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Mit steigendem Lebensalter werden die Auswirkungen defizitärer Mundhygiene und eintretender Munderkrankung auf die geriatrische Gesundheit zunehmend relevant. Vor allem Altersmediziner, Hausärzte und Pflegefachpersonen leisten die kontinuierliche medizinische und pflegerische Betreuung. In Hinblick auf die Relevanz stabiler Mundgesundheit sollten sie für Risikofaktoren für Munderkrankungen sensibilisiert sein und eine erste Einschätzung vornehmen können. Mit diesem Buch schließen die Autorinnen aus den Fachbereichen Geriatrie, Pflege und Zahnmedizin eine Lücke: Sie erläutern die Zusammenhänge zwischen Mundgesundheit und geriatrischen Syndromen und geben dabei einen Überblick über Mundhygiene und Mundgesundheit sowie Munderkrankungen im Alter. Interdisziplinär entwickelte Diagnostik- und Therapieansätze werden beschrieben. Das Ziel ist, Mundgesundheit als relevanten Teil gesunden Alterns zu etablieren und dies im stationären und hausärztlichen Praxisalltag umzusetzen.
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Seitenzahl: 155
Veröffentlichungsjahr: 2023
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Cover
Titelei
Danksagung
1 Vorwort
1.1 Die Perspektive der Zahnmedizinerin
1.2 Die Perspektive der Pflegefachperson
1.3 Die Perspektive der Geriaterin
2 Der geriatrische Patient
2.1 Pflegebedarf und -grade in Deutschland – die Systematik des Gesetzgebers
2.2 Altersphysiologische Veränderungen des menschlichen Körpers
2.3 Altersphysiologische Veränderungen der Mundhöhle
2.4 Orale Transition des Alterns
2.5 Pflegebedarf und Mundgesundheit – ein Realitätscheck
2.6 Zahnmedizinische Situation von Senioren und die Morbiditätskompression
2.7 Mundgesundheit im Kontext geriatrischer Syndrome
2.8 Zusammenfassung
3 Red Flags
3.1 Sturz und Mobilitätsminderung
3.2 Vergesslichkeit
3.3 Gewichtsverlust
3.4 Orofaziale Schmerzen
3.5 Mundtrockenheit
3.6 Tremor/manuelle Einschränkungen
3.7 Dysphagie
3.8 Mundgeruch (Foetor ex ore/Halitosis)
3.9 Palliative Situation
4 Red Flags – Fallvignetten, interdisziplinäre Implikation und Therapieempfehlungen
4.1 Red Flag 1: Sturz und Mobilitätsminderung
4.2 Red Flag 2: Vergesslichkeit
4.3 Red Flag 3: Gewichtsverlust
4.4 Red Flag 4: Orofaziale Schmerzen
4.5 Red Flag 5: Mundtrockenheit
4.6 Red Flag 6: Tremor/manuelle Einschränkungen
4.7 Red Flag 7: Dysphagie
4.8 Red Flag 8: Mundgeruch
4.9 Red Flag 9: Palliative Situation
5 Kasuistik
6 Mögliche Szenarien
Mögliches reales Szenario ohne interdisziplinäre Zusammenarbeit
Ideales interdisziplinäres Zusammenwirken
7 Screeningempfehlungen und Assessmentinstrumente für defizitäre Mundhygiene und Munderkrankungen für medizinische und pflegerische Berufe
8 Praktische Anleitung zur Durchführung von Mundpflege im Alltag
9 Abschlussstatement der Autorinnen
10 Anlage, Links zu weiterführenden Informationen
Links Geriatrie
Links Pflege
Links Zahnmedizin
Literaturverzeichnis
Stichwortverzeichnis
Die Autorinnen
Prof. Dr. med. Gabriele Röhrig-Herzog, MPH, ist Geriaterin an der EUFH, Köln.
Ramona Waterkotte, M. A. Schulmanagement, B. A. Erziehungswissenschaft, B. A. Soziologie, examinierte Pflegefachkraft, Mainz.
PD Dr. med. Dr. med. dent. Greta Barbe, Ärztin, Zahnärztin und Expertin für Seniorenzahnmedizin, Uniklinik Köln.
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1. Auflage 2023
Alle Rechte vorbehalten© W. Kohlhammer GmbH, StuttgartGesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart
Print:ISBN 978-3-17-041436-5
E-Book-Formate:pdf: ISBN 978-3-17-041437-2epub: ISBN 978-3-17-041438-9
Zuallererst gebührt unser Dank Herrn Dr. Elmar Ludwig, der mit großem Engagement und viel Zeit das Buch aus alterszahnmedizinisch-fachlicher Sicht begutachtet und viele konstruktive Änderungen eingebracht hat. Wir haben in ihm einen Berater, der im beruflichen Alltag für eine interdisziplinäre Seniorenzahnmedizin steht, worin er uns ein Vorbild ist. Für die hilfreichen Anregungen, die konstruktive Kritik bei der Erstellung dieses Buches sowie die Bereitstellung vieler klinischer Fotos möchten wir uns herzlich bedanken.
Ein ganz besonderer Dank gilt zudem Frau Melanie Wiescher aus dem Fachbereich Pflege, Frau Dr. Asha Kunnel aus dem Fachbereich Geriatrie sowie Frau PD Dr. Sonja Derman aus dem Fachbereich Parodontologie, die alle mit viel Engagement und mit vielen konstruktiven Beiträgen dieses Buch maßgeblich verbessert haben.
Abschließend danken wir Frau Julia Stiegelmayer, die die Graphen in diesem Buch erstellt und uns zur Verfügung gestellt hat.
Die Mundgesundheit kann sich mit zunehmendem Alter, mit dem Eintreten von Risikofaktoren, Multimorbidität und Polypharmazie häufig rapide verschlechtern. Zum jetzigen Zeitpunkt werden wenige Konzepte erfolgreich umgesetzt, die dies erfolgreich und langfristig verhindern. Insbesondere stellt der Übergang von einer fitten, mobilen älteren Lebensphase in eine Phase zunehmender Gebrechlichkeit einen Risikofaktor für sich verschlechternde Mundgesundheit dar. Dieser Prozess setzt häufig in der häuslichen Umgebung ein und setzt sich dann kontinuierlich in der stationären Betreuung fort. Aus Sicht der Autorinnen ist neben der Entwicklung von immer mehr berufsgruppenspezifischen Einzelansätzen vor allem ein interdisziplinäres Verständnis und die Lust auf den intensiven und beständigen Austausch zwischen den an der Versorgung älterer Menschen beteiligten Berufsgruppen notwendig. Hier ist ein grundlegendes Interesse und eine Sensibilität für die Relevanz lebenslanger Mundgesundheit unabdingbar. Hierzu gehört auch die Akzeptanz, dass der gesunde Mund Teil eines gesund alternden Gesamtorganismus ist.
Dieses Buch möchte daher einen Einblick geben, wie der Stellenwert optimaler Mundhygiene und Mundgesundheit aus der Sicht der Fachdisziplinen Pflege, Geriatrie und Zahnmedizin bei älteren Menschen mit chronischen Erkrankungen und funktionellen Einschränkungen ist. Die Mundgesundheitssituation sowie altersspezifische Risiken für reduzierte Mundhygiene und Munderkrankungen sollen laienverständlich beschrieben werden. Anhand verschiedener Red Flags sollen typische Aspekte des medizinischen und pflegerischen Alltags und die Zusammenhänge mit Munderkrankungen beschrieben werden und mit praktischen Handlungsbeispielen aus dem beruflichen Alltag veranschaulicht werden. Anhand eines Fallbeispiels und Bildmaterial werden mögliche interdisziplinäre Abläufe und ihre Bedeutung für die Prognose und Lebensqualität exemplarisch dargestellt. Zudem werden Informationsquellen aufgezeigt und ein Hinweis auf mögliche im medizinischen und pflegerischen Alltag zu nutzende Mundhygiene- und Munderkrankungs-Assessmentinstrumente gegeben. Grundvoraussetzung für ein Gelingen solcher Interdisziplinarität ist die Begegnung auf Augenhöhe, die ein ernsthaftes Interesse an den Bedürfnissen und auch Problemen des jeweils anderen Fachgebietes beinhaltet. Nur eine solche Zusammenarbeit kann einen authentischen interdisziplinären Blick im Interesse des Patienten ermöglichen und durchführbare, realistische Konzepte als Lösungsansatz bieten. Alles andere würde zu realitätsfernen Lösungsansätzen führen, bei denen die Theorie in der Bibliothek bleibt, jedoch nicht den Transfer in den Pflegealltag und die (zahn)medizinische Versorgung schafft.
Ziel dieses Buches ist daher, grundlegende Kenntnisse zur Mundgesundheit und zu den notwendigen Maßnahmen für deren stabilen lebenslangen Erhalt zu vermitteln und die Sensibilität für den Mund als einen Teil des Gesamtkörpers zu wecken. Zudem soll das Buch Lust darauf machen, sich mit anderen an der Mundgesundheit Beteiligten wie auch den Patienten auszutauschen und so einen Erfolg für die Mundgesundheit, die Allgemeingesundheit und das Wohlbefinden der Patienten zu erreichen.
Dieses Buch ist für alle gedacht, die sich mit der medizinischen Versorgung von Menschen in höheren Lebensaltern beschäftigen. Dies kann im beruflichen ebenso wie im privaten Kontext sein. Neben der Betreuung von Menschen in höheren Lebensphasen mag dieses Buch auch einen Mehrwert für jede Leserin und jeden Leser selbst haben. Da wir alle unausweichlich altern, kann ein grundlegendes Wissen um die Wichtigkeit einer guten lebenslangen Mundgesundheit nur von Vorteil sein.
Ramona Waterkotte ist unter anderem gelernte Zahnarzthelferin und examinierte Altenpflegerin. Sie hat dazu Erziehungswissenschaft und Soziologie B. A. sowie Schulmanagement M. A. studiert und arbeitet an der Fort- und Weiterbildung der Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz als pädagogische Leitung für die Weiterbildung »Spezielle Pflege Stroke unit«. Zusätzlich arbeitet sie als freiberufliche Dozentin und Referentin sowie als Projektleiterin zur Thematik generalistische Pflegeausbildung, Recruiting und Generationsmanagement.
Greta Barbe ist Ärztin und Zahnärztin und ist als leitende Oberärztin an der Poliklinik für Zahnerhaltung und Parodontologie der Uniklinik Köln tätig. Seit 2020 ist sie habilitiert im Fach Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde an der Uniklinik Köln, wo sie seit 2013 zu Themen der präventiven Seniorenzahnmedizin forscht und arbeitet. Inhaltlicher Hauptfokus ihrer Arbeit der vergangenen Jahre war die Entwicklung neuer Präventionsansätze zum oralen Biofilmmanagement bei Pflegebedarf, der Einfluss der optimierten Mundgesundheit auf geriatrisches Assessment und geriatrische Gesundheit sowie die Orale Transition des Alterns.
Gabriele Röhrig-Herzog ist Internistin mit Schwerpunkten in Geriatrie, Psychotherapie und internistischer Hämatologie und Onkologie. Nach langjähriger klinischer Tätigkeit hat sie sich 2018 an der Universität zu Köln im Fachbereich Geriatrie habilitiert und 2021 eine Professur für interdisziplinäre Schmerztherapie an der Hochschule für Gesundheit, Pädagogik und Soziales EUFH in Köln übernommen, wo sie schwerpunktmäßig die geriatrischen Aspekte in Lehre und Forschung vertritt. Wesentlicher Schwerpunkt ihrer wissenschaftlichen und lehrbezogenen Tätigkeiten ist die interdisziplinäre Zusammenarbeit in den Themenfeldern Anämie im Alter, Erhalt von Mundgesundheit bei Hochaltrigen sowie Diagnostik und Therapie gerontopsychosomatischer Erkrankungen.
Dieses Buch ist das Ergebnis einer langjährigen, gemeinsamen wissenschaftlichen und klinischen Zusammenarbeit in der Betreuung geriatrischer Patienten. Die gemeinsame Durchführung hauptsächlich klinischer Studien und der Benefit, der sich aus der interdisziplinären Zusammenarbeit sowohl für die Patienten als auch die Autorinnen ergab, hat die Idee zu diesem Buch entstehen lassen. Bei der Zusammenarbeit sind verschiedene Perspektiven miteinbezogen. Dies ist aus Sicht der Autorinnen als unbedingter Mehrwert und sinnstiftende Diskussionsgrundlage zu verstehen (»Es gibt nur relative Wahrheit«, nach Protagoras). Dieses Praxishandbuch ist geprägt von den klinischen und wissenschaftlichen Erfahrungen der Autorinnen, es erhebt jedoch nicht den Anspruch auf wissenschaftliche oder klinische Vollständigkeit. Vielmehr wurde das persönliche Wissen (basierend auf wissenschaftlicher Evidenz) gekoppelt mit den persönlichen Erfahrungen im Praxisalltag, um dieses möglichst gewinnbringend für die Relevanz im täglichen Berufsleben aufzubereiten, sodass der Leser sich leicht in die klinische und wissenschaftliche Diskussion einfinden kann.
Es mag auffallen, dass verschiedene Begrifflichkeiten und Benennungen hinsichtlich der angesprochenen Zielgruppen verwendet wurden (zu Pflegende, Menschen mit Pflegebedarf, Patienten etc.). Diese wurden nicht willkürlich gewählt, sondern entsprechend den Konventionen der in dem jeweiligen Fachkapitel maßgeblichen Fachdisziplinen. In diesen wurden die Begriffe einheitlich verwendet: zu Pflegende bei aus pflegerischer Sicht geschriebenen Textabschnitten; Patient in den geriatrisch-zahnmedizinischen Abschnitten.
Wir wünschen eine spannende Lektüre, die im Alltag den Blick auf die Mundgesundheit von Hochaltrigen in der eigenen beruflichen und privaten Umgebung schärfen möge.
Die Zahnmedizin des Alterns ist ein höchst spannendes und zukunftsträchtiges Fachgebiet. Aufgrund der erfolgreichen präventions-orientierten Mundgesundheitskonzepte der vergangenen Jahrzehnte für jüngere Erwachsene und dem hierdurch erreichten Zahnerhalt mit häufig komplexer prothetischer Versorgung, stehen Zahnärzte nun vor der Aufgabe, diese Mundgesundheitssituation auch bei eintretender chronischer Erkrankung, Multimorbidität, Polypharmazie und der Notwendigkeit der zahnmedizinischen Versorgung zu Hause oder in stationären Pflegeeinrichtungen lebenslang stabil zu erhalten. Neben heterogenen Mundgesundheitsbefunden gilt es diese im Gesamtkontext geriatrischer Gesund- und Krankheit zu bewerten und entsprechende Therapiekonzepte zu implementieren, da sich die Evidenz mehrt, dass die Mundgesundheit einen Stabilitätsfaktor für einen gesunden Gesamtorganismus darstellt. Um sowohl Mund- und allgemeine Gesundheit und damit die Lebensqualität und das Wohlbefinden sinnvoll, an die Bedarfe angepasst und langfristig gesund halten zu können, sind aufgrund der multiplen Zusammenhänge zwischen Mundhöhle und Gesamtorganismus interdisziplinäre Konzepte essenziell, die im klinischen Alltag alle an der Mundgesundheit Beteiligten mit einbeziehen.
Aus zahnmedizinischer Sicht zeichnet sich ein Muster ab: Solange unsere Patienten gesund und fit genug sind, ihre Zahnarzttermine selbst zu organisieren und eigenständig den Zahnarzt aufzusuchen, greifen unsere zahnmedizinischen Betreuungs- und Therapiekonzepte geradezu vorbildlich. Die Patienten nehmen meist an einer präventions-orientierten Versorgung teil; regelmäßige Besuche beim Zahnarzt sind ab dem ersten Milchzahn bis ins hohe Erwachsenenalter die Regel; zahnmedizinische Erkrankungen werden frühzeitig entdeckt und meist zügig und hochwertig behandelt. Folge ist, dass wir immer mehr Patienten mit deutlich mehr eigenen Zähnen, mit Implantaten und/oder hochwertigem prothetischen Zahnersatz betreuen.
Diese guten Nachrichten bringen aber auch »Nebenwirkungen« mit sich, denn es zeigt sich eine sogenannte Morbiditätsverschiebung: Die zahnmedizinische Krankheitslast verschiebt sich ins spätere Lebensalter: die Füllungen bei 50-Jährigen vor 30 Jahren und der daraus resultierende Zahnerhalt sind nun die behandlungsbedürftigen Zähne bei 80-jährigen Patienten. Die gleichen Munderkrankungen, die also vor einigen Jahren bei fitten Patienten, die ohne Probleme ihre Zahnärzte aufsuchen konnten, auftraten, müssen jetzt bei einer Patientenklientel behandelt werden, die mit ganz anderen zusätzlichen Gesundheitsrisiken und Komorbiditäten zu kämpfen hat. Mit zunehmendem geriatrischem Handlungsbedarf entschwinden diese Patienten zudem schleichend aus der zahnmedizinischen Betreuung. Ein Wandel vollzieht sich von der beschriebenen, optimalen kontrollorientierten Betreuung hin zu einem Zustand, in dem Patienten erst bei stärksten Schmerzen und massivem Behandlungsbedarf den Zahnarzt aufsuchen oder in dem der Zahnarzt die Patienten in ihrer Umgebung zu Hause oder in der stationären Versorgung – häufig akut angefordert – besucht. Zudem deckt die universitäre und postgraduale Ausbildung von Zahnärzten diese besonderen zahnmedizinischen Betreuungsbedarfe Hochaltriger bisher nicht vollständig ab.
Ein weiterer Aspekt ist die bei geriatrischen Patienten häufig sichtbare Mundhygieneproblematik. Mit zunehmenden manuellen Einschränkungen, auftretender Demenz und Polypharmazie wird die eigenverantwortliche Durchführung der täglich notwendigen Mundhygienemaßnahmen schwierig. Dies ist zusätzlich problematisch, da sich häufig die Ernährungssituation hin zu Munderkrankung begünstigenden Gewohnheiten ändert (z. B. kohlenhydratreiche klebrige Kost, breiige, wenig kauaktive Nahrung). Mit der häufig chronischen, stetigen Verschlechterung der Fähigkeit einer suffizienten eigenen Mundpflege kommt es rasch zu Mundgesundheitsproblemen. Um einen Mundpflegezustand zu erreichen, der eine stabil bleibende Mundgesundheit ermöglicht und somit das Auftreten von Karies, Parodontitis und letzten Endes Zahnverlust verhindert, muss diese entstehende Mundhygienelücke zukünftig besser geschlossen werden.
Bei geriatrischen Patienten, die auch auf externe Hilfe bei der Körperpflege angewiesen sind, ist es an der Zeit, dass sowohl die Patienten als auch alle an der Betreuung der Patienten involvierten Personengruppen auf Augenhöhe im Rahmen ihrer Möglichkeiten für die Mundgesundheit sensibilisiert werden, um in realitätsnahen und im Alltag umsetzbaren Strategien die tägliche Mundpflege zu optimieren. Hierzu werden standardisierte Strukturen mit interdisziplinären Schnittstellen benötigt, wobei das Thema Mundpflege als ein gleichberechtigter und selbstverständlicher Teil der täglichen grundpflegerischen Versorgung und des Gesamtorganismus eingeordnet werden muss.
Es ist schon längst kein Geheimnis mehr, dass die Mundhöhle kein isolierter unabhängiger Teil des menschlichen Körpers ist. Viele Zusammenhänge zwischen Mundgesundheit und Allgemeingesundheit sind wissenschaftlich untersucht und viele sind Teil weiterer aktueller Forschung. Gerade im vulnerablen System »geriatrischer Patient« liegen die weitreichenden Folgen mangelhafter Mundhygiene und Munderkrankungen auf der Hand: orale Schmerzen, Mangelernährung mit den bekannten Folgeerscheinungen, (Aspirations-)Pneumonien, chronische Entzündungszustände, um nur einige zu nennen.
Wie also kann man die Patienten und das Unterstützungsumfeld im wahrsten Sinne des Wortes besser abholen, wenn die zahnmedizinische Versorgung langsam weniger wird? Wie können wir erreichen, dass alle Patienten unabhängig von eintretender Multimorbidität in einer kontrollorientierten Versorgung bis an ihr Lebensende verbleiben? Könnte hier der für die Mundgesundheit geschulte und sensibilisierte Geriater, die sensibilisierte Pflegefachperson oder der geschulte Angehörige und letzten Endes natürlich der darauf aufmerksam gemachte Patient selbst einen stärkeren Beitrag leisten und damit für eine kontinuierliche zahnmedizinische Betreuung ohne Lücke sorgen?
Eine langfristig stabile zufriedenstellende Lösung der beschriebenen (Mund-)Gesundheitsprobleme im Sinne einer notwendigen umfassenden lebenslangen Betreuung unserer Patienten werden wir nur durch eine stärkere Verzahnung und Zusammenarbeit aller an der medizinischen Betreuung von geriatrischen Patienten beteiligten Fachdisziplinen erreichen, die dem erhöhten Aufwand im Alltag Rechnung trägt. Zukünftige Konzepte müssen zu Beginn der altersphysiologischen und pathologischen Abbauprozesse beginnen und so die späteren Folgen frühzeitig verhindern. Die Erkenntnis, dass ein gesunder Mund gerade im Alter notwendiger Teil eines gesunden Gesamtorganismus ist, wird zu einer verbesserten umfassenderen medizinischen Versorgung älterer Patienten führen – verbunden mit stabilerer Gesundheit und längerem Wohlbefinden.
Die Zeiten, in denen Menschen im fortgeschrittenen Alter in der stationären Betreuung überwiegend Totalprothesen im Mund hatten, die am Abend im Prothesenbehälter landeten, sind eindeutig vorbei. Daher ist überfällig, dass alle an der Pflege Beteiligten für das Wissen rund um die Mundhöhle der zu Pflegenden sensibilisiert werden. Die aktuell häufig im pflegerischen Alltag erlebte Situation mit wenig Zeit für die Mundpflege, bedingt durch Personalnotstand, Pflegefachkräftemangel, geforderten Einsparungen sowie oft fehlendem Fachwissen, führt dazu, dass die Mundpflege und Zahngesundheit bei zu Pflegenden oftmals stark vernachlässigt wird. Die Pflege ist in vielen medizinischen Bereichen mittlerweile sehr gut aufgestellt, geschult und dadurch sensibilisiert. Es ist an der Zeit, dass die Mundgesundheit sich in diese positive Entwicklung einreiht. Hierfür bedarf es aber mehr als des pflegerischen Blickwinkels. Es erfordert Interdisziplinarität.
Der Personalmangel in der Pflege ist in den Medien omnipräsent. Prognosen gehen davon aus, dass sich dieses Problem aufgrund steigender Zahlen Pflegebedürftiger bis ins Jahr 2060 noch massiv verschärfen wird. Um überhaupt noch ausreichend Personal zu finden, erhalten in vielen Krankenhäusern und Altenheimen die Stammmitarbeiter vom Arbeitgeber hohe Prämien für neu angeworbene Pflegefachkräfte. Dies zeigt, wie schwierig sich die Rekrutierung neuen Personals gestaltet.
In der Gesellschaft hat das Ansehen des Pflegeberufs in den letzten zwei Jahren einen massiven Wandel erlebt: So ist in Zeiten der Coronapandemie eine transparente Debatte angelaufen über die Anerkennung und die Notwendigkeit kompetenter und zahlenmäßig ausreichender Pflegefachpersonen. Aus Sicht junger Menschen befindet sich unter den zehn beliebtesten Ausbildungsberufen die generalistische Pflegeausbildung mit dem Abschluss des Pflegefachmanns/der Pflegefachfrau aktuell auf Platz vier (Territory Embrace 2021, o. S.). Trotz dieses positiven Trends ist die Verweildauer von Pflegefachkräften im Beruf relativ kurz. In der Altenpflege liegt sie bei 8,4 Jahren, bei Gesundheits- und Krankenpflegern bei durchschnittlich 13,7 Jahren (Techniker Krankenkasse 2017).
Hinzu kommt die Überalterung des Pflegepersonals. Im Jahr 2019 arbeiteten 1,9 Millionen Menschen im Pflegeberuf. Davon waren 1,2 Millionen Pflegekräfte in der Kranken- und 0,7 Millionen in der Altenpflege tätig (Statistik der Bundesagentur für Arbeit 2021, S. 5). Die größte Gruppe stellten mit 40 % die 50- bis über 60-Jährigen dar (Destatis 2021, o. S.). Diese Diskrepanz zeigt, dass Soll und Ist auseinanderklaffen und dass die Euphorie des Berufseinsteigers relativ schnell durch Unzufriedenheit abgelöst wird und zum Ausstieg aus dem Beruf führt. Die Ursachen liegen im Gesundheitssystem selbst. Seit den 1990er Jahren durchlebte es staatlich geforderte Kostensenkungen mit einhergehenden Privatisierungen. Als Folge wurde in Krankenhäusern sowie Pflegeeinrichtungen am Pflegepersonal gespart, was eine ständige Überbelastung der Pflegekräfte zur Folge hatte (Sahmel 2018, S. 18). Über 80 % der pflegebedürftigen Menschen in Deutschland werden zu Hause gepflegt, die restlichen 20 % leben in Einrichtungen der stationären Langzeitpflege (Bundesministerium für Gesundheit 2020, o. S.). Aufgrund des staatlichen Konzeptes »ambulant vor stationär« finden sich in der stationären Langzeitpflege zu einem sehr hohen Prozentsatz schwer- und schwerstpflegebedürftige Menschen mit multimorbiden und/oder gerontopsychiatrischen Erkrankungen (Bundesministerium für Gesundheit 2020).
In den ambulanten und stationären Pflegeinrichtungen zeigt sich ein immer größerer Mangel an ausgebildeten Pflegefachkräften Diese sind oftmals als Schichtleitung »nur« für die ärztlich angeordneten Maßnahmen am zu Pflegenden zuständig: Hierzu gehören medikamentöse Therapien, Injektionen, Verbände, medizinische Salben und Einreibungen, das Messen von Körperzuständen, Gespräche mit Angehörigen und Ärzten sowie eine äußerst umfangreiche Dokumentation. Es ist nicht mehr die Norm, dass die Pflegefachperson grundpflegerische Versorgungen am zu Pflegenden durchführt (Kümmerling 2016, S. 148). Diese grundpflegerischen Tätigkeiten beinhalten u. a. die Körperpflege wie Waschen, Duschen oder Baden, die Nagelpflege an den Händen sowie eben auch die Mund- und Zahnpflege. Im besten Fall werden zu Pflegende von einjährig qualifizierten Altenpflegehelfern oder Krankenpflegehelfern unterstützt, im Alltag sind dies aber häufig ungelernte Hilfskräfte. Letztere stehen auch ohne pflegerische Ausbildung am Bett des zu Pflegenden. Dies bedeutet selbstverständlich nicht, dass die Berufsgruppe der pflegerischen Hilfskräfte schlechte Arbeit am zu Pflegenden leistet. Im Gegenteil!