Mobility - Patrick Meinart - E-Book

Mobility E-Book

Patrick Meinart

0,0
24,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
  • Herausgeber: Riva
  • Kategorie: Fachliteratur
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2018
Beschreibung

Wenn wir von Bewegung sprechen, denken wir an Gliedmaßen, Muskeln, Sehnen und Knochen, Herz und Kreislauf. Doch tatsächlich laufen alle unsere Bewegungen auch als neurologische Muster im Gehirn ab, und zwar bevor und während sie in sichtbare Bewegungen umgesetzt werden. Dieses Buch nimmt eine neurozentrierte Sichtweise auf unsere Bewegungen ein und rückt das Gehirn in den Fokus. Der Mobility-Experte Patrick Meinart und die Wissenschaftsjournalistin Johanna Bayer stellen dar, wie Bewegung und Mobilität vom Gehirn gesteuert und beeinflusst werden und wie wir neurologische Muster durch Training umprogrammieren und verbessern können, um Leistungsblockaden zu lösen, Schmerzen zu beseitigen und Beweglichkeit zurückzugewinnen. Neben der ausführlichen Darstellung der Neurophysiologie, der Biomechanik, der Prinzipien des Mobility-Trainings sowie einem Vergleich zum funktionellen Training und zum Stretching werden Themen wie Körperhaltung, chronische Schmerzen, Techniken und Geräte behandelt. Mit über 100 bebilderten Übungen, die ausführlich beschrieben sind, setzt dieses Buch neue Standards. Die praxistaugliche und verständliche Darstellung der Zusammenhänge zwischen Körper und Gehirn macht es für Trainer, Athleten und Laien gleichermaßen wertvoll.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB

Seitenzahl: 318

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Patrick Meinart

mit Johanna Bayer

MOBILITY

DAS GROSSE HANDBUCH

Patrick Meinart

mit Johanna Bayer

MOBILITY

DAS GROSSE HANDBUCH

Mit über 100 Übungen

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie. Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://d-nb.de abrufbar.

Für Fragen und Anregungen

[email protected]

Wichtiger Hinweis

Dieses Buch ist für Lernzwecke gedacht. Es stellt keinen Ersatz für eine individuelle medizinische Beratung dar und sollte auch nicht als solcher benutzt werden. Wenn Sie medizinischen Rat einholen wollen, konsultieren Sie bitte einen qualifizierten Arzt. Der Verlag und die Autoren haften für keine nachteiligen Auswirkungen, die in einem direkten oder indirekten Zusammenhang mit den Informationen stehen, die in diesem Buch enthalten sind.

Originalausgabe

1. Auflage 2018

© 2018 by riva Verlag, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH

Nymphenburger Straße 86

D-80636 München

Tel.: 089 651285-0

Fax: 089 652096

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten.

Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Redaktion: Caroline Kazianka, Stefanie Heim

Umschlaggestaltung: Manuela Amode, München

Umschlagabbildung: shutterstock/Galkin Grigory

Weibliches Model: Malin Pettersson

Alle Bilder im Innenteil von David Leonhardt, außer: Daniele Fond 11; Kevin Speer 6; Mary Evans/Natural History Museum 25; Patrick Meinart 57; Patrick Meinart/riva Verlag 17, 64, 73

Shutterstock: A.RICARDO 30; Andrii Vodolazhskyi 12; Atstock Productions 262; BigMouse 18; Bojan Milinkov 53, 79; ChooChin 82; Designua 21, 34, 84; ducu59us 24; Dziurek 39; fizkes 60, 94, 104; Gehrke 42; Goran Bogicevic 250; Jacob Lund 56; maxpro 35; Microgen 268; Mirinae 76; Nazar Skladanyi 89; Nejron Photo 272; Photology1971 45; Pretty Vectors 22; Richard Paul Kane 47; stihii 253; VectorMine 20, 92; Yulia Glam 76

Layout: Katja Muggli, www.katjamuggli.de

Satz: Satzwerk Huber, Germering, Melanie Kitt

Druck: Florjancic Tisk d.o.o., Slowenien

eBook: ePubMATIC.com

ISBN Print 978-3-7423-0211-3

ISBN E-Book (PDF) 978-3-95971-673-4

ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-95971-672-7

Weitere Informationen zum Verlag finden Sie unter

www.rivaverlag.de

Beachten Sie auch unsere weiteren Verlage unter

www.m-vg.de

Inhalt

Mein Weg zum Mobility-Training

Teil 1 Die Grundlagen des Mobility-Trainings

Kapitel 1 Bewegung und das Gehirn

Wie funktioniert das Zentralnervensystem?

Die Aufgaben des peripheren Nervensystems

Das Gehirn verändert sich ein Leben lang

Body Maps – Landkarten der Bewegung

Das Lernen von Bewegungen beginnt früh

Das Gehirn sorgt sich um das Überleben

Fallgeschichte: Eine alte Narbe am Knie macht Schulterprobleme

Kapitel 2 Biomechanik und Mobility-Training

Das Gehirn reagiert auf Störungen

Die vernetzten Gelenke und ihre Rolle bei Bewegungen

Fallgeschichte: Schmerzen in Hüfte und Schulter

Kapitel 3 Stretching und Mobility – die Unterschiede

Wann Dehnen trotzdem sinnvoll ist

Wie wichtig ist Beweglichkeit im Mobility-Konzept?

Bringt Dehnen Vorteile bei Verletzungen?

Auch Kraft ist wichtig

Fallgeschichte: Hartnäckiges Stretching hilft nicht

Kapitel 4 Mobility und funktionelles Training

Die Prinzipien Mobilität, Stabilität und Steuerung

Selbsttest Core-Stabilität

Teil 2 Prinzipien und Technik im Mobility-Training

Kapitel 1 Was Mobility-Training ausmacht

Das Mobility-Kontinuum

Bewegungsumfang und Belastung

Maximen für die Praxis

Fallgeschichte: Wann es Zeit ist, den Stresseimer zu leeren

Kapitel 2 Die richtige Körperhaltung

Narben wirken auf die Haltung

Variation fördert die Kontrolle

Kapitel 3 Grundlegende Techniken und Geräte

Wie die Atmung die Muskelspannung beeinflusst

Spannungskontrolle und Tempo

Beweglich oder steif – eine subjektive Einschätzung

Faszienrollen sind nicht Teil des Mobility-Trainings

Der Nutzen manueller Techniken

Teil 3 Mobility Drills – die Übungen

Kapitel 1 Klarer Fokus – präzise Ausführung

Tempo und Stufen der Geschwindigkeit

Wie geht es los? Mobility Drills zum Aufwärmen

Wie trainieren? Von basic bis advanced

Wie oft trainieren? Die Frequenz

Wie lange trainieren? Das Volumen

Wie viele Wiederholungen?

Wie stark? Die Intensität

Kapitel 2 Stretches

Kapitel 3 Mobility Drills basic

Kapitel 4 Mobility Drills intermediate

Kapitel 5 Mobility Drills advanced

Teil 4 Schmerzen und Verletzungen

Was genau ist Schmerz?

Mobility-Training als Kampfansage gegen chronische Schmerzen

Probleme und unverbindliche Vorschläge

Was Sie noch tun können

Fallgeschichte: Schwerverletzt nach Autounfall

Anhang

Glossar

Autorenviten

Literaturtipps

Mein Weg zum Mobility-Training

Wir trainieren, um besser zu werden. Und wir werden besser, wenn wir beweglich sind. Das ist, in aller Kürze, der Kern des Mobility-Trainings. Es spielt dabei keine Rolle, ob es sich um ambitionierte Profis oder um Hobbysportler mit Spaß an der Sache handelt. Der Mitbegründer von Nike, Bill Bowerman, hat das einmal so formuliert: »If you have a body, you are an athlete« – »Wenn du einen Körper hast, bist du auch ein Sportler.«

Am Beginn meines Weges als Sportler stand zunächst einmal tatsächlich eher ein Körpergefühl: Ich spürte, dass Yoga und Beweglichkeitstraining mir halfen, mich in meinem Körper besser zu fühlen. Als Jugendlicher war ich begeistert von Kampfsportlern, die für mich perfekte Kontrolle und Beweglichkeit verkörperten. Also begann ich mit Judo, probierte Karate aus, ging dann über zum Thaiboxen und landete schließlich beim Luta Livre, einer brasilianischen Wrestling-Sportart. Hier wird zwar keine perfekte Beweglichkeit vorausgesetzt, aber es war die Körperbeherrschung, die mich faszinierte. Mit 16 Jahren hatte ich auch meine erste Yogastunde. Da ging es plötzlich um Körper und Geist, das war ein neuer Aspekt. Und auch hier sprach mich vor allem das Verbinden und Überschreiten von engen Grenzen an. Interesse an Krafttraining hatte ich damals kaum, was sich zum Glück noch ändern sollte. Später stieß ich auf Alvaro Romano und Steve Maxwell, die ebenfalls aus dem Kampfsport kamen und daraus eigene Bewegungskonzepte kreiert hatten. Mir gefiel die Idee, im Training den eigenen Körper ohne jegliches Equipment zu nutzen und die persönlichen Grenzen auszuloten.

Als ich mein Psychologie- und Sportstudium begann, war ich, sehr zur Freude meiner Gymnastik-Tanz-Dozentin, begeistert von allen Formen des Beweglichkeitstrainings, anders als viele meiner männlichen Kommilitonen. Aber damals, in den 2000er-Jahren, gab es in Deutschland noch nicht viele Trainer, die sich speziell mit dem Thema Beweglichkeit unabhängig von bestimmten Disziplinen beschäftigten. Ich musste also ins Ausland schauen.

Vollends überzeugt hat mich schließlich Eric Cobb von Z-Health. Seine neurozentrierte Sichtweise habe ich in mein Mobility-Training integriert – ohne die Inspiration von Dr. Cobb würde es dieses Buch nicht geben. Und doch habe ich meinen ganz eigenen Ansatz entwickelt und arbeite anders als Trainer, die sich Mobility ebenfalls auf die Fahnen geschrieben haben, wie zum Beispiel mein geschätzter Kollege Kelly Starrett, der Doktor der Sportphysiotherapie ist. Wir unterscheiden uns aber darin, dass ich vornehmlich gehirnbasiert vorgehe, während Kelly sich weiterhin stark auf die Mechanik der Gelenke und die Statik des Körpers konzentriert. Natürlich spielen Anatomie und Biomechanik immer eine zentrale Rolle im Mobility-Training. Für mich ist aber im Verlauf meiner Arbeit die neurophysiologische Seite der Bewegung besonders wichtig geworden, und dafür gibt es nicht nur einen Grund. Im Psychologiestudium habe ich natürlich viel über die Bedeutung des Gehirns gelernt und auch eine Ahnung davon bekommen, welche Rolle es für Bewegung spielt. Der Mobility-Ansatz, Muskeln, Mechanik und Gehirn in der Bewegung zusammenzubringen, war dann etwas ganz Neues. So etwas hatte ich in den konventionellen Trainingswissenschaften noch nie gesehen: einen ganzheitlichen, holistischen Zugang zu Bewegung. Noch dazu sind die Funktionsweisen des Gehirns längst nicht vollständig erforscht und gerade diese Möglichkeit, in neue Gebiete vorzudringen, treibt mich bis heute weiter an. Es wird in allen beteiligten Wissenschaften immer klarer, dass das Wunder der menschlichen Bewegung tatsächlich noch mehr im Gehirn begründet ist, als wir uns das bisher vorstellen konnten.

Unser Körper ist nämlich in einer Vielfalt und Komplexität für Bewegung und Beweglichkeit konstruiert, wie sie in der Natur einzigartig ist. Der Mensch ist das Lebewesen mit dem größten Bewegungsspektrum überhaupt. Das hat auch etwas mit dem Gehirn zu tun. Wenn wir nicht so außerordentliche motorische Fähigkeiten hätten, sähe unser Gehirn wohl anders aus – oder es wäre vielleicht gar nicht vorhanden. Dazu gibt es eine interessante These des Neurowissenschaftlers Daniel Wolpert. Wolpert ist Experte für Neurobiologie und beschäftigt sich mit Robotern, die menschliche Bewegungen nachahmen können. In einem Vortrag, der auf YouTube zu sehen ist, beschreibt er, warum Bewegung für ihn der Grund dafür ist, dass wir überhaupt ein Gehirn haben. Sein Beispiel ist ein primitives Seetier, die Seescheide. Seescheiden können, wenn sie noch im Larvenstadium, also sehr jung, sind, schwimmen und sich orientieren. Dazu haben sie ein Gehirn und ein einfaches Nervensystem. Die Larven suchen nach einem Platz auf einem Felsen, um sich niederzulassen. Sobald sie einen gefunden haben, setzen sie sich fest und bleiben dort bis ans Ende ihres Lebens. Dabei passiert etwas Erstaunliches: Ihr Gehirn verschwindet. Sie fressen es auf.

Die Seescheide, sagt Daniel Wolpert, verdaut nach dem Sesshaftwerden als Erstes ihr eigenes Nervensystem samt Gehirn, weil sie es offensichtlich nicht mehr braucht. Denn was Nerven und Gehirn vorher erledigt haben, nämlich Bewegung und die benötigte Orientierung, fallen weg. Also wird das dazugehörige Inventar beseitigt: »Sobald man sich nicht mehr bewegen muss, braucht man den Luxus eines Gehirns nicht mehr«, sagt Wolpert. Aus seiner Sicht ist das Gehirn nur dazu da, sensorische Signale zu verarbeiten, um Bewegungen planen und ausführen zu können. Weil er selbst von dieser These so überzeugt ist, bezeichnet Wolpert sich übrigens als »Bewegungschauvinisten«.

Die These ist genial und unterstützt für mich den gehirnbasierten Ansatz des Mobility-Trainings: Alles, was Mobility ausmacht, lässt sich mit Bewegung als Hauptfunktion des Gehirns erklären – die Bedeutung der Informationen aus Rezeptoren und Sensoren, der Fokus auf den Gelenken als Signalgeber für das Gehirn und alle Effekte, die das Mobility-Training hat. So gesehen bin ich auch ein Bewegungschauvinist wie Daniel Wolpert oder vielleicht eher ein Beweglichkeitschauvinist.

Der Plan, dieses Buch zu schreiben, ist entstanden, weil die fundamentale Bedeutung des Gehirns für die Bewegung und im Umkehrschluss die der Bewegung für das Gehirn in herkömmlichen Trainingssystemen kaum berücksichtigt wird. Auch gibt es in Deutschland bislang kein Handbuch, das die Grundlagen des Mobility-Trainings zusammenhängend darstellt. Das liegt einerseits natürlich an der Komplexität der Materie. Außerdem haben wichtige Coaches wie Kelly Starrett, Steve Maxwell und Andreo Spina zwar einiges veröffentlicht, aber keiner hat eine systematische Darstellung in Angriff genommen. Es ist nach wie vor schwierig, an verständliche und ausführliche Bücher zum Thema Mobility zu kommen, die auch die neurophysiologischen Grundlagen zumindest grob erklären. Das ist erstaunlich, wenn man bedenkt, wie groß die Welle international seit einigen Jahren ist. Vielleicht liegt es an der Schwierigkeit, die Übungen gut zu beschreiben. Jedenfalls war es meiner Ansicht nach an der Zeit, ein Buch herauszubringen, das sich vertiefend mit Mobility beschäftigt, die Grundlagen der neurozentrierten Perspektive darstellt und das klare Bewegungskonzept samt Übungen zeigt.

Mein persönlicher Erfolg als Trainer hat mit meiner Wende hin zu Mobility erst richtig zugenommen. Zuvor war ich ein Coach unter vielen, dazu Sportphysiotherapeut und am ehesten mit Functional Training beschäftigt. Aber nachdem ich Mobility in mein Coaching eingebaut hatte, haben meine Klienten vom Personal Training viel mehr profitiert und plötzlich Fortschritte gemacht, die weder sie noch ich vorher für möglich gehalten hätten. Auch das ist der Grund, warum ich dieses Buch schreiben wollte. Denn ich bin inzwischen davon überzeugt, dass ein Sportler keine volle Leistung bringen kann, wenn er nicht in der Lage ist, seine Gelenke in vollem Umfang zu bewegen und aktiv zu steuern. Und dass jeder, wirklich jeder, ob in Sport, Alltag oder Reha, von optimaler Mobilität nur profitieren kann. Anders als viele Kritiker meinen, steht beim Mobility-Training nicht nur eine große Beweglichkeit im Zentrum, sondern auch die Kontrolle: Kontrolle der Gelenke in allen Positionen. Es geht also nicht darum, das zu sein, was man allgemein »gelenkig« nennt. Es geht auch nicht darum, Dehnpositionen möglichst lange zu halten oder ins Extreme auszuweiten. Mobilität ist kein passives Merkmal bestimmter körperlicher Strukturen wie der Gelenke oder der Bänder. Mobilität ist vielmehr die aktive Fähigkeit, den vollen Bewegungsumfang auszureizen und Gelenke zu kontrollieren – in jeder Situation und Position.

So verbessert das Mobility-Training die spezifische Leistung in jeder Sportart, die jemand ausübt, ganz gleich, welche das ist. Dass Turner, Tänzer, Kampf- oder Schlagsportler, die schnell die Richtung ändern müssen, von guter Beweglichkeit profitieren, leuchtet sofort ein. Aber sogar Kraftsportler, Gewichtheber, Ringer oder Schwimmer brauchen optimale aktive Beweglichkeit, um ihre höchste Leistung zu erzielen. Und nicht zuletzt verbessert optimale Mobilität immer die Effizienz eines Sportlers, was besonders im Wettkampf, aber auch im Training wichtig ist – und im Grunde auch im Alltag für jeden Menschen. Dabei gilt, dass Mobility kein Training in abgegrenzten Stufen ist und wir keine bestimmten Grade oder Ziele anstreben. Vielmehr geht es darum, die Grundqualität von Beweglichkeit und Koordination zu erhöhen: »It’s not about perfection. It’s about progress« – »Es geht nicht um Perfektion, es geht um Fortschritt« –, ein Zitat aus dem Hollywoodfilm The Equalizer mit Denzel Washington, das zu meinem Motto geworden ist.

Ganz entscheidend ist der gehirnbasierte Trainingsansatz aber auch im Bereich Verletzungen und Verletzungsprophylaxe. Ein gut funktionierendes Kontrollsystem im Gehirn verhindert Verletzungen. Und das Training nach Verletzungen, mit Narben oder in der Reha ist erfolgreich, wenn es die Regeln des Gehirns berücksichtigt, etwa den angeborenen evolutionären Schutzmechanismus.

In Teil 4, »Schmerzen und Verletzungen«, geht es daher nicht um Sport und Leistung, sondern um Mobility als Kampfansage gegen chronische Schmerzen. Da Bewegung und Schmerz beide in den Mechanismen des zentralen Nervensystems wurzeln, sind Bewegungen und Beweglichkeit bei Schmerzen das natürlichste Gegenmittel. »Body is not stiff, mind is stiff«, sagt der berühmte Yogi K. Pattabhi Jois dazu und meint, dass Blockaden in Geist und Seele – modern ausgedrückt: im Gehirn – zu einem schmerzenden und steifen Körper führen. Geht man aber auf die Gehirnmechanismen ein, können die passenden Mobility-Übungen sogar von schweren chronischen Schmerzen, Operationsbeschwerden und hartnäckigen Bewegungseinschränkungen befreien.

Weil Gehirn und Zentralnervensystem so wichtig für Bewegung sind, zieht sich dieses Thema wie ein roter Faden durch das ganze Buch. In jedem Abschnitt, auch bei den Übungsbeschreibungen und in Teil 4, »Schmerzen und Verletzungen«, gehe ich auf die spezifischen Mechanismen des Zentralnervensystems ein. Am Anfang steht ein ausführliches Grundlagenkapitel, denn bevor Sie mit dem Training und den in Teil 3 beschriebenen Übungen beginnen, sollten Sie verstehen, wie das Gehirn Bewegungen plant, Bewegungsmuster speichert, konkrete Bewegungen ausführen lässt und wie umgekehrt Impulse aus Muskeln, Faszien, Haut und Gelenken ins Gehirn gelangen, um dort verarbeitet zu werden.

Alles, was wir im Mobility-Training tun, geschieht konsequent aus der Perspektive des Gehirns und seiner Mechanismen. Diese Sichtweise bezieht sich auf den ganzen Körper und auf sämtliche Gelenke – nicht nur die, die beim Sport besonders belastet werden, wie die Knie, oder solche, die gerade Probleme machen. Optimale oder mindestens gute Beweglichkeit ist generell die Voraussetzung für Gesundheit und schmerzfreies Funktionieren. Dabei ist es erstaunlich, wie Gelenke über Nervenverbindungen und Gehirnsignale miteinander in Verbindung stehen. Auch wenn etwa das Daumengrundgelenk auf den ersten Blick wenig mit der Leistung bei einer Kniebeuge zu tun hat, kann sich eine Dysfunktion in einem kleinen Gelenk negativ auf die Leistung in den großen Gelenken auswirken und sogar die Leistung während einer einfachen Kniebeuge reduzieren. Bleiben Sie also mobil! Der wichtigste Grundsatz für das Training ist dabei, dass wir nie gegen die Prinzipien des Gehirns trainieren, sondern immer mit ihm. Was das bedeutet, möchte ich Ihnen in diesem Buch vermitteln.

Ich wünsche Ihnen viele spannende Erkenntnisse und hoffe, dass Sie neue Impulse für Ihr weiteres Training erhalten!

Patrick Meinart

Teil 1

Die Grundlagen des Mobility-Trainings

Kapitel 1

Bewegung und das Gehirn

Wenn wir von Bewegung beim Menschen sprechen, denken wir primär an den Körper: Unsere Vorstellung von Mobilität ist an Gliedmaßen und Organe gebunden, an Muskeln, Sehnen und Knochen, an Herz und Kreislauf. Doch tatsächlich laufen alle unsere Bewegungen auch als Muster im Gehirn ab, noch während sie umgesetzt werden – und bereits vorher. Diese Muster lassen sich im Gehirn sogar aktivieren, wenn wir uns Bewegungen nur vorstellen und sie nicht einmal ausführen. Ohne diese Ablaufpläne im Gehirn ist Bewegung undenkbar, denn die Schaltzentrale für die motorische Aktivität sitzt im Kopf. Sie ins Training nicht einzubinden wäre daher wie der Versuch, einen Sportwagen ohne Fahrer steuern zu wollen.

Dieser Vergleich lässt sich noch weiter auf Bewegung im biologischen System übertragen: Gehirn und Zentralnervensystem (ZNS, Glossar, Seite 278) stehen dabei für den Fahrer, das Auto für den Körper. Um einen Sieg bei einem Rennen herauszuholen, sollten Fahrer und Wagen in einer optimalen Verfassung sein. Ein Spitzenpilot gewinnt mit einem drittklassigen Gefährt kein Formel-1-Rennen. Umgekehrt schafft es ein schlechter Fahrer auch mit einem Superboliden nicht automatisch aufs Treppchen. Beide Teile des Systems sind wichtig: Der Fahrer muss den Wagen wirklich beherrschen und das Auto selbst sollte optimal in Schuss sein. Im Kontext des Mobility-Trainings geben wir daher der lateinischen Redewendung »Mens sana in corpore sano« – »Ein gesunder Geist in einem gesunden Körper« – eine neue Bedeutung: Für uns beschreibt sie das perfekte Zusammenspiel zwischen dem Zentralnervensystem, dem Steuersystem, einerseits und dem Körper andererseits. Es gibt also nicht das eine oder das andere, vielmehr geht im Mobility-Training das eine nicht ohne das andere.

Bewegungen hängen ebenso stark vom Gehirn und vom Zentralnervensystem ab wie von Muskeln, Sehnen und Bändern.

In der konventionellen Trainingslehre werden Körper und ZNS dagegen häufig getrennt und der Fokus liegt dabei sehr auf dem Körper mit seinen Muskeln, Knochen, Bändern, Sehnen und dem Bindegewebe. Die Schaltzentrale Gehirn sowie ihre Funktionsweise und ihre Bedingungen werden viel weniger intensiv bedacht. Für den gehirnbasierten Ansatz des Mobility-Trainings sollten Sie daher in diesem Kapitel das Zusammenspiel zwischen ZNS und dem Bewegungsapparat verstehen. Erfolg im Sport sowie Mobilität und Bewegungen, wie wir sie im Mobility-Training verstehen, hängen nämlich sehr stark davon ab, wie gut das Gehirn arbeitet. In unserer Auto-Analogie gesprochen: Ein guter Fahrer verhält sich vorausschauend und kann selbst mit einem schlechten Wagen noch besser fahren als jemand mit mangelhaftem Reaktionsvermögen, der in einer Luxuskarosse mit Sonderausstattung sitzt. Denn es kommt der Moment, in dem der Fahrer versagt. Das Zentralnervensystem kann nämlich ausfallen, im Sport, im Wettkampf, im Alltag. Man ist zum Beispiel kurz unaufmerksam, müde, hungrig oder abgelenkt. Wieder übertragen in die Analogie heißt das: Wer in einem hochgerüsteten Wagen mit Airbags und Bremsassistenten sitzt, weiß die teure Ausstattung in so einem Fall sehr zu schätzen. Das Auto, analog dazu die Körperstrukturen, sollte in einer gefährlichen Situation Belastungen kompensieren, falls die Steuerung durch den Fahrer – das ZNS – versagt. Übrigens sind es hauptsächlich Sehnen und Bänder, die Belastungen auffangen müssen. Sind diese nicht gut in Schuss, gibt es die gefürchteten Zerrungen und Bänderrisse. Doch gleichzeitig gilt: Mit schneller Reaktion und guter Koordination kann ein Athlet Verletzungen verhindern. Das sind wiederum Leistungen von Gehirn und Zentralnervensystem. Und das ist die andere Seite der Analogie: Ein guter Fahrer kann trotz schlechter Ausstattung ganz vorn landen. Betrachten wir daher im Folgenden, wie das ZNS Bewegung ermöglicht. Diese Zusammenhänge bilden die Grundlage des gehirnbasierten Ansatzes im Mobility-Training.

Wie funktioniert das Zentralnervensystem?

Das zentrale Nervensystem besteht aus Gehirn und Rückenmark und ist, einfach gesagt, nichts anderes als eine Informationsverarbeitungsmaschine. Reize, die aus der Umwelt und aus unserem Körper dort ankommen, werden als Daten gesammelt und interpretiert. Anschließend reagiert das ZNS, wenn nötig. Das folgende Schema zeigt diesen Regelkreis:

Das Gehirn empfängt Signale, verarbeitet diese und liefert daraufhin eine Reaktion, basierend auf den Reizen.

Die Mechanismen zur Reizaufnahme

Alle Reize von innerhalb und außerhalb des Körpers gelangen zum Zentralnervensystem. Das geschieht über Sinnesorgane und besondere innere Wahrnehmungssensoren, also Fühler, die Reize von außen weiterleiten. Solche Sensoren des Körpers liegen als Tast- oder Druckfühler in der Haut oder, wie die Geschmackspapillen, im Mund. Sogenannte Mechano- und Propriorezeptoren befinden sich im tieferen Gewebe, vor allem in faszialen Strukturen, also in Bindegewebe und Kapseln rund um die Gelenke, aber auch in den Muskeln. Nerven und Leitungen, die die Reize ins Gehirn schicken, heißen Afferenzen (Glossar, Seite 275).

Wie das Gehirn Reize verarbeitet

Die Reize, die im ZNS ankommen, müssen sorgfältig verarbeitet, organisiert und interpretiert werden. Dieser Vorgang ist grundsätzlich in jedem Zentralnervensystem und für alle Menschen gleich. Während aber die ankommenden Reize objektiv und messbar sind, werden sie im Gehirn dann subjektiv verarbeitet. Hierbei handelt es sich um eine Schlussfolgerung aus individuellem Erleben, Erfahrung und physiologischen Gegebenheiten. Daher entsteht in jedem Menschen eine Art eigene Wahrnehmung der Realität. Die ist zwar abhängig von den messbaren Reizen aus der Umgebung, formt sich jedoch erst im Gehirn zu einem Bild. So nehmen Menschen beispielsweise Gerüche unterschiedlich wahr, empfinden die Intensität von Schmerzen anders oder finden Personen unterschiedlich attraktiv. Auch für Bewegungen ist die Interpretation des individuellen Gehirns entscheidend: Wir bewegen uns je nach Qualität der Reizverarbeitung und abhängig von der Deutung unseres Gehirns auf der Basis eigener Erfahrungen. Die Qualität unseres sensorischen Systems ist abhängig von seinem jeweiligen Nutzen. Je besser wir unsere Sensoren benutzen, desto besser können sie arbeiten und dementsprechend Signale an das Gehirn senden. Das Gehirn wiederum muss in den entsprechenden Arealen in der Lage sein, diese Signale optimal zu verarbeiten. Da unser Gehirn nach dem »Use it or lose it«-Prinzip arbeitet, kann es auch nur entsprechend seiner Verwendung Leistung erbringen. Diese Vorgänge sind wissenschaftlich noch längst nicht alle erforscht. Die sensorische Integration, also das Verarbeiten vieler Daten aus Sinnesorganen und Rezeptoren, ist noch so etwas wie eine Blackbox. Aber klar ist: Bewegungsimpulse ergehen erst nach der Interpretation durch das Gehirn. Und es ist die Frage, wie gut und sinnvoll die folgenden Kommandos sind. Das wird uns später im Buch noch beschäftigen.

Das Nervensystem wird grob in das zentrale und das periphere Nervensystem unterteilt, wobei das zentrale Nervensystem hauptsächlich aus dem Gehirn besteht, das periphere Nervensystem größtenteils aus den Hirnnerven und den Spinalnerven, die die Muskeln innervieren.

Vom Reiz zur Bewegung

Das Zentralnervensystem ist schließlich anhand der verarbeiteten Reize dazu in der Lage, motorische Kommandos zu geben: Jemand ruft unseren Namen und wir drehen uns um. Ein Kind rennt auf uns zu und wir breiten die Arme aus. Jemand winkt aus einem Zugfenster, wir winken zurück. Auch Schutzreflexe gehören dazu, die uns etwa davor bewahren, die Hand auf einer heißen Herdplatte liegen zu lassen. Die motorischen Befehle des Gehirns verlaufen in Richtung Körper über das Rückenmark und bestimmte Nervenbahnen. Diese Nervenbahnen, die vom Gehirn und vom Rückenmark zu Händen, Armen, Füßen oder anderen Körperregionen führen und die Bewegungsimpulse weiterleiten, heißen efferente Nervenbahnen (Efferenz, Glossar, Seite 276). Doch viele Reaktionen auf Reize von außen oder aus dem Körperinneren sind so subtil, dass sie sich unserer Wahrnehmung entziehen. Vor allem Körperprozesse laufen unbewusst ab – sogar die meisten: Organfunktionen, das Gleichgewicht, die aufrechte Körperhaltung, die Regelung der Körpertemperatur und des Blutdrucks, die Verdauung, die Atmung und noch viel mehr erledigt das ZNS als Reaktion auf eingehende Signale, ohne dass wir das bewusst wahrnehmen.

Der Hauptteil des Gehirns besteht aus dem Großhirn. Es ist unterteilt in zwei Hemisphären, die in der Mitte durch einen Einschnitt geteilt sind. Die Oberflächen der Hemisphären werden von der Großhirnrinde gebildet, die aus mehreren Hirnlappen besteht.

Es kommt aber vor, dass dieser Schaltkreis gestört ist. Solche Störungen wirken sich dann auch auf die Bewegung aus. Sie ist eingeschränkt oder nicht flüssig, nicht adäquat oder nicht zielgerichtet. Daher ist für optimale Bewegungen im Sport nicht nur die Art der eingehenden Reize entscheidend, ausschlaggebend ist auch die Verarbeitungsqualität im Gehirn. Sie bestimmt, ob die Antwort auf den Reiz angemessen ist. Passt beides – Dateninterpretation und Antwort –, können wir richtig reagieren und uns im Sport so bewegen, wie wir es wünschen.

Die Aufgaben des peripheren Nervensystems

Zum gesamten Nervensystem des Körpers gehört neben dem Zentralnervensystem auch das periphere Nervensystem (PNS, Glossar, Seite 277). Es liegt außerhalb des ZNS und ist unterteilt in das somatische und das vegetative Nervensystem. Das PNS registriert Schmerz, Druck und andere Wahrnehmungen. Der vegetative Teil ist für unbewusste Vorgänge wie Verdauung, Blutdruck oder Herzschlag zuständig. Zentralnervensystem und peripheres Nervensystem sind sehr eng miteinander verflochten. Alle Informationen aus dem PNS fließen auch ins ZNS, nämlich über das Rückenmark in die Schaltzentrale Gehirn. Das somatische Nervensystem leitet dabei sensorische Informationen wie Berührungen, Temperaturempfindung oder Schmerzreize weiter, ob aus inneren Organen oder von außen. Im Gehirn werden die Reize zusammengeführt. Der somatische Teil des PNS ist aber auch entscheidend für Bewegungen. Die bereits erwähnten efferenten Nervenbahnen gehören nämlich zum somatischen Nervensystem, also zum PNS. Impulse aus dem Gehirn gelangen vom ZNS über das Rückenmark und das somatische Nervensystem zu den Muskeln, wo sie in Bewegung umgesetzt werden.

Auch alle Schmerzrezeptoren, medizinisch Nozizeptoren genannt, sind Teil des peripheren Nervensystems. Sie liegen als freie Nervenenden in der Haut, dem Bindegewebe, den großen Faszien und den Gelenkkapseln. Von dort schicken sie Schmerzreize an das Zentralnervensystem. Die Reizweiterleitungsgeschwindigkeit in diesen Nervenendigungen ist niedriger als bei den Mechanorezeptoren (Glossar, Seite 277). Während die Mechanorezeptoren eine Leitungsgeschwindigkeit von etwa 40 bis 90 Metern pro Sekunde (m/s) haben, wird Schmerz nur mit einer maximalen Geschwindigkeit von etwa 30 m/s übertragen. Dies ist auch der Grund dafür, dass ein Schmerz erst nach der Aktivierung der Mechanorezeptoren eintritt. So entsteht kein weiterer Schmerz durch Bewegung. Der Teil des PNS, der vegetatives Nervensystem genannt wird, spielt seine größte Rolle bei Stress, Schlaf, Hunger und Verdauung. In Teil 4, »Schmerzen und Verletzungen«, ab Seite 251 werden wir uns damit noch näher beschäftigen, denn Stress oder Schlafstörungen behindern die Beweglichkeit.

Die zentrale Datenautobahn für das PNS ist das Rückenmark. Zwischen jeweils zwei Wirbeln treten lange Nerven, die sogenannten Spinalnerven, aus und führen in Rumpf und Gliedmaßen. Zu jedem Rückenmarksegment gehört somit ein Nervenpaar. Der Mensch besitzt insgesamt 31 paarige Spinalnerven, die folgendermaßen zugeordnet sind:

Die Spinalnerven sind den jeweiligen Rückenmarksegmenten zugeordnete Nerven, die unter anderem die Muskulatur des Körpers innervieren und Bewegungen ermöglichen.

Beide Nerven je eines Paares besitzen eine vordere und eine hintere Nervenwurzel. Die Spinalnerven können beim Mobility-Training mit Neuroflossing mobilisiert werden. Dies schafft eine Reizsetzung, die sich auf die jeweiligen Muskeln, die von den Nerven versorgt werden, biopositiv auswirken kann. Vor allem bei Schmerzen ist diese Technik sinnvoll.

Entscheidend für Bewegung: eine gute Propriozeption

Die meisten Reize, die im Gehirn ankommen und es zu einer Antwort stimulieren, stammen aus dem Körper, buchstäblich aus der Tiefe seiner Glieder und Organe. Wichtig dafür sind bestimmte Rezeptoren, die zum sogenannten Tiefensinn, der Propriozeption (Glossar, Seite 278), gehören. Sie sind die Reizlieferanten für das Gehirn und sitzen an den Enden von Nerven in Haut und Gelenken. Speziell die Propriozeption ist uns dabei völlig unbewusst, stellt aber die absolute Grundvoraussetzung für Bewegung dar. Denn Propriozeption ist die innere Wahrnehmung vom eigenen Körper im Raum, das umfasst auch die Eigenempfindung von Körperteilen zueinander und in Abhängigkeit von der Umgebung. Der Sinn lässt uns immer spüren, ob wir gerade stehen, liegen oder sitzen, ob unsere Beine angewinkelt oder ausgestreckt sind, die Arme verschränkt sind oder gerade herabhängen. Die Propriozeption sorgt auch für das innere Lagegespür, wie etwa die Gelenke stehen und wie stark sie gebeugt sind. Sie ist wichtig dafür, dass wir uns überhaupt bewegen sowie aufrecht stehen und gehen können. Ohne die sensorische Leistung des propriozeptiven Systems wären unsere Bewegungen unkoordiniert und fehlerhaft. Man weiß das von Menschen mit seltenen Krankheiten, deren Propriorezeptoren zerstört sind und keine Signale mehr ans Gehirn schicken können. Diese Menschen können nicht einmal stehen oder gehen, sondern fallen hin, wenn sie es versuchen.

Ein gut funktionierendes propriozeptives System ist also für eine gute Koordination notwendig. Wie wir schon erfahren haben, müssen viele Signale ankommen, damit Bewegungsimpulse ergehen können. Alle Teile des Tiefensinnes schicken ununterbrochen solche Signale ans Gehirn, sie gehen damit auch in Bewegungsmuster ein, die im Gehirn schon gespeichert sind. Diese Rezeptoren kann man trainieren, das ist besonders in unserer bewegungsarmen Zeit wichtig. Die innere Wahrnehmung, die oft brachliegt, lässt sich aktivieren, und das geschieht im Mobility-Training ganz bewusst. Übungen, die die Propriozeption verbessern, schaffen eine positive Antwort im Gehirn und stärken darüber wiederum die Leistung der Rezeptoren sowie Beweglichkeit und Bewegungsqualität. Es sind zum Beispiel Drills in Abhängigkeit von der eigenen Lage im Raum, und Übungen, bei denen Lage und Position vielfältig variiert werden: sitzend, liegend, stehend, in Schrittstellung und weitere. Drills sind Bewegungsabläufe, die immer wieder wiederholt und eingeübt werden, daher auch die englische Bezeichnung »drills« für »üben«.

Ein Rezeptor ist eine Zelle, der chemische oder pyhsikalische Reize wahrnimmt und diese als neuronales Signal an das Gehirn weitergibt. Rezeptoren sind auf bestimmte Reize spezialisiert und können unterschiedlich stark empfindlich sein.

Das propriozeptive System

Das System für Lage und Gleichgewicht, auch »vestibuläres System« genannt (Glossar, Seite 278), hat mehrere Teile: Das Innenohr mit dem Gleichgewichtsorgan gehört ebenso dazu wie der Lagesinn, der Kraftsinn (Spannungszustand der Muskeln) und der Bewegungssinn (Bewegungsempfinden und Erkennen der Bewegungsrichtung). Alle zusammen bilden die »Propriozeption« oder das »propriozeptive System«, wie der komplexe Sinn auch genannt wird. Seine Signalgeber, die sogenannten Mechanorezeptoren, wandeln unterschiedliche mechanische Impulse in elektrische Erregung um, dabei registrieren sie Dehnung, Vibration, Bewegung oder Druck. Diese sogenannten Mechanorezeptoren sind für das Mobility-Training am wichtigsten.

• Muskelspindeln sind spezielle Sensoren im roten Muskelgewebe, die Dehnung und Spannungszustand des Muskels registrieren.

• Golgi-Sehnenorgane reagieren nicht auf passive Reize, sondern nur auf die Aktion des Muskels. Sie sitzen an den Sehnenübergängen. Bei Zugbelastung der Sehnen durch Muskelkontraktion senken sie die Muskelspannung und schützen Sehnen und Gelenke so vor Überlastung.

• Vater-Pacini-Körperchen befinden sich vor allem in der Unterhaut und registrieren schnelle Druckwechsel, Vibrationen und ruckhafte Impulse.

• Ruffini-Körperchen, ebenfalls in Unterhaut und Bindegewebe, reagieren auf langen, wechselnden und anhaltenden Druck wie bei langsamer Dehnung oder Massage.

• Interstitielle Rezeptoren haben eine Verbindung zum vegetativen Nervensystem, das unbewusste Vorgänge und Bewegungen steuert, etwa die Verdauung. Sie signalisieren außer Druck auch Schmerz und Temperatur.

Für unser Gleichgewichtssystem sind vor allem die Bogengänge und die Makulaorgane wichtig. Sie messen sowohl die lineare Beschleunigung als auch die Winkelbeschleunigung und geben die Informationen an das Gehirn weiter.

Sonderstellung für den Gleichgewichtssinn

Eine besondere Bedeutung für die Propriozeption hat der Gleichgewichtssinn. Während sich die genannten Rezeptoren größtenteils im myofaszialen System befinden, liegt die zentrale Stelle für die Gleichgewichtswahrnehmung im Innenohr. Von hier empfängt das Gehirn Informationen über die lineare Beschleunigung und die Winkelbeschleunigung des Kopfes. Zudem ist der Gleichgewichtssinn sehr komplex. Er vereint visuelle Signale über das Auge, die Wahrnehmung der eigenen Körperhaltung im Raum durch das Gleichgewichtsorgan im Innenohr, die Wahrnehmung von Schwerkraft und Beschleunigung, ebenfalls über das Innenohr, sowie die Meldungen verschiedener Mechanorezeptoren.

Das Gehirn verändert sich ein Leben lang

Die Informationsverarbeitungsmaschine Gehirn ist ungeheuer lernfähig, und das bis ins hohe Alter. Sie speichert immer wieder neue Daten ab und kann ältere anders sortieren oder sie auf der Basis des Vorhandenen neu auswerten. Schon vor Jahren haben Wissenschaftler erkannt, dass das Gehirn auf neue Reize hin lebenslang Verknüpfungen zwischen den Nervenzellen bilden kann, teilweise sogar neue Gehirnzellen. Das gilt auch für Bewegungen und die festen Verschaltungen, die das Gehirn dazu anlegt. Denn Bewegungen werden im Gehirn als Muster gespeichert. Je häufiger sie ausgeführt werden, desto stärker fixiert ist das Muster. Deshalb ist es auch wichtig, komplexe Bewegungsabläufe in der Jugend zu lernen und immer wieder einzuüben. Sie werden dann besonders tief abgespeichert. Im Alter können früh verankerte Muster dann immer wieder reaktiviert werden, etwa Gehen, Radfahren oder Schwimmen. Was nach der Jugend an Varianten derselben Bewegung dazukommt, wird im schon angelegten Muster einsortiert und dann bei Bedarf abgerufen.

Das Gehirn speichert Bewegungen als Muster ab. Je älter das Muster und je tiefer es eingeprägt ist, desto besser ist die Koordination und desto leichter ist es, die vorhandenen Muster umzubauen und zu ergänzen.

Aber auch im Alter können Menschen noch neue Sportarten anfangen oder Spiele lernen. Es geht zwar langsamer und die Bewegungen werden nicht ganz so perfekt wie bei Menschen, die von Kindheit an geübt haben. Doch selbst Senioren können zum Beispiel noch Jonglieren lernen, und es bildet sich dabei sogar neue Gehirnsubstanz.1 Die lebenslange Fähigkeit des Gehirns, sich immer wieder umzuorganisieren und zu lernen, nennen Forscher »Neuroplastizität« (Glossar, Seite 277). Noch erstaunlicher ist jedoch die Fähigkeit des Gehirns, sich zu regenerieren. Nach Gehirnerschütterungen, Bettlägerigkeit oder Quetschungen des Rückenmarks, sogar wenn ein Teil des Gehirns wegen eines Tumors entfernt werden muss, übernehmen andere Gehirnregionen deren Funktionen: Sie organisieren sich um und bauen die alten Muster wieder auf. Diese erstaunliche Regenerationsfähigkeit des Gehirns und der Nerven ist der Grund dafür, dass Menschen nach schweren Schlaganfällen oder vorübergehender Querschnittslähmung wieder gehen und sprechen lernen können.

Das Gehirn ist also im hohen Alter und sogar nach schweren Verletzungen noch anpassungsfähig – physiologisch und strukturell. Es verändert sich je nachdem, was von ihm gefordert wird und was an Information ankommt. Füttert man das Gehirn mit Bewegungsreizen, verschalten sich die stimulierten Gehirnzellen zu neuronalen Verbindungen und Mustern, sie bilden Landkarten der Bewegung. Und je häufiger der Mensch eine Bewegung wiederholt, desto stärker prägt sich diese ein. Verwendet man das Erlernte aber nicht, löscht das Gehirn die entstandenen Verknüpfungen wieder. Wie sich bei einem bettlägerigen Bodybuilder nach drei Wochen im Krankenhaus ein guter Teil seiner Muskelmasse abbaut, verlieren wir auch unsere Bewegungsqualität, wenn wir diese nicht nutzen. Hirnforscher haben dafür die Formel »Use it or lose it« geprägt, also »Gebrauche es oder verliere es«. Beim Mobility-Training fördern wir durch vielfältige Bewegungsabläufe und das wiederholte Einüben die Plastizität unseres Gehirns und das feste Verdrahten von Abläufen in neuronalen Mustern. Das macht unsere Bewegungen effizienter, sicherer und eleganter.

Wie das Gehirn lernt

100 Billionen Nervenzellen bilden das riesige Netzwerk Gehirn. Beim Lernen jeder Art, auch beim Lernen von Bewegungen, entstehen neue Verknüpfungen zwischen den Gehirnzellen: Die Zellen verdrahten sich untereinander mit langen Fortsätzen, an deren Ende Synapsen sitzen. Diese schütten Botenstoffe, sogenannte Neurotransmitter, aus und nehmen sie von anderen Synapsen an. So kommunizieren die Gehirnzellen miteinander. Wenn das Gehirn lernt, gibt es also auch mehr neurochemischen Austausch zwischen den einzelnen Zellen. Ihre Synapsen sind aktiver und schütten mehr Botenstoffe aus, die Nerven feuern mehr. Im Laufe der Zeit, wenn man neue Bewegungen oder Inhalte vertieft, werden häufig benutzte Verbindungen zwischen Nervenzellen dabei stärker – sie werden zu Datenautobahnen. Zellen, die häufig miteinander kommunizieren, verschalten sich und bilden neuronale Netzwerke. Dieser Prozess verändert nach und nach die physische Struktur des Gehirns.

Die Nervenzelle besteht aus einem zentralen Zellkörper, von dem mehrere Dendriten abgehen, die Signale von anderen Zellen empfangen, während das Axon Impulse an andere Zellen weiterleitet.

Um das Gehirn nun positiv zu beeinflussen und zu verändern, braucht es ganz bestimmte Herausforderungen – neue Bewegungen und Varianten, die das Gehirn dazu zwingen, weitere neuronale Verknüpfungen zu schaffen. Das Mobility- Training bietet dieses hohe Maß an vielfältiger Bewegungsqualität, die sich auch auf neue Bewegungen übertragen lässt. So entsteht eine differenzierte Verschaltung in neuronalen Netzwerken, die das Lernen neuer Bewegungen und Varianten erleichert. Die ausgebildeten Netzwerke führen dazu, dass wir selbst vorher unbekannte Bewegungsabläufe schneller lernen. Gleichzeitig gelingt es dann besser, auf Störungen zu reagieren. Wenn ein Sportler einen Golfschläger 10 000 Mal schwingt, gleicht kein Schwung exakt dem anderen. Minimale Abweichungen gibt es immer, sie lassen sich sogar messen. Es ist tatsächlich unmöglich, die Muskeln exakt so anzusteuern wie beim Schlag zuvor, auch wenn von außen zwei Schläge identisch wirken. Doch mit vielen Wiederholungen baut der Sportler einen sicheren Bewegungsfluss auf, der nicht so leicht gestört werden kann. Eine Bewegung, die 10 000 Mal geübt wurde, hinterlässt tiefe Spuren im Gehirn. Das geschieht durch starke synaptische Verbindungen. Die dort ankommenden und davon ausgehenden Reize rasen auf fest verankerten Bahnen schnell an die richtige Stelle.

Body Maps – Landkarten der Bewegung

Neu erlernte Bewegungen regen aber nicht nur die Ausbildung neuronaler Verknüpfungen an, sie festigen auch bereits vorhandene Bewegungsmuster im Gehirn. Die grundlegenden Schemata für Bewegung werden schon in der Kindheit angelegt. Dabei handelt es sich um basale Abläufe wie Gehen, Umdrehen, Aufstehen. Sie werden sehr tief verankert und bleiben, wenn sie einmal gelernt sind, in der Regel ein Leben lang abrufbar. Abgelegt sind sie in einem bestimmten Teil der Großhirnrinde, den Basalganglien, in denen alle automatisierten Bewegungen gespeichert werden.

Der sensorische (oben) und motorische (unten) Homunkulus sind Modelle, die die neuronale Beziehung zwischen den kortikalen Bereichen und der Skelettmuskulatur darstellen.

Für solche Muster sowie die Bewegungen sämtlicher Körperteile gibt es außerdem übergreifende Bereiche im Gehirn, die gemeinsam zu einer Bewegung führen. Denn für Bewegungen gibt es kein einzelnes Areal im Gehirn, es ist immer ein Verbund von verschiedenen redundanten Arealen, die wie eine Art abgespeicherte Bewegungsvorlage zu betrachten sind. Die dort abgespeicherten Vorlagen kann man sich wie Landkarten vorstellen, die im Gehirn für die Körperteile und ihre Bewegungen stehen: Je größer das koordinative Vermögen und die Sensibilität des Körperteils sind und je mehr Sensoren es enthält, desto mehr Platz nimmt die Landkarte tendenziell ein. Die Größe und die Dichte der Neuronen können also von der jeweiligen Bewegungsfähigkeit oder Komplexität der betreffenden Landkarte abhängig sein. Umgekehrt folgt daraus, dass man der Größe der Landkarte im Gehirn ansehen kann, wie bedeutsam der entsprechende Körperteil ist. Die Existenz solcher sensorischen und motorischen Landkarten im Gehirn haben Neurologen schon im frühen 20. Jahrhundert mit EEG-Untersuchungen an lebenden Probanden bewiesen. Die Ärzte entwickelten zur Veranschaulichung eine Figur, die die Größenverhältnisse der neuronalen Landkarten im Gehirn abbildet, den sogenannten Homunkulus: Hände und Mundregion dieses Männchens sind überproportional riesig – ein Zeichen dafür, wie wichtig sie sensorisch und motorisch sind. Beim Menschen ist die Beweglichkeit von Händen, Zunge und Lippen einzigartig, und ihre Empfindungsfähigkeit, was den Tastsinn angeht, auch. Entsprechend groß sind ihre Repräsentationen im Gehirn. Der englische Ausdruck für diese speziellen Landkarten ist »Body Maps« (Glossar, Seite 275) oder auch »Brain-Mapping«. Wir verwenden den Begriff »Body Maps« weil sich dieser Terminus als Fachwort in der internationalen Trainingswissenschaft etabliert hat. Die Body Maps im Gehirn entsprechen also der Bedeutung von Körperregionen für Bewegung und Sinneswahrnehmungen.

Ohne Muskelimpulse keine Body Maps