Mut zum Rollentausch - Verena Florian - E-Book

Mut zum Rollentausch E-Book

Verena Florian

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Beschreibung

Der Mann arbeitet und die Frau kümmert sich um die Kinder, das ist noch immer das gängige Familienmodell in unserem Kulturkreis. Alles andere entspricht nicht einer „normalen“ Familie. Das Buch erzählt Geschichten von Frauen und Männern, die in unserer Gesellschaft Neuland betreten haben. Es sind dies Frauen in Führungspositionen und Männer in Väterkarenz. Sie haben Mut bewiesen, das ihnen zugeteilte, traditionelle und tief eingeprägte Rollenbild zu verlassen. Die Lebenswelten von Frauen in leitenden Funktionen und Männern in Väterkarenz werden anhand von Gesprächen vorgestellt. 30 Interviews mit Managerinnen, Vorstandsvorsitzenden und Frauen in leitenden Funktionen zeigten interessante und ähnliche Grundmuster: Diese Frauen sind alle authentisch und vor allem Frauen geblieben, auch wenn sie von den Schwierigkeiten in der Männerwelt und von der Herausforderung der Vereinbarkeit von Beruf und Familie berichteten. Sie haben oft mehr Leistung bringen müssen, um auf sich aufmerksam zu machen, aber zwei Leitmotive haben sie angetrieben: die wirtschaftliche Unabhängigkeit und der Wille, selbst gestalten zu können. 20 Interviews mit Männern, die in Väterkarenz gegangen sind, zeigen, dass sie oft an unerwartete Grenzen gestoßen sind: In Österreich wagt es nur jeder fünfte Mann, die Arbeit zu unterbrechen, um beim Kind zuhause zu bleiben. Zum sind sie er auf den guten Willen der Arbeitgeber angewiesen, müssen mitunter sogar um ihren Arbeitsplatz fürchten. Zu anderen haben sie oftmals das Problem, dass in ihrer Karenzzeit das größere Gehalt in der Familie weg fällt – ein Resultat des großen Einkommensunterschieds zwischen Männern und Frauen in Österreich. Trotzdem tun sie es, aus zwei Motiven: Weil sie ihre Kinder beim Aufwachsen erleben wollen und weil sie diese Arbeit mit ihrer Partnerin fair teilen möchten.

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Seitenzahl: 362

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Österreich feiert sich international als fortschrittlichen Wirtschaftsstandort, aber die Rollenverteilung von Frauen und Männern ist erzkonservativ. Das beschert uns im Vergleich mit anderen europäischen Ländern unter anderem eine der größten Einkommensscheren und in der Folge Altersarmut von Frauen. Zahlen und Fakten in diesem Buch belegen das.

Frauen in Toppositionen und Männer in Väterkarenz sind (nach wie vor) mutige Pionier*innen in unserer Gesellschaft. Die fünfzig für dieses Buch geführten Interviews – darunter etwa mit der ehem. EU-Staatssekretärin Brigitte Ederer, der jungen Publizistin Ingrid Brodnig, dem Journalisten Hans Bürger, dem Investmentbanker Jörg Asmussen und der ehem. Ministerin Maria Rauch-Kallat – zeigen, dass mehr Gleichberechtigung möglich ist und alle davon profitieren: die Kinder, die Frauen und die Männer.

Coach Verena Florian weist anhand der Erzählungen auf die vielen Möglichkeiten hin, wie Frauen und Männer beruflich und mit der Familie ihren eigenen Weg gehen können, jenseits von traditionellen, sozial konstruierten Rollenbildern.

VERENA FLORIAN

Mut zum Rollentausch

50 beruflich erfolgreiche Frauen und Männer in Väterkarenz erzählen

FALTER VERLAG

© 2019 Falter Verlagsgesellschaft m.b.H.

1011 Wien, Marc-Aurel-Straße 9

T: +43/1/536 60-0, E: [email protected], W: www.falter.at

Coverillustration: P. M. Hoffmann

Alle Rechte vorbehalten. Keine unerlaubte Vervielfältigung!

ISBN ePub: 978-3-85439-653-6

ISBN Kindle: 978-3-85439-646-8

ISBN Printausgabe: 978-3-85439-634-5

1. digitale Auflage: Zeilenwert GmbH 2019

INHALT

Cover

Über das Buch

Titel

Impressum

Einleitung

Methode

Die Rechnung geht auf

Frauen sind Mütter – und sonst nichts?

Die neuen Männer: Väter in Karenz

Vereinbarkeit von Beruf und Familie geht alle an – nicht nur die Mütter

Mythos Rabenmutter: Wir sind Rabeneltern – und das ist gut so

Pionier*innen: Neue Lebensentwürfe als Vorbilder für die anderen

Frauen und Geld

Was will ich wirklich?

Der Fixstern am Horizont der Wünsche

Folge deiner eigenen Spur – bleib dir treu

Der Wille zur Unabhängigkeit und Selbstbestimmung

Mut! Traut euch! Niemand klopft an eure Tür, geht selbst!

Mach deine Sache gut und rede davon! Leistung zeigen

Aufstehen und weitergehen

Gläserne Decken

Die Quote: Anreiz zur Änderung

Netzwerken – und wie!

Bewertungen von Frauen und Männern

Gestaltungsmacht erreichen

Unternehmerin sein

Der 360-Grad- oder Panoramablick der Frauen: Segen und Fluch zugleich

Selbstfürsorge für Frauen und Männer

Spiele und ihre Regeln

Tipps und Anregungen

Der Weg nach oben

Literatur

Kurzbiografien

Autorenbiografie

Dank

Endnoten

EINLEITUNG

In diesem Buch sind Geschichten von Pionier*innen zu lesen, die Neuland betreten in unserer Gesellschaft. Sie erzählen von Frauen in Führungspositionen und Männern in Väterkarenz. Es hat viel Mut gebraucht, um das ihnen zugeteilte, traditionelle, tief eingeprägte Rollenbild zu verlassen. Sie sind dieses Wagnis eingegangen. Willkommen im 21. Jahrhundert!

Die dreißig Interviews mit Vorständinnen, Vorstandsvorsitzenden, Managerinnen und Unternehmerinnen weisen interessante und ähnliche Grundmuster auf: Alle diese Frauen sind erfrischend authentisch und vor allem: Sie sind Frauen geblieben, auch wenn sie alle von den Schwierigkeiten in Männerwelten und von der Herausforderung bei der Vereinbarkeit von Beruf und Familie berichteten. Sie haben oft mehr Leistung bringen müssen, um auf sich aufmerksam zu machen, um gläserne Decken zu durchbrechen, aber zwei Leitmotive haben sie angetrieben: der Wunsch nach wirtschaftlicher Unabhängigkeit und der Wille, Gestaltungsmacht zu erlangen.

Und dann passierte etwas ganz Wunderbares: Viele dieser Frauen beginnen, einmal an den Schalthebeln der Macht angelangt, das System von innen zu verändern: Sie schaffen menschenfreundlichere Arbeitsbedingungen, erlauben Männern, in Väterkarenz zu gehen. Dabei gibt es viel mehr Ermöglicher*innen, als wir glauben! Sie holen bewusst Frauen in höhere Entscheidungsebenen, wenn die das wollen.

„Wir haben jegliche Flexibilität. Du überlegst dir, was du von deinem Leben willst. Und alles andere bauen wir drum herum.“ (Thea R.) 1

Das sagte eine Managerin zu einer Frau, die ein Kind bekommen hat und zögert, eine interessante Stelle anzunehmen, in der die Bereichsleiterin sie unbedingt haben will. Die ganze Geschichte dazu ist im Kapitel „Mut! Traut euch!“ zu lesen.

Angesichts von viel zu wenig Frauen in Führungspositionen und immer noch großen Einkommensunterschieden zwischen Frauen und Männern, gerade in Österreich und in Deutschland, ist aber davon auszugehen, dass es noch viel mehr Ermöglicher*innen braucht, um Gleichheit zwischen Frauen und Männern herzustellen. Aber die Frauen, die ich interviewt habe, zeigen auch, dass es auch auf uns selbst ankommt, dass wir selbst, Frauen und Männer, viel dazu beitragen können, diese Ungleichheiten zu beseitigen.

Frauen und Männer sind Verbündete: in der Familie, wenn Kinder da sind und sie sich die wertvolle, aber unbezahlte Arbeit zu Hause gerecht aufteilen; und in der Gesellschaft, in der Wirtschaft und in der Politik, wenn sie gemeinsam den Herausforderungen unserer Zeit begegnen. Im Kapitel „Die Rechnung geht auf“ zeige ich, dass gemischte Teams messbar erfolgreicher sind als homogene Teams.

Zwanzig Interviews habe ich mit Männern geführt, die in Väterkarenz gegangen sind. Ihre Schilderungen zeigen, dass auch sie an gläserne Decken stoßen: In Österreich wagt nur jeder fünfte Mann, der ein Kind hat, Karenzzeit in Anspruch zu nehmen, um beim Kind sein zu können. Er ist auf den guten Willen der Arbeitgeberin, des Arbeitgebers angewiesen und muss dann oft noch damit zurechtkommen, dass mit der Väterkarenz das größere Gehalt in der Familie wegfällt. Dennoch haben es die interviewten Männer darauf ankommen lassen, aus zwei Motiven: weil sie das Aufwachsen ihrer Kinder miterleben wollten und weil sie die mit Kindern einhergehende Verantwortung fair mit ihren Partnerinnen teilen wollten. Auch sie sind Ermöglicher. Jeder Mann, der in Väterkarenz geht, ist ein Ermöglicher für eine Frau. Ihre Erzählungen sind im Kapitel „Die neuen Männer: Väter in Karenz“ zu lesen. Es ist eine gute Nachricht für Frauen, die Beruf und Kinder vereinbaren wollen: Es gibt viel mehr Männer, die gerne bei den Kindern bleiben und in Väterkarenz gehen würden, als wir ahnen. Das ist die Chance für Frauen, auch mit Kindern interessante Jobs zu behalten und ein besseres Einkommen zu haben.

Alle Interviewpartner*innen begrüßten meine Initiative, dieses Buch zu schreiben. Sie stellten sich gerne als Role Models zur Verfügung. Ich habe die Art und Weise beschrieben, wie sie ihre Rolle anlegen, diese steht im Zentrum der Betrachtung, nicht die Persönlichkeit der Gesprächspartner*innen. Daher ist es auch kein Problem, dass einige von ihnen nicht namentlich genannt werden wollten. Dafür haben sie mir aber für dieses Buch Dinge erzählt, die sie sonst öffentlich wahrscheinlich nicht preisgeben würden. Manche von ihnen entpuppten sich als richtige Feminist*innen, was sie von sich aber wahrscheinlich nicht behaupten würden.

Eine Vorständin sagte mir:

„Mir gefällt das so gut, dass Sie auch die Männer miteinbeziehen. Das ist so wichtig, weil es läuft ab einem gewissen Punkt ins Leere, wenn wir nur versuchen, unser Verhalten als Frauen zu verändern. Die Gesellschaft ist ja ein Miteinander. Und wenn sich auf der Männerseite einstellungsmäßig nichts ändert, werden wir sehr viel Gegenwind für unsere Bemühungen haben.“ (Teresa I.)

Die Hälfte der Bevölkerung sind Frauen. Die Entscheidungen, die uns alle angehen, werden aber immer noch mehrheitlich von Männern getroffen, die an den Schalthebeln der Macht sitzen.

Warum erreichen nur so wenige Frauen eine Machtposition und warum ist der Einkommensunterschied zwischen Frauen und Männern so groß? Diese Frage zieht sich durch das gesamte Buch, dass sie berechtigt ist, wird durch grafisch aufbereitete Zahlen und Fakten verdeutlicht.

Es ist leider immer noch eine Tatsache, dass Einkommen, Vermögen und Arbeit zwischen Frauen und Männern ungleich verteilt sind: Frauen verdienen viel weniger und besitzen weniger Kapital als Männer. Umgerechnet auf das Jahr bedeutet das, dass Frauen ab Mitte Oktober kein Geld mehr bekommen, aber einen Monat länger als Männer arbeiten, weil sie nach wie vor den Großteil der notwendigen und wertvollen, aber unbezahlten Pflege- und Hausarbeit verrichten.

Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte von 1948 schreibt die rechtliche Gleichstellung von Männern und Frauen vor. 2015 wurden von allen UN-Mitgliedsstaaten die Ziele für nachhaltige Entwicklung, Sustainable Development Goals (SDGs), beschlossen; bis 2030 sollen sie realisiert sein. Laut Ziel fünf soll bis dahin Geschlechtergleichstellung erreicht werden und alle Frauen und Mädchen sollen zur Selbstbestimmung befähigt sein. Angesichts der aktuellen Zahlen zur Gleichberechtigung ist das ein ambitioniertes Ziel. Österreich und Deutschland sind im Vergleich mit den anderen EU-Ländern Schlusslichter, was die Verteilung der Einkommen zwischen Frauen und Männern betrifft. Dass sich Frauen und Männer in den Führungsetagen von Politik und Wirtschaft die Macht gerecht teilen, die Einkommensschere zwischen ihnen geschlossen wird, Männer für ihre Kinder im gleichen Ausmaß in Karenz gehen wie Frauen und die wertvolle unbezahlte Arbeit fair aufgeteilt ist – das werden vielleicht erst unsere Urenkel*innen erleben. Wie traurig! Mehr dazu im Kapitel „Die Rechnung geht auf“.

Was mich allerdings wirklich nachdenklich stimmt, ist die Tatsache, dass wir immer noch über dieselben Dinge reden müssen, die schon unsere Mütter gefordert haben, zum Beispiel die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Bei der Recherche bin ich mir manchmal vorgekommen, als schriebe ich ein Buch über eine längst vergangene Zeit. Leider ist es aber so, dass die Forderungen unserer Mütter immer noch aktuell sind.

Gleichberechtigung ist gesellschaftlich relevant, das Private ist politisch, wenn es darum geht, die unbezahlte Arbeit im privaten Bereich der Familie fair aufzuteilen. Denn den Frauen, die die Hauptlast der unbezahlten Arbeit tragen, droht dadurch ganz konkret Altersarmut. Das ist nicht nur ungerecht, es ist ein sozialer Missstand in unserer Gesellschaft. Das weise ich mit Zahlen in den Kapiteln „Frauen und Geld“ und „Vereinbarkeit von Beruf und Familie geht alle an – nicht nur die Mütter“ nach.

Der Wandel findet zwar statt, aber viel zu langsam. Modernisierungskonflikte entstehen dort, wo Veränderung auf lang bestehende, einzementierte Strukturen trifft: Die Tatsache, dass viele Frauen langsam an gesellschaftlicher Gestaltungsmacht gewinnen und in die oberen Etagen des Managements drängen und immer mehr Männer gerne den Familienpart übernehmen, erzeugt Reibung. Doch werden Frauen immer noch viel zu selten in die Vorstandsetagen gelassen – die Zahlen dazu sind nachgerade erschreckend – und Männer müssen um ihren Arbeitsplatz fürchten, wenn sie auch nur erwähnen, in Väterkarenz gehen zu wollen. Dabei wäre der Rechtsanspruch, ja die Verpflichtung zur Väterkarenz für alle Männer ein Schlüssel zu mehr Gleichberechtigung in unserer Gesellschaft. Das zeige ich im Kapitel „Die neuen Männer: Väter in Karenz“.

Der Mann arbeitet und die Frau kümmert sich um die Kinder, das ist nach wie vor das Familienmodell, das in unserem Kulturkreis allgemein bekannt, gewohnt und akzeptiert ist. Alles andere entspricht nicht einer „normalen“ Familie: Um diese Heteronormativität zu relativieren, habe ich auch queere Paare mit Kindern interviewt. Wie diese Menschen damit umgegangen sind und wie sie die traditionellen Rollenbilder für Frauen und Männer am Ende doch wieder eingeholt haben, erzähle ich im Kapitel „Frauen sind Mütter – und sonst nichts?“.

Und wenn eine Frau bereit ist für die Topposition, dann stößt sie auf ein Hindernis, das durch die gesamten Führungsetagen, aber auch in andere Bereiche der Wirtschaft wabert: den Unconscious Bias, die unbewusste Voreingenommenheit. Eine Managerin dazu:

„Ab einer bestimmten Ebene ist die Vorstellung von Führung männlich. Und ich glaube, das ist noch nicht einmal bewusst.“ (Thea R.)

Im Kapitel „Mut! Traut euch! Niemand klopft an eure Tür, geht selbst!“ fasse ich die Aussagen von Frauen zusammen, die es bis ganz nach oben geschafft haben. Sie erklären hier, was frau tun kann, um den Weg durch das Labyrinth und durch gläserne Decken nach oben zu finden – wenn sie will. Denn das ist die Erkenntnis aus den Erzählungen dieser Frauen: Viele Frauen müssen dazu überredet werden, einen Job mit mehr Verantwortung zu übernehmen. Und einige Sackgassen im Labyrinth haben wir Frauen selbst in unseren Köpfen. Wir sind aber durchaus in der Lage, diese zu vermeiden. Mehr dazu in den Kapiteln „Mach deine Sache gut und rede davon! Leistung zeigen.“ und „Gläserne Decken“.

Immer mehr Frauen machen sich selbstständig und gründen ein Unternehmen. Auch bei ihnen ist das durchschnittliche Einkommen im Vergleich zu dem der Männer wesentlich geringer. Mehr dazu im Kapitel „Frauen und Geld“. Praktisch alles, was hier beschrieben wird, gilt auch für Unternehmerinnen, ich beleuchte auch immer deren spezifische Situation. Von meinen Interviewpartner*innen ist ein Drittel selbstständig – darunter zwei Männer. Mehr darüber im Kapitel „Unternehmerin sein“.

Wohlgemerkt: Es geht mir nicht darum, dass alle Frauen Karriere machen und alle Männer in Karenz gehen sollen. Es geht mir nicht um Gleichmacherei der Geschlechter. Es geht mir auch nicht um Selbstoptimierung mit dem Ziel, sich den Normen der Wirtschaft und der Gesellschaft anzupassen. Jeder Mensch ist einzigartig, ist mit einem unverwechselbaren Set an Fähigkeiten und Talenten auf die Welt gekommen. Die Welt braucht jedes einzelne dieser Talente. Meine ernst gemeinte Botschaft an Frauen und Männer lautet: Macht das, was ihr gerne tut, denn dann seid ihr am besten. Lasst euch nicht durch sozial konstruierte Rollen, die euch euer Geschlecht oder andere Merkmale aufzuzwingen versuchen, einschränken. Mehr dazu im Kapitel „Was will ich wirklich“. Dabei können Frauen in Führungspositionen auf ihre Art weiblich bleiben. Und Männer sollen auf ihre Art Mann sein können, wenn sie ihr Baby im Tragetuch tragen. Die Menschen, die ich für dieses Buch interviewt habe, zeigen, dass Lebens- und Arbeitsformen jenseits von Rollenklischees möglich sind.

Die Themen, die in diesem Buch besprochen werden, ergaben sich aus den Erzählungen meiner Interviewpartner*innen. Keines davon ist von mir vorgegeben oder vorher konzipiert worden. Mehr über die Vorgehensweise im Kapitel „Methode“.

Oft ist in diesem Buch die Rede von „den Männern“, die es so und so machen, und „den Frauen“, die es anders machen. Ich will Stereotype und Rollenklischees nicht noch verstärken. Ich gebe aber wieder, was mir Frauen in Führungspositionen berichtet haben, und da hat sich die Erzählung der Unterschiede von Frauen und Männern durch alle Interviews gezogen. Eine Gesamtschau ergibt, dass es offensichtlich so ist, dass sich Frauen und Männer in vielen Fällen unterschiedlich verhalten und auch unterschiedlich ausgeprägte Fähigkeiten mitbringen. Ausnahmen bestätigen wie immer die Regel. Es sind aber genau diese Unterschiede unter den Menschen, die gemischte Teams so erfolgreich machen.

Dieses Buch möchte Mut machen. Diese Erzählung zieht sich durch das gesamte Buch. Es zeigt Wege, wie Frauen, die das wollen, beruflich weiterkommen und unabhängig werden können. Aus den Interviews mit Frauen, die es ganz nach oben geschafft haben, können sie vieles für sich mitnehmen.

Und dieses Buch bringt die Erfahrungswelten von Männern nahe, die in Väterkarenz gegangen sind und das als Bereicherung empfunden haben, obwohl sie dadurch einige unangenehme Konsequenzen zu tragen hatten, was nicht sein sollte.

Von den scheinbar kleinen Herausforderungen des täglichen Lebens bis zu den großen Herausforderungen der Menschheit auf dieser Erde: Am besten können wir sie gemeinsam bewältigen, mit unseren unterschiedlichen Fähigkeiten und Herangehensweisen, Frauen und Männer, Junge und Erfahrene, Menschen verschiedener Kulturkreise.

Ich wünsche ihnen allen den Mut, jenseits von gesellschaftlichen Rollenklischees und sozialer Beobachtung Wege zu suchen, die ihnen entsprechen. Es gibt so viele Möglichkeiten, das zu tun, zum Wohle aller.

METHODE

Das Herzstück dieses Buches sind Zitate aus über fünfzig Interviews mit Frauen in Führungspositionen und Männern in Väterkarenz.

Als gelernte Historikerin (Mag.a phil., Universität Graz) bin ich mit der Methode der Oral History, der mündlichen Geschichte, vertraut. Im Wesentlichen besteht sie aus der Führung von Interviews mit Menschen aus bestimmten Bereichen, die für die Untersuchung von Interesse sind. Das Gesagte wurde transkribiert und nicht wesentlich überarbeitet, so dass die aufgeschriebenen Erzählungen sehr authentisch sind. Es ist die Absicht dieses Buches, Menschen zu Wort kommen zu lassen, die etwas tun, was immer noch ungewöhnlich, aber von gesellschaftlichem Interesse ist. Denn wenn mehr Menschen den Mut hätten, Ungewöhnliches zu tun, gäbe es mehr Gleichberechtigung in dieser Gesellschaft, so meine These.

Von November 2016 an führte ich dreißig Interviews mit Frauen in Führungspositionen, der zweiten Managementebene, mit Vorständinnen und Vorstandsvorsitzenden oder Unternehmerinnen. Es waren Frauen darunter, die schon Ministerinnenposten innehatten. Ihr Wunsch, anonym zu bleiben, brachte es mit sich, dass ihre Kurzbiografien zum Teil nur sehr allgemein gehalten werden konnten. Denn in manchen Branchen gibt es so wenige Frauen in Führungspositionen, dass sie bei näheren Angaben gleich erkennbar wären. Deshalb werden alle Frauen aus der Finanzwirtschaft, deren Zitate anonym bleiben sollen, als Vorständinnen beschrieben, obwohl zwei von ihnen Vorstandsvorsitzende sind.

Die Hälfte der Frauen, die ich interviewt habe, sind selbstständige Unternehmerinnen. Das Alter der Frauen liegt zwischen Mitte zwanzig und siebzig Jahren.

Es war die leichtere Übung, Interviews von Frauen in Führungspositionen für dieses Projekt zu bekommen. Ich erhielt nur Zusagen. Zwar wurde das Treffen in den übervollen Terminkalendern von den Assistentinnen manchmal mehrfach verschoben, aber immer kam es zustande. Ich bin den Interviewpartnerinnen sehr dankbar, dass sie mir oft mehr als geplant von ihrer kostbaren Zeit schenkten. Den Frauen war es offensichtlich wichtig, die mit ihrer Rolle als weibliche Führungspersönlichkeiten verbundenen Erfahrungen weiterzugeben.

Nicht so einfach war es, Männer zu finden, die schon einmal in Väterkarenz gegangen waren. Einige der Frauen, die ich interviewt hatte und deren Männer in Väterkarenz gegangen waren, wollten mir diese mit dem Hinweis, ihre Privatsphäre wahren zu wollen, nicht für ein Interview vermitteln. Grundsätzlich hatte ich bei den Vätern den Eindruck, dass sie sich freuten und sogar richtig stolz waren, von ihren Erfahrungen als Vater in Karenz berichten zu können.

Ergänzt werden die Erzählungen der Frauen und Männer mit vielen statistischen Quellen, vor allem von der Statistik Austria, für internationale Vergleiche von Eurostat, dem europäischen Pendant zur Statistik Austria, und von der OECD.

Die Reihenfolge der Kapitel ergibt sich aus der Gewichtung, die die Frauen und Männer den Themen beimaßen. So kommt es, dass zum Beispiel dem Willen der Frauen zur Unabhängigkeit und dem Thema „Traut euch“ breiter Raum gegeben wird. Tatsächlich sprachen alle Interviewpartnerinnen darüber, dass Frauen im beruflichen Kontext mehr Mut haben sollten, den nächsten Schritt zu wagen. Die unterschiedlichen Fähigkeiten von Frauen und Männern wurden von den Frauen immer wieder angesprochen. Das soll nicht als „Biologismus“ verstanden werden. Die Frauen in Führungspositionen sprachen aber wiederholt von ihrer Beobachtung, dass gemischte Teams aus Frauen und Männern bessere Ergebnisse erzielten, eben weil Frauen und Männer oft unterschiedliche Wahrnehmungen haben und anders agieren.

DIE RECHNUNG GEHT AUF

Der Erfolgsfaktor an den Schalthebeln der Macht: wenn Frauen und Männer zusammenarbeiten. Zahlen und viele Belege zeigen, dass Unternehmen mit gemischten Teams erfolgreicher sind. Menschenfreundliche Arbeitsplätze gesucht: Zufriedene Mitarbeiter*innen sparen Unternehmen immense Kosten. Und: Die Einkommensschere zwischen Frauen und Männern zeigt, wie viel Geld der Volkswirtschaft fehlt und dass die Rechnung auch für die Frauen nicht aufgeht, Stichwort: Altersarmut. Was es braucht, damit mehr Frauen an gute Jobs und in Führungspositionen kommen und Männer in Väterkarenz gehen können. Fazit: Die Rechnung geht für alle auf, wenn Frauen und Männer in der Wirtschaft und zu Hause die gleichen Chancen haben.

ERFOLGSFAKTOR FRAUEN IN GEMISCHTEN TEAMS

Warum kommen nicht mehr Frauen in Führungsetagen und warum achten Unternehmen nicht mehr darauf, dass sie hochqualifizierte Frauen einstellen, menschenfreundliche Arbeitsplätze anbieten, die ihnen weniger Fluktuation bescheren – alles Faktoren, die Geld bringen bzw. einsparen?

In der Wirtschaft haben Zahlen, Daten, Fakten die größte Bedeutung. Das ist auch gut so. Schwierig wird es, wenn sogenannten weichen Faktoren wie zum Beispiel Diversity, also gemischten Teams, immer noch wenig Stellenwert beigemessen wird, obwohl seit vielen Jahren von namhaften Institutionen vorgerechnet wird, dass sie ein entscheidender Erfolgsfaktor in der Wirtschaft sind.

Da wird tagein, tagaus in der Controlling-Abteilung, im Einkauf, im Marketing, kurz: in allen möglichen Bereichen eines Unternehmens, gerechnet, wie Einsparungen getätigt und Verkaufszahlen erhöht werden können, um den Erfolg desselben zu steigern.

Dass mehr Frauen in Führungspositionen ein wesentlicher Erfolgsfaktor sind, lässt sich zahlenmäßig belegen, wird aber in vielen Unternehmen nach wie vor nicht wahrgenommen, so dass nicht einmal der Versuch unternommen wird, diese Situation zum Besseren zu verändern – absichtlich?

AUSGANGSLAGE: DIE ZAHLEN

Der 2006 in Deutschland gegründete Verein FidAR (www.fidar.de) setzt sich dafür ein, dass mehr Frauen in Aufsichtsräte kommen. Es wird eine Quote von mindestens dreißig Prozent gefordert. Die Gründerinnen stellen fest, dass das „eines der zentralen Zukunftsthemen der Wirtschaft und Gesellschaft“ sei. Es werde damit erreicht, „überholte Muster und Strukturen aufzubrechen, hochqualifizierten Frauen den Weg in verantwortungsvolle Positionen zu ebnen und die Leistungs- und Zukunftsfähigkeit der deutschen Wirtschaft zu erhöhen“. Das heißt, es geht hier nicht nur um den wichtigsten Wert, nämlich Gerechtigkeit, und um das Menschenrecht der Gleichbehandlung von Frauen und Männern, sondern es geht auch ganz einfach um messbaren Erfolg. Und der stellt sich nachweislich ein, wenn Frauen und Männer gemeinsam in Teams und an den Schalthebeln der Macht agieren.

Die Zahlen der Studienabgänger*innen in Österreich belegen, dass mittlerweile mehr als die Hälfte der Abschlüsse in allen außer den technischen Fächern von Frauen gemacht werden (mehr dazu im Kapitel „Mach deine Sache gut und rede davon! Leistung zeigen.“). Aber schon beim Uni-Personal zeigt sich das Missverhältnis von Lehrenden und Studierenden, und das ist in Deutschland ähnlich: Nur rund zwanzig Prozent der Professor*innen sind weiblich.

In Österreich – und auch sonst überall – sind die Führungsetagen in der Wirtschaft nach wie vor in Männerhand: Der Anteil der Geschäftsführerinnen in den Top-200-Unternehmen lag 2017 bei nur 8,4 Prozent. Der Anteil der Frauen in den Aufsichtsräten der Top-200-Unternehmen lag bei 18 Prozent, hier greift die gesetzlich vorgeschriebene Quotenregelung von dreißig Prozent (unter bestimmten Bedingungen).1 In der DACH-Region (Deutschland, Österreich, Schweiz) gibt es unter den CEOs nur drei Prozent Frauen. International sieht es nicht besser aus, hier sind es 2016 3,6 Prozent.2 Dabei sind in vielen Branchen mehrheitlich Frauen angestellt, vor allem im Dienstleistungsbereich. Das heißt, dass die Realität der arbeitenden Bevölkerung in den Entscheidungsgremien nicht abgebildet ist. Ein gutes Beispiel dafür ist die Interessenvertretung der Wirtschaft, die Wirtschaftskammer, die alle Unternehmerinnen und Unternehmer mit Gewerbeschein, davon die Hälfte Frauen, obligatorisch vertritt: Ihre Führungsgremien bestehen zu achtzig Prozent aus Männern und nur zu zwanzig Prozent aus Frauen.

Quellen: Frauen.Management.Report.2018 der AK Wien, Statistik Austria

In politischen Ämtern ist der Anteil von Frauen im Bürgermeisteramt am geringsten: nur 7,6 Prozent der Gemeinden in Österreich haben eine Bürgermeisterin. In Deutschland ist es nur unwesentlich besser: Hier bekleideten 2017 8,2 Prozent Frauen das Amt, dabei waren es zehn Jahre zuvor noch mehr.4 Auf Bundesebene in Österreich ist der Anteil von Frauen etwas besser, im österreichischen Nationalrat sitzen 31 Prozent Frauen.5

Wenn es um den Vergleich des Gender-Gap mit anderen Ländern geht, liegt Österreich knapp im Durchschnitt, ist manchmal im letzten Drittel oder bei den letzten fünf zu finden.6 Im „Global Gender Gap Report“ des Weltwirtschaftsforums liegt Österreich an 57. Stelle von 144 untersuchten Ländern. Hier schneidet das Land besonders schlecht bei der Partizipation von Frauen in Führungspositionen in der Wirtschaft und in der Politik ab. Ein Armutszeugnis für eine hochentwickelte westliche Industrienation mitten in Europa. Der einzige Wert, bei dem Österreich im internationalen Vergleich gut dasteht, ist der hohe Anteil von Frauen in der universitären Ausbildung.7

Traurig: Wenn die Entwicklung in Österreich so langsam voranschreitet wie bisher, werden nicht einmal unsere Urenkelinnen die Gleichberechtigung erleben.

GEMISCHTE TEAMS VON FRAUEN UND MÄNNERN SIND ERFOLGREICHER ALS HOMOGENE TEAMS. DAS IST MESSBAR

Das ist die wirtschaftliche Seite des Gender-Gap: Das Weltwirtschaftsforum untersucht seit 2006 den globalen Gender-Gap unter 144 Ländern auf der Welt. Es trifft eine klare Aussage:

“The World Economic Forum has found a clear correlation between a country’s gender gap and their competitiveness.”8

Das Weltwirtschaftsforum hat vorgerechnet, dass Länder, die in den Bereichen Gesundheit, Ausbildung, Wirtschaft und Politik Parität zwischen Frauen und Männern herstellen, Steigerungen ihres Bruttoinlandsprodukts erzielen. Für Österreich wären das umgerechnet bis zu 27 Milliarden Euro.

Eines der bekanntesten Beispiele in Österreich für ein erfolgreiches gemischtes Team sind Brigitte Ederer und Alois Mock, die 1994 die EU-Beitrittsverhandlungen für Österreich führten. Ederer war damals Staatssekretärin im Bundeskanzleramt, Mock Außenminister (1987–1995). Ederer erinnert sich und beschreibt, wie es aufgenommen wurde, dass ihr diese schwierige Aufgabe anvertraut wurde, und was die Kombination mit Mock ausmachte:

„Zu Beginn meiner Staatsekretariatszeit hatte ich oft eine sehr kritische Beurteilung und viele waren der Meinung: ‚Die wird das nie schaffen!‘ Es herrschte auch ein gewisses Unverständnis, warum der damalige Bundeskanzler Vranitzky eine so wichtige Position in die Hände einer in der Außenpolitik unerfahrenen Person legte. Diese negative Beurteilung schlug sich auch in einer schlechten Presse nieder und meine Mutter rief mich einmal weinend an, als sie las, dass ich ja nicht einmal wüsste, welches Besteck man bei Empfängen wann und wie verwendet. Letztlich war es aber, glaube ich, eine gute Entscheidung. Auf der einen Seite war da der erfahrene Außenpolitiker Alois Mock und auf der anderen Seite ich, die die Ängste und Sorgen der Bevölkerung rasch gut kannte. Die Kombination jüngere ‚rote‘ Frau und älterer ‚schwarzer‘ Mann, der Diplomat war, waren sicher eine gute Voraussetzung für den Erfolg.“

Eine erste unmittelbare Folge von gemischten Teams, das haben mir praktisch alle meine Interviewpartner*innen erklärt, ist das bessere Arbeitsklima.

Es geht aber nicht nur um den Erfolg in der Wirtschaft, der schnell vorbei sein kann, wenn die globalen Herausforderungen des Klimawandels und der Ungleichheit nicht ernst genommen werden: Dem Planeten Erde ist es egal, ob Menschen auf ihm leben oder nicht, schon jetzt bräuchte es drei Planeten Erde, um unseren Bedarf an Ressourcen zu decken. Angesichts der Umweltgefährdungen stellen sich der Menschheit existenzielle Fragen. Wollen wir noch länger hier leben, müssen wir schleunigst umdenken und Lösungen für die neuen Herausforderungen finden.

Das geht am besten, wenn gemischte Teams zusammenarbeiten, Frauen und Männer, Erfahrene und Junge und Menschen aus verschiedenen Kulturkreisen. Die analytische Herangehensweise und Zielorientiertheit von vielen Männern, kombiniert mit der emotionalen und sozialen Intelligenz und dem Panoramablick vieler Frauen ist die beste Kombination, um diese Aufgaben zu bewältigen.

Und auch das ist schon bewiesen: Eine Studie zeigt, dass in der Wirtschaft die Erreichung der Sustainable Development Goals (SDGs), der 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung, die sich die Vereinten Nationen (UN) bis 2030 vorgenommen hat, schneller vonstattengeht, wenn Frauen in den Führungsgremien der Unternehmen sind.9

Die Unternehmensberatung McKinsey untersucht seit 2007, wie Frauen führen und wie sich das auf den unternehmerischen Erfolg auswirkt. Die Ergebnisse sind eindeutig: Diese und viele andere Studien zeigen: Je mehr Frauen in den Führungsetagen vertreten sind, desto erfolgreicher sind die Unternehmen.

Es wurden neun Hauptkriterien untersucht: Führung, Richtung, Umfeld und Werte, Verantwortlichkeit, Fähigkeiten, Koordination und Kontrolle, Motivation, Innovation sowie Außenorientierung. In allen Bereichen waren die Unternehmen mit den meisten Frauen in der Führungsriege erfolgreicher als die Mitbewerber im jeweiligen Sektor.

In der Studie „Women Matter 1“ aus 2007 wird vorgerechnet: „Im Durchschnitt übertreffen sie [die Unternehmen] ihren jeweiligen Sektorindex in Bezug auf Kapitalrendite (11,4 % vs. 10,3 %), Betriebsergebnis (EBIT: 11,1 % vs. 5,8 %) und Aktienkursanstieg (zwischen 2005 und 2007 64 % vs. 47 %).“10

McKinsey hat seitdem jedes Jahr eine Studie in dieser Reihe herausgegeben. Interessant ist, dass nach der anfänglichen Feststellung der Ungleichheit und der Vorteile, die deren Beseitigung mit sich bringt, nun immer mehr auf den Kern des Problems hingewiesen wird. Denn daran, dass Frauen in Führungspositionen nach wie vor unterrepräsentiert sind, hat sich nicht viel geändert. Die Studie von 2016 befasst sich mit der Problematik, dass Frauen weniger lang arbeiten und immer noch den Hauptteil an (wertvoller) unbezahlter Arbeit im Haushalt leisten. Das heißt, Frauen sind immer noch in der traditionellen Rolle unterwegs. Wann wird sich das endlich ändern? McKinsey empfiehlt: „Ganzheitliche Veränderungsprozesse müssen die klassischen Führungsstile adressieren und Lösungen für flexiblere Arbeitsmodelle entwickeln.“

Auffallend ist, dass das Fehlen von Frauen in den oberen Etagen mittlerweile offensichtlich den meisten Menschen in den Unternehmen eher negativ auffällt: So gaben in der genannten Studie 88 Prozent der Mitarbeiter*innen an, sie fänden, das Unternehmen tue „nicht das Richtige“, um die Ungleichheit in Führungspositionen zu ändern. Das heißt, sie tun zu wenig.

Hier ein Beispiel dafür, wie eine Frau die Performance eines bis dahin reinen Männerteams verbessert: Die junge Betriebswirtin, nennen wir sie Katharina C.11, ist seit drei Jahren bei einer Beratungsfirma in der Investmentbranche verantwortlich für das Dealmanagement, d. h. alle Geschäftsfälle gehen über ihren Tisch und sie organisiert die Abläufe der einzelnen Kauf- und Verkaufsprozesse von ganzen Unternehmen. Sie sagt von sich selbst, dass sie ein analytischer Mensch sei und sich angewöhnt habe, schnell zu agieren, da das in der Branche oberstes Gebot sei. Die Deals bewegen sich in der Höhe von zig Millionen Euro. Deshalb lässt sie wichtige E-Mails für ein paar Stunden, wie sie sagt, „abreifen“, bevor sie sie abschickt. Ihre Kollegen: Männer. Die Kunden: Männer. So wie die gesamte Branche noch eine echte Männerbastion ist. Sie erzählt:

„Die Männer kommen rein und sagen mir: ‚Ich hätte gerne einen Kaffee schwarz, vielen Dank.‘ Und dann schauen sie mich groß an.“

Im Unternehmen wird eine ihrer Fähigkeiten sehr geschätzt und mittlerweile bewusst eingesetzt. Sie erklärt, worum genau es dabei geht:

„Ich glaube, dass andererseits die Männer sehr viel von uns lernen können. Die Analyse der Beziehungen untereinander. Das unterschätzen viele Männer ganz extrem. Deswegen ist einer meiner größten USPs: Ich komme in den Raum und sehe sehr schnell, welche Person in welchem Kontext zu welcher Person wie steht. Das machen viele Männer zu wenig. Deshalb ist ein wichtiger Punkt meiner Arbeit, was ich mache, wenn ich neue Kunden bekomme: Wer steht wie zu wem. Das ist manchmal so komplex. Und wir hatten es schon ein paarmal, dass sich die Anwälte der Vertragspartner nicht verstanden haben. Und das hat die ganze Transaktion unheimlich belastet. Die Fehde zwischen denen hat drei, vier Monate gekostet. Männer sagen ja immer: ‘Who has the bigger balls.’ Nur darum ging es.

Meine Fähigkeit wird so geschätzt, dass bei neuen Kunden die erste Frage meiner Chefs an mich ist: ‚Was ist dein Gefühl? Glaubst du, das funktioniert?‘ Ich sage dann: Ja, weil, oder Nein, weil. Zum Beispiel, der Finanzvorstand kann nicht mit dem CEO, das wird schwierig. Zu 99 Prozent habe ich immer Recht behalten. Das wird sehr wahrgenommen. Das kann man sich nicht antrainieren, das ist so ein typisches Frauenmerkmal, wo wir einfach stärker sind.“ (Katharina C.)

Die Arbeit der Frau führt im Unternehmen und bei ihren Kunden zu effektiveren Prozessen, weil sie die Soft Skills einsetzt, die vor allem den Frauen zugeschrieben werden: soziale und emotionale Kompetenz, Einfühlungsvermögen, Intuition. Mehr dazu in den nächsten Kapiteln.

MENSCHENFREUNDLICHE ARBEITSPLÄTZE GESUCHT!

Die Wirtschaft ruft nach qualifizierten Fachkräften, aber sie achtet nicht auf die Menschen, die Familie und Arbeit vereinbaren müssen.

Und so kommen ihr viele der Besten abhanden.

Eine Juristin schildert das so:

„Ich habe meinen Job verloren, das habe ich erwartet. Es war mir egal, wir wollten Kinder.“ (Ute C.)

Auch ihr Mann hat ein Problem mit den Kindern im Beruf:

„Als ich vor einiger Zeit auf Jobsuche war, haben mir Personalvermittler gesagt, ich soll nicht unbedingt sagen, dass ich zwei Kinder habe.

Für den eigenen Vorteil würden sie empfehlen, das nicht zu sagen.“ (Sebastian C.)

Qualifizierte Mitarbeiter*innen werden dringend gebraucht, auch das hat Auswirkungen auf die Performance eines Unternehmens und auf ganze Volkswirtschaften. Der Fachkräftemangel führt zur Jagd nach Talenten in der Wirtschaft. Frauen stellen seit einigen Jahren schon die Mehrzahl der Absolvent*innen an den Unis „Und dann verlieren wir sie“, wie mir eine Vorständin sagte. Den Hauptgrund sieht sie in den noch immer nicht überall vorhandenen Kinderbetreuungsplätzen.

Auf den Punkt gebracht: Jede Frau, die bestens ausgebildet ist und aufgrund von Vorurteilen und traditionellen und überkommenen Rollenbildern und wegen unzureichender Betreuungsangebote für ihre Kinder keinen Job annehmen kann oder will, bedeutet einen Braindrain, ist ein Verlust für die Volkswirtschaft. Sie hat eine oft aus Steuern finanzierte, teure Ausbildung gemacht und kann sie nicht einsetzen.

Und: Es ist ungerecht, dass Eltern mit Kindern Nachteile haben, finanziell, bei der Betreuung, durch unterbrochene Erwerbsbiografien, die im Alter eine geringere Pension zur Folge haben. Einer Volkswirtschaft sollte es sehr viel mehr wert sein, dass es Menschen gibt, die die beglückende, aber anstrengende, herausfordernde und kostenintensive Aufgabe auf sich nehmen, Kinder zu guten Staatsbürger*innen und Steuerzahler*innen aufzuziehen.

ZUFRIEDENE MITARBEITER*INNEN SPAREN UNTERNEHMEN IMMENSE KOSTEN

Ein weiterer Beleg für nachweisbaren Erfolg und messbar weniger Kosten sind die wesentlich geringeren Fluktuationsraten von Mitarbeiter*innen in Unternehmen, die menschenfreundliche und flexiblere Arbeitsbedingungen anbieten.

Jede Mitarbeiterin, die nach kurzer Zeit geht, weil sie die Arbeit nicht mit der Familie vereinbaren kann, jeder Mitarbeiter, der geht, weil er kein Verständnis für Väterkarenz findet, kostet dem Unternehmen effektiv Geld: Es geht Wissen verloren, die Rekrutierungskosten und die Einarbeitungszeit neuer Mitarbeiter*innen schlagen in der Bilanz des Unternehmens zu Buche. Eine Interviewpartnerin hat mir vorgerechnet, dass das bis zu einem Jahresgehalt ausmachen kann. Ich finde es erstaunlich, wie viele Unternehmen sich das leisten.

Mitarbeiter*innen, die nach der Geburt eines Kindes flexible Arbeitszeiten und eine verständnisvolle Arbeitsatmosphäre vorfinden, bleiben dem Unternehmen verbunden und sind loyal. Sie bringen die gewünschten Resultate eher und sind motiviert, weil ihnen die Arbeitsatmosphäre wichtig ist. Das ist ein hoher Wert für Unternehmen, vor allem, wenn es sich um qualifizierte Fachkräfte handelt. Das bestätigen mir weibliche und männliche Führungskräfte in den Interviews aus ihrer Sicht als Angestellte wie auch als Arbeitgeber*innen. Mehr dazu im Kapitel „Der Wille zur Unabhängigkeit und Selbstbestimmung“.

Moderne und zukunftsfähige Unternehmen wollen Menschen, die ihre Stärken und Talente einbringen, denn dann sind sie am besten. Moderne Chefs sind Motivator*innen, Moderator*innen und Ermöglicher*innen, nicht Befehlsausgeber*innen. Sie achten darauf, dass diese Menschen ihr Potenzial entfalten können und dass sie Arbeitsbedingungen vorfinden, die sie nicht daran hindern, ihre persönliche Lebensqualität, Familie und Beruf zu vereinbaren. Auf der Jagd nach Talenten können es sich Unternehmen nicht mehr leisten, dass qualifizierte Mitarbeiter*innen – Frauen wie Männer – weggehen, weil sie diese Bedingungen nicht vorfinden. Es gibt immer mehr Unternehmen, die das erkannt haben. Auf der anderen Seite braucht es Menschen, die diese Chance für sich nutzen – das ist die Chance für Frauen, die selbstbestimmt leben und arbeiten wollen.

DER GENDER-GAP ZEIGT AUCH, WIE VIEL GELD DER VOLKSWIRTSCHAFT FEHLT

Kommen wir zum Gesamtbild, das sich ergibt, wenn Frauen weniger Einkommen haben: Der Gender-Gap, die Einkommensschere zwischen Männern und Frauen, wirkt sich auf die Wirtschaftsleistung einer Volkswirtschaft aus: Frauen machen die Hälfte der arbeitenden Bevölkerung aus, aber sie generieren nur 37 Prozent der globalen Wirtschaftsleistung, mit starken Schwankungen nach unten in manchen Ländern.

Abgesehen davon, dass es unfair ist, dass Frauen nach wie vor weniger als Männer verdienen: Es gibt einen wesentlichen Aspekt beim Einkommen von Frauen und Männern, der sich auf das Bruttoinlandsprodukt (BIP) auswirkt: Wenn Frauen mehr verdienen, können sie mehr Geld ausgeben, was ihnen und letztlich auch der Wirtschaft zugutekommt. Der Gender-Pay-Gap, also die geschlechtsspezifische Einkommensschere zwischen Frauen und Männern, hat Auswirkungen auf die Kaufkraft der Hälfte der Bevölkerung. Das ist zwar eine konventionelle Wirtschaftsauffassung (mit mehr Konsum in der Form, wie wir ihn derzeit tätigen, wird dieser Planet irgendwann unbewohnbar), wir wissen aber auch, dass Kinder aus Familien mit nur einem verdienenden Elternteil eher in Armut aufwachsen. Das zeigt eine große Studie der Bertelsmann Stiftung von 2017.12

Andersrum betrachtet: Oft wird vorgerechnet, dass es Familien zu teuer komme, wenn der Vater bei den Kindern bliebe. Leider ist das noch oft der Fall, die große Einkommensschere zwischen Frauen und Männern zeigt es. Trotzdem: Warum wird eigentlich nicht ausgerechnet, was der Familie an Einkommen entgeht, wenn die Mutter bei den Kindern bleibt? Diese Frage wirft der Leiter der wirtschaftsliberalen Denkfabrik Agenda Austria, Franz Schellhorn, auf:

„Wer das so sieht, sollte mal den Taschenrechner anwerfen und ausrechnen, wie stark das Familienbudget durch zwanzig Monate Mütterkarenz sinkt.“ 13

Das Familienbudget, aber nur das Einkommen der Frau, leidet noch viel länger darunter, wie ich im Kapitel „Frauen und Geld“ zeige.

DIE RECHNUNG GEHT AUCH FÜR DIE FRAUEN NICHT AUF

Für Frauen, die immer in Teilzeit gearbeitet haben, geht die Rechnung im Alter nicht auf.

Sehr pointiert drückt es Tanja C., eine Topmanagerin, aus:

„Und wenn ich den Kindern bis zur Matura das Händchen halte, bis dahin nur zwanzig Stunden arbeite, dann ist es logisch, dass ich weniger verdiene als jemand, der bis dahin Vollzeit gearbeitet hat. Und da brauchen sie sich auch nicht beschweren!“

Wohlgemerkt: Mir geht es hier nicht darum, dass Männer und Frauen, die bewusst bei den Kindern bleiben wollen, das nicht tun sollen. Aber sie müssen sich finanziell absichern, sonst geht die Rechnung für sie in der Pension nicht auf. Mehr dazu im Kapitel „Der Wille zur Unabhängigkeit und Selbstbestimmung“.

WAS ES BRAUCHT

Ein wichtiges Kriterium sind die Rekrutierungsprozesse. Sie sind die erste Hürde, der sich Frauen gegenübersehen: Hier schlägt der Unconscious Bias zu, die unbewusste Voreingenommenheit gegenüber ihnen. Diese kann vermieden werden, wenn im Bewerbungsprozess die persönlichen Fähigkeiten der Menschen im Vordergrund stehen, nicht deren Geschlecht.

Es braucht noch mehr Ermöglicher*innen, die hochqualifizierte Frauen dort abholen, wo sie sind: bei der Frage, wie sie Beruf und Familie vereinbaren können. Und wie sie mit ihren Talenten und ihrer Leistung sichtbar werden.

Vor allem international aufgestellte Unternehmen haben erkannt, dass die Förderung von Frauen und Männern, die Arbeit und Familie vereinbaren wollen, positive Auswirkungen auf ihren wirtschaftlichen Erfolg hat. Sie starten Ausbildungsprogramme für Frauen und bieten Netzwerke für sie und für Väter an, die sich über ihre Erfahrungen austauschen wollen.

Die gesamte Gesellschaft könnte davon profitieren, wenn die Arbeitszeit der Menschen an ihre jeweilige Lebenslage angepasst würde.

Jörg Asmussen, Investmentbanker und ehemaliger Staatssekretär, der im Kapitel „Die neuen Männer: Väter in Karenz“ seine Geschichte erzählt, hat dazu einen Vorschlag:

„Das übergeordnete politische Ziel sollte sein: Arbeitszeit soll mit Lebenssituation ‚atmen‘. Die Jungen können viel arbeiten. Mit Kindern weniger. Wenn die größer sind, wieder mehr. Und dann eventuell wieder weniger, wenn die eigenen Eltern Hilfe brauchen. Zum Beispiel jeden Freitag frei.“

FAZIT: DIE RECHNUNG GEHT FÜR ALLE AUF, WENN FRAUEN UND MÄNNER IN DER WIRTSCHAFT UND ZU HAUSE GLEICHGESTELLT SIND

Abgesehen davon, dass die Rahmenbedingungen passen müssen (Ausbau der Kinderbetreuung am Land, familientaugliche Arbeitszeitmodelle), geht die Rechnung für alle auf, für Frauen und Männer, für die Unternehmen und für die Wirtschaft:

– Gemischte Teams in den Führungsetagen sind nachweislich ein Erfolgsfaktor, der sich in den besseren Zahlen dieser Unternehmen widerspiegelt.

– Mehr hochqualifizierte Menschen kommen auf den Arbeitsmarkt und bleiben ihm erhalten. Vor allem,

– wenn sich die Männer aktiv an der wertvollen unbezahlten Arbeit beteiligen; in den Ländern, in denen bis zu achtzig Prozent der Väter in Karenz gehen, bleibt auch nach der Karenz des Mannes nachhaltig eine gerechtere Aufteilung der Haus- und Familienarbeit aufrecht.

– Wenn Frauen weniger lange Unterbrechungen in ihrer Arbeitsbiografie haben, kann der große Unterschied im Einkommen und bei den Pensionen von Frauen und Männern mittel- bis langfristig überwunden werden.

FRAUEN SIND MÜTTER – UND SONST NICHTS?

Die Rolle der Frau in unserer Gesellschaft: Mutter – und sonst nichts? Betrachtung einer sozialen Konstruktion. In Österreich und in Deutschland wird einer Frau die Wahlmöglichkeit von Rollen auch heute offenbar immer noch nicht zugestanden. Dazu ein kurzer und tiefer Blick in die Geschichte des Mutterbildes in diesen Ländern. Wie gehen die Interviewpartnerinnen mit der Mutterrolle um? Und wie sehen das die Kinder? Wie viel Mutter und wie viel Vater brauchen die Kinder wirklich – Antworten aus der Bindungsforschung.

Es braucht ein ganzes Dorf, um ein Kind zu erziehen.

Nigerianisches Sprichwort

Das Idealbild der Mutter ist in den Gesprächen mit Frauen und Männern immer präsent, wenn es um die Erwerbstätigkeit von Frauen und Männern mit Kindern geht: Es ist das von der Gesellschaft in Österreich und Deutschland vorausgesetzte Idealbild der Mutter, die zu Hause bei den Kindern bleibt und keiner oder nur einer geringen Erwerbstätigkeit nachgeht. Nur dann ist – noch immer – nach Meinung vieler in unserer Gesellschaft ein gesundes Aufwachsen der Kinder möglich. Und vor allem: Wer bringe den Kindern dann die Werte nahe?!

Dazu eine Gegenfrage: Wer sagt, dass Kinder von Vollzeitmüttern die besseren Menschen sind? Und was ist mit den Vätern? Warum ruft niemand nach der mangelhaften Vermittlung von Werten für die Kinder durch Väter, die nicht da sind, was bis jetzt meistens der Fall ist?

Abgesehen davon ist das eine sehr elitäre Diskussion, weil viele Frauen mit Kindern es sich nicht aussuchen können, zu Hause zu bleiben, und auf Betreuung für die Kinder angewiesen sind. Eine meiner Interviewpartnerinnen meint zum Thema des Mutterideals nur:

„Wir legen da in Österreich und in Deutschland ein gesellschaftliches Gluckentum an den Tag …“ (Thea R.)

Die deutsche Literaturwissenschaftlerin Barbara Vinken zeigt in ihrem Buch „Die deutsche Mutter. Der lange Schatten eines Mythos“ den Konflikt der deutschen Frau als Mutter und Berufstätige auf:

„Man fragt sich, wie es dann kommt, dass französische, dänische und italienische Kinder als Erwachsene so schrecklich normal und nicht allesamt als krippengeschädigte Bindungsunfähige herumlaufen.“1

In Frankreich zum Beispiel ist eine Frau immer noch eine Frau, auch wenn sie Kinder hat. Sie hat auch kein Problem damit, mehr Kinder als eine Österreicherin oder eine Deutsche zu haben und diese früh in außerhäusliche Obhut zu geben.2

Das Muttersein ist die große Zerreißprobe für die meisten Frauen im deutschsprachigen Raum, weshalb sie oft ihre berufliche Entwicklung und somit ihre persönliche Unabhängigkeit und Selbstbestimmtheit zurückstellen.

Wobei sich der Arbeitsbereich der Mutter nicht nur auf eigene Kinder erstreckt, sondern auch pflegebedürftige Angehörige miteinbezieht: Achtzig Prozent der pflegebedürftigen Angehörigen werden von Frauen betreut.3

FRAUEN ENTSPRECHEN NICHT – EGAL, WAS SIE TUN?

Dennoch: Noch nie konnten Frauen so frei und selbstbestimmt leben wie in der westlichen Welt des 21. Jahrhunderts. Dabei sind sie allerdings Kritik von allen Seiten ausgesetzt: Aus dem konservativen Lager kommt Kritik an Frauen, die sich nicht in die dort offenbar einzig zugelassene Rolle der Mutter zwängen lassen wollen. Die Feministinnen auf der anderen Seite des Spektrums vermuten nicht ganz unbegründet einen Backlash der Gleichberechtigung, den Rückfall der Frauen in die ihnen traditionell zugewiesene Rolle im Haus hinterm Herd, sobald es wieder einmal Schwierigkeiten auf dem Arbeitsmarkt gibt oder es beim Kampf um die Erreichung von Machtpositionen eng wird.

Die Wahlmöglichkeit zwischen oder die Kombination von verschiedenen Rollen wird Frauen offenbar auch heute immer noch nicht zugestanden. Ist sie „nur“ Mutter, gilt sie als altmodisch. Und muss sich zudem in unserer Leistungsgesellschaft auch noch rechtfertigen, da ja hier alles über bezahlte Arbeit und Geld bemessen wird. Ist sie „nur“ berufstätig, gilt sie als egoistisch. Ist sie Mutter und berufstätig und will sie gar auch noch Karriere machen, fallen alle über sie her: Sie sei eine „Rabenmutter“ für ihre Kinder, sie könne sich nicht hundertprozentig dem Beruf widmen, vernachlässige ihre Partnerschaft … Wobei Väter, wenn es um Kinder und Vereinbarkeit geht, leider immer ausgeblendet werden. Die Familie wird vor allem in konservativen Kreisen und in der konservativen Politik der Frau allein „umgehängt“, da in erster Linie sie für die Kinder zuständig sei.

Im Folgenden möchte ich ein paar Denkanstöße zu einer in unserer Gesellschaft vorgegebenen Rolle anbieten, die als unumstößlich gilt, aber jene, denen diese Rolle zugewiesen wird – zumal, wenn sie sie in Vollzeit ausfüllen, was als Ideal gilt – in eine schwierige Situation bringt: die Frauen.

SOZIALE KONSTRUKTION: MUTTER

Wenn ich hier vom Idealbild Mutter spreche, dann meine ich damit ein Rollenklischee in unserer Gesellschaft, ein soziales Konstrukt, das in der Realität von Familien mit Kindern in dieser Form weder notwendig noch realisierbar ist und in Wahrheit auch nie existiert hat: die Vollzeitmutter.

Und nein, das Muttersein steckt nicht in den Genen der Frau, wie Christine Bauer-Jelinek klarstellt:

„Man sieht ja im Kulturvergleich, dass Frauen – und natürlich auch Männer – in anderen Ländern oder Epochen unterschiedliche Rollen und Aufgaben in der Gesellschaft erfüllen. Das jeweils angemessene Verhalten wird durch Sozialisation erlernt. Wäre alles angeboren, dann müsste dieses ja überall weitgehend gleich sein.“

Es gibt maßgebliche wirtschaftliche Gründe und es gibt gute Gründe aus der Bindungsforschung, warum wir die Erwartungshaltung an Frauen, die Mütter sind, herunterschrauben können – und sollen.

Im Kapitel „Die neuen Männer: Väter in Karenz“ zeige ich, dass diese vom ersten Tag an eine wichtige Rolle für das Kind spielen und spielen wollen, was den Müttern viel Druck nehmen kann (wenn diese das zulassen).

Manchen Männern fiel auf, wie stark das Ideal der Mutter ist und dass sie als Vater nicht wirklich anerkannt sind: Einer der Väter hatte sein Kind in einem katholischen Kindergarten. Er sagte mir: „Das ist sehr müttergeprägt. Da tue ich mir sehr schwer.“

DAS IDEAL DER HUNDERT-PROZENT-MUTTER: NUR IN DEN OBEREN SCHICHTEN UND ERST SEIT KURZEM

Nur im deutschsprachigen Raum haben wir ein Mutterideal, das vorgibt, dass nur die leibliche Mutter in der Lage und es ihre alleinige Aufgabe sei, die Kinder zu versorgen. Bis vor Kurzem war eine Frau in unserer Gesellschaft dann auch voll anerkannt.