Mord auf Entzug - Werner Gerl - E-Book

Mord auf Entzug E-Book

Werner Gerl

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Beschreibung

Der Besitzer einer noblen Entzugsklinik für Reiche und Prominente wird ermordet aufgefunden. Ein Stich ins Herz, seltsame Zeichen auf der Haut - welch Wahnsinniger war hier am Werk? Kommissarin Irene Rosen und ihr neuer Kollege Andrea Popolo übernehmen den Fall. In der Klinik am Starnberger See treffen sie auf einen suspekten Autor mystischer Thriller, eine gealterte Diva, ein drogensüchtiges Model und einen von der Damenwelt vergötterten Popsänger. Wenngleich sich die Patienten spinnefeind sind, halten sie gegen die resolute Polizistin zusammen. Kurzerhand wird der frisch von der Polizeischule kommende Popolo undercover eingeschleust, um den Promis auf den Zahn zu fühlen.

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Seitenzahl: 350

Veröffentlichungsjahr: 2017

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WERNER GERL, geboren 1966 in Mainburg, studierte Germanistik und Geschichte und lebt mit seiner Frau in München. Er schrieb für diverse Satire-Magazine und ist seit 1999 als Kabarettist (»Der pure Mannsinn«) unterwegs. Ferner schreibt er Theaterstücke (u. a. »Der Männerrechtler«). Seine kriminelle Seite lebt er mit den Reihen um die Münchner Kommissarin Tischler (»Champagner für den Mörder«) und um Marc Bourée, den Detektiv, der Menschen verschwinden lässt (»Die Spur des Terroristen«), aus. Außerdem veröffentlichte er Kurzkrimis in verschiedenen Anthologien (z. B. »Finsterböses Bayern«, Allitera 2014). Gerl ist Mitglied im Syndikat und Mitorganisator des Münchner Krimitags.

Weitere Informationen über den Verlag und sein Programm unter: www.allitera.de

Februar 2017 Allitera Verlag Ein Verlag der Buch&media GmbH, München © 2017 Buch&media GmbH Umschlaggestaltung: Johanna Conrad, Augsburg ISBN print 978-3-86906-917-3 ISBN epub 978-3-86906-918-0 ISBN pdf 978-3-86906-919-7 Printed in Europe

1

Von einer frischen Leiche hatten sie am Telefon gesprochen. Eigentlich ein Widerspruch in sich, dachte Irene Rosen, als sie mit quietschenden Reifen vor der Pathologie hielt. Semmeln konnten frisch sein oder der Atem der Alkoholsünder, die immer glaubten, ein paar Pfefferminzbonbons könnten sie vor dem Röhrchen retten. Es gab auch Leute, die frühmorgens frisch sein konnten, zu denen zählte die Kommissarin nicht. Zumindest nicht an diesem Morgen. Kein Wunder nach der grausigen Nacht, die ihr noch in den Gliedern steckte.

Sie eilte in das Institut für Rechtsmedizin, eine Tüte mit einem Buttercroissant in der Hand und einen Becher Kaffee vom Bäcker nebenan. Er war heiß und weitgehend geschmacklos, machte aber wenigstens halbwegs wach. Allerdings dampfte er in der kühlen Pathologie umso mehr, was nicht sehr pietätvoll wirkte.

Sie bekomme eine neue Kollegin, hatte man ihr angekündigt, direkt von der Polizeischule und unbeleckt von jeglichen Erfahrungen. Andrea Popolo, ein seltsamer Name, der klang, als würde er ein kleines Gesäß bezeichnen, aber den Kalauer wollte Irene Rosen für sich behalten.

Als die Kommissarin in den ihr gewiesenen Raum trat, nahm sie jedoch einen jungen Mann wahr, Mitte 20, dunkles, kurzes Haar mit strengem Seitenscheitel und eine militärische Haltung, als hätte er eine Schneeschaufel verschluckt. Irene Rosen wartete darauf, dass der junge Mann salutierte, doch er blickte sie nur erwartungsvoll an. Neben ihm lag eine Leiche auf einer Bahre.

»Ich suche eine neue Kollegin«, sagte die Kommissarin und biss in ihr Croissant, sodass ein paar Brösel auf den Boden der Pathologie fielen.

»Das bin ich«, sagte der junge Mann mit unverändert steifer Haltung.

»So kann man sich täuschen. Sie sehen auf den ersten Blick gar nicht nach Frau aus, aber wenn ich genau hinschaue …« Rosen lächelte und nahm einen Schluck von ihrem Kaffee.

»Mit Verlaub, Sie unterliegen einem populären Irrtum. Andrea ist im Italienischen ein männlicher Vorname«, entgegnete der junge Polizist sachlich.

»Oh, Sie sind Italiener?«

»Si«, antwortete er, aber nur um seine Herkunft zu betonen. »Genau genommen bin ich Deutscher mit italienischem Migrationshintergrund.«

»Drücken Sie sich immer so bürokratisch aus?«

»So wurde es mir beigebracht. Ist das falsch?« Popolo blickte seine neue Vorgesetzte unsicher an.

Rosen winkte ab.

»Man hat mich hierher geschickt, da Sie heute Morgen bedauerlicherweise nicht erreichbar waren«, sagte der junge Italiener fast entschuldigend.

»Sorry für die Verspätung, aber der Wecker hat den Weg alles Irdischen angetreten. Kaufen Sie sich nie ein chinesisches Modell. Außer Sie wollen jeden Tag nach einer anderen Zeitzone aufstehen.«

»Danke für den Tipp, ich werde mir nie einen chinesischen Wecker kaufen«, entgegnete Popolo mit nachgerade heiligem Ernst.

Die Kommissarin starrte dieses Exemplar unvergleichlicher Höflichkeit und Ernsthaftigkeit einen Moment lang an. »Und irgendjemand hat in der Nacht das Handy ausgeschaltet und eine Decke auf das Telefon gelegt. Vermutlich war das ich, aber ganz sicher bin ich mir zu dem Zeitpunkt noch nicht.

Nebenbei gesagt, heute habe ich eigentlich meinen freien Vormittag.« Sie knüllte raschelnd ihre Croissant-Tüte zusammen und verstaute sie in der Jackentasche.

»Bedauerlicherweise sind Sie als leitende Ermittlerin für den Fall vorgesehen«, entgegnete der junge Italiener.

»Ist schon gut. Wissen Sie, wer mich vertreten hat?«

»Kommissar Obermeier.«

Natürlich, dachte sich Rosen, unsere lame duck, wie man es bei Politikern ausdrückte. Kollege Obermeier stand kurz vor seiner Pension und wollte sich keinen Mord mehr aufhalsen.

»Waren Sie bei der Besichtigung des Tatorts dabei?«

»Nein. Kommissar Obermeier sagte, er arbeite lieber allein.«

Das stimmte bedingt. Er arbeitete nur lieber ohne Anfänger. Seit er die ihm verbleibenden Tage, wenn nicht sogar Stunden bis zu seiner Pensionierung zählte, arbeitete er genau genommen überhaupt nicht mehr gern. Dann gibt es wenigstens kein Kompetenzgerangel, dachte sich Rosen, als die Tür aufgerissen wurde und polternde Schritte den Raum füllten.

»Da sind Sie ja endlich. Haben Sie gestern zu viel gesoffen, oder was?« Die Stimme von Doktor Molfred hallte in der kühlen Stille der Pathologie.

»Ich war mir sicher, die Kundschaft würde nicht davonlaufen«, entgegnete Rosen, die dem forensischen Arzt in gegenseitiger Abneigung verbunden war.

»Sollte ich einmal Zeit haben, lache ich darüber. Aber das war eine verdammt tödliche Nacht in und um München. Im Nebenraum hat ein Junkie, der sich ins Nirwana gespritzt hat, ein Rendezvous mit mir. Und gerade haben wir zwei neue Kunden bekommen. Mit Tempo 190 gegen eine Hauswand gedonnert. Wann führt man in diesem Scheißland endlich ein Tempolimit ein? Die Arbeit geht einem in dieser Stadt nicht aus.«

»Wem sagen Sie das«, seufzte die Kommissarin.

»Ihnen und Ihrem Kollegen, alle anderen in diesen Räumen können mich nicht mehr verstehen. Hier – fürs Poesiealbum.« Er drückte Popolo den Autopsiebericht gegen den Bauch.

»Der Bericht ist vorläufig, nur der erste Eindruck.« Molfred hob kurz die Hand, wandte sich um und marschierte mit wehendem Kittel davon.

Unsicher streckte Popolo seiner Vorgesetzten den Bericht entgegen, doch die schüttelte den Kopf. »Erst einmal will ich mir den Toten genau anschauen.«

Da lag also die frische Leiche. Das grelle Licht der Lampe über der Bahre und die Sterilität der grünen Kacheln verliehen dem Toten etwas Eisiges, ja Wächsernes, als wäre er kein Mensch, der noch vor wenigen Stunden geatmet, vielleicht sogar gelacht und getrunken hatte, sondern eine aussortierte Mangelkopie von Madame Tussauds.

Popolo räusperte sich leise. »Ich hatte vor Ihrem Eintreffen ein wenig Zeit, mir das Opfer anzusehen«, hob er zaghaft an.

»Okay«, entgegnete die Kommissarin, die sich noch nicht imstande fühlte, einen mit medizinischen Begriffen durchtränkten Bericht von Molfred zu lesen. »Was haben wir?«

»Es war eine Frau.«

Skeptisch blickte die Kommissarin auf die zweifellos männliche Leiche. »Dann haben die Chirurgen aber ganze Arbeit geleistet.«

»Wie meinen?«, fragte Popolo irritiert.

»Wenn der mal eine Frau war, hat man die primären männlichen Geschlechtsmerkmale aber bestens hingekriegt. Das meine ich.«

Popolo schüttelte den Kopf. »Nein, ich bin der Auffassung, der Mörder war eine Frau.«

»Ich mag keine Mörderinnen«, seufzte die Kommissarin. »Aber wie kommen Sie darauf? Wurde das Opfer mit Chanel No. 5 vergast?«

»Nein«, antwortete Popolo und wollte gerade zur Erklärung anheben.

»Wurde er mit 'nem Stöckelschuh erschlagen?«

»Um Himmels Willen. Nein.«

»Dann wurde er totgelabert?«

»Nein, man hat ihm das Herz durchstochen.« Erwartungsvoll blickte Popolo die Kommissarin an.

»Ist das in Italien eine typische Frauentätigkeit? ›Hey Gina, haste Lust auf Kino?‹ ›Nein, gerade heute passt's mir gar nicht, ich muss Mauro noch das Herz perforieren.‹« Die Kommissarin trank den letzten Schluck ihres scheußlichen Kaffees und blickte Popolo an. In dem Moment bereute sie ihre Schroffheit und wollte sich schon entschuldigen, aber ihr Kollege kam ihr zuvor.

»Nein, so spielt es sich in der Regel nicht ab, wenngleich süditalienische Frauen durchaus eifersüchtig sein können. In ihrem Furor greifen sie gern zu kleineren Stichwaffen. Doch hier scheint mir der Fall etwas anders zu liegen. Ich bin überzeugt, das ist das Werk einer verstoßenen Geliebten.«

»Weil er ihr Herz gebrochen hat, hat sie seins durchbohrt?« Rosen blickte ihren Kollegen mit hochgezogenen Augenbrauen an.

»Exakt das könnte das Motiv sein. Die Mörderin war zudem eine religiöse Fanatikerin, der Oberkörper ist übersät mit kleinen okkulten Zeichen.« Popolo zeigte auf drei Male der Leiche. Sie sahen aus, als wären sie eingeritzt, eine dunkelrote, fast schwarze dünne Kruste hatte sich darüber gebildet. Das erste Wundmal bildete ein Auge mit einem Dreieck.

»Das magische Auge. Erstaunlich, wie gut man die Form erkennen kann, finden Sie nicht?« Popolo taute allmählich auf.

Die Kommissarin nickte anerkennend. »Da war ein echter Künstler am Werk. Vielleicht sollten wir unsere Nachforschungen in der Akademie beginnen.«

»Und hier«, fuhr Popolo fort, ohne auf die Spötteleien einzugehen, »die anderen beiden Motive: ein Zirkel mit einer Kelle und ein Pentagramm, das Symbol des Teufels. Wir haben es vielleicht mit einer Satanistin zu tun.«

»Dann müssen wir ja höllisch aufpassen«, bemerkte Rosen ironisch, obwohl sie auch von den seltsamen, exakt definierten Zeichen fasziniert war.

»Und der Tote hat Wunden an den Handinnenflächen.«

Irene Rosen blickte ihren jungen Kollegen erwartungsvoll an. »Und was sagt Ihre Theorie dazu?«

Popolo war in seinem Element. »Stigmata. Ich denke, er sollte Jesus ähnliche Wundmale bekommen.«

»Kollege Popolo, ich weiß Ihre Beobachtungsgabe zu schätzen. Aber das war nicht meine Nacht und das ist bislang nicht mein Tag. Deshalb bin ich noch nicht zurechnungsfähig. Aber wollen Sie ernsthaft die steile Theorie aufstellen, dass eine Satanistin ihrem Ex-Lover die Wundmale Jesu zugefügt hat, weil dieser sie verstoßen hat?«

»So formuliert klingt es ein wenig albern«, gab Popolo zu, »aber rein phänomenologisch könnte man diese Möglichkeit in Betracht ziehen.«

Die Kommissarin konnte sich bei dieser Ausdrucksweise ein Schmunzeln nicht verkneifen, schaute sich dann aber die Leiche genau an. Langsam schritt sie einmal um die Bahre. Die tödliche Wunde war tatsächlich ein dünner, sauberer Stich ins Herz, nicht die Tat eines Berserkers oder eines Wahnsinnigen. Irene Rosen studierte ausgiebig die Zeichen und daraufhin auch die Füße und Hände.

»Die Male sind ungewöhnlich«, sagte sie schließlich. »Da gebe ich Ihnen vollkommen recht. Aber an den Füßen sind keine Wunden, was der Theorie mit den Jesus-Stigmata widerspricht. Und die Schnitte stammen nicht von einer scharfen Klinge.« Rosen fuhr sich durch das Haar. »All das ist sehr seltsam. Wer ist das Opfer eigentlich?«

»Severin Tobler.«

»Ergibt mit ›one‹ Schweizer Schokolade«, grinste die Kommissarin. Allmählich kehrten ihre Lebensgeister zurück.

»Wie meinen Sie? Mit oder ohne?«

»Ich meine, der Name klingt nach Toblerone.«

»Oh nein«, wehrte Popolo ab, »das ist der Tobler.«

»Dass es nicht die Tobler ist, haben wir ja bereits geklärt.«

»Ja, aber … kennen Sie ihn wirklich nicht?«

»Nein, und ich fürchte, dafür ist es jetzt zu spät. Wieder eine vertane Chance.«

Für Popolo war es, als hätte die Kommissarin die Bundeskanzlerin nicht gekannt oder – noch schlimmer – Meryl Streep oder Bud Spencer, seine beiden Lieblingsschauspieler. »Das ist Severin Tobler, der Leiter des ›Katharsis‹.«

»Da hab ich noch nicht gegessen.«

»Nein, das Katharsis ist eine Suchtklinik, ach was, es ist die Suchtklinik schlechthin. Da gehen die ganzen Promis hin. Lola Ries war schon da und Thomas Martin.« Popolos Augen leuchteten, als er die Namen der Schauspielerin und des Sängers nannte.

»Ach Gott, diese Fünf-Sterne-Irrenanstalt?« Die Kommissarin verdrehte die Augen. Sie hatte vom Katharsis schon einiges gehört und gelesen, vor allem wenn wieder ein Star dort eingeliefert wurde. Manche kamen sogar aus Amerika oder Frankreich, weil sie die Anonymität und Abgeschiedenheit dort schätzten. »Wo sie irgendwelchen versoffenen Stars die whiskymarinierten Lebern trocken legen. Und da muss ich hin? Gute Nacht.«

»Nein, freuen Sie sich doch. Wir treffen dort bestimmt Dön-Base.«

»Diesen Rapper? Bei dem Kerl reicht ein Lied schon für lebenslänglich.«

»Ich finde ihn cool. Nur, wie sollen wir ihn begrüßen … Mit Dön-Base oder Zlatan Goric. So heißt er wirklich!«

Die Kommissarin freute sich zwar, dass ihr neuer Kollege langsam auftaute und ein gewisses Temperament zeigte, doch sie sah sich gezwungen, ihn sogleich einzubremsen.

»Vorerst begrüßen Sie ihn gar nicht, Popolo. Ich fahre nämlich allein ins Katharsis.«

»Aber ich …« Popolo hätte ein Schlag mit einer Keule nicht härter treffen können. Er hatte sich bereits auf einen Besuch in der Suchtklinik gefreut. Doch sogleich nahm er wieder seine militärische Haltung an. »Jawohl, Frau Kommissarin.«

»Sie stöbern dafür in Toblers Leben. Und vergessen Sie die Freundinnen von Tobler nicht. Sollte eine Metzgerin von Beruf sein oder von mir aus auch Messerwerferin im Zirkus, können Sie sie gleich verhaften.«

Die Kommissarin beschlich ob ihres Sarkasmus und ihrer Schroffheit ein ungutes Gefühl, schließlich fand sie ihren neuen Kollegen sympathisch und seine Unsicherheit als Novize verständlich. Aber sie wollte allein ins Katharsis. Denn sie hatte eine dunkle Vorahnung, dass sie dort jemanden treffen würde, von dem Popolo nichts wissen sollte.

2

Im Salon des Katharsis hatte sich etwas verändert. Nicht die Möbel, die mit ihrem Neo-Biedermeier einen Hauch von 19. Jahrhundert verbreiteten und an Salons aus bürgerlicheren Zeiten erinnerten. Auch nicht die anderen Einrichtungsgegenstände wie die vierreihige Zeitschriftenauslage, die alles zu bieten hatte, was der prominente Kunde gern las. Alle Pop- und Rockmagazine für die Sänger und Gitarristen, die das Heroin aus ihren Blutbahnen vertreiben wollten, die Glamour- und People-Magazine für die Stars und Sternchen aus dem Film- und Fernsehbereich, die es plötzlich für erstrebenswert hielten, ein Leben ohne Alkohol und Koks zu führen.

Nein, alle Einrichtungsgegenstände waren an ihrem Platz, sogar der menschlichste Teil des Inventars, Lola Ries, die gealterte Diva, die vor einigen Monaten einen Journalisten der Vogue verklagte und – wie böse Zungen behaupten – ihn auch noch von zwei Weißrussen verprügeln ließ, weil sich dieser erdreistet hatte zu behaupten, sie würde ihren 70. Geburtstag feiern. Ob es sich bei der abgedruckten Geburtsurkunde tatsächlich um eine Fälschung handelte, konnte nie bewiesen werden. Verblühte Schönheiten machen gerne ein Staatsgeheimnis aus ihrem Geburtsjahr – den Geburtstag hingegen posaunen sie gern hinaus, denn auf standesgemäße Geschenke will man schließlich nicht verzichten. Diamanten zählen nach wie vor zu den besten Freunden einer Frau. Wie auch Handtaschen von Chanel.

Natürlich sah Lola Ries noch gut aus, und das nicht nur, weil sie diversen Chirurgen die Yacht am Mittelmeer finanziert hatte. Ihre lange leuchtend rote Mähne hatte auch im Alter noch Fülle und Schwung und eine nicht unerhebliche erotische Ausstrahlung, ebenso wie ihr laszives Lächeln und ihr strahlender Blick. Und auch ihre Lippen waren noch weich und voll wie Seidenkissen.

Die Schauspielerin gehörte zum Inventar des Katharsis, denn die Zahl der Entziehungskuren, die sie wohlgemerkt begonnen, nicht beendet hatte, überstieg sogar die Zahl ihrer Ehen, und die lag immerhin bei vier.

In den 60er- und 70er-Jahren avancierte sie zu einem Star des Boulevardtheaters. Schließlich klopfte das Fernsehen an, was zu einer Zeit, in der es nur drei Programme gab, etwas Besonderes war. Sie glänzte in überdrehten Comedy-Produktionen und später auch in romantischen Komödien. Doch eine neue Garde von Comedians des Privatfernsehens ließ sie so alt aussehen, wie sie war. Und auch im Kino waren Jüngere gefragt. Für die Diva brachen harte Zeit an, schließlich war das Rampenlicht für sie nicht weniger als ihr Lebenselixier. Jedes Bild von ihr auf einem Titelblatt war ein Jungbrunnen. Doch als dieser versiegte, verfiel sie dem Alkohol. Folglich drehte sie in den 80ern nur noch unfreiwillig gruselige Filme wie »Die verrückte Hexe lässt die Töpfe knallen«. Dieses Machwerk brachte ihr in den Medien den wenig schmeichelhaften Spitznamen »Miss Kartoffel« ein. Daraufhin prügelte sie einen Journalisten krankenhausreif. Ihre alkoholbedingten Aussetzer und Skandale häuften sich und so schlossen sich für sie die Pforten der Studios.

Dafür verbrachte sie viel Zeit in diversen Entzugskliniken. Im Katharsis war sie bereits zum dritten Mal, was ihr immerhin einen Mengenrabatt von 20 Prozent bescherte. Sie saß wie auch so viele Tage zuvor an ihrem angestammten Platz im Salon.

Alles war wie immer, nur war eine Verbindungstür, und zwar die, die zu Toblers Büro führte, mit einem rot-weißen Band versiegelt. Darauf stand »Polizeiabsperrung«.

Lola Ries massierte sich das straffe Gesicht und gab sich einer ihrer Lieblingsbeschäftigungen hin, dem Lästern anhand einschlägiger Hochglanz-Magazine. Auf dem Tisch vor ihr lag ein Knirps, den sie immer mit sich trug, obwohl es seit Tagen nicht geregnet hatte. »Ja, das geschieht dir recht, du Knallcharge«, lachte Lola heiser auf, als Laura Groß hereinkam.

»Gut gelaunt, Lola?«, fragte die Psychologin des Hauses, einen Laborbericht in der Hand. Sie setzte sich auf das Sofa, von wo aus sie Lola schräg gegenüber saß.

»Katja Riemann hat bei Dreharbeiten die Reinigungsmilch mit dem Kleister für die Kulissen verwechselt. Ihr Gesicht musste abgespachtelt werden und jetzt sieht sie aus, als hätte sie in ›Die Schöne und das Biest‹ die falsche Rolle bekommen. Das passt zu ihr.« Lolas Augen leuchteten. Jedes Missgeschick einer bekannten Schauspielerin war ein großer Triumph für sie.

»Ich fand die Riemann bisher ganz gut«, meinte die Psychologin, allerdings weniger aus Überzeugung. Vielmehr wollte sie Lolas weitere Ausführungen hören.

»Gut? Schätzchen, ich bitte dich. Ihre größten Erfolge waren Comic-Verfilmungen. Mit Til im ›Bewegten Mann‹ und die Mama von Bibi Blocksberg, das waren ihre Paraderollen. Und selbst da spielt sie immer noch die Mega-Zicke. Oh nein, der Kleister passt gut zu dieser blassen Schauspielerin.«

»Ich glaube eher, Sie sind auf Riemanns Erfolg neidisch.« Groß sprach solche Sätze gern ausdruckslos und unbetont. Das verstärkte ihre Wirkung, ihrer Meinung nach zumindest.

»Ach Darling«, lachte Lola gekünstelt auf, »du darfst diesem Siegfried Freud nicht alles glauben.«

»Der heißt Sigmund Freud.«

»Dann halt Sigmund Freud. Die Riemann ist die Bonsai-Ausgabe einer Diva, wie ich sie war. Was soll mich die kratzen?

Wissen Sie übrigens, was Mary Boyle angeblich zur Verlobung bekommen hat?« Lolas Augen leuchteten.

»Wer ist das?«, fragte Groß nach.

»So ein dummes Hollywood-Sternchen. Einen Goldring. Unfassbar. Das ist ja wie bei den Klo-Charts!«

Groß stutzte. »Wie bei was?«

»Na bei den Klo-Charts. Kennen Sie die nicht? Diese Pariser Penner?«

»Ach, Sie meinen die Clochards«, verbesserte Groß und setzte ein für Akademiker typisches überlegenes Lächeln auf.

»Komm Schätzchen, langweil mich nicht mit deinem schlechten Französisch. Einen ordinären Goldring! Zur Hochzeit reißen sie wahrscheinlich von den Coladosen die Ringe ab. Mein zweiter Mann, Martin Sieler, Gott sei seiner Seele gnädig, Martin hat mir Juwelen geschenkt und sie in einem Pool versteckt, der mit Rosenblättern gefüllt war. Das hat Stil, das ist Grandezza.«

»War das bei ihrer ersten oder zweiten Hochzeit mit Sieler?«

»Bei der zweiten. Bei der ersten war der Pool voll mit Champagner. Das waren Zeiten.« Mit einem schwelgenden Gesichtsausdruck lehnte sich Lola zurück.

»Ja, Zeiten, in denen Sie noch im Alkohol schwammen.«

»In dieser Sportart war ich reif für Olympia«, gluckste Lola Ries selbstironisch.

Plötzlich stand Groß auf und meinte fast drohend: »Hauchen Sie mich mal an, Lola!«

»Hey, warum so misstrauisch?«

»Bitte anhauchen!«

Lola Ries dachte nicht daran und wandte sich ab. »Ich habe mir heute die Zähne noch nicht geputzt!«

»Anhauchen!« Laura Groß ließ nicht locker.

»Schätzchen, tu dir das nicht an. Ich hab gestern Knoblauch gefuttert. Roh, fünf Zehen.«

»Anhauchen!« Die Psychologin sprach weiterhin freundlich, aber bestimmt.

»Damit kann ich drei ausgewachsene Vampire vertreiben.« Ries blickte die Psychologin abwehrend an.

»Mag sein, aber mich nicht.«

»Sie sind ja noch bissiger als Gräfin Dracula.«

Widerwillig hauchte Lola ihre Psychologin an und fauchte dabei noch leise wie ein wildes Kätzchen.

»Sie riechen nicht nach Knoblauch, sondern nach Pfefferminzbonbons«, kommentierte Groß den Atemtest.

»Hey, will ich als Miss Tzatziki rumlaufen?«

»Mir scheint, Sie wollen nicht als Miss Bourbon rumlaufen.« Die Psychologin kannte ihre Pappenheimer.

»Ich bin trocken wie Wasa Knäckebrot.«

»So? Ihre Leberwerte sprechen eine feuchtere Sprache. Die sind in letzter Zeit ziemlich auffällig.« Groß wedelte mit dem Laborbericht.

»Ich bin eben eine auffällige Frau«, lachte Lola Ries.

»Mit auffälligen Schwankungen bei den Leberwerten.«

Nun brach die alte Diva erst recht in Gelächter aus. »Schätzchen, in meiner besten Zeit hatte ich Schwankungen von einer Seite des Boulevards auf die andere. Bei meiner vierten Hochzeit schwankte ich so, dass ich fast den Pfarrer geheiratet hätte.«

»War das die mit Marc Sauer?«

»Sie kennen sich aber gut aus mit meinen Männern!«, sagte Lola Ries spitz.

»Sie sind ja auch zum dritten Mal hier«, entgegnete die Psychologin prompt.

»Wiederholungstäter kommen immer wieder gern zurück. Hierher in die schönste Ausnüchterungszelle der Welt. Wie sieht es eigentlich mit ihrem Liebesleben aus, Schätzchen?«

»Bestens«, antwortete Groß knapp, aber Lola blickte sie durchdringend wie erwartungsvoll an.

»Meine Ohren wollen Details hören, Details.«

»Ich bin mit dem Mann meiner Träume zusammen. Mehr Details müssen Sie nicht wissen.«

»Das ist aber nicht mehr dieser Harald, mit dem Sie bei meinem letzten Aufenthalt zusammen waren, oder?« Ries ließ nicht locker.

»Sein Name ist Heiner. Nein.«

»Ich dachte, ihr wolltet heiraten, ihr Turteltäubchen?«

»Das dachte ich auch. Aber vor einem Jahr hatte es sich ausgeturtelt.«

Lola Ries machte mit den Fingern eine Pistole nach. »Bumm. Haben Sie ihn abgeschossen.«

»Er hat's überlebt.« Damit zog Laura Groß einen Schlussstrich unter das Gespräch. Sie stand auf, ging zur Tür und drehte sich dann kurz um. »Wir sehen uns morgen um zehn zur Sitzung.« Leise schloss sich die Tür.

»Endlich ist die Kuh verschwunden«, brummte Lola Ries. »Mit dem Mann ihrer Träume ist sie zusammen … Die Kerle, von denen dieses Mondkalb träumt, will ich gar nicht kennenlernen.«

Dann nahm sie ihren Knirps. Er diente ihr weder als Sonnen- noch als Regenschirm, er hat eine ganz andere lebenserhaltende Funktion. Es handelte sich nämlich um einen präparierten Knirps mit integriertem Flachmann. Lola drehte ihn am Knauf auf, nahm einen tiefen Schluck und schüttelte sich. »Bourbon mit Minzgeschmack. Schmeckt wie Zahnpasta on the rocks.« Dann wandte sie sich zu dem Tatort und prostete zur abgesperrten Tür. »Auf dich, Tobler, und deinen süßen Tod. Mögest du in der Hölle schmoren.«

3

Zu Popolos großer Überraschung wurde er an seinem ersten Tag nicht als Kaffeeholer vom Dienst behandelt. Ganz im Gegenteil, er sollte sogleich etwas Wichtiges erledigen.

»Du bist der Richtige für den Job, Ragazzo«, lächelte der Noch-Kommissar Obermeier und klopfte Andrea altväterlich auf die Schulter.

»Und welche Aufgabe haben Sie mir zugedacht?« Popolo nahm wieder seine militärische Stellung ein.

»Sie dürfen die Witwe besuchen und ihr ein bisschen auf den Zahn fühlen. Aber mit Engelszungen. Das zarte Geschöpf müssen Sie mit Samthandschuhen anfassen.« Obermeier lächelte wissend.

»Ich war Jahrgangsbester in sensibler Gesprächsführung«, entgegnete Popolo und erntete einen kurzen Lacher. »Dürfte ich mir noch eine Frage erlauben? Warum soll gerade ich der Richtige für diese Aufgabe sein?«

»Ich weiß nicht, ob du so ein Frauenversteher bist, aber die Frau verstehst du bestimmt am besten von uns allen.«

Dann drückte Obermeier seinem jungen Kollegen einen Ausdruck mit Adresse in die Hand und empfahl sich.

Das Anwesen der Toblers lag am Rande von Berg, einem Ort am Ostufer des Starnberger Sees. Der Kies knirschte, als Kommissar Popolo die Auffahrt hochfuhr. Summend schloss sich hinter ihm das Portal. Die ganze Farbenpracht der oberbayerischen Flora leuchtete unter dem blauen Sommerhimmel, ein Meisterwerk der Gartenkultur, das jedoch gegenüber dem menschlichen Gesamtkunstwerk, das den Polizisten in der Eingangstür erwartete, verblasste.

Dolores Maria Tobler hatte volle Lippen, die nicht zum Sprechen, sondern nur zum Küssen gemacht waren, dunkle Mandelaugen, die die Hormone jedes Mannes binnen Sekunden zum Siedepunkt brachten, und welliges schwarzglänzendes Haar, das sie als Model für jede Shampoo-Werbung qualifizierte. Und dazu besaß sie noch die passenden Rundungen, die von ihrem eng anliegenden Kleid betont wurden. Diese Krone weiblicher Latino-Schönheit war nichts anderes als ein personifizierter Schlüsselreiz und ein Mann, der bei diesem Anblick nicht an etwas Schmutziges dachte, musste wahlweise impotent, homosexuell oder schwer geisteskrank sein. Kommissar Popolo war nichts dergleichen.

»Sie musse sein die Polizistemann, der habe angerufe«, hauchte Dolores mit einer Stimme, weich wie eine Garnitur Samtkissen, veredelt mit einem leicht rauchigen Timbre. Einst benutzten die Wesen mit magischen Kräften Zauberstäbe, bei der Witwe Tobler genügte ein Wort und Kommissar Popolo war verzaubert und seines Willens beraubt.

»Ja, ich binne die Polizistemann, der habe angerufe«, sagte er wie paralysiert.

»Eh, komme du auch ausse Mexiko?«, fragte die schwarze Witwe.

»Si äh no. Ich meine, ich komme aus München. Mein Vater stammt aus der Gegend von Tarento. Das ist in Apulien.« Popolo war aus seinen Träumen gerissen.

»Warum spreche du dann meine Akzente, eh?« Leicht säuerlich blickte sie ihn an. Sie fühlte sich veräppelt.

»Nein, ich äh bin ver… verkühlt.«

»Bei funfundzwanzig Grade in die Schatten?«

Zur Demonstration zog Popolo ein Papiertaschentuch heraus, in das er eine Menge heiße Luft hineintrompetete. »Die Klimaanlagen. Sie verstehen?«

Dass man wegen Klimaanlagen einen Schnupfen bekam, verstand Dolores Tobler selbstverständlich, dass man deshalb mit spanischem Akzent sprach, nicht unbedingt, allerdings war sie es gewohnt, dass Männer in ihrer Nähe nervös wurden und unsinniges Zeug daherredeten.

Sie gingen in die Villa. Tobler hatte Geschmack und auch das nötige Geld, um seinen Geschmack auszuleben. Popolo war erstaunt, denn das Foyer war im klassischen Stil der römischen Antike eingerichtet. Die Wände zierten Mosaike mit Motive aus Ovids Metamorphosen. Narzissus und Echo, Pygmalion, Venus und Adonis, sie alle huldigten dem Geist des Altertums – und der Schönheit Dolores.

Weniger klassisch eingerichtet war das Wohnzimmer, aber nicht weniger luxuriös. Es war angenehm klimatisiert. Die Südseite bildete eine große Glasfront mit Schiebetür zum hinteren Teil des Gartens. Dort stand ein muskulöser Gärtner, bekleidet mit nichts anderem als einer grünen Latzhose, und schnitt akribisch die Rosen. Eine Wand diente als Heimkino, die beiden anderen als Galerie. Dolores zeigte Popolo, der sich mit Kunst nicht auskannte, und mit moderner schon dreimal nicht, mit großem Stolz die Bilder. Richter und Rothko, die Namen sagten ihm genauso wenig wie die Gemälde selbst. Auf dem dritten Bild war jedoch Elvis zu sehen.

»Das Foto vom King ist aber schmutzig geworden«, bemerkte Popolo.

»No, isse uberarbeite von Andy Warhol«, korrigierte ihn Dolores.

»Warhol? Der mit den Suppendosen?«, fragte Popolo unsicher.

»Si«, lächelte Dolores. Popolo würde abends dank Google noch herausfinden, dass diese drei Bilder Originale waren mit einem Marktwert von gut und gern 20 Millionen Euro.

Als sich Dolores Tobler in ihren anthrazitfarbenen Lounge-Sessel fallen ließ, zog sie ihr Kleid straff. Es war schwarz. Die Witwe signalisierte also mittels Kleidung Trauer, eine Trauer, die das Gesicht nicht unbedingt ausstrahlte. Die perfekt geschminkten Augen ließen nicht darauf schließen, dass ihnen übermäßig viel Tränenflüssigkeit entglitten war.

»Frau Tobler«, hob Popolo an, wurde jedoch sofort unterbrochen. Die Witwe beugte sich nach vorne, dabei tiefe Einblicke gewährend. Ihre glänzenden Rehaugen blickten ihn hypnotisch an.

»Nennen Sie mich Lolita«, hauchte sie verführerisch.

Popolo schluckte. »Frau, äh Lolita«, fuhr er unsicher fort. »Erst einmal möchte ich Ihnen mein aufrichtiges Beileid zu dem schweren Verlust aussprechen.« Das hatte er auf der Polizeischule so gelernt.

»Gracias«, entgegnete sie ohne geheuchelte Todestrauer.

Popolo suchte erst das unverbindliche Gespräch, er wollte eine Brücke bauen und das Vertrauen der Witwe erlangen, bevor er zu seinem eigentlichen Anliegen kam.

»Haben Sie eine Ahnung, wer Ihren Mann ermordet haben könnte?«, fragte er schließlich mit sanfter Stimme.

»No. Vielleicht diese verruckte Manner von die Dienstage.« Sie schenkte sich ein Glas Zitronenwasser ein und bot auch Popolo eins an, was der angehende Kommissar dankend annahm.

»Welche verrückten Männer?«, fragte Popolo überrascht.

»No lo sé«, sagte sie auf Spanisch und zuckte mit den Achseln.

Popolo war nun auch klar, warum man ihn geschickt hatte. Auch wenn er in Deutschland geboren war, sprach er fließend Italienisch und verstand so auch leidlich Spanisch, zumindest die Brocken von Dolores Tobler.

»Severin wasse jede Dienstage bei Societe mit verruckte Manner. Wasse nix por Señoritas und geheime.«

Dolores versprach ihm, die nötigen Unterlagen zu suchen, wusste jedoch nicht genau, wo sich diese befanden.

»Frau Tobler, es tut mir leid, aber die Frage muss ich Ihnen stellen: Hatte Ihr Mann eine Geliebte?«

»Si y no«, meinte sie sibyllinisch. Aber ihr Gesichtsausdruck verdunkelte sich.

»Was heißt das?« Popolo runzelte die Stirn.

»Sie isse weg. Weggelaufe.«

Popolo erfuhr, dass Tobler ein Jahr lang ein Verhältnis mit Antonia Helmrich hatte. Die Schwester eines Freundes kam, sah und siegte. Sie war für ein Jahr als Ärztin für ein Praktikum an die Klinik gekommen, sah Tobler und siegte im Kampf um sein Herz. Dolores hatte für ihre Nebenbuhlerin eine Reihe spanischer Schimpfwörter auf Lager, die Popolo die Wangen ein wenig zum Erglühen brachten, so derb waren sie.

»Wo befindet sich Antonia Helmrich derzeit?«

»No lo sé, donde esta puta es«, schimpfte die schöne Witwe. Ihre glänzenden Augen hatten sich in Giftpfeile verwandelt.

Sie wusste es also nicht, dachte sich Popolo und glaubte ihr instinktiv kein Wort. »Dann war Ihre Ehe nicht mehr die beste?«, fragte Popolo vorsichtig.

»No. Sie wasse nie die beste. Severin habe mich geheirate für rette mich vor Abschieberung. Eh, ich wasse 19 Jahre, eine klein Señorita und habe gemachte Karriere als Model. Viel Fotos, viel Euro und viel Kokse. Habe mich erwischte Ihre Kollege und Severin habe mich gerettert. Aber wir wasse nie richtig glucklich. Er isse zu alt fur mich und ich binne zu …«, Dolores beugte sich wiederum nach vorn, sodass Popolo ihren Atem spüren konnte, »heiß fur ihn.« Dann lehnte sie sich wieder zurück und blickte den Polizistin durchdringend an. Die Hitze, die Popolo spürte, konnte durch keine Klimaanlage dieser Welt vermindert werden.

»Wir habe alles klar gemacht wege Scheidung«, fuhr sie wieder sachlich und gefasst fort. »Kein Problem. Nada. Ich bekomme eine Millione Abfindung.«

»Aber als Witwe bekommen Sie nun alles.« Popolo witterte seine Spur. Er war sich ja von Anfang an sicher, dass für den Mord nur eine Frau infrage kam. Natürlich musste auch Antonia Helmrich überprüft werden, doch zum gegenwärtigen Zeitpunkt hatte sie kein Motiv. Im Gegensatz zu Dolores.

»No.« Ihr Gesicht verfinsterte sich. »Jetzt bekomme alles die Tobler-Stiftung. Ich bekomme nur unsere Seehaus. Nix grande, nix wie diese Villa.«

Popolo notierte sich den Namen des Rechtsanwalts, der sowohl das Testament aufgesetzt wie auch die Scheidungsformalitäten vorbereitet hatte.

»Es ist nur eine Formalität, aber ich muss alles überprüfen.« Popolo räusperte sich.

»Sie musse überprüfen, wo ich in Nacht von Morde wasse. Si.«

Katzengleich stand sie auf, ging zur Glasfront und rief. »Markus. Adelante.« Der muskulöse Gärtner blickte kurz auf, wischte sich den Schweiß von der Stirn und kam herbei. Er hatte ein kleines Grübchen am Kinn und einen dünnrasierten Wangenbart. Seine Oberarme waren vom Hanteltraining gestählt, sein Blick lässig, selbstbewusst. Er begrüßte seine Chefin mit einem Kuss, der Popolos Blutdruck hochschnellen ließ.

»Sag dem Kommissar, wo wir wasse gestern nachte«, hauchte Dolores.

»Dolores und ich, wir waren bei mir. Die ganze Nacht.« Der Gärtner konnte sich ein vieldeutiges Lächeln nicht verkneifen.

»Gibt es dafür Zeugen?«

»Ja, ungefähr 20. Wir haben meinen Geburtstag gefeiert. Bis in die Puppen, Kommissar. Es war spät, verdammt spät, als wir ins Bett gegangen sind, so ungefähr vier Uhr. Und was wir dann gemacht haben, muss ich ihnen wohl nicht erzählen.« Musste er nicht. So wie er Dolores gleich wieder mit einem Kuss fast verschlang.

Irgendetwas stimmte mit Dolores Tobler und möglicherweise auch ihrem Lover nicht, da war sich Popolo sicher. Die Leute mit den besten Alibis waren ihm immer suspekt.

4

Als Irene Rosen zum Starnberger See fuhr, hatte sie die Klimaanlage ausgeschaltet und dafür das Fenster heruntergelassen, obwohl die erste Strecke des Wegs an der Landshuter Allee vorbeiführte, Münchens schlimmster Feinstaubfalle. Aber ihr gefiel, wie ihr der warme Fahrtwind durch die Haare wirbelte und sie hoffte, er würde ihr den Kopf freimachen. Denn wie Flashbacks kamen die Bilder des letzten Abends immer wieder hoch. Wieder ein Rendezvous. Wieder eine frustrierende Erfahrung.

Es war der vierte Mann, mit dem sie sich traf, seit sie bei diesem Internet-Forum einen Account hatte. »Herzflimmern«. Ein großes Wort für kleine Taten. Scherzhaft hatte sie vor der ersten Erfahrung zu ihrer Freundin Ellie gesagt, sie wisse, woher der Ausdruck Blind Date kam. Weil man blind sein müsse, um eine Ähnlichkeit zwischen Foto und Original festzustellen. Tatsächlich erfuhr sie schnell, wie nah dieser Witz der Realität kam. Ihr erstes Date war ein Mann, der sich als sportlich und attraktiv bezeichnete, obwohl er ein Fall für »The Biggest Loser« war. Aus Anstand und Respekt stand die Kommissarin diese Verabredung zwei Stunden durch, bevor sie sich verabschiedete. Bis zum nächsten Versuch vergingen einige Monate, doch auch dieser verlief kaum besser.

Seit fünf Jahren war Irene Rosen schon solo. Fünf lange Jahre waren verstrichen seit der Katastrophe mit Karl, ihrem Ex-Mann. Fünf Jahre, in denen ihr Körper eine Menge abbekommen hatte, aber nicht das, wonach er sich sehnte. Prügeleien mit Kleinkriminellen, eine leichte Schussverletzung und einige Male schlechten Sex, aber keine Streicheleinheiten und schon gar nicht den Sex, bei dem man die Welt um sich vergisst und am Ende seinen persönlichen Vesuvausbruch erlebt.

Als sie am Luise-Kiesselbach-Platz auf die Garmischer Autobahn fuhr, versuchte sie, diese Gedanken zu verscheuchen. Doch es mochte ihr nicht gelingen, denn sie hatte aus purem Zufall gelesen, dass sich die Wurzel ihres Übels seit ein paar Tagen im Katharsis befand, um ihre Blutbahnen zu entgiften. Ausgerechnet jetzt, da die Kommissarin dorthin berufen wurde. Und sie wollte verhindern, dass Popolo von Diana Hofer erfuhr. Zumindest nicht, bevor sie selbst die Lage sondiert hatte.

Sie ließ das Fenster weiterhin offen, zumal man bis zum Dreieck Starnberg kaum schneller als Tempo 100 fahren konnte. Der Fahrtwind vertrieb langsam die Regenwolken auf ihrem Gemüt und sie spürte nur noch die Sonne, die wärmende Sonne, die sich in diesem Sommer viel zu selten gezeigt hatte, wie so oft.

Das Katharsis war das letzte Überbleibsel eines gutsherrlichen Hofs. Es lag erhaben auf einem sanften Hügel mit Blick auf den Starnberger See. Freddy Tobler war im Jahr, als die Titanic gegen einen Eisberg stieß, auf den Einfall gekommen, gelbe Rüben und Erbsen in überdimensionierte Konservendosen zu packen. Und dafür wurde er im besten Fall belächelt, von vielen in der Lebensmittelbranche aber sogar verspottet, gab es doch damals noch jede Menge echter Hausfrauen, die ihre Vorräte selbst machten, und Restaurants setzten noch nicht auf Fertigfutter. Krankenhäuser, Altenheime und die eine oder andere Großkantine orderten die Gemüsekübel, aber das Unternehmen schrieb rote Zahlen. Zwei Jahre lang, bis Wilhelm II. meinte, er müsse den Österreichern und ihrem senilen Kaiser Franz Joseph Beistand leisten und deshalb Frankreich und Russland den Krieg erklären. Der Stellungskrieg im Westen und der deutsche Vormarsch im Osten nach der Schlacht bei Tannenberg bescherten dem Industriellen Bilanzen, deren Gewinnkurven so steil wie die Eiger-Nordwand aufragten. Der Grundstein für das Familienvermögen der Toblers wurde also in den Schützengräben eines Kriegs gelegt, der nicht zu Unrecht als Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts bezeichnet wurde.

Von Bismarck kennt man den berühmten Ausspruch, die erste Generation schafft Vermögen, die zweite verwaltet Vermögen, die dritte studiert Kunstgeschichte und die vierte verkommt vollends. Auf die Toblers traf dies bedingt auch zu. Wolfram, der Enkel des Selfmademans Freddy, verkaufte die Fabrik an einen Lebensmittelkonzern und lebte die Hälfte des Jahres in Monte Carlo, wo er den Reichtum mehrte. Allerdings den Reichtum der lokalen Casinos. Außerdem machten diverse Bars und Spirituosen-Händler gute Teile ihres Jahresumsatzes mit Wolframs enormem Durst, weshalb der Multimillionär in seiner Lebenserwartung deutlich unter dem Durchschnitt blieb. Seine Organe, nicht nur die Leber, wären für Transplantationen denkbar ungeeignet gewesen.

Abgeschreckt vom dekadenten Leben seines Vaters beschritt dessen Sohn Severin neue Pfade. Mit Dosengemüse freilich hatte auch er nichts im Sinn, doch statt den eigenen Leib systematisch zugrunde zu richten, wollte er Kranken helfen, vor allem Suchtkranken. Er promovierte in Medizin mit magna cum laude. Nach einigen Jahren in diversen Kliniken kaufte er einen großen Gutshof am Westufer des Starnberger Sees und ließ ihn zu einer Luxusklinik für Leute umbauen, die allerlei Sorgen plagen, nur keine Finanznöte. Wem die Betty-Ford-Klinik zu prollig war, der wurde bei Tobler fündig. Mit den üppigen Erlösen finanzierte er eine Stiftung, die sich um das Wohl der Bedürftigen und Ausgestoßenen kümmerte.

Das Katharsis hatte lediglich zwölf Betten, was garantierte, dass man unter sich war. Ein Tag kostete zwischen 1000 und 1500 Euro, das garantierte noch mehr, dass man unter sich war. Das Personal bestand aus Psychologen, Ärzten, Fitnesstrainern, Ernährungsberatern und einfachen Krankenschwestern. Sie waren alle diskret und verschwiegen. Wer meinte, er müsse die Eskapaden der Patienten an die Bunte oder Gala ausplaudern, konnte mit vertraglich geregelten Konventionalstrafen in fünfstelliger Höhe belangt werden. Dafür wurde die Belegschaft weit übertariflich bezahlt.

Und Tobler war ein integrer Mann. Seine Angestellten wurden von ihm zuvorkommend behandelt. Das konnte man von der illustren Kundschaft freilich nicht behaupten. Eine Pop-Sängerin zum Beispiel war dafür berüchtigt, dass alle Pflegerinnen ihre Songs auswendig lernen mussten. Und bei jedem falschen Text bekam sie Wutausbrüche, dass ihr der Kamm schwoll.

Das Gästebuch des Katharsis hätte sich wie das Who's Who Deutschlands gelesen. Unternehmer und Börsengurus, Schauspieler und Sänger, Models und Moderatoren, in Ausnahmefällen auch Politiker und Sportler. Aber natürlich gab es kein Gästebuch. Denn zu den Zutaten des Erfolgs zählten absolute Diskretion und Verschwiegenheit. Wie in vergleichbaren Kliniken war es üblich, dass sich die Patienten, die Tobler lieber als Kunden oder Freunde bezeichnete, Pseudonyme geben konnten. Unter den koksenden Ladys erfreute sich der überaus originelle Nickname Schneewittchen enormer Beliebtheit. Rockstars dagegen neigten zu Pseudonymen, die quasi einer verbalen Penisverlängerung gleichkamen. Neben all diesen Stieren und Hengsten verblassten die Manager und Broker, die sich bescheidenere Namen gaben und gern auf Personen aus der Weltgeschichte zurückgriffen. Hier gab es freilich Grenzen. Dschingis Khan und Napoleon waren nicht gern gesehen, aber erlaubt, Hitler und Stalin verboten. Ein Software-Unternehmer, der gern Konkurrenten durch feindliche Übernahmen auffraß, hatte jedoch auf den Namen des Braunauer Diktators bestanden, der für ihn offensichtlich zur Identifikationsfigur geworden war. Nach längerem Hin und Her gestand man ihm schließlich das Pseudonym Adolf Hiter zu. Die anderen Patienten redeten ihn deshalb allerdings mit einem Körperteil an, das sich am Darmende befindet.

Unter den vielen kleineren wie größeren Scharmützeln im Fegefeuer der Eitelkeiten zählte der Zickenkrieg zu den heftigsten und durchaus amüsantesten. Er erinnerte ein wenig an die Grabenkämpfe und Abnutzungsschlachten des Ersten Weltkriegs. Ein solcher Zickenkrieg tobte auch zu dieser Zeit im Katharsis, allerdings wurde er relativ einseitig ausgefochten.

Das Topmodel Diana Hofer hatte sich den Hass von Lola Ries zugezogen, weil sie im Gegensatz zu der gealterten Diva so manche Titelseite zierte und sogar in einigen Filmen mitgewirkt hatte. Schon als Kind war sie in einem Werbespot für Müsliriegel einem Designer und Modemacher aufgefallen, der sie für seine Kinderkollektion engagierte.

Als Teenie ein Star wurde sie zum Symbol für kühle, unscheinbare Schönheit. Einen Schicksalsschlag später stürzte Diana Hofer jedoch ab. Das exzessive Partygirl ließ keinen Stoff aus und hatte zahlreiche Affären, darunter viele Stars, aber auch ein Polizist. Nachdem sie einem Pariser Modemacher einen Flacon an den Kopf geworfen hatte, war die Zeit für einen Entzug gekommen. Für einen trotz aller Publicity eher scheuen und wortkargen Menschen war das Katharsis dafür der einzig akzeptable Ort.

Als Diana Hofer am Vormittag nach dem Mord in den Salon schlich, plagten sie nicht nur rasende Kopfschmerzen, sie hatte an Beinen und Po mehrere blaugrüne Flecken, die sie sich nicht erklärten konnte. Das lag daran, dass ihr zwei Dinge fehlten, ihre Brille und die Erinnerung an den gestrigen Abend. Ab einem gewissen Zeitpunkt war alles gelöscht. Und die letzten Momente, an die sie sich erinnern konnte, machten ihr Angst.

Das Topmodel stand noch völlig neben sich. Sie hatte nicht einmal ihre Kontaktlinsen gefunden. Wie eine Blinde hatte sie sich die Treppe hinuntergetastet, hinein in den Salon. Da sie ihren Augen nicht trauen konnte, hörte sie angestrengt in den Raum hinein. Sie vernahm jedoch nichts.

»Dieses miese Stück muss doch hier irgendwo sein«, murmelte sie vor sich hin und suchte mit den Händen nach ihrer Brille.

»Ich sehe nur ein mieses Stück, und das bist du.« Lola Ries hatte amüsiert das vorsichtige Herumtappen ihrer Intimfeindin beobachtet und Mäuschen gespielt.

Hofer erschrak zu Tode. »Lola? Bist du das?«

»Nein, die Schneekönigin ist hier.«

»Du musst mir helfen. Ich habe meine Brille irgendwo verlegt.« Es kostete Diana ein wenig Überwindung, ausgerechnet die Frau um Hilfe zu bitten, die ihr seit ihrer Ankunft das Leben mit ihren Bosheiten schwer machte.

»Du kannst lesen? Respekt, hätte ich dir gar nicht zugetraut.«

»Lass mich in Ruh!«

Den Gefallen tat ihr Lola Ries jedoch nicht. »Was liest du denn gern? Beipackzettel von deinen Glücksbringern in Pillenform? Oder Werbeverträge? Drehbücher eher nicht, die Dialoge deiner Filme passen ja auf einen Bierdeckel.«

Hofer suchte tastend weiter, konnte allerdings die Sticheleien der gealterten Schauspielerin nicht einfach schlucken. »Du redest Müll und du bist Müll.«

»Stimmt, ich bin Problemmüll. Aber nur für dich.« Lola lachte laut über ihren – wie sie meinte gelungenen – Scherz.

»Ich habe nur gute Filme gemacht.« Hofer beging immer wieder den Fehler, sich auf ein Scharmützel mit Lola Ries einzulassen.

»Gut bezahlte zumindest. Fette Gagen für ein dürres Model.« Sie stand auf und ging zu Hofer. »Wie hieß dein letztes Leinwand-Verbrechen?«

»›Die Verhängnisvolle‹. Das weißt du genau.«

Natürlich wusste die alte Diva das genau. Denn jeden Verriss einer jüngeren Schauspielerin verschlang sie genüsslich. »Das war der langweiligste Streifen, seit Andy Warhol acht Stunden lang das Empire State Building gefilmt hat. Weißt du noch, was die Süddeutsche geschrieben hat? Diana Hofer hat die Ausstrahlung eines Glühwürmchens am Tage. Der helle Stern am Modelhimmel entpuppt sich auf der Leinwand als schwarzes Loch.«

»Du bist …« Diana Hofer wollte gerade zu einer Beleidigung ansetzen, aber ihr Sprachzentrum funktionierte an diesem Morgen noch nicht richtig. Wie das ganze restliche Hirn auch.

»… ein großer Star, der im Gegensatz zu dir alles hat, was eine Schauspielerin braucht.« Diesen Satz beendete Lola gern für ihre Rivalin. »Ausdruck, Eleganz, Grandezza. Jede Pore von mir verströmt den Odeur des Erhabenen.«

Nun war Hofer aber doch aufgewacht. »Jede Pore von dir verströmt den Gestank von Johnnie Walker.«

»So was Billiges saufe ich nicht. Und dir spiele ich mit zwei Liter Whisky im Leib noch deinen kleinen Arsch ab, den du dir bei Lloyd's für fünf Millionen versichern hast lassen.«

»Lass mich doch endlich in Ruhe«, schrie Diana hysterisch. »Ich muss zu Doktor Tobler.«

Während Lola lachte, tastete sich Diana zur Bürotür vor und spürte das Plastikband.

»Da bist du ein paar Stündchen zu spät dran. Der Doktor ist von uns gegangen.«

»Wohin?«, fragte Diana mit aufrichtiger Naivität.

»Ins Nirwana.«

»Quatsch. Das macht doch erst um 22 Uhr auf.«

Ries lachte heiser auf und klatschte in die Hände. »Der ist gut, Schätzchen. Der Doktor ist tot, ermordet, der hat abgenippelt.«

»Nein«, schrie Diana Hofer entsetzt. Und eine böse Ahnung beschlich sie.

»Doch, er ist bestialisch aufgeschlitzt worden.« Ries spürte nun, dass sie ihre Gegnerin am Boden hatte und nur noch draufschlagen musste. »Und zwar von dir.«

»Nein, nein. Ich weiß nichts mehr, ich …«, stammelte Hofer. Dann brach sie in Tränen aus und flüchtete tastend zur Tür, die sie laut zuschlug. Das befriedigende Gefühl, einen großen Sieg errungen zu haben, machte sich in Lola breit.

»Die hat wirklich nicht alle Oliven im Glas«, murmelte sie amüsiert. »Aber ich frage mich, wo dieser Hungerhaken seine Brille verlegt hat.« Und sogleich begann Lola Ries zu suchen.