MS Kristiana - Sommerliebe am Fjord - Greta Jänicke - E-Book
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MS Kristiana - Sommerliebe am Fjord E-Book

Greta Jänicke

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Beschreibung

Schweren Herzens nimmt Adrian seinen Abschied als Kapitän eines Forschungsschiffes. Dabei hat ihm die Arktis-Expedition den erhofften Abstand zu seiner Frau Eva gebracht. Ein Coup seines Schwiegervaters - eines reichen Reeders - sorgt dafür, dass Adrian das neue Kreuzfahrtschiff mit Hybridmotor übernimmt. Doch Eva ist als Schiffsärztin ebenfalls an Bord. Abgesehen von dieser Herausforderung wird der neue Kapitän in die Lebens- und Liebesgeschichten seiner Crew und der Passagiere verwickelt ...

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Seitenzahl: 387

Veröffentlichungsjahr: 2021

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Inhalt

CoverÜber dieses BuchÜber die AutorinTitelImpressumPrologKapitel 1Kapitel 2Kapitel 3Kapitel 4Kapitel 5Kapitel 6Kapitel 7Kapitel 8Kapitel 9Kapitel 10Kapitel 11Kapitel 12Kapitel 13Kapitel 14Kapitel 15Kapitel 16Kapitel 17Kapitel 18Kapitel 19Kapitel 20Kapitel 21Kapitel 22Kapitel 23Kapitel 24Kapitel 25Kapitel 26Kapitel 27Kapitel 28EpilogDanke

Über dieses Buch

Band 1 der Reihe »Auf Fahrt mit der MS Kristiana«

Salzige Meeresluft, Möwenschreie, ein strahlend blauer Himmel: Aufbruchstimmung auf der MS Kristiana, die Kurs nach Norwegen nimmt. Adrian, der Kapitän des neuen umweltfreundlichen Kreuzfahrtschiffes, tritt die Reise mit gemischten Gefühlen an. Er ist gerade von einer Arktis-Expedition zurück, die ihm Abstand zu seiner Frau Eva bringen sollte. Nun ist sie überraschenderweise als Schiffsärztin mit an Bord. Sie möchte Adrian zurückgewinnen, aber sie ist nicht die Einzige, der etwas an Adrian liegt …

Auf dem Schiff befinden sich außerdem eine Braut ohne Bräutigam, eine Kinderbetreuerin in der Zwickmühle und zwei blinde Passagiere.

Erster Band einer mitreißenden Romanreihe um ein Schiff, seine Crew und Passagiere

Dieses Buch lädt Sie ein auf eine wunderschöne Reise!

Über die Autorin

Greta Jänicke lebt mit ihrer Familie und dem neurotischen Kater Klaus-Peter am Niederrhein. Sie arbeitet im Vogelschutz und setzt sich aktiv für Tierrechte ein. Mit den Romanen über das Kreuzfahrtschiff MS Kristiana widmet sie sich einem Herzensprojekt. Die Jungfernfahrt führt die Leser ins wunderschöne Norwegen. Greta Jänicke ist Mitglied bei DELIA, der Vereinigung deutschsprachiger Liebesroman-Autoren und -Autorinnen.

Greta

Jänicke

Vollständige eBook-Ausgabe

des in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes

Dieser Titel ist auch als Hörbuch erschienen

Originalausgabe

Copyright © 2021 by Bastei Lübbe AG, Köln

Textredaktion: Marion Labonte, Labontext

Umschlaggestaltung: Guter Punkt, München unter Verwendung von Illustrationen von © Adobestock: Andrey Armyagov; © GettyImages: Nikolaichuk

eBook-Produktion: Dörlemann Satz, Lemförde

ISBN 978-3-7325-9489-4

www.luebbe.de

www.lesejury.de

Prolog

Nachdenklich strich Adrian über die Reling. Sein letzter Abend auf dem Forschungsschiff FS Syreni. Das letzte gemeinsame Essen mit der Crew und dem wissenschaftlichen Team. Das letzte Glas Lonkero mit Peetu. Der finnische Meeresbiologe mit dem skurrilen Humor war in den vergangenen Jahren zu einem seiner besten Freunde geworden.

In diesem Moment trat er neben ihn. »Du weißt, wie dankbar wir dir alle sind?«, fragte er ungewöhnlich ernst. »Ohne dich müssten wir die Forschungen Ende des Monats abbrechen. Jetzt, wo das Institut sie aus eigenen Mitteln nicht mehr finanzieren kann.«

Adrian lachte bitter auf. »Dafür müsst ihr euch bei meinem Schwiegervater bedanken.«

»Ja, ihm sind wir natürlich auch dankbar, dass er die Finanzierung für zwei weitere Jahre übernimmt«, versicherte Peetu.

Adrian nickte knapp. Seit vier Jahren war er Kapitän dieses Forschungsschiffes. Mindestens zwei Jahre lang wollten sie noch neue Erkenntnisse zum Klimawandel gewinnen, doch vor ein paar Wochen kam die Nachricht, dass ihre Expedition aus finanziellen Gründen beendet werden müsse.

Adrian hatte sich mit seinem Schwiegervater, einem wohlhabenden Reeder, in Verbindung gesetzt. Clemens Tychsen hatte seine Hilfe sofort zugesagt, dabei aber eine Bedingung gestellt: »Ich will, dass du zu uns zurückkommst«, hatte er unmissverständlich klargemacht. »Ich brauche einen fähigen Kapitän für meine Kreuzfahrtflotte. Für die MS Kristiana.«

Adrian hatte zunächst abgelehnt. Zum einen, weil er seine Frau Eva, Clemens’ Tochter, auch nach nunmehr vier Jahren Trennung nicht wiedersehen wollte. Und das würde er, dafür würde Eva schon sorgen. Zum anderen, weil er vor Jahren den Entschluss gefasst hatte, nie wieder als Kapitän eines Kreuzfahrtschiffes anzuheuern, weil diese stark zur Verschmutzung der Weltmeere beitrugen. Eine Entscheidung, die sich in seiner Zeit auf dem Forschungsschiff gefestigt hatte.

Sein Schwiegervater hatte ihn jedoch gebeten, achtundvierzig Stunden über eine endgültige Antwort nachzudenken, und ihn in dieser Zeit mit Informationsmaterial über die MS Kristiana geradezu überschüttet: ein modernes Hybridschiff, das durch seinen elektronischen Antrieb weniger Schadstoffe ausstieß und wegen seiner umweltschonenden und nachhaltigen Technologie neue Maßstäbe in der Schifffahrt setzte. Adrian war nicht überzeugt, aber beeindruckt.

Obwohl alle an Bord angespannt auf seine Entscheidung warteten, drängte ihn niemand. Adrian spürte die Angst seiner Kollegen und Freunde, die Expedition nicht fortführen zu können. Andererseits würden sie ihn als Kapitän vermissen, das machten sie mehr als ein Mal deutlich.

Und so war der Jubel verhalten, als er schließlich bekannt gab, dass er das Schiff verlassen würde. Die Forschungen waren einfach zu wichtig, das gab den Ausschlag.

Zwei Monate waren ihm seitdem geblieben, um sich damit abzufinden. Es war ihm bis heute nicht gelungen, und morgen stand der Abschied endgültig bevor. Mit dem ersten Versorgungshubschrauber würde er das Schiff verlassen.

»Schau mal, was ich zum Abschied für dich bestellt habe«, durchbrach Peetu Adrians Gedanken. Er deutete auf den Himmel.

Nebel hing über dem eiskalten Meer, während vor ihnen der atemberaubende Tanz der Polarlichter begann. Grünblaue Schleier spannten sich über den Himmel, rote Flammen mischten sich in vollkommener Harmonie unter.

Schweigend betrachteten die beiden Männer den Nachthimmel. So oft schon hatte Adrian dieses Naturschauspiel beobachtet, und doch faszinierte es ihn immer wieder aufs Neue. Er spürte, wie er ruhiger wurde.

»Wir Seeleute sind durch das Meer immer miteinander verbunden«, sagte Peetu tröstend und streckte ihm die Hand entgegen. »Freunde für immer?«

Adrian erwiderte den Händedruck des Finnen. »Freunde für immer«, versicherte er.

»Darauf trinken wir einen Lonkero!« Peetu grinste.

Adrian nickte. »Oder auch zwei.« Er schaute noch einmal an den vom Polarlicht verzauberten Himmel, dann folgte er Peetu in den Gemeinschaftsraum.

Kapitel 1

Eine Lichtinstallation tauchte den Hamburger Hafen an diesem Abend in eine türkisblau schimmernde Symphonie. Eine symbolische Verbindung zum Meer, untermalt vom Wellenrauschen aus verborgenen Lautsprechern.

Inzwischen drängten sich mehr als hundert geladene Gäste auf der Landungsbrücke. Applaus brandete auf, als Fiona Steidl eintraf.

Clemens Tychsen hatte die bekannte Moderatorin für diesen Abend engagiert. Sie sollte durch das Programm führen und als Höhepunkt die Schiffstaufe der MS Kristiana vornehmen.

Eva stand ein wenig abseits und beobachtete das Treiben mit zwiespältigen Gefühlen. Sie war sich nicht sicher, ob sie die richtige Entscheidung getroffen hatte. Ihre Nervosität hatte aber noch einen anderen Grund. Heute würde sie Adrian wiedersehen, und sie hatte keine Ahnung, wie das Treffen verlaufen würde.

Dabei hatte sie sich sorgfältig vorbereitet. Sie hatte ihre blonden Haare zu einem kinnlangen Bob schneiden lassen. Und sie hatte lange nach einem Abendkleid gesucht, das zu ihrem hellen, nordischen Typ passte und die Farbe ihrer Augen unterstrich. Ein dunkles Blau in changierender Seide. Ein ähnliches Kleid hatte sie auf dem Ball getragen, auf dem sie Adrian das erste Mal begegnet war.

In diesem Moment legte Clemens Tychsen einen Arm um ihre Schultern, um vor den Gästen und der Presse eine Nähe zu demonstrieren, die es nie zwischen ihnen gegeben hatte. In den vergangenen vier Jahren hatte sich die Distanz sogar noch verstärkt, obwohl Eva mit ihrer Tochter inzwischen in die Villa ihres Vaters nach Blankenese gezogen war.

»Ist sie nicht wunderschön?«, fragte er jetzt begeistert.

»Fiona Steidl?« Eva ließ ihren Blick kritisch über die stark geschminkte Moderatorin in dem goldfarbenen Abendkleid gleiten. Sie hegte den Verdacht, dass ihr Vater dem wachsenden Erfolg Fiona Steidls mit seinen Kontakten kräftig nachgeholfen hatte. Eva war, nicht nur wegen der Berichte in der Boulevardpresse, überzeugt, dass er eine Beziehung mit der vierzig Jahre jüngeren Moderatorin hatte.

Er lachte. »Nein, ich meine natürlich die MS Kristiana.«

»Ja«, erwiderte Eva gleichgültig. Eine andere Sache interessierte sie weitaus mehr: »Weiß Adrian inzwischen, dass ich die Bordärztin bin?«

»Nein!«, war alles, was Clemens dazu sagte, bevor er den Arm von ihren Schultern nahm und jemandem winkte. »Schau, da ist er.«

Evas Herz machte einen Satz. Adrian sah fantastisch aus in der weißen Uniform. Die vier goldenen Streifen neben dem Stern auf der Schulterklappe wiesen ihn als Kapitän eines Schiffes aus. MS Kristiana stand auf der Brusttasche, und direkt darunter sein Name. Adrian Fredriksen. Seit vier Jahren hatte Eva ihn nicht mehr gesehen, die einzige Verbindung zwischen ihnen war ihre gemeinsame sechzehnjährige Tochter Fenja. Er sah genauso aus, wie sie ihn in Erinnerung hatte, auch wenn sein immer noch dunkles Haar von wenigen grauen Strähnen durchsetzt war, ebenso wie der sorgfältig gestutzte Bart.

Adrian schritt mit unbewegter Miene heran. »Eva.« Er nickte knapp zum Gruß. »Du siehst gut aus.«

»Danke, du auch.« Mehr brachte Eva nicht hervor. Schon gar nicht in Gegenwart ihres Vaters.

»Wie gefällt dir dein neues Schiff?« Mit einer ausladenden Armbewegung wies Clemens auf die Kristiana. »Mit moderner Technologie ausgestattet, halten wir die strengsten Umweltstandards der International Maritime Organization ein.«

Adrian zog die Augenbrauen leicht in die Höhe. »Wir wissen beide, dass ich nur aus einem Grund angeheuert habe.«

Clemens klopfte ihm väterlich auf die Schulter. »Du wirst mir eines Tages dankbar sein«, prophezeite er jovial. »Und jetzt entschuldigt mich bitte, ich muss noch andere Gäste begrüßen. Ich bin sicher, ihr habt euch eine Menge zu erzählen.«

Eva wartete, bis ihr Vater außer Hörweite war. »Und? Hast du mir eine Menge zu erzählen?«, fragte sie herausfordernd, um den Wust an Gefühlen zu überspielen, der bei seinem Anblick in ihr tobte.

Er wich ihrem Blick nicht aus. »Nein.« Es klang grob und unerbittlich.

Hatte sie wirklich mit einer anderen Antwort gerechnet? Ihre Auseinandersetzung war hart und unerfreulich gewesen, bevor er sie schließlich verließ.

»Aber ich habe eine Mitteilung für dich.« Obwohl alles in ihr nach seiner Liebe schrie, brachte sie ein kühles Lächeln zustande. »Wir werden uns in nächster Zeit öfter sehen. Ich bin die Ärztin an Bord der MS Kristiana.«

Sie erkannte an seinem Blick, dass ihm die Nachricht nicht gefiel. Und es war so typisch für ihn, dass er sie nicht kommentierte. »Was ist mit Fenja?«, wollte er lediglich wissen.

»Sie bleibt bei meinem Vater. Sie hat dir doch sicher erzählt, dass wir bereits seit einem Jahr bei ihm wohnen.«

Zu ihrer Überraschung schüttelte er den Kopf. »Nein, ich hatte keine Ahnung! Und es gefällt mir nicht, dass sie allein bei Clemens bleibt.«

»Dich stört doch vor allem, dass du mir demnächst nicht mehr aus dem Weg gehen kannst«, stieß Eva wütend hervor.

Bevor Adrian reagieren konnte, ertönte ein freudiger Aufschrei, und Fenja stürmte auf ihn zu und umarmte ihn stürmisch. »Paps!«

Adrian hielt seine Tochter sichtlich berührt in den Armen. Dann schob er sie ein Stück von sich und betrachtete sie von Kopf bis Fuß. Sie sah wirklich sehr hübsch aus in ihrem kurzen Sommerkleid und den blonden Haaren, die sie zu einem französischen Zopf gebunden hatte. »Du bist erwachsen geworden«, stellte er fest.

»Wir haben uns ja auch zwei Jahre nicht gesehen. Ich war gerade mal vierzehn, als wir uns das letzte Mal in Bergen getroffen haben.« Das Mädchen warf sich wieder in seine Arme. »Endlich bist du da.«

Eva beobachtete die Szene mit einem bitteren Gefühl. Es tat weh, dass Adrian bei der Begegnung mit ihr selbst nicht die geringste Regung gezeigt hatte. Und womit hatte er diese überschwängliche Begrüßung durch Fenja verdient? Er war damals einfach verschwunden, hatte nicht nur sie, sondern auch seine Tochter im Stich gelassen. Trotzdem hing Fenja mit unerschütterlicher Liebe an ihrem Vater, und sie machte keinen Hehl daraus, dass sie ihrer Mutter die Schuld an der Trennung gab.

Es war ja meine Schuld, gestand Eva sich ein, auch wenn Fenja die Details, die dazu geführt hatten, nicht kannte. Nicht einmal Adrian kannte die ganze Wahrheit! Er darf sie auch nie erfahren, dachte Eva verzweifelt. Sie liebte Adrian immer noch, und sie wollte ihn zurück – ihre ganze Hoffnung konzentrierte sich auf die gemeinsame Zeit, die vor ihnen lag.

Auch wenn sie nie darüber gesprochen hatte, wusste Eva, dass sich ihre Wünsche mit denen ihres Vaters deckten: Eva wollte ihren Mann zurück, Clemens seinen Schwiegersohn und Kapitän. Er hatte Adrian immer geschätzt. Er hatte den Grund für ihre Trennung nie erfahren, aber Eva wusste, dass es ihren Vater sehr getroffen hatte, als Adrian in der Tychsen-Reederei abgeheuert hatte.

»Paps, zeigst du mir dein Schiff?«, bat Fenja.

Adrian versuchte ein Lächeln, doch es geriet ein wenig schief. »Das Schiff gehört deinem Opa. Aber ich zeige es dir natürlich gerne.«

Weder er noch Fenja fragten Eva, ob sie mitkommen wollte. Arm in Arm zogen die beiden ab.

Eva schloss für einen Moment die Augen. Sie hatte Angst gehabt vor diesem ersten Moment, und im Grunde war ihre erste Begegnung nicht so schlimm verlaufen, wie sie es sich in den vergangenen Tagen immer wieder ausgemalt hatte. Jetzt war es ausgestanden, alles andere würde die Zukunft zeigen.

Als sie die Augen wieder öffnete, stand Magnus Foss vor ihr. Ausgerechnet Magnus!

»Ich soll dich holen. Dein Vater will dich während der Taufzeremonie an seiner Seite haben.«

Eva nickte. Sie wollte nicht mit Magnus reden. Sie wollte nichts mehr von ihm wissen, trotzdem musste sie sich damit abfinden, dass er als Kreuzfahrtdirektor ebenfalls an Bord sein würde.

Sie schoben sich durch die Menschenmenge nach vorn zum Kai. »Was ist?«, fuhr sie ihn an, entnervt von seinen Blicken, die sie unentwegt auf sich spürte. Überhaupt machte ihr seine Anwesenheit weitaus mehr zu schaffen, als ihr lieb war.

»Ich weiß nicht, was du meinst.« In seinen Augen lag ein amüsiertes Funkeln. Nach allem, was geschehen war, hatte er sie in der Hand. Umgekehrt galt das genauso. Mit ein paar Sätzen konnte sie seine Karriere zerstören. Aber er war so ehrgeizig, dass er das bestimmt nicht riskierte. Jedenfalls hoffte sie das inständig.

»Eva!« Ihr Vater kam mit ausgestreckten Händen auf sie zu. »Die Familie soll zusammen sein, wenn das Schiff getauft wird. Wo sind Adrian und Fenja?«

»Er zeigt ihr das Schiff.« Evas Stimme war belegt. Nie zuvor hatte sie deutlicher gespürt, dass sie nicht dazugehörte. Adrian und Fenja wollten sie bei der Besichtigung nicht dabeihaben. Und ihr Vater wollte sie während der Taufe nur neben sich haben, weil sich das auf den Pressefotos gut machte. Die eigentliche Schiffstaufe blieb Fiona Steidl vorbehalten.

Selbst der Schiffsname vertiefte ihr Gefühl der Einsamkeit. Ausgerechnet Kristiana! Nach ihrer Schwester. Dabei war die bereits seit Jahren verschollen und lebte wahrscheinlich nicht mehr. Hingegen gab es in der ganzen Flotte ihres Vaters keine MS Eva.

Clemens Tychsen griff nach ihrem Arm. Er lächelte, als die ersten Blitzlichter aufleuchteten, und auch Eva zwang sich zu einem Lächeln.

Ringsum wurde es still, als Fiona das Podest betrat. Magnus reichte ihr eine Schere.

»Hiermit taufe ich dich auf den Namen Kristiana«, rief Fiona ins Mikrofon, ihre Stimme hallte über den gesamten Kai. »Wir wünschen dir allzeit gute Fahrt.«

Sie zerschnitt ein seidenes Band, dann flog eine Champagnerflasche durch die Luft und zerbrach am Bug des Schiffes.

Die Gäste applaudierten, doch die Show war noch nicht vorbei. Ein gigantisches Feuerwerk schoss in den Abendhimmel und ließ bunte Sterne regnen. Die gleißenden Funken rahmten die MS Kristiana ein und tauchten sie in ein geheimnisvolles Licht. Danach strömten alle Gäste aufs Schiff, um die Taufe ausgiebig zu feiern.

Eva blieb nur während des offiziellen Teils an der Seite ihres Vaters. Die Stunden, bis sie sich endlich in ihre Kabine zurückziehen konnte, erschienen ihr endlos. Als Schiffsärztin stand ihr eine der Kabinen auf dem Wohndeck der leitenden Offiziere zu. Es war sicher kein Zufall, dass Adrian gleich nebenan wohnte. Als Eva feststellte, dass es zwischen seinem und ihrem Balkon keine Abtrennung gab, war sie sicher, dass ihr Vater für die Verteilung der Kabinen verantwortlich war.

Müde und aufgedreht zugleich trat sie auf den Balkon und atmete die frische Nachtluft ein. Sie schaute auf die Lichter der Stadt, vernahm die gedämpften Geräusche der Feiernden und überlegte einmal mehr, ob es richtig war, dass sie sich auf dieses Abenteuer eingelassen hatte. Aber für einen Rückzieher war es zu spät. Morgen wurde das Schiff nach Bergen überführt, um von da aus gut zwei Wochen später seine Jungfernfahrt in die Hurtigruten zu starten.

Fenja hatte ein wenig geschmollt, weil sie keine Kabine auf dem Offiziersdeck bekommen hatte, aber immerhin hatte sie ebenso wie ihr Großvater eine der Luxuskabinen bezogen, wenn auch auf einem anderen Deck. Von Bergen aus würde Fenja mit ihr und Clemens wieder zurück nach Hamburg fliegen.

Eva hatte erst gar nicht versucht, ihre Tochter zur Mitfahrt auf der Hurtigruten zu überreden. Sie hatte keine Ahnung, wie sich ihre Begegnungen mit Adrian gestalten würden, aber falls es zu heftig wurde, wollte sie Fenja nicht dabeihaben.

Nebenan wurde ebenfalls die Balkontür geöffnet. Ihr Herz klopfte schneller, als Adrian heraustrat.

Er stutzte, als er sie sah, dann kam er näher. Ein Lächeln umspielte seine Lippen. »Ich hätte mir eigentlich denken müssen, dass uns diese Kabinen zugeteilt werden. Dein Vater scheint wirklich zu glauben, dass …« Er brach ab, runzelte nachdenklich die Stirn, doch dann lächelte er versöhnlich. »Ich habe nachgedacht, Eva. Wir müssen in nächster Zeit miteinander auskommen. Das mit uns ist vorbei, aber ich fände es schön, wenn wir so etwas wie Freundschaft aufbauen könnten. Glaubst du, wir schaffen das?«

Freundschaft war nicht das, was sie sich erhoffte, aber es war weitaus mehr, als sie erwartet hatte. Eva nickte und ergriff seine Hand, die er ihr entgegenstreckte.

»Versuchen wir es«, erwiderte sie leise.

Viel zu schnell ließ er ihre Hand wieder los. »Ich bin froh, dass wir das so schnell geklärt haben.« Er zeigte auf einen Fleck auf seinem Hemd. »Ich wollte nur schnell das Hemd wechseln. Ich muss mich wieder bei den Gästen blicken lassen. Kommst du mit?«

Eva schüttelte den Kopf. »Nein, ich bin müde, ich gehe zu Bett.«

»Gute Nacht, Eva.«

»Gute Nacht, Adrian!«

Die meisten Gäste schliefen noch, als am nächsten Morgen die Vorbereitungen für das Auslaufen des Schiffes aus dem Hafen getroffen wurden.

Eva saß allein an einem der Tische im Bordbistro. Sie nippte an einem heißen Kaffee, als ihr Vater und Adrian den Raum betraten. Ihr Vater war ebenso groß und breitschultrig wie Adrian, doch ihm war die durchfeierte Nacht im Gegensatz zu Adrian deutlich anzusehen. Die beiden diskutierten heftig miteinander, setzten aber ein Lächeln auf, als sie bei ihr am Tisch Platz nahmen.

»Gibt es Probleme?«, fragte Eva besorgt. »Ist etwas mit Fenja?«

Adrian schüttelte den Kopf. »Sie schläft bestimmt noch.«

»Wir haben ein Problem mit der Besatzung.« Clemens verzog ärgerlich den Mund. »Unser Hotelmanager hat uns kurzfristig mitgeteilt, dass er nun doch kein Interesse an dem Job auf der Kristiana hat.«

»Magnus ist weg?« Die Vorstellung weckte unbändige Freude in Eva.

»Natürlich nicht.« Ihr Vater schüttelte den Kopf. »Magnus ist der Kreuzfahrtdirektor. Im Gegensatz zu ihm ist die Hotelmanagerin für die Bereiche zuständig, die …« Er brach ab, als Eva abwehrend beide Hände hob. »So genau will ich es nicht wissen. Wie löst du das Problem?«

»Für die Fahrt nach Bergen brauchen wir ihn nicht. Unsere Personalreferentin hat zwei Wochen Zeit, um einen Ersatz zu finden. Das schafft sie.« Er wandte sich an Adrian. »Du fliegst übermorgen zusammen mit uns zurück nach Hamburg«, bestimmte er. »Wir haben noch einige Formalitäten zu klären. Außerdem wäre es schön, wenn du dann endlich deinen Arbeitsvertrag unterschreiben würdest.«

Adrian nickte knapp und griff nach einem Brötchen.

Evas Herz schlug schneller. Adrian kam sogar mit nach Hamburg. Vielleicht ergab sich dann schon die Möglichkeit, ihm wieder näherzukommen.

Nach dem Frühstück gingen die beiden Männer auf die Steuerbrücke. Eva blieb auf dem Unterdeck. Ihr Herz klopfte schneller, als das Geräusch der Motoren erklang und ein dumpfes Beben das Schiff erfasste. Mit beiden Händen umfasste sie die Reling. Die Fahrt aus dem Hamburger Hafen war immer ein besonderes Erlebnis für sie.

Langsam setzte sich die MS Kristiana in Bewegung, passierte Frachtschiffe, die am Ufer ankerten. Kleine Segelboote schaukelten dicht gedrängt auf dem Wasser, und die Sonne zauberte silberne Lichtpunkte auf die Wellen.

Als sie Othmarschen passierte, sah Eva am Ufer zwei Frauen winken. Sie lächelte, winkte aber nicht zurück. In diesen Minuten war sie ganz bei sich. Sie wollte dieses Gefühl genießen, solange es anhielt.

Kapitel 2

»Jasmin, die MS Kristiana hat gerade den Hafen verlassen«, raunte Dorothee ihrer Kollegin zu.

Jasmin spürte sofort ein aufgeregtes Kribbeln im Bauch.

Seit Tagen freute sie sich auf diesen Moment. Sie liebte es, den großen Kreuzfahrtschiffen nachzusehen, wenn sie an Othmarschen vorbeizogen, und sie spürte heute die gleiche Freude wie vor zwei Jahren, als sie das zum ersten Mal getan hatte. Aufgeregt strich sie ihre dunklen Locken zurück, die sich bereits wieder aus ihrem Dutt gelöst hatten. Am liebsten wäre sie sofort losgestürmt, aber ihr gegenüber an der Rezeption befand sich ein Hotelgast, den sie nicht einfach stehen lassen konnte. Umständlich breitete der Mann eine Wanderkarte auf dem Tresen aus.

»Ich mach das schon«, versicherte Dorothee und wandte sich dem Gast zu. »Wie kann ich Ihnen helfen, Herr Wilhelm?«

Jasmin lächelte ihrer Kollegin dankbar zu und lief hinaus. Sie wusste, welches Opfer Dorothee damit brachte, schließlich hatte sie sich von Jasmin mit der Begeisterung für Kreuzfahrtschiffe anstecken lassen und stand bei deren Auslaufen selbst gerne am Ufer. Jasmin konnte nur hoffen, dass ihre Kollegin es noch rechtzeitig schaffte.

Vor dem Eingang des Hotels begegnete ihr ausgerechnet Cosima Heiden, die Inhaberin und ihre zukünftige Schwiegermutter.

»Wo willst du hin?«, fragte sie barsch.

Jasmin wusste, dass Cosima kein Verständnis für ihre Leidenschaft hatte. Das aber wollte sie jetzt keinesfalls mit ihr diskutieren, dann würde sie die MS Kristiana mit Sicherheit verpassen. »Ich muss nur kurz weg«, murmelte sie und lief einfach weiter. Sie hörte zwar, dass Cosima ihr etwas nachrief, hielt aber nicht an.

Sie bog in den Övelgönner Hohlweg ein und rannte die wenigen Meter bis zur Ringelnatztreppe. Als sie unten am Hans-Leip-Ufer ankam, war von dem Kreuzfahrtschiff noch nichts zu sehen. Nur die Katamaranfähre, die Hamburg mit Helgoland verband, zog vorbei.

Jasmin liebte den schmalen Weg entlang der Elbe. Hohe, alte Bäume säumten das Ufer. Einige standen so dicht am Wasser, dass die Zweige das Wasser berührten. Trotz der Nähe zur Innenstadt hatte sich dieser Ort einen geheimnisvollen, fast verwunschenen Zauber bewahrt.

Früher hatte sie mit Ralph hier lange Spaziergänge unternommen. Hand in Hand, meist schweigend, glücklich über die Gegenwart des anderen.

Wann hatte das aufgehört?

Jasmin versuchte, sich zu erinnern. Im letzten Herbst waren sie frühmorgens zu einem Spaziergang aufgebrochen. Der Boden war vom Laub bedeckt gewesen, die neblige Luft wurde von den ersten Sonnenstrahlen durchbrochen. Jasmin sah diesen Moment jetzt wieder genau vor sich. An jenem Tag hatte Ralph schon nicht mehr ihre Hand gehalten. Da war auch keine schweigende Übereinstimmung mehr zwischen ihnen gewesen, sondern eine ihrer endlosen Diskussionen, die zu keinem Ergebnis führte. Wie so oft seitdem.

Dorothees atemlose Stimme riss sie aus ihren Gedanken. »Habe ich die MS Kristiana verpasst?«

Jasmin schüttelte den Kopf. »Schön, dass du es rechtzeitig geschafft hast!«

»Alice hält die Stellung.« Dorothee grinste. »Cosima und Ralph sind zusammen weggefahren.«

Jasmin verzog das Gesicht. »Er bekommt einen neuen Sportwagen.«

»Verstehe.«

Jasmin zuckte gleichgültig mit den Schultern.

Dorothee starrte sie an. »Du hast dich damit abgefunden, dass Cosima in Ralphs Leben immer an erster Stelle steht? Also, ich könnte das nicht.«

Jasmin stieß einen Seufzer aus. »Die erste Zeit unserer Beziehung war so schön«, sagte sie. »Wir waren uns nahe, trotz der dreihundert Kilometer Entfernung zwischen uns. Aber ich habe das Gefühl, dass die räumliche Nähe eine zunehmende Distanz zwischen uns schafft.«

»Das liegt nicht an der Nähe, sondern ausschließlich an Cosima«, erwiderte Dorothee trocken.

In diesem Moment ertönte ein Schiffshorn, laut und durchdringend, und mit dem Anblick des Kreuzfahrtschiffes schwanden Jasmins Probleme für einen Moment. »Da ist sie!«, jubelte sie.

Dorothee nahm begeistert ihre Hand. »Sie ist wunderschön.«

»Ich wäre so gerne an Bord.« Wieder seufzte Jasmin. »Ich kann mir nichts Schöneres vorstellen, als auf einem Schiff über die Meere zu fahren.«

»Warum machst du das dann nicht?«, fragte Dorothee schlicht.

»Eine Kreuzfahrt?« Jasmin schüttelte lachend den Kopf. »Das kann ich mir nicht leisten.«

»Nein, das kannst du nicht. Aber Ralph könnte es sich leisten. Doch so meinte ich das nicht. Ich finde, ihr solltet zusammen verreisen. Nichts wäre heilsamer für eure Beziehung als zwei Wochen ohne Cosima.« Dorothee war sichtlich begeistert von ihrer Idee. »Aber jetzt lass uns erstmal den Anblick genießen.«

Langsam zog die MS Kristiana vorbei. Jasmin erblickte eine Frau an der Reling auf dem unteren Deck und begann zu winken, ebenso wie Dorothee, aber die Frau an der Reling reagierte nicht.

»Die glaubt wahrscheinlich, dass sie sich ihre Arroganz ebenso leisten kann wie die Kreuzfahrt«, stieß Dorothee verärgert hervor.

»Vielleicht hat sie uns einfach nicht gesehen.« Jasmin lächelte beschwichtigend. »Oder sie ist mit ihren Gedanken ganz woanders.«

»Ja«, erwiderte Dorothee sarkastisch. »Vielleicht gibt es in ihrem Leben auch einen Ralph und eine Cosima.«

Dorothees Worte brachten Jasmin in die Wirklichkeit zurück. Wehmütig blickte sie der MS Kristiana nach, von der nun nur noch das Heck zu sehen war. Ihre Träume bekamen Flügel. »Ich finde deine Idee hervorragend«, entschied sie schließlich. »Ich werde Ralph heute bitten, mit mir zu verreisen.«

Während sie gemeinsam die Ringelnatztreppe hinaufstiegen, fragte Jasmin verträumt: »Weißt du, was ich noch schöner fände als Urlaub auf einem Kreuzfahrtschiff?«

»Nein …«

»Ich wäre gerne auf Dauer auf einem Schiff, zum Leben und zum Arbeiten.«

Dorothee lächelte. »Für mich wäre das nichts. Aber zu dir würde es passen.«

»Urlaub?« Ralph starrte sie so entsetzt an, dass es fast schon komisch wirkte. »Ma verreist nicht gerne, und ich kann mir auch nicht vorstellen, dass sie das Hotel zwei Wochen schließt.«

»Ich habe doch nicht vor, deine Mutter mitzunehmen!«, erwiderte Jasmin ungläubig.

»Wir können Ma und das Hotel nicht zwei Wochen allein lassen!«

»Warum nicht?« Jasmin war ehrlich verwundert, obwohl sie geahnt hatte, dass er nicht begeistert von ihrem Vorschlag sein würde. »Es wäre so wichtig für uns.« Sie schaute ihn bittend an. »Spürst du denn nicht, dass wir uns immer mehr verlieren? Dabei waren wir mal so glücklich.«

»Ich wusste nicht, dass du unglücklich bist«, erwiderte er steif. »Und ich finde, du hast dazu auch keinen Grund. Wir haben hier doch alles, was wir brauchen.« Er machte eine ausladende Bewegung mit der Hand.

»Findest du es wirklich so schlimm, dass ich zwei Wochen mit dir verreisen will? Nur du und ich?«

Ralph schüttelte den Kopf, was allerdings weniger eine Antwort auf ihre Frage, sondern eine weitere Ablehnung ihrer Bitte bedeutete.

»Eine Woche«, begann sie zu handeln. »Oder wenigstens ein Wochenende.«

»Nimm dir doch einfach ein paar Tage frei, und genieß die Annehmlichkeiten unseres Hotels«, schlug Ralph vor. »Ma ist damit bestimmt einverstanden.«

»Womit bin ich einverstanden?« Cosima Heiden kam zusammen mit Dorothee zur Rezeption. Offensichtlich hatte sie die letzten Worte ihres Sohnes gehört.

»Jasmin will mit uns verreisen«, begann Ralph und schloss seine Mutter damit vorsorglich in Jasmins Pläne ein, obwohl sie genau das ausgeschlossen hatte.

»Auf keinen Fall!«, lehnte Cosima ab.

»Ich habe es dir doch gleich gesagt«, wandte Ralph sich an Jasmin.

Jasmin ignorierte ihn und bohrte ihren Blick in Cosimas. »Ich arbeite seit zwei Jahren für dich und habe bisher keinen einzigen Tag Urlaub genommen.«

Cosima zuckte herablassend mit den Schultern.

»Ich habe ihr vorgeschlagen, dass sie hier im Hotel ein paar Tage Ferien macht«, sagte Ralph rasch.

Cosima nickte. »Ja, gut. Damit wäre das Problem gelöst.«

Jasmin traute ihren Ohren nicht. »Ralph, kann ich allein mit dir reden?«, stieß sie hervor.

Er zog unwillig die Brauen zusammen. »Ich habe keine Geheimnisse vor Ma.«

Cosima verschränkte die Arme vor der Brust und lächelte triumphierend.

Jasmin fühlte Wut in sich hochkochen. Das konnte doch nicht wahr sein! Aber genau in dem Moment, als sie zu einer Antwort ansetzte, trat ein älteres Ehepaar an die Rezeption. Die beiden Gäste verwickelten Jasmin in eine Unterhaltung, und Ralph nutzte die Gelegenheit, um zu verschwinden.

Jasmin sah Ralph an diesem Abend nicht mehr, und auch in der Nacht kam er nicht in ihr gemeinsames Zimmer. Cosima teilte ihr am nächsten Morgen mit, dass er für ein paar Tage zu einem Freund nach Bremen gefahren sei.

Er war nicht bereit, mit ihr zu verreisen, fuhr aber allein weg?

Jasmins Gedanken rasten. Wieso tat er das? Und wollte sie so ihr weiteres Leben verbringen? Mit einem Mann, der seine Mutter und die Belange des Hotels stets über sie stellte und dessen Mutter ihre ungnädige Chefin war? Sie lenkte sich mit Arbeit ab, bis Dorothee zu ihr kam. »Ich habe etwas für dich, aber ich weiß nicht, ob ich es dir wirklich geben will.«

Jasmin schaute sie überrascht an.

»Das habe ich gestern Abend im Internet gefunden.« Dorothee reichte ihr den Ausdruck einer Stellenanzeige der Tychsen-Reederei, in der kurzfristig eine Hotelmanagerin für die MS Kristiana gesucht wurde.

Jasmin las den Text aufmerksam durch, dann schüttelte sie den Kopf und reichte Dorothee das Papier zurück. »Das kommt für mich nicht infrage.«

Dorothee nahm den Ausdruck nicht an. »Du hast doch gestern gesagt, dass du gerne auf einem Schiff arbeiten würdest!«

»Ja, das wäre ein Traum!«, sagte Jasmin lächelnd, dann wedelte sie mit dem Ausdruck. »Aber die setzen ein Studium voraus.«

Dorothee winkte ab. »Ein Studium wird völlig überbewertet. Du hast doch gezeigt, dass du ein Hotel führen kannst. Ich finde, du bist perfekt für den Job, und das werden die auch feststellen, wenn die dich erst einmal kennenlernen.«

Jasmin las die Stellenanzeige noch einmal durch. Tief in sich spürte sie ein sehnsüchtiges Verlangen. Es wäre zu schön, aber es war nicht mehr als ein Traum. Sie war überzeugt, dass jeder Versuch, diese Stelle zu bekommen, nur in einer Enttäuschung enden konnte.

»Ich würde dich schrecklich vermissen.« Dorothees Augen füllten sich mit Tränen. »Aber ich wünsche dir so sehr, dass du endlich wieder richtig glücklich bist.«

Jasmin war ihr zutiefst dankbar. »Ich auch. Und ich würde dich auch vermissen, aber du kannst ganz beruhigt sein, denn ich werde da nicht anrufen.«

»Das musst du auch nicht«, sagte Dorothee schnell. »Ich habe schon unter deinem Namen angerufen.« Dorothee lächelte triumphierend. »Du hast am Mittwoch ein Vorstellungsgespräch.«

Jasmin kannte das Gebäude der Reederei in der Nähe des Hafens. Ein modernes Haus mit einer Glasfront. Das Emblem der Reederei, drei übereinanderliegende Wellen mit der Aufschrift Tychsen – All Seas Cruises, befand sich direkt über dem Eingang und glänzte im Licht der späten Nachmittagssonne.

Die ganzen letzten Tage hatte sie überlegt, ob sie den Termin wahrnehmen wollte, und jetzt stand sie wirklich hier. Sie atmete tief durch und betrat das Foyer. Ihre Schritte auf dem hellen Marmorboden hallten durch den Raum. Rechts und links neben der halbrunden Rezeption führten Treppen in die oberen Etagen, gleich daneben befanden sich zwei Aufzüge.

Zwei Frauen saßen hinter dem Empfangstresen. Eine telefonierte, die andere tippte eifrig etwas in einen Computer. Sie hob den Kopf, als Jasmin näher kam. Ihr Lächeln war unverbindlich. »Guten Tag, wie kann ich Ihnen helfen?«

Jasmins Nervosität steigerte sich. Sie widerstand der Versuchung, an ihrer Kostümjacke zu zupfen und den Sitz ihres Haares zu kontrollieren.

Was mache ich eigentlich hier?, fragte sie sich. Warum tue ich mir das an? Ich habe ja doch keine Chance.

Das Lächeln der jungen Frau hinter dem Rezeptionstresen verblasste, als Jasmin nicht sofort antwortete.

»Mein Name ist Jasmin Andres, ich habe ein Vorstellungsgespräch.«

Die Frau nickte kurz und wies auf die Aufzüge. »Zweite Etage, den Gang rechts bis zum Ende. Nehmen Sie dort Platz, Sie werden aufgerufen.«

Jasmin bedankte sich und ging zu den Aufzügen. Als sie den Knopf auf dem Bedienfeld drückte, öffnete sich lautlos eine der Türen.

Nie zuvor hatte sie einen derart luxuriösen Aufzug gesehen. Er war rundum verspiegelt. Ein Teppich bedeckte den Boden, und in der rechten Ecke war ein halbrunder Ledersitz befestigt.

Jasmin betrat die Kabine, drückte den Knopf für die zweite Etage und legte die Mappe mit ihren Unterlagen auf den Sitz, um vor dem Spiegel ihr Aussehen zu kontrollieren.

Eine Strähne ihres hochgesteckten Haares hatte sich gelöst. Bevor Jasmin sie feststecken konnte, schob sich eine Hand durch die sich gerade schließende Tür.

Die Lichtschranke unterbrach den Schließvorgang, die Tür öffnete sich, und ein Mann betrat den Aufzug. Groß, dunkelhaarig, mit einem Bart, in dem sich erste graue Haare zeigten. Mitte vierzig, schätzte Jasmin. Auch seine Schläfen waren bereits ergraut.

Als er plötzlich grinste, wurde ihr bewusst, dass sie ihn regelrecht anstarrte. Hastig wandte sie den Blick ab.

»Moin«, grüßte er freundlich.

»Moin«, murmelte Jasmin, die sich inzwischen daran gewöhnt hatte, dass die Hamburger sich zu jeder Tageszeit so grüßten.

Aus den Augenwinkeln bemerkte sie, dass er den Knopf der vierten Etage drückte. Die Tür schloss sich, der Aufzug setzte sich in Bewegung und erreichte bereits nach wenigen Sekunden die zweite Etage. Jasmin murmelte einen kurzen Abschiedsgruß und stieg aus.

Was für ein Mann!

Sie konnte nicht anders, als sich noch einmal umzudrehen. Er sah sie an und lächelte. Ihre Blicke verfingen sich sekundenlang ineinander, bevor sich der Aufzug wieder schloss.

Jasmin ertappte sich dabei, das zu bedauern. Wahrscheinlich würde sie diesen Mann nie wiedersehen.

Du spinnst, schalt sie sich in Gedanken. Du bist kein Teenager, Jasmin Andres, sondern eine erwachsene Frau. Und du lebst mit einem Mann zusammen …

… den du sofort verlassen wirst, wenn du die Stelle heute bekommst.

Jasmin erstarrte, als ihr bewusst wurde, in welche Richtung sich ihre Gedanken bewegten. Gleich darauf fragte sie sich, ob sie diese Stelle nur wollte, um eine Entscheidung herbeizuführen. Sie war doch schon lange nicht mehr glücklich mit Ralph …

Nein, es hatte nicht nur mit Ralph zu tun. Ich will auf diesem Kreuzfahrtschiff arbeiten. Ich will diesen Job! Sie lächelte über die Entschiedenheit, mit der ihr dieser Gedanke durch den Kopf schoss. Und ich werde ihn bekommen.

Ihre Zuversicht schwand schlagartig, als sie den Raum am Ende des Ganges betrat. Er war voller Menschen, und alle waren jünger als sie. Offensichtlich war der Job auf der MS Kristiana begehrt. Niemand beachtete sie.

»Wo hast du denn studiert?«, fragte ein blondes Mädchen gerade den jungen Mann neben sich.

»In Berlin«, erwiderte ihr Sitznachbar. »Und du?«

»Hier in Hamburg.« Sie sah aus wie zwanzig, musste wegen ihres abgeschlossenen Studiums aber älter sein. »Hast du schon einmal auf einem Kreuzfahrtschiff gearbeitet?«

Er nickte mit stolzer Miene. »Mittelmeer und Karibik.«

Jasmin war endgültig klar, dass sie verloren hatte. Sie hatte nicht studiert, sondern lediglich eine Hotelfachschule besucht. Außerdem war sie mindestens zehn Jahre älter als die meisten anderen Bewerber hier im Raum. Ihr Kostüm war preiswerte Kaufhausware, ihre Haare schlecht frisiert. Sie konnte förmlich spüren, wie sich in diesem Moment weitere Strähnen aus ihrem Dutt lösten.

Gegen diese perfekt gestylten Jungakademiker hatte sie keine Chance, und sie überlegte, ob sie ihre Zeit wirklich mit dem Warten auf ein Vorstellungsgespräch vergeuden sollte, das ihr letztendlich doch nur eine Absage einbrachte.

Dann doch besser gleich aufgeben, es sei denn … Sie dachte an einen Film, den sie einmal gesehen hatte, und plötzlich war da diese Idee. Aber die war so verwegen, dass sie sie sofort verwarf. Stattdessen wandte sie sich um und verließ den Raum. Doch auf dem Weg zum Aufzug wurde ihr bewusst, dass dieser Rückzug für sie auch bedeutete: zurück nach Othmarschen. Zurück zu Ralph und Cosima!

Oh nein! Das wollte sie keinesfalls. Entschlossen drehte sie sich um, löste ihren Dutt, sodass ihre dunklen Haare locker über ihre Schulter fielen, und ging zurück zum Warteraum.

Auch dieses Mal achtete niemand auf sie, als sie eintrat, bis sie laut in die Hände klatschte.

Jasmin atmete tief durch. Cosima oder Kreuzfahrt. Jetzt oder nie. »Meine Damen und Herren«, begann sie mit einem freundlichen Lächeln in die Runde. »Ich muss Ihnen leider mitteilen, dass wir die Stelle vergeben haben. Vielen Dank, dass Sie der Einladung gefolgt sind. Auf Wiedersehen!«

Unwilliges Gemurmel und einzelne Unmutsbekundungen waren zu hören, doch keiner der Anwesenden zweifelte an ihrer Aussage. Innerhalb kurzer Zeit leerte sich der Raum komplett.

»Sehr kreativ!«, sagte plötzlich jemand hinter ihr. Jasmin fuhr erschrocken herum. Vor ihr stand der Mann aus dem Aufzug, in seinen Händen hielt er ihre Bewerbungsmappe, die sie im Fahrstuhl abgelegt hatte. Offensichtlich hatte er mitbekommen, wie sie ihre Konkurrenz ausgeschaltet hatte.

Jasmin stöhnte innerlich auf.

»Sie haben das hier im Aufzug vergessen.« Er reichte ihr die Mappe.

In diesem Moment betrat eine Frau den Raum. Jung, blond, gestylt. Sie sah genauso aus wie die Menschen, die bis eben noch den Raum bevölkert hatten.

An ihrer blauen Bluse trug die Frau einen Anstecker, der verkündete: Yvonne Reimann, Personalreferentin, Tychsen – All Seas Cruises.

Yvonne Reimann sagte nichts, sondern starrte den Mann mit großen Augen an.

Jasmin konnte sie nur zu gut verstehen und fragte sich, ob sie bei ihrer Begegnung im Aufzug ebenso dämlich ausgesehen hatte.

Der Mann nickte Jasmin zu. »Viel Glück!«, wünschte er mit einem Lächeln auf den Lippen und verabschiedete sich.

Erst jetzt schien Yvonne Reimann zu registrieren, dass sich auch Jasmin im Raum befand. Nur Jasmin. »Wo sind die anderen Bewerber?«, fragte sie mit gerunzelter Stirn.

Jasmin zuckte mit den Schultern. »Ich weiß es nicht«, log sie. »Außer mir ist niemand da.«

»Ja, das sehe ich.« Yvonne Reimann war sichtlich verärgert. »Folgen Sie mir bitte.«

In diesem Moment wurde Jasmin übel vor Aufregung. Ihre Knie zitterten, ihr Herz raste. Sie war froh, als sie sich vor Yvonne Reimanns Schreibtisch setzen konnte. Die Personalreferentin nahm dahinter Platz, und Jasmin reichte ihr mit zitternden Händen die Bewerbungsmappe.

Offensichtlich genügte Yvonne Reimann bereits der Lebenslauf. »Sie haben nicht studiert?«

»Nein, aber ich habe eine abgeschlossene Ausbildung als Hotelkauffrau, und ich habe bereits mehrere Hotels sehr erfolgreich geführt, wie Sie den Unterlagen entnehmen können.« Jasmin war stolz, als es ihr trotz ihrer Nervosität gelang, selbstbewusst und überzeugend aufzutreten.

»Das ersetzt doch kein Studium«, erwiderte Yvonne Reimann herablassend und schlug die Mappe zu. Bevor sie weiterreden konnte, klingelte das Telefon. Sie nahm das Gespräch an.

»Herr Tychsen!« Ihre Stimme veränderte sich schlagartig, klang jetzt unterwürfig und dienstbeflissen. Sie lauschte aufmerksam, während sie immer wieder Jasmin anschaute.

»Ja«, sagte sie schließlich. »Ja, ich habe verstanden.« Sie beendete das Gespräch und erhob sich. Jasmin stand ebenfalls auf.

Yvonne Reimann reichte ihr über den Schreibtisch hinweg die Hand. »Herzlichen Glückwunsch«, sagte sie, sichtlich um Freundlichkeit bemüht. »Sie haben den Job.«

Kapitel 3

Hochzeitsrausch stand in verschnörkelten Buchstaben über dem Eingang. Goldene Lettern auf weißem Grund. Die Farben setzten sich im Inneren des Ladens fort. Nur die Sitzgelegenheiten, zierliche Bänke und Cocktailsessel, waren in einem zarten Roséton gehalten.

Leonie befand sich in einem wahren Hochzeitsalbtraum. Das lag weniger an dem Laden als an ihrer Situation. Alles hatte perfekt geklappt. Der Termin für die standesamtliche und die kirchliche Hochzeit standen fest. Das Restaurant war gebucht, das Menü perfekt geplant. Alle Einladungen waren verschickt, die Blumen für die Kirche und den Tischschmuck bestellt. Die Band war engagiert, und Maltes Anzug hing bereits im Haus seiner Eltern. Sogar die Hochzeitsreise war gebucht.

Nur Leonie hatte immer noch nicht das richtige Kleid gefunden, und allmählich entwickelte sich die Suche zu einer regelrechten Katastrophe. Und so war es ihr wie ein Wink des Schicksals erschienen, als sie gestern in Düsseldorf dieses kleine Brautmodengeschäft in einer Seitengasse entdeckt hatte. Sie hatte sofort einen Termin gemacht. Ihre ganze Hoffnung ruhte auf Daniela Hanser, der Ladeninhaberin.

Leonies Schwester Iris und ihre beste Freundin Kerstin waren bereits da. Jede von ihnen hielt ein gefülltes Sektglas in der Hand, während sie sich mit Daniela Hanser unterhielten. Alle drei wandten sich um, als das Glöckchen über der Eingangstür anschlug. Die Inhaberin kam mit ausgestreckten Händen auf sie zu. »Da ist ja die glückliche Braut.«

»Danke, dass Sie sich so kurzfristig Zeit nehmen. Hoffentlich finde ich das passende Kleid. Ich bin so aufgeregt!« Leonie schaute sich um. Ringsum an den Kleiderständern hingen Brautkleider, fast alle in Weiß, mit Ausnahme einzelner roséfarbener Tupfer.

»Auswahl habe ich genug«, sagte Daniela Hanser mit einer ausholenden Handbewegung. »Wann ist denn die Hochzeit?«

»Nächste Woche«, erwiderte Leonie kleinlaut. Wie erwartet, starrte Daniela Hanser sie entsetzt an. »Dann können wir nur hoffen, dass wir ein Kleid finden, das auf Anhieb passt. Wenn etwas geändert werden muss, wird es schwierig.«

»Sie sind meine letzte Hoffnung«, gab Leonie zu.

Daniela Hanser lächelte unverbindlich. »Vielleicht haben wir Glück und finden gleich das richtige Kleid. Haben Sie bestimmte Vorstellungen?«

»Lang und weiß«, antwortete Kerstin an ihrer Stelle. Sie umarmte Leonie zur Begrüßung, während Iris sich mit einem Lächeln und einem knappen Nicken begnügte.

»Ja.« Leonie schmunzelte. »Obwohl ich zu gerne Maltes Gesicht sehen würde, wenn ich in einem knallroten Hochzeitskleid erscheine.«

»Der Spießer dreht sich prompt um und sagt die Hochzeit ab«, prophezeite Iris. Wie immer machte sie keinen Hehl daraus, dass sie Malte nicht mochte.

»Das macht er bestimmt nicht.« Leonie bemühte sich um ein Lächeln. Dabei hätte sie zu gerne gewusst, was ihre Schwester eigentlich gegen Malte hatte. Eine nachvollziehbare Erklärung hatte Iris bisher jedenfalls nicht liefern können.

»Es ist nur ein Bauchgefühl«, hatte sie auf Nachfrage einmal zu Leonie gesagt, und nach einer kurzen Weile des Schweigens hinzugefügt: »Pass gut auf dich auf.«

Leonie hatte gespürt, dass ihre Schwester sich wirklich Sorgen um sie machte. Völlig unnötig, wie sie fand, und das hatte sie ihr auch mit deutlichen Worten gesagt. Seither hatte Iris dieses Thema vermieden, konnte sich aber die eine oder andere Spitze gegen Malte nicht immer verkneifen. Leonie reagierte nur selten darauf. Auch jetzt sagte sie nichts dazu, sondern machte sich an die Durchsicht der Hochzeitskleider.

Und dann passierte das Unglaubliche! Da hing ihr Traumkleid! Ein Traum aus Tüll, weißer Spitze, einer auslaufenden Schleppe und einem mit Perlen bestickten Oberteil.

Leonie hätte weinen können vor Glück. »Das ist mein Kleid.« Sie sah sich bereits darin durch die Kirche zum Altar schreiten.

»Dann probieren Sie es an.«

Leonie schien, als klänge Daniela Hanser nicht sehr überzeugt, aber sie führte sie in eine der Umkleidekabinen.

»Hier gibt es ja keinen Spiegel«, merkte Leonie sofort verwundert an.

»Weil die Kleider in diesem kleinen Raum nicht richtig wirken.« Daniela Hanser lächelte. »Warten Sie ab. Sie werden gleich verstehen, was ich meine.«

Die Ladeninhaberin half ihr, das Kleid anzuziehen, und schloss die Perlenknöpfe in ihrem Rücken. Das Kleid passte, als wäre es speziell für sie genäht. Nirgendwo zwickte es, selbst die Länge war perfekt. Leonie fand sich unglaublich schön, obwohl sie sich noch nicht im Spiegel gesehen hatte, und sie war überzeugt, dass sie das Kleid so mit nach Hause nehmen würde. Voller Vorfreude auf die begeisterten Ausrufe ihrer Begleiterinnen schritt sie zurück in den Schauraum, doch da kam nichts. Kerstin und Iris hatten auf den roséfarbenen Sesseln Platz genommen und starrten sie an. Iris nahm ihr Sektglas von dem kleinen Beistelltisch zwischen ihnen und nippte daran. »Ganz nett«, sagte sie schließlich, als ihr aufging, dass Leonie auf eine Reaktion wartete.

Ganz nett, war nicht das, was Leonie hören wollte. Sie blickte zu Kerstin, die sich daraufhin auch zu einer Antwort genötigt sah. »Langweilig! Das ist nicht dein Kleid.« Sie schüttelte den Kopf.

Leonies Enttäuschung wuchs, als Daniela Hanser einen Spiegel heranrollte, in dem sie sich von Kopf bis Fuß betrachten konnte. Kerstin hatte recht: Das Kleid war langweilig. Es passte perfekt, aber es war nicht das, wonach sie gesucht hatte.

»Es passt aber perfekt zu dem Mann, den du heiraten willst.« Iris war in ihrem Element. »Langweiliger Mann, langweiliges Kleid. Ich würde es nehmen.«

Leonies Enttäuschung schlug in Wut um. »Kannst du das einfach mal lassen?«

Diesmal zuckte Iris nur mit den Schultern und trank einen weiteren Schluck. Plötzlich lag eine unangenehme Spannung in der Luft.

»Darf ich Ihnen ein Kleid vorschlagen?«, fragte Daniela Hanser mit einem gezwungenen Lächeln. Es war ihr anzusehen, dass auch sie sich nicht wohlfühlte.

Leonie stimmte zu, fest entschlossen, das langweilige Kleid zu kaufen, wenn sie nichts anderes fand. Für eine weitere Suche blieb einfach keine Zeit.

Daniela Hanser zog ein cremefarbenes Kleid aus einem der Ständer.

Leonie schüttelte den Kopf. »Das ist weit weg von allem, was ich mir vorgestellt habe.«

»Ziehen Sie es trotzdem an«, bat Daniela Hanser.

Leonie gab nach. »Na gut. Aber ich sage Ihnen bereits jetzt, dass ich es nicht nehmen werde.« Das Kleid stand außerhalb jeglicher Diskussion, trotzdem erfüllte sie der Frau den Wunsch, aus Dankbarkeit, weil sie sich so kurzfristig Zeit für sie genommen hatte.

Daniela Hanser lächelte nur. Auch diesmal half sie ihr beim Ankleiden. Auch dieses Kleid passte auf Anhieb. Das Oberteil mit dem V-Ausschnitt schmiegte sich eng an. Leonies schmale Taille wurde durch die rosé-silbern schimmernde Passe betont und lief in einen weit schwingenden Rock aus. Der cremefarbene Stoff fühlte sich angenehm an, Leonie fühlte sich wohl darin, aber es war eben nicht das Kleid, das sie sich vorgestellt hatte.

Als sie den Schauraum betrat, riss Iris den Mund auf und starrte sie an. Kerstin, die gerade nach dem Sektglas gegriffen hatte, stellte es zurück. »Wow!«

Daniela Hauser bat Leonie, kurz die Augen zu schließen. Als Leonie sie wieder öffnete, starrte sie fassungslos auf ihr eigenes Spiegelbild. Genau so wollte sie auf ihrer Hochzeit aussehen! Die cremefarbene Seide bildete einen wundervollen Kontrast zu ihren roten Locken. Sie hatte sich nie so schön gefühlt wie in diesem Moment. Ihre Augen füllten sich mit Tränen.

»In dem Moment, als Sie in meinen Laden kamen, wusste ich, dass dieses Kleid für Sie perfekt ist.« Daniela Hanser strahlte sie an. »Selbst die Länge passt. Und es muss auch sonst nichts geändert werden. Das heißt, wenn Sie es haben wollen.«

»Natürlich will ich!« Was für eine Frage.

Leonie schluckte, als sie den Preis erfuhr. Das Kleid war fast ein Drittel teurer, als sie veranschlagt hatte, trotzdem zögerte sie keine Sekunde.

»Ohne Schleier können Sie das Kleid nach der Hochzeit bei besonders festlichen Veranstaltungen auch als Abendkleid tragen«, sagte Daniela Hanser.

»Beim Kapitänsdinner.« Kerstin trat zu Leonie und umarmte sie. »Du siehst toll aus. Malte wird sich glattweg neu in dich verlieben, wenn er dich darin sieht.«

Iris gab einen undefinierbaren Laut von sich, doch als Leonie sie daraufhin anschaute, brachte sie ein bemühtes Lächeln zustande. »Du siehst wirklich super aus, Schwesterchen.«

»Danke.« Leonie wandte sich wieder ihrem Spiegelbild zu. »Ich bin so glücklich«, flüsterte sie. »Jetzt ist alles perfekt.«

»Ich habe mein absolutes Traumkleid gefunden.« Leonie kam ordentlich verspätet auf ihrer Arbeit im Reisebüro an, leicht beschwipst von dem Sekt, den sie zur Feier des Tages über den Kauf zusammen mit Kerstin, Iris und Daniela Hanser getrunken hatte, überwiegend aber vor Glück. Deshalb bemerkte sie auch nicht sofort, dass ihre Kollegin Ute nur einsilbig antwortete und ihrem Blick auswich. Sie setzte sich an ihren Platz und schaltete den PC ein. Kurz darauf zeigte das Hintergrundbild das neue Schiff der Reederei Tychsen. Die MS Kristiana, da abgebildet, wo sich Himmel und Meer trafen und die schmale Linie des Horizonts kaum auszumachen war.

Leonie wusste, dass es sich um eine Fotomontage handelte. Die MS Kristiana war neu und zu dem Zeitpunkt, als sie das Bild installiert hatte, noch nie auf dem offenen Meer fotografiert worden.