Mördermuschel - Ingrid Schmitz - E-Book

Mördermuschel E-Book

Ingrid Schmitz

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Beschreibung

Mia Magaloff, die private Ermittlerin, möchte mit ihrem ostfriesischen Freund Lian auf Spiekeroog zusammenziehen, zunächst für zwei Monate, später für immer. Doch es gibt Anlaufschwierigkeiten. Lians Cousin Joos und Cousine Kaja tauchen auf, wollen ausgerechnet bei ihm ihre Erbstreitigkeiten klären. Es stellt sich dabei heraus, dass beide als Kinder, unabhängig voneinander, von Vater Ben zu geschäftlichen Zwecken missbraucht worden waren, damit er die besten Deals bekommt. Ihre verstorbene Mutter hat davon gewusst. Joos lockt Ben für eine Aussprache auf die Insel. Mia macht derweil Bekanntschaft mit einem Typen, der etwas von „Meerwasser trinken“ und „Freiheit schenken“ faselt. Er lässt ihr eine Muschel da. Ihre Recherchen im Muschelmuseum ergeben, dass es sich um eine Mördermuschel handelt. Kurz darauf macht sie mit dem Inselfotografen einen Fund, der mit einer laufenden Vermisstenanzeige zu tun haben kann. Inselpolizist André Basold nimmt erste Ermittlungen auf und bekommt eine äußerst attraktive Kollegin zur Unterstützung.

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Inhaltsverzeichnis

Zitat

1.

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Was wurde eigentlich aus:

Reale Personen:

Nachwort

Danksagung

Der Verlag dankt

Ingrid Schmitz

Impressum

MÖRDERMUSCHEL

Ingrid Schmitz

EDITION OBERKASSEL

 

 

»EddieentdeckteeinedergroßenWahrheitenseiner Kindheit:

Erwachsene sind die wahren Monster.«

StephenKing

1.

Es war kühl und die Dämmerung brach herein, amHimmelnähertensichRegenwolken.AufdemWegzum Strand kamen mir immer wieder Gäste der InselmitihrenStrandtaschenentgegen.IchsahkurznachrechtszumUtkieker,gingweiterüberdieDüne,denBretterweg hinab zur See. Je näher ich kam, destodeutlicherhörteichdasSchlagenderWellenansUfer.EinStückweitwateteichinsWasser,schöpftemitdenHändenetwasdavonabundschlürfteesauf.Nichts.Ich schmeckte nicht mehr heraus, was die Nordseewirklichfürmichwar:EinsalzigesGrab–fürmeineToten.

IchvermisstedieGier,dieMachtundBesessenheit –dieGier,einOpferauszusuchen,dieMacht,eszutöten, und die Besessenheit, es mit den Wellen in dieFreiheitzuschicken.MeinSinndesLebenswarverlorengegangen.Stattanderezujagen,wurdeichgejagt,vonmeinerinnerenStimmeundmeinenFeinden,diemichzerstörenwollten.Dasmussteichverhindern.

Eine Gestalt ging auf die Strandkörbe zu. Den Kopfstetsnachuntengeneigt,alssuchesieetwas.

Mein Herz begann zu rasen und die Finger zitterten.Ich hatte es eilig, aus dem Wasser zu kommen,schwanktehinundher.

Eswarwiedersoweit.

2.

»Kommmit!Ichwilldirwaszeigen«,sagteMaxi,dievoreinemMonatihrenachtundvierzigstenGeburtstag gefeiert hatte. Sie war mit ihrem jungen Freundnach Spiekeroog gekommen, weil hier niemand dieNase rümpfte, wenn sie Arm in Arm spazieren gingen. Dass der Altersunterschied so groß war, sah mansofort. Sie hatte schlechte Gene geerbt mit ihrer faltigen Haut und dem schwachen Bindegewebe. Maxhingegen besaß am ganzen Körper eine Babyhaut und im Gesicht sah er wesentlich jünger aus als einunddreißig.Siewarneidischdarauf.Auchsonstwarensiebeide sehr unterschiedlich. Er war klein und pummelig,siewargroßundschlank.ErhattedunklesHaarundsieblond-graues.Erwararmundsiewarreich.

EsgabjedochnichtzuunterschätzendeGemeinsamkeiten, wie zum Beispiel ihre Namen Maxi undMax und ihre unbändige Lust aufeinander. Bei ihrsollteeseineKrankheitsein,beiihmjugendlicheLeidenschaft.

SiekamenArminArmausderPizzeriaundwarenbeidevomsüffigenRotweinangetrunken,vomKnoblauch berauscht. Maxi flüsterte ihm etwas ins OhrundlachtevollerVorfreude.Erbliebabruptstehen.

»Was?Jetzt?BeiderKälte?Schaumalda,Gewitterwolken.« Wenn er ehrlich war, schreckte ihn auch derlangeFußmarschüberdieDünezumStrandab.Er würde viel lieber gleich ins Hotelzimmer gehen …SieküssteihninnigundsahihmtiefindieAugen.

»Komm schon!« Maxi zog eine LED-Taschenlampeaus ihrer Jacke hervor und leuchtete den Weg entlang. »Damit können wir mindestens einhundertfünfzig Meter weit sehen oder achtzehn Zentimeter beleuchten. Du wirst ihn so noch nie gesehen haben. Eswirdhot!«

MaxgrinstevoneinemOhrzumanderen.Erliebteihre Spontanität, die kindliche Ungezwungenheit. DastandsiedenFraueninseinemAlterinnichtsnach.AberwasdasSelbstbewusstseinunddiesexuellenErfahrungenanging,warsieumKlassenbesser.ErbekamSchwierigkeitenzugehenundbeugtesichnachvorne,damitesnichtsospannte.

»Angst scheinst du jedenfalls nicht zu haben«, sagtesieundzeigteaufseineHose.DieletzteStreckeliefensie Hand in Hand den Bretterweg hinunter, zum nurscheinbar menschenleeren Strand. Max führte sie zudenStrandkörben.Abgeschlossen.

»Nein, nicht hier«, sagte Maxi. »Lass uns da hintenhingehen.«NatürlichhattesienichtsdemZufallüberlassen.BereitsheuteMittag,beimSonnenbadenamWasser,warsieaufdieetwasverstecktliegendeStellemit dem Dünengras aufmerksam geworden und hatteihrenPlanfürdieseNachtgeschmiedet.

SieließensichaufdenSandbodenplumpsen.Maxfiel über sie her und warf die Taschenlampe mit einemdie brauchen wir nicht inhohemBogenvonsich.SielandeteaufeinemGrasbüschelundbeleuchtete etliche Meter weiter die Stelle, wo der leblose nackteKörper lag – doch das Liebespaar hatte nur Augen fürsich.

3.

Das passte mir gar nicht. Niemand durfte mich beimeinerZeremoniestören!Niemand!Unddannwarfdieser Idiot auch noch die Taschenlampe weg und erhelltedasSzenario.IchrobbteleiseundaußerScheinweitezuderStelle,wosielag,knipstedasLichtder LED-Lampe aus und nahm sie an mich. Nochnicht einmal das merkten sie. Sollte mir recht sein,musste dann nicht so tun, als hätte ich mich erschreckt, und ihnen keine Geschichte auftischen,warum ich plötzlich hier aufgetaucht und die Tote angeblichauchgeradeerstentdeckthatte.

Ich begann, mein Opfer mit Sand zu bedecken. InunregelmäßigenAbständenzucktenBlitze.Sieerhellten den Strand für Sekundenbruchteile, so, als stündentausendFotografeninmeinerNäheundfotografiertenmichunddieNackte.Regenprasselteplötzlich herab. Das gefiel mir gar nicht und störtemich beim Sandanhäufen. Meine einzige Hoffnungbestand darin, dass diese zwei komischen Gestaltendie Flucht vor dem Regen und Gewitter ergriffen undmich endlichin Ruhe weitermachen ließen.Der Himmel hatte mich erhört. Wieder schrien sie,nur nicht so lustvoll, sprangen auf und schnapptensich ihre Sachen. Leider liefen sie in die verkehrteRichtung. Sie kamen direkt auf mich zu.Drei TotenaufeinmaldieFreiheitzuschenken,wäre selbstfürmichzuviel.Mirbliebnichtsanderesübrig.Ichmussteestun.IchlegtemichaufdieSchöneundküsstesie.

Das Pärchen quietschte vor Vergnügen und machte,dasseswegkam.

***

Nachdem ich mein Opfer mit bloßen Händen notdürftig im Sand eingebuddelt hatte, ging ich zurückzum Yachthafen. Dort lag meine geliebte Doria, dieElfmeter-Yacht. Ich musste mich mit meinem Vorhabenbeeilen,damitzurspätenUhrzeit nicht dochnoch irgendwelche verrückten Spaziergänger an denStrand kamen und die Tote entdeckten. Diesmal warich völlig unvorbereitet, weil es nach langer Zeit soplötzlichübermichgekommenwar.

IchsahimSchiffsschranknach,wosichdieMüllsäcke, Kabelbinder und die rote Decke befanden. Säge,Beil und Schaufel lagen in der Werkzeugluke. Ichpackte alles ein, durfte nichts vergessen. Danach ginges wieder achthundert Meter weit zu Fuß, zurück zumStrand.AutofreieInselnhattennicht nur Vorteile.Der starke Regen hatte nachgelassen, das Gewittersich verzogen. Mein Plan war ursprünglich ein ganzanderer gewesen. Ich wollte mein Opfer ein Stückweit ins Wasser bringen, damit es von den Wellen indie Freiheit gezogen wurde. Falscher Plan. Es warEbbe.

Sozog ich den Bollerwagen erst einmal zu der Stelle,woichsieerdrosseltundmitSandbedeckthatte.Unterwegs sammelte ich Treibgut; alles, was ich findenkonnte.

Ichlächelteinmichhinein.Wiemühelosesgewesenwar,siezutöten.SiehattezwischendenStrandkörben nach ihrem Schlüssel gesucht. Ich hatte ihrfreundlicherweisebeimSuchengeholfenundsiezumirgerufen.Siefreutesichdarüber,dachte,ichhätteihn gefunden. Angestrengt stierte sie in gebückterHaltung auf das Dünengras, auf die Stelle, die ich ihrgezeigt hatte. Ich stand hinter ihr und entschied in Sekundenschnelle über Leben und Tod, zückte meineGarrottemitdemmittelstarkenDrahtunddenHolzgriffen, die ich immer als Talisman in meiner Taschemitmirführte.

Nein,siehattenichtleidenmüssen.Ich folterenicht. Im Gegenteil. Ich schenke meinen Opfern etwas.DieFreiheitimMeer.

Bevorichdasallessorichtiggenießenkonnte,standmir viel Arbeit bevor. Die oberste Sandschicht warvomRegennassundschwergeworden.Ichbuddeltemit dem Klappspaten eine Grube, damit ich darinmeineArbeitverrichtenkonnte.NachgeraumerZeitvollzogichendlichmeinRitual,stecktedieEinzelteileinMüllsäckeundwarfroh,dasssiealleindieKarrepassten,Deckedrüber–fertig.DieRiesensauereiinder Grube schüttete ich mit Sand wieder zu, bedecktedie Stelle mit Grasbüscheln und verteilte darauf einige meiner zuvor gesammelten Fundstücke. Ich verwischtedieSpurenundhieltkurzinne,obichnichts vergessenhatte.AbzumWasserundweiterdenSuchenden spielen, der bei Halbmond Treibholz einsammelte.

Vollbepackt zog ich den Bollerwagen hinter mir herzurDoria.IchhievtedieMüllsäckeanBord.Rundummichherumwarallesruhig.NiemandgingzudenSanitäranlagen. Selbst wenn jemand gekommen wäre,ich hätte einen Scherz darüber gemacht, was ich datat,undmitihmgelacht.

Ich bedauerte es sehr, nicht sofort in See stechen zukönnen.DasAnwerfendesMotorsmeinerYachtwärezulautgewesen.EsherrschtehierRuhezeitvon22:00Uhr bis 8:00 Uhr. Deshalb musste ich zusätzlichenKrach und unnötigen Streit mit den Steganlegern vermeiden.

DieschwarzenMüllsäckeließichanDeckstehen.Dort waren sie heute Nacht kühler aufgehoben alsdrinnen.IndieSäckeschauenwollteichnichtmehr.Es reichte mir, wenn ich wusste, dass die Schöne darin war und mir nicht mehr davonlaufen konnte. Nachgetaner Arbeit legte ich mich erschöpft in die Koje.GleichmorgenfrühwürdeichsiedenWellenübergebenunddemMeerüberlassen–natürlichohnePlastiksäcke.DengenauenZeitpunktmussteichgutabpassen. Am besten dann, wenn sich die meisten Skipper im Dorf am Frühstücksbüfett labten. Selbst wennes wieder regnen würde, käme mir das sehr entgegen,denndannbliebendiemeistenlängerinihrenKojenliegenundschliefensichersteinmalaus.UnterdiesenVoraussetzungenwardieGefahrgeringer,dass mich jemand auf hoher See mit seinem Schiff kreuzteund sah, was ich da trieb. Noch einmal wollte ichnichtbeimeinerZeremoniegestörtwerden.

DurchdieSchönehatteichdieLustamTötenwiedererlangt.Dennochwussteich,dassdieserZustandnicht lange anhalten würde, weil die Abstände derUnlust immer größer wurden. Es war mir klar, dassdies kein Dauerzustand war. So schien mir das Lebenunerträglich. Ich musste mich meinen Feinden stellen. Nicht nur die Stimmen in meinem Kopf musstenverschwinden, sondern auch meine realen Feinde,die mich verfolgten und töten wollten. Wer kann inRuhe seinem Spaß nachgehen, wenn er bedroht wird?Niemand! Also sollte ich das Problem aus der Weltschaffen.EinfüralleMal.IchmusstedenSpießumdrehen!

Zunächst einmal genoss ich die Gegenwart undfreutemichaufmorgenfrüh.

»GuteNacht«,riefichindenRaum,obwohlesirgendwieidiotischklang.Eswarauchmehrfürmichgedacht.Ichkonntebessereinschlafen,wennichmireineguteNachtwünschte.Weißauchnicht,warum.Obichvorhernocheinmal…IchzogmeinschlauesBuchunterderMatratzehervorundlaszumwiederholten Male meine Notizen, die ich mir gemacht hatte,damitichesnurnichtvergaß,warumichwirklichhierhergekommenwarundwiesoichsehrgutvorbereitetseinmusste.

4.

Lian betrat das Stammlokal. Er zog seine Regenjackeaus und schüttelte sich. Aufgedreht begrüßte er dieüblichenVerdächtigenanderTheke,diedenAbendbeieinemGetränkausklingenließen.DieGeräuschkulisse war enorm. Es störte ihn nicht. Er brauchteAblenkung. In seinem Kopf kreisten zu viele Gedanken. Dagegen halfen nur ein paar Biere und zumSchluss ein Schnaps. Sein Rezept für den tiefenSchlaf. Morgen musste er fit sein, weil er dann seinLebenveränderte.

DerWirtwusstesofortBescheid,wasLiansHandzeichenbedeutete.ErmachtesichandieArbeit,diesiebeneinhalbMinutendauerte.

LianprosteteihmzuundtrankdaseiskaltePilsmitwenigenSchlucken.ErknalltedasleereGlasmiteinemlautenAh aufdenTresen,wasgleichzeitigeineNeubestellung bedeutete. Bis das Bier kam, zwirbelteLian seinen Oberlippenbart und fuhr sich mit denFingerndurchdieweißenHaare.

»Bistduetwaaufgeregt?«,fragtederWirt.

»Jo!AbmorgenistmeinJunggesellen-Daseinbeendet.MeineFreundinziehtzumir. WenndaskeinGrundist,nervöszusein.«

Der Wirt stellte ihm das Frischgezapfte hin. »KenneichdieDame?«

»Bisherhabeichesvermieden,siedirvorzustellen«,antworteteLian.»AbereswäreeinguterTest.Wennsiedirwidersteht,magsiemichwirklich.«

»Das beziehe ich jetzt mal auf mein extrem gutesAussehenundfasseesalsKomplimentauf«,sagtederWirt.

Lian schüttelte den Kopf und grinste. Nein, sie hättebei diesem Test den plumpen Anmachsprüchen desWirts widerstehen müssen und seine Sätze wie »Hastdu schon wieder eine andere, Lian?« keinesfallsernstnehmendürfen.DasschädigteLiansRuf,dennerwareinerdertreuestenMänner,diemansichvorstellenkonnte.UmgekehrtverlangteeresvonseinerPartneringenauso.DaverstanderkeinenSpaß.»BisdasderTodeuchscheidet«warfürihnnichtnureinaltmodischerSpruch,sondernseinDogma.

LiansahausdemFenster.EsschüttetewieausEimern.Hauptsache,morgenschienwiederdieSonne.Sein Handy klingelte. Auch das noch. Er stand aufund fummelte es aus seiner Jeanstasche. Unbekannter Anrufer standaufdemDisplay.Lianmeldetesich,obwohleresnichtmehrmachenwollte,wennernicht

wusste,mitwemereszutunhabenwürde.

»Wo bist du?«, überfiel ihn die männliche Stimme,die er schon lange nicht mehr gehört hatte, aber sofortwiedererkannte.

»Hallo Joos. Wo soll ich schon sein? Auf Spiekeroog.Zu Hause.« Lian strich sich die weißen Haare aus derStirn.

»Wenn du zu Hause wärst, würde ich es wissen. IchstehevordeinerTür.«

»Bittewas?Dubistdoch…Duwarstdoch…«

»Bin davongekommen. Mein Anwalt hatte recht behalten, dass er mich mit Schmerzensgeld und einerAnti-Aggressionstherapie rausboxen kann. Die ist erfolgreich beendet.« Joos räusperte sich, was in einHustenüberging.

»Dein Husten hört sich übel an«, sagte Lian, »duweißt, dass wir hier kein Krankenhaus haben?« EinenVersuchwareswert.AlsHypochondermüssteerdarauf reagieren. Es sei denn, sie hatten auch das wegtherapiert.

Joosgingdarüberhinweg.Ihmschienetwasanderesvielwichtigerzusein:»WarumhastdudichalldieMonatenichtgemeldet?«,fragteer.»Ichdachte,wirsind eine Familie. Ein wirklicher Cousin kümmertsichumdenanderen.«

»Ich…Ichhatte…«,stotterteLian.

»Dukannsteswiedergutmachen«,schlugJoosvor.

»Nimm mich eine Woche bei dir auf und ich verzeihedir.IchbraucheerstmalUrlaub,bevorichmichnacheinerneuenArbeitumschaue.«

»An was hast du dabei gedacht?«, fragte Lian. ErwollteZeitzumNachdenkengewinnenundinRuhesein frisches Bier austrinken. Noch immer hatte erdieHoffnung,Joossoschnellwiemöglichwiederloszuwerden.

Esdauerteeine Weile,bisdieserseinenStellenwunschäußerte.»Och,wiederalsSektionsgehilfeoder als Gehilfe bei einem Bestatter. Damit kenne ichmichaus,beidesmachtSpaß.Dukannstmirzwanzig

Leichen hinlegen, die habe ich in acht Stunden gewaschenundgestylt,sodasssiewiedasblühendeLebenaussehen. In der gleichen Zeit könnte ich aber auchihreOrganekonservierenunddieBehälterbeschriften.Jenachdem,wasverlangtwird.«

Lian musste sich unwillkürlich schütteln. »Ich glaube, in Wittmund suchen sie einen Bestattungsgehilfen«,loger.»Stelldichambestenpersönlichdortvor.Ob die allerdings so viele Leichen zu versorgen haben, bezweifle ich. Müsstest dir einen Nebenjob suchen.DieersteFähregehtmorgenumacht.«

Jooslachtedreckig.»Daskönntedirsopassen!Nein, nein, so schnell wirst du mich nicht wieder los.Was ist jetzt? Sag mir, wo du bist, und ich komme zudir.Ichfragemichdurch.«

»Warte!«,sagteLian.»Bingleichda.«ErstöhnteaufundbestellteeinenschnellenSchnaps.

5.

Zum Glück hatte es aufgehört zu regnen, dennochmachteJoosdaslangeWartenaufLiannervös.Erhatte weder Zeit noch Lust darauf. Bisher war er immerbestraft worden, wenn er zu lange gewartet hatte …und wenn man ihm dann noch vorwarf »Warum haben Sie so lange gewartet?«, könnte er durch die Decke gehen. Besonders, wenn ein Arzt es sagte. Nein,erwolltenichtlängerwarten.

Ihm blieb nicht mehr viel Zeit, seine Dinge zu erledigen.DanachhättendiemalinderTherapiefragen sollen, was das lange Warten mit ihm macht. Abernein, die hatten sich mit seiner Kindheit aufgehalten,gefragt,wiederVatersowar.Jooshatteehrlichgeantwortet.ErseieingroßesVorbildfürihngewesen,weiler als Egoist und Narzisst weit gekommen sei. SeltentrafmanihnzuHausean.

Viel lieber war er mit seinen reichen Freunden inderKaribikunterwegsgewesenoderistmitihneninden Wäldern jagen gegangen. War er doch mal zuHause,verschaffteersichmitGewaltRespektbeiseinerFrauunddenKindern.Siemusstenmachen,wasersagte.AberJoosgefielesdamalsschon,wiesehrandereFrauenseinenVatermochtenundwieerfolgreich er als Geschäftsmann war. Auch wenn er seinerFamilie nur das Nötigste abgegeben hatte und dasMeistefürsichbehielt.Erkonnteessicherlauben,so zusein.SowollteJoosauchwerden.Allesolltenvorihmzittern.

»KeinWunder«,hattedieTherapeutingesagt.»Deine Eltern waren damals viel zu jung, um Eltern zusein. Die Mutter war 16 und der Vater 18. Da wolltenbeide was erleben. Vom Vater hast du alles vorgelebtbekommen und vielleicht sogar den Egoismus undNarzissmus von ihm in den Genen stecken. Rede mitdeinemVater.Sprichdichmitihmaus,wieersichdamalsgefühlthat.«

Die Sätze würde er nie vergessen. Geht's noch? Wie sollte das gehen? Joos fragte sich, ob die Gruppentherapeutin im Studium wirklich was gelernt hatte. Warum einfach, wenn es kompliziert ging? Manche Dinge waren ebenso. Fertig. Er hatte sich nicht anmerken lassen, was er wirklich darüber dachte, und spielte das Therapeutenspiel mit.

»WasmachtdeinVaterheute?«,fragtesie.

»Keine Ahnung. Zur Beerdigung seiner geschiedenen Frau, der Mutter seiner Kinder, ist er nicht gekommen.IchhabenurseineHandynummer.Obdieaktuell ist? Keine Ahnung. Ist mir auch egal. Ich werde ihn im Leben nicht mehr anrufen. Er mich auchnicht.Dasistsicher.«

»UndwashatdeineMutterzuLebzeitensogemacht?«

»ÜberTotesollmannichtschlechtsprechen.Siehatsich nie um mich und meine Schwester Kaja gekümmert. Also musste ich es tun. Meine Schwester warmeinEinundAlles–wennsiemachte,wasichsagte.«

»Joos.Dubistmanipulativ.«

Ernickte.»NursokommtmanimLebenweiter.«Erhattesichfürchterlichaufgeregt,weilsiesotat,alsseisiedieUnschuldinPerson.Werwarsiedenn?Erhatte seinen ersten Ausraster bekommen. Er hatte sie angeschrien: »Wer ist das nicht? Du bist doch auch manipulativ! Das seid ihr Therapeuten doch alle – ihrMenschenverbesserer. Fasst euch mal an die eigeneNase!«

In seiner Wut war er wohl etwas zu grob geworden.ErwollteeigentlichnurkurzandieNasederTherapeutin tippen, doch sie bekam sofort Nasenbluten.Bestimmt war sie von der OP noch nicht verheilt, beiihrem makellosen Aussehen. Er entschuldigte sichfür den kurzen Hieb. Sie rannte heulend aus demRaum. »Kann doch mal passieren!«, rief er ihr hinterher. Aber sie hörte ihn nicht mehr. »Das kann dochmal passieren!«, wiederholte er laut in der Runde.Vielleichteinwenigzulaut.SielöstenruckzuckdenSitzkreisaufundflüchtetensichineineEcke,bisdieschrankgroßen Pfleger kamen und ihn festhieltenundderArztihmetwaszurBeruhigunggab.

Im Laufe der Zeit hatte er gewusst, was sie hörenwollten und was nicht. Letzteres vermied er und redete ihnen nach dem Mund. Die Tabletten halfen ihmdabei,sehrsogar.Erwurdeeinervonihnen.Erwurdebeliebt. Ein Freund. Ein erfolgreich Therapierter. EinVorzeigemodell. Einer, der keinem je ein Haar krümmen würde, auch wenn man ihn noch so sehr provozierte.Erhattegewonnen,nichtsie.

Auchjetztwarerstolzaufsich.DenAnfanghatteerschon mal geschafft: Er war ohne Zwischenfälle hierhergekommen. Beim Anzünden der nächsten Zigarette an der alten zitterte er, allein bei dem Gedankendaran,womöglichkeinenNachschubzubekommen.Daswarihmnochniepassiert,dassihmderStoffausging.VielleichthatteLianReserve.Ersognocheinmal am alten Glimmstängel und warf verächtlich denblankgezogenenFilterweg.JoosbrauchtedasNikotinzum Leben, zum Überleben. Ansonsten wäre er sicher tablettenabhängig oder Alkoholiker ge… obwohl, einmal im Monat verlangte sein Körper auchnachflüssigemStoff,selbstwennderKopfsagteLass es lieber! Besonders der Schnaps machte ihn streitsüchtiger,alserohnehinschonwar.EinfalschesWortgenügte. Er fühlte sich dann wie ein Schnellkochtopf,dessen Ventil zum Druckablassen verstopft war …undpeng!

6.

LiansahJoosvonweitemvorseinerHaustürstehen.Fasthätteerihnnichtwiedererkannt.Erwarschmalgeworden, seit sie sich das letzte Mal gesehen hatten.Seine blonden Haare waren länger als sonst und welltensichbisaufdieSchultern.Dasverliehihmeinjüngeres Aussehen, um mindestens fünf Jahre. Nur seineUnruhe war geblieben. Nervös wechselte er von einem Bein auf das andere, wie jemand auf Entzug. BestimmthatteerkeineKippenmehr.Siebeidehattengemeinsam das Rauchen ausprobiert. Joos war elfunderbereitsneunzehnundeinSpätzünder.EswarLiansersteundletzteZigarettegewesen.Ihmwareinfach nur schlecht geworden. Joos jedoch kam seitdemnicht mehr davon los. Nicht nur darin waren sie beidesehrunterschiedlich.

SeinCousinblickteindieRichtung,dieerihmhatte

nennen müssen. Lian war absichtlich einen Umweggegangen, weil er wusste, dass Joos das Warten hasste.Selbstschuld,dennermochteesnicht,derartvonihmüberfallenzuwerden.Schongarnicht,wennerganzanderenBesucherwartete,mitdemerlieberalleine sein wollte. Dementsprechend schroff begrüßteerihn.»Moin.«

Joos drehte sich blitzschnell um. »Endlich! Hast duersteineWattwanderunggemacht?«

»Waswillstduvonmir?«,fragteLian.

»IchwarderMeinung,ichhätteesdirgesagt.«

»Nichtwirklich«,antworteteer.

Joosgrinstefrech.»Zugegeben,dasmitdemUrlaubstimmtnatürlichnicht.IchbrauchedeineHilfe.Kajaist verschwunden. Sie wohnt nicht mehr in ihremHamburger Apartment und telefonisch kann ich sienichterreichen.«

Lianfassteesnicht.»Deshalbbistduhierhergekommen?Meinstduetwa,sieistbeimir?«

»Siehatmalbeidirgewohnt«,sagteJoos.»Dichhatsie geliebt und mich – ihren eigenen Bruder – verstoßen.« Er verzog den Mund, als habe er etwas Widerwärtiges darin. »Meinst du etwa, ich komme hierher,wenn es nicht wirklich wichtig wäre?« Er reckte dieArmezumHimmelundspieltedenVerzweifelten.

»Alleshabeichversucht,umsiezufinden.Daskannstdumirglauben.«

Erwusste,dassJoosgelogenhatte.Soviel Geduld besaßernicht.Immerließernuranderesuchenundmachen.

Außerdem,warumwollteersiesehen?Dasteckteviel mehr dahinter als die angebliche Bruderliebe undeventuelle Versöhnung. »Sie wird triftige Gründe fürihr Untertauchen haben, wenn sie nicht mehr erreichbarist.Seinichtsoegoistisch.GibihrmehrZeit,denTodeurerMutterzuverarbeiten.«

JoosAdernandenSchläfenkräuseltensich.Eratmeteschwer.»Duweißtes?AlsohattestduKontaktzuKaja.Siewohntdochbeidir.«ErrauftesichmiteinerHanddieHaare.Sostark,dasseinpaarzwischenseinen Fingernhängenblieben.Nachdemeresbemerkthatte,versuchte er sieunauffällig abzuschütteln.

»Dass du ein Verräter bist, war mir klar«, fuhr erfort,»abersoeiner…«

»Nein, beruhige dich«, sagte Lian. »Sie rief michnur kurz an, nachdem sie die schlimme Nachricht bekommenhatteundmitjemandemredenmusste.«

»Siehättemitmirredenkönnen.«

»Anscheinendnicht.«

Joosbrummte.»Washatsiegesagt?«

»Wennsiegewollthätte,dassdueserfährst,hättesieesdirselbstgesagt,oder?«

»Was bist du nur für ein Cousin? Habe ich dir nichtimmer geholfen, wenn du in der Klemme stecktest?«,fragteJoos.

»Wann war das denn? Wenn du es genau wissenwillst,ichhabeKajaeineEwigkeitnichtmehrgesehen. Ich bin anderweitig vergeben. Morgen zieht meine Freundin bei mir ein. Deshalb wäre es gut, wenndu gleich morgen früh die erste Fähre zurück zumFestland nimmst. Ich möchte nicht, dass du ihr begegnest.«

»Oho,willstdumichnichtalsdeinenVerwandtenvorstellen? Das ist dir peinlich, was? Ich könnte sieüberdichaufklären.«

Joos stellte sich breitbeinig vor Lian, machte sichgrößer,alserwar.

Doch er reichte mit seinen einen Meter fünfundsechzignichtanihnheran.LianhätteihnamausgestrecktenArmverhungernlassenkönnen,waserfrüher oft getan hatte, wenn Joos bei einer Prügelei nichtanderszustoppengewesenwar.

AuchJoosschiensichandieseMomenteerinnertzuhaben.ErbliesdieLuftlautaus.»HolKajahierher.Sag ihr, dass du sie dringend persönlich sprechenmusst. Sie soll die erste Fähre nehmen und dann …sehenwirweiter.«

»IchsollsiediransMesserliefern?«,fragteLian,obwohlerdieAntwortbereitswusste.

Joosnickte.»Duwirst!«ErzeigteaufdieHaustür.

»Lassunsendlichreingehen.HastduZigaretten?«

7.

Mia hatte ihren großen Koffer gepackt und schautesicheinletztesMalum.Siekonntesichschlechtvonihrem Haus trennen. Einen Grund zur Sorge hatte sienicht. Morgen würde ihre beste Freundin Gitti einziehen und sich zwei Monate darum kümmern. Sie legteihr einen Zettel mit den wichtigsten Instruktionen aufden Flurtisch, den Ersatzschlüssel besaß sie bereits.Zwar hatten sie gestern Abend vier Stunden lang telefoniert, doch das hieß noch lange nicht, dass ihreFreundin völlig bei der Sache gewesen war. Wie immer lief der Fernseher im Hintergrund. So schnell,wieGittivonSenderzuSenderzappte,wasMiadeutlich gehört hatte, so schnell waren ihre Gedanken hinund her gesprungen. Dennoch liebte Mia ihre schrägeArt.SiewarvonGrundaufehrlichundwenneswirklichdaraufankam,konntesiesichhundertprozentigaufGittiverlassen.

EineneueZeitrechnungbrachheutefürMiaan, Wehmutkamauf.SiewollteihrLebenneusortierenund musste herausfinden, ob sie mit der LebenssituationaufderInselSpiekeroogimAllgemeinenundmitLian im Besonderen zurechtkäme. Er war einer dervierOstfriesen,diesieimInselcafé kennengelernthatte.LianwarnichtdermitderBrilleodermitderKappe, auch nicht der Älteste, sondern der Große mitdemweißenBart.Siekannteihnschonlänger,aber nach ihrem letzten Fall auf Spiekeroog hatte er sieeingeladen,beiihmimFerienhauszubleiben,damitsiesichgründlichvondenStrapazenerholenkonnte.EswareingemütlichesHaus,indemmaximalzweiPersonenPlatzhatten.DahatteMianichtneinsagenkönnen und es auch nicht bereut. Es war ihr ersterdreiwöchiger Urlaub ohne Zwischenfälle gewesen.GemeinsammitihmhattesiedieAnnehmlichkeitenderInselsorichtiggenossen.LianwareinsehrguterInselführer und hatte sich viel Zeit für sie genommen.SiewusstenunsoeinigesüberdieHistoriederInsel,aber natürlich längst nicht alles. Es gab weitaus mehrzu erkunden. Als Utwärtige war sie sogar mit einigenInselbewohnern ins Gespräch gekommen und dasnicht nur oberflächlich. Sie waren allesamt liebenswerte und unaufgeregte Menschen, deren Einnahmequellen aus der Vermietung ihrer Ferienhäuser oder -zimmer bestand oder die sonst wie mit den Touristenzutunhatten,seiesalsEinzelhandelsbetreiberoderimServicebereich.Vonihnenerfuhrsie,dasssieeinerseits froh über das hohe Tourismusaufkommenwaren,andererseitsesalsWohltatempfanden,wenn mal nicht so viele Gäste mehrmals täglich die ankommendenFährenverließen.IndenSommerferientummelten sich hier zirka dreitausend Besucher aufder Insel, hinzu kamen oft an die tausend Tagesgäste.DakonnteesabendsindenRestaurantssorichtigvollwerden.OhneReservierungginggarnichtsmehr.

MiahatteLianimLaufederZeitimmermehrschätzengelernt.SeintrockenerHumor,seineAchtsamkeit und Ausgeglichenheit beeindruckten sie sehr. Er gab ihr Ruhe und Kraft zugleich. Bisher hatte sie keine störenden Macken an ihm gefunden. Sie hofftesehr, dass er welche besaß. Ein perfekter Mann warnicht ihr Ding, der war ihr nicht spannend genug. Siebrauchte Reibungspunkte – in jeglicher Beziehung.VielleichtwardasKochensoeiner.

Mia konnte nur erhitzen, Lian hingegen kochte hervorragende Gerichte. Er wog die einzelnen ZutatengenauestensabundhieltsichstriktandasRezept.Ermeinte,jedeFraumüssekochenkönnen,undwürdeesihrbeibringen.Obsiedaswirklichwollte?Wer viel kann, muss auch viel machen,warihreDevise.

Bei einem dieser romantischen Dinner waren siesichnähergekommenundhattensichauchliebengelernt.DerAbschiedsabendnachdemUrlaubwarbesonders schön gewesen. Hinreichend gesättigt undentspannt saßen sie nebeneinander auf der Leder-Eckcouch, die Beine auf einen gemeinsamen Hockergestreckt.

ImHintergrundliefleiseMusikvonSade.Mialiebtediese Smooth-Jazz und Soulsängerin mit ihrer samtigen Stimme und die selbstgeschriebenen Songs überdie Liebe. Bar-Musik. Besonders der Smooth-Operator hatte es ihr angetan. Ob der Text, den sie sinngemäßübersetzthatte,auchaufLianzutraf?Er hat Augen wie ein Engel, aber sein Herz ist eiskalt …

SiedrehtesichzuLianundsahihmsehrtiefindiemeerblauenAugen,dieeineWogederWärmeinihrauslösten.AuchLians Wangenglühten,seineLippen waren heiß, als er sie küsste – zärtlich küsste – himmlischküsste.

Eine gefühlte Ewigkeit später flüsterte er ihr insOhr:»Lassesunsversuchen,Mia.Ziehbeimirein.Bleibbeimir.«

»Wiestellstdudirdasvor?«,fragtesie,weilsieesselbstnichtwusste.

»Schön! Es wird sehr schön werden«, sagte er laut.EsklangwieeinePflicht,nichtwieeinVersprechen.

»Aberichmussdichvorwarnen«,ergänzteer,»ichbinnichtderRomantiker,fürdendumichvielleichthältst.DieMusikhatdieOberschlaueausdemInternetausgewähltunddieRezeptefürdasMenüfandichineinemKoch-ForumalsVorschlagdesTages.Wer nicht wagt,dernichtgewinnt.«

Erküsste sie noch einmal,diesmal auf dieWange.

»Versuch macht kluch«, sagte Mia und war tatsächlichetwasenttäuscht,ihnfalscheingeschätztzuhaben.»Okay.«Siesetztesichauf.»Bevorichmichhierhäuslich niederlasse, muss ich mir sicher sein, aufSpiekeroog bleiben zu können. Gib mir zwei MonateZeitbiszurendgültigenEntscheidung–unddannistda ja noch mein Haus am Niederrhein, das ich verkaufenmüssteund…und…und.«Sieseufzte.

ErnickteundkammitseinemGesichtnäher.MiawichdemKussaus.

Siekonntedasnicht,denkenundküssenzugleich.SiewarkeinBackfischmehr,dersichHalsüber

Kopfverliebte,denMannvergötterteundihmblindlingsüberallhinfolgte.DochindiesemMoment wünschte sie es sich, einfach mal den Verstand abzustellen.

Lianhalfihrdabei.

***

Nun saß sie hier frühmorgens in Krefeld neben ihremXXL-Koffer und wartete auf das private Taxi nachNeuharlingersiel.ZweiMonatewolltenLianundsiesichgeben,umihrZusammenlebenauszutesten.Auch was das Liebesleben anging, mussten sie sichweiter aneinander gewöhnen. Sie dachte daran, wiegrob und unbeholfen er bei ihrem ersten Mal gewesenwar.SelbstimDunkelnhattesichdieLagenichtentspannt. Mia war es befremdlich vorgekommen,dass er sich nicht dabei auszog oder sie es machendurfte.SovielZeitmusstesein.SiewollteseinenackteHaut mit allen Sinnen spüren und nicht seine JeansunddenShirt-Stoff.ZurNotwürdesiemitihmdarüberreden.

ObmaneineBeziehung überhauptaufdieProbe stellenkonnte?WievielePaarelebtenjahrelangzusammen und die Frau wusste nicht, wie ihr Lebensgefährte wirklich tickte. Bis eines Tages eine andere vorder Tür stand oder ihr einen Brief schrieb. Mia konnteeinLieddavonsingenundeshießBodo,ihrersterMann. Wenn sie recht überlegte, begann ihr Pech mitdenMännernschonvielfrüher.Erstgrubensiesichin ihr Herz und in ihre Seele und dann hinterließensiedorteinenOrtderVerwüstung.JedesMal,wenn MiasEifersuchtalsvölliggrundlosbeschimpftworden war und sie dem Typen geglaubt hatte, dass ertreu war, bekam sie kurz darauf den Schlag mit derKeule.Solange,bissieendlichwachwurde.

Nein, sie wollte nicht jammern und war nicht immernurdasOpfer.IrgendwanneinmalhattesiedenSpieß umgedreht und sich auf einen One-Night-Standeingelassen. Es sollte ein unverfängliches Sexvergnügen sein, das angeblich jede Frau mal erlebt habenmusste. Weit gefehlt! Sie hatte ihre Nur-für-eine Nacht-Eroberung wohl zu gut ausgesucht. Sie mussteihnwiedersehen.Ersieabernicht.DahalfauchkeinStalken. Nach drei Tagen sah sie ein, dass es tatsächlich Männer gab, die den One-Night-Stand sehr wörtlichnahmen.Seitdemwarsiekuriert,nahmsichvor,mit den Männern wirklich vorsichtiger zu sein. Derzweite Teil der Herausforderung mit Lian war, ihreHeimat verlassen zu müssen. Aber was und wo warihre Heimat wirklich? War sie an dem Ort, wo sie geboren wurde? Oder da, wo sie sich langfristig niederließ,wosiesichwohlfühlteunddenPartneroderdieFreunde an ihrer Seite hatte? Egal bei wem sie dasThemaangeschnittenhatte,jedersahesanders.Miawollte sich da nicht festlegen, sonst bekam sie jetztschon Heimweh, bevor sie sich auf Spiekeroog niedergelassenhatte.

EsklingelteanderHaustür.

»HalloMario,dankedassdumichfährst«,sagteMiaundumarmteihrenExkurz,gabihmeinenKussaufdieWange.

»Sehrgerne«,sagteerundsahanihrvorbei.»Dermuss mit?«, er zeigte auf den Koffer und ratschte denGriffhoch,rolltedamitlos.NochsoeineEigenart,dieMia aber auch beherrschte. Manchmal stellte sie eineFrage und wartete die Antwort nicht ab, sondernmachte es einfach. Mario trollte sich mit dem Trolleyund hievte ihn in den Kofferraum seines Wagens.BeimerstenVersuchbrachersichfastdasKreuz.

Mia schloss die Haustür ab, schaute sich ein letztesMalum, bevor sieauf dem Beifahrersitz Platznahm.

MariogabGas.

Noch immer war sie verwundert, dass er ihr überhaupt das Angebot gemacht hatte, sie zur Fähre zufahren. Lag es daran, dass er selbst wieder einmalnachNeuharlingersielwollte?Schoneinmalhatteersiedorthingebracht.DawarensiebeidenocheinLiebespaar gewesen und hatten sogar vorgehabt, zusammenzuziehen.AberdannkamdieAuszeit,vonihmodervonihr,dastrittensichdieGemüter.Zwarwarensie über WhatsApp in Verbindung geblieben, aber dasgefielihrnichtso.JedesMal,wennersichmiteinerneuen Perle getroffen hatte, wie er jede seiner Freundinnennannte,damitermitdenNamennichtdurcheinanderkam, schrieb er es ihr. Beim letzten Mal hatte Mia ihm alles Gute für sein weiteres Leben gewünschtundihrVorhabenmitgeteilt.SiewollteeinenSchlussstrich mit Mario ziehen. Überraschenderweise machte er daraufhin das spontane Angebot, sienachNeuharlingersielzurFährezufahren.Sienahman,umesihmdannpersönlichzusagen.

»Mia?Bistdunochda?«,fragteMarioundrisssieaus den Gedanken. »Hast du es dir wirklich gut überlegt? Deinem Foto nach zu urteilen, ist er ein alterMann mit weißem Bart, der nichts auf den Rippenhat.DeristbestimmtVeganer.WaswillstdualsGanzjahresgrillerin mit so einem? Du kennst den Typennichtwirklich,oder?«

»Du kennst ihn nicht, urteilst aber über ihn. Er istsogar ein paar Jahre jünger als ich«, sagte Mia. »Duwirst mich nicht davon abhalten, mein Leben mit ihmauf Spiekeroog zu verbringen – es zumindest zu versuchen.«

Nochimmersahersiefragendan,alsseidasdiefalscheAntwortgewesen.

Bei der Ankunft am Fährhafen stellte er seinen Wagen auf den Parkplatz für Tagestouristen ab. Er begleiteteMiazumFährhuus,wosieihrTicketbekamund den großen Koffer in den Container hievte. Bisdie Fähre kam, blieb noch etwas Zeit. Mario schlugvor, eine Kleinigkeit zu essen. Sie lehnte dankend ab.IhreKehlewarwiezugeschnürt.

Unwillkürlich musste sie an die letzte Verabschiedung von Mario am Fährhafen denken. Sie war geprägt von inniger Liebe und der Sehnsucht, den jeweils anderen am liebsten gar nicht erst fahren zu lassen. Auch Mario schien gerade jetzt daran zu denken.Erseufzte.»Weißtdunoch?«

Mia nickte nur. »Komm, ich gebe ein Eis aus unddann schauen wir uns die Fischerboote an«, lenkte sieab.»Hier, halt mal.« Sie reichte ihm ihre Handtasche.

Ertatso,alswürdeihndasGewichtumhauen.

»Ich hole uns zwei Eishörnchen«, sagte Mia. »DreiMalStracciatella,richtig?»

Während des Eisschleckens spazierten sie an denBooten vorbei. Manche Touristen drehten sich nachihnen um und grinsten. Mario räusperte sich mehrmals.»Eswäregut,wenndumirdieschwereLastabnehmen könntest«, sagte er und reichte ihr die pinkfarbene TascheinGroßformat.Dennochschienernichterleichtert.IrgendetwasbrannteihmaufderSeele.DenletztenRestderEiswaffelwarferderBandeSpatzenzu,diesichdarumkloppten.

»Esistsoweit«,sagteMiaundzeigteaufdieMenschenschlange vor der Fähre. Die Passagiere wartetendarauf, ihre Tickets gescannt zu bekommen, damit sieaufdasSchiffdurften.

»Ja«,brummteMario,begleitetvondemSonargeräusch eines Uboots. Er zückte sein Handy, wo derAlarmherkam.

Mia erhaschte reflexartig einen Blick auf das Display.Eswarnichtschwieriggewesen,dieWörter,aufdem Kopf stehend, lesen zu können. ES IST AUS!standda.SiezucktekurzmitdenSchultern.

Mario hatte es gesehen und gab ein kurzes »Tja«von sich.

»Also dann«, sagte er. »Ich wünsche dir, dass dubaldzurBesinnungkommst–undwieder zurückandenNiederrhein.«

»Ich mir nicht«, sagte Mia. »Das Leben ist so kurz.Sollten wir da nicht alle mehr wagen? Etwas machen,waswirunssonstniegetrauthätten?«

»DumeinstinsVerderbenrennen?«,fragteer.

MiaschütteltedenKopf.»Ichwusstegarnicht,dassdusoeinZynikerseinkannst.«

Mario nahm sie in den Arm und drückte ihr einenKuss auf die Lippen, ehe Mia den Kopf zur Seite drehenkonnte.

»Nimmliebermich«,sagteer.»Ichmachealles,wasduwillst.«

»Auchdasnoch!

---ENDE DER LESEPROBE---