Musikalische Meilensteine, Band 2 - Silke Leopold - E-Book

Musikalische Meilensteine, Band 2 E-Book

Silke Leopold

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Beschreibung

111 Werke - das ist ein winziger Bruchteil dessen, was die Musikgeschichte hervorgebracht hat. Aus dem riesigen Fundus von Kompositionen, der sich in mehr als einem Jahrtausend gebildet hat, ist zwar einiges zum Hören oder zum Lesen verfügbar, doch schon dieses überfordert den, der sich einen Überblick verschaffen möchte. Jeder kennt das Gefühl: Wo anfangen? Was ist wichtig? "Musikalische Meilensteine" ist eine allgemeinverständlich geschriebene kleine Musikgeschichte in Beispielen - eine Handreichung für den Anfang, eine erste Orientierung in der unübersehbaren Musikgeschichte. Sie fixiert Angelpunkte, von denen aus die Suche nach den nächsten 222 Werken leichter wird, und spornt dazu an, sich über die einzelne Komposition hinaus mit ihrem historischen, literarischen, kulturellen Umfeld zu befassen. Die beiden Bände sind ein Leitfaden, um sich im Labyrinth der Musikgeschichte zurechtzufinden. Die hier vorgestellten Werke stehen exemplarisch für bestimmte Epochen, G attungen, Schreibarten und Komponistenpersönlichkeiten, die die Musikgeschichte geprägt haben. Der Reigen der besprochenen Kompositionen beginnt mit Hildegard von Bingens " Ordo virtutum " aus dem 12. Jahrhundert und endet mit Sofia Gubaidulinas "Johannes-Passion" aus dem Jahr 2000. Knappe, zweiseitige Werkeinführungen betonen das Besondere der Komposition und ordnen sie in den historischen Kontext ein. Schaukästen mit Begriffserklärungen, Werkübersichten und Leseempfehlungen runden die Werkportraits ab.

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Bärenreiter BasiswissenHerausgegeben vonSilke Leopold und Jutta Schmoll-Barthel
Silke Leopold Dorothea Redepenning Joachim SteinheuerMusikalische Meilensteine111 Werke, die man kennen sollteBand 2: Von Mozarts »Dissonanzenquartett« bis zu Sofia Gubaidulinas »Johannes-Passion«Bärenreiter Kassel BaselLondon New York Praha
Gefördert durch die Landgraf-Moritz-Stiftung, KasselBibliograsche Information der Deutschen NationalbibliothekDie Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliograe; detaillierte bibliograsche Daten sind im Internet über www.dnb.deabrufbar.eBook-Version 2014© 2008 Bärenreiter-Verlag Karl Vötterle GmbH & Co. KG, KasselUmschlaggestaltung:+  Lektorat: Jutta Schmoll-BarthelRedaktion: Sara Springfeld, HeidelbergKorrektur: Caren Benischek, HeidelbergNotensatz: Joachim Linckelmann, MerzhausenInnengestaltung und Satz: Dorothea Willerding978-3-7618-7004-4104-03www.baerenreiter.comeBook-Produktion: rombach digitale manufaktur, FreiburgDie Bände dieser Reihe:Grundwortschatz Musik · 55 Begriffe, die man kennen solltevonMarie-Agnes DittrichMusikalische Meilensteine · 111 Werke, die man kennen sollte2 Bände · von Silke Leopold, Dorothea Redepenning und Joachim SteinheuerMusik und Bibel · 111 Figuren und Motive, Themen und TexteBand 1: Altes Testament· Band 2: Neues Testament· von omas SchippergesMusikalische Formen · 20 Möglichkeiten, die man kennen solltevonMarie-Agnes DittrichKlaviermusik · 55 Begriffe, die man kennen solltevon Annegret Huber
In dem Meer der Informationen, die das Internet, die Enzy-klopädien, die wissenschaliche Spezialliteratur bereitstellen, fehlt vor allem eines: Orientierung. Wo anfangen, worauf aufbauen? Welche Begrie muss ich kennen, um zu nden, wonach ich suche? Welche historischen und kulturellen Grund-lagen helfen mir, das schier unendliche Universum der Musik besser zu verstehen? Was muss ich wissen und kennen, um zu neuen, unbekannten Ufern aufbrechen zu können?Bärenreiter Basiswissengibt auf diese Fragen Antworten. Die Bände sind Navigationsinstrumente: Sie helfen, sich in derFlut der verfügbaren Materialien zurechtzunden und Pöckeeinzuschlagen, auf denen später Wissensgebäude errichtet werden können. Sie vermitteln Grundlagenwissen und geben Tipps für die Erweiterung des Bildungshorizonts. Komplexes Wissen wird knapp, aber fundiert zusammengefasst.Die Bände sind für Musikinteressierte jeden Alters geschrie-ben, vor allem aber für Schüler und Studierende, die trotz verkürzter Ausbildungszeiten solides Basiswissen erwerben wollen. Sie erleichtern das Hören, Lesen, Studieren und Ver-stehen von Musik.Die eBook-Versionbietet neben den üblichen Verlinkungen von Inhaltsverzeichnis und Querverweisen auch Verweise auf Band 1 der Musikalischen Meilensteine; sie sind unter Angabe der Seitenzahl mit gekennzeichnet.Bärenreiter BasiswissenEin Navigator durch die Wissenslandschaft
Band 11Hildegard von Bingen  Ordo virtutum122Perotin  Sederunt principes143Walther von der Vogelweide  Palästinalied164Dies irae185Machaut  Messe de Nostre Dame206Machaut  Ma fin est mon commencement227Landini  Occhi dolenti mie248Dunstaple  Quam pulchra es269BinchoisTristre plaisir2810Dufay  Nuper rosarum flores3011Dufay  Missa Sancti Jacobi3212Buxheimer Orgelbuch  Selaphasepale3413Ockeghem  Requiem3614Isaac  Innsbruck, ich muss dich lassen3815Josquin  Illibata dei virgo nutrix4016Josquin  Missa L’homme armé4217Janequin  La guerre4418Lasso Prophetiae Sibyllarum4619Palestrina  Missa Papae Marcelli4820Florentiner Intermedien von 15895021G. Gabrieli  Canzon in echo duodecimi toni5222Marenzio  Solo e pensoso5423Dowland Flow my tears5624Monteverdi  Cruda Amarilli5825Monteverdi  L’Orfeo6026Monteverdi  Marienvesper6227Marini  Affetti musicali6428Sweelinck  Mein junges Leben hat ein End6629Schütz  Musikalische Exequien6830Frescobaldi  Cento partite sopra passacagli7031Carissimi  Jephte7232Schütz Verleih uns Frieden genädiglich7433Cavalli  Il Giasone7634Strozzi  Sul Rodano severo7835Froberger Tombeau80Inhalt
36Biber  Rosenkranz-Sonaten8237LullyAtys8438Purcell Three parts on a ground8639Corelli  Sonata op.1,18840Charpentier Te Deum9041Purcell The Fairy Queen9242Couperin  Pièces de clavecin9443Bach Weinen, Klagen, Sorgen, Zagen9644Bach  Das Wohltemperierte Klavier9845Händel Giulio Cesare10046Vivaldi  Die vier Jahreszeiten10247Bach  Matthäus-Passion10448Pergolesi  La serva padrona10649Rameau Hippolyte et Aricie10850Telemann Tafelmusik11051Händel Messias11252Scarlatti Sonata K.49111453C.Ph.E.Bach  Fantasie c-Moll11654Gluck  Orfeo ed Euridice11855Haydn  Streichquartett op.33,1120Band 2Einleitung14856Mozart  Dissonanzenquartett KV46515057Mozart  Klavierkonzert d-Moll KV46615258Mozart  Don Giovanni15459Mozart  Jupiter-Symphonie15660Haydn  Militärsymphonie15861Haydn  Die Schöpfung16062Beethoven Sonate cis-Moll op.27,216263Beethoven  3. Symphonie »Eroica«16464Rossini  Il barbiere di Siviglia16665Weber  Der Freischütz16866Beethoven Streichquartett op.130/13317067Schubert  Große C-Dur-Symphonie17268Schubert  Streichquintett C-Dur D956174
69Schubert Die Winterreise17670Berlioz  Symphonie fantastique17871Schumann  Kreisleriana18072Chopin  Préludes op.2818273Schumann  Dichterliebe18474Mendelssohn  Ein Sommernachtstraum18675Verdi  La traviata18876Liszt  Faust-Symphonie19077Wagner Tristan und Isolde19278Mussorgsky Boris Godunow19479Bizet  Carmen19680Verdi  Messa da Requiem19881Brahms  1. Symphonie20082Brahms Violinkonzert D-Dur20283Smetana Mein Vaterland20484Offenbach  Hoffmanns Erzählungen20685Bruckner  8. Symphonie c-Moll20886Dvořák  Symphonie »Aus der Neuen Welt«21087Strauss  Also sprach Zarathustra21288Puccini  Madama Butterfly21489Debussy La mer21690Ives  Central Park in the Dark21891Mahler  Das Lied von der Erde22092Schönberg  Pierrot Lunaire22293Strawinsky  Le Sacre du printemps22494Berg Wozzeck22695Gershwin  Rhapsody in Blue22896RavelBolero23097Varèse  Ionisation23298Bartók Musik für Saiteninstrumente, Schlagzeug und Celesta23499Schostakowitsch  5. Symphonie d-Moll236100Messiaen  Quatuor pour la fin du temps238101Hindemith  Ludus tonalis240102Webern  II. Kantate op.31242103Cage Music of Changes244104Boulez  Le marteau sans maître246105Stockhausen Gesang der Jünglinge248106Ligeti  Atmosphères250107Britten War Requiem252
108Zimmermann  Die Soldaten254109Berio  Sinfonia256110Kurtág  Kafka-Fragmente258111Gubaidulina  Johannes-Passion260 Lese- und Hörempfehlungen262Werkregister272Über die AutorInnen278
148In früheren Jahrhunderten war es leicht, sich in der Musikauszukennen: Gespielt wurde nur Zeitgenössisches, selten überdauerte ein Werk die Lebenszeit seines Komponisten im Repertoire. Notenblätter aus vergangenen Zeiten dämmerten,wie Mozart einmal schrieb, »fast von würmern gefressen« auf den Dachböden dahin. Dann, an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert, erwachte das Interesse an älterer Musik. Händel und Mozart waren die ersten Komponisten, deren Werke über ihren Tod hinaus gespielt wurden. Im 19. Jahr-hundert wurde das Bereitstellen von »verklungener«, d.h. im Konzertleben nicht mehr präsenter Musik in Editionen zu einem wichtigen Geschä der Musikwissenscha. Anfang des 20. Jahrhunderts kam die Schallaufzeichnung hinzu, und später dann die Wiederentdeckung der Alten Musik auch für die musikalische Praxis.Heute nun scheint nahezu alles, was die Musikgeschichte jemals hervorgebracht hat, in Noten, aber auch in Einspie-lungen verfügbar. Seitdem ist es nicht mehr so leicht, sich in der Musik auszukennen. Denn die gut gefüllten Noten-regale, die reichhaltigen CD-Kataloge, das unendliche Internetund die Bibliotheken voller wissenschalicher Spezialliteraturhaben zwar zu einer Erweiterung unseres Wissensgeführt, aber gleichzeitig auch zu der Schwierigkeit, sich zu orientie-ren – vor allem für jene, die einen Ausgangspunkt für ihre Expeditionen ins Reich der Musik suchen.»111 Werke, die man kennen sollte« will ein Leitfadensein, sich im Labyrinth der Musikgeschichtezurechtzunden. Die hier in zwei Teilbänden vorgestellten Werke erheben nichtden Anspruch, die bedeutendsten, die schönsten, die wich-tigsten zu sein. Aber sie stehen exemplarisch für bestimmte Epochen, Gattungen, Schreibarten und Komponistenpersön-lichkeiten, die die Musikgeschichte geprägt haben. Sie sind Einleitung
149nicht als verbindlicher Kanon gemeint, sondern als Einstieg in ein schier unübersehbares Terrain, als Orientierungs-punkte für die Suche nach weiteren, vergleichbaren Werken, als Ansporn, sich über die einzelne Komposition hinaus mit ihrem historischen, literarischen, kulturellen Umfeld zu be-fassen. Sie sind so ausgewählt, dass es in jedem Falle möglich ist, sie in modernen Editionen zu lesen, in CD-Aufnahmen anzuhören und sich durch wissenschaliche Literatur weiter darüber zu informieren. Das ist, ungeachtet der zunehmend unüberschaubaren Fülle an Material, immer noch nicht selbstverständlich.Eine Debatte darüber, dass sich Musikgeschichtsschreibung nicht in der Präsentation von 111 Werken erschöpfen kann, ist müßig. Niemand würde dies beanspruchen wollen. Die 111 Werke sind eine Anregung, sich in dem Meer des Unbe-kannten kleine Inseln zu schaen, von deren festem Boden ausweitere Erkundungen und neue Inseln möglich werden, die dann vielleicht irgendwann zu größeren zusammenwachsen: Landgewinnung, das weiß man an den Küsten, ist ein müh-sames, aber einträgliches Geschä. Die ausgewählten Werke sollen dazu ermutigen, auf Entdeckungsreisezu gehen – nicht mehr, aber auch nicht weniger. Und wenn sich aus der Wahl der 111 Werke eine Debatte darüber ergäbe, ob nicht vielleicht eine andere Palestrina-Messe oder eine andere der Symphonien Beethovens hätte besprochen werden müssen (und warum), ob nicht das 14. Jahrhundert zu stiefmütterlich behandelt und das 20. Jahrhundert zu opulent vertreten sei (und warum), ob Domenico Scarlatti wichtig genug sei und nicht Eliott Carter zu Unrecht vernachlässigt werde (und wa-rum), so hätte dieses Buch ein wichtiges Ziel erreicht.
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150Mozart  Dissonanzenquartett KV465Mozart widmete seine sechs Streichquartette (178), die sein Verleger Atari als Opus10 veröentlichte, Joseph Haydn mit der Bemerkung, dass sie die Frucht einer langen und anstren-genden Arbeit – »frutto di una lunga, e laboriosa fatica« – seien. Das mag als Anspielung auf den hohen kompositions-technischen Anspruchzu verstehen sein und als Zeichen der Verehrung gegenüber Haydns Quartettsammlung op.33, der Mozart respektzollend nacheifert. Für Mozarts Haydn-Quartetteist, wie für ihren Bezugspunkt, ein dialektisches Verhältnis von Komplexität und Leichtigkeit kennzeichnend; sie charakterisiert das Bestreben, Kenner undLiebhabergleichermaßen anzusprechen. Während Haydn dazu tendiert, beide Aspekte auf engstem Raum zu verschrän-ken, neigt Mozart eher dazu, den Kontrast auszuformulieren und so formale und Satz-Normen zu sprengen.Exemplarisch zeigt das zum einen die große langsame Einlei-tung, die als Formidee aus der Symphonie stammt und dem Quartett eigentlich fremd ist. Zum anderen oenbart sich diesim Aekt-Verhältnis zwischen den düsteren Dissonanzen, die dem Werk den Beinamen Dissonanzenquartettgegeben haben, und der Wendung ins ungetrübte C-Dur des Allegro-Teils. Indem sich Antizipationen, Vorhalte, Durchgänge und Auflösungen permanent überlappen, erhebt Mozart den Quer-standund die Unklarheit der harmonischen Verhältnisse zum Prinzip, zu dem der Allegro-Teil einen Gegenpol bildet. Das Andante cantabile in der Subdominante und im ⁄-Takt erinnert durch die Kontraste zwischen seinen beiden emen Die Wende von derdissonanten Einleitung zum konsonanten Hauptsatz kann als Metapher für den Schritt von einer ungeordneten in eine geordnete Welt verstanden werden. So erklärt sich die Verbindung des Quartetts mit Mozarts Aufnahme in die Freimaurerloge »Zur Wohltätigkeit«.»Ich sage ihnen vor gott, als ein ehrlicher Mann, ihr Sohn ist der größte Componist, den ich von Person und den Nahmen nach kenne: er hat geschmack, und über das die größte Compositionswissenschaft« (Haydn gegenüber Leopold Mozart anlässlich einer Aufführung der ihm gewidmeten sechs Streichquartette).S.120
151an einen Sonatensatz, arbeitet gleichfalls mit Durchgängen und Vorhalten und weist mit der Motivik des zweiten Teils (T.26ff.) auf die langsame Einleitung zurück, sodass ein satz-übergreifender Zusammenhang entsteht.Das Menuett grei die Idee der unklaren harmonischen Verhältnisseauf, indem hier C-Dur als Tonika bis zum Schluss umgangen wird. Mozart entwickelt geradezu eine Systematik, an Stellen, die den Grundton erwarten lassen, auf Sextakkorde, Durchgänge oder Vorhalte auszuweichen, was man auf der »eins« jedes Taktes und bei allen Kadenzen be-obachten kann.Das Finale zeigt eine Verschränkung von Rondo und So-natensatz, für die sich die unglückliche Bezeichnung Sona-tenrondo eingebürgert hat – unglücklich deshalb, weil sie den Witz, den musikalischen Humor dieser formalen Lösung nivelliert; denn ihr Reiz besteht gerade darin, einerseits das Spielerische, das im periodisch gebauten ⁄-Takt und im schnellen Tempo zum Ausdruck kommt, andererseits die Komplexität, die die Sonatenform mit sich bringt, gegenein-ander auszuspielen. So stoßen Tänzerisches, auch Volkstüm-liches und Durchführungstechniken, die harmonische Aus-weichungen mit sich bringen, stets aufeinander.Die Doppeldeutigkeit, die Mozart durch die langsame Ein-leitung zum ema des Quartetts erhebt, lässt den Hörer immer wieder Neues entdecken und macht die Analyse zum Vergnügen.  Flothuis 998, Schwindt 5 Quartetto Italiano (Philips 966–973), Quatuor Mosaïques (Astrée 99)Das zum as der Viola querständige a der . Violine (T.) haben renommierte Fachleute wie Sarti und Fétis für einen »Fehler« gehalten.
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152Unter den 30Klavierkonzerten, die Mozart zwischen 1767 und 1791 komponierte, ist das d-Moll-Konzert das berühm-teste. Am 10. Februar 178vollendet und einen Tag später uraufgeführt, avancierte es vor allem im 19. Jahrhundert zum meistgespielten seiner Klavierkonzerte. Die Beliebtheit geradedieses Konzertes in Zeiten der Romantik resultiert zum einen aus der ungewöhnlichen, als unheimlich empfundenen und mit DonGiovanniassoziierten Tonart und zum anderen aus der gleichsam dramatischen Manierdes ersten Satzes, in der das Orchester und der Solist wie Personen mit jeweils un-verwechselbarem Charakter agieren. Es ist das erste von nur zwei Konzerten, die Mozart überhaupt in einer Molltonart schrieb. Für die Gattung des Konzerts, das als öentliche Gesellschasmusik eher der Unterhaltung als der Erschütte-rungzu dienen hatte, war der pathetische Ton von KV466 mehr als außergewöhnlich.Normalerweise begann der erste Satz eines Konzerts mit einem forte gespielten Orchesterritornell, dessen thematischesMaterial das Soloinstrument dann aufgri und mit eigenen Mitteln verarbeitete. KV466 beginnt dagegen im Piano mit einem in Synkopen pulsierenden Klangteppich in den Strei-chern, aus dem so etwas wie ein bedrohlicher kleiner Blitz in raschen Notenwerten herausschießt. Erst nach und nach treten die Bläserstimmen hinzu, und der zuvor auf die tiefe Lage beschränkte Tonraum beginnt sich aufzuhellen. Das Kla-vier tritt, anders als üblich, mit einem eigenen ema auf, in einem zögernd rezitativischen Gestus, der wie ein Versuch wirkt, sich in dem düsteren Klangraum des Ritornellszu-rechtzunden und einen eigenen Weg zu gehen. Den ganzen Satz hindurch wird das Klavier mit dem Orchester um die Vor-herrscha ringen, werden die Synkopen und das Blitzmotiv, mit denen der Satz im Pianissimo verklingt, versuchen, die Mozart  Klavierkonzert d-Moll KV466C.F.D.Schubart bezeichnete dMoll in seinen Ideen zu einer Ästhetik der Tonkunst (784) als eine Tonart für »schwermüthige Weiblichkeit, die Spleen und Dünste brütet«.Schon in seinem für Victoire Jenamykomponierten Konzert KV7 (777) behandelte Mozart die Vorstellung der Klavierstimme wie den Auftritt einer Dramengur.
153Oberhand zu behalten. Dieses spannende Drama macht bei-nahe vergessen, dass Mozart den Satz auch als einen Sonaten-satz mit Exposition, Durchführung und Reprise in auffällig ausgewogenen Proportionen komponiert hat. Er füllt eine gängige Form mit neuem und so aufregendem Inhalt, dass sie selbst dabei zur Nebensache gerät.Wenn Mozart den zweiten Satz »Romance«überschreibt, so spielt er damit nicht nur auf die gesungene Romanze, ein erzählendes strophisches Lied wie z.B. Pedrillos »Im Mohren-land gefangen war« in seiner Oper DieEntführung aus dem Serailan, er scha darüber hinaus auch mit der schlichten Melodie in liedha-simpler Viertaktperiodik, der übersicht-lichen Rondoform und der eher sonnigen Tonart B-Dur den äußersten musikalischen Gegensatz zu dem pathetischen ers-ten Satz. Nicht nur die kleinen Seufzer im Hauptthema, son-dern vor allem das stürmische erste Zwischenspiel in g-Moll mit den klagenden Bläsertönen, lassen freilich keinen Zweifel daran, dass auch der vermeintliche Friede dieses san daher-kommenden Mittelsatzes gefährdet ist. Diesen Eindruck be-stätigt auch sogleich der dritte Satz, ein Sonatenrondo, der dem ersten an emotionaler Emphase kaum nachsteht. Daran ändert auch der Schlussabschnitt in D-Dur wenig, der die düstere Stimmung kaum mehr aufhellen kann. Mozart, der das Konzert selbst spielte und für seine Improvi-sationskunst berühmt war, hat keine Kadenzdafür hinterlas-sen. Zahlreiche Komponisten des 19. Jahrhunderts, darunter Beethoven, Mendelssohn und Brahms, haben dies als He-rausforderung begrien und ihrerseits Kadenzen für KV466 komponiert.Mozart hat auch andere langsame Sätze »Romanze« genannt, z.B. den der Kleinen NachtmusikKV55 und der Gran PartitaKV36. Gülke 5, Rosen 6 Bilson (DGG98–989), Levin (Decca 997)Über die Kadenzen, jene zwischen Reprise und Coda angesiedelten solistischen Improvisationenüber das musikalische Material des Satzes, schrieb Carl Philipp Emanuel Bach in seinem Ver-such über die wahre Art das Clavier zu spielen(): »Die verzierten Cadenzen sind gleichsam eine Composition aus dem Stegereif. Sie werden nach dem Innhalte eines Stückes mit einer Freyheit wider den Tackt vorgetragen.«
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154Il dissoluto punito ossia il Don Giovanni(DerbestrafteWüstlingoderDonGiovanni) auf ein Libretto von Lorenzo Da Ponte ist ein typisches Beispiel für die Gattung Opera buffaund gleichzeitig ein Ausnahmewerk. Typisch ist vor allem die Dramaturgie, die auf der Idee des Ensembles und auf mu-sikalischen Formen basiert, die aus dem Gang der Handlung heraus entstehen. In DonGiovannimachen Introduktion und zwei umfangreiche Aktnali, vier Duette sowie je ein Terzett, Quartett und Sextett den Hauptteil der Oper aus.Dem sprichwörtlichen Verführer Don Giovanni, der schon tausende von Frauen auf dem Gewissen hat, will in der Hand-lungder Oper so recht nichts mehr gelingen. Erst tötet er den Komtur, der zur Rettung seiner Tochter Donna Anna vor dem nächtlichen Eindringling herbeigeeilt war, dann begeg-net er der einst von ihm verlassenen Donna Elvira; schließ-lich misslingt auch die Entführung des Bauernmädchens Zer-lina am Tage ihrer Hochzeit. Seinen Diener Leporello zwingt er, ihm als Komplize zur Verfügung zu stehen, selbst als er sich auf dem Kirchhof versündigt und die Statue des toten Komtur zum Essen einlädt. Doch damit besiegelt er sein Schicksal: Tatsächlich erscheint der Komtur, fordert ihn auf, seine Taten zu bereuen und stürzt ihn, als Don Giovanni sich weigert, in ewige Verdammnis. »Quest’è il n di chi fa mal« (»Das ist das Ende eines Übeltäters«) – mit dieser Moral kehrt die aus den Fugen geratene Ordnung am Schluss der Oper zurück.Zu einem Ausnahmewerk aber wird DonGiovannidurch Mozarts präzis charakterisierende Musik, die weit davon entfernt ist, einfach nur komisch zu sein, und die selbst die konventionellste Komödiensituation zu einer Szene von tra-gischer Dimension umzudeuten und das Lachen der Schaden-freude in Tränen des Mitleids zu verwandeln imstande ist. Mozart  Don GiovanniNach der Registerarie, in der Don Giovannis Diener alle verführten Frauen aufzählt, nennt man bis heute ein zieharmonikaförmiges Faltblatt »Leporello«.Bevor er zum Opernhelden wurde, war Don Juan, z.B. bei Tirso de Molina (63), Molière (665) oder Carlo Goldoni (736), ein beliebter Protagonist in der Sprechkomödie.