MTViva liebt dich! - Markus Kavka - E-Book

MTViva liebt dich! E-Book

Markus Kavka

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Beschreibung

MTViva liebt dich! ist die spannende wie nostalgische Rückschau auf die Geschichte des Musikfernsehens – beginnend in den 80er-Jahren. Moderator Markus Kavka und Programmdirektor Elmar Giglinger sprechen mit zahlreichen Protagonistinnen und Protagonisten, die diese Ära geprägt haben, und begeben sich auf eine einzigartige Zeitreise. Ihre Geschichten – vor und hinter der Kamera – lassen diese aufregende Zeit wieder lebendig werden. Ein ungefilterter Blick hinter die Kulissen des  deutschen Musikfernsehens. Mit dabei: Fettes Brot, Die Ärzte, Scooter, Michael Patrick Kelly, Klaas Heufer-Umlauf, Joko Winterscheidt, Heike Makatsch, Nilz Bokelberg, Mola Adebisi, Die Toten Hosen und viele mehr.

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MTViva liebt dich!

Markus Kavka, geboren 1967 in Ingolstadt, ist Journalist und Moderator. Nach Stationen beim Print und Radio startete er seine Musik-TV-Laufbahn 1995 bei VIVA. 1997 wechselte er zu VIVA ZWEI, von 2000-2009 war er Moderator und Producer bei MTV Germany. Nach weiteren Formaten bei Kabel Eins, ZDFkultur und Nitro ist er seit 2015 bei Deluxe Music zu sehen. Darüber hinaus ist er Radiomoderator, Buchautor, Podcaster und DJ.

Elmar Giglinger, geboren 1965 in Kempten/Allgäu, war 1993 Teil der Gründungsredaktion von VIVA TV. Als Programmdirektor war er für VIVA Zwei (1998-2000), MTV (2000–2009) und VIVA TV (2004-2009) auch international verantwortlich. Danach war er u.a. Geschäftsführer des Medienboard Berlin-Brandenburg. Seit 2017 ist er mit der Giglinger Consulting & Coaching aktiv.

Markus Kavka und Elmar Giglinger

MTViva liebt dich!

Die elektrisierende Geschichte des deutschen Musikfernsehens

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Die Ullstein Buchverlage danken allen Rechtegebern für die Abdruckgenehmigungen. Da in einigen Fällen die Inhaber der Rechte nicht festzustellen oder erreichbar waren, verpflichtet sich der Verlag, rechtmäßige Ansprüche nach den üblichen Honorarsätzen zu vergüten.

Autorenfoto: © Thomas Neukum (Markus Kavka), © Tobias Hertle (Elmar Giglinger)E-Book powered by pepyrusISBN 978-3-8437-3051-8

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Inhalt

Titelei

Das Buch

Titelseite

Impressum

 

Prolog

Kapitel 1 Wie alles begann: – Musikvideos im Fernsehen 1981 bis 1993

Kapitel 2 »We wish you luck« – Die Gründung von VIVA 1987 bis 1993

Kapitel 3 Der neue heiße Scheiß – Musikfernsehen in Deutschland 1993 bis 1999

Kapitel 4 MTV vs. VIVA – 2000 bis 2004

Kapitel 5 MTV & VIVA unter einem Dach – die Zeit ab 2004

Kapitel 6 »Das letzte Hurra« – 2006 bis 2011

Epilog

Bildteil

Danksagung

Interviewpartner

Anhang

Social Media

Vorablesen.de

Cover

Titelseite

Inhalt

Prolog

Widmung

Markus: Für Babette & meine ElternElmar: Für Susanne & Marlon

Prolog

»MTViva liebt dich/Leben in der Wunderbar/Alles ist zu kriegen, alles zum Verlieben, alles so, wie du es brauchst …«

»Popstar«, Selig

Dieses Buch ist ein Herzensprojekt, über das wir schon vor über zehn Jahren zum ersten Mal gesprochen haben. Aber dann ging es um rechtliche Fragen, um absurde Vorschläge mancher Verlage, wie man das Buch umsetzen könnte, um andere, vermeintlich wichtigere Projekte, die gerade anstanden – und so stand immer irgendwie irgendwas im Weg.

Dann tauchte der 30. Geburtstag von VIVA am Horizont auf. Der 1. Dezember 2023. Gut, in Anbetracht der Tatsache, dass VIVA schon vor einigen Jahren begraben wurde, eher eine Gedenk- als eine Geburtstagsfeier. Und es kam der Ullstein Verlag mit der Idee einer Oral History, also die Geschichte des Musikfernsehens von uns und vielen weiteren Leuten erzählen zu lassen. Das war der Weg, um authentisch und offen über unsere Zeit bei MTV und VIVA sprechen zu können. In der Vorbereitung haben wir dann auch schnell gemerkt, dass wir nicht die Einzigen sind, die mit Musikfernsehen besondere Emotionen verbinden.

Wir haben insgesamt 68 Protagonistinnen und Protagonisten des Musikfernsehens angefragt, ob sie ihre Erinnerungen an diese Zeit mit uns teilen wollen, und dachten, dass vielleicht die Hälfte darauf Lust hätte. Aber weit gefehlt: Es gab 65 Zusagen!

Aber klar, zu besonders war die Zeit, um die Erlebnisse und Anekdoten nicht teilen zu wollen. Was sich zu der Zeit als völlig normal und alltäglich angefühlt hat, wirkt im Rückblick fast schon surreal. Zumindest einiges. Das Ende war ein einziger Albtraum, aber wenn wir heute zurückdenken, sind es eigentlich ausschließlich positive Gedanken. In den Interviews und beim Schreiben hatten wir immer wieder Tränen in den Augen. Meistens vor Lachen.

Es war ja auch ein sehr besonderer Job: MTV und VIVA haben die Musik-, Pop- und Jugendkultur über mehrere Generationen hinweg maßgeblich beeinflusst. Wahrscheinlich mehr als jeder andere TV-Sender, mehr als jedes Printmagazin, mehr als jede Radiostation. Und wir durften ein Teil davon sein. Davon hätten wir als Teenager bestenfalls geträumt.

Musikfernsehen war das popkulturelle Fenster in die große, weite Welt. Wer kann sich nicht daran erinnern, immer wieder Stunden, Tage und Nächte vor dem Fernseher verbracht zu haben, um endlich ein ganz bestimmtes Video zu sehen? Wer kann sich nicht daran erinnern, schönste Sommertage vor dem Bildschirm verbracht zu haben, um eine bestimmte Show oder einen bestimmten Star zu sehen?

Wer kann sich nicht an die Moderatorinnen und Moderatoren erinnern, die im Musikfernsehen ihre Karrieren gestartet haben?

Um nur ein paar zu nennen: Klaas Heufer-Umlauf, Sarah Kuttner, Heike Makatsch, Matthias Opdenhövel, Stefan Raab, Charlotte Roche, Jessica Schwarz, Nora Tschirner, Christian Ulmen, Joko Winterscheidt und viele andere wurden zu Stars ihrer Generation. Zu Identifikationsfiguren, Stilikonen und Trendgebern.

Sie gaben der Jugend der Neunziger- und Nullerjahre eine Stimme und ein Gesicht.

Sie waren authentisch. Es war Fernsehen auf Augenhöhe mit den Zuschauerinnen und Zuschauern – und das war völlig neu.

Wir haben versucht, die Grenzen des Fernsehens neu auszuloten, neu zu definieren. Und bei allem Spaß, Unfug und Unsinn, bei aller bewusster Polarisierung und Provokation ging es in dem Musikfernsehen, das wir gestalten durften, auch um die Vermittlung von Werten: Individualität, Freiheit, jugendliche Rebellion gegen veraltete Regeln. Wir haben Diversität vermittelt und gelebt, Jahrzehnte, bevor das Wort Teil des alltäglichen Sprachgebrauchs wurde.

Auch die Arbeit von Popstars und Plattenfirmen haben die Musiksender mal eben auf den Kopf gestellt: »Video killed the radio star.« Plötzlich stand das Musikvideo im Mittelpunkt aller Maßnahmen. Hitsingle oder kommerzieller Flop, Rockstar oder Nobody? Diese Entscheidung lag jahrelang bei MTV und VIVA TV. Keine Playlist, kein Hit. Punkt.

Darüber hinaus haben Musiksender und Musikvideos die filmische Ästhetik und auch die filmische Erzählung nachhaltig verändert. Es war eine, zu diesem Zeitpunkt, völlig neuartige Verbindung von Kunst und Kommerz. Oft aus Unwissenheit, Naivität oder Budgetknappheit geboren, entstand eine avantgardistische, jugendliche, temporeiche, teils subversive und radikale Ästhetik von Musikvideos und Musikshows, die Werbespots, Film- und TV-Produktionen auf ein anderes, ein neues Level gebracht haben. Weltweit.

Wir wollen euch auf eine Zeitreise in die großen Jahre des Musikfernsehens mitnehmen, vom kreativen Chaos der Anfangsjahre, den folgenden Höhenflügen bis zu den ersten dunklen Wolken am Horizont. Auf eine Zeitreise voller persönlicher Erlebnisse, Anekdoten und Eindrücke.

Wir erzählen von provozierten Skandalen, rauschenden Partys, Jetset und Popstars privat. Von unbändigem Teamgeist, aber auch von internen und externen Machtkämpfen.

Und von der sehr besonderen Beziehung zwischen Popstars, Plattenfirmen und Musiksendern, der kommerziellen Macht des Musikfernsehens und den daraus entstandenen Abhängigkeiten.

Unsere Zeitreise beginnt so etwa 1981 und fokussiert sich auf die Jahre 1993, also die VIVA-Gründung, bis 2011, als das Musikfernsehen zwar noch nicht gänzlich tot war, aber schon recht eigenartig roch.

Es ist uns eine Ehre und ein Vergnügen gleichermaßen, dass wir mit diesem Buch diese Zeit noch mal aufleben lassen und unsere Erlebnisse mit euch teilen dürfen.

War schon alles ein ganz schöner, geiler Irrsinn.

Von daher: Viel Spaß beim Lesen.

Elmar und Markus

Kapitel 1 Wie alles begann: – Musikvideos im Fernsehen 1981 bis 1993

Es ist ja bis heute ein bisschen strittig, welches nun wirklich das erste Musikvideo überhaupt ist. So eindeutig lässt sich das gar nicht sagen, weil es letzten Endes auch eine Frage der Definition ist. Manche sagen, dass das ikonische Filmchen, das Bob Dylan 1965 zu seinem Song »Subterranean Homesick Blues« gemacht hat, das erste Musikvideo war. The Beatles, die 1966/67 zu einigen ihrer Songs Kurzfilme drehten, waren ebenfalls ganz vorne dabei. Der erste Clip allerdings, der einige bis heute gültige Kriterien erfüllte – also eine bewusste Inszenierung der Band, bestimmte Film- und Schnitttechniken sowie nicht zuletzt die Verwendung als Marketing- und Promotion-Tool für eine Single –, das war dann schließlich 1975 »Bohemian Rhapsody« von Queen. Ab da ging es Schlag auf Schlag, innerhalb weniger Jahre hatte sich das Musikvideo dann bereits so weit etabliert, dass in den USA jemand auf die verrückte Idee kam, einen eigenen Sender ins Leben zu rufen, dessen hauptsächlicher Programminhalt es war, Musikvideos abzuspielen: MTV. Kurz für: Music Television. Am 1. August 1981 war Sendestart, als erster Clip lief »Video Killed The Radio Star« von The Buggles – das war natürlich ein kleiner Wink mit dem Zaunpfahl.

Zur gleichen Zeit gingen auch in Europa erste Formate auf Sendung, die Musikvideos zeigten. Spätestens da war im Fernsehen und im Musikbusiness ein neues Zeitalter angebrochen. Und genau da wollen wir einsteigen.

Wie eine Droge – die Anfänge

Markus: Eine Weile vor Formel Eins gab es im Dritten, also in meinem Fall im Bayerischen Fernsehen, schon eine Sendung, die Musikvideos zeigte. Sie hieß Pop Stop und wurde anfangs von Thomas Gottschalk moderiert. Da habe ich als 14- oder 15-Jähriger das erste Mal überhaupt das Medium Musikvideo bewusst wahrgenommen. 1981, 82 habe ich dort den Clip zum Song »Fade To Grey« von Visage gesehen. Das war die totale Erleuchtung! Von da an wollte ich nur noch solche Musik hören und solche Videos sehen.

Überhauptgab es Anfang der Achtziger bei den Öffentlich-Rechtlichen ein paar relativ wilde Formate. Icherinnere mich zum Beispiel noch an Bananas im Ersten, das war wirklich eine total anarchische Mischung aus Comedy und auch oft sehr progressiver Musik. Olivia Pascal war im Moderations-Team, in die ich als 15-Jähriger total verschossen war.

Unvergessen für mich ist auch ein Auftritt von Depeche Mode 1982. Während sie in so einer Stall-Kulisse performten, hielten sie lebendige Hühner im Arm. Parallel machte auch noch ein Pärchen im Stroh miteinander rum. Legendär.

Formel Eins war dann natürlich Pflicht. Meine vier besten Kumpels kamen dafür immer zu mir nach Hause. Zusammen haben wir dann im Wohnzimmer meiner Eltern gebannt die Sendung verfolgt – in unserem kleinen bayerischen Dorf das Tor zur großen, weiten Welt.

Elmar: Musikvideos waren eine völlig neue Welt. Im wahrsten Sinne des Wortes eine neue »Dimension«, Musik nicht nur hören, sondern auch sehen. Wow. Vorher kannte man seine Künstler und Bands ja nur von Fotos in den Musikzeitschriften oder auf Plattencovern.

Bananas fand ich auch super, und Formel Eins war natürlich absolutes Pflichtprogramm – auch wenn eigentlich nicht die Sachen gespielt wurden, die ich wirklich mochte. Als einmal »Rock the Casbah« von The Clash lief, habe ich das tagelang gefeiert. Als 1984 Musicbox kam, wurde Musikfernsehen für mich zur Droge. Ich war schnell süchtig, auch wenn wir zunächst noch kein Kabelfernsehen zu Hause hatten. Anders als einer meiner Kommilitonen, bei dem wir dann stundenlang Musicbox und später Tele 5 schauten. MTV war im Allgäu noch nicht empfangbar. Ein Freund im eigentlichen Sinn war er nicht, aber er hatte Kabelfernsehen undwurde dadurch fester Bestandteil unserer Clique. Nicht sehr nett von uns, ich weiß. TypischesSuchtverhalten halt.

H. P. Baxxter: Das Einzige, was in meiner Jugend an Musikfernsehen stattgefunden hat, war Formel Eins. Darauf hab ich die ganze Woche hin gefiebert, weil man dort endlich mal mitbekam, was überhaupt los war in der Welt. Und wenn man Glück hatte, wurde auch ein Video von Depeche Mode gezeigt.

Michi Beck: Am Anfang war natürlich Formel Eins. Und Ronny’s Pop Show – das hab ich beides immer geschaut.

Jan Delay: Formel Eins – das war quasi mein VIVA und MTV des kleinen Mannes beziehungsweise des kleinen Jungen. Ich kann mich noch an Duran Duran erinnern, an das Video zu »Wild Boys«. Oder »Walk This Way« von Run DMC und Aerosmith.

Sandy Mölling: Genau, und dann hat man die Clips auf VHS-Kassetten aufgenommen, um sie nachzusingen und nachzutanzen.

Matthias Opdenhövel: Formel Eins war natürlich der Klassiker. Musikvideos haben eine ganz, ganz große Rolle gespielt, um eine Band oder einen Song gut zu finden. Einen okayen Song konnte man mit einem geilen Video richtig pimpen. Das gab’s natürlich auch umgekehrt. Ein schlechtes Video hatte dann dementsprechend schon Auswirkungen.

AnNa R.: Genau. Mir hat es manche Songs komplett verhagelt, weil ich das Video scheiße fand. Und Songs, die ich so mittel fand, waren plötzlich geil, weil das Video geil war. Komplett manipuliert.

Campino: Bei Formel Eins haben sie im Grunde nur die Top 20 abgespielt, aber ich erinnere mich an unser erstes Video in der Sendung, »Eisgekühlter Bommerlunder«. Das war für uns der Einstieg in die Welt des Musikfernsehens. Es war auch das erste Video, bei dem wir uns ein bisschen Mühe gegeben haben.

Elmar: Ja, »Eisgekühlter Bommerlunder«, daran kann ich mich gut erinnern. Ein lustiges Video, das ich allerdings erst Jahre später sehen konnte, weil es im Bayerischen Rundfunk damals nicht ausgestrahlt wurde. Offizielle Begründung: technische Mängel. Na klar. Tatsächlich ging es wohl eher um vorgebliche Blasphemie, weil das Video in einer bayerischen Kirche gedreht wurde, die nach den Dreharbeiten neu geweiht werden musste. Ich hatte Schaum vorm Mund, weil ich Die Hosen echt großartig fand. Ich dachte: Da kommt endlich mal was richtig Gutes, und Bayern steigt aus. Typisch. Der Rockpalast mit Ton Steine Scherben wurde hier ja auch nicht ausgestrahlt. Allein dadurch fühlte ich mich in Bayern lebendig begraben und bin dann ja auch so schnell wie möglich weggezogen. Der Bayerische Rundfunk quasi als Migrationsgrund.

Matthias Opdenhövel: Ich hatte schon früh Musikfernsehen, weil Detmold damals eine Versuchsgegend für Kabelfernsehen war. Ich habe tage- und nächtelang Musikvideos geguckt. Man hat immer auf seine Perlen gehofft, musste dazwischen aber auch durch schlimme, tiefe Täler gehen. Auf diese Weise hat man aber natürlich auch Songs entdeckt, bei denen man dachte: Oh, guck mal, gar nicht schlecht! Eine wahnsinnig spannende Zeit.

Aleks Bechtel: Mein Bruder und ich guckten auch Tag und Nacht Musicbox. Dort liefen 24 Stunden am Tag nur Musikvideos. Ich kenne deshalb wirklich jedes Video aus dieser Zeit in- und auswendig. Nach der Schule: ab nach Hause und – Musikfernsehen an.

Tim Renner: Mit Musikvideos erschloss sich für mich eine neue Welt, wie für Wagner die Begegnung mit der Oper. Popsongs wurden plötzlich zum Gesamtkunstwerk.

Man war damals schon glücklich, wenn man seine Künstler nur irgendwie im Fernsehen performen sah. Aber plötzlich gab es noch eine Metaebene über der Performance, mit fetter Inszenierung, eigener Aussage und einer eigenen Interpretation des Songs – und damit sind wir wirklich im Bereich Oper.

Heike Makatsch: Ich war ungefähr 13 Jahre alt und in New York im Urlaub. Dort hab ich das erste Mal MTV gesehen. An Billy Idols »White Wedding« erinnere ich mich. Und an Madonna.

Elmar: Das erste Mal bewusst MTV geguckt habe ich auch in New York. Das war 1990, als ich mit drei Freunden für eine Woche dort hingeflogen war. Yeah! Das erste Mal in New York – die Stadt rocken.

Wir kamen am frühen Nachmittag in unserem schäbigen Apartment in Manhattan an. Der Planfür den Tag war klar: kurz duschen und ab in die große Stadt. Dort angekommen, machten wir erst mal reflexartig den Fernseher an, und es lief MTV! Da waren wir schon völlig von den Socken, und als es nach wenigen Minuten hieß, »stay tuned for the new Black Crowes Video, Twice As Hard, the Video Premiere today on MTV«, war der eigentliche Plan Geschichte. Das Video mussten wir sehen, die Crowes fanden wir alle top. Aber die Black Crowes kamen nicht, nur regelmäßig der Trailer mit dem Hinweis auf die Premiere, aber ohne Zeitangabe. Letztendlich war uns das auch egal, weil das Zeug, das da lief, war auch fett. »Twice As Hard« wurde dann erst Stunden später gezeigt, gegen acht oder neun Uhr abends. Hat uns aber nicht weiter gestört. Hey, scheiß auf New York – das gibt’s morgen auch noch, aber die Video-Premiere ist heute.

Markus: Im selben Jahr war ich auch das erste Mal in meinem Leben in den USA, vier Wochen Roadtrip durch den Südwesten. Die Motels auf der Strecke habe ich danach ausgesucht, ob sie Kabelfernsehen hatten und damit MTV empfangen konnten.

Jan Delay: 1985 – da war ich neun – bin ich mal wieder mit meinem Papa nach Amsterdam gefahren, wo wir immer einen Kumpel von ihm besucht haben. Der hatte MTV und auch noch einen anderen Musiksender. Ich habe immer zwischen den beiden hin und her geschaltet und bin gar nicht mehr rausgegangen, obwohl Amsterdam meine Lieblingsstadt war. Das hat mich so weggeflasht – ich war schon immer ein Musiknerd –, und das dann in Kombination mit Fernsehschauen, meiner zweiten Leidenschaft. Ich war einfach im Gelobten Land. Ja, Musikfernsehen war für mich das Gelobte Land, bevor ich dann Hip-Hop entdeckt habe.

Michael Patrick Kelly: 1988 war meine erste Begegnung mit MTV. Als ich in den Niederlanden lebte und mein Vater einfach immer interessiert war, was gerade musikalisch angesagt war.

Campino: Ja, plötzlich gab es diesen MTV-Kanal, und man hatte endlich einen Grund, den Fernseher den ganzen Tag laufen zu lassen. Der dudelte dann immer im Hintergrund und war selbst in unserem Umfeld relativ beliebt, weil genug Sparten- und Spezialsendungen liefen.

»Ein Kunstwerk« – MTV Europe, das neue Ding

Patrice Bouédibéla: Spätestens als MTV Europe seine Pforten geöffnet hatte, hab ich ständig Musikvideos geguckt. Ich erinnere mich natürlich an Kristiane Backer, unsere Deutsche beim Jugendsender MTV. Und Ray Cokes. Es gab dann ja auch Yo!MTV Raps, also das Nischenformat im Nischensender.

Oliver Pocher: Mit MTV hatte auch ich die erste Berührung mit Musikfernsehen. Ich kann mich natürlich noch an Kristiane Backer erinnern, bei der man dann sagte: »Ach, guck mal! Unsere Deutsche, die moderiert da!«

Henning Wehland: Ich fand die Zeit, als MTV noch aus London gesendet wurde, am spannendsten. Und Kristiane Backer war natürlich die hotteste Frau, die man sich überhaupt nur vorstellen konnte.

Kristiane Backer: Ich hab einen Kollegen, der erzählte mir mal, dass er früher so verknallt in mich war. Das ist sehr lustig, und es berührt mich natürlich auch. Ich habe damals sehr viele Fanbriefe bekommen, aber letztendlich war ich meist Single, und das Leben ging weiter. Aber es ist schon süß und auch erstaunlich, dass sich einige Menschen noch erinnern. Es ist ja schon so lange her und wie ein anderes Leben. Aber MTV war eben Kult bei der Jugend damals!

Über verschiedene Verbindungen und Begebenheiten bin ich 1988 bei einem MTV-Casting gelandet. Das hat der MTV-Chef Brent Hansen persönlich übernommen, lustigerweise in Berlin. Man hat gezielt eine Deutsche oder einen Deutschen gesucht. Das war deren Konzept, dass sie aus ganz Europa Locals nach England holten: also eine Holländerin, einen Schweden, einen Belgier und eben auch jemanden aus Deutschland, dem größten Musikmarkt nach USA. Wir waren alle Nobodys, denen beigebracht wurde, wie man den moderiert und was es sonst noch zu beachten galt. In Deutschland hat MTV den Sender über mich verkauft, indem ich den Medien zahlreiche Interviews gegeben habe, in Holland über Simone Angel. Und so wurden wir dann zu kleinen Starlets.

Im Januar 1989 bin ich nach London gezogen. Die MTV- Mitarbeiter kamen aus allen Ländern der Welt, wir wurden schnell zu einer internationalen MTV-Family, die auch viel zusammen feierte.

Ray Cokes hat mir am Anfang ein bisschen beigebracht, wie man moderiert, und Tipps gegeben, wie man buchstäblich im Wohnzimmer des Publikums landete. Die ersten vier Wochen haben die Neuen auch nur bei allem zugeschaut, bevor sie selbst auf Sendung gegangen sind. Meine ersten Sendungen waren European Top 20 unddann der Coca-Cola-Report. Diese Sendung hat richtig Spaß gemacht. Dafür sind wir mindestens einmal im Monat verreist: durch ganz Europa, aber auch nach Los Angeles oder Boston, um von dort zu berichten, Künstler zu interviewen, Designer zu treffen und natürlich vieles andere zu erleben. Paris, Amsterdam, Istanbul, Berlin: Wir waren überall.

Kurzzeitig hatte ich auch noch eine Hardrock-Sendung moderiert: Headbangers Ball. Diese Heavy-Metal-Sendung hat dann später Vanessa Warwick übernommen – sie war Expertin auf dem Gebiet. Im Gegensatz zu mir. Es war auch nicht unbedingt die Musik, die mir persönlich gefiel. Alice Cooper, den ich in Holland interviewt hatte, und seine Band waren aber sehr nett. Am nächsten Tag waren wir im selben Flug zurück nach London. Die Band, die aussahen wie der lebende Tod, ging problemlos durch den Zoll, nur mich filzte die Zollbeamtin eine Stunde lang. Mein Kosmetikkoffer wurde genauestens untersucht. Jedes Puder, jede Creme, einfach alles. In London haben uns die Leute auf der Straße kaum erkannt. Dort konnten wir uns relativ anonym bewegen – auch weil die meisten kein Kabelfernsehen hatten. Nur in der Musikbranche selbst kannte uns natürlich jeder. Einmal hatte ein Freund aus dem Business meine Geburtstagsparty organisiert, zusammen mit anderen Freunden, die auch Geburtstag hatten. Es kamen unter anderem Sinéad O’Connor und David Gilmour von Pink Floyd, der zu mir sagte: »Du bist wie eine Freundin für mich. Du bist jeden Tag in meinem Wohnzimmer.« Mehr als »Oh wow, that’s nice!« hab ich nicht rausgebracht. Da war ich noch zu schüchtern und die Situation zu abstrakt. Ansonsten war das Leben in London ganz normal. In Deutschland dagegen haben mich alle erkannt, egal, ob am Flughafen morgens um 7 Uhr oder abends in einem Restaurant, alle haben mich angestarrt oder nach einem Autogramm gefragt. Das war schon sehr strange.

Jan Delay: Fun Fact: Kristiane Backer war auf meiner Schule – natürlich ein paar Klassen über mir. Ich habe sogar noch den Schulatlas, in dem die Namen von mir, Dennis von den Beginnern und – Kristiane Backer stehen.

Christian Ulmen: Ich glaube, ich war 15 oder 16, als ich MTV bei Freunden sehen konnte. Auf kleineren Partys – wir nannten das »Sit-ins« – lief immer MTV im Hintergrund – wie Radio, nur mit Bild. Wir hatten keinen Kabelanschluss, weil meine Eltern gegen Fernsehen waren. Ich habe mir vom Anschluss eines Nachbarn heimlich und illegal ein Kabel in mein Zimmer gelegt, um endlich auch zu Hause MTV sehen zu können. MTV wurde zum Grundrauschen – während der Hausaufgaben oder beim Telefonieren.

Höhepunkte waren die Video Music Awards. Die Schule zu schwänzen, um mit zehn Leuten diese Shows zu gucken, war ein elementarer Bestandteil meiner Jugend und der vieler in meiner Generation.

Sido: Ich komme ja aus dem Osten. Dort gab es das so ja nicht. Wir hatten Elf 99, eine Fernsehsendung so ähnlich wie Formel Eins. Da hat man halt ein bisschen Mucke geguckt, aber Musikvideos habe ich erst 1990 mit MTV kennengelernt.

Palina Rojinski: Als ich 1991 aus Russland nach Deutschland kam, hab ich viel rumgezappt. Eines Tages sehe ich auf einmal dieses Logo rechts oben, das MTV-Logo und ein Musikvideo. Ich konnte es nicht fassen. Das war für mich, als ob sich der Sesam geöffnet hatte. »Der Schatz« war ja vorher immer hinter verschlossenen Schranken. Dass mir dieser Sender frei zugänglich war, zu jeder Uhrzeit, war für mich unfassbar.

Nilz Bokelberg: Ich überlege gerade, wann ich das erste Mal MTVgesehen habe. Das muss bei meiner besten Freundin gewesen sein, weil in ihrem Kinderzimmer nämlich ein Fernseher mit Kabelanschluss stand. Wir hingen nach der Schule immer bei ihr ab und schauten MTV. Sie hat immer auf ein neues Video von New Kids On The Block gewartet. Und ich auf alles andere. Als ich dann »Smells Like Teen Spirit« das erste Mal gesehen habe, bin ich ausgeflippt. Das war stark – und ich war sofort Nirvana-Fan.

Und dann haben wir natürlich immer Ray Cokes geguckt – auch wenn wir mühsam mit unserem Schulenglisch versucht haben, ihn zu verstehen. Aber wir haben schon gecheckt, dass der witzig war.

AnNa R.: Als MTVin Deutschland an den Start gegangen ist, fand ich es total anstrengend. Alles war wahnsinnig bunt und schnell. Es entsprach nicht meiner Sehgewohnheit. Aber dann habe ich es doch geguckt, weil es ja keine Alternative gab, Videos anzuschauen.

Heike Makatsch: Als MTV auch in Deutschland ausgestrahlt wurde, wurde es schnell zur Messlatte für alles, was cool war. Ray Cokes und Steve Blame waren Kult, man sprach frühmorgens in der Schule davon.

Smudo: Ich fand die MTV News und Steve Blame immer toll. Der sprach immer mit einem süffisanten Lächeln und betont britisch: »Hi, Steve Blame here with MTV News«. Den fanden wir immer süß. Der hätte bestimmt auch Karriere als Psychotherapeut machen können, weil er, wie ich finde, ein Gesicht hat, in das man total gerne reinsprechen möchte. Dem man immer gerne zuhört. Und Ray Cokes fand ich auch ganz außerordentlich, weil er einen Humor hatte, den ich so bisher nicht gekannt habe. Er war eigentlich recht amerikanisch aus heutiger Sicht, ein klassischer Late-Night-Talk.

Henning Wehland: Mit den H-Blockx haben wir diesen Local Hero Award von MTV bekommen und sind in dem Zuge auch bei Ray Cokes auftreten: »Move« haben wir da performt. Ich fand Most Wanted genial, weil der Typ – also Ray Cokes – eine Monster-Reichweite hatte und im Prinzip nur er war. Also er war Ausstattung, Special Effects und das Vorbild eigentlich für jeden Hobby-Talkmaster: Einfach er selbst zu sein und damit so, finde ich, das Musikfernsehen zu revolutionieren.

H. P. Baxxter: Ray Cokes, der verrückte Engländer. Den fand ich auch immer witzig.

Markus: Ich konnte MTV so richtig erst ab 1994 sehen, denn vorher hatte ich kein Kabelfernsehen. Aber von da an lief es dann auch bei mir von früh bis spät. So wie ich früher Songs aus dem Radio mitgeschnitten hatte, nahm ich jetzt Musikvideos und ganze Sendungen auf VHS auf. Meine Lieblingsshows waren MTV’s120 Minutes, Alternative Nation und Headbangers Ball. Neben meinem Bett lag ein Block, auf dem ich mir Songs und Bands notierte, die ich dabei entdeckte. Mit dieser Liste bin ich dann in den Plattenladen gestiefelt.

Pflichtprogramme waren natürlich auch für mich MTV’sMost Wanted mit Ray Cokes und die MTV News mit Steve Blame. Das waren schon zwei Typen, die mich sehr geprägt haben. Überhaupt war MTV schon damals für mich mehr als nur Musikfernsehen: Es war große Kunst und Lebensgefühl zugleich. Es fühlte sich fast so an, als würde man mit den coolen Kids aus Amerika und England zusammen abhängen, so nah war das plötzlich alles.

Christian Ulmen: Ich habe das alles wegen der Musik geguckt. Ich liebte aber auch, wie MTV sein Programm aufgemacht hatte, vor allem die Animationen des MTV-Logos, die von Kunststudenten gemacht wurden. Das war ein krasser Bruch meiner Sehgewohnheiten. Während es im ZDF als State of the Art galt, Sender-Buchstaben vor blauem Horizont ins Bild schweben zu lassen, hat sich bei MTV ein animierter dicker Mann selbst aufgegessen, bis nur noch das Senderlogo auf dem Teller übrig blieb. MTV war ein Kunstwerk. Es hatte mich voll in seinen Bann gezogen. Die Geschwindigkeit von Schnitt und Kamera, Ray Cokes – da entstanden Vibes, die bis heute kein anderer Fernsehsender jemals erzeugt hat.

Smudo: Die Optik von MTV war irre. Diese Ästhetik von MTV Sports haben wir für unsere Sendung Die 4. Dimension übernommen. Die schnellen Schnitte, der Impact, das war einfach völlig revolutionär aus damaliger Sicht. Auch dass es so was wie einen Radiosender in Form eines Fernsehsenders gab, der am Stück immer nur Musik spielte, das war schon cool. MTV war wirklich weit vorne in allem und lief überall.

Björn Beton: Dass die MTV News nur von Musik handelten, fand ich unglaublich. Das war für mich beim ersten Mal ein regelrechter Schock. Damit hatte ich nicht gerechnet. Ich war völlig durcheinander. Und meine Rap-Leidenschaft wurde natürlich durch Yo! MTV Raps immens befeuert. Dass ich bis heute so ein großer Rap-Fan bin, hat ganz sicherlich etwas damit zu tun.

Campino: Die MTV-Spartensendungen waren super. Ich erinnere mich vor allem an die Metal-Sendungen. Es war toll, dort Gruppen wie W. A. S. P. zu entdecken und obskure Bands, die man vorher nicht kannte. Das hat Spaß gemacht, und dann gab es ja auch Independent-Sendungen, die alte Punkclips gezeigt haben. MTV war auf jeden Fall ein Schritt nach vorne, auch für Bands wie Faith No More, die überhaupt erst über MTVweltbekannt wurden. Ich glaube, auch Guns N’Roses und Nirvana haben davon schwer profitiert. MTV wurde so zum »Rockstarmacher«. Besonders in der ersten Phase, als sie quasi eine Monopolgewalt hatten.

Jan Müller: Das erste Mal, dass ich überhaupt von MTV hörte, war in einem Lied der von mir sehr geschätzten Band Dead Kennedys »MTV Get Off The Air«. Ein für Jello Biafra typischer, politischer Text, ein Statement. Und wie man als Teenager dann so denkt: Aha, MTV scheint ja keine gute Sache zu sein. Das änderte sich, als Nirvana auf die Bildfläche kam und »Smells Like Teen Spirit« in Dauerschleife auf MTV lief. Ich fand es dann schon interessant, dass es eine Underground-Band mithilfe des Musikfernsehens zu so großer Popularität gebracht hat.

Andi Meurer: Es war etwas ganz Neues, dass man auf einen Schlag weltweit zeigen konnte, wie so eine Band aussah oder was sie verkörperte. Gerade am Beispiel Nirvana, wenn du »Smells Like Teen Spirit« gesehen hast, wusstest du sofort, was das für eine Band ist und was dich ungefähr erwartet, wenn du zu einer ihrer Liveshows gehst. Das gab es vorher nicht. Da musstest du spielen, spielen, spielen, damit dich die Leute sahen. Auf einmal konntest du weltweit durch die Decke gehen, wenn du ein paar gute Videos hattest. Das war neu.

Michi Beck: Soviel ich weiß, war »Die da!?!« das erste deutschsprachige Video überhaupt, das bei MTV Europe gezeigt wurde. Wir waren irgendwo bis morgens unterwegs gewesen, als wir im Hotel ankamen und im Fernsehen unser Clip lief.

Campino: An unser erstes Video bei MTVkann ich mich nicht mehr erinnern. Aber der Sender galt als relativ cool. Zumindest nicht als uncool. Deshalb konnte man als Rockband dort hingehen, ohne seinen Ruf zu ruinieren – was man bei anderen Fernsehsendungen durchaus getan hat.

Michi Beck: Zum Release von »Die da!?!« waren wir in Ray Cokes’ Sendung eingeladen. Wir reisten mit einem Privatjet dorthin, weil wir am nächsten Tag zu Musik liegt in der Luft nach Hof fliegen mussten. Das war krass, das erste Mal in einen Privatjet zu steigen und dann nach London zu MTV zu fliegen. Total flashig. Ich habe bis heute noch ein bisschen das Gefühl, wenn ich als Musiker nach London komme, in der Entertainment-Branche ein zweitrangiger Typ zu sein. Weil die Engländer und die Amis eigentlich immer »first row« sind für mich. Und genauso erging es mir auch damals schon bei dem Trip. Es war so cool, und alle waren einfach supernett, halt typisch britisch. Die haben es uns wirklich leicht gemacht und nie von oben herab behandelt. Es war schon krass, in der Schaltzentrale des europäischen Musikfernsehens zu sitzen, wo schon Nirvana und alle anderen Grunge-Leute oder Pop-Superstars ein und aus gingen. Und wir plötzlich mittendrin.

Smudo: »Die Da!?!« war damals unser Versuch, groß ins Radio zu kommen. Hat auch funktioniert. Und als der Song drohte, in die Top 10 einzusteigen, da musste auch MTV den Clip spielen. Dann drehten die einen Beitrag über uns, nach dem Motto »The German Rappers kommen«. Damals waren wir es nicht gewohnt, auf Englisch Interviews zu geben. Das konnten wir gar nicht. Die Frage, die anfangs ja auch immer gestellt wurde, war: Wie können weiße Milchbubis aus Stuttgart überhaupt Rapmusik machen? Das geht doch nicht! Das dürfen nur schwarze Amerikaner, denn es muss doch bei Rapmusik immer um soziale Problemaufarbeitung gehen und Milieuschutz. Das hat doch in Deutschland nichts verloren. Thomas hat das versehentlich sehr gut getroffen, indem er das Dilemma mit »We are from the Mittelstand« zusammengefasst hat. Wir rappen über unsere Themen und nicht von unten oder oben. Das lustige Bonmot auf Englisch mit deutscher Vokabel wurde und wird immer wieder gerne zitiert.

Und auf die Frage, wie es denn phonetisch überhaupt möglich ist, in so einer sperrigen Sprache wie Deutsch zu rappen, meinte ich dann noch: »German language is rapable!«

Bär Läsker: Der Satz war legendär. Da war Ray Cokes schon ein bisschen irritiert. Wie jetzt? Deutschrap? Es hat sich dann aber schnell rumgesprochen, dass diese verrückten Deutschen echt etwas auf die Beine stellen, und das hat MTV dann schon sehr interessiert.

Patrick Orth: Es gab nur so Fensterchen für Bands wie die Toten Hosen bei MTV. Man muss dazu sagen: Die Toten Hosen waren damals ja schon richtig groß. Der Durchbruch war »Ein kleines bisschen Horrorschau« mit »Hier kommt Alex«. Von da an waren wir immer in den größten Städten, in den größten Hallen, die immer ausverkauft waren. Das bringt es, glaube ich, ziemlich auf den Punkt. Aber man wollte dann natürlich auch irgendwie präsent sein, in diesem neuen Ding namens Musikfernsehen. Und MTV war damals fett in Deutschland. Auf jeden Fall. Das lief überall.

Farin Urlaub: Einmal waren wir auch bei Ray Cokes. Das kam wahrscheinlich auf Drängen unseres damaligen Labels zustande. Woran wir uns lebhaft erinnern, war die absolute Abneigung, die uns in den englischen MTV-Studios entgegenschlug. Man gab uns sehr deutlich zu verstehen, dass wir als Krauts hier nichts zu suchen hätten. Wir revanchierten uns mit einer absurd »eingeenglischten« Live-Version von »Anneliese Schmidt«. Das besiegelte dann auch gleich das Ende unserer internationalen Karriere.

Patrick Orth: Wenn du als deutsche Band wolltest, dass bei MTV dein Video gezeigt wird, dann musstest du mit einer VHS-Kassette nach London fliegen. Dort wusste man schon, wer Die Toten Hosen sind, und wir haben dann auch eine Audienz bekommen. Die Kassette wurde dann in einen Recorder geschoben, die sahen sich das Video kurz an und sagten dann sinngemäß: »Ja, okay. Ich zeige euch jetzt mal, was ein Video ist«, und haben uns dann das aktuelle Meat-Loaf-Video von »I’d Do Anything for Love« vorgespielt. Das war ein Zwölf-Minuten-Epos oder so. Was weiß ich, was die dafür ausgegeben haben? Wahrscheinlich Millionen für einen weltweiten Markt. Die Aussage lautete dann sinngemäß: »Das ist ein Video, und wenn ihr auch so was habt, dann könnt ihr wieder vorbeikommen.« Vorher muss es nicht unbedingt sein. So ungefähr lief das ab.

Campino: Unglücklicherweise waren die Hosen zu der Zeit keine besonders gute Video-Band. Wir haben sehr viel Schrott abgeliefert, weil uns das Geld für eine vernünftige Produktion fehlte und wir mit diesem Video-Format auch noch gefremdelt haben. Außerdem haben wir uns irgendwie auch mehr als Live-Band gesehen.

Patrick Orth: MTV, das war so eine Mischung aus Deppen – und enttäuschte Liebe war natürlich auch dabei. Klar, wir waren in Deutschland echt die fette Nummer, waren ein paarmal in London und kannten dann auch dort ein paar Leute und dachten: Hey, jetzt hat man einen Draht. Bis dann unser neuestes Video kam und wieder nachts in einer Spezialsendung versendet wurde, einmal. So war die MTV-Geschichte am Anfang.

Andi Meurer: Ja, wir mussten immer wieder nach London. Ich fand das auch eigentlich super. Aber klar: Als deutsche Band gehörte man dort nicht zur obersten Kategorie.

Brent Hansen: Ob MTV damals arrogant gegenüber deutschen Acts war, kann ich nicht beantworten. Ich muss sagen, dass ich mich persönlich nicht als arrogant empfunden habe, aber es gab umgekehrt oft ein arrogantes Verhalten deutscher Künstler gegenüber MTV. Die Ärzte, sogar Die Toten Hosen waren nie Mainstream-Künstler im internationalen Fernsehen, sie waren es einfach nicht. Ihre Musik hatte ihren eigenen Markt, es sei denn, sie hätten sie so gemacht, dass sie auch den Italienern, Schweden oder Griechen gefallen hätte. Es war immer eine heikle Situation. Vielleicht waren manche auch ein bisschen enttäuscht, und wenn das der Fall war, na gut. Ich bin bereit, das auf mich zu nehmen. Aber auch ich war oft frustriert, weil ich ständig aggressiv von anderen Leuten angegangen wurde, die mir vorwarfen, wir würden alles imperialisieren. Meiner Meinung war genau das Gegenteil der Fall. Ich persönlich dachte, es wäre eine Umarmung. Aber es ist alles eine Frage der Wahrnehmung, nicht wahr?

Campino: Ich erinnere mich daran anders als Patrick. Wir sind durchaus hin und wieder gespielt worden und wurden zum Beispiel nach den Vorfällen 1992 in Rostock zu Talkshows über Fremdenfeindlichkeit und Rassismus von MTV eingeladen.

Die Zeit von MTV Europe war gut für uns, weil unsere Clips europaweit ausgestrahlt wurden. Auf einmal waren wir auch in anderen Ländern ein Begriff.

Wir mochten es, regelmäßig nach London zu fahren. Das war eine okaye schöne Zeit, die zufällig mit unserem Learning English-Album korrespondierte. Wir hatten englische Lieder veröffentlicht und waren viel in Europa unterwegs.

Und auch sonst erinnere ich mich an eine Menge MTV-Momente in London, weil wir dort ja auch immer übernachten mussten. Das hatte dann meistens zur Folge, dass wir lange gefeiert haben und irgendein Chaos passiert ist.

Bär Läsker: MTV hatte so eine grundbritische distinguished attitude. Das würde ich jetzt nicht unbedingt als arrogant bezeichnen, aber die waren halt einfach der Platzhirsch.

Elmar: Es war eine schwierige Situation für MTV, als es nur einen Kanal für ganz Europa gab. Alle wollten da rein, alle wollten ihr Video auf der Playlist haben. Klar, dass da viele nicht gespielt werden konnten. Es sollte ja auch in ganz Europa funktionieren. Nationale Künstler zeigen, ohne dabei die internationalen Zuschauer zu verprellen, das war die Aufgabenstellung. Es war also die Suche nach dem kleinsten gemeinsamen Nenner. Es gibt dazu ein treffendes Zitat von Brent: »It was the tall skinny Scandinavian talking in English to Germans.«

Brent Hansen: Ich habe damit versucht, den Eindruck zu vermitteln, dass dies die Kompromisse waren, die man eingehen musste, um international zu senden. Englisch war die Lingua franca. Es war die Sprache des Rock ’n’ Roll, also haben wir sie benutzt. Das war das Spiel, und das war sicherlich aufregend für eine Menge Leute in Deutschland, die MTV anschauten. Das ist sicher.

Markus: Einerseits habe ich mich immer sehr gefreut, wenn bei MTV mal ein Video von den Hosen, Fanta 4 oder Die Ärzte lief. Andererseits konnte man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass sie ein bisschen wie Fremdkörper im Programm wirkten, weil drumherum eben alle Englisch sprachen. Bei Héroes del Silencio aus Spanien habe ich das beispielsweise nicht so empfunden. Aber gut, die waren ja dann auch europaweit erfolgreich.

Campino: Die Videopremieren gab es immer freitags zur gleichen Zeit. Das war ein wichtiger Termin, da hat man drauf gewartet und sich davorgesetzt. Ein richtiges Event. Kurz nach der Premierensendung klingelten bei uns die Telefone, und unsere Freunde und Bekannte gaben ihren Kommentar ab, also so was wie »ich hab euch eben gesehen, war ja wohl nichts«, oder »war super« oder wie auch immer. Die Reaktionen waren uns schon wichtig.

Tim Renner: Wir hatten eine relativ gute Präsenz auf MTV Europe. Unsere Künstler haben ja auch Englisch gesungen, das hat es leichter gemacht, bei Phillip Boa, Jeremy Days und anderen. MTV hat uns 1992 auch sehr dabei geholfen, U96 mit »Das Boot« europaweit durchzusetzen.

Patrick Orth: Als es Ende 93 mit VIVA losging, haben wir uns gedacht: Endlich müssen wir nicht mehr zu den Arschlöchern nach London fahren.

Kapitel 2 »We wish you luck« – Die Gründung von VIVA 1987 bis 1993

VIVA wie »Videoverwertungsanstalt« – die Entstehung eines neuen Senders

Die Geschichte der VIVA-Gründung wurde noch nie wirklich erzählt. Dabei ist es eine spannende Geschichte.

Allgemein bekannt ist, dass die großen Plattenfirmen, also die Musikindustrie involviert und Dieter Gorny einer der Gründer war. Das ist auch richtig, wobei die eigentliche Initiative von anderen ausging und Dieter erst etwas später dazukam.

Es ist, wie so oft bei erfolgreichen Gründungen, eine Geschichte von gutem Timing, Hartnäckigkeit, glücklichen Begebenheiten, Rückschlägen, Zufällen und viel Arbeit. Eine klassische und immer wieder in der Musikindustrie begonnene und beendete Start-up-Story, würde man heute sagen.

Die Erzählungen der Protagonisten divergieren an der ein oder anderen Stelle. Aber gut, es ist über 30 Jahre her, und die Wahrheit liegt ja immer auch im Auge des Betrachters. Allein aus diesen Erzählungen hätten wir ein Buch machen können.

Also, wie kam es zur VIVA-Gründung, und wer waren die Gründer?

Hier die Antworten, in Kurzform erzählt von den drei wesentlichen Protagonisten der Gründung 1993:

Dieter Gorny: Geschäftsführer der Musikmesse Popkomm, Leiter des Rockbüros NRW, damals 40 Jahre alt.

Christoph Post: Gemeinsam mit Jörg Hoppe, Mitinhaber der TV Produktionsfirma Me, Myself & Eye, kurz MME, damals 28 Jahre alt.

Hannes Rossacher: Als Co-Partner von Rudi Dolezal, Inhaber der DoRo GmbH, der damals renommiertesten Videoclip-Schmiede im deutschsprachigen Raum, damals 41 Jahre alt.

Hannes Rossacher: In den Achtzigern haben wir schon Clips für Falco, Queen, Rolling Stones und andere gemacht. In dem Zuge habe ich Jörg Hoppe kennengelernt. Er war Anfang der Achtzigerjahre Manager von Extrabreit. 1987 hat mir Jörg ein Fax geschickt: »Wollen wir uns nicht einmal zusammensetzen und schauen, ob man etwas machen kann, um ein deutsches Musikfernsehen auf die Beine zu stellen?« Daraufhin haben wir uns in Berlin getroffen. Das ist praktisch die Initialzündung gewesen.

Nach dem Treffen hat es dann noch eine Weile gedauert. Zu der Zeit ist ja gerade erst MTV Europa in London entstanden. Wir kannten aber einige MTV-Leute, und so kam es zu einem Meeting mit den MTV-Chefs Brent Hansen und Bill Roedy.

Wir haben denen gesagt: »Passt auf, ihr geht davon aus, dass der europäische Markt mit dem amerikanischen vergleichbar ist. Das ist aber nicht so. In Europa hast du riesige Sprachzonen, die eigene Märkte sind. Du hast in Deutschland zum Beispiel einen Herbert Grönemeyer oder einen Marius Müller-Westernhagen, die verkaufen über eine Million Platten, wenn sie ein Album veröffentlichen. Damit wären sie sogar in Amerika in den Top 10 der Billboard-Charts. Die werden aber bei MTV in England nicht gespielt, weil das in Frankreich, Italien oder sonst wo niemanden interessiert. Umgekehrt gibt es auch in Frankreich enorm erfolgreiche Künstler, die in Deutschland niemanden interessieren. Undundund … Ihr müsst also regionale Signale ausstrahlen«, haben wir gesagt. »Ihr müsst MTV Deutschland machen, MTV Frankreich und so weiter.« Zum Ende des Meetings haben wir dann gefragt: »Wie ist das jetzt, würdet ihr das machen?« Und die beiden meinten nur: »No, thanks. We wish you luck!«

Nach dem MTV-Meeting hat sich dann die Interessengruppe aus MME und uns, den DoRos, formiert. Wir waren die Original-Founder.

Dieter Gorny: Die Popkomm war ja immer wieder ein Riesending, auch international. Zehntausend Fachteilnehmer auf der Messe und Hunderttausende beim gleichzeitig stattfindenden Ringfest.

Ab 1991 war auch MTV auf der Popkomm vertreten. Wir waren total stolz, dass die rüberkamen, und es gab auch regelmäßig Kontakt.

Aber schon damals wurde darüber diskutiert, warum MTV eigentlich nicht auf Deutsch sendet. In Deutschland gab es ja nichts Vergleichbares. MTV sendete zu diesem Zeitpunkt ein paneuropäisches Programm aus London, in dem deutsche Künstler so gut wie gar nicht auftauchten. In dem Zusammenhang entstanden dann erste Ideen. Wenn MTV nichts Deutsches macht, warum macht man so was nicht selber? Damals war die Musikindustrie ja schon maßlos stolz darauf, wenn sie einen deutschen Topstar wie Westernhagen irgendwie auf der MTV-Playlist untergebracht haben.

Die ersten Gespräche über deutsches Musikfernsehen waren so ein bisschen wie die Reformation. Man schlägt die Thesen an die Tür, aber um Gottes willen – das ist ja Blasphemie – achtet darauf, dass MTV das nicht hört.

Christoph Post: Die eigentliche Initialzündung für VIVA? Wir waren mit unserer Company MME in Hamburg und wollten zu der Zeit eine Musikstrecke für den Lokalsender Hamburg 1 machen. In diesem Umfeld tauchte auf einmal Tom McGrath, der Head of International bei Time Warner in New York, auf. Er hatte auf der ganzen Welt alles Mögliche für Time Warner eingekauft, wollte in Hamburg 1 investieren. Deshalb waren wir mal mit ihm abendessen.

Bei dem Meeting haben wir auch über Spartenkanäle gesprochen. Er meinte dann – und das war meiner Meinung nach der initiale Punkt –, ein Musikprogramm bei Hamburg 1 fände er super, aber warum machen wir das nicht gleich in ganz Deutschland? Weil, Time Warner war auch an Musiksendern interessiert.

Und ich weiß noch, dass mein MME-Partner Jörg Hoppe und ich nach Hause gefahren sind und wir vollkommen flambiert waren: Der hat ja total recht! Wir haben mal wieder viel zu klein gedacht.

Bei dem Abendessen hat Tom uns auch erzählt, dass die großen Plattenfirmen, die Majors, zu denen auch Warner gehörte, wahnsinnig schlecht auf MTV zu sprechen waren, weil dort so eine »verkehrteWelt« stattfand. MTV hatte es ja sensationell hinbekommen, dass deren Hauptprogramm, also die Musikvideos, weder von ihnen bezahlt werden musste, noch beauftragt, noch hatten sie Lizenzen zu zahlen. Im Gegenteil: Die größten Stars, die bei den größten Musiklabels unter Vertrag waren, haben die besten Songs, mit den besten Videoclip-Regisseuren, auf ihr Risiko hin produziert – für MTV. Damals wurden jede Woche 40, 50 neue Videos produziert, die dann bei MTV in die Musiksitzung kamen. Und Tom meinte: »You know, we spend millions and millions to send these new superstar clips over to MTV and there’s an intern and throws it in the basket.« Da sind die alle ausgeflippt.

Die Plattenfirmen hatten damals auch alle Höhenflüge. Mit der Einführung der CD haben sich deren Umsätze noch mal verdreifacht. Einfach so. Die hatten also viel Geld, ein dickes Ego, aber keinen Einfluss, auf diese beknackte MTV-Playlist zu kommen. Die Clips waren ja das Vehikel, um die Leute dazu zu bringen, das eigentliche Produkt zu kaufen. Und woanders liefen keine Clips. Also das war eine irre Welt für MTV, die bei der VIVA-Gründung eine große Rolle gespielt hat.

Das Treffen mit Tom war Ende 91, und das war the very beginning. 1992 war dann auch ein hartes Jahr für uns: Wir wären mit der MME fast pleitegegangen, weil wir uns so auf VIVA konzentriert hatten. Das hing immer wie eine Karotte im Raum, einen Sender zu machen. Wir dachten uns: Alter, wenn das durchkommt, dann haben wir die Rente.

Tom McGrath war dann regelmäßig in Hamburg. Zu der Zeit haben wir auch schon Aufgaben von Tom gekriegt, ohne dass wir irgendwelches Geld bekommen hätten. Aber es wurde konkreter.

Damals kam dann auch das erste Mal der Begriff VIVA auf – als Abkürzung für »Videoverwertungsanstalt«. Das war Jörg Hoppes Idee. Wir brauchten einen catchy Namen, weil »deutsches Musikfernsehen«, das klingt ja total scheiße. Da investiert doch keiner.

VIVA war als Name aber eigentlich ziemlich schlecht, weil es eine Frauenzeitschrift mit dem Namen gab und einen Schokoriegel. Also das war irgendwie – iiihh. Da haben wir immer gesagt: Ja, komm, das ist jetzt erst mal ein Zwischenname. Wenn aus dem Sender was wird und wir Investoren finden, dann werden sowieso fünf Agenturen angeheuert, die geile Namen erfinden. Aber die Amerikaner, vor allem Tom, meinten: »No, that’s great! That’s good! Isn’t it Latin? It sounds European. I really like VIVA, so save it. Please make sure, that we can use it.«

Es wurde also konkreter, und Jörg und ich haben echt Schiss gekriegt. Nicht nur überhaupt einen Sender hochzuziehen, sondern auch: Oh Gott, wie geht das? Es ging ja vor allem auch gegen MTV. Wie wollen wir gegen diesen Sender ankommen? Da haben wir gesagt: »Okay, wir müssen Kräfte bündeln, nur wir beide geht nicht. Wir haben ja auch noch unsere eigene Company, die MME, um die wir uns kümmern müssen. Lass uns mal Rudi und Hannes ansprechen. Der Kuchen ist so groß – wir brauchen die.«

Die DoRos haben wie wir Videoclips produziert und fischten im gleichen Teich. Bei unserem ersten Treffen fragte Rudi Dolezal: »So, wie weit seid ihr denn?« – »Aha, so weit. Ja, dann machen wir schon mit.«

Hannes Rossacher: Bei einem Medienbrunch haben wir dann auch den Time-Warner-Chef Tom McGrath kennengelernt, super erfolgreich, super big shot. Tom hatte diese Handshake-Qualität. In den Gesprächen gab es keinen doppelten Boden. Time Warner hat unsere Idee zwar ganz lustig gefunden, aber nicht hundertprozentig dran geglaubt, dass wir das wuppen können. Wir sind dann zu einem weiteren Meeting mit ihm nach Paris geflogen – und dort hatte der Dolezal einen seiner Momente. Eine tolle Performance von ihm. Im Kern hat er gesagt, dass wir die Typen seien, deren Eier groß genug sind, um das hinzubekommen. Daraufhin hat Time Warner den Vorlauf für den Sender, ein Entwicklungsbudget und so weiter, finanziert.

Christoph Post: Beim nächsten Meeting meinte Tom dann: »We need more money to start VIVA, and I’ve already spoken to my friends at Sony and Polygram, but they’re only doing this if we have a license. Please make sure that we get the license, then we’re in business.«

Da ging es dann also um die Senderlizenz und einen Kabelplatz. Die Kapazitäten im Kabelnetz waren aber begrenzt. Da war alles voll, und andere Sender standen Schlange. Und so ist Dieter Gorny ins Spiel gekommen. Dieter war irgendwie umtriebig und nett und irre gut mit der Politik connected. Da haben wir ihn reingeholt, aber Dieter war sehr skeptisch. Wird das was? Er hat dann gar nicht so angebissen, aber bei der Politik hat er uns geholfen.

Dieter Gorny: Es gab ein Abendessen mit Jörg Hoppe, einem Journalisten vom Stern und mir. Dann haben wir gesagt, lass uns das doch gemeinsam angehen. Jörg hatte das TV-Producer-Know-how, ich sollte mich um die Politik kümmern, und für die Kontakte zur Musikindustrie haben wir Michael Oplesch dazugeholt, der in diese Richtung gut vernetzt war. Das war die Initialzündung zur Gründung von VIVA.

Hannes Rossacher: Dieter hat diese Seite perfekt reingebracht, die Polit-Connection, das Ohr eines relevanten Politikers, der etwas ermöglichen kann. Kreativ kannst du dir ja einen abkeulen, aber wenn du diese Leute nicht hast, geschieht nichts. Also kam Dieter dazu, und dann haben wir eine Chance gesehen. Es ging dann auch schon um Finanzierung: Es wurden Business-Pläne erstellt und Investoren gesucht.

Christoph Post: Während der Popkomm 1992 haben wir dann die VIVA Medien GmbH gegründet. Völlig verkatert, nach einer durchzechten Popkomm-Nacht, hingen dann Rudi, Hannes, Dieter, Jörg, Michael Oplesch und ich beim Notar und haben VIVA gegründet. Dieter wollten wir unbedingt dabeihaben, damit er motiviert bleibt. Er hat an das Ding 1992 überhaupt nicht geglaubt und war immer ein Wackelkandidat. Er war dann aber erst mal mit der Popkomm an der GmbH beteiligt.

Dieter Gorny: Die Musikindustrie hat viel schneller als erwartet gesagt: Wir machen da mit. Sie hatten natürlich erkannt, wie wichtig Musikfernsehen als Kaufanreiz war, und sahen MTV als kommunikativen Flaschenhals.

Zu dem Zeitpunkt habe ich aber ehrlich nicht daran gedacht, dass ich als Person da eine Rolle spielen würde. Es ging dann aber rasend schnell und wirkte auch wie so ein Fait accompli.

Christoph Post: Es waren dann alle Majors am Start, nur die BMG nicht. Der BMG-Chef Deutschland, Thomas Stein, hat mir gesagt, dass sie da nicht mitmachen, weil sie nicht daran glauben.

Hannes Rossacher: Und so kam Frank Otto als Gesellschafter ins Spiel, der den für BMG reservierten Teil übernommen hat. Die BMG hat keiner verstanden. Keiner hat verstanden, wie man so blöd sein kann, da jetzt nicht mitzumachen.

Christoph Post: Wir hatten aber immer noch keine Sendelizenz. Tom hat dann auch Druck gemacht und kam immer wieder mit der Frage: »Where is the license?« Darum sollte sich Dieter kümmern. Und wir immer wieder: »Dieter, wie sieht’s aus? Wie weit bist du mit der Lizenz?«

Dieter Gorny: Es gab auch ein kompliziertes Hin und Her zum Thema Standort. Wir hatten ja kein Funkhaus und mussten also für den Start bei einem Sender unterschlüpfen. Zu der Zeit gab es Gespräche mit der Landesregierung NRW, und so kam das damals in Köln neu gegründete VOX mit seinem Funkhaus ins Spiel.

Es gab aus dem Gesellschafterkreis aber auch ein gegenteiliges Interesse, und es hieß: »Lass uns doch nach Berlin gehen, da können wir bei n-tv unterschlüpfen.«

Irgendwann sagte dann einer der Gesellschafter: »Mein Gott, ist das kompliziert. Bitte kümmere du dich drum.« Das hab ich dann gemacht. Das war schon spannend und politisch unglaublich kompliziert.

Christoph Post: Und dann ist etwas passiert, was danach für viele Jahre nicht mehr passiert ist in Deutschland. Ein Kabelsender, das öffentlich-rechtliche EinsPlus, hatte angekündigt, zum 30. 11. 1993 den Sendebetrieb einzustellen. Da wurde sozusagen ein gut aufgewärmter Sendeplatz frei. Und Dieter wusste davon. Eine Riesenchance. Jetzt war die Aufgabe, da reinzukommen, damit wir den Sendeplatz bekommen.Und dann kam dann nochmal richtig Dynamik rein. Das war so April, Mai 1993.

Es gab also die Chance auf einen Kabelplatz. Dafür muss man einen Lizenz-Antrag stellen, und das bedeutet eine ziemlich umfangreiche Dokumentation: 150 Seiten inklusive eines Programmschemas und und und. Das haben wir dann in fünf Nächten zusammengekloppt, weil die letzte Sitzung des Parlamentsausschusses vor der Sommerpause dooferweise schon zwei Wochen später stattfand, also Ende Mai 1993. Wir haben durchgearbeitet, alles zusammengeschustert, mit einem Kurier rechtzeitig dahin bringen lassen und schon kurz darauf einen Termin bekommen. Das hat Dieter politisch gut vorbereitet.

Als designierter Programmdirektor bin ich dann nach Düsseldorf zur Landesmedienanstalt gefahren, um das Programm vorzustellen. Dort saß ich vor gesellschaftlich relevanten Gruppenvertretern, das waren so 30 Nasen. Tom McGrath ist auch gekommen, er hat Time Warner vorgestellt, und das war perfekt – hätte Kevin Spacey auch nicht besser gemacht. Er so: »Just that you know, who we are. Time Warner is the biggest entertainment company in the world. Here are some feature films that we recently released – Batman. Here are some of our artists – Madonna.« Die waren alle ganz impressed. Und dann haben wir die Lizenz gekriegt, das war Juni 1993.

Dann entwickelte sich auf einmal eine hohe Dynamik. Besonders bei Dieter. Zwei Jahre lang hatten wir ihn belabert. Aber in dem Moment, als klar war, dass der Sender kommt und dass Kohle fließt, war er auf einmal richtig am Start.

Dieter Gorny: Mitte 1993 war dann die Frage: Wer wird Geschäftsführer? Die Gesellschafter haben dann wohl alles durch-interviewt, was irgendwie für dieses TV-Geschäft geeignet schien. Es war ja auch eine sehr spezielle Job-Description: Wir suchten jemanden mit medialer Erfahrung, der gleichzeitig auch politisch erfahren sein sollte und irgendwie eine Affinität zum Musikbusiness haben musste.

Irgendwann rief Time Warner aus New York bei mir an, und dann ging das sehr schnell. Wir trafen uns dann in Frankfurt. Das war in den Herbstferien 1993. Ich ging rein als Popkomm-Chef und kam raus als VIVA- Chef. (lacht) Das war schon verblüffend.

»So, Jungs, kann ich als Erster?« – die ersten Gesichter bei VIVA

Christoph Post: Wir hatten also die Lizenz, das Investment, ein Studio in Köln-Ossendorf bei VOX gefunden. Aber wir hatten keine Redaktion und keine Moderatoren – und bis zum Sendestart nur ein paar Monate Zeit. Bei der MME hatten wir in Hamburg zwar gute Leute, aber wir haben Bravo TV und Hunderte andere Sachen gemacht, und dann ging das nicht. Damals war dann Marcus Wolter der Einzige, den ich mitgenommen habe.

Marcus Wolter: Christoph hat mich zu Hause in Hamburg angerufen und meinte: »Ey, Marcus, ich bin hier bei so einem Sender. Den gründen wir gerade, VIVA, und ich bin der Programmdirektor. Jetzt suche ich jemanden, der das Casting macht. Da habe ich an dich gedacht.« Ich so: »Cool.« Er meinte dann aber, dass es einen Haken gäbe: »Es fängt morgen an.« – »Und wo?« – »Ja, in Köln.« Habe ich gesagt: »Ja, das ist kein Problem, ich bin dabei.«

Christoph Post: Wir sind dann im September nach Köln gefahren und hatten die Autos voll mit Umzugskisten, da waren VHS-Kassetten drin: 1500 Leute hatten sich schon beworben, in den zwei Jahren, in denen ja immer wieder zu lesen war, dass ein deutsches Musikfernsehen kommen wird.

Marcus Wolter: Christoph hat mir die VHS-Kassetten gegeben und meinte: »Fang mal an!« Wir hatten noch nicht mal über Geld gesprochen. Ich habe einfach angefangen, weil ich das ganze Projekt und auch Christoph irgendwie cool fand. Das war mein allererster richtiger Job beim Fernsehen.

Christoph Post: Mir war total klar, dass wir ungefähr zehn bis zwölf VJs benötigen. Marcus hat die ersten vier Wochen jeden Tag acht Stunden nur gecastet und die Kisten mit Bewerbungsvideos durchgeguckt.Abends, wenn wir aus dem Büro gewandert sind, hat er mir noch VHS-Kassetten in die Hand gedrückt, die ich mir dann angeschaut habe, um am nächsten Tag zu sagen, dass nichts dabei war oder jemand wiederkommen müsste. So sind dann die ersten Moderatoren gefunden worden.

Markus: Gut möglich, dass darunter auch meine VHS-Kassette war. Ich habe damals schon ein paar Jahre im Radio moderiert und als Freelancer für verschiedene Magazine geschrieben. Eins dieser Magazine, das englische Rock Power, hatte mich als Moderator für die geplante Sendung zum Heft gecastet. Damals wurde auch ein Pilot gedreht, der im englischen TV ausgestrahlt wurde. Das Ding ging nicht in Serie, aber wenigstens hatte ich ein Tape davon. Im Herbst 1993 hatte ich auch mein Studium beendet und war bereit für eine Festanstellung. Von VIVA hatte ich 1993 auf der Popkomm erfahren, ich fand die Idee ziemlich cool und habe mich gefragt, warum hierzulande noch niemand früher draufgekommen ist. Am 08. 11. 1993 schickte ich meine Bewerbung, also das Tape inklusive eines Anschreibens, an Christoph Post persönlich. Ich hab nie eine Antwort darauf erhalten.

Nilz Bokelberg: Ich weiß noch, als ich 1993 auf der Popkomm war. Da bin ich an einem Stand vorbeigekommen, bei dem gesagt wurde: »Wir machen jetzt ein deutsches MTV. Das soll VIVA heißen.« Da habe ich gedacht: Na, ja, cool so, warum nicht, ist bestimmt ganz interessant. Damals hatte ich aber noch gar keine Ambitionen. Ich dachte nicht, dass das für mich infrage käme. Da war ich 16 oder 17 und freier Schreiber bei einer kleinen Stadtzeitung. Mein Chefredakteur meinte dann, ich soll mich doch einfach malbewerben. Da habe ich gedacht: Na gut, wenn er das sagt, dann mache ich das. Wieso nicht? Ich war ja Schüler, mir war das auch total egal.

Dann habe ich die Bewerbung geschrieben und nach einem Foto gesucht. Ich hatte nur so ein typisches Pixiefoto mit komischem Hintergrund und Weichzeichner. Meine Augen waren mit schwarzem Edding ausgemalt, also so, dass ich keine Pupillen mehr hatte. Ein anderes Foto hatte ich nicht zur Hand. Deswegen habe ich das einfach kommentarlos dazugelegt und abgeschickt. Nach einer Woche oder so meinte meine Mutter zu mir: »Hier hat jemand von VIVA angerufen. Die wollen, dass du da mal zum Casting hingehst.« Ich habe nur gedacht: »Och, das ist ja toll. Dann kann ich mir mal so ein Casting angucken.« Das war schon ein Privileg, was mich zum Star der Schule machte: Ich geh zu einem Fernsehcasting – egal für was, aber das machen zu können, war schon super. Dann bin ich mit meinen Eltern noch einen Tag vorher einkaufen gegangen. Neue Klamotten – ich bin komplett ausgestattet worden. Ich habe dann noch alles übereinander angezogen, weil ich alles cool fand, und so bin ich dann zum Casting gegangen.

Mola Adebisi: René Rennefeld, ein Musikmanager und guter Bekannter von mir, kannte Christoph Post ganz gut und meinte zu ihm: »Ich hab da einen. Den musst du dir anschauen.« Und dann gab es eine Einladung zum Casting. Ich habe damals gerade Westside Story getanzt im Düsseldorfer Schauspielhaus. Meinem Regisseur sagte ich dann so: »Ja, ich muss zum Casting, VIVA und so.« Und er meinte nur: »What the fuck is VIVA?« Und ich erklärte ihm, dass das ein neuer Musiksender ist. Er antwortete nur: »Ach, du Scheiße, du musst jetzt deine Schritte lernen.« Ich zu ihm: »Komm, eine Stunde.« Und dann bin ich hingefahren zum Casting.

Aleks Bechtel: 1993 machte ich eine Ausbildung zur Verlagskauffrau. In der Berufsschule saß ich neben einer Kollegin, die Gugu kannte, der damals schon für VIVA gearbeitet hatte. Und der hatte ihr erzählt, dass man händeringend VIVA-Moderatoren suchte. Und dann kam eines zum anderen. Er rief mich dann an und fragte, ob ich nicht vorbeikommen wolle. Da dachte ich nur, warum denn nicht. Ist ja eine Erfahrung. Ich war vorher noch nie in einem Fernsehstudio. Ja, dann bin ich nach Köln-Ossendorf gejuckelt.

Matthias Opdenhövel: