Monsieur Blake und der Zauber der Liebe - Gilles Legardinier - E-Book

Monsieur Blake und der Zauber der Liebe E-Book

Gilles Legardinier

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Beschreibung

Andrew Blake, erfolgreicher Geschäftsmann aus London, hat den Tod seiner geliebten Frau Diane nicht überwunden. Er braucht dringend eine Veränderung. Und so lässt er sein altes Leben hinter sich und nimmt in einem Herrenhaus in Frankreich inkognito eine Stelle als Butler an. Dort arbeiten mit ihm: die feldwebelhafte Köchin Odile, der exzentrische Gärtner Phillipe und das junge Hausmädchen Manon. Bald schon bringt Andrew die entfremdeten Bewohner des Hauses durch seine weise, humorvolle Art einander näher. Und wer weiß, vielleicht erlebt auch er selbst noch einmal den Zauber der Liebe?

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Seitenzahl: 502

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Buch

Andrew Blake, erfolgreicher 66-jähriger Geschäftsmann aus London, ist in einem Alter, in dem viele wichtige Menschen von ihm gegangen sind. Dazu gehört seine geliebte Frau Diane, deren Tod er nicht überwinden kann. Außerdem ist ihm der ewig gleichbleibende Alltag einfach zuwider. Andrew braucht dringend eine Veränderung. Kurzerhand übergibt er die Leitung der Firma seiner liebenswerten Sekretärin und macht sich auf den Weg nach Frankreich – um im Herrenhaus de Beauvillier inkognito als Butler zu arbeiten. Dort kennt ihn niemand, dort kann er sich vor dem Leben zurückziehen.

Doch die Menschen der Domaine de Beauvillier erfordern alles andere als eine passive Einstellung zu den Dingen. Die Dame des Hauses steckt in großen Schwierigkeiten und droht ihren Besitz zu verlieren. Odile, die feldwebelhafte, mürrische Köchin, die all ihr kulinarisches Talent in die Gerichte für ihren Kater Mephisto steckt, hat eigentlich ein Herz aus Gold. Das Hausmädchen Manon ist unglücklich verliebt, und auch den Gärtner Philippe, der in einer einsamen Hütte am Ende des Parks lebt, gilt es, mit dem Rest der Bewohner zu vereinen. Und so stürzt Andrew, der von allem genug hatte, wieder mitten in den Zauber der Liebe und das magische Chaos des Lebens hinein.

Weitere Informationen zu Gilles Legardiniersowie zu lieferbaren Titeln des Autors finden Sie am Ende des Buches.

Gilles Legardinier

Monsieur Blakeund der Zauberder Liebe

Roman

Aus dem Französischenvon Karin Ehrhardt

Die französische Originalausgabe erschien 2012unter dem Titel »Complètement cramé«bei Fleuve Noir, département d’Univers Poche, Paris

1. AuflageDeutsche Erstveröffentlichung August 2014Copyright © der Originalausgabe 2012 by Fleuve NoirCopyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2014by Wilhelm Goldmann Verlag, München,in der Verlagsgruppe Random House GmbHUmschlaggestaltung: UNO Werbeagentur, MünchenUmschlagmotiv: plainpicture/Cornelia Hediger; FinePic®, MünchenRedaktion: Kathrin HeiglMR · Herstellung: Str.Satz: DTP Service Apel, HannoverISBN: 978-3-641-13078-7www.goldmann-verlag.deBesuchen Sie den Goldmann Verlag im Netz

1

Die Nacht war recht kühl. Mitten in London, unter dem Glasdach des Hotels Savoy, lief ein älterer Herr im Smoking nervös auf und ab und blickte wiederholt auf das Display seines Handys. Der Veranstalter der festlichen Gala, die im großen Salon stattfand, durchquerte das Hotelfoyer und kam auf ihn zu. Durch die Drehtür zog der Klang der Blechinstrumente, die Cole Porter spielten.

»Immer noch nichts?«, fragte er.

»Ich versuche die ganze Zeit, ihn zu erreichen, aber er meldet sich nicht. Geben Sie mir noch eine Minute.«

»Ich hoffe nur, es ist nichts Schlimmes vorgefallen.«

Im Sterben zu liegen wäre in diesem Fall die einzige Entschuldigung, die ich gelten lassen würde!, dachte der Mann mit dem Telefon.

Sobald sich der Veranstalter wieder entfernt hatte, wählte er die Festnetznummer seines ältesten Freundes. Nach der Ansage des Anrufbeantworters sagte er mit tonloser Stimme: »Andrew, hier ist Richard. Wenn du da bist, heb bitte ab, ich flehe dich an. Alle warten auf dich. Ich weiß nicht, was ich ihnen noch alles erzählen soll …«

Plötzlich wurde der Hörer abgenommen.

»Wo warten sie denn alle auf mich?«

»Gott sei Dank, du bist da! Jetzt sag nicht, dass du den Exzellenz-Preis der Industrie vergessen hast. Ich habe dir doch gesagt, dass ich für deine Nominierung sorgen würde.«

»Das ist wirklich nett von dir, aber mir ist gerade nicht danach.«

»Andrew, du bist nicht nur nominiert worden, du hast gewonnen! Noch mal zum Mitschreiben: Du bist der Preisträger.«

»Das ist ja sagenhaft. Und was ist der Preis? Wenn man sich das Alter der Teilnehmer so anschaut, sicher nichts Aufregendes. Ein Einlauf vielleicht? Oder eine Darmspiegelung?«

»Das ist wirklich kein guter Zeitpunkt für deine Witze. Du ziehst dir jetzt sofort etwas Anständiges an und machst dich auf den Weg hierher.«

»Das kannst du vergessen, Richard. Ich erinnere mich, dass du mir von diesem Preis erzählt hast, und ich erinnere mich auch sehr genau, dir gesagt zu haben, dass er mich nicht im Geringsten interessiert.«

»Kannst du dir vorstellen, in welche Lage du mich bringst?«

»Du hast dich selbst in diese Lage gebracht, mein Freund. Ich habe um nichts gebeten. Das ist, als hätte ich dir zwei Tonnen Austern bestellt, weil ich dich gut leiden kann, und dann mache ich ein Riesentheater, weil du sie nicht essen willst.«

»Du kommst jetzt sofort hierher! Oder ich erzähle deiner Putzfrau, dass du ein Voodoo-Priester bist, und sie wird nie wieder einen Fuß in deine Wohnung setzen.«

Blake lachte schallend auf: »Du sitzt wohl ganz schön in der Tinte, wenn du schon so einen Blödsinn anbringst. Der armen Margaret Angst einjagen zu wollen, also wirklich! Das ist, als würde ich damit drohen, deine Frau beim Komitee zum Schutz des Guten Geschmacks anzuschwärzen, für das, was sie ihrer Frisur und eurem Pudel angetan hat …«

»Lass Melissa da raus. Andrew: Ich scherze nicht. Wenn du nicht sofort herkommst, bin ich zu allem fähig.«

»Wie damals, als du mir den Diebstahl des Hausäffchens von Lady Robertson anhängen wolltest? Sie war bis zu ihrem Tod davon überzeugt, dass du den Affen aufgefressen hast. Und überhaupt, Margaret wird dir kein Wort glauben. Ich werde ihr sagen, dass du Drogen nimmst. Und wenn du es dennoch schaffst, sie zur Kündigung zu überreden, spendiere ich dir, deiner Frau und ihren Haaren eine Woche auf den Bahamas.«

»Jetzt lass die Frisur meiner Frau aus dem Spiel!«, rief Ward entnervt. »Es reicht! Ich habe mich dafür eingesetzt, dass du diesen Preis bekommst, also tu mir den Gefallen, und hol ihn ab – und zwar schnell.«

»Ich liebe es, wenn du die Stimme erhebst. Dein Temperament hat mich schon in unserer Jugend tief beeindruckt. Selbstverständlich bin ich dir dankbar, dass du dir so viel Mühe gemacht hast, aber ich habe keine Lust, an diesem Zirkus teilzunehmen. Ich war von Anfang an offen zu dir. Diese Gesellschaften sind langweilig, und die Trophäen, die von irgendwelchen selbstverliebten Leuten vergeben werden, haben für mich keine Bedeutung. Deshalb werde ich nicht kommen. Punkt. Aber wenn du Lust auf ein Glas Wein hast, sehr gern, ich habe heute Abend nichts weiter vor.«

Ward erstickte fast an seiner Wut: »Hör mir gut zu, Blake: Wenn du mich jetzt hängen lässt, ist es um unsere Freundschaft nicht gut bestellt.«

»Ach, mein lieber Richard … In den vielen Jahren, die wir uns schon kennen, hätten wir uns Hunderte von Malen zerstreiten können. Was wir uns nicht schon alles an den Kopf geworfen haben …«

In mehr als fünf Jahrzehnten hatte Andrew Blake die Geduld seines Freundes in der Tat schon oft schwer strapaziert, an diesem Abend jedoch erreichte er neue Dimensionen.

»Andrew, bitte …«

»So wie ich zurzeit drauf bin, bist du der Einzige, der mir noch ein bisschen Spaß macht. Weißt du was? Du kannst ihnen sagen, ich hätte mir den Kopf gestoßen und wüsste nicht mehr, wie ich heiße. Ja, versuch einfach, die Gesellschaft ein bisschen zu erheitern! Erzähl ihnen, dass ich mich für SpongeBob Schwammkopf halte und dass ich dich in meinem letzten lichten Moment gebeten hätte, den Preis für mich entgegenzunehmen. Du kannst ihn sogar behalten.«

In diesem Moment erschien der Veranstalter wieder vor dem Hotel, um sich nach dem neusten Stand der Dinge zu erkundigen. Während er rasch näher kam, flüsterte Ward in sein Handy: »Das wirst du mir büßen, Kumpel.«

»Keine Sorge. Das Leben kümmert sich schon drum, alter Freund. Bis bald.«

Richard Ward unterbrach die Verbindung, setzte ein betrübtes Gesicht auf und verkündete: »Andrew Blake befindet sich in der Notaufnahme.«

»Ach du meine Güte!«

»Glücklicherweise besteht keine Lebensgefahr. Wenn es Ihnen recht ist, werde ich den Preis in seinem Namen entgegennehmen. Ich bin sicher, er wird untröstlich sein, Ihnen den Abend verdorben zu haben …«

2

Andrew Blake saß hinter seinem Schreibtisch. Er klappte das Notebook zu, schloss die Augen und ließ seine Hände langsam, wie ein Blinder, der sich ganz auf seinen Tastsinn konzentriert, über die glattpolierte Holzfläche des Schreibtischs gleiten. Vor ihm hatte schon sein Vater an diesem Möbelstück gesessen. Damals hatte es noch keine Computer gegeben. Es war eine andere Zeit gewesen.

Die Lider noch immer geschlossen, fuhr Andrew mit den Fingerspitzen über die abgerundeten Kanten der abgenutzten Eichenplatte, strich sanft über die Seitenteile und die Messinggriffe der Schubladen. Warmes Holz, kühles Metall. So viele Empfindungen, so viele Erinnerungen. Diesem Ritual gab er sich nur dann hin, wenn er sich wirklich schlecht fühlte, wenn ihn die Kraft verließ. Und so war es an diesem Abend. Von dem kleinen Unternehmen, das er geerbt hatte, war der Schreibtisch das einzige Stück, das konstant geblieben war. Alles andere hatte sich im Laufe der Zeit verändert: die Firmenadresse, der Umsatz, die Maschinen, die Umgebung, die Menschen, er selbst. Das war so weit gegangen, dass Andrew zuweilen nicht mehr erkennen konnte, wofür er den größten Teil seines Lebens geopfert hatte.

Ohne die Augen zu öffnen, zog er die unterste Schublade auf der rechten Seite heraus und ließ seine Finger ins Innere gleiten. Tastend erkannte er das große Heftgerät, das er als Kind nur mit viel Mühe hatte hochheben können, drei abgegriffene Notizbücher, ein Feuerzeug, einen Briefbeschwerer aus Bronze, den ihm seine Mitarbeiter geschenkt hatten. Diese Relikte aus einer anderen Zeit riefen in ihm nicht nur Erinnerungen wach, sondern versetzten ihn wahrhaftig in Zeiten zurück, in denen das Leben einfacher gewesen war. Früher einmal war noch nicht alles von ihm abhängig gewesen, früher hatte er noch nicht gewusst, wie es war, weit und breit der Älteste zu sein. Durch die Berührung dieser alltäglichen Gegenstände erschuf er die Welt, der sie entstammten, wieder neu: vom Klingeln des uralten Telefons bis hin zu dem Geruch von Schmiere und heißem Blech, der aus der nahen Werkstatt herüberwehte. Direkt neben sich hörte er die tiefe Stimme seines Vaters in schnellem Redefluss. Was würde er über das heutige Leben seines Sohnes denken? Welchen Rat würde er ihm geben? Im Laufe der Jahre war Andrew nun selbst zu Mr Blake geworden. Blinzelnd öffnete er die Augen und schob die Schublade wieder zu.

Schon vor langer Zeit hatte er diese Sensibilität für Dinge entwickelt, die man zum letzten Mal tut, oft, ohne sich dessen bewusst zu sein. Auslöser war ein bestimmtes Ereignis gewesen: sein letztes gemeinsames Essen mit seinem Vater. Am Ende der schlichten Mahlzeit hatte seine Mutter die beiden lachend ermahnt, sich ein wenig zu beeilen, weil sie den Anfang eines Fernsehfilms nicht verpassen wollte. Worüber hatten sie sich unterhalten? Über dies und jenes. Sie hatten mit der Sorglosigkeit von Menschen miteinander geplaudert, die in dem Glauben leben, sich am folgenden Tag jederzeit mehr erzählen zu können. Doch eine Hirnblutung in der Nacht änderte alles. Und so war dieses banale Essen wesentlich geworden, endgültig. Obwohl jener Abend vor fast vierzig Jahren stattgefunden hatte, empfand Andrew, wenn er daran dachte, immer noch den gleichen engen Schmerz in der Brust, den gleichen Schwindel, als würde ihm der Boden unter den Füßen weggezogen. Seit jenem Erlebnis trug er immer die Angst mit sich herum, das Leben könnte ihm etwas wegnehmen, Dinge, an denen ihm etwas lag. Nein, schlimmer noch: Es war die Furcht, die Menschen zu verlieren, die er liebte. Daraus hatte er eine persönliche Philosophie entwickelt: alles genießen, in jeder Sekunde, schließlich konnte es im nächsten Moment wie ein Kartenhaus zusammenstürzen.

Angst bewahrt jedoch nicht vor Gefahr, und sie hatte nicht verhindern können, dass das Schicksal erneut hart zuschlug. Seit jenem Abend hat er viele letzte Male erlebt: seine Frau, Diane, die sich lachend an seine Schulter lehnte, während er sie umarmte – an einem Donnerstagmittag. Seine Tochter, Sarah, die von ihm eine Gutenachtgeschichte einforderte – ein Dienstagabend. Sein letztes Tennis-Match. Das letzte Mal, dass sie sich zu dritt einen Film angesehen hatten. Die letzte Blutanalyse, deren Ergebnisse er sich noch ohne Sorge angesehen hatte. Die Liste war endlos und wurde mit jedem Tag länger. Alle diese Dinge gingen vorüber, bevor man ihren wahren Wert erkannte. Bis man sie eines Tages auf der falschen Seite der Waagschale angehäuft sah.

Wenn er erschöpft war, hatte Andrew das deprimierende Gefühl, sein Leben liege hinter ihm und er sei nur noch deshalb da, um seinen Pflichten in einer Welt nachzukommen, die er nicht mehr zu schätzen wusste. Seine Träume drehten sich um die Vergangenheit, und bald würde er bei seinen Lieben sein.

Andrew griff nach dem großen Umschlag, dessen Inhalt er heimlich und methodisch seit Wochen zusammengetragen hatte. Papiere, immer diese Papiere. Er öffnete ihn nicht, überdachte stattdessen noch einmal gründlich seine Entscheidungen und alles, was damit zusammenhing. Bedächtig wog er eine nach der anderen ab und bereute keine von ihnen. Da klopfte es. Hastig stopfte er den Umschlag in die oberste Schublade.

»Herein!«

Ein junger Mann im Anzug stand in der Tür.

»Verzeihen Sie bitte, Mister Blake. Ich würde gerne mit Ihnen sprechen.«

»Hat Ihnen unser vierstündiges Meeting nicht gereicht, Mister Addinson?«

»Es tut mir sehr leid, dass Sie so negativ auf unsere Vorschläge reagiert haben. Sie sollten noch einmal darüber nachdenken.«

Wäre Blake noch ein junger Gepard, wäre er ihm ins Gesicht gesprungen, um ihn in Stücke zu reißen. Aber er war schon ein alter Löwe und lachte deshalb nur kurz spöttisch auf.

»Nachdenken? Ich glaube, dazu bin ich noch sehr gut in der Lage. Gerade weil ich nachgedacht habe, machen mich Ihre ›Vorschläge‹ so wütend.«

»Es ist zum Besten der Firma …«

»Sind Sie da ganz sicher? Fordern Sie mich nicht heraus, Addinson. Sie und Ihre Kollegen haben mich heute schon genug geärgert.«

»Wir wollen doch nur das Beste für uns alle.«

»Für uns alle? Für wen arbeiten Sie eigentlich, Mister Addinson? Was hat man Ihnen an diesen Hochschulen, die Sie offenbar in dem Glauben verlassen haben, alles zu wissen, eigentlich beigebracht? Unsere Kunden, für die wir unsere Arbeit tun, sind Ihnen doch völlig egal. Ihr Motto heißt: so viel wie möglich verkaufen, auch wenn die Menschen es nicht brauchen, immer billiger produzieren, auch wenn es auf dem Rücken der Arbeiter ausgetragen wird, die in den Fabriken schuften, und schließlich die Produktionsstätten verlagern, um noch mehr Profit einzustreichen.«

»Das sehen Sie nicht ganz richtig.«

»Ich pfeife auf Ihr Urteil. Ich habe dieses Unternehmen schon geleitet, als Sie noch ein vages Projekt in den Köpfen Ihrer Eltern waren. Als ich meinen Job angefangen habe, musste ich zuallererst einmal die Werkhallen fegen. Ich kannte hier die Namen jedes Arbeiters, seiner Frau, seiner Kinder; ich sah sie sogar heranwachsen. Nun halten Sie mich für einen alten Schwätzer, was? Sie glauben, meine Ansprache sei rückständig und paternalistisch? Ich will Ihnen mal etwas sagen: Das interessiert mich nicht. Ich bin der Chef, und Sie sind mein Angestellter.«

»Die Zeiten ändern sich, Mister Blake. Man muss sich anpassen.«

»Anpassen. An die perversen Systeme, die von Menschen wie Ihnen ersonnen wurden? Sie und Ihresgleichen denken nur an sich selbst. Aber lassen Sie es sich gesagt sein: Eines Tages werden Sie Ihrer eigenen Maßlosigkeit zum Opfer fallen. Sie sind sicher kein Dummkopf, Addinson, aber es ist nicht die Intelligenz, die den Wert eines Menschen bestimmt, sondern das, was er daraus macht.«

»Ihre hohen Prinzipien werden unsere Firma nicht retten können, Mister Blake.«

»Und Ihre niederen Prinzipien werden sie ruinieren. Und vergessen Sie nicht: Es ist immer noch meine Firma. Seit mehr als sechzig Jahren produzieren wir Dosen aus Metall. Unsere Kunden schätzen unsere Produkte, weil sie stabil und funktionell sind. Sie haben vielleicht nicht so viel Glamour wie der neonfarbene Plastikmüll, der ein paar Wochen lang angesagt ist, aber sie sind nützlich. Wir haben eine Aufgabe, Mister Addinson. Die Menschen zählen auf uns! Ich weiß nicht einmal, ob Sie dieses Konzept verstehen … Also, noch einmal zum Mitschreiben: Wir werden, trotz Ihrer verworrenen Theorien, die Wandstärke unserer Dosen nicht verringern, um die Wiederverkaufsrate zu heben. Und wir werden unsere Produktionsstätten nicht verlagern, nur damit wir mit ausgebeuteten Arbeitskräften mehr Profit machen können. Lassen Sie uns einfach weiterhin unseren Job tun! Was mich zu der interessanten Frage bringt: Was ist eigentlich Ihr Job, Mister Addinson? Optimieren? Outperformen? Marktsynergien nutzen? Opportunitäten ausschöpfen? Statt Klartext zu reden, werfen Sie nur mit leeren Worthülsen um sich, dabei hat dieses ganze aufgeblasene Fachchinesisch keinen Zweck außer dem, sich den Anschein von Wichtigkeit zu geben.«

»Ohne uns würden Sie nichts verkaufen …«

»Glauben Sie, ja? Ein halbes Jahrhundert lang haben wir nichts anderes gemacht. Naiv wie ich bin, war ich seit jeher der Meinung, dass Dinge, die gebraucht werden, problemlos Käufer finden. Nur die Nutzlosigkeiten, die unsere Zeit hervorbringt, müssen mit allen Tricks angepriesen werden. Aber zurück zum Thema: Ich werde nicht zulassen, dass Sie Ihre noch nicht einmal ausgewachsenen Krallen an meiner Firma wetzen.«

»Vielleicht werden Sie keine Wahl haben, Mister Blake. Ich stehe mit meiner Meinung nicht allein da. Die Banken sehen es genauso.«

»Ist das eine Drohung?«

»Ich bin zu Ihnen gekommen, um die Wogen zu glätten, und Sie beleidigen mich!«

»Sie sind gekommen, um mich herauszufordern, und ich habe reagiert. Und nun gehen Sie. Für heute habe ich genug von Ihnen gesehen. Aber zuvor möchte ich mich bei Ihnen bedanken, Addinson: Sollte ich den geringsten Zweifel gehabt haben, wie es weitergehen soll, dann haben Sie ihn mir gerade genommen.«

»Was wollen Sie damit sagen?«

»Sie werden feststellen, dass auch ich zu Innovationen fähig bin … Guten Abend.«

3

Heather, sind Sie noch da?«

In ihre Notizen vertieft hatte die junge Frau ihren Chef nicht kommen hören. Beim Klang seiner Stimme fuhr sie auf.

»Guten Abend, Mister Blake. Ich bin gerade dabei, das Protokoll des Meetings von heute Nachmittag zu schreiben. Die Marketingabteilung will es bis morgen haben.«

»Vergessen Sie das, und gehen Sie nach Hause.«

»Aber …«

»Heather, Sie sind meine Assistentin und nicht die der Marketingleute. Wenn ich Ihnen sage, dass Sie die Sache verschieben können, dann wird niemand etwas dagegen haben.«

»Natürlich, Mister Blake.«

Die junge Frau ließ sich nicht zweimal bitten und schob die Blätter zurück in die Mappe. Dabei ging ihr durch den Kopf, dass Andrew Blake nur äußerst selten in ihr Büro kam. Sie betrachtete ihn aufmerksamer. Er sah müde aus an diesem Abend. Großgewachsen, graumeliertes Haar, ein feingeschnittenes Gesicht, ein offener Blick hinter runden Brillengläsern. Am rechten Mundwinkel hatte er wieder diese kleine Falte, die ihm einen leicht verbitterten Ausdruck verlieh. In letzter Zeit hatte sie diese Verspanntheit oft bei ihm beobachtet. Heute hatte er seine rote Fliege umgebunden und trug ein dunkelgrünes Samtsakko. Heather hatte seinen Kleidergeschmack, oder vielmehr dessen Abwesenheit, schon immer amüsant gefunden, aber sie mochte ihren Chef trotzdem sehr gern.

Nun stand er mit einem großen Umschlag in der Hand vor ihr und sagte nichts.

»Soll ich den für Sie verschicken?«

»Nein, aber da Sie gerade hier sind, möchte ich etwas mit Ihnen besprechen.«

Er rieb sich die Augen mit der geschlossenen Faust. Das tat er regelmäßig, wie ein müdes kleines Kind, mit angehobenen Ellbogen und fest geschlossenen Lidern. Schon als sie in der Firma angefangen hatte, war ihr diese Angewohnheit bei ihm aufgefallen. Sie fand sie anrührend. Ein alter Mann mit den Gesten eines Kindes. Im Laufe der Zeit hatte sie weitere Eigenheiten bemerkt: Mit seinen Füßen malte er Kreise unter dem Schreibtisch, und in Sitzungen, die ihn langweilten, also in praktisch allen, spielte er mit seinen Stiften herum. Sie kannte ihn gut. Es gab keine Vertraulichkeiten, aber sie waren sich nah. Sie wusste über seine kleinen Macken Bescheid, das Lineal, das immer rechts vom Telefon lag, seine Liebe zur Präzision, seine Integrität. Obwohl sie nie über ihr Privatleben sprachen, konnte sie sofort erkennen, ob er obenauf war oder deprimiert. Er erkundigte sich immer, wie es ihr ging, und wenn sie antwortete, hörte er wirklich zu. Nie hatte er ihr Informationen vorenthalten, und seine Bürotür machte er nur dann zu, wenn er mit seinem alten Freund Richard Ward telefonierte. Bei diesen Gesprächen hörte sie ihn manchmal lachen. Sonst nie.

Andrew Blake ging einen Schritt auf sie zu.

»Heather, ich werde für einige Zeit abwesend sein.«

»Gesundheitliche Probleme?«, fragte sie sofort besorgt.

»Es gibt auch andere Gründe zu verschwinden, selbst für einen alten Mann wie mich.«

Er setzte sich auf den Stuhl vor ihrem Schreibtisch.

»Im Moment kann ich Ihnen nicht mehr sagen, aber ich bitte Sie, mir zu vertrauen.«

Er legte den Umschlag vor sie hin.

»Heather, Sie arbeiten jetzt schon seit mehr als drei Jahren für mich, und ich habe Sie beobachtet. Sie sind eine ernsthafte junge Frau und ein guter Mensch. Ich vertraue Ihnen voll und ganz. Bevor ich zu meiner Entscheidung gekommen bin, habe ich gründlich nachgedacht. Diese Firma hier bedeutet mir sehr viel.«

»Warum sagen Sie mir das alles? Sie machen mir Angst. Sind Sie sicher, dass alles in Ordnung ist?«

»Heather, Sie sind so alt wie meine Tochter, und ich weiß, dass Sie über Ihr weiteres Leben nachdenken. Sie fragen sich, welche Richtung Sie ihm geben sollen, Sie möchten sich weiterentwickeln. Das ist absolut normal. Ich habe bemerkt, dass Ihre Zeitung oft auf der Seite mit den Stellenanzeigen aufgeklappt ist … Und ich für meinen Teil bin an einem Punkt angelangt, an dem ich mich frage, was nach mir kommt. So sieht es also aus: Da ich für einige Zeit fort sein werde, habe ich meinen Anwalt gebeten, Dokumente vorzubereiten, die Sie mit allen Vollmachten ausstatten.«

Die junge Frau erblasste.

»Nein, tun Sie das nicht«, sagte sie erschrocken. »Alles wird wieder gut, ganz sicher! Sie sind die Seele dieser Firma, die Jungs aus der Werkstatt lieben Sie. Die Ärzte werden Sie bestimmt wieder hinkriegen. Geben Sie sich nicht auf …«

Heather sprach hastig, Stimme und Blick voller Emotionen. Blake war gerührt, und ein Lächeln – ein richtiges – stahl sich in sein Gesicht. Um sie zu unterbrechen, legte er seine Hand auf ihre.

»Es ist alles bestens, Heather. Wie ich schon sagte, ich bin nicht krank. Bei dem, was ich habe, kann mir kein Arzt helfen. Ich leide bloß unter einem akuten Schon-über-sechzig-Syndrom, das ist alles. Kein Grund zur Sorge. Hören Sie zu, Heather, ich habe Folgendes vor: Ich werde mich für eine unbestimmte Zeit zurückziehen und während meiner Abwesenheit darüber nachdenken, was ich aus der Zeit, die mir noch bleibt, machen möchte. Und inzwischen werden Sie meinen Platz einnehmen.«

»Das kann ich unmöglich!«

»Jedes Mal, wenn es galt, eine Entscheidung zu treffen, haben Sie mir Ihre Meinung mitgeteilt, und oft deckte sie sich mit meiner. Bleiben Sie bei Ihrem Gefühl. Lassen Sie sich nicht von unseren überbezahlten Idioten einwickeln. Stellen Sie niemanden ein, es sei denn, die Produktion verlangt danach. Im Notfall, oder auch einfach wenn Sie einen Rat brauchen, können Sie Richard Ward anrufen oder Farrell aus der Produktion.«

»Lassen Sie sich hier denn gar nicht mehr blicken?«

»Nicht bevor ich wieder zurück bin.«

»Werde ich Sie telefonisch erreichen können oder wenigstens per Mail?«

»Ich weiß es noch nicht. Aber ich werde Sie hin und wieder kontaktieren.«

»Das glaub ich einfach nicht! Sie können doch nicht einfach so weggehen. Bestimmt gehen wir pleite, und ich werde schuld sein!«

»Trauen Sie sich ruhig etwas zu. Wer weiß, vielleicht schlagen Sie sich sogar besser als ich. Vergessen Sie nicht, dass ich meine Firma niemals jemandem anvertrauen würde, an den ich nicht glaube.«

Er wies auf den Umschlag.

»Nehmen Sie sich Zeit, alles in Ruhe zu lesen. Benderford, der Anwalt, kommt morgen früh vorbei und lässt Sie unterzeichnen. Sie werden sich nun eine Assistentin suchen müssen. Ich hoffe, Sie haben bei Ihrer Wahl ein glückliches Händchen, genauso wie ich es bei Ihnen hatte. Und jetzt ab nach Hause. Ab morgen haben Sie einen neuen Job.«

»Werden Sie morgen nicht mehr da sein?«

»Nein, Heather. Sobald Sie die Papiere unterzeichnet haben, sind Sie die Geschäftsführerin. Ich wünsche Ihnen viel Glück. Seien Sie einfach nur Sie selbst, und alles wird gut gehen, ganz bestimmt.«

Blake stand auf und umrundete den Schreibtisch. Dann neigte er sich zu der jungen Frau hinunter und küsste sie vorsichtig auf die Stirn. Es war das erste Mal, dass er sich diese Freiheit nahm, und er tat es ebenso aufrichtig wie unbeholfen. Es war schon lange her, dass er die Gelegenheit hatte, jemanden zu küssen, und sei es nur freundschaftlich.

Eine Weile verharrten sie bewegungslos, jeder in seinen persönlichen Ängsten und Zweifeln versunken.

4

Jedes Mal, wenn Andrew Blake das Browning, ein Restaurant in Saint James, betrat, empfand er die seltene Genugtuung, sich an einem Ort zu befinden, der sich seit seiner Jugend nicht verändert hatte. Dieselben dicken Türen, durchbrochen von kleinen Butzenscheiben mit Randschliff, dieselben blankpolierten Kupferläufe, die höfliche Verbeugung des Oberkellners – Terrence, schon seit acht Jahren da – und dasselbe von rubinrotem Samt und Holzvertäfelung geprägte Ambiente. Hier pflegte Andrew zweimal im Monat mit Richard Ward zu Mittag zu essen, heute aber hatte er um die Gesellschaft des Freundes gebeten, ohne die traditionellen zwei Wochen abzuwarten.

In einem Alter, in dem Männer ihre Gesprächspartner für gewöhnlich in mehr oder weniger selbstgefälligen und verschrobenen Clubs fanden, gönnte sich Andrew den Luxus einer alten Freundschaft, die schon seit der Schulzeit Bestand hatte.

Terrence begrüßte ihn mit einer leichten Verbeugung und verkündete: »Mister Ward ist bereits eingetroffen. Ich führe Sie zu Ihrem Tisch, Mister Blake.«

Dieses seltene Vorkommnis versetzte Andrew in mildes Erstaunen, während er dem Oberkellner folgte, der sich zwischen den bereits besetzten Tischen hindurchschlängelte. Es schien ihm, als wären die Gänge schmaler als früher. Oder hatte ihn das Alter unbeholfener gemacht?

Das Browning zeichnete sich durch eine Besonderheit aus: In seiner Mitte befand sich ein weitläufiger freier Raum, um den herum kleine Nischen angeordnet waren. In diesen konnten die Gäste in Ruhe speisen und waren dennoch nicht von der Atmosphäre abgeschnitten. In einer der Buchten wartete sein Freund.

Die beiden Männer umarmten sich zur Begrüßung.

»Und«, fragte Blake, »wie ist der Abend gelaufen?«

»Als ich auf dem Podium stand, kam ich mir vor, als würde ich eine Grabrede auf dich halten. War ein komisches Gefühl. Du hättest wirklich kommen sollen …«

»So, eine Grabrede? So bald würde ich nicht damit rechnen. Wenn es wahr ist, dass die Guten zuerst gehen, werde ich bestimmt bis zum Ende übrig bleiben.«

»Du bist ja heute wieder ein kleiner Sonnenschein«, kommentierte Ward, »aber ich freue mich trotzdem, dich zu sehen.«

Sie setzten sich.

»Wie geht es Melissa?«, fragte Blake, während er die Speisekarte aufschlug.

»Sie ist in New York mit einer Freundin, ich weiß nicht mehr, mit welcher. Die beiden klappern Galerien ab und hoffen, irgendwelche Kunstwerke aufzutreiben, mit denen sie ein Landhaus dekorieren können. Soll mir recht sein, solange es nicht unseres ist … Sie werden sowieso wieder nichts finden außer Schuhen. Und du? Warum habe ich das Vergnügen, dich schon heute wiederzusehen? Willst du mir etwa von einem Besuch beim Onkel Doktor erzählen, der dir die gleichen schlechten Neuigkeiten verkündet hat wie dem Rest von uns? Willkommen im Klub, Kumpel!«

Blake zeigte keine Reaktion. Ward neigte sich zu ihm vor und sagte mit einem süffisanten Lächeln: »Sag nicht, dass du beim Proktologen warst. Das wäre zu schön! Ich habe mit Sommers um eine Flasche Wein gewettet, dass es noch in diesem Jahr endlich so weit sein würde.«

Blake sah seinen Freund mit ernstem Blick an.

»Richard, ich habe mich entschieden.«

Ward brauchte einen Moment Zeit, um die Information zu verdauen.

»Hast du mit Sarah darüber gesprochen?«

»Meine Tochter ist 10 000 Kilometer weit weg, und der einzige Mann, der ihr etwas bedeutet, ist ihr angetrauter Ingenieur. Was bei mir los ist, interessiert sie nicht.«

»Und trotzdem hat sie sich eingehend nach dir erkundigt, als ich sie letzten Monat gesehen habe. Ich bin nur ihr Patenonkel, bekomme sie aber komischerweise öfter zu Gesicht als ihr eigener Vater …«

Blake wandte seine Augen ab und vertiefte sich wieder in die Speisekarte. Ward stimmte stillschweigend zu, das Thema zu wechseln.

»Mach dir keine Umstände«, sagte er leichthin, »ich habe schon für dich bestellt.«

»Wieso?«

»Weil du immer drei Stunden brauchst, bevor du dann doch das Gleiche nimmst wie ich. Ich habe mir gedacht, wir könnten das Ganze ein bisschen abkürzen.«

Andrew nahm es unbeeindruckt hin. Er sah wieder zu seinem Freund, mit spürbarer Unruhe.

»Hat alles geklappt, worum ich dich gebeten habe?«

Ward antwortete, die Stimme mit Absicht erhoben: »Es wird nicht leicht werden, dein Gesicht und deinen Körper so hinzukriegen, dass du Marylin ähnlich siehst. Selbst mit Brustimplantaten wirst du am Ende vermutlich eher so aussehen wie ihre Wachsfigur nach einem Brand …«

Einige Herren im Raum drehten sich nach ihnen um.

»Richard, ich meine es ernst.«

»Ich weiß. Das ist ja das Traurige. Natürlich hat es geklappt. Aber ich bin nach wie vor nicht überzeugt, dass es eine gute Idee ist. Ein bisschen Abstand zu deiner Arbeit tut dir bestimmt gut, aber nach Frankreich zurück …«

»Es ist mein Wunsch. Man könnte sogar sagen, es ist das Einzige, was mich noch ein wenig reizt.«

»Ja, gut, aber du könntest die Sache anders angehen. Denk noch mal darüber nach.«

»Du bist jetzt schon der Zweite, der mir sagt, ich solle nachdenken. Wollt ihr mir alle weismachen, dass ich senil werde?«

»Fahr zu Sarah, und bleib für den Rest des Sommers bei ihr. Sie hat sich dort wirklich nett eingerichtet. Und sie hat ein Gästezimmer.«

»Ich bin kein Gast.«

»Andrew, wie soll ich sagen … Wenn du nach Frankreich zurückgehst …«

Richard zögerte einen Moment, dann rang er sich durch: »Verzeih mir, wenn ich so offen bin, aber dass du dich in deinen Erinnerungen vergräbst, wird Diane auch nicht zurückbringen.«

»Das ist mir bewusst. Glaub mir. Jeden einzelnen Tag.«

»Warum willst du es dann?«

»Ich fühle mich hier fehl am Platz. Ständig stelle ich mir die Frage, warum ich überhaupt zur Arbeit gehe. Die ganze Zeit über grüble ich, bedauere dies und das. Inzwischen bin ich so weit, dass ich mich jeden Abend vor dem Schlafengehen frage, wozu ich eigentlich noch am Leben bin.«

»Jeder von uns hat solche Phasen. Ab und zu muss man da eben durch – und dann geht es plötzlich wieder. Fang mit Golfspielen an. Besuch uns mal wieder. Melissa beklagt sich schon, dass sie dich kaum noch sieht. Sie hat ihre Leidenschaft für die italienische Küche entdeckt und wäre entzückt, wenn sie ein neues Versuchskaninchen hätte … Versuch auf andere Gedanken zu kommen, dann wird es schon wieder besser. Es ist ja nicht das erste Mal, dass du deprimiert bist.«

»Diesmal ist es anders.«

»Und nun? Alles, was dir einfällt, um deine Krise zu überwinden, ist diese versponnene Idee? Abgesehen davon, dass ich sie nicht gutheiße, bin ich nicht im Geringsten überrascht. Ich weiß noch, dass du schon nach dem Studium alles hinschmeißen wolltest. Erinnerst du dich noch? Du hast dir ein Segelboot gekauft, um dann festzustellen, dass du zur Seekrankheit neigst und dass sich das Ding doch nicht so einfach wie ein Tretboot fahren lässt. Seamaster – was für ein pompöser Name – liegt sicher immer noch auf dem Grund der Reede von Portsmouth, aus der du es nicht einmal hinausgeschafft hast.«

Bei der Erinnerung an das Desaster fing Richard an zu lachen, wurde aber sofort wieder ernst, als er in Blakes Gesicht sah.

»Was versprichst du dir eigentlich davon? Da, wo ich dir die Stelle organisiert habe, wissen sie nichts über dich. Ich habe dichtgehalten. Diese Leute nehmen das alles ernst.«

»Das ist mir klar.«

»Mein Lieber, ich mache mir Sorgen um dich. Du solltest ausgehen und dich unters Volk mischen, statt dich zu verstecken. Du bist in der glücklichen Lage, bei guter Gesundheit zu sein, in einem Alter, in dem viele andere Dauergast beim Arzt oder gar im Krankenhaus sind.«

»Du hast doch gar keine Ahnung, wie es mir wirklich geht.«

»Jetzt spiel mir mal nicht den Tattergreis. Ich darf dich daran erinnern, dass wir nur vier Monate auseinander sind.«

»Ja, aber du hast Melissa. Ich bin allein. Außer dir gibt es in meinem Leben niemanden mehr. Sarah ist weit weg und lebt ihr eigenes Leben. Ich bin nicht von Bedeutung, für niemanden.«

»Jetzt hör aber auf! Wie dem auch sei, dein Plan, nach Frankreich zurückzugehen, ist mehr als unausgegoren. Ich weiß nicht, womit ich das verdient habe, dass ich schon wieder in eines deiner Abenteuer hineingezogen werde. Wie wird die Sache diesmal ausgehen? Bei wem werde ich mich entschuldigen dürfen? Das war schon immer so, beim ersten Mal waren wir noch keine zwölf. Du hattest mich überredet, mit dir zusammen in einen Müllcontainer zu klettern, um die alte Mrs Morrison zu erschrecken.«

»Das war aber auch eine Hexe! Jemand musste etwas gegen sie unternehmen. Die alte Schreckschraube hat jeden einzelnen Ball aufgeschlitzt, der sich in ihren Garten verirrte. Nicht mal den neuen Lederball von Matt hat sie verschont, den er zum Geburtstag bekommen hatte. Sie war ein Albtraum.«

»Kein Wunder, dass niemand groß getrauert hat, als man sie mit gebrochenem Genick am Fuß ihrer Treppe fand.«

»Die Bälle haben sich verschworen, todsicher. Sie haben sich gerächt und sie zu Fall gebracht.«

»Und sie haben bis heute dichtgehalten!«, witzelte Ward.

»Inzwischen könnten sie eigentlich gestehen, die Sache ist längst verjährt!«, versuchte Blake einen draufzusetzen. »Womit wollten wir sie damals eigentlich erschrecken? Das ist mir vollkommen entfallen …«

»Und das aus gutem Grund, du Nase! Der Müllwagen kam vorbei, bevor wir Gelegenheit dazu hatten. Um ein Haar wären wir da drin zu Brei zerquetscht worden …«

Blake sah die Szene plötzlich vor sich.

»Stimmt! Hatte ich ganz vergessen!«

»Zum Glück sind wir immer noch da, um die Geschichte erzählen zu können.«

Sie schwelgten eine Weile in Erinnerungen. Doch schon bald verdüsterte sich Blakes Miene wieder.

»Das war einmal«, sagte er wegwerfend.

»Das ist unsere Geschichte, Andrew. Hör auf, alles so zu sehen, als hättest du nichts mehr vom Leben zu erwarten. Da, wo du hinwillst, ist es auch nicht einfacher. Die Gutsbesitzerin ist verwitwet, und ich will nicht, dass du ihr Leben noch komplizierter machst, als es schon ist. Aber da du dich auf dieses Projekt schon so sehr versteift hast, versprich mir wenigstens, dass du dir richtig Mühe geben wirst.«

»Wie kannst du bloß daran zweifeln?«

»Von einem Kerl, der sich als seine eigene Mutter verkleidet hat, um beim Direktor ›ihren Sohn‹ zu entschuldigen, erwarte ich das Schlimmste …«

5

Die verwunschene herbstliche Landschaft auf dem Weg durch den Wald, die eine zauberhafte Stimmung verbreitete, vermochte Blake nicht von seiner Müdigkeit abzulenken. Sein Tag hatte schon im Morgengrauen begonnen: früh aus dem Bett, zum Bahnhof, in den Zug nach Paris, von dort aus in einen weiteren Richtung Provinz, und dabei ständig von unzähligen Menschen umgeben, die mit einer sagenhaften Geschwindigkeit eine Sprache sprachen, die ihm zugleich vertraut und nach all den Jahren auch ein wenig fremd war. Und obwohl er sein Ziel bald erreicht haben dürfte, konnte er nicht darauf hoffen, sich dann erst einmal ausruhen zu können.

»Das ist wirklich komisch«, sagte der Taxifahrer, »ich fahre schon seit zehn Jahren in dieser Gegend Taxi, aber hier bin ich noch nie gewesen. Ich wusste nicht einmal, dass dieser Weg irgendwo hinführt. Die Stadt ist ganz in der Nähe, und doch könnte man meinen, mitten in der Wildnis zu sein.«

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