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Markus Franz ist seit Kindestagen Anhänger der Dänischen Fußballnationalelf. Er liest gerne Bücher über den dänischen Fußball und arbeitete von 2000-2009 im Bereich des Scoutings auf dänischem Terrain. Höchste Zeit für ihn also, seine kleinen, erlebten Geschichten mit der großen dänischen Fußballgeschichte zu verweben.
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Seitenzahl: 357
Veröffentlichungsjahr: 2019
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Dieses Buch widme ich meiner Freundin und Lektorin Michaela, für ihre schier unendliche Geduld mit mir. Sowie meinem brüderlichen Freund Nicolai, der mich zum dänischen Fußball lotste, und ohne den ich nie vom wahren (Fußball-)Leben im kleinen Königreich nördlich von Flensburg schreiben hätte können.
Vorwort
PERSÖNLICHES. WIE ICH AUF DÄNEMARK STIESS
EPILOG: Endlich in dänischen Stadien
Das kleine, feine Land
Das schmeichelhafte neue Elfmeterdrama (2018)
Frankreich, immer wieder Frankreich …
Fußballtouristen werden Europameister
DIE ANFÄNGE DER DÄNISCHEN FUSSBALLGESCHICHTE
KB - Der erste Fußballverein auf dem europäischen Festland, und wie sonst alles begann
Die Nationaltrainer, Übungsleiter in Hülle und Fülle, aber nur 9 „Richtige“?
Der Idraetspark der zum Parken wurde. Das schöne Nationalstadion.
Fußball in Dänemark: über Akademiker und Arbeiter
Das Abenteuer Profifußball, auch in Dänemark eine schwere Geburt
Fruhjahr 1978: Es geht los!
Fast zuerst kam der Ball …
EXKURS: Arne Sörensen. Klempner, Nationalspieler, Nationaltrainer. Der unbekannte Held
DIE TRANSFERBEWEGUNG. VON DÄNEMARK HINAUS IN DIE WELT
Die Dänen erobern die große weite Fußballwelt
Die Dänen in der Bundesliga: Mentalitätsprobleme manchmal inklusive
EINWURF SCOUTING: Damals und heute, Preben Elkjaer (1976) und Thomas Delaney (2016)
Peter Madsen: Eine große Karriere wurde es leider nicht
Morten Skoubo: Die Geschichte eines Transfers.
DAS WAHRE FUSBALLMÄRCHEN. BRÖNDBY IF UND ANDERE SPITZENCLUBS UNTER DER LUPE
Die schier unglaubliche Geschichte von Bröndby IF
Bröndby Romantik
Jeder Transfer ist schwer
Vereinsporträt Lyngby BK: Die blau-weißen Wikinger aus dem Norden Kopenhagens
Vereinsporträt F.C. Kopenhagen: „Byens Hold“ - Die Löwen aus dem Stadteil Österbro
Weshalb gab es diese Fusion eigentlich wirklich?
B 1903: Die Arbeiter wollen mitspielen im Konzert der Großen.
Fussballshow, buntes Fest und Randale: Die hitzigen Derbys Bröndby vs FCK
Über Grün (AB), zu Blau (Lyngby), zu Gelb (Bröndby)
Vereinsporträt FC Midtjylland
EXKURS: Familie Laudrup
DIE DÄNISCHE NATIONALMANNCHAFT DAMALS UND HEUTE
Det Danske Landsholdet. Der Stolz eines ganzen Landes (Legionäre auf Heimattreffen)
Buchwald war schon dabei
Im Krieg: Begegnungen mit den Deutschen
Die 1960er und 1970er Jahre
Debakel in Düsseldorf
Da muss man Spaß verstehen, und: Auf Besuch im Haus des Sports …
Sepp Piontek. Ein Deutscher bringt den Dänen ihren Durchbruch
Frankreich 1984
Verfassungstag in Dänemark 5.6.1985: Die Rückkehr des friedlichen Fußballs
Mexico, mi amor…
Endlich gegen Deutschland!
Die Suche nach der wahren Geburtsstunde des Nationalteams
Die Olsenbande gab es sogar doppelt
Die EM 1988 in Deutschland: „Götterdämmerung“ für die alten Helden
100 Jahre Dansk Boldspil Union
Horst Wohlers kommt (nicht) - Die DBU in der Zwickmühle (1990)
Endlich (Mini-)Weltmeister (1995)
England 1996: Ein kleines bisschen Alkohol
Bosse’s Philosophie
WM 1998: Frankreich, Teil 2. Der wohl größte Triumph?
Die Amtszeit von Morten Olsen (2000 bis 2016)
5. September 2018: Die Rückkehr der Amateure
LEXIKON: ALLE DÄNEN IN DER FUSSBALL BUNDESLIGA
STATISTIK
Die dänischen Meister von 1913 bis 2018!
Dänische Pokalsieger
Rangliste der Sieger und Finalisten
Die wichtigsten Spielertransfers des dänischen Fußballs von 1913 bis 2018!
Verwendete und weiterführende Literatur
Zum Autor
Es war ein kurzer netter Besuch im Büro von Kim Milton-Nielsen, dem bekannten Schiedsrichter, der David Beckham bei der WM 1998 des Feldes verwies. Mein Freund Nico hatte ihn als Kollegen und stellte mich ihm vor. „Kigger du paa fodbold en smule?“ fragte mich der großgewachsene FIFA-Schiedsrichter. Ich schaute einen kurzen Moment verstört, „En smule?“, ach ja, er meint so etwas wie „schauest du dich ein bisschen hier beim Fußball um“. Dieses „ein bisschen“ würde schließlich auch ein Schlüsselwort bei der Niederschrift dieser, meiner „kleinen Geschichte des dänischen Fußballs“ sein. Sobald das Wort „Geschichte“ im Titel auftaucht ist man selbstredend als Autor dazu angehalten, sehr zielgerichtet und die Quellen mindestens doppelt abcheckend zu recherchieren. Andererseits wollte ich nicht den persönlichen Bezug, meine streckenweise Involviertheit in einige Geschichten einfach herschenken. Ein rein historisches Buch zu verfassen, wäre angesichts des Themas auch etwas weit hergeholt, und nicht zuletzt schwer lesbar für deutsche Fußballanhänger, weil einfach viel zu oft ein echter Bezugspunkt fehlt. Ganz konkret gingen mir derartige Gedanken durch den Kopf, als ich ein mir selbst auferlegtes (kleineres) Kapitel schließlich verwarf. Es ging darin um nicht weniger als den „schwärzesten Tag“ in der dänischen Sportgeschichte. Darf ich das weglassen, unerwähnt lassen, und ist dies gar pietätlos?
Am 16.7.1960 stürzte 50 Meter vom Land in Kopenhagen-Kastrup eine kleine Maschine mit Insassen der dänischen B-Nationalmannschaft ab, und es verloren leider acht Fußballer bei diesem Absturz ihr Leben. Das ist traurig, aber ein reines Herunterbeten der Namen, die hierzulande niemand kennt, wäre mir schwergefallen. Waren diese Spieler meinen Lesern wirklich nahe zu bringen? Dies ist nur ein Beispiel des Spagats, der immer zu leisten ist, wenn es gilt, Seriösität, Fakten und Unterhaltung fein abgestimmt zu vereinen. In der Hoffnung, dass mir das nun mehr als nur „en smule“ gelungen ist, schicke ich Sie nun in meine kleine Geschichte des dänischen Fußballs.
God fornöjelse! (Viel Vergnügen!)
Ich weiß es noch wie heute. Es war im Herbst 1995, bei meinem dritten Besuch in Dänemark. Mein Freund aus Kopenhagen fuhr mit mir hinaus zu „seinen“ dänischen Vereinen, und zeigte mir Land und Leute. Verriet mir sehr viel aus der dänischen Seele, denn wer ab dem 8. Lebensjahr im Lande weilt, dort studiert hat, und von Bus- bis Taxifahrer allerhand Jobs erledigte, kann da eben gut mitreden, abgesehen davon, dass sein Dänisch derart korrekt rüberkommt, dass ich das bei seinem deutschen Pass, den er damals noch innehatte, kaum glauben mochte. „Dänemark ist das antikorrupteste Land der Welt. Hier jemanden Scheine zustecken, damit etwas läuft, das kann man getrost vergessen.“ Während die Herbstsonne in seinen blauen deutschen Wagen scheint, und leise das dänische Radio läuft, denke ich so bei mir, obwohl das Wort „Stolz“ ja einen immer so kruden Anstrich bekommt: „Darauf kann ein Land und alle seine Bewohner doch wirklich stolz sein.“ Nicht korrupt, nicht käuflich, mir fallen so viele Regionen dieser Welt ein, gar nicht einmal allzu weit entfernt im Übrigen - ja, auch in Deutschland! - wo dies eben nicht so ist. Macht es das aus, was ich an diesen Dänen so mag? Der weltberühmte dänische Philosoph Sören Kierkegaard weilte bei seinen 5 Auslandsreisen viermal in meiner Heimatstadt Berlin, auch um Damen kennenzulernen. Bei mir sieht die Bilanz mit den Reisen nach Kopenhagen ähnlich aus, meine Auslandsreisen beschränkten sich (in umgekehrter Richtung also) zu über 80 % auf „Danmark“. Dort sah ich unzählige hübsche Frauen, wirklich entdecken sollte ich aber begabte Fußballspieler. Doch so weit sind wir noch nicht. Wir fuhren zu viert raus nach Ölstykke (Bierstücke), wo der favorisierte Zweitligist von meinem Freund anzutreten hat. AB, 1889 gegründeter Akademisk Boldklub. Ein größeres Dorf ist es, wo wir landen und holpern über den sandigwelligen Parkplatz. Das könnte hier Meppen oder so sein. Fans in Gelb (Ölstykke) und in Grün (AB) bevölkern den Rand des Platzes. Was mir sogleich auffällt, es ist eine herrliche Atmosphäre, ganz so, wie bei unseren Berliner Amateurbegegnungen, wenngleich das spielerische Niveau hier ein wenig höher angesiedelt war. Es duftet auch in der Superliga - (der dänischen 1. Liga) - ständig nach frischem Pils und Bratwürsten. Der deutsche Coach und Manager Armin Veh hatte gerade das an seinen Fußball-Scouting Reisen so sehr gemocht, dieses Ursprüngliche des Sports, das hier auf Profiebene fühlbar wurde… Im Sturm der Akademiker wirbelte der flachsblonde Hüne Peter Lassen, der es im folgenden Jahr zu einem Profivertrag in Belgien bringen würde, Kenneth Perez war gerade zum FCK gewechselt, ging dann nach Maastricht (1997) und sollte viel später im Nationaldress auflaufen.
Der Trainer von AB war als Profi im Ausland, rauchte immer und trank gern Bier aus der Flasche, es war also wirklich gemütlich im Land der kleinen Meerjungfrau, es färbte alles positiv auf mich ab. Er nannte sich selbst „Dänemarks bester Trainer“, kam machomäßig rüber (trug gerne weiße Socken in Lederslippern) und war von daher auf eine Art interessant. Er stieg später mit AB auf, und zeigte im 3-5-2 System flügelbetonten Offensivfußball, der das grün-weiße Publikum wahrlich entzückte. Ende 1998 erhielt er dann vom großen FC Kopenhagen eine Offerte, die er selbstverständlich gerne annahm. Unter anderem mit dem aus England zurückgeholten Brian Laudrup (!) sollte er den Verein weiterbringen. Doch es blieb beim Versuch, nach 75 Tagen (einem einzigen Pflichtspiel) war es bereits wieder vorbei mit ihm am Peter Bangs Vej, wo der FCK in Kopenhagen Österbro trainierte. Die Co-Trainer schlugen Alarm über Training und Ansprache, seine „Trainingsübungen seien aus der alten Ruder Königzeit“, lästerte FCK Chef Flemming Östergaard, der den in Tagen auftretenden, schnellen Autoritätsverlust auch daran bemerkte, wie CA im Umgang mit dem Personal vorging: „Christian Andersen ist ein sehr weicher Mann und er wusste einfach nicht umzugehen, mit dem Mitarbeiterstab rund ums Team“, außerdem „rief, schrie und dirigierte er die Spieler, wenn wir aus dem Vorstand beim Training vorbei schauten, auch wenn Journalisten kamen tat er das, aber in der Kabine entschuldigte er sich sogleich bei den Spielern wieder. Das führte dazu, dass er keinen Respekt mehr in der Truppe besaß.“
Das Spiel in Ölstykke endete 0:0 und mein Freund fragte mich süffisant, ob ich nun „bereit sei für mein erstes Superliga-Spiel?“ Also ging es über die wie leergefegte, mehrspurige Autobahn in Richtung Nordkopenhagen, wo am späteren Nachmittag in Lyngby, der dortige FC auf den FC Kopenhagen treffen sollte.
„Der Rasen ist grün, der Strich ist weiß,/ nun haben wir zu lange am Boden gelegen, aber nun ist es Zeit./ Wir taten, was wir konnten, aber wir waren zu wenige/ um den uralten Zug der stehen geblieben war in Bewegung zu setzen./ Aber willkommen Groß und Klein/ Wir haben genug gehört von den guten alten Zeiten,/ jetzt ist es Zeit, wir holen uns die Titel zurück./ Aber, willkommen dazu, sowohl Große als auch Kleine,/lasst die Augen glänzen,/ lasst den Himmel blau sein,/ Willkommen Gäste, armer fremder Freund./ Wenn du dich umdrehst, weißt du was dir blüht./ Hinter dir im Winde flatternde Gardinen/ Willkommen dazu, es ist AB-Zeit. /
Refrain: Wenn du zuerst A sagst, musst du auch B sagen/ Was heißt das? Was sagen sie… AB!/ Wer gewinnt heute… AB!/ Wir wissen es gut, einmal war es so/ Dass sie flossen, die Pokale und Medaillen und die Siege so süß…/ Vergangene Zeiten,/ haben uns gelehrt zu kämpfen/ Hinter dir im Winde flatternde Gardinen./ Wenn du gründlich geprüft werden willst/ Dann komm einfach zu uns.“
Der Verein heißt eigentlich richtig AB Gladsaxe. Das kam so: 1967, beim letzten dänischen Titelgewinn, als der Verein noch im Faeelledparken trainierte sagte der Bürgermeister der Gladaxe Kommune Erhard Jacobsen (1917-2002), dass es an der Zeit sei, diesem Club eine echte eigene Heimat und Identität zu geben. So zogen sie von Österbro hoch nach Gladsaxe.Die Trainingsplätze befinden sich noch heute nicht direkt beim Stadion, dem Gladsaxe Idraetspark. Jacobsen war von 1958 bis 1974 Bürgermeister und er setzte, wie es in einem Internet Beitrag heißt, „Gladaxe auf die dänische Landkarte“.
Mit den Titelgewinnen war es zwar anschließend nicht allzu üppig, aber 1999 wurde AB Dänischer Pokalsieger, und in jenem Jahr wurde auch die neue Tribüne, inkl. der VIP Räume für 30 Millionen DKK eingeweiht. (Ich wohnte der Veranstaltung in Form eines Prominentenspieles unter strahlendem Himmel bei, und sah einen 50-jährigen Morten Olsen den guten alten Libero geben und staunte Bauklötze, was er noch alles draufhatte und wie er alle dirigierte). Leider war durch diverse Spielerverkäufe ein Erfolg nicht auf Dauer beschieden (u.a. gingen Allan Michaelsen, dessen Vater bereits in Deutschland Profi war) und Rene Henriksen ins Ausland, der Verein spielt in der Regel gegen den Abstieg aus der 2. Liga. Die familiäre Atmosphäre bleibt indes gewahrt, AB muss man einfach mögen. Interessanterweise stieß ich erst dort geistig auf eine Art Gabe. Wir saßen im AB Stadion einmal auf der Tribüne, als mir der linke Verteidiger von AB auffiel. Etwas war mit ihm, aber ich wusste noch nicht recht, was. Er spielte viele lange Bälle, kickte nonchalant, manchmal fast überheblich, aber fern von dieser schädlichen Unruhe, die oft das Spiel aufbauende Defensivspieler erfasst. Gut so, großer Mann. Wie heißt der? Michael Madsen, o.k.
In der kommenden Saison waren wir wieder vor Ort in Gladsaxe, denn die Kanzlei meines Freundes hatte ein Sponsorat im Verein. Im Mittelfeld agierte ein imponierender Spieler. 1,85 m groß, kampfstark, läuferisch enorm agil, dazu mit einem Schuss wie ein Pferd gesegnet. Er hieß Peter Knudsen. „Den müssten wir nach Deutschland bringen“, sagte ich zu Nico schwärmerisch, „da würde er gut hinpassen!“ Aber wie nur? Ich besorgte mir vom DFB die Regularien für Spielervermittler und Transfers. Es würde zu weit führen, die ganzen Stufen der Entwicklung hier zu erörtern, nur so viel: ein Rechtsanwalt benötigt keine FIFA-Lizenz zum Vermitteln. Das war so gesehen gut für uns. Wir könnten dann so etwas wie „Ein Fall für Zwei“, getreu der Krimiserie des ZDF kreieren, er der Anwalt, ich der „Detektiv“, also derjenige, der sich über die Gegebenheiten von Vereinen und Spielern schlau macht. Nicht so mutig, wie Matula in der Krimiserie, aber fleißig, das wohl schon. Wenn man etwas will…Die Idee war geboren im Frühjahr 1997. Peter Knudsen ging 1998 übrigens in die Serie A. Zusammen mit jenem Michael Madsen, dessen eigenwilliges Spiel mitsamt seiner Körpersprache mir so ins Auge stach. Madsen landete dann sogar beim VfL Wolfsburg in der Bundesliga, und ist heute Chefcoach bei AB. Im neudeutschen Journalistensprech würde man also getrost „vom Kreis, der sich schließt“ sprechen. Ja, das kann man an dieser Stelle zu Recht behaupten, und mir öffnete sich plötzlich eine neue Welt.
Zurück zum Nachmittag im Herbst 1995. Wir kamen etwa zu Beginn der 2. Halbzeit auf die Traversen des vollgepackten Lyngby Stadions. Trommeln dröhnten ohrenbetäubend, blonde, pausbäckige Mädchen strahlten wie der Himmel und der Rauch des Bratwurstgrills erinnerte mich des Weiteren schon wieder an heimisches Oberliga Berlin Terrain. Beide Fan Lager sorgten mit ihren Sprechchören für famose Stimmung, festlich, nicht aggressiv. Wenngleich die in Weiß gekleideten FCK Fans die ganze Haupttribüne einnahmen, und deutlich in der stimmlichen Übermacht waren. Lene, die dänische Frau meines guten Freundes, hatte mir den Unterschied zwischen Berliner Amateur Fußball Besuchern und dänischen Fans jüngst zu meiner Hochzeit so herrlich geschildert, dass ich mit dem Lachen kaum stoppen konnte, womit sie aber natürlich völlig recht hatte „Bei uns strahlen die Leute vor einem Fußballspiel, sie gehen voller Freude ins Stadion, in Berlin zogen alle nur kräftig die Mundwinkel nach unten.“
Ich besah mir die Teams, Moment, der Große im Mittelfeld bei Lyngby, den kannte ich doch. Aber klar, das war Henrik „den Store“ Larsen, der EM 1992 Torschütze und Europameister. Ein erhebender Anblick, wie er da agierte, nun endlich „in echt“. Das war also keine Sciencefiction- EM da vor drei Jahren in Schweden, Henrik Larsen gab es wirklich in Fleisch und Blut - und der spielte auch vollkommen so, wie ich ihn am TV-Gerät vernahm. Und da er so gut spielte, ging sein Wunsch in Erfüllung, und er wechselte ein halbes Jahr später zum FC Kopenhagen. „Judas Klub!! Scheiß Verein!“ hatten daraufhin allzu hitzige Lyngby Fans per Graffiti an die Wände der Lyngby-Geschäftsstelle geschmiert. Da, wo ich im ersten Stock gut fünf Jahre später ein Vorstellungsgespräch haben sollte, doch so weit sind wir noch nicht. Für dahin hatte ich im September 1995 die Superliga Dänemark geatmet, und dänische Sport- und Tageszeitungen, Videocassetten und Fußball Sonderhefte sollten von da an regelmäßig postalisch in meiner Berliner Behausung ankommen. Und das Urlaubsfeeling war somit in Windeseile wieder hergestellt…
Dänemark ist klein, aber fein, klein, aber nicht beengt. Die Weite liegt in den Köpfen und Herzen seiner Bewohnerinnen und Bewohner, und eine Tour durch Jütland macht dies auch in optischer Hinsicht deutlich. Weite und Meer. Beidseitig. Das mit dem kleinen Land war auch dereinst gehörig anders. Dänemark, das ist auch die Historie eines Landes, das zu recht unter Verlustängsten leiden müsste. Tut es aber nicht. Trotzdem, wenn man bedenkt, was alles zum Dänischen Königreich (der ältesten Monarchie der Welt, mit der ältesten Nationalflagge, die da einst 1219 bei einem Gefecht im estländischen Tallin angeblich im Kampfe vom Himmel herabfiel) gehörte. Weite Teile Englands, Schweden, Norwegen, Island, Schleswig (Altona, Hamburg-Altona war einmal die zweitgrößte dänische Stadt!). Da nehmen sich heutige Besitzungen wie Grönland und die Faröer Inseln als dänische Besitzungen wieder eher nur großflächig, aber eben nicht mehr großspurig aus. (Beide haben eigene Verwaltungen.) Schmerzvolle Niederlagen (als ob man kriegerische Auseinandersetzungen wirklich gewinnen könnte) zeichneten von fast je her das Selbstbild der Dänen, die daraufhin süffisant mit ihren Wikinger-Ikonen für sich selbst punkten mögen. Der dänische Pastor Sören Krarup hat als Publizist eine ganze Reihe geschichtlicher Abhandlungen editiert, aber auch Martin Luthers „Über die Juden und ihre Lügen“. Er hat den Islam angegriffen, Homosexuelle verunglimpft und Einwanderer fast generell als „Bedrohung für das Vaterland“ eingestuft, wie dies der Autor Thomas Borchart glaubwürdig nachzeichnete. Also eigentlich wirklich kein Mann, der hier länger mit seiner Ideologie unsere Aufmerksamkeit für dieses Büchlein verdienen würde, doch, was er Ende der 1980er Jahre gesagt hatte (als an einen wirklichen Rechtspopulismus in Dänemark nicht zu denken war) halte ich dennoch für zitierungswürdig. Es ging um das Absingen der dänischen Hymne bei den Länderspielen, und deren Bedeutung. „Unter normalen Umständen würden viele den nationalen Ausdruck für eine festliche Kuriosität halten“ (…) Aber sieht man es im Zusammenhang mit dem was gerade in der westlichen Welt geschieht so erfüllt das Idraetspark Stadion mit „Det er et yndligt land“ eine Mission in Richtung einer Bestätigung, was man selbst ist.“ (Man erlebt) „…eine Auflösung der Identität, die dazu führt, dass man froh für sich sein kann, stolz auf sich wird fast etwas Kriminelles (…) Dänemarks Geschichte ist eine Geschichte der Niederlagen. Das bedeutet, dass die dänische Haltung seit der vernichtenden Niederlage in 1864 Selbstverachtung ist, Furcht herauszukommen aus Konfrontationen, wo man verlieren kann. Selbstverachtung hat Dänemark geprägt die letzten 100 Jahre, mit Ausnahme der Besatzungszeit im 2. Weltkrieg. Ich wuchs in einer Zeit auf, wo dänisch sein nichts war, wofür man sich schämen sollte. Es war im Gegenteil, etwas, auf das man stolz sein konnte (…) Fußball ist eher der einzige Ort, wo man mit gutem Gewissen und aus vollem Herzen „Det er et yindigt land“ singen darf. Würde sich dies in einem anderen Zusammenhang abspielen, wären da schnell alle diese Menschen mit dem erhobenen, moralischen Zeigefinger und deren bekannten Schimpfwörtern Nationalist, Rassist, Chauvinist, womit sie zu kompromittieren versuchen, dass wir selbstverständlich dänisch hier im Lande sind.“ Ist dies etwa schon verboten, oder wird es falsch verstanden? In den letzten Jahren hatte es zweifelsfrei Entwicklungen gegeben, wo das Wort „Rechtsruck“ auch mandatsmäßig, parlamentarisch deutlich erkennbar war. Autoren, Parteien und die dänische Presse haben sich so manchen Lapsus des „Dänisch-Seins“, erlaubt, aber es steht mir als Deutscher nicht zu, dies zu bewerten. Dazu fehlt mir einerseits der komplette Überblick, und nicht zuletzt der dänische Pass. Deshalb nur so viel noch dazu: mir erscheinen die Dänen als schlicht zufriedenes Volk, das eine gewisse Meckerei und Stichelei, gepaart mit fundiertem Humor als schrullige Eigenheiten ihr Eigen nennt. Gewalttätigkeiten gegen Minderheiten, regelrechtes Pendeln in rechts- und linksextreme Milieus, sowie Hetzjagden in größerem Ausmaß gab es in Dänemark nicht. Und dies ist nach meinem „touristischen“ Dafürhalten einfach kein Zufall, sondern wohl auch dem Fakt zum Glück geschuldet, dass die Gleichheit der dänischen Landsleute, ihre seelische und finanzielle Ausbalanciertheit diese schöne Basis für ein Miteinander bilden.
Doch komme ich kurz zu jenem, was ich selbst am eigenen Leib erlebte, und was ich mit klein aber fein meine. Das hat schon etwas mit dem geographischen Moment zu schaffen. Man läuft einfach öfters Prominenten über den Weg, und man hat auch als vermeintlich Fremder nicht das Gefühl ein störendes Element für deren Alltag zu sein. Es hat mich schon anfangs irritiert, dass die Bäckereiverkäuferin immer sagte „Ellers andet?“ („Noch etwas Anderes?“) und mir dann nicht wirklich damit weiterhalf. Dabei waren es ja leider indirekt meine Großväter oder deren mitunter krude Bekannte, die den Dänen das „Deutsche“ mit ihrem Einmarsch am 9.4.1940 ins nördliche Nachbarland fast ein für allemal vermaledeiten (zumindest bis zum Fußball Sommermärchen 2006, als die Deutschen endlich nicht mehr nur respektiert, sondern schon gemocht wurden.) Weshalb dann noch „Deutsch“ in der Schule lernen? Man wählte es eben endlich ab und bevorzugte Französisch.
Als ich bei einem AB Spiel den damaligen dänischen Außenminister sah, und dies ohne jede Bodyguard-Begleitung, war ich davon angetan. Meine Begegnung mit der Gleichheit, dem Blick aufeinander immer auf Augenhöhe. Das fand ich spannend. Ich sah Preben Elkjaer in meiner Classensgade plötzlich aus dem Auto steigen, traf Allan Nielsen am Sortedamssö beim Joggen („Hi Allan!“) und er grüßte selbstverständlich zurück, ganz so als kenne man sich schon lange. In einem Land wo „tak“ (Danke) und „du“ zum Alltag gehören ganz normal. Morten Olsen lief mir auch über den Weg, hinterm Stadion von AB. Er hatte gerade dem Aalborg Spieler Brian Priske dessen Nominierung zur Nationalmannschaft persönlich mitgeteilt. „God dag!“ und, na klar, er grüßte lächelnd zurück. Mein Freund Wolfgang aus Bochum hatte mich bei unseren Treffen ständig mit einem Namen bekannt gemacht, der mir partout nichts sagte. „Du musst dir mal Victor Borge ansehen“, riet er mir väterlich, wie es seine Art ist. In Zeiten vor „youtube“ aber eben nicht so einfach. Inzwischen kenne ich diesen vermutlich größten dänischen Entertainer aller Zeiten (neben den Laudrup-Brüdern selbstredend). Zuerst hatte mir mein Kopenhagener Antiquariat eine abgenudelte Victor Borge LP ohne Cover geschenkt, dann sah ich Borge, der in Englisch sprechend und am Klavier reüssierend, eine ungeheure Klasse besaß, die Leute zügig zum Lachen zu bringen. In Kopenhagen hatte ich immer im „9 smaa hjem“ in der Classensgade eingecheckt. Und erst bei einer viel späteren Reise stellte ich fest, dass über dem Eingangsportal etwas auf einer Tafel stand. Und zwar nicht weniger als in etwa „Dies ist das Geburtshaus von Victor Borge“. Das ist es, was ich mit dem kleinen, feinen Land meine, man trifft den Charme und die Qualität immer wieder von neuem an.
Und die Nationalmannschaft, die ja meine Liebe zu Dänemark verursacht und angeschoben hatte in ihren Hummel Trikots und ihrem Attacke-Fußball, die hat im Land schon eine besondere Rolle, wie der ehemalige Botschafter des Königreichs Dänemark, Gunnar Ortmann in einem Buch zur Fußball WM 2002 zu Protokoll gab. Unter anderem meinte er zur Landsholdet und den Fußballstars im Lande generell: „(…) haben uns Respekt erarbeitet. Nicht nur durch die Resultate bei Europa- und Weltmeisterschaften, sondern vor allem durch die Art und Weise, wie diese zustande kamen. (…) Die Fußballstars von heute sind auch in Dänemark Nationalhelden, ihre Karrieren werden aufmerksam verfolgt. Wenn ein Däne bei Schalke 04 ein Tor schießt, dann löst das daheim ein Wir-Gefühl aus: Wir haben einen Treffer erzielt, wir haben ein Spiel gewonnen! Sozialneid auf die gut verdienenden Fußball-Profis gibt es nicht. Wer sein Geld als Spitzensportler macht, der hat es - so Volkes Meinung -wirklich verdient.“ Wenn man aber im normalen Tagesgeschäft zu relativem Reichtum gelangt, dann ist man ein Kapitalist! Rufe wie „Scheiß Millionäre, die es in deutschen Stadien schon gegeben haben soll, kann ich mir im dänischen Fußball nicht vorstellen.“
Rückblende: 1992, EM in Schweden. Dänemark hat sich durch eine großartige Leistung ins Elfmeterschießen gegen die Niederlande bugsiert. 2:2 hieß es nach der Verlängerung. Und die ersten vier Schützen der Landsholdet haben bereits getroffen. Nun läuft der niederländische Stürmerstar van Basten an und Peter Schmeichel hält seinen recht festen Schuss! Schmeichels Sohn Kasper ist zu diesem Zeitpunkt erst 5 Jahre alt.
Nun steht 26 Jahre danach im Jahre 2018 wieder ein eminent wichtiges Elfmeterschießen an. Dänemark steht im Achtelfinale der FIFA-WM Kroatien gegenüber. Wieder hatte es eine ungewollte Slapstickeinlage der Dänen gegeben (wir erinnern die Olsenbande eindeutig), die zum 1:1 Ausgleich durch Mandzukic gekommen war. Dalsgaard hatte bei einem Abwehrversuch den eigenen Mitspieler Christensen unglücklich im Gesicht getroffen, von wo aus der Ball zu Mandzukic rollte. Nach der schnellen Dänischen Führung durch „Zanka“ Jörgensen, (auch ein typisches ständig wiederkehrendes Merkmal der dänischen Nationalelf, das schnelle Führungstor (1. Minute durch Mathias Jörgensen).
Im Spiel selbst hätte Dänemark dennoch gewinnen sollen, die Chancen waren da, doch recht dankbar zog man in besagtes Elfmeterschießen, weil Keeper Schmechel in der 116. Minute einen Strafstoß von Modric parierte. Doch das anschließende Elfmeterdrama ließ den dänischen Kickern die Knie weich werden. Eriksen scheiterte gleich beim ersten Schuss vom Punkt, und Schöne sowie N. Jörgensen erging es später ebenso, nachdem zwischenzeitlich Kjaer und Krohn-Dehli ihre Aufgabe erledigten. Da nützen die zwei gehaltenen Elfmeter durch Kasper Schmeichel gegen Badelji und Pivaric auch nichts mehr, worauf dieser sich nach dem Spiel „ein bisschen Scheiße“ fühlte. Wie alle anderen Dänen natürlich auch.
Drei Elfmeter pariert, gegen den Weltmeister Frankreich und Finalist Kroatien in der regulären Spielzeit nicht geschlagen - und dennoch „gescheitert“. Diese Art der Dramatik hatte die neue „Olsenbande“ wirklich exklusiv. Aber die Art und Weise dieses Scheiterns nötigt wohl auch jedem neutralen Fußballfan allerhöchsten Respekt ab. Nah an der Weltspitze, nie Mittelmaß, das kleine Königreich hatte abermals eine schöne Visitenkarte abgegeben!
Das war die Mannschaft in Tränen: Schmeichel - Dalsgaard, Kjaer, M. Jörgensen, Knudsen -Christensen (46. Schöne), Delaney (98. Krohn-Dehli) - Poulsen, Eriksen, Braithwaite (106. Sisto) -Cornelius (66. N. Jörgensen)
Im Oktober 2018 lag Dänemark auf Rang 10 der FIFA-Weltrangliste, Deutschland war übrigens 14.
Jogging ist schon immer eine gesundheitsfördernde Tätigkeit gewesen. Und nicht nur das, es mache den Kopf frei heißt es immer wieder, der mentale Aspekt sei so bedeutend. Stimmt auch, vor allem, wenn man als Autor gerade an seinem neuen Buch arbeitet und beim lockeren Trab durch den Wald plötzlich Zusammenhänge geistig erarbeitet, die es einfach wert sind, wenigstens in aller Kürze nieder geschrieben zu werden. So fiel es mir wie meine Schweißperlen von der Stirn, Frankreich „le grande nation“, dieses Frankreich war wirklich allzu oft in der dänischen Fußballgeschichte ein wichtiger, bedeutender Teil. Weggefährte, Feind, Freund und - darum geht es hier vor allem, fast ein Steigbügelhalter für dänische Erfolge.
Denn nicht nur das erste Länderspiel der DBU Geschichte wurde bekanntlich mit 9:0 gegen die „Equipe Tricolore“ bei der Olympiade 1908 gewonnen, vor allem die Neuzeit, also nehme ich konkret die Zeit ab den 1980er Jahren, war von sportlichen Begegnungen der beiden Länder auf großer, offener Rasenbühne. Sechs Mal hat Dänemark seit 1984 bei großen Turnieren auf sich aufmerksam machen können (den King Fahd Cup 1995 lasse ich einmal weg, Dänemark war dort schließlich der einzige europäische Vertreter), und zweimal war dies sogar direkt auf französischem Boden! (1984, Halbfinale der EM, 0:1 gegen Frankreich, aber Dänemark steht zuletzt im Halbfinale, 1998, 1:2 gegen Frankreich in der Vorrunde, aber Dänemark zieht ins Viertelfinale der WM). Beide Turniere gewinnen übrigens die Franzosen, also könnte die DBU auch gut als Maskottchen herhalten.
Nicht vergessen ist auch ganz gewiss jene Stunde bei der WM 2002 in Südkorea, als Dänemark kolossal nahe an die Weltspitze heranrückte und im letzten Gruppenspiel, nach Siegen gegen Uruguay (2:1) und einem Remis (1:1) gegen den Senegal, Frankreich als aktuellen Welt- und Europameister mit 2:0 aus dem Turnier katapultierte. Zidane konnte ermüdet und mit verbundenem Oberschenkel nach einer langen Saison seinem Team nicht genügend helfen, und Frankreich war als Gruppenletzter blamiert. Dänemark „on top of the group”, vor Uruguay, Senegal und eben Frankreich. Eine Momentaufnahme, die wahrlich Spaß machte.
2018 gab es ein 0:0 in der Vorrunde im „Nichtangriffspakt“ von Moskau. Aber Dänemark zieht ins Achtelfinale der WM). Was wäre wohl gewesen, wenn Frankreich Vollgas gegeben hätte? Und 1992 bei der EM in Schweden (Dänemark endete bekanntlich als Europameister) bedeutete ein 2:1 gegen Frankreich das Tor zum Halbfinale.
Die Geschichtsschreibung mit der anhänglichen Seriosität und Recherche vernachlässige ich auch im folgenden Kapitel bestimmt nicht, aber auch hier muss ich persönlich werden, denn wenn einen Sportgeschichte anrührt, darf man dies auch so erörtern, meine ich. Im Prinzip hatte ich mit der EM im Juni 1992 nicht so viel in Sachen Vorfreude zu tun. Dänemark war nicht dabei. Was war da überhaupt los im Land der salzigen Butter? 1988 bei der EM überaltert, bei der WM 1990 nicht teilnehmend, und nun schon wieder nicht! Mit der Deutschen Mannschaft, mit ihrem Testosteron-Kraftfußballern wie Buchwald, Effenberg, Kohler und Co, samt ihrem CDU-affinen Coach Berti Vogts konnte ich ja doch nicht sehr viel anfangen. Und nur, weil Menschen zufällig den gleichen Pass haben, eint mich ja mit denen nicht automatisch einiges. Das ist heute mein Standpunkt, und damals ahnte ich dies wohl auch schon. Nur zu hoffen, dass es die Niederländer nicht weit im Turnier bringen, reichte nicht aus, um dem Turnier entgegen zu fiebern. Doch dann kam der 9.Juni. Zwei Tage vor dem Start der EM berichtete Wolfgang Biereichel für die ARD-Sportschau aus dem Trainingscamp der dänischen „Landsholdet“. Diese weilte nämlich im Veranstalterland Schweden und sollte tatsächlich für das nach der UN Resolution 757 ausgeschlossene Jugoslawien teilnehmen! Sie zeigten sogar das entscheidende Tor zur Dänischen Meisterschaft aus dem Gentofte Stadion (klar, Gentofte kannte ich durch die Olsenbanden-Filme) Torben Frank hatte es in der 69. Minute im Spiel Lyngby BK – B 1903 erzielt. Für Lyngby aus Nordkopenhagen auf dem Platz war u.a. der spätere Mönchengladbach Profi Peter Nielsen und Henrik Larsen, den sie alsbald nur „den Store“ (der Große) nannten, doch dazu später mehr. Gut acht Jahre später sollte ich vor dem Trophäenschrank des Vereins aus dem Norden der Hauptstadt stehen (als Kontaktmann zum deutschen Markt). Nun also der Bericht über die Nachzügler aus Dänemark bei der EM, Hurra und Skal, jetzt stieg auch in mir die Vorfreude, und das dänische Trikot wurde derweil schon einmal aus dem Schrank geholt. Die Nationalflagge, der „Danebrog“, auch gleich mit. Lars Olsen, Kapitän des Teams erfuhr aus dem Radio (wir reden aus der Vor-Handy-Zeit) von seinem Glück. Er saß den dritten Tag in Folge in seinem Auto, um von seinem Arbeitgeber aus der Türkei ins heimische Dänemark zu gelangen. Wie ist einem Profi da wohl zumute?
Der „Tagesspiegel“ präzisierte die Lage der jugoslawischen Mannschaft, die bereits in Schweden weilte in seiner Dramatik sehr anschaulich: „Das Team muss aus Schweden ausreisen. Doch das ist nicht mehr so leicht. Als die Maschine am 3. Juni aus Stockholm abfliegen soll, fehlt Treibstoff. Der britische Ölkonzern BP weigert sich, das Flugzeug zu betanken. Das wäre ein Verstoß gegen das Embargo, befinden die Briten. Stundenlang sitzt die 40-köpfige Delegation fest. Die Sanktionen sehen auch vor, alle Flüge von und nach Belgrad zu streichen. Die norwegische Ölgesellschaft Statoil erklärt sich nach einigen Stunden bereit, das Flugzeug zu betanken. Die Mannschaft kann ausreisen und hinterlässt noch offene Rechnungen für ihr fünftägiges Trainingslager in Schweden. Die wollte sie mit Erlösen aus Privatspielen und EM-Prämien begleichen, doch nach der UN-Resolution weigern sich andere Teams, gegen Jugoslawien zu spielen.“
Flemming Povlsen sagte es, schon im Urlaubsmodus ganz frank und frei heraus: „Klar habe ich Luft für 90 Minuten, drei Spiele à 30 Minuten“, doch dies war eher dem Boulevard denn der Fitness-Lehre geschuldet, denn natürlich verliert ein Profi nicht binnen von 8 Tagen seine Fitness, zumal ja die heimische Liga bis drei Tage vor dem Start gegen England noch lief, und die Dänische Nationalelf, draußen in Bröndby am 3. Juni noch ein Länderspiel in Freundschaft absolviert hatte. 1:1 hieß es gegen GUS (Gemeinschaft unabhängiger Staaten, der aufgelösten Sowjetunion) vor lediglich 5300 Besuchern. So wenige, eine Woche vor dem EM Beginn, Euphorie sah freilich anders aus, wenngleich sich die Nachricht sicher wesentlich langsamer als heute rumsprach und wohl niemand absolut an diesem Abend ganz sicher wusste oder glaubte, dass das eigene Team tatsächlich nachrücken würde, wobei die Entscheidung bereits am 31. Mai getroffen war, das Turnier ohne Jugoslawien auszutragen (es wäre mehr oder weniger ohnehin nur eine Auswahl von Belgrader Kickern erschienen). Möller Nielsen war indes froh, schließlich wollte er seine Küche erneuern, und hätte kräftig zu tun gehabt, so aber legte er es nun in fremde Hände. Auch hatte er zurecht von seiner Mannschaft verlangt, doch bitte dringend das letzte EM-Qualifikationsspiel zu gewinnen, für den Fall der Fälle, was diese dann auch gottlob tat (2:1 gegen Nordirland am 13.11.1991). Schon am 29. April hatte Dänemark noch ein Freundschaftsländerspiel gegen Norwegen (1:0 in Aarhus) vor nur 7000 Anhängern absolviert. Gegen England traf „Faxe“ Jensen dann im ersten Spiel nur den Pfosten, das 0:0 war jedoch durchaus ehrenwert. Im ewigen Bruderduell gegen Schweden, die mit Thomas Brolin ein Highlight des Turniers in ihren Reihen besaßen, schien das kalkulierte Aus zu bedeuten. Schade, aber immerhin hatte ich „meine“ Dänen einmal wieder im TV gesehen. Und auch die 29.902 Zuschauer hatten unter der Leitung des deutschen Schiedsrichters Aaron Schmidhuber im Rasunda Stadion von Stockholm ein recht enges Spiel gesehen. Nun galt es gegen die Equipe Tricolore die kleine Flamme am Lodern zu halten, die sich jedoch nur vollends entfalten konnte, wenn zur gleichen Zeit Schweden gegen England etwas ausrichten sollte. Nahezu zeitgleich konnte dann rein skandinavisch beim Abpfiff inMalmö (spielten die Dänen) und Stockholm (spielten die Schweden) wild gejubelt werden. Der für Brian Laudrup eingewechselte Lars Elstrup traf um 21:48 Uhr für Dänemark zum überraschenden 2:1 gegen die etwas pomadig agierenden Franzosen, während um etwa 21:52 Uhr Thomas Brolin mit seinem 2:1 Siegtreffer den Engländern den Garaus bereitete. Schweden und Dänemark waren weiter, zwei große favorisierte Nationen mussten unerwartet zeitig heimreisen. Indes hatten in der Blitztabelle Sieger und Verlierer ständig gewechselt. Um 20:23 Uhr waren England und Schweden weiter, um 21:20 Uhr war nur Schweden weiter, und zwischen England und Dänemark hätte ein Losentscheid hergemusst. Um 21:31 Uhr waren Frankreich und Schweden weiter, dann, zum Glück für das fröhliche Mittsommerfest die beiden Skandinavier Vertretungen im Außenseiter Modus.
Nun griff allmählich die Formel „Wenn-schon-denn-schon“ bei den Touristen in rot und weiß, keiner schwätzte mehr über den eigentlich doch nicht fähigen Trainer, und auf den Traversen war von einem Abflauen der „Roligan“ Fan-Bewegung wirklich nichts mehr wahrzunehmen, ganz im Gegenteil. Nun hatten sich die einander eigentlich nicht übermäßig mögenden skandinavischen Brüder wieder ziemlich lieb, und vergessen war, dass die schwedischen Organisationen vor dem direkten Bruderduell neulich die Dänische Hymne textlich verkehrt inszeniert hatten. Brian Laudrup hatte nach dem Spiel deutliche Worte an seine Kollegen: „Von heute an sind es nicht länger Elkjaer, Lerby oder Michael, wir sind es, wir sind das Golden Age Team, und wir können noch mehr erreichen.“
„Die haben uns angeschaut vor dem Spiel, als ob wir der letzte Dreck wären“. Da konnte Flemming Povlsen mit seinen stets leuchtenden Kinderaugen noch so nett schauen im ARD Interview, aber die holländische Arroganz nervte die Dänen schon direkt vor dem Halbfinale beim Betreten des Platzes kolossal. Erneut galten die Niederlande mit ihren Megastars van Gullit, van Basten, Rijkaard, Bergkamp und Co als Turnierfavorit, nur vier Tage vor diesem Semifinale hatten sie schließlich die deutsche Mannschaft mit 3:1 fast deklassiert und erneut stieg ihnen wohl ihr eigenes, zweifelloses Können zu sehr in die Hypophyse.
Sechs Minuten nach dem Anpfiff war es schon passiert: Henrik „den Store“ (der Große) Larsen hatte Dänemark in Führung gebracht, und nach Bergkamps folgendem Ausgleich den Niederländern noch eine verpasst (1:2 in der 33. Minute. Beide Male waren es gut gesetzte Konter, und beim zweiten Tor hatte der Niederländer Koeman einen Ball exakt vor die Füße Larsens gesetzt. Rijkard rettete die Oranjes in die Verlängerung und die körperlich angeblich nicht fitten Dänen sich anschließend ins Elfmeterschießen. Hier bewahrheitete sich eine weitere Charakteristika dänischen Seins. „Afslappet“ heißt hier das Wort der Wahl, „entspannt“. Und erst lange nach dem Schreiben dieser Zeilen entdeckte ich im Laudrup Buch der Autoren Boisen und Nordskilde, dass sich Kim Vilfort exakt in dieser Richtung den Autoren gegenüber geäußert hatte. Er sagte über den völlig unerwarteten Triumphzug des Teams: „Wäre es ein deutsches oder französisches Team mit Spielern gewesen, die auf einer Fußballakademie groß geworden sind, so hätten sich es vermutlich nicht geschafft, sich zu behaupten. Sie wären in ihren Grundfesten erschüttert worden, denn diese waren je weit besser ausgebildet. Das ist vielleicht eine der Qualitäten, die dänische Spieler haben, dass sie entspannter (Vilfort sagte „mere afslappede“) in einigen Situationen sind.“
Das aggressive Hereinbringen von Hektik mit dem der niederländische Keeper van Breukelen die dänischen Schützen zu verunsichern glaubte, überflüssig. Povlsen verwandelte (nachdem er zuvor van Breukelen ohne ihn anzuschauen in sein Tor zurückbeordert hatte) ebenso, wenn auch leicht glücklich, wie zuvor bereits Henrik Larsen, dem Ex-Italien-Legionär, der gerade mit Lyngby BK Dänischer Meister geworden war, und zum Torschützenkönig der EM als Mittelfeldspieler avancierte. Lars Elstrup (Odense BK) und Kim Vilfort (Bröndby IF) verwandelten ebenso. Der letzte Schütze Oranjes, Marco van Basten, scheiterte an Peter Schmeichel und mein Trikot war nun auch vor dem heimischen TV Gerät komplett nassgeschwitzt. Schmeichel, der Hüne mit seinen 1,91 m und seiner blendenden Ausstrahlung hielt großartig, und nun war es an Kim Christofte die ganze Sache quasi zu beenden, Dänemark ins Finale zu schießen, diese coolen, sympathischen Männer, die man einfach nicht auf dem Zettel hatte. Weder bei den TV-Experten, noch bei den direkten Gegenspielern. Doch was tat er da, nun einen unglaublich entspannten Eindruck. Ganz kurz stand er am Ball, machte nur zwei Schritte und schob ihn einfach ins Tor, als ob da gar kein Torwart drinstand. Die deutsche Mannschaft verfolgte das Spiel kollektiv vor dem Fernseher und Kalle Riedle konnte sich nach Christoftes finalem Schuss aus der Hüfte nur schwer wundern: „Boah, macht der den cool rein…!“
„Wir haben Wort gehalten, wir sind im Finale, wer nicht kommt ist Holland“, dieses Zitat stammte nicht von Richard Möller Nielsen, sondern von Berti Vogts, der reichlich süffisant das Ausscheiden der Niederländer begrüßte, eben weil es auch einer gewissen Überheblichkeit geschuldet war. Und die Dänen hatten sich wieder einmal für einen verletzten Kameraden hereingehangen. Damals war es Allan Simonsen mit Schienbeinbruch, diesmal war es Henrik Andersen, den es hart erwischte. Nach einem Zweikampf mit Marco van Basten, sprang dem langmähnigen Dänen die gebrochene Kniescheibe heraus, ein Anblick der dem Zuschauer direkt einen Phantomschmerz einbrachte.
Auch in der Kabine sah es eher wie auf einer Krankenstation nach dem Abpfiff aus. Die Spieler lagen zum Teil auf dem Boden. Rücken, Leisten, Kniebeschwerden waren allenthalben das Thema. So sehr, dass man extra einen Physiotherapeuten aus der Heimat anforderte. Kapitän Lars Olsen, Kent Nielsen und John Sivebaek waren für das Endspiel nur vier Tage später höchst zweifelhaft, doch nur Sivebaek konnte dann das Finale auch aus taktischen Gründen nicht durchspielen. (Er wurde in der 66. Minute durch den Meisterspieler von Lyngby BK Claus Christiansen ersetzt, der dann einen Treffer der Dänen auflegte.)
Nun war es so weit, Dänemark im Endspiel gegen Deutschland, abermals ein wohl nie langweilig werdendes Duell von David gegen Goliath, und wieder wollte sich der Favorit Deutschland (ins Finale gekommen durch ein 3:2 gegen Schweden) keine Blöße geben. Dennoch, wer rechnete schon wirklich mit einem dänischen Triumph? Meine Wenigkeit durchaus, zumindest saß ich mit Dänemark Trikot und Landesfahne auf der Couch, diese Affinität zu dem kleinen, feinen Land, das ich bis dato erst zweimal im schönen Jütland an der Nordsee besucht hatte, übermannte mich einfach. Und der Urlaub auf Bornholm war auch schon gebucht. Um es vorweg zu nehmen, was sich jeder denken kann, Dänemark schlug Deutschland nicht unverdient mit 2:0. Da mochten die Tore noch so umstritten sein (vor dem ersten Treffer durch „Faxe“ Jensen in der 19. Minute O-Ton: „Als ich dem Ball förmlich in den Arsch trat, diesen Satz wiederholte Königin Margrethe sogar in ihrer Neujahrsansprache (!) dachte ich zuerst es gäbe Freistoß oder ein Abseits. Das konnte ja nicht passen, dass ich ihn zum ersten Mal im Turnier richtig traf und der dann reinging.“) hatte es ein hartes Tackling gegen Brehme gegeben, und dem zweiten Treffer durch Kim Viilfort (79.) soll ein „Handspiel“ vom Schützen vorgelegen haben, der Ball sprang ihm aber nur gegen die Schulter. Da konnten sich die ARD Kommentatoren Heribert Fassbender und sein unsäglicher Co-Kommentator Kalle Rummenigge noch so sehr mit ihrem Gerede einbilden, dass die Dänen nun müde seien, und das Spiel folglich gleich kippen würde, am Ende