MS Kristiana - Märchenhochzeit auf Island - Greta Jänicke - E-Book

MS Kristiana - Märchenhochzeit auf Island E-Book

Greta Jänicke

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Beschreibung

Die MS Kristiana erwartet wieder eine erlebnisreiche Reise. Sie sticht in See mit dem Ziel Island. Die Passagiere und die Crew freuen sich auf dieses wunderschöne Land mit seinem besonderen nördlichen Flair. Am Ende der Reise soll sogar auf Island Hochzeit gefeiert werden: Der erste Offizier der MS Kristiana Ben Mermann und Leonie wollen sich das Ja-Wort geben. Die beiden haben sich auf der Jungfernfahrt des Schiffes kennengelernt. Aber dann verläuft alles anders als geplant ...

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Inhalt

CoverÜber dieses BuchÜber die AutorinTitelImpressumPrologKapitel 1Kapitel 2Kapitel 3Kapitel 4Kapitel 5Kapitel 6Kapitel 7Kapitel 8Kapitel 9Kapitel 10Kapitel 11Kapitel 12Kapitel 13Kapitel 14Kapitel 15Kapitel 16Kapitel 17Kapitel 18Kapitel 19Kapitel 20Kapitel 21Kapitel 22Kapitel 23Kapitel 24Kapitel 25Kapitel 26Kapitel 27Kapitel 28Kapitel 29Kapitel 30Epilog

Über dieses Buch

Band 3 der Reihe »Auf Fahrt mit der MS Kristiana«

Die Am Ende der Reise soll sogar auf Island Hochzeit gefeiert werden: Der erste Offizier der Ben Mermann und Leonie wollen sich das Ja-Wort geben. Die beiden haben sich auf der Jungfernfahrt des Schiffes kennengelernt. Aber dann verläuft alles anders als geplant …

Über die Autorin

Greta Jänicke lebt mit ihrer Familie und dem neurotischen Kater Klaus-Peter am Niederrhein. Sie arbeitet im Vogelschutz und setzt sich aktiv für Tierrechte ein. Mit den Romanen über das Kreuzfahrtschiff MS Kristiana widmet sie sich einem Herzensprojekt. Die Jungfernfahrt führt die Leser ins wunderschöne Norwegen. Greta Jänicke ist Mitglied bei DELIA, der Vereinigung deutschsprachiger Liebesroman-Autoren und -Autorinnen.

Vollständige eBook-Ausgabe

des in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes

Originalausgabe

Copyright © 2022 by Bastei Lübbe AG, Köln

Textredaktion: Marion Labonte, Labontext

Umschlaggestaltung: Guter Punkt, München | www.guter-punkt.de unter Verwendung von Illustrationen von © mbbirdy/iStock; Andrew_Mayovskyy/Getty Images; ablokhin/Getty Images; Rawpixel/Getty Images; JMrocek/Getty Images

Kartenillustrationen: Christl Glatz | Guter Punkt, München

eBook-Produktion: Dörlemann Satz, Lemförde

ISBN 978-3-7517-1012-1

www.luebbe.de

www.lesejury.de

Prolog

Adrian stand auf der Terrasse seines Hauses in Svolvær. Von allen Seiten dieser Anhöhe konnte er das Wasser sehen, doch er hielt nur den Weg im Auge, der hier heraufführte.

Ob sie seine Einladung annahm? Er hatte ihr geschrieben, hatte ihr in einem langen Brief seine Gedanken erläutert und seine Gefühle offenbart.

Jetzt, nachdem er eine Entscheidung getroffen hatte, durchlebte er ein Wechselbad der Gefühle zwischen Unsicherheit und Hoffnung, die am Ende eines Tages einer tiefen Enttäuschung Platz machten. Sie kam nicht! Nicht an diesem Tag – vielleicht nie.

Adrian dachte an die letzten Wochen, an seine erste Fahrt durch die norwegischen Fjorde als Kapitän der MS Kristiana. Auf dieser Reise hatte er Eva nach vier Jahren wiedergesehen. Anfangs hatte es ihn gestört, dass seine Frau als Schiffsärztin mit an Bord war, doch ihr Verhältnis zueinander hatte sich verändert. Das lag sicher auch an der Angst, die sie um ihre gemeinsame Tochter Fenja ausgestanden hatten. Auf der zweiten Fahrt mit der MS Kristiana nach Neuseeland war es Adrian sogar zeitweise gelungen, den Grund seiner Trennung von Eva zu vergessen: Sie hatte sich gegen das Kind entschieden, das sie erwartete.

Seine Hände umklammerten das Geländer. Der Schmerz, dass dieses Kind, das er sich so sehr gewünscht hatte, nicht leben durfte, ließ ihn auch jetzt nicht los.

Adrian atmete tief durch. Das alles lag mehr als vier Jahre zurück. Vier lange Jahre, in denen nicht nur er selbst, sondern auch Eva sich verändert hatte. In den vergangenen Wochen hatte es einige sehr innige Momente mit ihr gegeben, sie waren einander wieder nähergekommen. Er wusste, dass sie ihn immer noch liebte …

Es wurde Zeit, endlich zu verzeihen. Und während er das versuchte, tauchte wie immer das Gesicht einer anderen Frau vor seinem inneren Auge auf. Dunkles, lockiges Haar und faszinierend braune Augen. Jasmin Andres, die Hotelmanagerin an Bord der MS Kristiana. Die Zusammenarbeit mit ihr war angenehm, aber Adrian hatte vor allem die privaten Treffen sehr genossen.

Zwei Frauen, die in seinem Leben eine große Rolle spielten. Er hatte eine Entscheidung treffen müssen – und sich dabei ausschließlich auf sein Gefühl verlassen. Jetzt wusste er, was er wollte und mit welcher der beiden er sich ein gemeinsames Leben wünschte. Die Entscheidung lag nun ausschließlich bei ihr …

Über eine Stunde stand Adrian noch auf der Terrasse. Mit der Dämmerung zog ein kühler Wind auf. Fröstelnd wandte er sich um und ging zurück ins Haus.

Kapitel 1

Alles war still, als Eva am Nachmittag die Villa ihres Vaters in Blankenese betrat. Fenja war bei ihrer besten Freundin, ihr Vater Clemens wie immer um diese Zeit in der Geschäftsstelle seiner Reederei am Hafen. Wo sich Fiona Steidl, seine Geliebte, aufhielt, wusste Eva nicht. Es interessierte sie auch nicht.

Langsam stieg sie die breite Treppe nach oben. Ihr Zimmer befand sich am Ende des Ganges, hier wohnte sie in der kurzen Zeit zwischen den Fahrten der MS Kristiana, hier lebte Fenja, wenn Eva auf See war. Wenige Monate nachdem Adrian sich von ihr getrennt hatte, war sie zusammen mit ihrer gemeinsamen Tochter aus dem eigenen Haus zurück in ihr Elternhaus gezogen.

Ihr Schritt verharrte kurz, als sie am Gästezimmer neben der Bibliothek vorbeikam. Darin hatte Adrian übernachtet, während seines kurzen Aufenthalts in Hamburg. Ihr Vater und auch sie selbst hatten ihn dazu eingeladen, doch er hatte erst zugestimmt, als Fenja ihn regelrecht angebettelt hatte.

Eva wusste, wie sehr ihre Tochter sich wünschte, dass sie und Adrian wieder zueinanderfanden. Sie selbst hätte ihr diesen Wunsch nur zu gerne erfüllt. Doch ihr war klar, dass sie ihrem Mann Zeit lassen und ihn nicht bedrängen durfte. Und so hatte sie seinen jüngsten Entschluss, auf die Lofoten zu reisen, kommentarlos akzeptiert. Er hatte versucht, sich ihr zu erklären, und gesagt, dass er über vieles nachdenken müsse. Das gelinge ihm dort besser als im Haus seines Schwiegervaters, hatte er gesagt.

Eva war sicher, dass er ihr den Schwangerschaftsabbruch immer noch nicht verziehen hatte. Dabei war es gar nicht sein Kind gewesen, aber das wusste Adrian nicht. Sie wäre außerstande gewesen, dieses Kind zu lieben, hätte immer Magnus, den Vater, in ihm gesehen. Vielleicht, wenn Adrian die genauen Umstände kannte …

So oft hatte Eva mit dem Gedanken gespielt, ihm endlich die Wahrheit zu sagen. Nicht zuletzt, weil sie damit rechnen musste, dass Magnus ihr zuvorkam. Einmal hatte sie kurz davor gestanden, Adrian alles zu gestehen, doch letztendlich war die Angst, ihn dadurch endgültig zu verlieren, größer gewesen.

Und jetzt war er in Svolvær, im Haus seiner verstorbenen Eltern, und sie war hier in Hamburg. Sie sehnte sich nach ihm, wünschte sich, wenigstens seine Stimme zu hören. Ungeduldig zog sie das Handy aus der Tasche, widerstand aber der Versuchung, ihn anzurufen.

Lass ihm Zeit, bedräng ihn nicht!

Das hatte sie schon einmal getan – daraufhin hatte er einen Job auf einem Forschungsschiff in der Arktis angenommen und war jahrelang unerreichbar für sie gewesen. Das wollte Eva nicht noch einmal riskieren.

Sie machte sich ein wenig frisch und zog sich um, dann setzte sie sich auf das Bett und ließ den Blick durch ihr Zimmer gleiten. Wie so oft in den letzten Tagen war ihr tatsächlich langweilig! Früher, als sie noch in der Uniklinik gearbeitet hatte, wäre das undenkbar gewesen. Selbst auf der MS Kristiana wusste sie mehr mit sich anzufangen, auch wenn der Dienst auf dem Schiff mit der in einer Akutklinik nicht zu vergleichen war. Eva gestand sich nicht zum ersten Mal ein, dass ihr die Arbeit in einem Krankenhaus fehlte.

Sieht mein Leben jetzt immer so aus? Ein ständiger Wechsel zwischen Langeweile, unbefriedigendem Job auf einem Kreuzfahrtschiff und der unerfüllten Sehnsucht nach dem Mann, den ich liebe und zurückgewinnen will?

Sie schreckte auf, als es an ihrer Tür klopfte. »Ja, bitte!«, rief sie, doch es rührte sich nichts.

»Herein!«, forderte sie laut, aber vergeblich.

Gereizt erhob sie sich und riss die Tür auf. Davor stand niemand, auch der Flur war leer. Eva vermutete schon, dass ihre Ohren ihr einen Streich gespielt hatten, doch dann bemerkte sie ihn: den Geruch von Iris und Jasmin.

Ein Schauder durchfuhr Eva. Diese Duftmischung hatte sie bereits auf der letzten Fahrt mit der MS Kristiana mehrfach wahrgenommen. Und sie kannte nur einen Menschen, der sie benutzte. »Kristiana«, flüsterte Eva entsetzt. Ihre Halbschwester war seit über zehn Jahren verschollen, aber schon in Neuseeland hatte es Anzeichen gegeben, dass sie sich in ihrer Nähe aufhielt, darunter ein verschwommenes Foto …

Eva hoffte inständig, dass sie sich irrte.

Ihr Vater hatte Kristianas Mutter Torid bereits kennengelernt, bevor er in Bergen die marode Foss-Reederei übernommen und sie der Tychsen-Reederei angeschlossen hatte. Er hatte ein Verhältnis mit der schönen Norwegerin begonnen und über viele Jahre daran festgehalten.

Seitdem hatte Eva ein schwieriges Verhältnis zu ihm. Sie hatte um die Einsamkeit ihrer Mutter gewusst, nachts hatte sie oft ihr verzweifeltes Weinen vernommen, wenn Clemens wieder einmal Zeit in Norwegen verbrachte. Auch Eva war eifersüchtig auf diese andere Familie und zudem der festen Überzeugung, dass Kristiana seine Lieblingstochter war. Darunter hatte sie zeitlebens gelitten.

Sie hatte sich oft gefragt, warum ihre Eltern zusammengeblieben waren, ihrer Meinung nach wäre ein harter Schnitt für alle das Beste gewesen.

Ihre Halbschwester lernte Eva erst nach dem Tod ihrer eigenen Mutter kennen. Damals war sie sechzehn Jahre alt gewesen, ein verzweifelter Teenager, der mit der Situation nicht zurechtkam. Erst als ihr Vater Kristiana in die Hamburger Villa holte, erfuhr Eva, dass auch Torid nicht mehr lebte. Doch das brachte die beiden Mädchen nicht näher.

Fortan lebte jede ihr eigenes Leben, was nicht nur am Altersunterschied von acht Jahren lag. Nach dem Abitur konzentrierte Eva sich auf ihr Medizinstudium und hatte mit Kristiana nur noch wenig zu tun. Als ihre Halbschwester volljährig wurde, zog es sie immer öfter in ihre norwegische Heimat. Bis sie vor zehn Jahren nicht mehr zurückkehrte. Alle Versuche von Clemens, sie zu finden, blieben vergeblich. Er wusste nicht einmal, ob sie überhaupt noch lebte.

Eva wurde mit einem Mal bewusst, dass sie immer noch in der Tür stand. Der Gang vor ihr blieb leer, kein Geräusch war zu hören. Der Duft nach Iris und Jasmin hatte sich verflüchtigt.

Aber sie hatte ihn gerochen! Und sie hatte das Klopfen an der Tür gehört. Jemand spielte ihr einen üblen Streich. Kristiana?

»Hallo!«, rief sie.

Nichts.

»Hallo?«, rief sie noch einmal. »Wer ist da?«

Wieder keine Antwort. Eva fühlte sich zunehmend unbehaglich, in ihr wuchs das beklemmende Gefühl, dass irgendwo in den Schatten des Ganges, in einer der Türnischen oder hinter den Möbeln, jemand stand und lauerte. Sie erschauerte, hatte Gänsehaut am ganzen Körper. Hastig wandte sie sich um, trat zurück ins Zimmer, warf die Tür hinter sich zu und drehte den Schlüssel um, so schnell es ihre zitternden Finger erlaubten.

Reglos verharrte sie auf der Stelle. Ihr Herz pochte wild, und sie lauschte angestrengt, ohne die Klinke aus den Augen zu lassen. Versuchte jemand, sie von außen herunterzudrücken?

Sie konnte sich dieses plötzliche Gefühl einer Bedrohung, die dort draußen irgendwo auf sie lauerte, nicht erklären. Du musst dich beruhigen, beschwor sie sich selbst. Sie atmete tief durch und schloss für einen Moment die Augen. Du bildest dir das alles nur ein.

Und dann passierte es wieder: ein Klopfen an der Tür …

Erschrocken zuckte Eva zusammen.

»Mama?«

Eva drehte den Schlüssel um und riss die Tür auf.

Vor ihr stand Fenja und schaute sie überrascht an. »Wieso hast du abgeschlossen?«

Weil ich einen Parfumduft wahrgenommen habe, und weil ich mich plötzlich beobachtet fühlte.

Das war keine nachvollziehbare Erklärung für ihre sechzehnjährige Tochter. Zudem wollte sie das Mädchen nicht beunruhigen. »Keine Ahnung. Wahrscheinlich war ich in Gedanken.« Sie lachte nervös auf.

Fenja musterte sie prüfend. »Irgendwie bist du gerade komisch.«

»Ich bin doch nicht komisch! Wieso bist du eigentlich zu Hause? Wolltest du nicht bei Sophie übernachten?«

Zum Glück ließ Fenja sich leicht ablenken. Sie verzog missbilligend das Gesicht. »Sophie hat heute Abend ein Date mit Levin.« Ihr Tonfall spiegelte ihre Eifersucht, auch wenn sie so tat, als wäre es ihr gleichgültig.

»Tut es sehr weh?«, fragte Eva mitfühlend.

»Quatsch! Ist mir doch egal, was die beiden machen. Ich ärgere mich nur darüber, dass Sophie wegen eines Typen die Verabredung mit mir absagt. Das ist so uncool.«

»Ja, total uncool«, bestätigte Eva und nahm ihre Tochter tröstend in die Arme. Liebeskummer tat weh … in jedem Alter. Besonders wenn der Junge, in den Fenja sich verliebt hatte, mehr Interesse für ihre beste Freundin zeigte.

Sie hätte ihrer Tochter sagen können, dass sie nur zu gut wusste, wie sie sich gerade fühlte. Ihre Gedanken wanderten zu Adrian und Jasmin Andres. Zu dem Moment, an dem sie auf der MS Kristiana beobachtet hatte, wie er die Hotelmanagerin an sich gezogen und geküsst hatte. Der Schmerz in ihr brannte bei der Erinnerung noch genauso wie an jenem Abend auf der Tasmanischen See.

Aber dann hatte er doch mit ihr, Eva, das Schiff verlassen und war mit ihr nach Hamburg gereist. Und nicht mit dieser Jasmin.

Und ich bin immer noch seine Frau!

Drei Tage lang war das ein tröstlicher Gedanke gewesen – bis er auf die Lofoten abgereist war. Seither hatte sie nichts von ihm gehört. Und damit war die Angst, ihn für immer zu verlieren, wieder da.

»Schon gut, Mama.« Fenja befreite sich aus der Umarmung. »So schlimm ist es nun auch wieder nicht.«

»Nicht?« Eva suchte ihren Blick. »Ich hatte den Eindruck, du magst diesen Levin. Jedenfalls hast du ziemlich viel von ihm gesprochen.«

»Ich habe nie mit dir über Levin gesprochen.«

»Nicht mit mir.« Eva schaute sie mit gespielter Verzweiflung an. »Warum solltest du auch ausgerechnet mit deiner Mutter über das reden, was dich bewegt? Aber es war nicht zu überhören, wie du mit Sophie am Telefon über ihn geschwärmt hast.«

»Ja, ich finde Levin toll.« Fenja lachte. »Ich bin auch ein bisschen verliebt in ihn. Aber die Freundschaft zu Sophie ist mir wichtiger, also kann sie ihn gerne haben«, sagte sie lächelnd.

Eva schämte sich, als ihr bewusst wurde, dass sie ihre eigenen Gefühle auf ihre Tochter übertragen hatte. Fenja war lediglich traurig, weil der geplante Abend mit ihrer besten Freundin ins Wasser fiel.

»Sollen wir etwas unternehmen?«, schlug sie vor. »Wir könnten zusammen ins Kino gehen.«

»Schon gut.« Fenja winkte ab. »Ich habe mich jetzt mit Amelie und Lioba verabredet. Also, wenn du nichts dagegen hast.«

»Nein, geh nur.« Eva lächelte, obwohl sie enttäuscht war. Sie hätte gerne einen Abend mit ihrer Tochter verbracht. Alles war besser, als allein in der Villa ihres Vaters herumzusitzen und sich zu langweilen. Kein Wunder, dass sie allmählich Halluzinationen entwickelte.

Am nächsten Morgen vertrieb sie sich die Zeit in den Colonnaden. Sie liebte diesen Teil ihrer Heimatstadt, insbesondere den Anblick der Häuser aus der Gründerzeit. Gemütlich flanierte sie durch den Säulengang und betrachtete die Auslagen der eleganten Geschäfte, betrat jedoch keines von ihnen.

Am Ende der Straße blieb sie an der Esplanade stehen und überlegte, ob sie ihrem Vater einen kurzen Besuch in der Reederei abstatten sollte. Sie hatte ihn seit zwei Tagen nicht gesehen, er verließ die Villa in Blankenese frühmorgens, bevor sie aufstand, und kam abends erst spät zurück, wenn sie schon wieder im Bett lag. So war es immer schon gewesen. An erster Stelle stand die Reederei.

»Eva! Wie schön, dich zu sehen«, riss eine Stimme sie aus ihren Gedanken. Eva hob den Blick und sah Lothar Beck mit ausgebreiteten Armen auf sich zukommen. Sie freute sich aufrichtig, den ehemaligen Kollegen aus der Uniklinik zu sehen. Inzwischen arbeitete er in einem nahegelegenen Krankenhaus als Chefarzt der Unfallchirurgie. Eva mochte Lothar sehr, als Menschen und auch als Kollegen, er brannte für das Gleiche wie sie.

»Hallo, Lothar!«, rief sie fröhlich und umarmte ihn.

»Wie geht es Fenja?«, wollte er wissen. Er hatte sie nach einem schweren Unfall behandelt, und Eva war sicher, dass die schnelle Genesung ihrer Tochter vor allem ihm zu verdanken war.

»Danke, ausgezeichnet.«

»Das freut mich. Hast du Zeit?«, fragte er. »Ich würde dich gerne zu einem Kaffee einladen.«

Eva lächelte ihn an. »Ich habe eine bessere Idee. Ich bin ziemlich hungrig und würde dich gerne zum Essen einladen.«

»Sehr gerne. Das ist eine hervorragende Idee.« Er hatte die Worte kaum ausgesprochen, da klingelte sein Handy. Er entschuldigte sich kurz bei Eva und nahm das Gespräch an. Mit angespannter Miene lauschte er dem Anrufer. »In Ordnung, ich komme sofort«, sagte er schließlich und legte auf.

»Es tut mir leid«, wandte er sich an Eva. »Ich muss zurück ins Krankenhaus. Komplikationen bei einer Patientin.«

»Schade.« Eva empfand Bedauern um das verpasste gemeinsame Mittagessen, gleichzeitig aber ertappte sie sich dabei, ihn um seine berufliche Erfüllung zu beneiden. »Du hast es gut«, entfuhr es ihr.

Er suchte ihren Blick. »Eva, ich mache dir das Angebot gerne noch einmal«, sagte er ernst. »Die Stelle als Stationsärztin bei uns ist immer noch frei. Ein Wort von dir reicht, und ich setzte mich dafür ein, dass du sie bekommst. Du kannst sofort anfangen.«

Eva stieß einen Seufzer aus. »Du weißt, dass das nicht geht. Ich habe einen Vertrag mit der Reederei. Und ganz so uninteressant ist der Job nun auch nicht.« Sie zwang sich zu einem Lächeln. »Wenn du mal Urlaub machen willst, solltest du eine Kreuzfahrt bei uns buchen.«

»Klingt verlockend.« Er grinste.

Eva kam eine Idee. »Nein, mal im Ernst: Unsere nächste Fahrt geht nach Island. Da wolltest du doch schon immer mal hin, wenn ich mich richtig erinnere. Oder warst du in der Zwischenzeit schon dort?«

Lothar schüttelte den Kopf. »Leider nicht. Ich bin in den letzten Jahren nicht viel zum Reisen gekommen. Auch dieses Jahr habe ich noch fast alle Urlaubstage. Du weißt ja, wie es im Krankenhaus zugeht.«

Eva nickte. Leider wusste sie das nur noch in der Theorie.

»Ich muss los.« Er umarmte sie noch einmal und eilte davon. »Ich rufe dich an«, rief er ihr über die Schulter zu.

»Ja«, erwiderte sie, aber das hörte er schon nicht mehr. Und jetzt? Eva beschloss, ihr ursprüngliches Vorhaben in die Tat umzusetzen und ihren Vater in der Reederei zu besuchen.

Das moderne Gebäude mit Glasfront stand in der Nähe des Hafens. Über dem Eingang prangte das Emblem des Unternehmens, drei übereinanderliegende Wellen und die Aufschrift Tychsen – All Seas Cruises.

Eva betrat die Eingangshalle und machte sich auf den Weg zu den Aufzügen.

»Wo wollen Sie denn hin?«, rief eine der beiden Empfangsdamen unfreundlich, als Eva an der Rezeption vorbeiging, ohne sich anzumelden. Eva stöhnte innerlich auf. Offensichtlich war das eine neue Mitarbeiterin, die nicht wusste, wer sie war. Ihre Kollegin mischte sich hastig ein. »Ihr Vater ist in seinem Büro, Frau Dr.Fredriksen.«

Eva nickte ihr zu und ging weiter. Im Weggehen hörte sie, wie die Frau zischte: »Das ist die Tochter des Chefs!«

Evas Lächeln erstarb schlagartig, als der Aufzug kam, die Tür aufging – und ihr ausgerechnet Jasmin Andres gegenüberstand.

Eva grüßte knapp und wich einen Schritt zur Seite, ohne die Frau anzusehen. Sobald die Hotelmanagerin ausgestiegen war, betrat Eva den Aufzug und atmete erleichtert auf, kaum dass die Tür sich lautlos schloss.

Ihr Vater war allein in seinem Büro. Er saß hinter seinem Schreibtisch und sah auf, als Eva eintrat. Sofort breitete sich ein Lächeln auf seinem Gesicht aus. »Wie schön, dass du mich besuchst.«

»Hast du denn Zeit?«

»Für dich habe ich immer Zeit!«

Sie wussten beide, dass das nicht stimmte. Er bestellte Kaffee und gab Anweisung, dass er ansonsten die nächste halbe Stunde nicht gestört werden wollte. Aber bereits nach fünf Minuten kam ein Anruf aus der Niederlassung in Bergen.

»Es tut mir leid«, entschuldigte er sich bei Eva. »Aber das ist wichtig.«

»Natürlich.« Eva trat an das raumhohe Fenster mit dem überwältigenden Blick auf den Hamburger Hafen. Ihre Gedanken allerdings wanderten nach Bergen, in die Vergangenheit. Sie hatte ihren Vater ein paarmal auf Reisen zum Hauptsitz der ehemaligen Foss-Reederei begleitet und sich dort in Adrian Fredriksen verliebt.

Er war als erster Offizier angestellt und hatte seinerzeit maßgeblichen Anteil an den Verkaufsverhandlungen gehabt.

Magnus Foss hasste Adrian dafür, er war der Meinung, dass Adrian ihm dadurch alles genommen hatte. Denn auch wenn er damals noch ein Teenager gewesen war, hatte sein Onkel ihn bereits zu seinem Nachfolger bestimmt.

»Das kommt mir gerade sehr ungelegen!«, rief ihr Vater plötzlich laut und riss Eva aus ihren Gedanken.

Er beendete das Gespräch, und Eva ging zurück zum Schreibtisch. »Es tut mir leid«, entschuldigte sich Clemens erneut und stand auf. »Ich muss sofort nach Bergen.«

Eva ließ sich ihre Enttäuschung nicht anmerken. »Probleme?«

»Es geht um den Bau des neuen Schiffes. Offensichtlich ist meine Anwesenheit dringend erforderlich.«

Natürlich, dachte Eva. »Schade«, sagte sie, und fügte hinzu: »Wir sehen uns viel zu selten, obwohl wir unter einem Dach leben.«

Ihr Vater wirkte sekundenlang betroffen. »Ja«, sagte er schließlich, mehr nicht. Dann packte er seine Aktentasche, verabschiedete sich mit einer kurzen Umarmung und ging.

»Möchtest du eine Tasse Tee?« Fiona Steidl stellte zwei Tassen auf den Küchentisch. Eine schob sie vor Eva.

»Gerne. Danke.« Eva lächelte der Freundin ihres Vaters zu. Sie hatte bisher nie viel von der Frau gehalten und war fest davon überzeugt, dass sie nur wegen seines Vermögens mit Clemens zusammen war. Außerdem waren seine Beziehungen auch für ihre Fernsehkarriere hilfreich. Jetzt allerdings war Eva froh, als Fiona sich ebenfalls setzte. »Und ich bin froh, dass du da bist«, sagte sie ehrlich. »Ich glaube, ich hätte es allein heute Abend nicht ausgehalten.«

Fiona schwieg und rührte Zucker in ihren Tee. »Ich weiß genau, was du über mich denkst«, sagte sie plötzlich.

Eva versuchte gar nicht erst, etwas abzustreiten.

»Eva, ich liebe deinen Vater wirklich«, sagte Fiona leise und suchte ihren Blick. »Am Anfang, das gebe ich zu, war es ziemlich genau so, wie du vermutest. Ich fand es angenehm, dass er viel Geld und gute Beziehungen zu den Leuten hat, die mich voranbringen.« Ihre Miene wirkte plötzlich gedankenverloren. »Aber dann habe ich den Menschen Clemens Tychsen kennengelernt. Ich mag seinen Humor, seine direkte Art. Seine Fürsorge für die Menschen, die er liebt.« Fiona nahm kurz Evas Hand. »Vor allem dich liebt er sehr.« Sie lächelte. »Und er hat sich, was mich betraf, keine Illusionen gemacht. Trotzdem war er immer für mich da. Er hat mich aufgefangen, wenn es mir nicht gutging. Er hat mich getröstet, wenn ich schlechte Kritiken bekam. Wir mögen die gleichen Bücher, Filme, den gleichen Wein und reisen beide gerne. Weißt du was …« Fiona lachte. »Ich war selbst überrascht, als ich irgendwann bemerkte, dass ich deinen Vater liebe. Alles andere tritt dahinter zurück.«

Schweigen breitete sich im Raum aus. Draußen dämmerte es bereits. Alles wirkte plötzlich anders, unwirklich fremd und vertraut zugleich.

»Danke für deine offenen Worte«, sagte Eva ehrlich. »Ich bedaure gerade, dass ich mir nie die Mühe gemacht habe, dich richtig kennenzulernen.«

»Das macht nichts. Dazu haben wir noch genug Gelegenheit«, erwiderte Fiona behutsam. Sie leerte ihre Tasse, dann erhob sie sich. »Kann ich dich allein lassen?«

»Ja.« Eva bemühte sich um ein Lächeln. »Danke, Fiona.«

Fiona lächelte zurück. »Ich hab noch was. Hier ist ein Brief für dich angekommen.« Sie zog den verschlossenen Umschlag aus ihrer Handtasche.

Eva erkannte Adrians Handschrift sofort. Der Brief kam aus Svolvær.

Fiona bedachte sie mit einem langen Blick. »Ich bin da, wenn du mich brauchst«, sagte sie und verließ die Küche.

In diesem Moment gab es für Eva nur noch diesen Brief, der all ihre Hoffnungen ins Unermessliche steigen ließ. Sie drückte ihn fest an ihr Herz, dann eilte sie nach oben in ihr Zimmer und setzte sich aufs Bett. Hoffnungsvoll öffnete sie den Umschlag.

Kapitel 2

»Ja, ich will«, sagte die Frau in dem weißen Hochzeitskleid.

Der Mann schaute ihr tief in die Augen. »Ja, ich will«, erwiderte er mit fester Stimme und streifte ihr den goldenen Ring über den Finger. Als er sie in die Arme nahm, ertönte leise Musik. Der Abspann des Films begann.

Zutiefst ergriffen seufzte Leonie auf. »Genau so möchte ich einmal heiraten«, entfuhr es ihr.

Ben, der neben ihr auf dem Sofa saß, nahm den Arm von ihren Schultern und schaltete den Fernseher aus. Ihre Worte kommentierte er nicht.

Leonie, die den Abend sehr genossen hatte, fühlte sich mit einem Mal unbehaglich. Glaubte er etwa, dass sie einen Heiratsantrag von ihm erwartete? »Bitte versteh das nicht falsch«, sagte sie. »Ich will nicht, dass du mich heiratest.«

»Das willst du nicht?« Seiner Miene war nicht zu entnehmen, was er dachte.

Du lieber Himmel! Natürlich wollte sie mit ihm zusammen sein, ihn irgendwann auch heiraten. Aber sie kannten sich noch nicht lange. Inzwischen war sie sogar froh, dass Malte sich damals eine Woche vor der geplanten Hochzeit von ihr getrennt hatte. Genau dadurch hatte sie Ben kennengelernt.

»Doch, ich will …« Ihre Antwort klang, als hätte er ihr gerade einen Antrag gemacht. »Nein, eigentlich nicht …«, korrigierte sie. »Ich meine … also, was ich sagen will …« Leonie brach ab, fühlte sich hilflos. Egal, was sie sagte, es wurde nur schlimmer. Sie atmete tief durch. »Der Film war sehr schön«, sagte sie schließlich. »Und ich hätte nicht gedacht, dass eine Hochzeit im herbstlichen Island so märchenhaft und romantisch sein kann.« Sie atmete tief durch. »Genau das war es, was ich dir sagen wollte.«

Ben grinste. »Bei mir ist hängengeblieben, dass du mich nicht heiraten willst.«

Leonie hob abwehrend die Hände. »Nein, nein, nein, das habe ich so nicht gesagt. Nur eben jetzt nicht.«

»Du bist dir also nicht sicher?« Er schaute sie an, scheinbar ernst, doch in seinen Augen lag ein belustigtes Funkeln.

»Ich bin mir sogar sehr sicher. Nur im Moment …« Wieder brach sie ab, weil in diesem Moment sein Handy klingelte und sie einer Antwort enthob. Offensichtlich war die Reederei am Apparat, doch Leonies Gedanken wanderten zu dem Moment im vergangenen Sommer, in dem sie die SMS von Malte geöffnet hatte. Sie hatte sie von ihrem Handy gelöscht, doch Leonie kannte jedes Wort auswendig: Es tut mir leid, aber ich kann dich nicht heiraten. Ich habe mich in eine andere verliebt.

Nein, der Schmerz über die geplatzte Hochzeit tat schon lange nicht mehr weh. Er war bereits auf der MS Kristiana verflogen, auf ihrer Fahrt durch die norwegischen Fjorde, in der Luxuskabine, die sie und Malte eigentlich für ihre Hochzeitsreise gebucht hatten.

Und dann lernte sie Ben kennen. Er war der Erste Offizier an Bord, und sie wusste, dass sie ihr Leben mit ihm teilen wollte. Jedenfalls den Teil seines Lebens, den er an Land verbrachte.

Ursprünglich hatte sie geplant, zu ihm nach Hamburg zu ziehen. Es war Ben gewesen, der sie überzeugt hatte, in Düsseldorf zu bleiben. Hier hatte sie ihren Arbeitsplatz in einem Reisebüro, hier lebten ihre Freunde und ihre Schwester nach dem Tod ihrer Eltern vor ein paar Jahren.

»Hier hast du die Menschen, die dir wichtig sind, um dich herum«, hatte Ben gesagt. »Ich möchte nicht, dass du allein in Hamburg sitzt und nur darauf wartest, dass ich nach Hause komme. Mir macht es nichts aus, zwischen meinen Seereisen nach Düsseldorf zu fahren.« Bens Eltern lebten seit vielen Jahren auf Mallorca. Sein Bruder Max hingegen wohnte zusammen mit seiner Familie in Langenfeld, nur wenige Kilometer von Düsseldorf entfernt. Ein Grund mehr für Ben, seine Zeit an Land in Düsseldorf zu verbringen.

Bens Umarmung riss sie aus ihren Gedanken. Leonie hatte nicht mitbekommen, dass er das Telefonat beendet hatte. »Ich muss nach Hamburg«, sagte er leise. »Spätestens am Wochenende bin ich zurück.«

»Ja.« Mehr brachte Leonie nicht hervor. Sie bemühte sich um ein Lächeln, wollte ihm nicht zeigen, dass der schnelle Abschied sie bedrückte. Wenn sie an der Seite eines Seemannes leben wollte, musste sie sich mit kurzen und langen zeitweiligen Trennungen abfinden. Sie liebte Ben so sehr, dass sie dazu bereit war.

»Aber so ganz bereit dann offenbar doch nicht?« Mahnend schaute Iris sie an. »Ich glaube nicht, dass das Leben an der Seite eines Seemannes so einfach ist. Du solltest dir das gut überlegen. Du musst …« Sie brach ab, als Leonie sie wütend anschaute. »Schon gut, du musst selbst wissen, was du tust, Schwesterherz.«

»Ja, genau.« Leonie wusste, wie schwer es für ihre Schwester war, genau das zu akzeptieren. Immer wieder fiel Iris in alte Gewohnheiten zurück. Sie hatte sich schon immer ständig in Leonies Leben eingemischt, weshalb Leonie den Kontakt zu ihr so weit wie möglich gemieden hatte. Selbst über die geplatzte Hochzeit informierte sie Iris erst in letzter Sekunde, stellte ihr Handy aus und war für Iris nicht mehr erreichbar. Das war der Höhepunkt des Konflikts zwischen ihnen gewesen. Erst als Iris ihr nachreiste und sie in Trondheim auf der MS Kristiana überraschte, kam es zur Aussprache. Seither hatte sich ihr Verhältnis zueinander spürbar verbessert, und sie trafen sich regelmäßig.

Heute waren sie zum Essen bei ihrem Lieblingsgriechen verabredet.

»Ich freue mich jedenfalls, dass du mich angerufen hast«, sagte Iris nach einer Weile des Schweigens. »Normalerweise ist doch Kerstin deine erste Ansprechpartnerin.«

Das stimmte. Normalerweise war es ihre beste Freundin, der Leonie sich zuerst anvertraute. »Kerstin ist in München bei ihrer Mutter«, erklärte sie.

»Verstehe!« Iris beugte sich tief über den Salat, den sie als Vorspeise bestellt hatte. Die Worte »ich bin also nur die zweite Wahl« lagen in der Luft.

Leonie legte ihr Besteck beiseite. »Ja? Wirklich?«

Iris hob den Kopf, begann plötzlich zu lachen. »Es tut mir leid«, entschuldigte sie sich. »Natürlich verstehe ich, dass du lieber mit deiner Freundin als ausgerechnet mit deiner Schwester reden willst. Zumal ich mich in der Vergangenheit einfach zu oft eingemischt habe. Ich versuche ja, mich zu ändern, manchmal gelingt mir das, aber leider nicht immer. Ich arbeite dran, versprochen.«

»Das habe ich nicht gemeint. Ich habe mich nicht mit dir verabredet, weil Kerstin nicht da ist, sondern weil ich dich sehen wollte«, sagte Leonie lächelnd. »Na gut«, schränkte sie gleich darauf ein, »und weil Ben nicht da ist. Ich fühle mich ohne ihn ein bisschen einsam.«

»Du wirst dich mit einem Mann, der zur See fährt, öfter einsam fühlen«, kam Iris auf den Ausgangspunkt ihrer Unterhaltung zurück.

»Nein … Ja …« Leonie sammelte ihre Gedanken. »Ich weiß natürlich, dass er immer wieder wochenlang unterwegs sein wird. Aber er wollte bis zur nächsten Reise bei mir bleiben, und jetzt ist er doch weggefahren. Und ich weiß nicht genau, wann er wiederkommt.« Ihre Stimme wurde leise, als sie mit den Worten schloss: »Oder ob er überhaupt je zu mir zurückkommt.«

Iris starrte sie an. »Du spinnst!«, rief sie entrüstet.

»Ja, vielleicht.« Leonie stocherte lustlos in ihrem eigenen Salat herum. »Aber ich mache mir eben so meine Gedanken.«

»Völlig umsonst! Ben ist nicht wie Malte. Er schickt dir keine SMS, um mit dir Schluss zu machen …« Iris brach ab, starrte an Leonie vorbei. »Wenn man vom Teufel spricht«, raunte sie. »Dreh dich nicht um.«

Die Aufforderung führte dazu, dass Leonie wie von selbst den Kopf wandte und direkt in Maltes Gesicht schaute.

»Ich hab dir gesagt, dass du dich nicht umdrehen sollst«, zischte Iris.

Malte begann zu strahlen und kam zu ihnen an den Tisch. »Hallo, Leonie.« Das Lächeln schwand, als er zu Iris blickte. »Iris!« Er nickte knapp, dann wandte er sich wieder Leonie zu. »Wie geht es dir?«

»Danke, gut«, sagte sie. »Und dir?« Sie bereute die Frage, kaum dass sie sie ausgesprochen hatte.

Seine Miene nahm einen leidenden Ausdruck an. »Du fehlst mir«, sagte er leise.

Iris stieß einen schnaubenden Laut aus, den er geflissentlich ignorierte.

»Mir ist klar geworden, dass ich einen großen Fehler gemacht habe. Ich hätte mich nie von dir trennen dürfen!«

»Zu spät!« Iris wedelte mit der Hand, als wolle sie ihn verscheuchen. »Wenn du uns dann bitte in Ruhe essen lassen würdest.«

Malte aber sah nur Leonie an. »Darf ich dich in den nächsten Tagen mal zu einem Kaffee einladen? Wir könnten ein wenig über alte Zeiten plaudern …«

»Über unerfreuliche Erinnerungen meinst du wohl«, fiel Iris ihm spöttisch ins Wort. »Ich glaube kaum, dass Leonie dazu Lust hat.«

Diesmal sah Malte ihr direkt ins Gesicht. »Du hast dich kein bisschen verändert. Wieso begreifst du eigentlich nicht, dass Leonie alt genug ist, ihre eigenen Entscheidungen zu treffen?«

»Und wieso begreifst du nicht, dass es in Leonies Leben längst einen anderen Mann gibt?«

Für den Bruchteil einer Sekunde wirkte Malte verunsichert. »Warum lässt du das zu?«, sagte er vorwurfsvoll zu Leonie. »Vielleicht wären wir inzwischen verheiratet, wenn sie sich nicht immer eingemischt hätte.«

Er hat sich wirklich kein bisschen geändert, dachte Leonie und lehnte sich zurück. »Irgendwie bringst du da etwas durcheinander. Iris hatte überhaupt nichts mit unserer Trennung zu tun. Du hattest dich neu in deine Ex verliebt …«

»… die inzwischen Geschichte ist.«

Leonie fuhr unbeeindruckt fort: »Und das war gut so, sonst hätte ich Ben nie kennengelernt.«

»Doch, aber dann hättest du Ben auf deiner Hochzeitsreise getroffen!« Iris grinste. »Und du wärst es gewesen, die Malte verlassen hätte. Ich hätte mich jedenfalls darüber gefreut.«

Malte schnappte empört nach Luft, aber offenbar fiel ihm keine passende Antwort ein. »Glaubst du, dass du mir je verzeihen kannst?«, wollte er von Leonie wissen. Dem Blick, mit dem er sie jetzt anschaute, hatte sie früher nie widerstehen können. Heute berührte er sie nicht mehr.

»Ich habe dir längst verziehen.«

Malte strahlte.

»Trotzdem will ich keinen Kontakt mehr mit dir haben.«

Maltes Lächeln erlosch.

»Leb wohl, Malte.«

Abrupt wandte er sich um und ging zur Tür.

»Ich habe fast ein wenig Mitleid mit ihm«, behauptete Iris grinsend.

»Ich glaube dir kein Wort«, erwiderte Leonie trocken, worauf sie beide in lautes Lachen ausbrachen.

Iris zuckte die Schultern. »Oje, jetzt denkt er vermutlich, dass wir über ihn lachen. Der Arme …«

»Dieses geheuchelte Mitleid steht dir nicht.« Leonie widerstand der Versuchung, sich nach Malte umzudrehen. Denn er tat ihr wirklich ein bisschen leid. Immerhin hatte sie diesen Mann einmal geliebt, und im Grunde seines Herzens war er nicht ganz so übel, wie Iris ihn sehen wollte. Nun gut, ein kleines bisschen vielleicht. Also, die Sache mit der Trennung kurz vor der Hochzeit war schon ziemlich schlimm gewesen. Und dass er es ihr lediglich per SMS mitgeteilt hatte, war niederträchtig gewesen. Die Unsicherheit, dass ihr so etwas wieder passieren konnte, begleitete sie bis heute.

»Mistkerl!«, stieß sie hervor.

»Genau«, stimmte Iris ihr zu, dann brachen sie erneut in lautes Lachen aus.

»Ben ruft nicht an«, klagte Leonie zwei Tage später. »Ich habe nur eine knappe Nachricht bekommen, dass es ihm gutgeht und er sich bald meldet.«

Krakenhaft hielt sie das durch Malte verursachte Trauma umfangen, saugte sich an ihr fest und ließ sie nicht los. Dass Iris ihre Sorge nicht teilte, nicht einmal zu verstehen schien, machte es für Leonie nicht besser.

»Ben ist nicht Malte!« Iris klang ungeduldig. »Er wird sich melden.«

»Ja … Wahrscheinlich …«

»Nicht wahrscheinlich, sondern bestimmt!«, sagte Iris energisch und beendete unmittelbar darauf das Gespräch.

Leonie stieß einen tiefen Seufzer aus und versuchte telefonisch bei Kerstin ihr Glück. Ihre beste Freundin war gerade nach Hause zurückgekehrt. Vielleicht war sie deshalb noch gestresst, jedenfalls brachte sie für Leonies Sorgen auch kein Verständnis auf.

»Mach dir nicht so viele Gedanken«, sagte sie unbekümmert. »Ben meldet sich bestimmt bei dir.«

»Hast du dich mit Iris abgesprochen?«, fragte Leonie verstimmt.

Kerstin lachte. »Ich habe Iris seit Wochen nicht gesehen.«

»Ich würde ja gerne glauben, dass ihr recht habt. Aber warum versteht ihr beide nicht, dass ich Angst habe, Ben zu verlieren!«, klagte Leonie.

»Ich verstehe dich sehr gut«, sagte Kerstin ruhig. »Aber …«

»… aber Ben ist nicht Malte«, unterbrach Leonie sie. »Genau das muss ich mir schon ständig von Iris anhören. Aber du weißt doch, was an dem Abend vor Bens Abreise passiert ist.« Sie hatte Kerstin gleich am nächsten Tag von dieser peinlichen Situation rund um den isländischen Liebesfilm erzählt, und es hatte Leonie sehr empört, dass Kerstin darüber gelacht hatte. Auch jetzt klang die Stimme ihrer Freundin unangemessen amüsiert, als sie sagte: »Du brauchst dringend Ablenkung. Was hältst du davon, wenn wir uns heute Abend treffen. Dann können wir in aller Ruhe reden.«

»Ja, gerne. Beim Griechen?«

Wieder zögerte Kerstin. »Wir können doch auch mal etwas anderes ausprobieren. Ich hab da so eine Idee.«

Leonie war wenig begeistert. Es ging ihr gerade nicht darum, ein neues Restaurant und neue Gerichte kennenzulernen, sie brauchte nur jemanden, der ihr zuhörte. »Aber da sitzen wir doch gemütlich. Und es kann nicht jeder hören, worüber wir reden.«

»Vertrau mir einfach«, bat Kerstin. »Ich habe das perfekte Restaurant für uns.«

»Ja, aber …«

»Tut mir leid, aber ich muss jetzt Schluss machen. Ich hole dich um sieben ab«, sagte Kerstin hastig und beendete ohne eine weitere Erklärung das Gespräch. Fassungslos starrte Leonie auf das Smartphone in ihrer Hand.

»Stimmt etwas nicht?«, fragte Ute. Die Kollegin saß am Schreibtisch nebenan und musterte sie interessiert.

»Irgendwie stimmt im Moment überhaupt nichts«, stieß Leonie bitter hervor. Sie atmete tief durch. »Gehen wir heute Mittag zusammen …«

»Ich kann nicht«, sagte Ute hastig, bevor Leonie ihren Satz zu Ende gebracht hatte. »Ich treffe mich mit …« Sie zögerte und vermittelte Leonie damit das Gefühl, nur nach einer Ausrede zu suchen. »… mit meiner Mutter«, schloss sie. Ein verlegenes Lächeln umspielte ihre Lippen.

Für Leonie ein weiteres Zeichen dafür, dass die Kollegin log. »Dann eben nicht«, murmelte sie und konzentrierte sich auf ihren Monitor.

Unbehagliche Stille breitete sich aus, bis ein Kunde das Reisebüro betrat. Er wollte dem Herbst entfliehen und irgendwohin, wo die Sonne schien und er im Meer schwimmen konnte.

Leonie suchte nach entsprechenden Angeboten, recherchierte im Internet und telefonierte mit Reiseveranstaltern. Trotzdem verließ der Mann nach einer Stunde das Reisebüro ohne Buchung.

»Ich muss eine Nacht darüber schlafen«, sagte er. »Ich melde mich.«

»Ich melde mich!«, stieß Leonie hervor. »Das heißt mit anderen Worten: Wir sehen ihn nie wieder.« Sie wandte sich an Ute. »Hast du heute eine Reise verkauft?«

Ute nickte stolz. »Herr Retkowski hat zwei Wochen Karibik gebucht.«

Uwe Retkowski war Stammkunde. Ute hatte am Morgen eine Auswahl attraktiver Urlaubsorte für ihn herausgesucht – erfolgreich, denn der alte Herr hatte sofort für sich und seine Frau gebucht.

Ute erhob sich und griff nach ihrer Handtasche. »Ich bin dann mal weg.« Sie räusperte sich. »Es könnte sein, dass ich meine Mittagspause ein wenig überziehe.«

Leonie nickte und sah ihrer Kollegin nach, bis die gläserne Eingangstür hinter ihr ins Schloss gefallen war. »Lasst mich doch alle allein«, murmelte sie. Sie fühlte sich einsam, sehnte sich schmerzlich nach Ben. Ihr Blick blieb ausgerechnet an einem riesigen Pappaufsteller der MS Kristiana im Schaufenster hängen. Darüber hing eine kitschgelbe Sonne, ebenfalls aus Pappe, blaue Folie symbolisierte das Meer.

Leonie stand auf und betrachtete das Modell zum ersten Mal genauer. Angeblich war alles maßstabsgetreu. Da vorn, das war ihre Kabine gewesen. Wehmütig schob sie ihren Zeigefinger durch die ausgestanzte Balkontür … und der gesamte Pappaufsteller kippte um. »Mist!«, fluchte sie laut.

Sie versuchte, das Schiff wieder aufzurichten, aber es kippte prompt zur anderen Seite.

»Verdammtes Teil!« Leonie schlug entnervt mit der Faust dagegen. Sogleich durchzog ein hässlicher Riss den Schiffsrumpf, ausgehend von Deck 9, dem Deck der Offiziere. Ausgerechnet.

Leonie erschrak. War das ein schlechtes Omen? »Nein«, sagte sie laut. »Das ist nur ein dämliches Pappteil. Das hat nichts mit mir und Ben zu tun.«

Sie versuchte, den Aufsteller mit Klebeband zu reparieren, doch jetzt war er so instabil, dass er immer wieder umkippte.

Vor dem Schaufenster hatte sich inzwischen eine Gruppe von Jugendlichen versammelt, die ihr lachend zuschauten. Ihre Kommentare konnte Leonie durch die Scheibe nicht verstehen, und das war auch gut so. Ihre Laune hatte inzwischen einen absoluten Tiefpunkt erreicht.

Dann brach plötzlich der obere Kabinenteil ab, und dieses Mal drang das Johlen der Jugendlichen sogar durch die dicke Glasscheibe.

Leonie benötigte zwei Rollen durchsichtiges Klebeband, bis sie die MS Kristiana zumindest notdürftig geflickt hatte. Das Ergebnis war nicht sehr ansehnlich. Sie war gerade fertig, als Ute aus der Mittagspause zurückkehrte.

Und noch während die Kollegin die Tür öffnete und mit ihr ein kalter Luftzug hineinwehte, kippte das Schiff in Zeitlupe um und verlor ein Stück des Bugwulstes.

»Jetzt klebe ich das verdammte Ding nicht mehr!«, rief Leonie erbost.

»Warum auch?« Ute schaute sie erstaunt an. »Im Lager haben wir noch mindestens drei von den Dingern.«

Leonie ließ sich auf ihren Schreibtischstuhl fallen. »Das darf doch wohl nicht wahr sein! Ich habe meine ganze Mittagspause mit diesem blöden Teil vertrödelt.«

Leonie warf noch einen Blick in den Spiegel, bevor sie die Wohnung verließ. Sie hatte sich umgezogen, auch wenn sie nicht wusste, welches Restaurant Kerstin für den Abend ausgesucht hatte. Ihre Wahl war auf das weiße Kleid gefallen, das sie auch auf der MS Kristiana manchmal getragen hatte. Darin fühlte sie sich nicht overdressed, und es passte sehr gut zu ihren roten Locken. Die Erinnerungen führten sie zurück zu ihrer ersten Begegnung mit Ben. Sie schmunzelte bei dem Gedanken daran, dass sie ihn damals für einen Kellner im Schiffsrestaurant gehalten hatte.

Ben, immer wieder Ben. Sie konnte nicht aufhören, an ihn zu denken. Nicht zuletzt, weil er sich überhaupt nicht meldete. Deshalb gelang es ihr auch nicht, sich auf den Abend zu freuen. Wenn Kerstin sie wenigstens in ihr Lieblingsrestaurant begleitet hätte. Wieso wollte sie ausgerechnet heute etwas Neues ausprobieren?

Als Leonie das Haus verließ, stand Kerstin bereits wartend neben ihrem orangefarbenen kleinen Wagen, auf dem scheinbar planlos unzählige bunte Punkte aufgebracht waren. Dabei gab es durchaus ein System für die Verzierung von Kerstins heißgeliebtem Oskar: Jeder neue Rostfleck wurde mit einem Punkt überklebt.

Leonie hatte den Eindruck, dass seit ihrer letzten gemeinsamen Fahrt einige neue Punkte dazugekommen waren. »Dass diese Kiste immer noch fährt«, sagte sie grinsend.