Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Nach einer schwierigen Kindheit und ungeliebten Ehe, sah ich mich den größten Herausforderungen meines Lebens gegenüber. Nach meiner Scheidung begann ein Kampf um mir zu beweisen, dass ich mehr kann als gedacht. Heute lebe ich frei und unabhängig und voller Zuversicht. Ein eindrucksvolles Buch über Mut, Selbstbestimmung und den Weg zu innerer Stärke.
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 251
Veröffentlichungsjahr: 2025
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Mut zur Veränderung
Ein langer Weg – ein neues Leben
Autobiografie
von
Marion Romana Glettner
Die Personen und Handlungen dieses Buches sind frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten mit tatsächlichen Begebenheiten, lebenden oder verstorbenen Personen wären rein zufällig.
Das Werk einschließlich aller Inhalte ist urheberrechtlich geschützt. Nachdruck oder Reproduktion (auch
auszugsweise) in irgendeiner Form (Druck, Fotokopie oder anderes Verfahren) sowie die Einspeicherung, Verarbeitung, Vervielfältigung und Verbreitung mit Hilfe elektronischer Systeme jeglicher Art, gesamt oder auszugsweise, ist ohne ausdrückliche Genehmigung der Autorin untersagt.
Alle Rechte vorbehalten© November 2024
Impressum:
Neopubli GmbH
Köpenicker Straße 154 a
10997 Berlin
Texte:©copyright by Marion Romana Glettner
Exposè
In einer Welt, in der die Dunkelheit der Vergangenheit die Gegenwart bedroht, erhebt sich eine Frau aus den Trümmern ihres Lebens. Ihr Name ist Marion, eine zerrissene Seele, gezeichnet von einer traurigen Kindheit und einer Ehe ohne Liebe, die wie Ketten um ihr Herz lagen. Doch trotz des Sturms, der über sie
hinwegfegte, hielt sie an einem letzten Funken Hoffnung fest.
Marion's Geschichte beginnt mit einem düsteren Kapitel, geprägt von Vernachlässigung und Misshandlung in ihrer Kindheit. Ihr Selbstwertgefühl wurde zu Asche verbrannt, während sie verzweifelt nach einem Licht in der Dunkelheit suchte. Doch auch als Erwachsene fand sie keine Erlösung, als sie sich in eine Ehe stürzte, die nur eine weitere Quelle des Leidens war. Ihre Träume wurden erstickt, ihre Stimme zum Schweigen
gebracht.
Doch inmitten des Chaos wagte Marion einen Akt der Liebe und adoptierte eine Tochter, um Licht in ihr Leben zu bringen. Doch die Hoffnung wurde zu Staub, als ihre Tochter den Kontakt abbrach, ein weiterer Dolchstoß in ihr ohnehin schon blutendes Herz.
Es war jedoch die Scheidung, die den Wendepunkt markierte. In den Ruinen ihrer gescheiterten Ehe fand Marion die Kraft, die Flammen der Vergangenheit zu löschen und aus der Asche ihres alten Selbst
aufzuerstehen. Sie beschloss, für ihr eigenes Glück zu kämpfen, koste es, was es wolle.
Auf ihrer Reise der Selbstentdeckung und des Überlebens trifft Marion auf unerwartete Verbündete, lernt, sich selbst zu lieben, und findet Trost in der Kraft ihrer eigenen Stärke. Doch der Weg zum Triumph ist mit Herausforderungen gepflastert, und Marion muss sich ihren tiefsten Ängsten stellen, um die Ketten der
Vergangenheit endgültig zu sprengen.
"Mut zur Veränderung" ist eine bewegende Geschichte über die Macht der Widerstandsfähigkeit, die
Fähigkeit zur Heilung und die unermessliche Stärke des menschlichen Geistes, selbst in den dunkelsten Stunden des Lebens. Es ist eine Geschichte, die Mut macht, Hoffnung spendet und daran erinnert, dass selbst in den schwärzesten Nächten ein Funken Licht zu finden ist.
1. Kapitel
Oberhütte
Die Geschichte meiner Großeltern war tief in der Erde der Oberhütte verwurzelt, einem Hof, der seit
Generationen in den Händen meiner Großeltern lag. Sie waren Großbauern, die stolz ihr Land
bewirtschafteten und sich um ihre Tiere kümmerten. Die Felder erstreckten sich bis zum Horizont, und die Tage waren erfüllt von harter Arbeit, aber auch von einem tiefen Gefühl der Gemeinschaft und des
Zusammenhalts. Zur Familie gehörten meine Mutter, Waltraud, und ihr Bruder Günter. Günter war Jahre älter als meine Mutter und hatte von klein auf immer einen besonderen Platz auf dem Hof. Er liebte die Tiere,
besonders die Pferde, und konnte Stunden damit verbringen, durch die Felder zu streifen. Doch die Idylle der Oberhütte wurde durch den Krieg erschüttert. Als der Krieg begann, veränderte sich das Leben auf dem Hof dramatisch. Immer mehr junge Männer wurden eingezogen, und auch auf dem Hof wurde die Arbeit
schwerer. Meine Großeltern und Waltraud versuchten, den Alltag aufrechtzuerhalten. Günter war erst 16, ein Junge, der noch ein ganzes Leben vor sich hatte. Er wollte Bauer werden und den Hof seiner Eltern
weiterführen, doch der Krieg ließ keine Träume unberührt. Im Frühling 1945, nur wenige Wochen vor dem Ende des Krieges, kam der Befehl, dass auch er eingezogen werden sollte. Es gab keine Zeit, Abschied zu nehmen, keine Zeit, um sich vorzubereiten. Er wurde auf ein U-Boot geschickt, obwohl er kaum die
Ausbildung für den Seekrieg hatte. Meine Mutter erinnerte sich noch gut an den Tag, als er den Hof verließ. Es war ein kalter, grauer Morgen, und die Stille in der Luft war unheimlich. Günter trug die Uniform eines
Matrosen, die ihm viel zu groß war, und obwohl er versuchte, tapfer zu wirken, konnte meine Mutter die Angst in seinen Augen sehen. Sie umarmten sich zum Abschied, und Günter sagte ihr leise, dass er bald wieder
zurück sein würde.
„Es ist fast vorbei“, flüsterte er.
„Ich komme bald nach Hause.“
Doch Günter kehrte nie zurück. Meine Großeltern versuchten, mit ihrer Trauer umzugehen, indem sie sich noch intensiver um den Hof und die Tiere kümmerten. Für sie war es eine Form von Heilung, die Arbeit, die sie so lange begleitet hatte, auch in diesen dunklen Zeiten fortzuführen. Doch in jedem Raum des Hauses, in jedem Winkel des Hofes, war Günters Abwesenheit spürbar. Sein Zimmer blieb jahrelang unverändert, als ob er jeden Moment zurückkehren könnte.
Meine Mutter war nicht nur eine leidenschaftliche Bergsteigerin, sondern auch eine begabte Pianistin. Ihr
Leben war von zwei großen Leidenschaften erfüllt. Das waren die Musik und die Berge.
Der Zweite Weltkrieg hatte tiefe Narben im Land und in den Herzen der Menschen hinterlassen, doch die
Bewohner in unserer Gegend versuchten, die Trümmer hinter sich zu lassen und wieder ein normales Leben zu führen. Meine Mutter Waltraud war eine von ihnen und hatte einen Traum, den sie in die Tat umsetzen wollte. Meine Mutter wusste, dass es im Ort ein Klavier gab, das während des Krieges aufgrund der knappen Ressourcen in einem verlassenen Raum gelagert wurde. Das Klavier war verstaubt und desolat, aber sie war fest entschlossen, es wieder zum Leben zu erwecken. Gemeinsam mit einigen Dorfbewohnern organisierte sie die mühsame Aufgabe, das Klavier auf einen Lastwagen zu verladen und auf die Oberhütte zu
transportieren.
Es war ein kalter Wintertag, als das Klavier bereit stand. Mit zitternden Händen öffnete sie den Deckel, setzte sich vor die Tasten und begann zu spielen. Die Klänge füllten die Umgebung und es war, als ob die Musik die Dunkelheit des Krieges vertrieb und die Herzen der Menschen erwärmte. Meine Mutter spielte nicht nur für sich selbst, sondern auch für das Dorf. Die Menschen versammelten sich im Anger, um ihre Musik zu hören. Ihre Melodien erzählten Geschichten von Hoffnung und Überwindung. Die Menschen vergaßen für einen
Moment ihre Sorgen. Auch Waltrauds Leidenschaft für die Berge war ungebrochen. Sie bestieg Berge im Harz und auch in südlichen Ostgebirgen. Eines Tages beschloss sie, ihre beiden Leidenschaften miteinander zu verbinden. Sie gründete mit Freundinnen im Dorf eine Holzschuhtanzgruppe.
Mit den Klängen ihres Klaviers und den Rhythmen der Holzschuhe gaben sie Darbietungen.
Geburt
Meine Geschichte, ein ungewöhnlicher Start ins Leben sollte sich zu einem aufregenden und spannendenAbenteuer entwickeln, dass mich durch die Wirren der deutschen Geschichte führen würde.
Am 7. Januar 1958wurde ich in Runstedt geboren, einem kleinenmalerischem Dorf in Niedersachsen,
umgeben von fruchtbaren Feldern und sanft geschwungenen Hügeln.Meine Mutter, Waltraud, war eine
engagierte Krankenschwester und widmete sich liebevoll der Pflege einer Verwandten in diesem alten
Bauernhaus, das uns vorübergehend ein Zuhause bot. Meine Geburt hätte eigentlich im Mansfelder Land stattfinden sollen, doch das Schicksal hatte andere Pläne. Die Pflege meiner Tante zog sich hin und so wurde ich am kalten Januarmorgen des Jahres 1958 in diesem abgelegenen Bauernhaus in Runstedt geboren.
Doch diese Geburt sollte einen lebensverändernden Einfluss auf mich haben. Zu dieser Zeit war Deutschland in Ost und West geteilt und die politischen Spannungen zwischen den beiden Teilen waren hoch.
Da meine Mutter aus dem Ostteil Deutschlands, der sowjetischen Besatzungszone,stammte und ich imWestteil, der amerikanischen, britischen und französischen Besatzungszone, geboren wurde, standen wir vor einer großenHerausforderung. Wir erhielten keine Geburtsurkunde, wie es üblich war, sondern eine
Abstammungsurkunde, die uns erlaubte, in den Osten zurückzureisen.
Eine Abenteuer begann, denn wir wollten nicht von den Osten in den Westen flüchten, sondern umgekehrt, von den Westen in den Osten, denn im Osten warteten meine Großeltern auf uns. Und diese Flucht war
genauso gefährlich.
Die Grenze zwischen Ost- und Westdeutschland war zu dieser Zeit scharf bewacht und es war äußerst
riskant sie zu überqueren. Meine Mutter hatte jedoch einen gewagten Plan.
Sie hatte sich mit einer Gruppe von Vertrauten zusammengetan, die bereit waren uns zu helfen. Es war ein kalter, dunkler Morgen, als meine Mutter mich leise in den Kinderwagen legte. Unter mir lagen
Konservendosen, Decken und einige wenige Habseligkeiten, die sie und ihre Begleiter in der Eile
zusammengepackt hatten. Der Wind pfiff durch die Bäume des Waldes, und jeder Schritt musste bedacht sein. Unsere Flucht durch den dichten Wald war voller Angst und Ungewissheit. Die Grenze war nah, und jenseits davon lag die Freiheit, aber auch eine ständige Gefahr – die bewaffneten Grenzer des Ostens
patrouillierten, stets bereit, jemanden aufzuhalten, der zu fliehen versuchte. Meine Mutter, mit angespannter Miene, schob den Kinderwagen langsam und vorsichtig über die schmalen Pfade. Neben ihr gingen
Vertraute, andere Familien, die sich ebenfalls in diese verzweifelte Flucht wagten. Sie schienen wie Schatten im Nebel, stets darauf bedacht, keinen Laut zu machen, um die Aufmerksamkeit der Grenzer nicht zu
erregen. Jeder Ast, der knackte, jedes Rascheln des Laubes ließ sie erstarren. Wenn sie die Schritte eines Patrouillierenden hörten, versteckten sie sich sofort in den Büschen oder hinter dichten Bäumen. Ich war zu klein, um die Dramatik dieses Moments zu verstehen, doch ich spürte die Anspannung meiner Mutter. Sie war voller Sorge, hielt aber gleichzeitig eine unerschütterliche Entschlossenheit in ihrem Blick. Ihre Hände
zitterten leicht, als sie den Kinderwagen schob, doch sie ließ keine Sekunde los. Sie wusste, dass es kein Zurück gab. Die Entscheidung, zu fliehen, war gefallen, und sie musste es schaffen – für mich, für uns. Als wir uns der Ostgrenze näherten, wurden die Schritte vorsichtiger. Das Ziel war nah, aber auch die Gefahr wuchs. Überall gab es Gerüchte von Grenzern, die auf fliehende Familien schossen, Menschen, die in letzter Sekunde aufgegriffen wurden. Meine Großeltern, die nicht bei uns waren, hatten nur eines im Sinn. Sie
hofften und beteten, dass wir es gesund und unentdeckt bis zur Oberhütte schafften, wo sie uns bereits
erwarteten. Plötzlich, ein Geräusch. Schritte im Laub. Meine Mutter hielt inne, die Augen weit aufgerissen. Die Männer in unserer Gruppe bedeuteten uns, still zu sein. Wir duckten uns hinter einen umgestürzten Baum, meine Mutter hielt den Kinderwagen still und bedeckte mich mit einer Decke. Die Schritte kamen
näher – so nah, dass ich fast den Atem der Grenzer spüren konnte. Es waren nur Sekunden, doch sie fühlten sich wie eine Ewigkeit an. Die Grenzer blieben stehen, flüsterten miteinander, schauten sich um. Doch dann, wie durch ein Wunder, entfernten sich die Schritte wieder. Wir hatten Glück gehabt. Die Nacht verging
quälend langsam, jeder Meter schien eine unüberwindbare Hürde zu sein. Doch irgendwann erreichten wir endlich den Punkt, an dem wir die Grenze passieren konnten. Mit einem letzten Schubser schob meine
Mutter den Kinderwagen über die unsichtbare Linie, die West und Ost trennte. Mit Herzklopfen erreichten wir die Grenzstation. Die Grenzsoldaten beäugten uns misstrauisch und ich lag still und unbeweglich im
Kinderwagen, als würden sie meine Existenz nicht bemerken. Die Konservendosen unter der Matte
täuschten eine harmlose Fracht vor und wir hielten den Atem an. In diesem Moment, der sich wie eine
Ewigkeit anfühlte, ließen die Grenzsoldaten uns passieren. Sie hatten nichts Verdächtiges gefunden und
ahnten nicht, dass sie einen kleinen „Grenzgänger“ geradezu vor ihren Augen passieren ließen. Wir hatten es geschafft.
Die Luft schien plötzlich leichter zu atmen, doch die Erleichterung kam erst, als wir schließlich die Oberhütte sahen. Dort warteten meine Großeltern, die Tränen in den Augen. Sie hatten nicht gewusst, ob wir es
schaffen würden, doch nun standen wir da – müde, erschöpft, aber sicher. Meine Mutter fiel in ihre Arme, die Erleichterung über das Geschaffte stand allen ins Gesicht geschrieben. Es war eine gefährliche Flucht
gewesen, ein besonderer Moment in unserer Geschichte. Die Konservendosen unter mir im Kinderwagen, die Decken und das Wenige, was wir mitgenommen hatten, erinnerten immer daran, wie knapp wir dem Schrecken entkommen waren.
Meine Kindheit
Als ich mit meiner Mutter Waltraud Weiß wieder im Mansfelder Land ankam, zogen wir mit meinen Großeltern Hedwig und Paul Weiß in die Lutherstadt Eisleben. Meine Großeltern wohnten dort in der Straße des
Friedens in einer Zweiraumwohnung. Gern und oft war ich bei ihnen.
Meine Großmutter erzählte mir oft eine Geschichte aus meiner frühen Kindheit, die sie immer wieder zum Schmunzeln brachte. Es ging um die Spaziergänge, die sie mit mir im Kinderwagen unternahm, als ich noch ein Baby war.
„Du warst ein kleiner Sonnenschein“, sagte sie immer mit einem Augenzwinkern.
„Aber wehe, jemand hat in deinen Kinderwagen geschaut!“
Jedes Mal, wenn sie mich in den Kinderwagen legte, wickelte und liebevoll zudeckte, ging es auf den
Spazierweg. Doch im Gegensatz zu anderen Müttern und Großmüttern, die durch die belebten Straßen des Dorfes schlenderten, blieb meiner Oma nur eine begrenzte Auswahl an Wegen. Sie konnte weder durch den Park noch über den Marktplatz gehen, wo die Menschen sich versammelten, miteinander plauderten und neugierig in jeden vorbeifahrenden Kinderwagen blickten. Denn sobald jemand einen Blick in meinen Wagen warf, begann ich zu schreien, als gäbe es kein Morgen.
„Es war, als ob du genau wusstest, wann sich jemand über dich beugte“, lachte sie.
„Kaum war ein Gesicht da, ging das Gebrüll los.“
Sie versuchte es anfangs immer wieder, nahm mich mit auf den Marktplatz, in der Hoffnung, ich würde mich irgendwann an die fremden Gesichter gewöhnen. Doch es nützte nichts. Sobald auch nur ein freundliches Lächeln von einer Nachbarin oder ein neugieriger Blick von einem Fremden kam, füllten sich meine kleinen Augen mit Tränen, und ich ließ einen solchen Schrei los, dass alle schnell wieder zurückwichen.
„Die Leute haben sich regelrecht erschrocken!“, erzählte sie lachend weiter.
„Einmal kam sogar der alte Herr Müller, der dachte, du hättest dich verletzt!“
Natürlich war ich nie verletzt, ich war einfach nicht bereit, mich von fremden Menschen ansehen zu lassen. Also änderte meine Großmutter ihren Plan. Statt durch die belebten Straßen zu laufen, nahm sie mich mit auf ruhigere, einsamere Wege. Oft fuhr sie mit mir durch den stillen Friedhof. Dort war es friedlich, kaum ein Mensch weit und breit. Die Alleen zwischen den Gräbern waren von Bäumen gesäumt und die Vögel sangen leise in den Ästen. Hier konnte ich in Ruhe schlafen, ohne dass mich irgendjemand störte.
„Es war fast so, als ob du den Frieden dort mochtest“, sagte sie mit einem Hauch von Melancholie in der Stimme.
„Die Stille, die Ruhe – das schien dir zu gefallen.“
Manchmal setzte sie sich auf eine der alten Bänke unter den Bäumen und las ein Buch, während ich im
Kinderwagen leise schlief. Der Wind raschelte in den Blättern und alles war ruhig. Nur ab und zu kamen
ältere Menschen vorbei, aber sie blieben in der Ferne und wagten es nicht, den schlafenden Engel zu stören.
„Da warst du das zufriedenste Baby“, sagte meine Großmutter immer.
Manchmal legte sie den Kinderwagen am Rand eines Feldes an einem Baum ab und ließ mich dort im
Schatten schlafen, während sie die Felder betrachtete und den Bauern bei der Arbeit zusah.
„Ich konnte dir stundenlang zuschauen, wie du friedlich geschlummert hast“, erinnerte sie sich.
„Aber wehe, wir kamen wieder in die Nähe der Menschen!“
Mit der Zeit hatten wir unsere Routine gefunden. Die Feldwege und der Friedhof wurden zu unseren täglichen Spazierstrecken und ich gewöhnte mich an die ruhige Welt um mich herum. Vielleicht mochte ich einfach die friedliche Einsamkeit, die diese Orte boten. Aber eines war sicher: In meinem kleinen Reich aus Stille und Natur war ich glücklich – solange niemand versuchte, in den Kinderwagen zu blicken. Als ich älter wurde,
verschwand dieses Verhalten allmählich und ich konnte schließlich auch die belebten Straßen des Dorfes
ertragen, ohne sofort loszuweinen. Aber meine Großmutter liebte es, diese Geschichte immer wieder zu
erzählen.
„Du warst schon immer etwas Besonderes“, sagte sie mit einem liebevollen Lächeln.
Und ich konnte sehen, wie sehr sie diese Erinnerungen schätzte – die stillen Spaziergänge, die wir
gemeinsam unternahmen, auf den einsamen Wegen, die nur uns beiden gehörten.
Als meine Mutter Waltraud begann, nach einem Partner zu suchen, war sie fest entschlossen, eine liebevolle Familie zu schaffen. Waltraud und Horst heirateten. Bald wurden Manne, Susi und Klausgeboren. Unsere Familie zog in ein altes Haus in der Grabenstraße. Direkt vor der Haustür floss die „Böse Sieben“. Sie hieß so, weil sie sich bei Regenfällen in einen reißenden Fluss verwandelte. Es gab dort sieben Stromschnellen. Daher auch der Name. Die Wohnung war sehr klein, alt und baufällig. Zur damaligen Zeit war es sehr schwer eine Wohnung zu finden. Meine Halbgeschwister Manne, Susi und Klaus schliefen in Betten und ich in einer Hängematte.
In den schmalen Gassen, die sich links von der alten Schule erstreckten, befand sich ein winziges
Friseurgeschäft. Es war ein Ort, den meine Mutter gelegentlich besuchte, um ihre Haare stilvoll schneiden zu lassen. Das Klingeln der Eingangsglocke und das leise Summen des Föhns erfüllten die Luft in dem kleinen Salon. Doch die eigentliche Faszination für mich lag in der Nähe, gleich um die Ecke, in einem Milchgeschäft. Dieses Geschäft war klein und von außen fast unscheinbar. Es wurde von einem freundlichen älteren Paar betrieben, dass seit Generationen weitergegeben wurde. Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie ich als Kind oft mit einer leeren Milchkanne in der Hand in dieses Geschäft eilte. Das Innere des Milchladens war eine wahre Schatzkammer für die Sinne. Überall stapelten sich frische Milchprodukte. Es gab cremigen Käse, frische Butter, Milch und Eier von glücklichen Hühnern. Doch das, was mich am meisten faszinierte, war der große Trog, der in einer Ecke stand. Darin wurde die frische Milch gelagert, die von örtlichen Bauern geliefert wurde. Mit einem breiten Lächeln auf dem Gesicht begrüßte mich der Besitzer, Herr Schmidt, der in seinem weißen Schürzenmantel aussah wie ein Zauberer der Milchprodukte. Mit einer alten Holzkelle schöpfte er die Milch aus dem Trog und füllte meine Milchkanne. Es war ein Ritual, das mir immer wie ein kleines Abenteuer vorkam. An manchen Tagen, wenn meine Mutter mich begleitete, konnten wir sogar die
frische Milch direkt aus dem Trog kosten.
Es war ein warmes und sonniges Frühlingswochenende, als ich als kleines Kind gerne bei meinen Großeltern verbrachte. Mein Herz hing besonders an Hedwig und Paul Weiß. Jedes Mal wenn ich sie besuchte, fühlte ich mich in eine Welt voller Liebe und Geborgenheit versetzt. Hedwig und Paul waren ein unzertrennliches Paar, das die Bedeutung von Zusammenhalt und Familie auf ganz besondere Weise verkörperte. Ihre
Wohnung war stets erfüllt von herzhaftem Lachen, dem Duft von selbstgebackenem Brot und frisch
gepflückten Blumen aus dem Garten. Diese beiden Menschen waren nicht nur meine Großeltern, sondern auch meine Vertrauten, meine Lebenslehrer und Freunde.
Als wir in die Martinstraße 2 in Eisleben zogen, war es ein einfaches Haus, wie so viele in der Gegend. Wir wohnten im Parterre, und die Räume hatten hohe Decken und kalte Steinböden, die im Winter eisig wurden. Der Flur war lang und dunkel, und jedes Mal, wenn man durch ihn ging, knarrten die Dielen leicht unter den Füßen. Vom Flur aus führte eine Tür nach draußen in den kleinen Hof, wo eine alte Waschküche stand. Dort wusch meine Mutter die Wäsche, und der Duft von Seifenlauge lag oft in der Luft. Doch am meisten erinnerte ich mich an das Plumpsklo. Es befand sich direkt rechts vom Flur, eine schmale, zugige Kammer, die uns
allen unheimlich war. Es gab kein Licht darin, nur das, was durch die halb offene Tür vom Flur hereinfiel. Das Klo war nicht viel mehr als ein Loch im Boden, und jedes Mal, wenn man es benutzen musste, wehte ein modriger, muffiger Geruch hoch, der den Magen zum Drehen brachte. Es war etwas, das man so schnell wie möglich hinter sich bringen wollte. Tief unter der Erde lebten Ratten, die auf der Suche nach Nahrung
umherstreiften. Diese Vorstellung war gleichzeitig gruselig und aufregend. Wir entwickelten einen
merkwürdigen Brauch. Immer wenn wir zur Toilette gingen, nahmen wir ein Stück hartes Brot mit. Das alte, vertrocknete Brot, das sonst niemand mehr essen wollte. Wir warfen es mit einem plumpen Geräusch in das Loch. Nach einigen Sekunden hörten wir ein Scharren und Rascheln. Die Ratten. Sie kamen, um das Brot zu holen. Wir mussten uns nach jedem Toilettenbesuch beeilen und hatten nur wenig Zeit.
Es war ein kalter, grauer Wintermorgen, als ich mich wieder einmal auf den Weg machen musste, um Kohlen aus dem Keller zu holen. Das war meine tägliche Aufgabe. Unser Zimmer lag eine halbe Etage höher, und Susi, meine Halbschwester, und ich teilten uns ein kleines Zimmer mit einem alten, rostigen Ofen, der nur dann wohlige Wärme verströmte, wenn ich genügend Kohlen heraufbrachte. Der Keller war dunkel und
modrig, und ich mochte es nicht, dorthin zu gehen, aber es musste getan werden. Ich nahm den Metalleimer, der bereits an den Rändern vom vielen Gebrauch verbeult war, und machte mich auf den Weg zur Kellertür. Die Treppe, die dorthin führte, war steil und eng, und selbst tagsüber lag dort kaum ein Lichtstrahl. Jede
Stufe knarrte unter meinem Gewicht, und die kalte Luft zog unangenehm an meinen Füßen. Als ich die letzte Stufe im Keller erreicht hatte, fühlte ich das vertraute Frösteln, das mich jedes Mal überkam, wenn ich in den feuchten Raum trat. Ich tastete mich zum Kohlehaufen, der in der Ecke lag, und begann, den Eimer mit den klobigen, schwarzen Brocken zu füllen. Mit jedem Kohlestück, das ich in den Eimer warf, wurde er schwerer, und ich konnte die Kälte der Kohle durch meine Finger hindurch spüren. Es war keine leichte Arbeit, aber ich war es gewohnt. Der Eimer war bald so voll, dass er kaum mehr zu heben war. Mit zusammengebissenen Zähnen und der Hand fest um den Henkel gekrallt, schleppte ich den schweren Eimer die Stufen hinauf. Die Treppe schien endlos zu sein, und ich spürte den Schweiß, der sich auf meiner Stirn sammelte, obwohl die Luft um mich herum kühl war. Doch kurz bevor ich die oberste Stufe erreichte, geschah es. Ich spürte, dass etwas nicht stimmte, noch bevor ich es sah. Es war, als wäre die Luft um mich herum plötzlich still geworden, als wäre der Keller noch dunkler und bedrückender. Und dann sah ich sie – zwei leuchtende Augen, die mich aus dem Eimer anstarrten. Sie funkelten in der Dunkelheit wie kleine Glühwürmchen, und für einen Moment hielt mein Atem an. Eine Ratte. Sie war in den Eimer geklettert, während ich die Kohlen aus dem Haufen
geschaufelt hatte. Jetzt saß sie oben auf dem schwarzen Haufen und starrte mich an, reglos, als würde sie mich mustern. Ich spürte, wie mein Herzschlag sich beschleunigen, und bevor ich es realisierte, ließ ich den Eimer los. Er fiel mit einem lauten Knall auf die steinerne Treppe und die Kohlen flogen in alle Richtungen. Der Klang hallte durch den engen Flur, und die Ratte huschte blitzschnell davon, zurück in die Dunkelheit des Kellers. In diesem Moment öffnete sich die Tür, und mein Stiefvater stand vor mir. Sein Gesicht war grimmig, die Stirn in Falten gelegt, und bevor ich überhaupt erklären konnte, was passiert war, schoss sein Zorn
heraus.
„Was hast du getan?!“ brüllte er und packte mich grob am Arm.
„Den ganzen Eimer Kohlen fallen lassen!“
Tränen stiegen mir in die Augen, aber ich wusste, dass es keinen Sinn hatte zu erklären. Der Schreck und die Panik des Moments wurden von der Angst vor der Strafe abgelöst. Bevor ich mich wehren konnte, spürte ich die harte Hand meines Stiefvaters auf meinem Rücken. Der Schmerz war scharf, aber der Schock war noch größer. Ich biss die Zähne zusammen und sagte kein Wort, obwohl meine Kehle eng wurde und mir die
Tränen in die Augen stiegen.
„Räum das auf und hol noch mehr Kohlen!“ sagte er schroff, bevor er sich umdrehte und die Tür hinter sich zuknallte.
Mit zitternden Händen sammelte ich die verstreuten Kohlen ein, die sich über die Stufen verteilt hatten, und schob den Eimer zur Seite. Der Schock über die Begegnung mit der Ratte saß mir noch in den Knochen, aber ich wusste, dass ich keine Zeit hatte, darüber nachzudenken. Ich musste die Arbeit beenden.
Am liebsten war ich bei meinen Großeltern. Dort fühlte ich mich wohl und war sicher. An einigen Sonntagen musste ich weiße Strumpfhosen und ein einen Rock mit Petticoat tragen. Meine Halbschwester Susi in rosa und ich in grün. Ich habe es gehasst. Kaum trat ich aus Haustür, war meine Strumpfhose schmutzig.
Daraufhin bekam ich Hausarrest, aber das war mir egal.
An meinem 6. Geburtstag, als die Kerzen auf dem Kuchen ausgeblasen waren und die Geschenke neben mir auf dem Tisch lagen, hielt meine Tante ein besonderes Paket in den Händen. Es war größer als die anderen und sorgfältig in glänzendes Papier gehüllt. Ihre Augen funkelten, als sie es mir reichte.
„Für dich, mein Schatz. Ich glaube, das wird dir gefallen“, sagte sie geheimnisvoll.
Neugierig riss ich das Papier auf, und darunter kam ein Buch zum Vorschein. Es war dick, und auf dem
Cover standen goldene, geschwungene Buchstaben. „Russische Märchen“ war der Titel, und darunter war ein Bild von einem mächtigen Drachen, der sich über einen mutigen Helden erhob, der ein Schwert in der Hand hielt. Meine Augen weiteten sich. Ich hatte noch nie so ein Buch gesehen – voller Magie und
Abenteuer, das konnte ich schon am Einband spüren. Ich blätterte hastig durch die Seiten und sah
atemberaubende Zeichnungen von finsteren Wäldern, majestätischen Burgen, geheimnisvollen Wesen und natürlich den Helden, die gegen Drachen kämpften und große Taten vollbrachten. Meine Fantasie begann
sofort, Geschichten zu spinnen, bevor ich auch nur ein Wort gelesen hatte. Doch der Rest des Tages war
voller Gäste und Trubel, sodass ich keine Zeit hatte, in die magische Welt der Märchen einzutauchen. Als es schließlich Abend wurde und alle zur Ruhe kamen, konnte ich es kaum erwarten, das Buch aufzuschlagen. Doch meine Eltern waren streng. Es war schon spät und sie schickten mich ins Bett. Aber ich war zu
aufgeregt, um zu schlafen. Die Abenteuer der Helden und die Geheimnisse der Drachen riefen nach mir, sie wollten entdeckt werden. Also schmiedete ich einen Plan. Nachdem das Licht im Haus erloschen war und
alles still wurde, griff ich heimlich nach meiner Taschenlampe, die ich unter meinem Kopfkissen versteckt
hatte. Leise schlich ich aus dem Bett und legte mich auf den Boden, zog mir das Buch mit den russischen Märchen heran und kroch unter das Bett, wo ich mich sicher fühlte. Dort, im schwachen Licht der
Taschenlampe, schlug ich die erste Seite auf. Die Worte zogen mich sofort in eine andere Welt. Ich las von Prinzen, die auf wilden Pferden durch endlose Steppen ritten, von Drachen, die ganze Königreiche
bedrohten, und von mutigen Mädchen, die mit ihrem scharfen Verstand das Böse besiegten. Die Geschichten waren voll von tapferen Helden und schlauen Hexen, von Schlössern aus Eis und endlosen dunklen
Wäldern. Jede Seite, die ich umblätterte, entführte mich tiefer in diese fantastische Welt, die so anders war als meine eigene. Manchmal hielten mich die Wörter auf, denn ich konnte noch nicht alles lesen. Doch ich
erfand einfach meine eigenen Geschichten, wo die Sätze zu schwer waren, und ließ meiner Fantasie freien Lauf. Die Bilder in dem Buch halfen mir dabei – sie erzählten ihre eigene Geschichte. Ich sah den
heldenhaften Krieger, der sein Schwert hob, um den Drachen zu besiegen, und ich stellte mir vor, wie er im letzten Moment seine Stärke fand und das Biest in die Flucht schlug. Die Zeit verging wie im Flug. Ich vergaß völlig, dass es tief in der Nacht war und ich eigentlich schlafen sollte. Die Welt der Märchen war so viel
spannender als die Dunkelheit um mich herum. Die Kälte des Bodens spürte ich kaum, und das leise Knarren des alten Hauses, das mich sonst ängstlich gemacht hätte, war nur ein ferner Klang. Plötzlich hörte ich Schritte im Flur. Es war meine Mutter. Schnell schaltete ich die Taschenlampe aus und schob das Buch unter das Bett. Ich kroch hastig in mein Bett zurück und zog die Decke über mich. Mein Herz klopfte laut, aber als sie ins Zimmer kam und leise nach mir schaute, stellte sie nur fest, dass ich tief zu schlafen schien. Sie
lächelte und schloss die Tür wieder leise hinter sich. Kaum war sie weg, kroch ich sofort wieder unter das Bett. Diesmal las ich nur noch ein paar Seiten, bevor ich merkte, wie meine Augen schwer wurden.
Schließlich legte ich das Buch zur Seite, kroch wieder ins Bett und schlief mit Gedanken an Drachen und Prinzen ein, die in meinem Kopf weiterlebten. Dieses Buch war nicht einfach nur ein Geschenk. Es war der Schlüssel zu einer neuen, besseren Welt. Eine Welt, die ich immer dann besuchen konnte, wenn ich wollte. Von diesem Tag an wurden Bücher meine ständiger Begleiter.
Schon als Kind war ich von unersättlicher Neugier getrieben. Alles, was ich in die Finger bekam, wollte ich
erforschen, auseinandernehmen und verstehen, wie es funktionierte. Meine Großeltern hatten sich schon daran gewöhnt, dass ich oft mit offenen Schraubenziehern oder verstreuten Teilen beschäftigt war. Doch
eines Tages, als sie nicht da waren, fand ich etwas, das meine Aufmerksamkeit besonders fesselte: den alten Wecker mit den Glocken oben drauf. Der Wecker stand normalerweise auf dem Nachttisch meines
Großvaters und weckte ihn morgens mit einem lauten Klingeln, das man im ganzen Haus hören konnte. Er hatte schon immer etwas Magisches an sich – die Art, wie die Zeiger sich leise tickend über das Ziffernblatt bewegten und die Glocken bei jeder vollen Stunde in einem nervenaufreibenden Klang explodierten. An
diesem Nachmittag, allein im Wohnzimmer, sah ich meine Chance gekommen. Ich musste einfach wissen, was in diesem Wecker vor sich ging! Also schnappte ich mir einen kleinen Schraubenzieher, setzte mich an den Tisch und begann vorsichtig, den Wecker auseinanderzunehmen. Stück für Stück löste ich die
Schrauben, bis das Gehäuse sich öffnete und mir die innere Mechanik offenbarte: Zahnräder, Federn und winzige Metallteile, die perfekt ineinandergriffen. Ich war fasziniert. Die Rädchen drehten sich in meinem Kopf, und ich versank in dem Wunderwerk der Mechanik. Es fühlte sich an, als würde ich ein Geheimnis
lüften, das nur darauf gewartet hatte, entdeckt zu werden. Doch genau in dem Moment, als ich dabei war, das letzte Zahnrad herauszunehmen, hörte ich die Haustür quietschen. Mein Großvater war zurück.
