Mondfesseln - Tanja Russ - E-Book

Mondfesseln E-Book

Tanja Russ

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Beschreibung

Auf Luzzor, einer urzeitlichen Welt vor der Zeit der Menschen, existieren zwei Völker, die unterschiedlicher nicht sein könnten: Die Zouren, Meister des Geistes, die Körperlichkeit kontrolliert und sachlich erleben – Emotionen und Lust werden rationalisiert, unterdrückt und zweckorientiert genutzt. Die Lurd, wilde Krieger, deren Leben von Dominanz, Stärke und körperlicher Macht bestimmt wird. Als der Lurdkrieger Acron und die Zourin Nefeyja aufeinandertreffen, prallen Welten aufeinander – und doch finden sie in dieser Kollision etwas Ungeahntes: ein Verlangen, das stärker ist als jede Vernunft. In einem Spiel aus Macht, Unterwerfung und lustvoller Hingabe entdecken sie eine neue Sprache der Intimität. Schmerz wird zu Lust, Kontrolle zu Vertrauen, Dominanz zu tiefer Verbindung – und aus anfänglicher Neugier wird eine Leidenschaft, die Körper und Seele gleichermaßen fesselt. Doch ihre Liebe ist nicht nur gesellschaftlich verboten, sie macht sie auch zur Zielscheibe eines geheimnisvollen Ordens, der Luzzor im Schatten lenkt. Intrigen, Überwachung und eine drohende Katastrophe zwingen Acron und Nefeyja, nicht nur um ihre Freiheit zu kämpfen, sondern auch um die Sicherheit ihres Verlangens. Jede Entscheidung, jedes Spiel aus Dominanz und Hingabe wird zur Prüfung: Kann ihre Liebe die Schrecken der Welt überdauern? In dieser epischen Dark Fantasy verschmelzen Lust, Macht und gefährliche Leidenschaft zu einer Geschichte voller Sinnlichkeit, Tabu und emotionaler Tiefe. Ein Roman, in dem BDSM kein Beiwerk ist, sondern die Art, wie zwei Seelen zueinander finden – verboten, berauschend und unvergesslich.

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Seitenzahl: 450

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Prolog
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20.
Epilog
Über die Autorin
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Impressum

Tanja Ruß

Mondfesseln

Ein Dark Fantasy Erotikroman

ISBN 978-3-96615-039-2

(c) 2025 Schwarze Zeilen Verlag

1. Auflage 2025

www.schwarze-zeilen.de

Alle Rechte vorbehalten.

Coverfoto: © Stanislaus mithilfe von KI

Foto Mond: © ismailbasdas / stock.adobe.com

Lektorat: Noah Taylor

Prolog

Es war eine Zeit, die längst im Nebel der Geschichte versunken ist. Eine Ära, bevor die Welt sich wandelte, bevor sich Himmel und Erde veränderten. Damals strahlten zwei Monde über den nächtlichen Himmel, die Sonne schien größer zu sein als heute und unsere Erde wurde nicht Erde genannt, sondern Luzzor.

In dieser alten Zeit lebten zwei Völker auf Luzzor, so verschieden wie Tag und Nacht: die Zouren und die Lurd.

Die Zouren waren ein Volk der Künstler, Denker und Strategen. Sie lebten in kunstvollen Baumhäusern, die sie hoch oben in die gewaltigen Mulabäume bauten. Diese Bäume, so riesig, dass zehn Männer einen Stamm nicht mit ausgebreiteten Armen umfassen konnten, waren das Herz ihrer Kultur. Sie liebten und verehrten diese Bäume, die bis zu 200 Meter hochwuchsen.

Die Zouren hatten eine Vorliebe für Harmonie und Perfektion und verabscheuten Gewalt. Sie zogen es vor, ihre Kämpfe mit Worten und List zu führen. Denn hinter ihrer eleganten Fassade verbargen sich Geduld und eine subtile Verschlagenheit, die sie zu gefährlichen Gegnern machte.

Mit ihren scharfen Sinnen hörten sie ein Blatt auf einen trockenen Waldboden fallen und konnten eine Bewegung im Wind auf große Entfernung wahrnehmen. Sie entkamen ihren Feinden, weil sie schnelle und ausdauernde Läufer waren, und kletterten mit ihren langen, feingliedrigen Fingern und Zehen mühelos die mächtigen Mulabäume hinauf.

Gewöhnlich verdienten die Zouren ihren Lebensunterhalt als Maler, Sänger, Dichter – oder mit dem Verkauf von Obst, Getreide und selbst gewebten und geschneiderten Kleidungsstücken.

Die Lurd hingegen waren ein Volk der Krieger und Kriegerinnen. Sie bewohnten Höhlen und felsige Behausungen, waren größer, kräftiger und von Natur aus dominant.

Machtkämpfe waren in den Clans der Lurd an der Tagesordnung, sogar Paare fordern einander heraus. Sie betrachteten den Kampf als eine Art Vorspiel. Er entschied darüber, wer in einer Beziehung das Sagen hatte, im Alltag und beim Sex. Doch diese Rangordnung war nie von Dauer: Wer unterlag, konnte den Partner jederzeit erneut herausfordern und das Gleichgewicht verschieben.

Die Lurd kannten keine Furcht, wenn sie in die Schlacht zogen. In Friedenszeiten lebten sie als Fährtenleser, Wildfänger, Ledermeister und Klingenschmiede. Ihre Gemeinschaft wurde von strenger Loyalität zusammengehalten.

Trotz all ihrer Unterschiede hatten Zouren und Lurd eines gemeinsam: Sie ritten auf den ausdauernden Dreihörnern. Das waren bullige Tiere mit muskulösen Körpern, dunklem Fell und kräftigen Beinen, die mühelos auch steiniges Gelände überwanden. Ihren Namen verdankten sie den drei kurzen, scharfen Hörnern, die auf ihrer Stirn prangten wie natürliche Waffen. Sie waren verlässliche Begleiter mit einem instinktiven Orientierungssinn in einer Welt, die ebenso prachtvoll wie gefährlich war. Lange Zeit lebten die beiden Völker nebeneinander her, ohne sich je wirklich zu verstehen. Das dominante Volk der Krieger und das eher devote Volk der Künstler und Denker.

Jahrhunderte des Misstrauens hatten eine unsichtbare Mauer zwischen ihnen errichtet. Die einen hielten sich für überlegen, weil sie mit Geist und Geschick handelten; die anderen sahen sich als wahre Herrscher, da sie die Kraft besaßen, ihre Welt mit bloßen Händen zu formen.

Doch was, wenn ihre Unterschiede keine Barriere, sondern eine Stärke wären? Was, wenn ihre Gegensätze nicht zur Trennung, sondern zur Einheit führen könnten?

Diese Geschichte erzählt von Mut, von Leidenschaft und von der Kraft, über sich selbst hinauszuwachsen.

Und natürlich von BDSM.

Sie erzählt von Dominanz und Hingabe, von Lust und Schmerz, von Freiheit und Fesseln. Eine Geschichte über eine Welt, in der Stärke viele Formen annimmt und wahre Macht oft dort liegt, wo sie am wenigsten erwartet wird.

Begleite Acron und Nefeyja auf ihrem Weg durch eine Zeit, die vergessen wurde. Eine Zeit, in der Unterschiede unüberbrückbar erschienen und in der man sich seinen Platz erkämpfen musste. Eine Zeit, in der die Regeln der Welt noch nicht in Stein gemeißelt waren.

Die Völker sind vielleicht vergessen, ihre Dörfer zu Staub zerfallen, und die Legenden verblasst. Vielleicht glaubst du, ihre Zeit hätte es nie gegeben. Doch höre dem Wind zu, wenn er durch die uralten Wälder streicht. Sieh dir die Muster an, die das Wasser in den Felsen hinterlässt. Manchmal flüstert die Erde Geschichten, die wir längst verloren glaubten. Vielleicht war die Zeit, in der unsere Erde Luzzor genannt wurde, nur eine Zeit, so alt, dass kaum noch jemand sich erinnert.

Viel Freude beim Lesen

Tanja Russ

1.

Drei endlose Tage vegetierte Acron nun schon dahin. Gefesselt an einen ihrer gigantischen Mulabäume war er der erbarmungslosen Tageshitze ausgesetzt, die seine Haut verbrannte und sein Hirn kochte.

Nachts, wenn die zwei Monde Luzzor in ihr sanftes, aber kaltes Licht tauchten, fror er so erbärmlich, dass er am ganzen Körper schlotterte.

Inzwischen stank er wie eine Gechse. Jene handtellergroßen wieselflinken Reptilien, deren weicher, grüngelber Pelz bei den Lurd und den Zouren gleichermaßen Begehrlichkeiten wecken würde, wenn der Geruch dieser Tiere nicht so abscheulich wäre.

Die Zouren galten als friedliches Volk mit künstlerischen Fähigkeiten. Selbst jetzt, gefesselt an den mächtigen Baumstamm, konnte er nicht anders, als die kühle Perfektion ihrer Welt zu bewundern. Die Zouren liebten Harmonie, das zeigte sich in allem: in den kunstvoll geschwungenen Seilen, die ihn hielten, in den schnurgeraden Schnitten ihrer Jagdmesser, von denen sein Oberkörper übersät war. Zouren kämpften weder mit körperlicher Kraft noch mit Waffen – sie kämpften mit Geduld und mit Intrigen. Und sie hatten ihn erwischt.

An Muskelkraft waren die schmalgliedrigen, hellhäutigen Wesen den Lurd weit unterlegen. Doch in jeder Sippe gab es einige Jäger, die dafür sorgten, dass Fleisch auf die Tische der Baumhäuser kam.

Die Falle, die sie Acron gestellt hatten, war hinterhältig und fast unsichtbar gewesen. Ein dünnes Hanfseil, geschickt mit Laub und Erde getarnt, hatte sich um sein Bein gewickelt, als er zwischen den Mulabäumen umhergeschlichen war. Acron biss die Zähne zusammen. Wie hatte er so unvorsichtig sein können? Ein Moment der Unachtsamkeit, und schon hing er kopfüber wie ein gefangenes Tier an einem Hanfseil. Er, ein Krieger, siegreich in unzähligen Schlachten, gedemütigt von den schwächlichen Zouren.

Die Wut in seinem Bauch hatte seit seiner Gefangennahme nicht nachgelassen. Sie war fast schwerer zu ertragen als sein eigener übeler Gestank, der ihm in die Nase biss und seine Sinne beleidigte. Immerhin hatte er nicht lange ausharren müssen, bis ihn drei Zourenjäger in der Falle entdeckt hatten. Ihre Überraschung über das seltsame ›Tier‹, das sie gefangen hatten, war echt gewesen. Erleichtert hatte Acron die zotigen Sprüche der jungen Männer über sich ergehen lassen, im festen Glauben, sie würden ihn aus seiner misslichen Lage befreien. Doch genau das war nicht der Fall gewesen. Die drei schmächtigen Feiglinge hatten es gewagt, ihm die Arme mit einem Seil eng an den Körper zu binden. Und das noch bevor sie ihn aus der Tierfalle befreiten. Nur deshalb hatte er keine Gelegenheit bekommen, ihnen ihre mageren Hälse zu brechen. Ein Kerl wie er, strotzend vor Kraft, siegreich in unzähligen Kämpfen, war von drei Halbwüchsigen aus dem Volk der Schwächlinge gefangen genommen worden. Nichts hatte er dagegen ausrichten können, als sie ihn an den gewaltigen Mulabaum fesselten. Er wusste nicht, was mehr schmerzte: die Wunden, die sie ihm mit ihren Jagdmessern zufügten, oder die Schmach, ausgerechnet von Zouren festgesetzt worden zu sein.

Acron war ein Kerl wie ein Baum. Ein stolzer Krieger, der keine Angst vor dem Tod kannte. Doch die Tatsache, dass er in nicht allzu ferner Zukunft in Schande sterben würde, machte ihm ordentlich zu schaffen. Die Schnittwunden, die sie ihm mit ihren Messern beibrachten, waren zwar nicht sonderlich tief, aber die Feiglinge quälten ihn stetig, gaben ihm kaum etwas zu essen und gerade so viel Wasser, dass er den Tag überstand. Seine Kraft schwand mit jeder Stunde mehr, denn er verlor täglich Blut. Ihm war klar, dass die feige Bande ihn nicht lebend gehenlassen konnte. Dafür waren sie bereits zu weit gegangen. Ihre Folter verlangte nach blutiger Rache.

Er oder sie.

Obwohl die drei Zouren jung waren und es ihnen an Lebenserfahrung fehlte, wussten sie das genau. Er hatte gehört, wie sie sich darüber unterhielten. Einer von ihnen hatte Skrupel geäußert. Die beiden anderen jedoch waren aufgeregt und neugierig. Sie fanden es spannend, einen Lurd langsam sterben zu sehen, und hatten Wetten abgeschlossen, wie lange er wohl noch durchhalten würde.

Acron hatte sich stets selbstbewusst und voller Elan in die Schlacht gestürzt und nie einen Gedanken an seinen eigenen Tod verschwendet. Aber hätte er es getan, er hätte sich ruhmreich im Kampf fallen sehen. In seinen schlimmsten Albträumen hätte er sich ein solch schändliches, erbärmliches Ende nicht ausmalen können.

Wut, Bedauern und Trauer kämpften in ihm um die Oberhand und hin und wieder verspürte er sogar schon Resignation. Er wünschte sich ein schnelles, schmerzloses Ende, doch er wusste: Das Schicksal würde ihm diesen Gefallen nicht erweisen.

Ein Laut ließ ihn aufhorchen. Weiche, kaum hörbare Schritte näherten sich. Zuerst dachte er, es sei ein Tier, doch dann sah er sie: eine Gestalt, die sich durch die Schatten der Bäume bewegte. Ihr silbernes Haar fing das Mondlicht ein und ließ sie wie ein Wesen aus einer anderen Welt erscheinen. Acron blinzelte, sicher, dass die Hitze des vergangenen Tages ihm den Verstand geraubt hatte. Oder halluzinierte er? Dann war er dem Tod vielleicht doch schon näher, als er angenommen hatte.

Nein, sie war real. So real wie die Kälte, die in seine Knochen kroch.

Vorsichtig näherte sich eine wunderschöne Fee. Sie versteckte sich immer wieder hinter Baumstämmen, schien ihre Umgebung genau zu beobachten, bevor sie sich weiter vorwagte. Als sie schließlich vor ihm stand, wagte er kaum, zu atmen. Sie war kein Fabelwesen - nur eine Zourenfrau, erkannte er. Dennoch hatte er nie ein schöneres Wesen gesehen. Hell wie das Mondlicht umarmte ihr langes Haar ihr zartes Gesicht. Wie glatte, fein gesponnene Silberfäden floss ihre Mähne über ihren Rücken, bis hinunter zu ihrer schmalen Taille. Ihre Augen glitzerten türkisfarben, wie ein Bergsee in der Sonne. Hohe Wangenknochen, edle Gesichtszüge, eine zarte Nase und volle blassrote Lippen. Ihr frischer Duft erinnerte ihn an eine bunte Blumenwiese im Sommer. Genussvoll sog er die Luft ein und war sicher, nie zuvor ein süßeres Aroma wahrgenommen zu haben.

Sie wirkte scheu und gleichzeitig mutig und entschlossen. Ein Widerspruch in sich, den er sich nicht erklären konnte. Fasziniert starrte er sie an und war regelrecht bestürzt, als sie ein Messer aus ihrem Gürtel zog. War dieses elfengleiche Wesen etwa auch gekommen, um ihn zu quälen? Oder stand sein Todesengel vor ihm?

Das kalte Metall berührte seine Haut. Unendlich traurig schaute er sie an. Dass er sterben würde, wusste er. Aber musste es ausgerechnet durch ihre Hand sein? Und überhaupt – jetzt, an der Schwelle des Todes, wünschte er sich plötzlich verzweifelt, zu leben. Wie gerne hätte er ein wenig mehr Zeit mit diesem himmlischen Wesen verbracht.

Ihre Bewegungen waren schnell, beinahe hektisch, und dennoch spürte Acron eine seltsame Vorsicht darin. Er beobachtete sie, unfähig, seinen Blick von ihrem Gesicht zu lösen. Die Anspannung in ihren türkisfarbenen Augen, die leisen Flüche, die über ihre Lippen kamen. Nichts an ihr passte zu dem Bild, das er von Zourenfrauen hatte.

»Rotzverdammte Dreihornkacke!«, fluchte sie unflätig und holte ihn damit aus seiner Trance.

Erst jetzt wurde ihm bewusst, dass sie ihn mit dem Messer gar nicht verletzte, sondern an dem Seil um seine Handgelenke säbelte.

Er blinzelte und starrte sie an. »Du bist kein Todesengel«, murmelte er mit brüchiger Stimme.

Ihre Augen blitzten türkisfarben im Mondlicht. »Noch nicht«, antwortete sie knapp und säbelte weiter an seinen Fesseln. Doch das dicke Tau trotze ihren Bemühungen, was wohl der Grund für ihre groben Flüche war. Ihre Bewegungen mit dem Messer wurden panischer.

»Ganz ruhig. Du schaffst das.« Acron redete beruhigend auf sie ein. Geradeso, als spräche er mit einem störrischen Dreihorn.

Die Zourenfrau warf ihm einen scharfen Blick zu. »Du bist der Gefesselte hier. Lass mich das machen.«

›Was wird geschehen, wenn sie mich befreit hat? Sie wird ihrer Wege gehen und ich werde fliehen. Ich werde sie nie wiedersehen.‹

Die Vorstellung schmerzte mehr als die Messer der Zourenjäger. Er musste sie einfach bei sich behalten. Aber wie konnte er erreichen, dass sie mit ihm ging?

Nüchtern betrachtet, wäre sie nur eine Last für ihn. Bestimmt würde er mit ihr viel langsamer vorwärtskommen als allein. Und vermutlich würde sie unablässig jammern und nörgeln. Die Wanderung würde ihr zu beschwerlich sein, die Pausen zu kurz und das Schlafen unter freiem Himmel nicht bequem genug. So waren Zourenfrauen nun mal.

Während er in seine Überlegungen versunken war, hatte sie langsamer und gezielter an seinen Fesseln gesäbelt. Jetzt stockte sie für einen Moment. »Es kommt jemand. Drei, um genau zu sein«, zischte sie und säbelte mit zunehmender Hektik weiter.

Acron lauschte angestrengt und dann hörte er es auch.

Ein knurrender Laut drang aus dem Wald. Stimmen folgten, leise, aber immer näher kommend.

Die Frau fluchte erneut, diesmal kaum hörbar.

»Wir müssen los, wenn du hier nicht sterben willst«, zischte sie. »Nur, wenn du mit mir kommst«, murmelte er, so leise, dass nur sie ihn hören konnte. »Was? Nein! Ich befreie dich nicht, um mit dir zu fliehen.« Sie klang verstört, hörte aber zu seiner Erleichterung nicht auf, das Seil um seine Handgelenke zu bearbeiten. »Wenn sie dich hier finden, werden sie wissen, dass du mich befreit hast. Und dann werden sie dich töten. Du weißt das.« »Unsinn. Es ist falsch, was sie dir antun. Es ist ein Verbrechen. Dafür werden sie sich vor unserem Hohen Rat verantworten müssen.« Acron unterdrückte ein bitteres Lachen. Entweder war die Silberfee naiv, oder sie hatte nicht über die Konsequenzen ihres Handelns nachgedacht.

Die Stimmen kamen stetig näher. Die Zeit drängte. Sie mussten unbedingt hier weg, und zwar gemeinsam.

»Dann geh. Rette dich. Versteck dich vor ihnen. Ohne dich werde ich es sowieso nicht schaffen. Ich bin zu schwer verwundet.« ›Hat die große Sonne mir das Hirn verbrannt? Sie ist nur eine Last für mich. Ohne sie komme ich schneller vorwärts. Aber sie scheint mir den Unsinn zu glauben.‹ Sie säbelte noch panischer.

Inzwischen konnte er die Stimmen der drei Jäger unterscheiden, während sie sich unterhielten. Die Silberfee schaffte es nicht. Dieser Befreiungsversuch würde ihr beider Tod bedeuten.

Doch da! Sie zögerte, das Messer verharrte einen Herzschlag lang, dann schnitt sie die letzten Seile um seine Handgelenke durch.

Acron griff nach dem Messer und durchtrennte damit die dicken Taue um seine Beine. Dann packte er ihre schmale Hand und zog sie mit sich.

Die Nachtluft schnitt kalt in ihre Lungen, während sie über den unebenen Waldboden hasteten. Äste schlugen gegen ihre Arme, Blätter wirbelten um sie herum und das trockene Laub knirschte unter ihren Füßen.

Immerhin jammerte die Zourenfrau nicht und wirkte beim Laufen beinahe unermüdlich. Ihre Schritte waren leicht und präzise, als wäre sie eins mit dem Wald. Während seine Muskeln brannten, rannte sie leichtfüßig durch das Unterholz und er konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dass sie ihre Geschwindigkeit nach ihm ausrichtete.

Alles in ihm sehnte sich danach, stehen zu bleiben, doch sie zog ihn weiter. »Noch ein Stück«, sagte sie mit fester Stimme, in der keine Spur von Atemlosigkeit mitschwang. Sein Stolz rebellierte, aber er hatte keine Wahl. Es war nicht seine Entscheidung, ob sie anhielten. Sie zog ihn mit.

Als sie endlich stehen blieb, ließ er sich fix und fertig auf den Boden fallen. Die Silberfee hingegen schien kaum außer Atem zu sein, als sie sich besorgt neben ihn hockte. »Lass mich deine Wunden ansehen.«

»Es geht schon.«

Ihre Augen verengten sich leicht, während sie ihn abschätzte.

»Sagtest du nicht, du bist so schwer verletzt, dass du es allein nicht schaffst? Zieh dein Hemd aus und lass mich sehen, was ich tun kann.«

»Ich ähm … ich war mehrere Tage an diesem vermaledeiten Baum gebunden. Finden wir zuerst einen Teich, damit ich ein Bad nehmen kann. Danach kannst du dir meine Wunden anschauen, solange du willst.«

Ein spöttisches Lächeln huschte über ihr Gesicht. »Gleich dort drüben hinter den Büschen liegt ein Teich. Meine Nase funktioniert leider hervorragend. Deshalb habe ich diesen Weg gewählt.« Eine heiße Welle Scham durchfuhr ihn, was albern war, denn er konnte schließlich nichts dafür. ›Selbst ihre Stimme klingt wie Silber, klar und rein. Und sie duftet nach Sommerblumen, Zitrusfrüchten und frischen Kräutern.‹

Ohne ein weiteres Wort drehte er sich um und stapfte in die Richtung, die sie ihm wies. Und tatsächlich fand er einen See mit glasklarem Wasser und sprang hinein. Die eisige Kälte raubte ihm für einen Moment den Atem, doch sie kühlte seine Wunden und belebte Körper und Geist. Da seine Kleidung ihn hinderte, zog er sie aus und legte sie auf einen großen Stein am Ufer. Dann schwamm er einige Runden. Anschließend griff er nach den schmutzigen Klamotten und watete bis zum Bauchnabel zurück ins kühle Nass, um sie gründlich zu waschen.

Acrons Blick wanderte zum Ufer, während er das Hemd in seinen Händen auswusch. Dort saß sie. Ruhig, fast gelassen schaute sie ihm zu. Ein spitzbübisches Grinsen zog über sein Gesicht. »Falls du den Anblick genießen willst, dann bleib ruhig sitzen. Ich komme jetzt raus und ich habe nichts an.« Ihre Wangen röteten sich, doch anstatt zu antworten, verschwand sie wortlos hinter einem Busch. Er lachte leise. Wenigstens hatte er noch etwas Würde, dachte er.

2.

Verwirrt und verlegen lief Nefeyja durch die Büsche, die ihn vor ihrem Blick verbargen. Peinlich, dass er sie dabei erwischt hatte, wie sie ihn anstarrte! Aber sie musste zugeben, dass ihr gefiel, was sie gesehen hatte. Er sah so anders als die Männer ihres Volkes aus, die schmalgliedrig und sehr hellhäutig waren. Einige Zourenmänner banden ihr langes Haar zum Pferdeschwanz oder flochten es zu vielen dünnen Zöpfen. Den meisten fiel es jedoch glatt und offen über die Schultern. Die Haare der Zouren waren entweder schwarz, weiß oder silbergrau. Die Augen türkisfarben oder blauviolett. Die Haut des Kämpfervolkes dagegen war dunkler als ihre eigene. Eher wie das frisch geschlagene Holz eines uralten Mulabaumes. Lurdmänner waren groß, breitschultrig und verfügten über Bartwuchs und Körperbehaarung an Armen, Beinen und auf der Brust. Zouren wuchsen nirgendwo am Körper Haare, außer auf dem Kopf. Bei grober Betrachtung unterschieden sich deshalb die Männer ihres Volkes nicht wesentlich von den Frauen. Nur anatomisch betrachtet, verfügten sie über die entscheidenden Zentimeter mehr.

Dieser Lurd dagegen war nur einen halben Kopf größer als sie selbst. Doch hinter seinem Rücken könnte sie sich bequem ausziehen, ohne dass sie jemand sah. Muskulöse Arme und Beine, breite Schultern, vergleichsweise schmale Taille, Waschbrettbauch.

Wie er sich wohl anfühlte? Er wirkte barbarisch. Stark wie ein Bär und hart wie ein Brett. Seine Haut war sonnengebräunt und sein Gesicht zierte ein struppiger, ungepflegter Bart, so braun wie sein kurzes Haar. Als sie ihn befreite, hatte sie in Augen geschaut, die dunkel waren wie die Nacht. Ein Hauch von Gefahr umwehte ihn. Den hatte sie sogar schon gespürt, als sie ihn, gefesselt an den Mulabaum, zum ersten Mal gesehen hatte. Vielleicht hatte ihr Herz deshalb bei seinem Anblick schneller geklopft als gewöhnlich. Allerdings war das nicht der Grund gewesen, warum sie ihm geholfen hatte. So triebgesteuert war sie nicht. Zumal er übel gestunken und als Gefangener insgesamt eine ziemlich jämmerliche Figur abgegeben hatte.

Nein, sie hatte lediglich ein Unrecht beendet! Die drei jungen Jäger waren angesehene Mitglieder ihrer friedliebenden Sippe. Was hatten die sich bloß dabei gedacht, einen Lurd festzusetzen und ihn zu quälen?

Doch was hatte sie sich da eingebrockt? Befand sie sich jetzt tatsächlich auf der Flucht mit einem Lurdmann? Würde sie jemals nach Hause zurückkehren können? Bestürzt überdachte sie ihre Situation. Wie oft hatte sie davon geträumt, aus der engen kleinen Welt ihres Baumdorfes auszubrechen. Wie sehr hatten die unzähligen strengen Regeln, die der Sippe so wichtig waren, sie eingeengt. Wie oft waren ihr die Männer ihres Dorfes, die darum buhlten, ihr zu gefallen, auf die Nerven gegangen. Ständig hatte ihre Mutter sie bedrängt, einen von ihnen zu wählen. Eine eigene Familie sollte sie gründen und die Blutlinie fortführen. Damit die Eltern stolz auf sie sein könnten und sie selbst in der Hierarchie der Sippe aufstieg. Unzählige Nächte hatte sie wach gelegen und sich weit fortgewünscht. Aber jetzt, wo ihr Traum von Freiheit und Abenteuer sich zu erfüllen schien, wünschte sie sich nichts sehnlicher, als in ihr kleines Dorf und zu ihrer Sippe zurückzukehren. Das war doch ihre Heimat. Ihr ganzes Leben hatte sie wohlbehütet in der streng reglementierten Baumhauswelt auf den gewaltigen Mulabäumen verbracht.

Ihre Sippe lebte in Holzhäusern auf insgesamt vier bei einander stehenden Bäumen. Die mächtigen Äste, die erst in zehn Meter Höhe begannen, trugen die Baumhäuser, in denen gewöhnlich jeweils eine drei- bis vierköpfige Familie lebte, mühelos.

Die Zouren hatten selten mehr als ein oder zwei Kinder. Kündigte ein Paar seine Vermählung an, bauten die Männer des Dorfes gemeinsam ein Baumhaus, das die Brautleute unmittelbar nach der Hochzeit bezogen und ihre eigene Familie gründeten. Nefeyjas Sippe bestand zurzeit aus genau einhundertdrei Köpfen und dreiunddreißig Häusern, die sich auf die vier Mulabäume verteilten. Wo sollte sie denn leben, wenn nicht dort? In was für eine Zukunft steuerte sie, wenn sie nie mehr in ihr Dorf zurückkehren konnte?

»Hey Silberfee, ist alles in Ordnung?« Sie schreckte auf, obwohl er leise gesprochen hatte. Sie hatte, den Kopf auf die Hände gestützt und war so in ihre Gedanken versunken, dass sie trotz ihres hervorragenden Gehörs nicht bemerkt hatte, dass er sich näherte.

»Wie nennst du mich?«, fragte sie irritiert.

»Silberfee. Ich kenne ja deinen Namen nicht.« »Ich heiße Nefeyja.«

»Nefeyja«, wiederholte er. So, als wollte er ihren Namen ausprobieren. Dann lächelte er. »Ein schöner Name. Er passt zu dir. Ich danke dir Nefeyja, du hast mein Leben gerettet. Auch wenn ich nicht weiß, warum du das getan hast.« Fragend schaute er sie an.

»Sie hatten kein Recht, dich festzuhalten. Es war falsch und verstößt gegen unsere Gesetze.« Sie schüttelte den Kopf. »Meine Sippe ist friedlich. Wir nehmen niemanden gefangen und wir führen keine Kriege. Ich weiß nicht, welcher böse Geist in diese Schurken gefahren ist, aber ich wollte es wieder in Ordnung bringen.«

Sie hörte selbst, wie hilflos und kindlich das klang. War das wirklich der Grund, oder gaukelte sie sich etwas vor? Sie wusste es nicht und wollte lieber nicht weiter über diese Frage nachdenken.

»Ich bin Acron«, unterbrach er ihre Gedanken.

Entschlossen stand sie auf. »Lass mich deine Wunden ansehen. Ich bin zwar keine Heilerin, aber weiß genug, um dir helfen zu können.«

Er nickte kurz und zog sein Hemd aus. In ihrem Hals wurde es eng. Er stand viel zu nah vor ihr. Seine Präsenz schien sie zu überrollen und ihr die Luft zum Atmen zu rauben. Ihre Hand zitterte leicht, als sie vorsichtig über eine Wunde auf seiner Brust strich.

»Es sind viele Schnitte, aber sie sind nicht besonders tief. Du hast sicher eine Menge Blut verloren. Kein Wunder, dass du dich schwach fühlst.«

Er zuckte leicht zusammen und sah mit schmalen Augen auf sie herab. Offenbar hatte er ein Problem damit, dass sie ihn ›schwach‹ nannte. Lurdmänner …

»Ich habe einige Kräuter entdeckt, die hier wachsen. Ich werde eine Paste daraus herstellen und auf deine Wunden streichen. Sie wird verhindern, dass die Schnitte sich entzünden und den Heilungsprozess fördern.« Sie trat ein Stück von ihm zurück und das Atmen wurde wieder etwas leichter.

»Und danach muss ich zurück nach Hause«, fuhr sie fort. »Du solltest dich ein paar Monde hier am See ausruhen. Und dann geh mit der großen Sonne. Nach ungefähr zwei Tageswanderungen erreichst du eine Region mit vielen Felsformationen. Dort gibt es Höhlen und du findest sicher den ein oder anderen Clan deines Volkes.«

»Nein, warte.« Er fasste nach ihrem Handgelenk. »Du kannst nicht zurück, Nefeyja.« Seine Stimme klang ruhig, doch in seinen dunklen Augen flackerte etwas Unausgesprochenes.

»Unsinn, natürlich kann ich das. Lass mich los.«

»Sie wissen, dass du mich befreit hast. Glaubst du wirklich, deine Sippe wird dir das durchgehen lassen?«

Nefeyja schluckte, suchte nach einer Erwiderung, doch sie fand keine. Stattdessen spürte sie die Schwere seiner Worte auf ihren Schultern lasten. »Ich habe nichts Falsches getan«, flüsterte sie schließlich, doch selbst in ihren Ohren klang es unbeholfen.

»Es geht nicht, Nefeyja. Sie werden dich des Verrats anklagen. Welche Strafe steht bei euch darauf? Ich nehme an, die Todesstrafe gibt es nach euren Gesetzen nicht. Werden sie dich einkerkern? Oder aus deiner Sippe verstoßen?«

Nefeyja schwankte, das Blut rauschte ihr in den Ohren und die Luft wurde knapp.

»Hey.« Er fasste nach ihrem Arm. »Du wirst mir doch jetzt nicht schlappmachen? So schlimm ist das nicht.«

»So schlimm ist das nicht?« Empört riss sie sich los und ballte die Fäuste. »Was bildest du dir ein, mir so etwas zu sagen! Das ist meine Heimat! Meine Familie! Das ist mein Leben, das gerade zu Staub zerfällt! Hätte ich dich doch verrecken lassen!«

Sie zitterte am ganzen Körper. Vermutlich würden ihre Beine jeden Moment nachgeben. Da zog er sie einfach in seine Arme.

Sie wollte sich wehren. Doch sein Halt und die Wärme seiner Haut taten gerade so gut, dass sie sich nicht bewegte, sondern sein vorsichtiges Streicheln auf ihrem Rücken genoss.

»Eine Lurdfrau hätte mich jetzt bekämpft.« Seine Stimme klang leise, brüchig, etwas verlegen.

Hastig löste sie sich von ihm und trat zwei Schritte zurück. »Ich bin keine Lurd! Ich bin keine Kriegerin! Schon vergessen? Wir Zouren kämpfen nicht. Ich bin nicht wie du und deinesgleichen. Und es kann kein Verrat sein, dass ich dich befreit habe, denn sie hätten dich nicht gefangen nehmen dürfen.«

Sie wandte sich ab. Tränen brannten in ihren Augen und sie wollte nicht, dass er ihre Schwäche bemerkte. Sie fühlte sich verloren. So, als wäre sie das einzige Wesen ihrer Art auf dem ganzen Planeten.

›Nun vermutlich werde ich mit keinem anderen Zouren mehr zusammen kommen. Nie wieder, solange ich lebe.‹

Ausgestoßen.

Ihre Sippe hatte sie nicht verbannt und sie hatte auch nichts Unrechtes getan, sondern eine Ungerechtigkeit beendet. Doch sie hatte einem Lurd geholfen und den Plan der Jäger ihres eigenen Volkes vereitelt. Dass die drei ein Verbrechen begangen hatten, war zunächst einmal unerheblich. Sie hätte die Tat dem Hohen Rat melden und darauf vertrauen müssen, dass dieser weise über das weitere Schicksal des Lurd entscheiden würde. Stattdessen hatte sie eigenmächtig gehandelt. Dass sie nach ihrem eigenen Ermessen gegen Mitglieder ihrer Sippe vorgegangen war, würde für den Hohen Rat schwerer wiegen als das Verbrechen der Jäger an einem Lurd, den der Rat als Feind betrachtete. Sie sah ein, dass Acron recht hatte. Sie konnte nicht mehr zurück.

Wie oft hatte sie nachts in ihrem Baumhaus gesessen, den Blick auf die Sterne gerichtet und von der Freiheit geträumt. Doch jetzt, wo sie sie hatte, fühlte sie sich verloren. Nie wieder würde sie mit alten Freunden um ein Lagerfeuer sitzen und ihren Geschichten lauschen. Nie wieder würde sie in die altbekannten Gesichter schauen. Nie mehr das Lachen der Kinder hören, die sie seit deren Geburt kannte. Das vertraute leise Knarren der Mulabäume schien meilenweit entfernt zu sein.

Ihre Mutter würde sich sorgen – daran gab es keinen Zweifel. Doch würde sie jemals zurückkehren können? Würde ihr Handeln mit der Zeit verblassen wie ein Tritt im weichen Waldboden, der unter neuem Laub verschwindet? Oder würde ihre Sippe sie für immer verstoßen? Der Gedanke legte sich wie ein eiserner Ring um ihre Kehle und raubte ihr für einen Moment den Atem.

»Und was jetzt? Wo soll ich hin? Werde ich meine Familie jemals wiedersehen?«

»Denk nicht an die Zukunft. Zu gegebener Zeit wird sich alles finden. Konzentrier dich lieber auf den nächsten Schritt. Du könntest zum Beispiel eine Runde schwimmen gehen. Das kalte Wasser tut gut und kühlt den Kopf.«

»Willst du damit andeuten, dass ich stinke?«

»Frauen«, knurrte er. »Ich sagte, das kalte Wasser tut gut und kühlt den Kopf. Nicht mehr und nicht weniger.«

»Pffft! Ich erwarte, dass du hier hinter den Büschen bleibst, damit ich ungestört baden kann.«

Damit wandte sie sich ab und ging würdevoll, so hoffte sie zumindest, Richtung See. Am Ufer drehte sie sich noch mal um, vergewisserte sich, dass er ihr nicht gefolgt war. Dann zog sie sich aus und watete vorsichtig ins Wasser.

Acron wartete einige lange Momente, dann schlich er so lautlos wie möglich durch das Dickicht. Er setzte sich in den Schatten eines hohen Busches, wo er hoffe, nicht gleich von ihr entdeckt zu werden, und schaute ihr beim Baden zu. Ihr helles silbernes Haar und ihre milchweiße Haut hoben sich scharf von der dunkelblauen Wasseroberfläche ab. Sie bewegte sich anmutig. Als sie untertauchte, wurde er unruhig, weil sie für seinen Geschmack viel zu lange unter Wasser blieb. ›Sind die Zouren gute Schwimmer und Taucher?‹ Er wusste es nicht und das ärgerte ihn. Ihr Kopf mit dem silbernen Haaren erschien ein ganzes Stück weiter wieder an der Oberfläche. Graziös drehte sie sich um die eigene Achse. Auf den Rücken, auf den Bauch und erneut auf den Rücken. Was würde sie wohl sagen, wenn er zu ihr ins Wasser stieg? Wenn er sie packte und an sich zog?

Er stellte sich vor, wie sie ihre Schenkel um ihn schlang und ein lüsternes Stöhnen von sich gab, während er in sie eindrang. Wie würde sie sich um ihn herum anfühlen? Schmal, wie die Zouren nun mal gebaut waren, wäre sie bestimmt verdammt eng. Sein Schwanz wurde steinhart bei der Vorstellung. Verflixt, er hatte Lust auf sie. In seiner Fantasie watete er mit ihr auf den Hüften aus dem See und legte sie am Ufer auf den Rücken. Und dann vögelte er sie. Langsam. Mit tiefen Stößen. Dabei knetete er ihre kleinen weißen Brüste und biss hin und wieder in ihre harten Nippel. Er verspürte diese unbändige dunkle Lust, ihr wehzutun. Er stellte sich vor, wie sie klang, wenn sie ihren Schmerz und ihre Lust laut herausschrie. Sie würde ihn verrückt machen, wenn sie ihre Schenkel mit einem verführerischen Lächeln weit für ihn spreizte. Er malte sich aus, wie sie ihn um mehr anbettelte. Wie sie sich wild unter ihm wandt, bis ihr Körper unkontrolliert zuckte. Verdammt, er war total scharf auf die Silberfee. Trotzdem würde er sie nicht anfassen. Die Zouren waren dafür bekannt, dass sie auf sterilen hauchzarten Kuschelsex standen. Bei seinem Volk dagegen ging es beim Sex wesentlich ruppiger zu. Die Lurd liebten den Kampf und die Ekstase. Allein schon der Gedanke an ein sanftes, vorsichtiges Rein und Raus erzeugte bei ihm den Drang zu gähnen. Nefeyja war schmalgliedrig und wirkte zerbrechlich. Hätte er so richtig Spaß mit ihr, wäre sie hinterher wahrscheinlich am ganzen Körper grün und blau. Es bestand sogar die Gefahr, dass er sie ernsthaft verletzte, und diese Vorstellung wirkte wie eine kalte Dusche auf ihn. Vermutlich wäre sie angewidert von dem harten, hemmungslosen Sex, auf den er stand.

Sein Blick folgte ihr, unfähig, sich abzuwenden. Ihr silbernes Haar schimmerte im Mondlicht, ihre Bewegungen waren anmutig wie die eines Flussdelfins. Er presste die Lippen zusammen, spürte das unerwartete Verlangen, sie zu beschützen – vor allem, selbst vor ihm. Doch es war mehr als das. Sie war keine Lurdfrau, keine Kriegerin, die ihm trotzen konnte, und doch zog sie ihn in ihren Bann. Eine seltsame Kraft, die ihn zugleich reizte und beruhigte.

Versonnen beobachtete er, wie sie das gegenüberliegende Ufer erreichte. Dort traf ein kleiner Wasserfall auf den sonst so ruhigen See und brachte die Oberfläche zum Brodeln. Wie gebannt verfolgte er jede ihrer Bewegungen.

Nefeyja war ganz automatisch auf das sanfte Rauschen des Wasserfalls zugeschwommen. Jetzt, wo sie ihn erreicht hatte, war das Rauschen zu einem Tosen angeschwollen.

Es gab viele Berge und Täler auf Luzzor. An fast allen Seen fand man mindestens eine, oft sogar mehrere Kaskaden. Nefeyja liebte die brachiale Naturgewalt des herabstürzenden Wassers.

Sie schwamm mitten hinein. Die Wassermassen trommelten auf ihren Körper. Eine Macht, die sie niederdrückte, ihre Haut peitschte und rötete. Sie drehte sich auf den Rücken und stöhnte laut auf, als das Wasser hart auf ihre empfindlichen Nippel prasselte. Mit einer Hand fasste sie zwischen ihre Schenkel, streichelte kurz über ihre Perle und erbebte leicht. Doch dann glitt sie mit langsamen Zügen wieder in ruhigeres Gewässer. Denn sie war sich des Lurd, der irgendwo auf der anderen Seite des Sees auf sie wartete, sehr bewusst. Natürlich konnte er sie unmöglich hören und erst recht nicht sehen, was genau sie unter dem Wasserfall trieb. Dennoch war es ihr nicht möglich, sich zu entspannen und sich von ihrer Lust treiben zu lassen, während er in der Nähe herumlungerte.

Mit einem leisen Seufzer schwamm sie zurück, und sobald sie stehen konnte, watete sie auf das Seeufer zu.

Acron hielt den Atem an. Mit jedem Schritt, den sie machte, sah er mehr von ihrem Körper. Wassertropfen perlten an ihren kleinen festen Brüsten herab, über ihre milchweiße Haut bis zu ihrem Bauchnabel. Tropfen rannen über ihre schmale Taille und ihre sanft geschwungenen Hüften. Er schluckte. Er wusste, dass den Zouren keine Körperbehaarung wuchs, aber er hatte noch nie eine nackte Zourenfrau gesehen. Unmöglich den Blick von ihren milchigweißen Schamlippen loszureißen. Wie gerne würde er ihr zwischen die Schenkel greifen. Wie würde es sich anfühlen, wenn ihre kleine Pussy sich in seine Handfläche schmiegte? Bestimmt ganz weich und samtig. Wow! Nein, er stand nicht auf sanften Zourenkuschelsex. Trotzdem wünschte er sich im Augenblick nichts sehnlicher, als seine Zunge in ihre haarlose Spalte zu tauchen. Wie sie wohl schmeckte? Nach Salz und Moschus, wie eine Lurdfrau? Oder komplett anders?

Er leckte sich über die Lippen, während sein Blick langsam über ihre straffen Schenkel und die wohlgeformten weißen Waden wanderte. Ihre Füße waren überraschend groß mit langen Zehen. Zouren erklommen mühelos die Stämme der riesigen Mulabäume, oder kletterten an glatten, fast senkrechten Felswänden hinauf. Diese Fähigkeit verdankten sie ihren besonderen Füßen. »Du verdammter Drecksack! Hast du mich genug begafft?«, kreischte sie empört und drehte sich um. Vermutlich um sich vor seinen Blicken zu schützen. Doch jetzt präsentierte sie ihm ihren hübschen knackigen weißen Hintern. Ein Anblick, den er mindestens genauso scharf fand. Vor seinem geistigen Auge erschien ein Bild, wie er sie nackt und nass, wie sie war, übers Knie legte. Wie gerne würde er ihr den Arsch versohlen, während er gleichzeitig zwei Finger seiner anderen Hand in ihre Spalte schob. Er stellte sich vor, wie ihre Empörung sich in Verlangen und ihr Gezeter sich in Betteln und Flehen nach mehr verwandelte. Wie schnell sich ihre helle Haut wohl unter seinen Hieben röten würde? Könnte er mit ihr kämpfen, würde er darum ringen, sie vor sich auf allen Vieren zu sehen und als Siegerpfand ihren hübschen runden Hintern benutzen. Was für eine Vorstellung! Aber sie war ja nur eine kleine schmächtige Zourenfrau. Leider würde er niemals mit ihr um ihren Körper raufen können, was er sehr bedauerlich fand.

»Haust du jetzt endlich mal ab, du mieser Gaffer?« Ihr nerviges Gekreische riss ihn aus seiner Tagträumerei.

»Beruhige dich. Hab eh schon alles gesehen. Also kannst du dich völlig ungezwungen bewegen«, erwiderte er lässig.

»Hätte ich jetzt einen großen Stein, würde ich ihn dir an den Kopf werfen! Ich hatte dich gebeten, hinter den Büschen zu bleiben. Was bildest du dir ein?«

Die ruckartigen Bewegungen, mit denen sie ihre Kleidung einsammelte und sich anzog, verrieten ihm, wie sauer sie war.

»Stell dich nicht so an, Weib«, brummte er. »Ich konnte nicht widerstehen und wir beide sind nun Weggefährten auf unbestimmte Zeit. Früher oder später hätte ich dich sowieso nackt gesehen. Das lässt sich nicht vermeiden, wenn man gemeinsam wandert. Gewöhn dich besser gleich an den Gedanken und zick nicht rum.« Sie stemmte ihre Fäuste in die Hüften, öffnete den Mund, um ihm eine gepfefferte Erwiderung entgegenzuschleudern.

»Außerdem«, redete er unbeeindruckt weiter, »finde ich dich wunderschön und höllisch heiß.«

»Äh was?«, fragte sie verblüfft.

»Du bist eine tolle Frau mit einem rattenscharfen Körper. Du brauchst dich wirklich nicht zu verstecken.«

Nefeyjas Wut verrauchte augenblicklich. Dabei waren es noch nicht einmal seine Worte, die sie verwirrten. Die ehrliche Bewunderung in seinem Blick schmeichelte ihr und verunsicherten sie gleichermaßen.

Was für eine verrückte Lage. Dieser ganze Tag erschien ihr vollkommen unwirklich. Ihr fiel keine passende Antwort ein. Sie wusste nicht mal, was sie fühlen sollte. Deshalb ging sie einfach wortlos an ihm vorbei.

Er fasste nach ihrem Handgelenk. »Halt, wo willst du ihn?«

»Wenn es dir nichts ausmacht, werde ich mich anziehen«, entgegnete sie schnippisch. »Und dann werde ich ein paar Beeren sammeln. Irgendwas müssen wir schließlich essen. Du hattest ja offenbar andere Interessen, als für unser Abendessen zu sorgen.«

Damit riss sie sich los und beeilte sich, von ihm fortzukommen. Seine Nähe verwirrte sie.

Aus einigen großen Blättern, die sie auf dem Boden fand, bastelte sie ein kegelförmiges Gefäß. Das füllte sie mit den leckeren roten Walderdbeeren, die hier überall wuchsen. Die Früchte waren reif und groß wie ihre Fingerkuppe. Sie mochte den süßen, fruchtigen Geschmack und freute sich schon auf das Abendessen. Verhungern würden sie jedenfalls nicht.

Nefeyja ließ sich Zeit mit dem Beerenpflücken und versuchte herauszufinden, was sie fühlte. Die Tatsache, dass dieser unverschämte Kerl sie beim Baden beobachtet und sie nackt gesehen hatte, wühlte sie auf. Sie war empört über seine Frechheit und gleichzeitig geschmeichelt, dass ihm offenbar gefiel, was er zu sehen bekommen hatte. Beunruhigende Bilder tauchten vor ihrem geistigen Auge auf. Sie sah sich selbst mit ihm kämpfen. Wie eine Amazone tänzelte sie nackt und leichtfüßig um ihn herum. Schlug schnell und hart zu, zog sich dann wieder zurück. Verpasste ihm einen Tritt mit gestrecktem Bein und verschwand mit einer verführerischen Drehung aus seiner Reichweite.

Die Lurd waren ein Volk von Kriegern. Frauen und Männer strebten gleichermaßen nach der Macht und dem Sieg. Sie genossen es, ihre Partner zu dominieren. Aber noch mehr liebten sie den Kampf selbst, der ein animalisches, wildes Vorspiel darstellte. Lurdfrauen waren als Amazonen und hervorragende Kämpferinnen bekannt und damit Gegnerinnen auf Augenhöhe im Gefecht um die dominante Rolle.

Gefährten rauften nicht, um einander zu verletzten, obwohl das in der Hitze einer Auseinandersetzung durchaus passieren konnte, wie Nefeyja gehört hatte. Lurdpaare kämpften um die Vorherrschaft in ihrer Beziehung. Der Besiegte akzeptierte die Dominanz des Siegers, sowohl im täglichen Miteinander als auch beim Sex. Solange er sich in der Rolle des Unterlegenen wohlfühlte, fügte er sich. Doch sobald er den Wunsch verspürte, das Gleichgewicht zu verschieben, forderte er seinen Gefährten zu einem erneuten Kampf um die Oberhand heraus.

Sie selbst dagegen war nur eine typische Zourenfrau und keine Kontrahentin für einen Lurd. Sie war eine schnelle, ausdauernde Läuferin, die sich außerdem geschickt beim Klettern und Schwimmen anstellte und mit einem ausgezeichneten Gehör ausgestattet war. Würde sie Acron angreifen, um diesen speziellen Kampf zwischen Mann und Frau mit ihm auszutragen, wäre das, als würde ein Insekt gegen einen Riesen antreten. Vermutlich würde er sie auslachen. Mindestens aber sich gelangweilt abwenden. Sie könnte ihn stattdessen zu einem Rennen herausfordern. Doch warum sollte er sich auf einen Wettstreit einlassen, in dem er gänzlich chancenlos wäre? Tatsächlich wollte sie auch gar nicht gewinnen, gestand sie sich ein.

Bei der Vorstellung, von ihm besiegt und genommen zu werden, erfasste ein wohliges Kribbeln ihren Körper und Nässe sammelte sich in ihrem Schritt. Sie seufzte unwillkürlich.

›Habe ich ihn deshalb befreit? Weil ich scharf auf ihn bin? Nein verdammt! Ich habe ein Unrecht beendet, nicht mehr und nicht weniger!‹ Hoffnungslos sich das einzureden, während die verräterischen Reaktionen ihres Körpers sie verwirrten. Für Zouren war Sex eher Pflicht als Vergnügen. Sie war sicher, dass ihre Lust an ihrem eigenen Körper für eine Zourenfrau äußerst ungewöhnlich war. Zumindest konnte sie sich kein Mitglied ihrer Sippe vorstellen, das sich unter einem tosenden Wasserfall selbst befriedigte. Doch bis heute hatte sie noch nie eine solch brennende Lust auf einen Mann verspürt. Sie genoss das wilde Pochen in ihrem Schoß. Gleichzeitig fühlte sie den Drang in sich, auf den Baumstamm vor sich einzuschlagen. Oder ihre gesammelten Beeren auf den Boden zu schleudern und zu zertrampeln und dabei vor lauter Frust zu schreien. Warum nur zog dieser Lurd sie in seinen Bann? Wieso reizte sie überhaupt irgendein Kerl? Und wie sollte das enden? Schließlich konnte sie sich nicht mit ihm im Kampf messen und er sich nicht mit ihr im Laufen oder Klettern.

›Wie gut kann so ein Lurd eigentlich schwimmen?‹

Sie war eine ausgezeichnete Schwimmerin, aber nicht unbesiegbar. Dennoch, ein absurder Gedanke, ihn zu einem Schwimmduell herauszufordern, den sie schnell wieder verwarf.

Nefeyja pflückte so viele Beeren, dass sie und Acron davon wohl satt werden würden. Die Ruhe und das leise Knacken des trockenen Laubs unter ihren Füßen halfen ihr, den Aufruhr in ihrem Inneren zu beruhigen.

Als sie an das Seeufer zurückkehrte, flackerte dort ein kleines Feuer. Acron hielt zwei Äste, die er mit köstlich duftenden Algen aus dem See umwickelt hatte, über die Flamme und brutzelte sie. Der würzige, leicht fischige Geruch sorgte dafür, dass ihr Magen laut und vernehmlich knurrte. Acron hielt ihr grinsend einen Stock entgegen, als sie sich zu ihm setzte und ihre Beeren zwischen sie beide stellte.

»Hältst du das für sicher, hier ein Feuer anzuzünden?«, fragte sie ihn. »Den Rauch und den Duft der Algen wird man sehen und riechen können.«

»Die Jäger aus deiner Sippe haben uns nicht bis hierher verfolgt. In der Gegend gibt es keine Mulabäume, also auch keine Zourendörfer. Und es gibt hier weit und breit nur Wald und Wiesen, keine Höhlen, in denen sich Lurd angesiedelt haben könnten. Ich denke, wir sind hier sicher. Trotzdem bin ich vorsichtig. Ich werde das Feuer austreten, sobald wir gegessen haben.«

Nefeyja nickte nur. Zu gerne würde sie ihm die Fragen stellen, die ihr unter den Nägeln brannten.

Wie geht es weiter? In welche Zukunft steuern wir? Oder einfach nur: Was tun wir als Nächstes? Hast du einen Plan?

Doch sie schwieg, denn sie fürchtete sich vor seiner Erwiderung. Nein, eigentlich eher davor, dass er keine Antworten hatte. Eine ganze Weile aßen sie ihr Mahl schweigend. Nefeyja genoss die Wärme des Feuers und lauschte dem Zwitschern der Federviecher. Dabei schaute sie Acron hin und wieder verstohlen an. Er hatte sich bequem auf die Seite gelegt und stützte sich auf einem Ellenbogen ab. Beunruhigt wirkte er nicht. ›Warum nicht? Wie konnte er in dieser Situation nicht besorgt sein? Wollte er nicht zurück zu seinem Clan? Oder war er etwa auch ein Ausgestoßener?‹

»Hast du Familie?«, platzte sie heraus und ärgerte sich sofort, so direkt gefragt zu haben, anstatt ganz allgemein danach, wo und wie er lebte.

Acron schüttelte den Kopf. »Nein«, brummte er nur.

Nefeyja wartete, doch er sprach nicht weiter. Keine Erklärung, und schon gar keine Geschichte aus seinem Leben.

Sie war enttäuscht. ›Warum erzählt er mir nichts über sich, verdammt? Hat er was zu verbergen?‹

»Was wirst du aus deinem bisherigen Leben am wenigsten vermissen?«, unterbrach er ihre Gedanken.

Nefeyja beschlich das Gefühl, dass er sie nur von ihren Fragen ablenken wollte. Trotzdem antwortete sie ihm.

»Die unzähligen Regeln, nach denen meine Sippe lebt. Die fand ich schon immer furchtbar. Sie ergeben keinen Sinn, sie schränken den Einzelnen nur ein.«

»Was für Regeln sind das? Gib mir ein paar Beispiele«, verlangte er.

Sie überlegte einen Moment. »Ich schlage dir einen Handel vor: Ich nenne dir eine unserer Regeln und du beantwortest mir eine Frage über dich.«

Er runzelte die Stirn. »Der Handel erscheint mir nicht gerecht. Du wirst persönliche Fragen stellen, so sind Frauen nun einmal. Ich dagegen frage nach allgemeingültigen Zourenregeln.« Acron schwieg einen Moment. »Ich mache dir einen Vorschlag: Du nennst mir drei Regeln und ich erlaube dir eine Frage.«

»In Ordnung«, nickte sie.

»Eine Regel lautet: Während der Stunden der Dämmerung, wenn die zwei Monde auf- oder untergehen, ist es verboten, zu sprechen oder laute Geräusche zu machen, um die Harmonie mit der Natur zu bewahren.«

Sie schwieg einen Moment.

»Eine zweite Regel ist: Niemand darf die oberen Äste der Mulabäume erklimmen, außer den Auserwählten, die dort ihre Häuser errichten. Diese Bereiche gelten als heilig.«

Sie seufzte. »Eine dritte Regel: Wer aus dem Dorf reist und zurückkehrt, muss eine Gabe für die Gemeinschaft mitbringen, sei es ein Lied, eine Geschichte oder ein materielles Gut.

Das sind nur drei, es gibt unzählige Regeln und in ihrer Masse schränken sie die persönliche Freiheit des Einzelnen ungeheuer ein.

Und wer gegen die Regeln verstößt, muss sich einem Ritual der seelischen Reinigung unterziehen. Das Ritual umfasst die Einkehr in das eigene Innere, Arbeit für die Gemeinschaft und eine öffentliche Entschuldigung.

Wiederholte Verstöße können zur zeitlich begrenzten oder sogar zur ständigen Verbannung führen. Das ist die schlimmste Strafe, da die Sippe für Zouren das höchste Gut ist.«

Sie dachte einen Moment nach. »Jetzt bin ich dran: Warst du schon mal mit einer Lurdfrau verbunden? Oder bist du es noch? Hast du Kinder?«

Er verdrehte die Augen. »Das waren drei Fragen, ich habe dir nur eine gestattet. Aber ich beantworte sie dir trotzdem: dreimal nein. Ich sagte bereits, dass ich keine Familie habe.«

Sie wartete, aber es kam keine weitere Erklärung. »Das ist keine ausreichende Antwort«, beschwerte sie sich dann. »Erzähl mir etwas von dir. Wenn wir schon unfreiwillige Weggefährten sind, möchte ich dich näher kennenlernen.«

»Das hier ist kein Kaffeekränzchen und ich bin keine deiner geschwätzigen Freundinnen«, knurrte er. »Lass uns die Flammen löschen und dann schlafen.«

Er stand auf und löschte das kleine Feuer mit Wasser aus dem See. Ihr Nachtlager bereiteten sie aus Laub hinter einem großen üppigen Busch. Acron schnitt einige unauffällige Löcher in das dichte Blattwerk, damit sie ein wildes Tier oder einen möglichen Angreifer kommen sahen.

Erschöpft nach all der Aufregung und den Strapazen schlief Nefeyja ein, sobald sie die Augen schloss.

Ein Geräusch ließ sie aufschrecken. Was war das? Eine Hand legte sich fest auf ihren Mund. Panisch versuchte sie, sich zu wehren.

»Pst, still!«

Acron!

Langsam atmete sie durch die Nase aus und versuchte, ihren donnernden Herzschlag zu beruhigen.

»Sei leise«, murmelte er in ihr Ohr und nahm seine Hand von ihrem Mund.

»Hau ab Wolgur, sonst frisst du das Laub, das auf dem Boden liegt.«

Nefeyja vergaß zu atmen. Also hatte sie doch etwas gehört. Es waren Fremde hier. So nah, dass die einen Zweig knacken hören würden, wenn sie sich falsch bewegte.

Starr vor Schreck lag sie da. Jetzt kribbelte es auch noch in ihrer Nase. Bestimmt musste sie gleich niesen.

»Reiß dich zusammen! Sie werden uns nicht entdecken.« Acrons Worte waren kaum mehr als warmer Atem an ihrem Ohr. Doch seltsamerweise beruhigte sie sich. Geräuschlos rutsche sie ein wenig, bis sie eine Stelle fand, wo sie durch das Laub des Busches hindurchschauen konnte. Und dann sah sie die Lurd auf der anderen Seite.

Die Luft zwischen den beiden Kriegern schien zu knistern, wie eine gespannte Saite, kurz bevor sie zerspringt. Nefeyja lag regungslos im Laub und beobachtete das Geschehen durch die Zweige. Es war ein Kampf, aber diese Beschreibung wurde dem Schauspiel nicht gerecht. Es war ein Tanz. Ein Duett aus roher Kraft und gefährlicher Sinnlichkeit.

»Das Laub wird unter deinem nackten Hintern knistern, während mein Mund dich verwöhnt, Kandra. Aber das wird nur Hintergrundmusik sein, die du in deiner Ekstase gar nicht wahrnehmen wirst.«

»Den Einsatz deiner Zunge möchte ich tatsächlich erleben. Wird mir eine Freude sein, dir dabei zuzuschauen, wie du den Staub von meinen Stiefeln leckst, bis sie vor Sauberkeit glänzen. Besser für dich, freiwillig auf die Knie zu gehen, bevor ich dir meine Stiefelspitze in den Arsch schiebe.«

Ein tiefes grollendes Lachen erklang. Amüsiert, jedoch mit einem Hauch von Gefahr.

»Wie gut du wirklich mit deinem Mund bist, finden wir heraus, wenn sich deine Lippen um meinen Schwanz schließen. Komm her und zeig, was du kannst. Oder bist du zu feige?«

»Du hattest deine Chance, jetzt wirst du zu spüren bekommen, was es heißt, sich mit Kandra anzulegen.«

Die Lurdfrau bewegte sich wie eine Raubkatze. Ihr Körper war angespannt, geschmeidig, jede Muskelbewegung verriet die Macht, die in ihr steckte. Ihr Gegner, Wolgur hatte sie ihn genannt, war groß und kräftig, jedoch er wirkte nicht schwerfällig. Seine Bewegungen waren genauso präzise wie ihre. Doch jedes Mal, wenn er sie zu fassen versuchte, entglitt sie ihm mit einer Anmut, die Nefeyja den Atem raubte.

Ein hoher Tritt, der ihn beinahe umwarf. Ein rascher Schlag, der über seine Brust strich. Kandra tanzte vor ihm zurück, ihre Lippen leicht geöffnet, die Augen glühten vor Begeisterung und voller Feuer. Und er? Sein Grinsen war ein Versprechen – dunkel, gefährlich, und doch so voller Verlangen, dass selbst Nefeyja es spüren konnte.

Der erste richtige Treffer kam unerwartet. Wolgurs Faust traf ihre Schulter, und Kandra stöhnte laut auf. Doch es war kein Stöhnen des Schmerzes. Nein, da war etwas anderes in ihrem Ton. Etwas, das Nefeyjas Puls zu einem wilden Trommeln brachte.

»Gibst du auf, Kandra?« Wolgurs Stimme war rau, tief und herausfordernd. Doch bevor die Lurdfrau antworten konnte, griff er nach ihrem Zopf, zog sie zu sich heran und fixierte ihre Handgelenke mit einer einzigen, kraftvollen Bewegung. Sie keuchte, kämpfte gegen seinen Griff an und Nefeyja spürte, wie sich die Luft um sie herum veränderte. Es war, als würde die rohe Energie zwischen den beiden direkt auf sie übergehen. Was sie da vor ihren Augen abspielte, versetzte ihren Körper auf eine Weise in Aufruhr, die sie nicht verstand.

Lag es das an der Faszination, die der Kampf auf sie ausübte, oder an ihrer Bewunderung für die eleganten Bewegungen der Kriegerin? Oder war Acrons Körper an ihrer Atemlosigkeit schuld? Er lag halb über ihr, vermutlich um zu verhindern, dass sie aufsprang und … ja, was glaubte er, würde sie tun wollen? Weglaufen? Sich ins Getümmel stürzen, um der Lurdfrau zu helfen?

»Du bist nass, Kandra«, murmelte Wolgur mit einem dunklen Lächeln, während er ihr ins Ohr sprach. »Vielleicht sollte ich dich gleich hier nehmen. Jetzt! Sofort!«

Kandra riss sich los, ihre Augen funkelten. Sie stürmte auf ihn zu, ihre Bewegungen schneller, wilder, ihre Atemzüge schwerer. Die Spannung zwischen ihnen wuchs mit jedem Schlag, mit jedem Tritt. Sie kämpften mit einer Leidenschaft, die Nefeyja noch nie gesehen hatte. Nicht in den Baumdörfern ihrer Sippe und auch nicht in den stillen Nächten, in denen ihre Gedanken sie quälten.

Kandras Nippel zeichneten sich so deutlich unter dem Stoff ihres Kleides ab, dass sie Nefeyja trotz der Distanz zwischen ihnen ins Auge stachen. Und ihr Partner hatte einen mächtigen Ständer, der Nefeyja die Röte in die Wangen trieb.

Gebannt verfolgte Nefeyja das rabiate Vorspiel. Mit jedem Schlag rückten in Besitznahme und Unterwerfung näher. Die Stellen, wo Acrons Haut die ihre berührte, prickelten. Der leidenschaftliche Kampf um die Macht, dessen heimliche Zeugen sie waren, trieb die Nässe zwischen ihre Schenkel und ließ ihren Körper pulsieren. Sie ertappte sich bei dem Wunsch, dass der Lurdmann den Sieg davon tragen und seine Gefährtin vor ihren Augen unterwerfen sollte.

Aber warum?

Sollte sie nicht auf Kandras Seite stehen? Sollte nicht eine Frau der anderen den Sieg gönnen?

Wieso wünschte sie ihm den Triumph? Wäre doch großartig zu beobachten, wie der Lurd auf dem Waldboden kniete und wie Kandra ihn rannehmen würde. Sie fand keine Antwort auf die Frage. Sie wusste nur, dass sie ihn unbedingt siegen sehen wollte.

Kandra griff erneut an. Sie warf Wolgur mit einem geschickten Manöver zu Boden, setzte sich auf seine Hüften und presste seine Arme in den weichen Waldboden. Sie war außer Atem, ihre Brust hob und senkte sich heftig. Wolgur sah mit einem Blick zu ihr auf, der Nefeyja die Röte ins Gesicht trieb. »Du hast gewonnen«, raunte er schließlich leise. Sein Tonfall klang ergeben und voller Wärme.

Aber Nefeyja hatte es gesehen. Das Zögern in seinen Bewegungen, die kleine Lücke, die er gelassen hatte, damit Kandra den Sieg erringen konnte. Es war Absicht gewesen und dennoch hatte es die Spannung zwischen ihnen nicht geschmälert. Im Gegenteil, es machte die Dynamik nur noch intimer.

Kandra ließ von ihm ab und stand auf, nur um sich Sekunden später ihrer Kleidung zu entledigen. Wolgur folgte ihrem Beispiel mit langsamen Bewegungen. Als er nackt war, kniete er sich hin und blickte zu ihr auf.

Nefeyja konnte den Moschusduft riechen, der in der Luft lag, eine Mischung aus Schweiß und Lust, die ihre Sinne benebelte. Nur kurz wunderte sie sich darüber, dass sie diesen Duft hier draußen im Wald wahrnehmen konnte. Offenbar waren ihre Sinne auf das Äußerste geschärft.

»Du hast verloren, Wolgur! Du darfst deiner Herrin jetzt deine Ergebenheit zeigen. Trödel nicht herum und leg dich auf den Rücken, ich habe nicht den ganzen Tag Zeit!«

Gehorsam folgte der Lurd ihrem Befehl. Sein Schwanz reckte sich stolz und prall in die Höhe.

Nefeyja glaubte, nach Kandras Genugtuung und ihrer Dominanz greifen zu können, so präsent wirkten sie.

Wie wäre es wohl, mit Acron zu kämpfen? Würde er sie am Ende ebenfalls gewinnen lassen, so wie dieser Lurd Kandra den Sieg und damit sich selbst geschenkt hatte? Nein, das konnte sie sich beim besten Willen nicht vorstellen. Und sie würde es auch gar nicht wollen. Wie wäre es wohl, seinen Sieg über sie zu erleben mit allen Facetten? Was würde Acron ihr als Siegespreis abverlangen? Fast hätte sie aufgestöhnt, so sehr erregte sie dieser Gedanke.

›Was für ein Unsinn! Was kann eine Zourenfrau ihm schon entgegensetzen? Wenn sein Schlag oder Tritt mich trifft, gehe ich zu Boden und bin ohnmächtig. Bis ich wieder zu mir käme, wäre die sexuelle Spannung zwischen uns vorbei. Mehr noch, ich wäre wütend und verletzt, wenn er mich ausknockt, und auf ihn wirkt eine schwache, bewusstlose Frau sicher auch nicht gerade anregend. Ich bin keine Gegnerin für ihn.‹

Nackt wie sie war, kniete Kandra sich so, dass Wolgurs Gesicht zwischen ihren Schenkeln lag. Dann beugte sie sich herab, bis er ihre Pussy mit seiner Zunge erreichen konnte.

Kandra stöhnte, ihre Hüften zuckten und ihre Brüste wippten im Takt, während ihr Gefährte sie ausgiebig verwöhnte.

Nefeyja wünschte sich, genauso wild und ungezügelt stöhnen zu dürfen, wie die Lurdfrau.

Was die beiden da vor ihren Augen trieben, brachte das Feuer in ihr zum Sieden. Flammen leckten über ihre Mitte, wie Wolgurs Zunge über Kandras gierige Pussy und ließen Nefeyjas Säfte fließen. Sie mahnte sich selbst zur Vorsicht, und zwang sich ruhig und gleichmäßig zu atmen, damit Acron ihre Erregung nicht bemerkte. Und sobald das Lurdpaar die Zuschauer entdeckte, wäre es mit der heißen Vorstellung vorbei und sie müsste um Acrons und ihr eigenes Leben fürchten.