Mütter und Väter im evolutionären Licht betrachtet – Überraschende Antworten auf alte Fragen - Annette Mennicke - E-Book

Mütter und Väter im evolutionären Licht betrachtet – Überraschende Antworten auf alte Fragen E-Book

Annette Mennicke

0,0
16,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist ein altes Thema mit modernen Lösungen: Väter beteiligen sich an der Elternzeit und der Familienarbeit – die Beteiligungsquote der Väter ist jedoch weit davon entfernt, eine egalitäre Rollenverteilung widerzuspiegeln. Annette Mennicke sucht in ihrer Studie Antworten auf das Warum. Mennicke nimmt eine für die aktuelle öffentliche Debatte ungewohnte Perspektive ein: Sie betrachtet das Geschehen aus dem Blickwinkel unserer evolutionären Vergangenheit und untersucht dabei zwei grundsätzliche Fragen: Warum überhaupt gibt es zwei Geschlechter? Und weswegen unterscheiden sich weibliches und männliches Geschlecht im Verhalten?Neueste Erkenntnisse der evolutionären Psychologie und der Soziobiologie legen den Schluss nahe, dass die Persistenz der Geschlechterrollen eine Folge der unterschiedlichen Selektionsdrücke auf die Geschlechter im Laufe der Evolution ist. Doch wie kann diese Erkenntnis fruchtbar gemacht werden – für familienpolitische Maßnahmen einerseits, für eine familienbewusste Personalpolitik andererseits? Ausblickend experimentiert Annette Mennicke mit verschiedenen Lösungsansätzen, die neues Licht auf das alte Thema Vereinbarkeit von Familie und Beruf werfen.Das Buch bietet wertvolle Überlegungen für jeden, der sich über Geschlechterrollen, Elternschaft und eine egalitäre, gerechte Gesellschaft Gedanken macht und nebenbei mehr über sich selbst erfahren möchte.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 284

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



ibidem-Verlag, Stuttgart

Inhaltsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis
1. Einleitung
2. Eltern- und Familienbildung
2.1 Geschichtlicher Abriss
2.1.1 Pädagogische Ratgeberliteratur – empirische Belege zur Relevanz
2.1.2 Institutionelle Ansätze
2.2 Annäherung an ein komplexes Feld
2.2.1 Systematisierungsversuche
2.2.2 Blickwinkel: Familie
2.2.3 Blickwinkel: Erwachsenen- und Weiterbildung
2.3 Ergebnisse einer Bestandsaufnahme der Angebote
2.3.1 Blickwinkel: Maßnahmen
2.3.2 Blickwinkel: Teilnehmerstruktur
2.4 Zusammenfassung und Diskussion
3. Vereinbarkeit von Familie und Beruf – empirische Befunde
3.1 Vom Mutterschaftsurlaub zum Elterngeld
3.1.1 Mutterschaftsurlaub
3.1.2 Erziehungsurlaub
3.1.3 Elternzeit
3.1.4 Elterngeld
3.2 Auswirkungen der neuen Elterngeldregelung – eine alternative Betrachtung
3.2.1 Erwerbstätigkeit als Quelle der weiblichen Unabhängigkeit?
3.2.2 Partnermonate als Weg zu einer höheren Väterbeteiligung?
3.2.3 Fazit der alternativen Betrachtung
3.3 Väterbeteiligung an der Familienarbeit in ausgewählten europäischen Ländern
3.3.1 Umfang der Elternzeitnutzung durch die Väter
3.3.2 Erwerbstätigkeit als Quelle der weiblichen Unabhängigkeit?
3.3.3 Zeitlicher Aufwand der Väter an der Familienarbeit
3.3.4 Fazit des Blicks auf andere Länder
3.4 Zusammenfassung und Diskussion
3.4.1 »Traditionalisierungseffekt«
3.4.2 »Weichensteller-Funktion« der Mütter
4. Biowissenschaftliche Erklärungsansätze – ein neuer Rahmen
4.1 Plädoyer für einen biowissenschaftlichen Theorierahmen
4.1.1 Das Problem der Normsetzung
4.1.2 Das Problem der überlappenden Verteilungen
4.2 Ultimate Ursachen und proximate Mechanismen
4.2.1 Kritik 1 – Mangelnde Prüfbarkeit
4.2.2 Kritik 2 – Fehlende Sparsamkeit
4.2.3 Kritik 3 – »Als-ob«-Redefiguren
4.3 Zusammenfassung
5. Die Evolution der Evolutionstheorie
5.1 Wichtige Stationen einflussreicher Ideen
5.1.1 Darwinismus
5.1.2 Genetik und Populationsgenetik
5.1.3 Neodarwinismus
5.2 Postneodarwinismus
5.2.1 Theorie der neutralen Evolution
5.2.2 Konzept der »Spandrille«
5.2.3 Genozentrische Sichtweise
5.3 Soziobiologie – Die neue Synthese
5.3.1 Verwandtenselektion
5.3.2 Spieltheoretische Elemente
5.4 Zusammenfassung
6. Evolutionstheorie im Übergang zum 21. Jahrhundert
6.1 Soziobiologische Varianten
6.1.1 Human-Verhaltensökologie
6.1.2 Gen-Kultur-Koevolution
6.1.3 Memetik
6.2 Evolutionäre Psychologie
6.2.1 Adaptive Verhaltensweise oder Angepasstheit?
6.2.2 Konzept des »Environment of Evolutionary Adaptedness«
6.2.3 Konzept der »evolvierten psychologischen Mechanismen«
6.3 Zusammenfassung und erste Schlussfolgerung
7. Phylogenetische Sicht – Warum zwei Geschlechter?
7.1 Warum Sexualität?
7.2 Warum sexuelle Fortpflanzung?
7.3 Warum zwei Sorten von Keimzellen?
7.4 Warum getrennte Geschlechter?
7.5 Zusammenfassung und Diskussion
8. Evolutionärer Anpassungswert – Wozu ein Verhaltensunterschied?
8.1 Sexuelle Selektion
8.1.1 Intrasexuelle Konkurrenz
8.1.2 Intersexuelle Wahl
8.1.3 Fazit zur sexuellen Selektion
8.2 Infantizid als Reproduktionsstrategie?
8.2.1 Reproduktive Konkurrenz unter Männchen
8.2.2 Reproduktive Konkurrenz unter Weibchen
8.2.3 Fazit zum Infantizid als Reproduktionsstrategie
8.3 Zusammenfassung und Diskussion
9. Lebensgeschichte eines Organismus aus evolutionsbiologischer Sicht
9.1 Abgleichproblem: Paarungsaufwand – Elternaufwand
9.2 Blickwinkel: Paarungsaufwand
9.3 Blickwinkel: Elternaufwand
9.4 Zusammenfassung und Diskussion
10. Persistenz der Geschlechterrollen
10.1 Quintessenz
10.2 Ideenwerkstatt
11. Literaturverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

BMFSFJ

Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

bzw.

beziehungsweise

ca.

circa

DNA

englisch: desoxyribonucleic acid, deutsch: Desoxyribonukleinsäure (DNS)

ebd.

ebenda

EEA

Environment of Evolutionary Adaptedness

EPM

evolvierter psychologischer Mechanismus

ESS

evolutionär stabile Strategie

etc.

et cetera

ISSP

International Social Survey Program

KJHG

Kinder- und Jugendhilfegesetz

m. E.

meines Erachtens

mtDNA

mitochondriale DNA

PPAS

Population Policy Acceptance Study

S.

Seite

SGB

Sozialgesetzbuch

u. a.

unter anderem

USA

United States of America

vgl.

vergleiche

z. B.

zum Beispiel

1.Einleitung

Was hat Elternbildung mitBiowissenschaften zu tun? Diese Frage drängt sich auf. Jedoch,wie die feministische Naturwissenschaftshistorikerin und Biologin Donna Haraway couragiert formuliert:»Man muß sich das Recht herausnehmen, Dinge zusammenzubringen, von denen andere sagen, daß man sie auseinanderzuhalten habe.«(Haraway 1995,S.103) Dieser Gedanke soll leitend für die vorliegende Studie sein. Warum sollten Forschungsergebnisse aus biowissenschaftlicher Perspektive einen Forschungsgegenstand wie die Elternbildung zusätzlich erhellen können? Mein Erkenntnisinteresse besteht darin herauszufinden, ob biowissenschaftlicheErklärungsansätze, insbesondere soziobiologische Argumentationsstränge, einen fundierten Beitrag leisten können, um Elternbildungsangebote zu konzipieren. Ausgangspunkt ist das theoretische Konzept der unterschiedlichen Reproduktionsstrategien der Geschlechter. Diese Hypothese bildet den Kern der soziobiologischen Forschung. Inwiefern und unter welchen Bedingungen ist eine Elternbildung geeignet, dazu anzuregen, das genetische Eigeninteresse zugunsten einer geschlechtlichen Solidarität zurückzustellen? Es soll begründet werden, dass durch eine Elternbildung, die geschlechtstypische Veranlagungen berücksichtigt, gesellschaftliche Strukturen veränderbar sind.

Nicole Becker (2006), eine Erziehungswissenschaftlerin, untersuchte, wie die Rezeption biowissenschaftlichen Wissens in den Erziehungswissenschaften zwischen 1990 und 2003 erfolgt ist, wobei sie explizit die Neurowissenschaften in den Fokus nimmt (vgl. ebd.,S.168, Fußnote 70). Becker nimmt eine inhaltliche Ordnung der Rezeptionsversuche vor und findet zwei Diskurse, den bildungstheoretischen sowie den didaktischen Diskurs (vgl. ebd.,S.172). Dabei identifiziert sie zwei rezeptive Herangehensweisen im didaktischen Diskurs: Entweder wird versucht, neurowissenschaftliches Wissen in vorhandene didaktische Überlegungen und Modelle einzufügen, oder das Ziel ist die Entwicklung neuer, eigenständiger Theorien mittels dieser Erkenntnisse (vgl. ebd.,S.182). Diese zweite Rezeptionsperspektive nimmt aktuelle Probleme als Ausgangspunkt und prüft, inwieweit sich Phänomene mithilfe neurowissenschaftlichen Wissens in einen neuen Deutungsrahmen stellen lassen, und wie hierdurch bislang»blinde Flecken«erhellt werden können (ebd.,S.191).

In der vorliegenden Studie wird der geschilderte zweite Weg verfolgt. Es werden zwei empirische Befunde der sozialwissenschaftlichen Väter- und Familienforschung als Anknüpfungspunkt gewählt: zum einen der»Traditionalisierungseffekt«und zum anderen die»Weichensteller-Funktion«der Mütter. Das Bestreben ist, durch Einbeziehung biowissenschaftlicher Erkenntnisse diese beiden Phänomene auf eine neue Beschreibungsebene zu übertragen. Auf diese Weise ergeben sich alternative Erklärungen, die auf Plausibilität überprüft werden können. Eine wesentliche Zielsetzung dieser Studie besteht darin, die derzeitigen Bemühungen zur Motivation der Väter zueinerTeilnahme an Elternbildungsangeboten, insbesondere in Familienbildungsstätten, auf ein theoretisches Fundament zu stellen. Die aktuellen Anstrengungen, durch Versuch und Irrtum eine angemessene Ansprache der Väter zu erreichen, können effektiverundeffizienter gestaltet werden, indem für das praktische Handeln das Wissen genutzt wird, das zuvor aus adäquaten theoretischen Modellen gewonnen wurde (vgl. Fthenakis et al. 2002,S.474).

Aufbau der Studie

Um die Argumentation dieser Studie einzuleiten, erfolgt inKapitel 2im ersten Schritt eine Annäherung an das komplexe Feld der Eltern- und Familienbildung durch einen geschichtlichen Überblick, der bereits die Relevanz dieses Gebiets eindrücklich demonstriert. Dieses Kapitel steht unter der Leitfrage: Inwieweit kristallisieren sich Ansatzpunkte heraus, die eine Einbindung biowissenschaftlicher Forschungsergebnisse fruchtbar werden lassen? Es werden verschiedene Blickwinkel eingenommen, um den Gegenstand der Eltern- und Familienbildung in Bezug auf die Leitfrage zu beleuchten. Danach werden Ergebnisse einer aktuellen und umfangreichen Bestandsaufnahme der Familienbildungsangebote in Deutschland referiert, die verdeutlichen, wie wichtig eine theoretische Fundierung dieser Angebote ist. Die herausgearbeiteten Erkenntnisse werden abschließend in einer ersten These zusammengefasst:Die Nichterreichbarkeit der Väter als Zielgruppe für Familienbildungsangebote findet eine Ursache in identifizierbaren Unterschieden im Verhalten der Geschlechter. Der Aufbau desKapitels 3ist an der Frage ausgerichtet: Wie stellt sich nach fast dreißig Jahren, begonnen im Jahre 1979 mit dem Mutterschaftsurlaubsgesetz bis zum Jahr 2007 mit der Ablösung des Erziehungsgeldes durch das Elterngeld, das Projekt»Vereinbarkeit von Familie und Beruf«in Deutschland dar? Zur Beantwortung dieser Frage werden ausgewählte aktuelle empirische Befunde präsentiert, die im Kontext der Vereinbarkeit von Familie und Beruf stehen. Um die familienpolitischen Bemühungen in Deutschland besser einschätzen zu können, wird der Blick auf die skandinavischen Länder gerichtet, die bereits seit dreißig Jahren eine umfassende staatliche Vollbeschäftigungsförderung für beide Geschlechter verfolgen. Das Kapitel wird beendet, indem die berichteten empirischen Befunde zu zwei Phänomenen verdichtet werden, die in der sozialwissenschaftlichen Väter- und Familienforschung diskutiert, aber noch keiner hinreichenden Erklärung zugeführt werden konnten–der»Traditionalisierungseffekt«einerseits, die»Weichensteller-Funktion«der Mütter andererseits. InKapitel 4wird der biowissenschaftliche Rahmen abgesteckt, in dem die spätere Argumentation dieser Studie eingebettet ist. Zuerst werden weit verbreitete Kritikpunkte hinsichtlich der Zulässigkeit einer Anwendung biowissenschaftlicher Erkenntnisse auf sozialwissenschaftliche Befunde entkräftet. In einem zweiten Schritt wird der konzeptionelleAnsatz der vier Grundfragen der biologischen Forschung eingeführt, der auf den Ethologen Nikolaas Tinbergen (1907–1988) zurückgeht und die Basis der Argumentation dieser Studie bildet. Kernpunkt ist die Annahme, dass ein Lebensphänomen durch zwei verschiedene Erklärungsebenen beschrieben werden kann, denen jeweils zwei der biologischen Grundfragen zugeordnet sind. Die folgenden zwei Kapitel,in denen alle Bausteine vorgestellt werden, die für das evolutionäre Gedankengebäude benötigt werden, um die Argumentation der vorliegenden Studie zu entfalten,bieten eine umfangreiche geschichtliche Auseinandersetzung mit der Evolutionsbiologie;die Struktur desKapitels 5ist an dem Aufbau orientiert, den Zrzavý et al. (2009) in ihrem Lehrbuch vorgenommen haben, während inKapitel6die neueren Entwicklungen der Evolutionstheorie im Übergang zum 21.Jahrhundert präsentiert werden.

Die tragende Argumentation dieser Studiewird in denKapiteln7, 8und9ausformuliert. Zu Beginn desKapitels7wird aus den Schlussfolgerungen, die die Rezeption der Evolutionsbiologie mit ihren Teilgebieten zulassen, insbesondere der Soziobiologie und der evolutionären Psychologie, die zweite und letzte These dieser Studie formuliert:Die Persistenz der Geschlechterrollen, die sich in den beiden Phänomenen des»Traditionalisierungseffekts«und der»Weichensteller-Funktion«der Mütter widerspiegelt, ist als eine Folge der unterschiedlichen Selektionsdrücke auf die Geschlechter im Laufe der Evolution zu werten. Illustriert wird das Zusammenspiel der verschiedenen Erklärungsebenen eines Lebensphänomens mithilfe eines selbst entwickelten Orientierungsrahmens, der die Mechanismen aufzeigt, die zur Persistenz der Geschlechterrollen führen. Methodisch wird mit Tinbergens Ansatz gearbeitet, indem die Fragen, die den beiden Erklärungsebenen eines Lebensphänomens zugeordnet sind, konkretisiert werden. WährendinKapitel 7die Frage behandelt wird, warum es überhaupt zwei Geschlechter gibt, wirdinKapitel 8eine Antwortdaraufgesucht, weshalbsich weibliches und männliches Geschlecht im Verhalten unterscheiden,und schließlich wird inKapitel 9der Orientierungsrahmen vervollständigt und die adaptive Funktion der psychologischen Mechanismen dargelegt. Im letztenKapitel 10werden die wichtigsten Ergebnisse der Studie zusammengefasst,und es wird ein Ausblick gewagt, welcheAnknüpfungspunktesich durch die Einbeziehung der evolutionären Hintergründe für eine Eltern- und Familienbildung anbieten könnten.

Die Rezeption der biowissenschaftlichen Erkenntnisse stützt sich in großen Teilen auf Standardwerke und Lehrbücher, wobei für die Auswahl leitend war, dass es sich entweder um sehr aktuelle und/oder entsprechend anerkannte Werkehandeln musste. Weiterhin werden zu den einzelnen vertieft dargestellten Schlüsselkonzepten die»Klassiker«im Original zitiert. Großer Wert wurde auf die Integration für den jeweiligen wissenschaftlichen Diskurs möglichst repräsentativer, kritischer Kommentare aus unterschiedlichen Wissenschaftsdisziplinen gelegt. Eine Diskussion derpolitischenGründe, diefür die»neue Familienpolitik«verantwortlich gemacht werden könnten, wird nicht angestrebt. Sigrid Leitner (2008), eine Soziologin, fragt zum Beispiel:»Kam es [...] zu einem Ausbau der Familienpolitik, weil dieser funktional für die Ökonomie ist?«(ebd.,S.68), und die Soziologin Heike Kahlert (2008) beklagt,»besonders erwünscht sind Kinder von hoch qualifizierten Müttern [...] angesichts knapper werdender Humanressourcen [...]«(ebd.,S.2295). Dessen ungeachtet sollen die postulierten Normen seitens der Vertreterinnen und Vertreter der Bundesregierung hinsichtlich einergleichwertigenRollenteilung zwischen Frauen und Männern, auf die die Diskussion der empirischen BefundeinKapitel 3 aufbaut, als ein m.E. moralisch wünschbarer Zustand verstanden werden, der die Folie für die gesamte Argumentation der vorliegenden Studie bildet.

2.Eltern- und Familienbildung

Mit Friebertshäuser et al. (2007) lässt sich fragen:»Warum hat sich die erziehungswissenschaftliche Forschung bisher so selten mit der Person der Mutter und des Vaters auseinandergesetzt?«(ebd.,S.193)Eine Antwort könnte lauten, dass sich die Angebote der Familienbildung auf dieprivateLebensführung beziehen (vgl. Textor 2007,S.369). Denn wie Friebertshäuser et al. (2007) konstatieren, konzentriert sich die erziehungswissenschaftliche Disziplin»vor allem auf die Erforschung von Bildung und Erziehung inaußerfamilialenInstitutionen«(ebd.,S.193; HervorhebungA.M.). In der Literatur werden die Begriffe»Elternbildung«und»Familienbildung«teilweise synonym benutzt, vor allem im politischen Kontext (vgl. Minsel 2009,S.865).»Elternbildung«ist enger gefasst und meint die Stärkung der Familie»als Erziehungsinstanz«(Textor 2007,S.369; vgl. Schymroch 1989,S.81). Mit dem Begriff»Familienbildung«wird die Familie alsSystemerkannt; es werden»die einzelnen Familienmitglieder in ihren unterschiedlichen Rollen und Funktionen«erfasst (Pettinger, Rollik 2005,S.134). Beate Minsel (2007), eine Erziehungswissenschaftlerin, definiert prägnant:»UnterFamilienbildungwerden alle Maßnahmen verstanden, die darauf abzielen, die Erziehungskompetenz zu stärken und das Zusammenleben in der Familie so zu gestalten, dass die Kinder in einer gesunden und entwicklungsförderlichen Lernumwelt aufwachsen«(ebd.,S.300; Hervorhebung im Original)

Um den Einstieg in die Argumentation dieser Studie vorzubereiten, wird zuerst ein komprimierter geschichtlicher Überblick über die Entwicklung der Eltern- und Familienbildung gegeben, der bereits die Relevanz dieses Komplexes gewahr werden lässt (2.1). Danach wird der Vielschichtigkeit dieses Feldes Rechnung getragen durch die Darstellung unterschiedlicher Annäherungsversuche (2.2), die anschließend durch die Ergebnisse einer aktuellen und umfangreichen Bestandsaufnahme der Familienbildungsangebote in Deutschland untermauert wird (2.3). Das gesamte Kapitel 2 steht unter der Leitfrage: Inwieweitlassensich Ansatzpunktefür eine fruchtbareEinbindung biowissenschaftlicher Forschungsergebnissein die Familienbildung finden?

2.1Geschichtlicher Abriss

Ansätze einer Familienbildung im weitesten Sinne lassen sich bereits im späten 16.Jahrhundert mit der sogenannten»Hausväterliteratur«erkennen, deren Verfasser überwiegend protestantische Pfarrer waren und teilweise auch die»Hausmütter«einbezogen (Wittke 2008,S.1). Als einer»der ersten pädagogischen Autoren der Neuzeit«, die sichexplizitmit der Frage nach einer Verbesserung der Erziehungskompetenz der Eltern (präziser der Mütter) befassten, gilt Johann Amos Comenius (1592–1670), ein Theologe und Pädagoge (Minsel 2007,S.301). In der Zeit der Aufklärung und Industrialisierung, etwa ab dem frühen 18.Jahrhundert, wurde vor allem mittels der damaligen populären Ratgeberliteratur versucht, die Eltern mit konkreten Anleitungen zu versorgen, wie sie ihre Kinder erziehen sollten (vgl. Wolgast 1996,S.8). Besonders zu nennen ist hier Christian Gotthilf Salzmann (1744–1811), evangelischer Pfarrer und Pädagoge, von dem im Jahre 1780 die erste Auflage seines Elternratgebers mit dem Titel»Krebsbüchlein oder Anweisung zu einer unvernünftigen Erziehung der Kinder«erschien; diesen Namen erhielt das Buch allerdings erst ab der dritten Auflage im Jahre 1792 (Salzmann, Dietrich 1806,S.112). Insgesamt wurden bereits zu Lebzeiten Salzmanns vier Auflagen veröffentlicht, dieletzteim Jahre 1806 (vgl. ebd.,S.113). Salzmann versuchte mit seinem»Krebsbüchlein«in einer originellen Weise–verpackt in 36 teils sehr kurzen Erzählungen–, die Eltern davon zu überzeugen, dass»in ihnen selbst der Grund von den Fehlern ihrer Kinder liege«(ebd.,S.13). Konkrete Anleitungen für einen Erzieher, die er in elf Ratschläge unterteilt, gibt er aber erst im Jahre 1806 in seinem»Ameisenbüchlein oder Anweisung zu einer vernünftigen Erziehung der Erzieher«(Salzmann, Dietrich 1806,S.51–66). Diese Schrift gilt als die erste»Selbsterziehungslehre für Erzieher«(ebd.,S.70). Die Wichtigkeit solcher Ratgeberbücher in dieser Zeit wird unterstrichen von zwei traurigen historischen Kapiteln zur Kinderpflege, dienachfolgend skizziert werden: Zum einenderPraxis des Aussetzens von Kindern und zum anderen des kommerziellenAmmenwesens.

2.1.1Pädagogische Ratgeberliteratur–empirische Belege zur Relevanz

Bereits im Jahre 1445 wurde mit dem ausdrücklichen Ziel,»den Tod von vernachlässigten Kindern zu verhindern«, das weltweit erste Findelhaus in Florenzeröffnet (Hrdy 2000,S.346). Die Praxis des Aussetzenswarkeineswegs neu, denn in den ersten drei nachchristlichen Jahrhunderten in Rom wurden schätzungsweise 20bis 40Prozent derneugeborenen Kinder ausgesetzt (vgl. ebd.,S.345). Die Sterblichkeitsratein den Findelhäusern war erschreckend hoch (vgl. ebd.,S.346). Andererseits waren viele Regierungsvertreter»über die große Zahl ungewollter Säuglinge verstört, die am Straßenrand und in der Gosse zurückgelassen wurden«, sodass nach dem Florenzer Vorbildin vielen europäischen Städten noch jahrhundertelang neue Findelhäuser erbaut wurden[1](ebd.,S.346f.). Sogar drei Jahrhunderte später starben von den 15.000Säuglingen, die zwischen 1755 und 1773 in das Findelhaus in Florenz gebracht wurden,»zwei Drittel vor ihrem ersten Geburtstag«(ebd.,S.346). Das Hauptproblem bestand in der mangelhaften Ernährung der Säuglinge (vgl. ebd.,S.348). Es gab nicht genügend Ammen, um diese vielen Kinder zu stillen,und da»angereicherte Trockenmilch und keimfreies Wasser zum Anrühren«nicht verfügbar war, starben die meisten Babys in ihren ersten Lebensmonaten an Infektionskrankheiten und Hunger (ebd.,S.348f.). Selbst im 19.Jahrhundert war das Aussetzen der Kinder immer noch verbreitet, wie zwei Zahlen beispielhaft demonstrieren sollen: In den 1860er-Jahren wurden in Wien 9.101Säuglinge ausgesetzt; zwischen 1880 und 1889 wurden in Moskau jährlich durchschnittlich 15.475Babys in das Findelhaus gegeben, wovon die meisten nicht überlebten (vgl. ebd.,S.352).

Das zweite unrühmliche Kapitel in der Geschichte, das kommerzielle Ammenwesen[2],»erreichte im Europa des 18.Jahrhunderts seinen Höhepunkt«, obgleich sich die Anfängebis ins hellenistische Ägypten des dritten Jahrhunderts vor Christus zurückverfolgen lassen, wo»nicht nur Sklavinnen, sondern auch freie Frauen vertragliche Verpflichtungen eingingen, Muttermilch zu liefern«(ebd.,S.422). Im Europa des 18.Jahrhunderts war die Frau als Arbeitskraft entscheidend für das Überleben der Familie, da das Bürgertum immer mehr von Armut bedroht war (vgl. ebd.,S.423). Das Bevölkerungswachstum war groß, allein in Frankreich wuchs die Bevölkerung von 20 Millionen Menschen auf 27 Millionen an, und die Zahl der besitzlosen Bauern nahm stetig zu (vgl. ebd.). Das Ammenwesen breitete sich etwa ab dem Jahre 1450 von der Oberschicht zu den niedrigeren sozialen Schichten aus, bis es zur Regel mit Ausnahme der Ärmsten wurde (vgl. ebd.,S.422, Anmerkung42). Berufstätige Mütter hatten keine Zeit,ihre Kinder selbst zu stillen,und da es keine pasteurisierte Milch gab, stellten Ammen die einzige Möglichkeit dar, die Säuglinge zu ernähren ohne sie tödlichen Krankheiten auszusetzen (vgl. ebd.,S.424). In Zeiten ohne verlässliche Methoden der Empfängnisverhütung bedeutete das Nichtstillen häufig, dass die Frauen schnell wieder schwanger wurden, manchmal innerhalb desselben Jahres, das heißt,»der großen Zahl ungewollter Babys«wurde ein weiteres hinzugefügt (ebd.,S.349). Die bürgerlichen Frauen standen zudem in Konkurrenz zu den Eltern der Oberschicht und den Findelhäusern, die ebenfalls Ammen suchten (vgl. ebd.). Da die Eliten genügend Geld hatten, um die Ammen bei sich wohnen zu lassen, mussten die bürgerlichen Mütter ihre Kinder zu den preiswerteren, auf dem Land wohnenden Ammen schicken (vgl. ebd.,S.424f.). Dies war imVergleichzu den Findelhäusernschon ein Fortschritt, denndie Betreuung durch Ammensenkte dieKindersterblichkeitum die Hälfte, das heißt, ca. 40Prozent oder weniger Säuglinge starben; in den Findelhäusern der Pariser Gegend lag die Sterblichkeitsrate im späten 18.Jahrhundert bei ca.85Prozent(vgl. ebd.). Eine Amme im eigenen Haus kostete mehr als das Doppelte, senkte die Sterblichkeitsrate jedoch wiederum um die Hälfte und lag mit 20Prozent bei dem Wert, der ebenfalls für eine Mutter galt, die selbst stillte (vgl. ebd.,S.425).

Ein berühmtes Beispiel für die Verhältnisse im 18.Jahrhundert bietet der französische Staatsmann Charles Maurice de Talleyrand-Perigord (1754–1838) (vgl. ebd.,S.419). Er war der zweitgeborene Sohn einer mächtigen Familie, die aber finanzielle Probleme hatte, wie viele zu jener Zeit (vgl. ebd.). Da der erstgeborene Sohn durch eine Amme im Haus gestillt worden war, musste Talleyrand aus Kostengründen zu einer Amme am Stadtrand von Paris gebracht werden (vgl. ebd.). Doch als der ältere Sohn starb, holten die Eltern Talleyrand sofort zurück, da dieser durch den Tod des Bruders seinerseits erbberechtigt wurde (vgl. ebd.). Jedoch war er bei der Amme von einer Kommode heruntergefallen und blieb aufgrund der zugezogenen Fußverletzung für den Rest seines Lebens ein Krüppel (vgl. ebd.). Nachdem ein dritter Sohn geboren wurde, musste Talleyrand wegen seiner Behinderung, die»dem guten Ruf der Familie nicht zuträglich sei«, sein Erstgeburtsrecht abgeben und dem Klerus beitreten (ebd.).

Zusammengefasst lässt sich mit Sarah Blaffer Hrdy (2000), Soziobiologin und Primatologin, feststellen, dass das Ammenwesen–zynisch gesehen auch die Findelhäuser–»eine neuartige Lösung für einuraltes Dilemma[bot;A.M.]: Wie kann sich eine Mutter der Erhaltung ihres Status oder ihrer Lebensgrundlage widmen, ohne von der Last eines Kindes daran gehindert zu werden?«(ebd.,S.422; HervorhebungenA.M.) Hrdy verschärft ihre Einschätzung überdies, indem sie konstatiert:»Damals wie heute stehen Mütter, die Überleben, Mutterschaft und Arbeit miteinander vereinbaren wollen, vorchronischunlösbarenDilemmata.«(ebd.,S.534; HervorhebungenA.M.) Wenn auch Hrdys Wortwahl»chronisch unlösbar«einen pessimistischen Anklang nicht verhehlen kann, ist dieses»Dilemma«zumindest nach wie vor aktuell, wie es sich m.E. in dem Auftrag widerspiegelt, der dem»Siebten Familienbericht«zugrunde lag:»Konzepte für eine neue Balance zwischen verschiedenen Lebensbereichen, wie Familie, Beruf und dem Lebensumfeld von Familien, zu erarbeiten und zudem Vorschläge zu skizzieren, wie eine solche neue Balance zu erreichen und umzusetzen sei.«(Allmendinger et al. 2006,S.1) Diese Forderung nach einer»neuen Balance«ist keine moderne Erfindung, wurde diese doch von den bürgerlich-liberalen Volksbildungsvereinen, die ab dem Jahr 1871 in großer Zahl entstanden, ebenfalls angestrebt (vgl. Wolgast 1996,S.25), wenngleich in den Anfangszeiten das einzelne Individuum inden Hintergrund trat und das»ganze Volk«als Adressat der Bildungsbemühungen galt (ebd.,S.26). ImFolgenden soll die knappe historische Übersicht zur Eltern- und Familienbildung abgerundet werden. Skizziert wird die Entwicklung der Mütterschulen, die aus der Volksbildungsbewegung hervorgingen,zu Beginn des 20.Jahrhundertsbis zu deren Nachfolgern, den heutigen Familienbildungsstätten[3].

2.1.2Institutionelle Ansätze

Innerhalb der Volksbildungsbewegung ist der»Volksverein für das Katholische Deutschland«hervorzuheben, der im Jahre 1890 in Mönchen-Gladbach gegründet wurde und sich stark auf die Zielgruppe der Arbeiter konzentrierte (Wolgast 1996,S.31). Einer der bedeutendsten Volksbildner, Anton Heinen (1869–1934), betonte die Wichtigkeit der Familie, die er als Arbeitsgemeinschaft verstand; allerdings passend zum Zeitgeist geprägt durch die Mutter (vgl. Schymroch 1989,S.17f.). Sein methodischer Ansatz umfasste Arbeitskreise und Nachbarschaftshilfen, mit denen er die weibliche Bevölkerung erreichen wollte (vgl. ebd.,S.17). Zur Wende zum 20.Jahrhundert war die Säuglingssterblichkeit weiterhin hoch, die Wohn- und Arbeitsverhältnisse der arbeitenden Bevölkerung äußerst schlecht und die Ernährung und die Hygiene mangelhaft (vgl. ebd.,S.18). Im Jahre 1917 gründete Luise Lampert (1891–1962), eine Kindergärtnerin, in Stuttgart die erste Mütterschule Deutschlands und legte damit den Grundstein für die»Erste[.] Mütterschulbewegung«(ebd.,S.11,S.20f.). Die ideengeschichtliche Wurzel der Mütterschulen geht zurück auf den Pädagogen Friedrich Wilhelm August Fröbel (1782–1852), der ein Schüler von Johann Heinrich Pestalozzi (1746–1827) war, ebenfalls ein Pädagoge (vgl. ebd.,S.12). Fröbel entwickelte ein Kindergartenkonzept, das nicht nur die ganzheitliche Erziehung des Kleinkindes im Fokus hatte, sondern ebenfalls als Bildungsstätte für Frauen und Mütter gedacht war (vgl. ebd.,S.13f.). Die Mütterschulen wollten Kenntnisse und Fertigkeiten vermitteln, die die Mütter befähigen sollten, ihre Säuglinge und Kleinkinder angemessen zu pflegen und zu erziehen (vgl. ebd.,S.25). Während in den ersten knapp zwei Jahrzehnten des 20.Jahrhunderts kirchliche und gewerkschaftliche Organisationen um die Mütter als Adressaten konkurrierten (vgl. Minsel 2007,S.302), wurden ab dem Jahr 1936 zur Zeit des Nationalsozialismus alle diese Anbieter in das»Deutsche Frauenwerk, Abteilung Mütterdienst«integriert und damit zu politischen Zwecken instrumentalisiert, was den damaligen Mitarbeiterinnen teilweise nicht bewusst war, allein aus ihrer»Euphorie über die Aufwertung der Mütterschule«(Schymroch 1989,S.25,S.132).

Nach dem zweiten Weltkrieg begann mit der»Zweite[n] Mütterschulbewegung«eine Wieder- und Neuerrichtung von Mütterschulen, um die Notsituation–sowohl materiell als auch seelisch–der Frauen zu lindern, die in der Nachkriegszeit allgegenwärtig war (ebd.,S.56ff.). Erst als sich in den 1950er-Jahren die Lebensverhältnisse besserten, wandelte sich die Fremdhilfe in den Gedanken der Selbsthilfe,und die»Bildung zur mütterlichen Persönlichkeit«stellte nunmehr das Ziel der Mütterschulen dar (ebd.,S.59f.). Bereits Ende der 1950er-Jahre erhob sich die Forderung, die Mütterschulen der Erwachsenenbildung zuzuordnen (vgl. ebd.,S.61). Konsequent wurden dann auch ab der zweiten Hälfte der 1960er-Jahre bis Mitte der 1970er-Jahre die»Mütterschulen«in»Familienbildungsstätten«umbenannt; die gesamte Familie sollte als Zielgruppe erreicht werden und nicht mehr die Frau alleine in der Verantwortung für die Familie stehen (ebd.,S.74). Ein Streit entbrannte in den 1970er-Jahren, als es darum ging, die Eltern- und Familienbildung der Erwachsenenbildung oder der Jugendhilfe zuzuordnen (vgl. ebd.,S.82). Ebenfalls in den 1970er-Jahren wurde vehement nach einer theoretischen Fundierung der Arbeit der Familienbildungsstätten verlangt (vgl. ebd.,S.87f.). Hildegard Schymroch (1989) zeigt auf, dass die Gründe für das Fehlen einer theoretischen Grundlage in den personellen, strukturellen und institutionellen Bedingungen der Familienbildungsstätten zu suchen sind (vgl. ebd.,S.88f.).

Als ein zentrales Ergebnis kann festgehalten werden, dass die Verantwortlichen der Mütterschulen ihren Auftrag über lange Zeit in derFrauenbildunggesehen haben. Belegt wird das auch durch die klare Abgrenzung von den sich formierenden»Elternschulen«, die sich in derAblehnungder Namensänderung in»Familienbildungsstätte«noch im Jahre 1960 niederschlägt (ebd.,S.80). Eine explizite Ansprache von Männern bzw. Vätern stand aber auch nach der Umbenennung nicht im Fokus der Familienbildungsstätten, sondern es ging im Wesentlichen darum,ehevorbereitendeundehebegleitendeMaßnahmen in das Programm aufzunehmen (vgl. ebd.,S.79). Innerhalb der 42 Jahrestagungen der»Arbeitsgemeinschaft der Mütterschulen«(ab 1969 unter geändertem Namen), die zwischen 1947 und 1988 stattfanden, wird lediglich in zwei Tagungen mit den Titeln»Die Ansprechbarkeit von Mann und Frau«(im Jahre 1960) sowie»Er–Sie–Es«(im Jahre 1975) explizit auch derMann einbezogen (ebd.,S.75,S.77f.). Mit derThematisierung der Problematikeiner fehlenden Ansprache der Männer bzw. Väter, die inKapitel 2.3.2 wieder aufgegriffen wird, soll der historische Überblick beendet werden. Anschließend wird die verflochtene Struktur der Eltern- und Familienbildung beleuchtet, die sich m.E. auch aus dem fehlenden theoretischen Fundament der Familienbildungsstätten speist.

2.2Annäherung an ein komplexes Feld

Es sind unterschiedliche Strukturierungen von Familienbildung in der Literatur zu finden. Zwei sollen kurz dargestellt werden, da sich damit m.E. die Aussage verdeutlichen lässt, dass Familienbildung»ein hoch komplexes Feld«sei (Textor 2007,S.375). Diese beiden Ordnungsbemühungen sind zum einen von Martin R.Textor (2007), einem Erziehungswissenschaftler, im»Handbuch Familie«zu finden und werden zum anderen von Beate Minsel (2009) im»Handbuch Erwachsenenbildung/Weiterbildung«vorgestellt.

2.2.1Systematisierungsversuche

Textor (2007) differenziert zwischen institutioneller, informeller und medialer Familienbildung, die er unter dem Begriff»Formen«subsumiert,und unterscheidet weiter vier»Arten«von Familienbildung: Ehevorbereitung, Ehebildung, Elternbildung und Familienbildung im engeren Sinne (ebd.,S.375). Die Termini»Formen«und»Arten«werden von ihm jedoch nicht einheitlich gehandhabt; was später als»Arten«bezeichnet ist, wird einleitend als»Formen«vorgestellt (ebd.,S.369). Zusätzlich sieht er verschiedene»Ansatzpunkte«für eine Arbeit der Familienbildung,im Einzelnensind dies: Familienzyklus, Familienfunktionen, besondere Lebenssituationen und besondere Familienbelastungen (ebd.). Ferner zählt Textor diverse»Ziele«einer Familienbildung auf, die in den»letzten Jahren [...] intensiv diskutiert«würden, darunter beispielsweise Väter als Zielgruppe zu gewinnen oder die Balance zwischen Familie und Beruf zu finden (ebd.,S.370f.). Für Textor ist»Familienbildung«der Oberbegriff, während er mit»Elternbildung«die Stärkung der Erziehungskompetenz der Eltern verstanden wissen will (ebd.,S.369).

Hingegen verwendet Minsel (2009) überwiegend den Begriff»Elternbildung«(ebd.,S.865). Minsel spricht ebenfalls von»Formen«einer Elternbildung, untergliedert allerdings in institutionelle, informelle und funktionelle Elternbildung und sieht»informelle«Elternbildung»durch Druckmedien und Massenmedien verbreitet«(ebd.). Damit ist die Verwirrung komplett, denn diese Form bezeichnet Textor (2007) als»mediale Familienbildung«(ebd.,S.379), während»informelle Familienbildung«aus seiner Sicht die»Familienselbsthilfe«darstellt, die zum Beispiel»Elterninitiativen, Mütter-, Familien- und Nachbarschaftszentren, Kontaktkreise für allein Erziehende, Selbsthilfegruppen (z.B. nach Geburt eines behinderten Kindes) oder selbstständige Eltern-Kind-Gruppen umfasst«(ebd.,S.378; Hervorhebung im Original). Was Minsel (2009) unter»funktioneller«Elternbildung als dritte eigenständige Form versteht, das heißt, die Einbindung der Eltern zur Mitarbeit und Mitbestimmung in die Arbeit der Betreuungseinrichtungen ihrer Kinder (vgl. ebd.,S.865), ist bei Textor (2007) lediglich eines von mehreren neuen Zielen der Familienbildung (vgl. ebd.,S.370).

An dieser Stelle soll keine Bewertung der referierten Klassifizierungen vorgenommen werden; die Darstellung diente einzig der Illustration der Komplexität des Feldes der Eltern- und Familienbildung. Der Schwerpunkt dieser Studie liegt jedoch auf der Rezeption der biowissenschaftlichen Erkenntnisse, um veränderte Anknüpfungspunkte für eine Eltern- und Familienbildung aufzuzeigen. Deshalb sollen im Folgenden die beiden Pole der»Familienbildung«, zum einen»Familie«und zum anderen»Bildung«, eingegrenzt auf das Feld der Erwachsenenbildung bzw. Weiterbildung, betrachtet werden.

2.2.2Blickwinkel: Familie

Statt von demviel zitierten»Wandel der Familie«sollte von einem gewandelten quantitativen Anteil der»Nicht-Familie«gesprochen werden (Wittpoth 2007,S.358; Hervorhebungen im Original). Rüdiger Peuckert (2007), ein Soziologe, verwendet die Termini»Nicht-Familiensektor«, wozu er»Alleinwohnende, kinderlose nichteheliche Lebensgemeinschaften, getrennt Zusammenlebende [und;A.M.] kinderlose Ehepaare«zählt, und»Familiensektor«, gebildet aus»Ehepaare[n] mit Kindern, Ein-Eltern-Familien, Nichteheliche[n] Lebensgemeinschaften mit Kindern [und;A.M.] Stieffamilien«(ebd.,S.40; Hervorhebungen im Original). Die Aufzählungen, mit denen Peuckert diese beiden Gruppen konkretisiert, lassen bereits eine mögliche Definition von»Familie«erkennen:»›Familie‹bezeichnet allgemein eine Lebensform, die mindestens ein Kind und ein Elternteil umfasst und einen dauerhaften und im Inneren durch Solidarität und persönliche Verbundenheit charakterisierten Zusammenhang aufweist«(ebd.,S.36; Hervorhebung im Original). Konsens herrscht in der Literatur über den ersten Teil der genannten Definition, der als»kleinste[r]gemeinsame[r]Nenner«zu sehen ist, das heißt,»Familie«beginnt mit dem Vorliegen einer Beziehung zwischen mindestens einem Elternteil und einem Kind (Wittpoth 2007,S.357). Betrachtet man die Größenverhältnisse dieser beiden Sektoren, zeigt sich, dass die Eltern- und Familienbildung weiterhin einen wichtigen Stellenwert hat, denn dem etwa einen Drittel Nicht-Familiensektor stehenzwei DrittelFamiliensektor gegenüber (vgl. Peuckert 2007,S.40). Zudem muss davon ausgegangen werden, dass in dem Nicht-Familiensektor eine nicht unerhebliche Zahl von Paaren als»Noch-nicht-Familie«zu bestimmenist, das heißt,dass diesesich noch Kinder wünschen (Wittpoth 2007,S.358). Bestätigt wird diese Vermutung anhand der Zahlen, die Doreen Klein (2006) vorgelegt hat: In Deutschland wünschten sich demnach im Jahre 2003 drei Viertel (74,7Prozent) der kinderlosen Paare mit gemeinsamen Haushalt im Alter zwischen 20 und 39 Jahren Kinder[4](vgl. ebd.,S.76), wobei der Kinderwunsch auf der reinen Einstellungsebene nicht zwangsläufig verhaltensrelevant werden muss, wie die sinkenden Geburtenzahlen in Deutschland und Europa deutlich machen (vgl. Peuckert 2007,S.36f.; Steinbach 2005,S.15). In diesem Zusammenhang wirft Heike Diefenbach (2005), eine Soziologin, die Frage auf, ob die (scheinbare) Rationalität von Kinderwünschen, die vor allem den ökonomischen Erklärungsansätzen zum generativen Verhalten als Prämisse zugrunde liegt, nicht von der Forscherschaftkonstruiertsei, da das tatsächliche reproduktive Verhalten der Individuen sich deutlich abweichend gestalte (vgl. ebd.,S.115ff.).

Dessen ungeachtet ist zu verzeichnen, dass die Gruppe der sich Kinder wünschenden–als»Familien im Wartestand«–von dem klassischen Angebotsprofil der Familienbildungsstättennichterreicht wird (Wittpoth 2007,S.362). Angebote der Ehevorbereitung und Ehebildung greifen bei den»Familien im Wartestand«nicht, wie Peuckert (2007) anhand der sinkenden Heiratsneigung zeigt, das heißt, eine Schwangerschaft, der Kinderwunsch oder das Vorhandensein von Kindern stellt immer weniger einen Grund zur Eheschließung dar (vgl. ebd.,S.38). Gerade diese Gruppe könnte von geeigneten Maßnahmen profitieren, mit denen bereits im Vorfeld des Übergangs zur Elternschaft einerregelmäßigauftretenden Verschlechterung der Partnerschaft vorzubeugen wäre (vgl. Fthenakis et al. 2002,S.473). Erkenntnisse der LBS-Familien-Studie[5]zur Partnerschaftsentwicklung im Übergang zur Elternschaft deuten daraufhin, dass der Mann in der Partnerschaft umsozufriedenerist, jemehrdie Frau die Hausarbeit übernimmt (vgl. ebd.,S.470). Darüber hinaus verbessert sich das Partnerschaftserleben des Mannes in dem Maße, indem die Frau ihr berufliches Engagement zurücknimmt (vgl. ebd.). Interessanterweise hat aber einereduzierteBerufstätigkeit der Frau einennegativenEffekt auf die Zufriedenheit des Mannes in seinerVaterrolle(vgl. ebd.). Mit anderen Worten: Der Mann fühlt sich zufriedener in der Interaktion mit seiner Partnerin, aber unzufriedener in seiner Vaterrolle, je mehr die Frau aus dem Erwerbsleben aussteigt. Im Gegensatz dazusinktdie Zufriedenheit der Frau in der Partnerschaft umso stärker, je mehr sie die Hausarbeit übernimmt und ihre Erwerbstätigkeit einschränkt bzw. aufgibt (vgl. ebd.,S.470f.). Diese Befunde demonstrieren, wie wichtig die praktizierte Rollenverteilung in der Partnerschaft ist; laut Fthenakis et al. (2002) diezentraleSchaltstelle für Interventionsmaßnahmen (vgl. ebd.,S.471).

2.2.3Blickwinkel: Erwachsenen- und Weiterbildung

»Weiterbildung«wird häufig synonymmit»Erwachsenenbildung«verwendet (Wittpoth 2007,S.343), wurde aber mit dem Strukturplan des Deutschen Bildungsrates aus dem Jahr 1970 als neuerOberbegriff für die nunmehr als staatliche Aufgabe verstandene Erwachsenenbildung proklamiert und umfasst die berufliche Weiterbildung mit Fortbildung und Umschulung sowie die allgemeine Erwachsenenbildung mit der politischen Bildung (vgl. Nuissl et al. 2009,S.332). Gemäß der Definition des Deutschen Bildungsrates wird unter Weiterbildung die»Fortsetzung oder Wiederaufnahme organisierten Lernens nach Abschluss einer unterschiedlich ausgedehnten ersten Bildungsphase«verstanden (Deutscher Bildungsrat 1970,S.197 zitiert in Nuissl et al. 2009,S.329). Jürgen Wittpoth (2007), ein Erziehungswissenschaftler, beginnt seinen Beitrag»Familie und Weiterbildung«im»Handbuch Familie«mit der Feststellung,»Arbeiten über Zusammenhänge zwischen Familie und Weiterbildung [sind;A.M.] eher rar«und bezeichnet dies»als verwunderlich«(ebd.,S.342). Verwunderlich deshalb, da durchaus verschiedene Schnittstellen zwischen Familie und Weiterbildung existieren (vgl. ebd.,S.348). Wittpoth zeigt auf, dass bereits in der Herkunftsfamilie der Grundsteindafür