumzuwerkeln wie eine Mischung aus Psychiater und einem Vertreter der Obst-Gewerkschaft. Sie stand in der Küche und drohte mit ihrem Schneebesen:

"Ess!"

Ich sagte:

"Aber dauernd nur Kiwis?"

"Ess, schon!"

"Nein, danke!"

Ihre Kiwis konnten meiner guten Laune nichts anhaben. Ich hatte sogar etwas Besseres als gute Laune, ich hatte regelrecht große Laune. Sie sagte. Zu mir:

"Und wenn die Grippewelle doch noch kommt? Was dann?"

"Dann kann ich mit Kiwis nach ihr werfen, deswegen darf ich sie jetzt nicht essen."

"So dass ich dich wieder gesund pflegen muss."

Ich sagte:

"Musst? Darfst!"

Erkält dich nicht wieder!"

"Wieder? Quatsch! Ich bin nie krank."

Das hat sie zum Lachen gebracht, die Wibke. Sie sagte:

"Weil ich auf dich aufpass! Komm, ess, da sind Vitamine drin, Dummi!"

"Ich dachte, ich bin der 'Schatz'?"

"Nein, schon wieder nicht mehr."

Ich sagte:

"Außerdem heißt es 'iss'."

Die Wibke hat eine Hitparade, auf der ich Lift fahre: immer rauf und runter, je nachdem, was ich grade wieder gesagt habe. Ich sagte:

"Also wie? Wenn ich Kiwis esse, bin ich ein Schatz, wenn ich dich auf Denkfehler in deiner Logik aufmerksam mache: Dummi."

"Iss deinen Obstsalat, Maus!"

Sie lernt schnell. Das ist gut. Aber trotzdem: Es wurde mir langsam zu zoologisch. Ich sagte:

"Was hast du grade gesagt?"

Meine persönliche Sonne ging ganz plötzlich unter, und ich konnte aufgehängte Fledermäuse erkennen. Vermutlich Selbstmord, aber es waren keine Fledermäuse, sondern Kiwis.

Ich finde ja, dass eine Horde Kiwis auf dem Küchentisch immer so aussieht, als würden sie jetzt gleich alle miteinander aufgeschreckt davonrennen - und so was schält man doch nicht! Man schält ja schließlich auch keine Meerschweinchen. Die Sonne ging wieder auf.

"Der Vergleich hinkt aber, mein Lieber", funkte die Wibke direkt in mein Gehirn hinein.

"Und man schält auch keine Meerschweinchen, die hinken", sagte ich laut.

Wibke schaute mich an:

"Rechthaber!"

"Nein, Bessermacher!"

"Klugscheißer!"

"Nein, Alleskönner!"

"Ganz genauso schlimm!"

Ich hab auf meinen Sektor vom Obstsalat geschaut, als es an der Tür klingelte, und das ist bei uns keine Kleinigkeit, denn diese Klingel an der Tür, die klingelt so, als hätte das Jüngste Gericht seine Sitzungspause beendet und würde jetzt gerne mit der ewigen Verdammnis fortfahren. Und wenn dann auch noch meine Schwester Felizitas auf den Knopf gedrückt hat, dann ist es halt sozusagen: noch lauter.

Es war tatsächlich die blöde Feli.

"He, Feli, was machst du denn für ein Gesicht, Schwesterherz?"

Was die inneren Organe betrifft, da ähnelt meine Schwester aber eigentlich keinem Herz, sondern eher einer Gallenblase, aber ich wollte nett sein, und deswegen hab ich zu ihr "Schwesterherz" gesagt und nicht, Schwestermilz oder Schwesterdarm.

Sie ist voll in die Küche reingeflogen und hat sich umgeschaut, ob irgendwelche Terroristen anwesend sind. Dann sagte sie:

"Oh, ich sag's dir! Das war vielleicht ein Tag ..."

Sie setzte sich hin. Ich sagte:

"Was´n los?"

Bei der Feli muss man höllisch aufpassen, wenn sie was sagt, weil sie, nachdem sie was gesagt hat, immer noch was anderes sagt, und damit bringt sie dich dann ruckzuck bis zum Kinn in die Djinga Masala mit vier Pepperonisymbolen kurz vor der Preisangabe.

Die Feli hat sich auch einen Obstsalat genommen und angefangen zu reden, über alles gleichzeitig, aber: Der Punkt ist: Sie hatte Ärger. Soviel konnte ich sofort verstehen. Ich setzte mich aufmerksam hin und sagte:

"Du meinst: Du hast Ärger?"

"Das hab ich dir doch grad erklärt, Albrecht. Hörst du eigentlich nie zu?"

"Ich hab noch Schaum in den Ohren."

Und das war absolut die Wahrheit, aber das Problem war, dass die Feli so schnell über alles gleichzeitig gesprochen hat, dass ich keine Chance hatte, richtig zuzuhören, weil ich ja eher ein langsamer Zuhörer bin. Und das bin ich aus Vorsicht, und die ist bei der blöden Feli absolut notwendig, für alle Leute, die kein Interesse daran haben, ihre eigenen inneren Organe am nächsten Tag in der Abteilung "Sonderangebote für Transplantationen" wiederzufinden.

Dann hat sie alles noch mal erklärt, und was ich verstanden habe, ist: dass sie ihren Verleger interviewt hat, und dabei muss sie die gleiche Technik angewendet haben, wie bei den üblichen Opfern, aber das Problem ist, dass der Verleger das überhaupt nicht witzig fand, als er sich selbst am nächsten Morgen in seiner eigenen Zeitung ausgeweidet und zum Wolpertinger ausgestopft wiedergesehen hat. Ich sagte:

"Du hast deinen Chef gegrillt?"

"Meinen Chef-Chef sogar."

"Gratuliere ... ich wette, das war eine ganz neue Erfahrung für ihn."

Das hab ich gesagt, weil: Ich sehe immer gern auch die positive Seite von guten Dingen, die eigentlich gar nicht so übel sind, wenn man mal drüber nachdenkt. Dann hab ich gesagt:

"Du hast ihm die üblichen Fragen gestellt, wie deinen ganzen anderen armen Opfern auch immer, und er ist drauf reingefallen?"

"Wie ein Jo-Jo"

"Hä?"

"Immer wieder."

"Ah!"

"Genau."

"Und warum ist das schlecht?"

"Sag mal, bist du nicht ganz klar im Kopf?"

Ich schaute mich um:

"Wibke?"

"Ja, Hanni?"

"Was würdest du auf so eine Frage antworten, Wibke? Bin ich nicht ganz klar im Kopf?"

"Aber natürlich bist du das, Hanni, ess deine Polenta, hm?"

Sie sagt manchmal "Maus" zu mir, die Wibke Schmidt, oder "Schatz", und ich vermute, dass sie mich gerne auf einer Pirateninsel vergraben würde, und das wars dann, aber "Hanni"? Das war neu! Sie sagte:

"Ich hab Honey gesagt, nicht Hanni, aber Hanni ist eigentlich auch ganz gut; netter Name für ein Mädchen, oder? Ich denk oft an Namen für Kinder."

Wuäh!

"Siehst du, Feli? Die Wibke findet, dass man das so nicht sagen kann ..."

"Was ist das denn eigentlich die ganze Zeit für ein Geplärre da aus deinem Zimmer?"

"Das ist die Jenny; sie singt."

Weil: Die Jenny ist ja jetzt auch bei mir eingezogen und wohnt überall, wo ich früher Lebensraum für mich selber hatte. Feli sagte:

"Es klingt, als hätte sie Schmerzen …"

Ich sagte:

"Nein, sie hat gute Laune."

Aber, die Wibke Schmidt, die ist unglaublich! Sie stellte uns auf einmal Tiramisu auf den Tisch, jetzt, wo ich voller Kiwis war, aber die Feli schaufelte sich die Tiefgarage voll. Die Feli sagte:

"Wohnt sie immer noch bei dir?"

"Ja, klar … das ist doch die Jenny, Mann!"

"Aber das geht ja dann schon seit Monaten so …"

"Seit der Onkel Georg gestorben ist, ja."

“Zahlt sie wenigstens Miete?”

Aber ich schaute nur auf das Tiramisu. Die Wibke Schmidt sagte:

"Du kriegst kein Tiramisu, Albrecht!"

"Warum denn nicht?"

"Ess deinen Obstsalat!"

"Jajajaaaaa … Und es heißt 'iss'."

Weil: Darauf achte ich schon immer ganz genau, wenn was nicht so heißt, wie die Wibke Schmidt das grade sagt.

Die Feli sagte:

"Seit Onkel Georg gestorben ist, hm …"

Ich sagte:

"Jetzt hack bitte nicht auf Jennys Alter rum, das macht man nicht, Feli."

Weil: Jenny ist genau so alt wie ich; kein Grund, da ein Problem draus zu machen.

"Naja, das geht mich auch nichts an ..."

Ich wurde patriarchalisch oder wie das heißt. Ich sagte:

"He, hör mal zu, Feli: Die Jenny gehört zur Familie."

"Zu deiner Familie vielleicht", sagte meine Schwester.

Und außerdem: Die Feli ist ja noch älter als ich. Egal. Die Wibke Schmidt sagte:

"Na gut, eine ganz kleine Portion kriegst du."

Ich sagte:

"Ah, endlich!"

Im Grunde mag meine Schwester die Jenny vermutlich total gern, weil: Erstmal mögen beide Hunde, und außerdem: Jeder mag die Jenny, und Orest ist vollkommen begeistert von ihr, springt an ihr hoch, bellt und leckt sie ab, genauso wie ich das gerne machen würde, und deswegen findet Feli sie auch in Ordnung.

Wahrscheinlich verstößt es halt einfach gegen den Ehrenkodex von Schwestern, irgendwas Nettes über andere Frauen zu sagen; jedenfalls hab ich immer schon diesen Verdacht gehabt. Überhaupt ist das alles ziemlich verzwickt, wenn man eine Freundin, eine Schwester und dazu noch eine Mitbewohnerin hat; das kann ich schon mal vorausschicken. Ich sagte zur Feli:

"Aber jetzt bleib doch mal bei der Sache: War das der Chef-Chef von der Superschlampe?"

"Unser Journal heißt: Exxtravangance, Albrecht.”

"Sag ich doch: Iggsdräwägänz."

Meine Augen verdrehten sich, ohne dass ich was dagegen tun konnte. Die Feli sagte zur Wibke:

"War er wieder auffällig in der letzten Zeit?"

Weil: Die Feli wechselt immer das Thema zu meinen Ungunsten. Wir schauten beide die Wibke Schmidt an, wie zwei Tennisspieler wenn der Richter, den Ball in die Fresse gekriegt hat.

"Nicht besonders, aber ich finde sein neustes Projekt ein bisschen fragwürdig", sagte diese unloyale Schnappschildkröte.

"Die meint das moralisch, Feli, muss man nicht ernst nehmen", hab ich gesagt. Die Feli schaute an die Decke.

Der Hintergrund ist: Ich bin nämlich grade dabei, ein neues Aktionskunst-Projekt zu machen, wo es um angemalte Schweine geht, und der Witz an der Sache ist: Das sind ganz echte, lebendige Schweine, die ich als Pinsel verwende, aber das Projekt ist noch in der Entwicklungsphase.

Das ist übrigens nicht ganz leicht, hier in Berlin geeignete Schweine zu finden, wenn ihr versteht, was ich meine, weil: Die dürfen ja nicht zu viel wiegen, und find das mal irgendwo hier in Berlin Mitte: mittelschwere, normale Schweine. Ziemlich schwierig. Sollte man zwar nicht denken, ist aber so.

Meine Idee war, die Schweine mit Bier abzufüllen, so dass sie während der Performance immer besoffener werden und man ihren sittlichen Verfall mitverfolgen kann.

"Willst du damit unserer Gesellschaft den Spiegel vorhalten und uns zeigen, dass wir im Grund alle nur wie diese besoffenen Schweine sind?", hat die Wibke Schmidt gefragt, als ich ihr zum ersten Mal davon erzählt hab.

"Ja, eigentlich will ich aber nur eine Riesensauerei in der Galerie von der Holzkamp anrichten, ich dachte an rot oder grün ... Weihnachtsmotiv! Aber das mit dem Spiegel, hey, das ist ja toll! Danke! Saucoole Idee! Das sag ich bei der Vernissage ganz genau so. Warte, das muss ich mir kurz aufschreiben. Wie hast du das noch mal gleich formuliert? Wir sind der Spiegelvorhalter von den … was?"

"Gib mir den Stift!"

Was ich aber eigentlich sagen wollte ist, dass die Kurzfassung von der Feli noch weitergegangen ist: Ihr Chef-Chef war total wütend darüber, dass er nicht so gut weggekommen ist, und jetzt diskutiert die ganze Redaktion darüber, ob sie lieber alle entlassen werden wollen oder ob man die Felizitas besser in die Abteilung für Wetterberichte und Horoskope versetzen sollte. Als ob die Klimakatastrophe eine Assistentin braucht, damit alles noch schlimmer wird.

Das sag ich ja schon ganz lange: Wenn einmal der Tag kommt, an dem Feli entlassen wird, dann kann sie ganz einfach in die Automobilindustrie gehen und mit ihrer Stimme dicke Bleche zuschneiden oder in der Lawinen-Spreng-Branche von Österreich unterkommen. Besser wäre allerdings Tibet.

Jedenfalls mache ich mir um die Feli keine Sorgen: eine Karriere wie eine V2 Rakete aus Peenemünde: dazu noch ein ganz ähnlicher Charakter, vor allem, was den Sprengkopf und die Landung betrifft.

Die Wibke Schmidt hat sich dann direkt neben die Feli gesetzt und angefangen, sie gut zu verstehen; das machen die beiden immer, und zwar so lange, bis ich den Raum verlassen muss, weil mir sonst schlecht wird ... Und als sie dann noch angefangen haben, über Renovierungen zu sprechen - da war es aus.

Meine große Laune war wieder auf Normalmaß geschrumpft. Mittelgroß.

Weil: Es ist ja so: Die Felizitas hat ihren Führerbunker in Charlottenburg neu eingerichtet, wahrscheinlich einfach nur noch mehr Stacheldraht, aber jetzt alles im Stil von der Toskana. Ich sagte:

"So, ich geh jetzt zum Sport", und wollte schon gehen.

"Bringst du bitte ´n paar Sachen mit?"

"Muskelkater, Zerrungen und einen erhöhten Serotoninspiegel?"

"Butter, du Trampel!"

"Na gut, mach ich! Aber, Wibke, du verstehst schon, dass Butter absolut tödlich ist, da sind jede Menge ... also Stoffe drin, musst du wissen: Macht furchtbar dick!"

Und ich hab dabei auf Felis Hintern gezeigt, wurde aber ignoriert.

"Außerdem brauchen wir: Obst und Seife und Küchenpapier und dann noch gerebelten Thymian ..."

"Das kann ich mir nicht merken."

"Denk trotzdem dran!"

"Okay, bis später!"

Und ich war raus.

Endlich!

Die Luft auf der Straße war nicht unbedingt besser als drinnen, aber ruhiger war sie im Vergleich zur Küche auf jeden Fall, und das war schon mal gut für mich, weil: Wenn es laut ist, werde ich supergeräuschempfindlich.

Und deswegen laufe ich immer zu Fuß durch die Stadt, so oft ich kann. Mein täglicher Wildwechsel geht die Friedrichstraße hinunter bis zum Gendarmenmarkt, wo ich bei Susi einen doppelten Espresso trinke, am besten mit meinem Kumpel Mikki mit den Glubschaugen.

Der Mikki ist jetzt mit der Felizitas zusammen, weil ich nicht richtig aufgepasst habe, und da haben die beiden sich in meiner Küche kennengelernt, und dann ist es halt passiert. Erst hab ich mir ja gedacht:

"Oh Gott, das endet mit einem Schauprozess für den armen Mikki."

Aber im Prinzip scheint es mit den beiden ganz gut zu klappen, abgesehen von der Tatsache, dass sie sich alle zwei Wochen trennen und dann wieder versöhnen, wobei der Mikki noch tiefer in die Schuldenfalle von der Beziehung abrutscht.

Mein Handy fing an zu wackeln, als hätte es einen Krampf im Akku. Es war eine SMS von der Wibke Schmidt, die ich auf meiner Telefonliste "Unglaublich" genannt habe. Das finde ich netter als die echten Namen von Leuten, die man ja eh kennt. Deswegen geb ich meinen Kontakten immer Codes, und die beschreiben immer mein Gefühl, das ich habe, wenn die Leute anrufen und ich das Display sehe.

"Unglaublich" schrieb:

BUTTER, OBST, SEIFE, KÜCHENPAPIER, GEREBELTER THYMIAN UND SEROTONINSPIEGEL BITTE. KUSS :-) VIEL SPASS @TRAINING!!!

Das ist die Wibke Schmidt. Kann absolut hellsehen, weil, wenn ich mal kurz ehrlich sein soll: Ich hatte das alles schon wieder komplett vergessen, und zwar in dem Moment, als ich am Friedrichstadtpalast vorbeigekommen bin, weil es da nämlich eine neue Show gibt; da geht es um "Die Frankenstein Brüder retten Heidi", oder so ähnlich.

Auf dem Plakat sieht man paar Mädchen mit sehr langen Beinen im Dirndl, die in einem großen Aquarium gefangen sind und von vier Typen gerettet werden, die enorme Schuhe tragen, aber die Show selber hab ich nicht gesehen, weil: Als Berliner geht man eigentlich nicht in den Friedrichstadtpalast.

Aber in gewisser Weise ist das auch wieder Country, mit dem Bergen und so, und da steh ich total drauf, aber irgendwie ist Heidi die falsche Art von Country. Nicht genug Pferde und Revolver, wenn ihr versteht, was ich meine. Keine blutigen Sättel.

Egal: Immer, wenn ich da vorbeikomme, also am Friedrichstadtpalast, dann vergesse ich alles. Zum Beispiel Thymian oder auch meinen Lebenswillen.

Der Punkt ist: Es lief zurzeit eigentlich ganz gut mit uns, also, der Wibke Schmidt und mir, und ich glaube, was mir am besten gefällt, das ist, dass sie mich nicht zwingt, ihr das ständig zu sagen.

Für sie ist das Okay, wenn sie spürt, dass ich sie einfach mag, und dass wir zusammen sind, und die Hauptsache für sie ist, dass ich immer den Müll runterbringe und strammstehe, wenn sie die morgens die Fahne hisst. Ich glaube, das ist das Geheimnis von guten Beziehungen. Die Fahne muss jeden Morgen gehisst werden.

Und weil ich das Handy gerade in der Hand hatte, hab ich dem alten Mikki auch gleich eine SMS geschrieben. Ich schrieb:

"Vier im Newton?"

Das ist unser Code. Das bedeutet so viel wie:

"Komm, wir treffen uns um vier Uhr im Newton, alter Junge."

Aber der Code hat einen Trick:

"Achtundachtzig im Newton" bedeutet nämlich zum Beispiel:

"Es gibt keine Sitzplätze" - und dann gehen wir halt woanders hin, in der letzten Zeit oft ins Ganymed.

Für mich gibt es kaum was Schöneres, als nach dem Training im Ledersessel zu sitzen und Espresso zu trinken, bis ich vollkommen nervös bin, und eigentlich will ich ja den Mikki dazu bringen, dass er auch mit mir trainieren geht, erstens ist er viel untersetzter als ich und zweitens macht es mehr Freude, wenn man zu zweit zu schaut, wie anderen Leuten die Sehnen platzen, aber das läuft nicht mit dem Mikki. Vergisst es einfach, schiebt den Unterkiefer vor und macht nicht mit. Das ist der Mikki im Nachrichtenüberblick.

Weil: Erstens hat er immer was Besseres zu tun als zum Sport zu gehen und zweitens sind diese besseren Sachen meistens Leute, die gleichzeitig auch noch Frauen sind.

Da kann ich nicht mithalten; er verwendet seine Glubschaugen immer dazu, Mädchen oder was er dafür hält, hinterherzuschauen, bevor er sich auf sie stürzt, wie ein Zollbeamter auf einen Serotoninschmuggler.

Mein Handy wackelte los, als ich auf der Höhe der Linden war. Genau im richtigen Moment, weil man da nämlich sehr geschickt nach links und noch mal rechts in die Charlottenstraße abbiegen kann, Einflugschneise ins Newton, oder aber man kann weiter geradeaus gehen und dann erst nach links. Man könnte sagen, genau an der Stelle muss man eine Entscheidung treffen, die aber nichts bedeutet, wenn man ins Newton will. Auf meinem Display kam das Wort: "Blödsinn", das ist der Eintrag, den ich der Telefonnummer von Mikki gegeben habe, weil er früher oder später immer "Blödsinn" sagt, wenn ich ihm was erzähle.

Für Felizitas hatte ich ursprünglich: "Jawohl, mein Führer", aber das hat sie mal gesehen und mich dann mit vorgehaltener Waffe gezwungen, es wieder zu ändern. Das Wort sagt eh schon alles. Die Nachricht von "Blödsinn" lautete:

"Nein sofort du pflaume bin schon DA."

Und das war gut, weil ich schon auf dem Weg war, und ich hatte nichts dagegen, erst mal einen Kaffee zu trinken und dann zum Sport zu gehen, weil, es ist ja so: Wenn man immer hört, dass man zu dick ist, und sich dann mit einem trifft, der noch dicker ist, dann sinkt die Gefahr, dass man sich beim Training übernimmt. Ich nehme das alles einfach ein wenig lockerer dann. Und: So fett bin ich eigentlich gar nicht. Höchstens ein bisschen untersetzt.

Mikki saß in seinem Lieblingssessel mitten im Newton und studierte die Karte, als würde er sich ernsthaft überlegen, etwas anderes zu bestellen als einen Weißwein, weil: Schau mal: Ich kenne doch den Mikki: Es war genau die Zeit für seinen ersten Weißwein, dieser alte Säufer.

Der Mikki und ich: Wir verstehen uns eben auch deswegen so gut, weil wir beide immer an unseren Gewohnheiten kleben wie eine gute Banane an ihrem Etikett. Ich warf ihm eine Streichholzschachtel an den Kopf. Volltreffer. Das mach ich immer. Schade, dass Streichholzschachteln nicht als Vier-Kiloboxen kommen. Er sagte, ohne mich anzuschauen:

"Da bist du ja endlich!"

Mikki kann ziemlich ungeduldig sein, manchmal. Ich sagte:

"Hey, Mikkoh, was rattert?"

"Deine Schwester ist höchstwahrscheinlich manisch-depressiv, mein Lieber, ich dachte mir, du solltest das als Erster erfahren."

Er schaute immer noch auf die Karte.

"Wieso? Was hat sie denn gemacht?"

"Hör bloß auf, von deiner Schwester zu reden ... schlechtes Thema."

"Wie jetzt: Du hast doch grade selber damit angefangen ..."

"Sei bitte kein Haarspalter!"

Das Tolle am Newton, das ist die Susi, die Bedienung, ganz kleine Blonde mit einem Pferdeschwanz und superkompetent in allem, was sie macht, finde ich, schon allein, wie sie ein Tablett trägt - total kompetent.

Mikki findet das auch, und deswegen bestellen wir auch immer gleich ganz viele Getränke auf einmal, weil es immer so klasse aussieht, wenn die Susi sich durch die Tische schlängelt und das Tablett über dem Kopf balanciert, also: etwa so hoch wie mein Kinn, wenn ich sitze. Sie säuselte uns an:

"Na, wat wollter trinkn, Jungs?"

"Wie immer!"

"Ein Riesling ... mit Eis?"

"Wenn dafür noch Platz im Glas ist, ja!"

"Un' du, Albrecht?"

"Einen dreifachen Espresso, bitte"

Ich mache gern immer die gleichen Witze. Die Susi hat mit ihrem Kinn auf mich gezielt und gesagt:

"Wir ham nur doppelte oder eenfache Espressen, und det weeßte janz jenau."

"Dann bring mir halt zwei doppelte und schütt bei einem die Hälfte weg ..."

Der Punkt ist: Ich bin immer ziemlich gut in den ganzen IQ-Tests. Man hätte natürlich auch drei einfache zusammenschütten können, aber das ist weniger geschickt, weil man dann nämlich eine Tasse mehr abwaschen muss. Das ist das Geheimnis bei den Tests. Aber was ich blöd finde, das ist, dass man nur ankreuzen kann und nicht dazu schreiben, warum man eigentlich dies oder das angekreuzt hat.

"Quatschkopp", sagte die Susi und wedelte kompetent davon.

Mikki machte ein zufriedenes Gesicht, weil: Immer wenn mich jemand beleidigt, dann steigt bei Mikki der Serotoninspiegel gleich mal um zwei oder drei Windstärken. Aber die Susi meint das fast mit Zuneigung, jedenfalls denke ich mir das immer so, wenn ich sie mir genauer anschaue. Und ich verwende das Wort 'denken' jetzt hier in einem ganz allgemeinen Sinn ohne Vorzeichen. Ich sagte:

"Die lächelt so nett."

Aber ein zufriedenes Gesicht ist bei Mikki wie die Dinosaurier: erst riesengroß, und bevor man noch mal hinschauen kann, sofort wieder ausgestorben. Er ließ seine Glubschaugen gequält über den Tisch wandern. Ich glaube, er versucht damit zu zeigen, dass er irgendwie nachdenkt. Ich sagte:

"Was ist denn mit dir los? Zu enge Socken an?"

"Ach, halt die Klappe und bestell mir lieber noch einen!"

"Susi", rief ich, aber das war nicht nötig, weil sie schon wieder Kurs auf uns genommen hat, und zwar mit genau dem richtigen Tablett voller Sachen, die wir wahrscheinlich sofort bestellt hätten - mit Eis.

Einfach eine klasse Frau, und dazu kommt, dass sie diesen tollen blonden Pferdeschwanz hinten am Kopf dran hat. Vielleicht war es das Licht, vielleicht die Chemie - auf jeden Fall schimmert ihr die Haarfarbe etwas grünlich. Dadurch wirkt sie gleichzeitig bodenständig und entrückt, wie ein Erzengel mit Müsli-Resten zwischen den Zähnen. Ich sagte zu Mikki:

"Also die Feli? Oder was qualmt, Alter?"

"Ja, und wie! Albrecht, das hält nicht mehr lange ..."

"Schade drum!"

"Jetzt werd mal bloß nicht zynisch, Buddy."

"Nein, hab ich absolut ernst gemeint; ich finde, ihr beiden passt zueinander."

"Achwas?"

"Ja klar, ihr seid beide hoffnungsl... ähm, ich meine, glaubst du, da ist noch was zu retten?"

"Wenn ich nur wüsste, wie ..."

"Ich habs: Schenk ihr was: Kauf ihr paar Meter Stacheldraht oder ein paar neue Massenvernichtungswaffen ... Da freut sie sich bestimmt."

"Bestimmt!"

Er wirkte nicht so ganz überzeugt. Ich sagte:

"Oder ein Abo für die Tageszeitung von Mordor."

"Blödsinn!"

Da war es! Nur eine Frage der Zeit, und Mikki sagt das zu mir, so sicher wie der Samen in der Kirsche. Das ist nämlich zurzeit noch einer von meinen Lieblingswitzen: Samen in der Kirsche! Ist aber leider nicht von mir. Hab ich geklaut. Komisch, dass die meisten Leute das überhaupt nicht witzig finden. Aber ich kann mich darüber totlachen.

Dann haben wir ein richtig gutes Brainstorming gemacht, der Mikki und ich, also überlegt eben, was man machen kann, damit die Felizitas wieder anfängt, die Dinge ein bisschen lockerer zu sehen, weil, der Punkt ist doch der: Die beiden haben sich in der ganzen Zeit dauernd getrennt und wieder vertragen und man will ja nicht, dass die Leute auseinandergehen, ohne dass man es mitkriegt. Also denkt man nach und schaut zu, wie man was tun kann, dass es wieder eine Weile lang klappt. Ich sagte:

"Die Feli hat zurzeit Ärger im Job; schenk ihr 'n Fass Oropax forte."

"Hat sie schon."

"Du könntest mit ihr Frustsaufen gehen, hab ich früher mit der Jenny auch immer gemacht."

"Hab ich schon versucht ... schlechte Idee."

"Stimmt! Verträgt zu viel, wird teuer.”

"Oder?"

"Doch! Also: Schick sie nach ... vielleicht ... warte mal: he, Susi?"

"Wattn?"

Zack - da stand sie schon direkt vor uns; ich frage mich, wie sie das macht. Wahrscheinlich ist der ganze Raum im Newton voll mit unsichtbaren Kopien von der Susi, und immer, wenn man sie ruft, materialisiert sich die räumlich nächste direkt vor dir. Ich sagte:

"Susi, angenommen, wir zwei wären ein Liebespaar ..."

Sie machte einen Schritt zurück:

"Soll det n Witz sein, oder wat?"

"Nee, jetzt mal nur ganz theoretisch."

"Dabei bleibtet aber auch bitte."

"Und nimm an, wir hätten uns gestritten. Was würdest du dann hinterher machen?"

"Na, denn würd ick dich inner Charité besuchen komm, Innensivstation."

"Innensivstation? Halt die Klappe, Susi, wir brauchen echt kurz deine Hilfe."

"Noch 'n Weißwein un'n doppelta 'presso, ja?"

"Mokka gibts ja nicht in dieser Absteige hier."

"Also wat?"

Sie tat so, als würde sie gleich wieder abhauen, aber sie blieb stehen. Und: Ich schaute mich um: Es waren keine anderen Gäste da, es gab also überhaupt keinen Grund, so blöd rumzuflaxen. Ich sagte:

"Susi, es gibt überhaupt keinen Grund, so blöd rumzuflaxen. Hör einfach mal zu, ja?"

"Okay?"

"Und wie könnte ich das machen, dass du dann nicht mehr böse auf mich bist?"

"Na, det hängt ja wohl janz davon ab, wat´de ausjefressen hast, Maus, oder?"

Maus!

"Hm, gut, danke!"

Da hab ich eingesehen, dass es keinen Zweck hatte, mit der Susi weiter zu diskutieren, weil: Wo sie Recht hat, da hat es eben keinen Zweck. Ich sagte:

"Mikki, das bringt alles nichts. Wir haben nur noch eine Chance!"

"Hm?"

"Wir müssen die Wibke Schmidt fragen, oder den Chris ..."

"Wer ist das?"

"Das ist mein Mitbewohner, du Urmensch!"

"Ach, der!"

Was ich überhaupt nicht verstehen kann, das ist, warum sich der Mikki nicht merken kann, wie mein anderer Mitbewohner heißt; dabei ist das total einfach: Er heißt Chris!

Und der Mikki ist in dieser Hinsicht ganz genau so drauf wie die Jenny, die kann sich das auch nicht merken, obwohl sie in der gleichen Wohnung wohnt wie ich und der Chris. Kann sich das einfach nicht merken. Das hab ich dann versucht, ihm im Taxi zu erklären, als wir wieder zu mir gefahren sind. Weil: Der Mikki fährt immer nur Taxi. Die U-Bahn erinnert ihn an die Sterblichkeit, sagt er. Aber er hat nicht gesagt, an wessen Sterblichkeit.

"Wibke", sagte ich, als wir dann bei mir in der Küche waren, der Mikki und ich: "Wir brauchen dich, der Mikki hängt im Gully, und zwar mit dem Kopf nach unten!"

Sie sagte:

"Ich weiß, ich weiß."

Die Wibke Schmidt ist einfach unglaublich. Die weiß immer schon alles. Der Chris war auch da, und er lächelte ebenfalls allwissend.

"Wie jetzt: Du weißt schon wieder alles?"

Sie nickte und schluckte irgendwas runter, was zu ihrer Diät gehört, sie sah selber ein bisschen so aus wie ein Stück Vollmilch-Nuss-Schokolade.

"Felizitas war hier, wenn du dich erinnerst, und ich kann zuhören."

"Ach?"

"Na, sie vertraut mir eben ab und zu was an."

"Hat diesmal nichts damit zu tun, dass du hellsehen kannst?"

"Diesmal nicht ..."

Mikki schaute sich in der Küche um:

"Was ist denn das für ein Geräusch da?"

Aus meinem Zimmer kam Country Musik gescheppert.

"Das ist Rocky Top von Loretta Lynn und natürlich die Jenny, der alte Querschläger; sie singt mit ...", sagte ich - im Punkt Country, da bin ich so was wie eine absolute Stil-Epigone.

"Hä? Was bist du?", funkte mir die Wibke Schmidt wieder ins Hirn, aber ich hab das erst mal ignoriert, weil es mir jetzt erst mal nur um die Sache ging, und ich hatte keine Zeit, der Wibke schwierige Fremdwörter zu erklären.

"Hat sie die ganze Zeit gesungen, während wir beinahe beim Sport waren?"

Chris hob seine enormen Fleischmassen an und sprach durch seinen Bart folgende Worte:

"Zwischenzeitlich hatte sie - wohl, um ihre Stimme zu schonen - eine kurzfristige Pause eingelegt, allerdings nur, um dann mit verstärkter Intensität und unter Verwendung einer anderen Melodie erneut anzuheben."

Da habt ihr meinen Mitbewohner Chris. Er redet immer so gezimmert, oder zumindest fast immer, weil er irgendwie so drauf ist, dass er nicht reden kann, wie normale Leute. Ich glaube inzwischen: Das hat damit zu tun, dass er kein Abitur hat. Der Mikki schaute den Chris mit offenem Mund an.

Aber der Chris hat Recht: Die Jenny mag Loretta Lynn zurzeit über alles. Und was ich so toll finde, das ist, dass Loretta Lynn eigentlich immer nur über sich selber singt, wie sie ganz einfach und bescheiden angefangen hat, und dass sie aus einer ziemlich armen Familie kommt. Darüber singt sie ja auch in Coal Miner's Daughter.

Dann hat sie geheiratet, und das muss man sich mal vorstellen: Eines Tages hat ihr Mann ihr eine Gitarre geschenkt, weil er, als er mal nüchtern war, gemerkt hat, dass sie, also die Loretta Lynn, eine grandiose Stimme hat. Denk mal an die Zeit damals, das war nicht selbstverständlich. Damals kriegte man als Frau höchstens mal eine Bratpfanne zum Geburtstag, wenn man das Jahr über brav gewesen ist.

Und von da an ging es aufwärts mit allem, was sie gemacht hat, und das Ende von der Geschichte ist, dass die beiden sich den Mittleren Westen gekauft haben. Nur durch die Musik finanziert; ich find das super. Aber das nur am Rande, denn es ging mir ja um was ganz anderes. Ich sagte:

"Mikki, schau mal, das hier, das ist der Chris. Erinnerst du dich jetzt?"

"Ja, klar, was soll das, du Depp? Hallo, Chris!"

Chris tat so, als würde er sich im Sitzen verbeugen: wahrscheinlich, damit der Heiligenschein nicht verrutscht: Ich hab noch nie einen Menschen wie den Chris gesehen, auch nicht zwei, weil: Ich meine jetzt nicht nur, dass er so fett ist, wie zwei Sumoringer in Missionarsstellung, oder dass er schlimmer redet als der Duden auf Koks, sondern auch, was er alles so macht:

Der Chris ist ein Guru und bringt Leuten bei, wie man es schafft, dass man immer locker bleibt, ganz egal wie hoch die Konzentration an Vollidioten in der unmittelbaren Umgebung gerade ist.

Und das Tolle ist: Bei ihm klappt das sogar, der regt sich einfach nie auf, egal, was du machst. Ich hab noch nie gesehen, dass der irgendwie schräg im Strudel hing und sich die Ohren zugehalten hat.

Zum Beispiel, als ich noch mit Ölfarben und Pinseln gemalt habe und er wegen der Lösungsmittel diese unglaublichen Ausschläge auf den Armen gekriegt hat, oder als Manu in meiner Wohnung ihr blödes Kind zur Welt gebracht hat, da hat er sich auch nicht aufgeregt, ist ganz ruhig geblieben und hat alles organisiert, während ich die Tapeten angeknabbert habe. Weil: Ich werde ja ganz schnell nervös in der letzten Zeit, aber das liegt auch an dem ganzen Kaffee und dem Serotoninspiegel.

Er sagt, also der Chris, wenn man das einmal kapiert hat, dann geht das irgendwie immer. Und außerdem ist er auch noch mein Agent geworden, also ich meine jetzt, das ist natürlich schon zweitens.

Weil: Wenn ich eine Sache nicht leiden kann, dann ist es Papierkram und solche Sachen, für eine Ausstellung und so was, dann übernimmt das alles der Chris für mich, und ich bin ihm total dankbar. Aber andererseits zahlt er ja auch keine Miete im Moment. Wir regeln das immer irgendwie ohne Geld, was bleibt mir auch übrig? Ich kann ihn ja schlecht rausschmeißen. Ich sagte:

"Also, was schlägst du vor, Wibke?"

Ich komme nämlich immer gerne auf das Thema zurück, weil: Ich denke absolut ergebnisorientiert und zielstrebig und mag das nicht, wenn das so durcheinandergeht. Deswegen hab ich ja auch mein Studium abgebrochen damals kurz vor dem ersten Semester, weil mir das alles zu chaotisch gewesen ist, da an der Uni. Ich schaute die Wibke an. Sie sagte:

"Wegen Felizitas? Ganz einfach!"

Sie setzte sich hin und schaute erst mal auf den Kühlschrank.

"Machen Sie es doch bitte nicht immer so spannend, Frau Schmidt!"

"Na, sie hat doch bald Geburtstag."

"Echt?", sagte Mikki.

Und Albrecht, der Idiot, sagte sogar noch:

"Wann denn noch mal genau?"

"Ihr wisst nicht, wann Feli Geburtstag hat? Freund und Bruder? Typisch!"

"Normalerweise weiß ich das schon, nur, wann es in diesem Jahr ist, hab ich halt vergessen."

Die Temperatur im Raum sank sofort um einen nennenswerten Betrag. Frauen sind einfach die besseren Thermostaten, wenn's drauf ankommt. Die Wibke Schmidt sagte:

"Wir können für sie eine Überraschungsparty machen, Mikki, du hast sicher einen Schlüssel?"

"Extra machen lassen, sogar."

"Schau mal an!"

Und dann haben wir angefangen, alles ganz genau zu planen, weil nichts mehr Vorbereitung braucht als eine spontane Überraschungsparty. Mikki war zuerst ganz schön skeptisch, aber dann kam er sogar mit eigenen Ideen an:

"Wir könnten 'ne Stripperin engagieren ... Ich kenn da eine echt Gute."

"Oh Gott, Mikki! Das arme Mädchen", hab ich gesagt, und ich meinte die Stripperin. Weil: Die Feli kennt weniger Gnade als ein Waldbrand. Er sagte:

"Nur ne Idee ..."

"Du bestellst keine Stripperin", hat die Wibke Schmidt gesagt und dabei eine Pfanne in die Hand genommen. Ich sagte:

"Okay: Dann ruf ich erstmal die Feli an und frag sie ganz unauffällig, was sie an ihrem Geburtstag so alles vorhat, oder ob überhaupt und so ..."

"Also, lass doch lieber mich anrufen morgen; bei dir würde sie misstrauisch werden, vor allem, wenn du ganz unauffällig bist ..."

"Wie jetzt?"

"Unauffällig liegt dir nicht."

"Also, das ist jetzt aber Quatsch."

"Komm, mein Dicker, lass mich das machen; ich krieg das für uns raus. Ist wirklich besser, und ich ruf paar Kollegen von ihr an."

Ich sagte:

"Wenn es dir sooo wichtig ist, Wibke", aber was sie hörte, war:

"Aye-aye, Sir!"

Die Wibke Schmidt ist unglaublich, macht einfach alles für mich, und das Tolle ist ja gerade, dass sie mir das nie auf die Stulle schmiert, im Nachhinein. Jedenfalls, was sich dann rausgestellt hat, war wieder mal typisch Felizitas: Die wollte nämlich an ihrem Geburtstag überhaupt gar nichts machen, sondern ganz normal arbeiten gehen, wie an jedem anderen Tag auch, dann nach Hause und nur in die Badewanne mit ihren Sprudelseifen und den albernen Schwimmkerzen.

Aber für uns war das natürlich absolut super, weil: Stell dir vor, du kommst heim von der Arbeit, an deinem Geburtstag, und dann kriegst du eine Party geschmissen: Alle deine Freunde sind da, und es wird total lustig, und alle freuen sich. Das ist doch ein herrliches Gefühl! Auch, wenn du immer sagst:

"Komm, lass mal, das brauch ich nicht. Mir sind Geburtstage nicht so wichtig."

Und wenn dann wirklich keine Sau kommt, dann denkst du dir die ganze Zeit:

"Irgendwas sollte jetzt aber doch noch passieren, Scheiße: Ich bin ja selber schuld, dass da nichts läuft, und sowieso hab ich heute irgendwie den Eindruck: Keiner denkt an mich. Schweinerei."

Aber dann geht auf einmal voll das Fest ab. Alle kommen mit Sekt und Würstchen, Tiramisu, irgendeiner hat Nudelsalat mitgebracht und dann noch die ganzen Geschenke oder was es gibt, Musik, ein paar Leute tanzen, und wenn du Glück hast, bleibt einer der Gäste über Nacht und sagt dir ein paar Gemeinheiten, bevor er dich flachlegt: Genau so muss ein Geburtstag laufen, wenn er durch den TÜV soll.

Es waren insgesamt achtzehn Kästen Drinks und paar Taschen voller Sachen, die wir nach Charlottenburg gebracht haben, in den dritten Stock, wo sie wohnt, und als wir die Sachen gerade reintragen wollten, kamen uns von oben drei Typen entgegen, die so aussahen, als würden sie auch was von Partys verstehen.

Sie strahlten uns an, als sie die Ware gesehen haben. Ich strahlte sie zurück an und sagte:

"Hi, na?"

"He, was geht denn hier so?"

"Kleine Überraschungsparty heute Abend ..."

Dieses Wort schien eine absolut solide Wirkung auf die Drei zu haben. Sie strahlten noch viel mehr. Ich strahlte wieder zurück: Die Strahlerei wurde langsam anstrengend, weil: Ich hatte in jeder Hand einen Bierkasten, und die wiegen was nach zwei Stockwerken, kann ich euch sagen.

Weil: Das ist ja so: Gewicht ist Masse mal Beschleunigung im Quadrat, und deswegen kommt man mit zwei Kästen Bier schneller in den ersten Stock als in den Dritten, also mir geht das zumindest so. Ich sagte:

"Wohnt ihr auch hier?"

"Ja."

"Ja, dann: Wollt ihr nicht auch vorbei kommen, als Nachbarn ..."

"Cool, wir feiern schon seit zwei Tagen unser Examen, bei uns oben so."

"Viele Leute?"

"Sieben, acht, so."

"Kommt später einfach runter!"

"Cool!"

"Oder?"

Naja, und dann ist das so weitergegangen mit der Party: Das Wohnzimmer sah anders aus als sonst. Weil die Felizitas natürlich die Renovierung gleich dazu benützt hat, alles andere auch noch zu verändern, das Wohnzimmer war jetzt gelb gestrichen, weil sie das freundlicher findet, die Felizitas, und neue Möbel hatte sie auch, bis auf sie selbst war der ganze alte Kram verschwunden, aber wir haben erst mal Platz gemacht und die ganzen Vasen und italienischen Glasklumpen ins Schlafzimmer gebracht, damit nichts passiert.

Von meinen Leuten waren die Wibke Schmidt, der Chris und der Mikki da, ich und der Orest, weil: Der wohnt ja bei der Feli, der Arme. Der kam trotzdem erstmal ins Bad, und ich hab ihm paar Handtücher zum Zerfetzen gegeben.

Die Jenny wollte später nachkommen, weil sie noch was kaufen musste, wahrscheinlich ein Geschenk, oder was, obwohl das gar nicht nötig war im Grunde, bei den ganzen Würstchen, die wir schon gekauft hatten. Mir geht das immer so. Wenn ich die Wahl habe zwischen einem verpackten Geschenk und einem Teller Würste, da muss ich nicht lang nachdenken: im Zweifel immer für die Wurst.

Jedenfalls hab ich das gesagt, aber die Frauen haben gesagt, dass ich überhaupt keinen Stil habe, und deswegen ist die Jenny eben noch einkaufen gegangen. Komischerweise hat sie Blumen gekauft, das passt überhaupt nicht zur Jenny sonst. Sie ist eher jemand, der sich über eine Freikarte für die World Wrestling Champions freut.

Wer als Erster damit angefangen hat, schon mal eine Flasche aufzumachen, das weiß ich gar nicht mehr so genau, wahrscheinlich bin ich das gewesen. Jedenfalls war auf einmal die erste Flasche auf, obwohl wir eigentlich auf die Felizitas warten wollten. Mikki hatte plötzlich auch eine Flasche in der Hand und hat das gesagt, was er immer sagt, wenn er einen Toast spricht: jedes Mal der gleiche uralte Witz:

"Ein Hoch auf die Leber: Sie verwandelt Bier in Lebensfreude! Und auf Felizitas, den Grund für meinen Leberschaden! Lang sollen sie alle miteinander lebern äh, leben!"

Mit diesem Witz wurden damals auf der Arche Noah die Dinosaurier ausgerottet, so alt ist der. Aber das ist dem Mikki egal.

"Auf die Felizitas!", haben wir alle gesagt und angestoßen, und so kam die Party ins Rollen, das muss so gegen halb acht Uhr gewesen sein. Aber sie kam nicht und kam nicht, die Felizitas.

Und der Punkt ist jetzt, dass man eine Überraschungsparty nicht lenken kann, wenn sie mal angefangen hat. Der Doppelpunkt ist: Die Party kam sogar viel schneller in Schwung, als wir gedacht hatten; sie entwickelte ein Eigenleben und machte voll einen drauf.

Zuerst kamen paar Kollegen aus ihrer Redaktion, jeder mit einer Flasche Prosecco und anderen Sachen, dann noch paar Leute und zwei Frauen aus Felis Yoga-Kurs und die alten Kameraden aus ihrer Zeit bei der Fremdenlegion, die hatten alle gehörigen Hunger und Durst, und weil wir die Gastgeber waren, haben wir allen schon mal was Kleines angeboten, aber die Felizitas kam immer noch nicht ... Dann hat einer den Rum gefunden, den die Feli unter dem Kühlschrank aufbewahrt, alle neun Flaschen.

Die Party hat um zehn Uhr dann alle Schallmauern durchbrochen, und es war richtig voll geworden, da in der Wohnung.

Dann kriegten wir Hunger, bis jemand auf die Idee kam, dass wir schon mal mit den Würstchen anfangen könnten, dann der Senf und die Brötchen und der Sekt, Nudelsalat und auch die ganzen Trauben, und der große Topf mit Chili con carne war sofort ziemlich leer, aber das lag auch daran, dass er mal kurz umgefallen ist.

Nur das Tiramisu wurde von der Wibke Schmidt strikt verteidigt. Jedenfalls, bis es wieder an der Tür klingelte und sie kurz unaufmerksam war. Dann hat sie mich von hinten umarmt und mir ins Ohr gesagt:

"Weißt du was?"

"Hm?"

"Ich such die ganze Zeit schon nach 'nem Spitznamen für dich."

"Eh?"

"Na, also, Albi, Schatzl, Dummkopf und so, das reicht halt nicht"

"Im Gegenteil!"

"Was?"

"Ich finde das sogar schon zu viel ..."

"Du Depp!"

"Ah, siehst du, da ist noch einer. Ich muss jetzt los."

Dann haben wir getanzt, die Jenny und ich, und dann wieder ich mit der Jenny, und dabei sind die ersten Weinflecke auf dem Teppich entstanden, aber das war nicht so schlimm, da haben wir einfach die Sitzgruppe umgestellt, so dass man nichts mehr sehen konnte.

Weil: Die Jenny hat zwar eine nette Stimme, aber wenn man mit ihr tanzt, hat man immer das Gefühl, dass die Anzahl von ihren Beinen nicht stimmt: zu viele für eine Frau, aber zu wenig für ein Pferd, wenn man es konservativ betrachtet.

Deswegen geht auch immer so viel zu Bruch, da wo sie herumtrabt. Dann haben Felis Kollegen aus der Redaktion angefangen, im Bad zu koksen und sind wütend geworden, weil Orest so laut gebellt hat, dass es dauernd im Koks gestaubt hat.

Schlimm wurde es aber erst, als die andere Party von oben dazu gekommen ist, weil die Typen schon seit Tagen dabei waren und überhaupt keine Hemmungen mehr kannten. Dann haben sie Karaoke gemacht.

Die Yoga-Mädels von Feli fanden das gut und sind abgegangen wie eine Herde Gnus in der Serengeti, das war, kurz bevor das neue Sofa Feuer fing, und mit Bier gelöscht werden musste; gut, dass ich so schnell reagiere, wenn es brenzlig wird und immer ein Bier in der Hand habe. Eiskalte Nerven plus deutsches Reinheitsgebot sind ein unschlagbarer Löschmix. Man darf halt nix nehmen, was viel Alkohol hat.

Die erste Schlägerei ging darum, dass einer von den Redakteuren versucht hat, die Jenny zu begrapschen, und dazu muss man wissen, dass es eigentlich selbst von hinten richtig schwer ist, die Jenny zu verfehlen, weil sie sich so komisch bewegt beim Tanzen.

Aber genau das ist die Fallgrube bei ihr. Da sollte man sich nichts vormachen. Die Jenny mag das nämlich überhaupt nicht, wenn man sie ohne Visum befummelt, da hat sie sich umgedreht und ihre Faust lang gemacht. Das ging superschnell, und: Wir mussten alle sehr lachen, als der dumme Redakteur gegen das Aquarium gerasselt ist. Dann hat die Jenny gesagt:

"Tutmirleid aberdasis´beimirautomatisch."

Die Fische haben wir gerettet und zu den Bierflaschen in der Badewanne getan. Da hatten sie viel mehr Platz. Der Orest fand das auch sehr interessant.

Als das Striptease-Telegramm gekommen ist, hat das die Stimmung noch mehr angefeuert, und am Schluss, das muss ich leider sagen: Da sah es in der Wohnung nicht mehr so ordentlich aus wie am Anfang, auch, dass in der Küche jemand mit Tomatenmark an den Schrank geschrieben hat: "Happi Byrthday, Litzi!", das war nicht unbedingt eine Verbesserung im Sinn der Toskana oder was es war, was die Felizitas sich da ausgedacht hatte für ihren neuen Lifestyle, aber die Idee an sich fand ich gut, da einen Gruß hinzuschreiben, weil: Der Schrank, das war eine riesige leere Fläche. Das inspiriert einen halt.

Die zweite Schlägerei war etwas kürzer als die erste, aber seitdem wackelt mir ein Schneidezahn. Das kam, weil: Ich wollte grade aus der Flasche trinken, da hat einer den Ellenbogen von unten gegen meine Flasche gehauen. Dann haben sich zwei von Felis Kollegen, die mit dem Koks, halbnackt ausgezogen und Armdrücken gemacht und die Ersten haben sich schon ins Schlafzimmer verzogen, oder zum Bleigießen in die Küche.

Und dann ist es passiert: Da stand auf einmal die Felizitas vor uns, so hoch wie ein amerikanischer Atompilz in der Wüste von Nevada.

Und: Das Komische an der Felizitas ist ja, dass sie immer automatisch denkt, dass ich an allem schuld bin, wenn mal was passiert, und dabei hab ich weder gekokst noch mit der Jenny rumgeprügelt. Ich meine, gut, die Weinflecke unter dem Sessel gehen schon auf mein Konto, das geb ich zu, aber die konnte sie zu dem Zeitpunkt überhaupt nicht gesehen haben, weil wir ja diesen einen Sessel draufgestellt hatten. Und zu meiner Verteidigung muss auch gesagt werden, dass ich es war, der das Feuer gelöscht hat.