My Dark Lover - Sandra Henke - E-Book
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My Dark Lover E-Book

Sandra Henke

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Beschreibung

Verbotene Männer und gefährliche Gefühle: Der prickelnde Hot-Romance-Sammelband »My Dark Lover« von Sandra Henke jetzt als eBook bei venusbooks. Die Londoner Buchhändlerin Maddy schwelgt gern in sinnlichen Liebesromanen, doch im echten Leben ist sie ein Mauerblümchen. Erst, als sie dem faszinierenden Callboy Ace begegnet, fragt sie sich, ob sie es wagen darf, sich das zu nehmen, wonach sie sich insgeheim so sehr sehnt … Der dunklen Anziehungskraft eines Bad Boys kann auch Amy nicht widerstehen: Seitdem sie den geheimnisvollen Lorcan kennengelernt hat, der zu Unrecht eines Verbrechens beschuldigt wurde, kann sie an keinen anderen mehr denken. Aber seine finstere Vergangenheit holt die beiden schon bald ein, als Amy erfährt, dass sie sich nicht zufällig begegnet sind … Lucille hingegen glaubt die Gefahr hinter sich, seitdem sie unter neuer Identität als Dienstmädchen arbeitet. Doch statt unsichtbar zu sein, fällt sie ausgerechnet Craig Bellamy ins Auge, einem reichen Unternehmer, der seine ganz eigenen dunklen Geheimnisse hütet … Jetzt als eBook kaufen und genießen: Der Dark-Romance-Sammelband »My Dark Lover« von Bestsellerautorin Sandra Henke vereint die drei sinnlichen Romane »Flammenzungen«, »Jenseits aller Tabus« und »London Lovers - Geheime Verführung«. Lesen ist sexy: venusbooks – der erotische eBook-Verlag.

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Seitenzahl: 1392

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Über dieses Buch:

Die Londoner Buchhändlerin Maddy schwelgt gern in sinnlichen Liebesromanen, doch im echten Leben ist sie ein Mauerblümchen. Erst, als sie dem faszinierenden Callboy Ace begegnet, fragt sie sich, ob sie es wagen darf, sich das zu nehmen, wonach sie sich insgeheim so sehr sehnt … Der dunklen Anziehungskraft eines Bad Boys kann auch Amy nicht widerstehen: Seitdem sie den geheimnisvollen Lorcan kennengelernt hat, der zu Unrecht eines Verbrechens beschuldigt wurde, kann sie an keinen anderen mehr denken. Aber seine finstere Vergangenheit holt die beiden schon bald ein, als Amy erfährt, dass sie sich nicht zufällig begegnet sind … Lucille hingegen glaubt die Gefahr hinter sich, seitdem sie unter neuer Identität als Dienstmädchen arbeitet. Doch statt unsichtbar zu sein, fällt sie ausgerechnet Craig Bellamy ins Auge, einem reichen Unternehmer, der seine ganz eigenen dunklen Geheimnisse hütet …

Über die Autorin:

Sandra Henke, geboren 1973, gehört zu den Autorinnen, die sich nicht auf ein Genre beschränken, sondern ihre Leserinnen auf die unterschiedlichste Art begeistern – mit großen Liebesgeschichten, mit »Paranormal Romance« und erotischer Literatur. Unter dem Namen Laura Wulff veröffentlicht Sandra Henke außerdem erfolgreich Thriller. Sie lebt, glücklich verheiratet, in der Nähe von Köln.

Mehr Informationen finden sich auf der Website der Autorin (sandrahenke.de/), auf Facebook (www.facebook.com/sandra.henke.autorin) und auf Instagram (www.instagram.com/sandra.henke.liebesromane/)

Bei dotbooks veröffentlichte Sandra Henke ihre Reihe »London Lovers – Geheime Verführung«, »London Lovers – Gefährliche Küsse« und »London Lovers – Verbotene Gefühle« sowie die Hot-Romance-Romane »Jenseits aller Tabus«, »Flammenzungen«, »Die Maske des Meisters«, »Opfer der Lust«, »Loge der Lust«, »Lotosblüte« und »Vampire’s Kiss – Gebieter der Dunkelheit«

und die Contemporary-Romance-Highlights »Wo mein Herz dich sucht«, »Wer mein Herz gefangen nimmt«, »Wenn mein Herz dich findet« und »Was mein Herz sich wirklich wünscht«

sowie den Sammelband »Fürstenkuss«, der die romantischen Romane »Verbotene Küsse«, »Prinzessin unter falschem Namen« und »Obwohl ich dich nicht lieben wollte« vereint.

Unter dem Namen Laura Wulff veröffentlichte Sandra Henke bei dotbooks die Thriller »Leiden sollst du«, »Nr.13« und »Opfere dich«.

Gemeinsam mit Kerstin Dirks verfasste Sandra Henke außerdem die erotische Trilogie über die Vampirloge Condannato, die ebenfalls bei dotbooks erschienen ist: »Die Condannato-Trilogie – Erster Band: Begierde des Blutes«, »Die Condannato-Trilogie – Zweiter Band: Zähmung des Blutes« und »Die Condannato-Trilogie – Dritter Band: Rebellion des Blutes«

***

Sammelband-Originalausgabe Juni 2023

Ein eBook des venusbooks Verlags. venusbooks ist ein Verlagslabel der dotbooks GmbH, München.

Copyright © der Sammelband-Originalausgabe 2023 venusbooks Verlag.

venusbooks ist ein Verlagslabel der dotbooks GmbH, München

Copyright © der Originalausgabe von »Flammenzungen« 2012 by MIRA Taschenbuch in der Harlequin Enterprises GmbH; Copyright der Neuausgabe 2012 venusbooks Verlag. venusbooks ist ein Verlagslabel der dotbooks GmbH, München.

Copyright © der Originalausgabe von »Jenseits aller Tabus« 2011 by MIRA Taschenbuch in der CORA Verlag GmbH & Co. KG; Copyright der Neuausgabe 2012 venusbooks Verlag. venusbooks ist ein Verlagslabel der dotbooks GmbH, München.

Copyright © der Originalausgabe von »London Lovers – Geheime Verführung« 2020 venusbooks Verlag. venusbooks ist ein Verlagslabel der dotbooks GmbH, München; Redaktion: Michelle Landau

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von Bildern von shutterstock / 4 PM production / Natalia K

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (rb)

ISBN 978-3-96898-239-7

***

Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des venusbooks-Verlags

***

Wenn Ihnen dieses eBook gefallen hat, empfehlen wir Ihnen gerne weitere Bücher aus unserem Programm. Schicken Sie einfach eine eMail mit dem Stichwort »My Dark Lover« an: [email protected] (Wir nutzen Ihre an uns übermittelten Daten nur, um Ihre Anfrage beantworten zu können – danach werden sie ohne Auswertung, Weitergabe an Dritte oder zeitliche Verzögerung gelöscht.)

Besuchen Sie uns im Internet:

www.venusbooks.de

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Sandra Henke

My Dark Lover

Drei Romane in einem eBook

venusbooks

Flammenzungen

Als Amy den geheimnisvollen Lorcan zum ersten Mal sieht, fühlt sie sich unwiderstehlich zu ihm hingezogen. Obwohl sie kaum etwas von ihm weiß, lässt sie sich auf eine heiße Affäre mit ihm ein – und verfällt ihm bald mit Haut und Haar. Amy entdeckt eine Leidenschaft und Sinnlichkeit, die sie nicht für möglich gehalten hätte. Doch dann erfährt sie, dass Lorcan verdächtigt wird, einen Mord begangen zu haben. Ist es wirklich nur ein Zufall, dass sie ihm begegnet ist – oder wird Amy ihre neuerwachte Lust zum Verhängnis?

Prolog

Bei jeder Bewegung rasselten die Ketten, mit denen sie an die Wand gefesselt war. Mit jedem Tag hasste sie dieses Geräusch mehr. Es jagte ihr eine Gänsehaut über den Leib. Sie würde sich nie daran gewöhnen. Nicht an die Stahlmanschetten, die ihre Haut an den Hand- und Fußgelenken abschürften, auch nicht an das ängstliche Warten darauf, dass sich die Tür am Ende der Treppe öffnete und er auftauchte.

Mit jedem Sonnenuntergang, den sie durch das winzige Kellerfenster sah, das zu hoch war, um es zu erreichen, schwand ihre Hoffnung auf Rettung ein kleines Stück mehr. War der Jahrhundertsommer, von dem alle in Louisiana vor ihrer Entführung gesprochen hatten, schon vorbei? Sie konnte nicht sagen, wie viel Zeit sie in diesem Verlies bereits verbracht hatte.

Obwohl sie allein hier unten war, meinte sie das Knarzen seiner Ledersohlen zu hören, wenn er die Treppe herabstieg, sichtbar erregt auf sie zukam und den kreisrunden blutroten Knebel hochwarf und auffing wie einen Ball, den sein Hund apportieren sollte. Sie winselte jedes Mal furchtsam, wenn es Zeit zum Spielen war.

Am Anfang ihrer Tortur hatte sie versucht, ihm sein selbstgefälliges Grinsen aus dem Gesicht zu kratzen, doch das hatte sie bereut. »Es gibt Frauen, die stehen darauf, wenn man ihnen Nadeln unter die Fingernägel sticht«, hatte er gesagt und ihre Hand in einem Schraubstock fixiert. »Du wirst noch lernen, es zu genießen.«

Mit jedem seiner Besuche in diesem dunklen Loch steigerte er ihre Qual. Kaum hatte sie sich einigermaßen an die Peitsche gewöhnt, schlug er sie mit dem Rohrstock. Eine mit Leder überzogene Variante stand schon bereit; sie lehnte an der Wand gegenüber, um ihr Angst einzuflößen, selbst wenn dieses Monster gar nicht da war. Aber dazu brauchte sie kein Mahnmal, denn er verfolgte sie bis in ihre Träume. Der kalte Blick seiner kobaltblauen Augen, der Geschmack seiner Küsse, seines Schwanzes, seines Afters, der Geruch seines Duschgels, seiner Ausdünstungen und seiner Geilheit – das alles ließ er bei ihr zurück, wenn er ging.

Nachts wachte sie schweißgebadet auf. Sie konnte kaum noch etwas essen, sodass er die Stahlmanschetten durch kleinere hatte ersetzen müssen, weil ihre Handgelenke zu dünn geworden waren. Er brachte ihr fettige Speisen und zuckersüßen Nachtisch, manchmal auch Gewichtsaufbaupräparate und Energydrinks für Sportler, die er, so wie er aussah, sicher selbst auch zu sich nahm, aber sie bekam kaum etwas davon runter, denn ihr Lebenswille schwand. Seit einem Monat fielen ihr die blonden Haare büschelweise aus, und ein Backenzahn wackelte.

Trotz ihrer schlechten Verfassung setzte er seine Abrichtung, wie er es nannte, fort. »Ich habe schon viele Sklavinnen trainiert, aber du wirst mein Meisterstück werden. Du wirst die Erste sein, deren Willen ich breche.« Seine Worte hatten sich ebenso bei ihr eingebrannt wie der Leuchtstab in ihre Fußsohle. »Ich kann es kaum erwarten zu beobachten, wie der Wandel sich vollzieht. Wirst du eine leere Hülle sein und nutzlos für mich? Oder mechanisch meinen Anweisungen folgen? Oder wirst du mich anbetteln, dir wehzutun, weil du süchtig nach Schmerz geworden bist? Ich bin ein Forscher und du mein Forschungsobjekt, das verbindet uns auf ewig, Blondie, egal wie das Experiment enden wird.«

Erst wenn ihre Verzweiflung so überwältigend war, dass sie nicht länger jammerte, wütend tobte oder um Gnade bettelte, sondern nur noch heiser wimmerte, fickte er sie. Endlich, denn danach ließ er sie erst mal in Ruhe.

Bis zur nächsten Lektion.

Was sie jedoch wirklich beunruhigte, war nicht etwa ihre aufkeimende Todessehnsucht, sondern die Metallringe, die er am Vortag in die Wand zu ihrer Rechten geschlagen hatte. Pfeifend hatte er Ketten daran befestigt und gemeint: »Dir wird es mit ein bisschen Gesellschaft besser gehen. Eine Freundin wird dich motivieren, deinen Teller leer zu essen.«

Seitdem konnte sie an nichts anderes mehr denken. Er plante, eine weitere Frau zu entführen, um sie in diesem Verlies zu foltern und zu missbrauchen. Vor ihren Augen! Das würde sie nicht ertragen. Allein die Vorstellung ließ sie bittere Galle hochwürgen.

Einmal hatte er einen Ganzkörperspiegel vor sie gestellt und sie gezwungen, ihr Spiegelbild anzuschauen, während er Kanülen in die empfindliche Haut ihrer Brüste stach. Der Anblick ihres gefolterten Busens war entsetzlich gewesen« ebenfalls das Zittern ihres Körpers, seine Blöße und Schutzlosigkeit. Was sie aber weitaus mehr schockiert hatte, war ihr eigenes Gesicht – tränenüberströmt, sabbernd und leidend.

»Nein!«, krächzte sie, da ihre Stimme noch heiser war von den Schreien der letzten Nacht. »Ich kann nicht mehr.«

Mühsam erhob sie sich von dem Betonboden, den er genauso schwarz angestrichen hatte wie die Decke. Wie sie diese erdrückenden Backsteinwände hasste! Sie raubten ihr die Luft zum Atmen.

Sie musste ihre letzten Kraftreserven aufbringen, um auf den Metallring zu steigen, der einen halben Meter über dem Boden angebracht und an dem ihre Fußfessel fixiert war. Dann hielt sie sich an einem Haken weiter oben fest, an den er sie fesselte, wenn er sie ausgestreckt haben wollte.

Ein seltsamer Nebel legte sich über ihre Sinne. Er wirkte beruhigend. Alles wird gut werden, flüsterte eine Stimme in ihrem Kopf, gleich ist die Marter vorbei. Lächelnd formte sie eine Schlaufe aus der Kette, die ihre Hände verband, und zog sie durch den obersten Ring. Ohne zu zögern, stellte sie sich auf die Zehenspitzen und steckte den Kopf hindurch.

Gleich bin ich erlöst, war ihr letzter Gedanke. Dann sprang sie.

Kapitel 1

August dieses Jahres

New Orleans, Obdachlosenasyl

Eigentlich hatte Amy im Hauptflügel des alten Backsteingebäudes, das früher einmal eine Grundschule gewesen war, nichts zu suchen. Die Essensausgabe, ihr Arbeitsbereich, befand sich im ehemaligen Lehrerzimmer gleich neben dem Hinterausgang, der auf den Parkplatz führte. Doch das Geräusch der Dusche zog sie magisch an.

Sie blieb im Korridor stehen, sah sich um und krallte ihre Hände in den Saum ihres weißen Kittels, ihrer Arbeitsuniform. Der Gang führte nach rechts zu den Schlafsälen der Obdachlosen, links ging es zu den Waschräumen. Niemand war zu sehen. Sie hörte nur das Rauschen des Wassers, das eine magnetische Wirkung auf sie ausübte.

Langsam schlich sie näher, darauf bedacht, keinen Mucks von sich zu geben, damit der Mann, der gerade duschte, ja nicht mitbekam, dass sie versuchte, einen Blick auf seinen nackten Körper zu erhaschen. Lorcan, welch ein außergewöhnlicher Name. Welch ein seltsamer Kerl! Vor zwei Wochen war er das erste Mal hier aufgetaucht und hatte sie vom ersten Moment an fasziniert. Seine Frisur war herausgewachsen und erweckte den Anschein, als hätte er sein Gesicht eigenhändig mithilfe eines Messers freigeschnitten. Ein Bart verdeckte seine untere Gesichtshälfte, aber seine Augen wirkten so jung und lebendig, manchmal sogar feurig. Unter diesen zerzausten hellbraunen Haaren musste sich ein schönes Gesicht verbergen, da war sich Amy sicher. Seine kräftigen Arme und der breite Rücken ließen erahnen, dass unter der schmutzigen Kleidung ein paar ansehnliche Muskeln steckten. Den Beweis dafür würde sie gleich bekommen.

Ihr Herz pochte immer aufgeregter. Leise ging sie vorwärts. Schritt für Schritt kam sie näher. Das Plätschern klang immer lauter.

Plötzlich hörte es auf. Im nächsten Moment stand auch schon Lorcan vor ihr. Nackt. Und alles, was sie denken konnte, war: Sein Hintern ist ja genauso braun gebrannt wie seine Unterarme. Wie war das möglich?

Er versuchte erst gar nicht, seinen Schritt mit der Hand zu bedecken. Lässig verschränkte er die Arme, als wäre es völlig normal, entkleidet vor einer Fremden zu stehen. »Ich habe vergessen, mir ein Badetuch aus der Kleiderkammer zu holen.«

Amy befahl ihren Füßen, sie aus dieser peinlichen Situation zu retten, doch sie gehorchten ihr nicht. Verlegen wollte sie sich wegdrehen, schließlich war es unhöflich, so zu starren, doch sie konnte nicht anders, als seinen durchtrainierten Körper ausgiebig zu betrachten. Während sie seinen Schaft musterte, zuckte dieser. Amy schnappte nach Luft. Die unerwartete Reaktion riss sie aus ihrer Lähmung. »Einen Moment, ich hole dir eins.«

Abrupt wandte sie sich ab, hastete den Korridor zurück und lief in den Raum, in dem sie Hosen, Oberteile, Schuhe und Hygieneartikel, allesamt Spenden von Privatpersonen oder Firmen aus New Orleans, an Bedürftige ausgaben. Sie griff ein Frotteetuch aus einem der Regale, drehte sich um und wollte zu ihm zurückgehen. Doch da stand Lorcan schon direkt hinter ihr.

Stumm nahm er es ihr ab. Während er sich abtrocknete, schaute er Amy provozierend an. Fasziniert stellte sie fest, dass seine Brustmuskulatur bei jeder Bewegung hüpfte. Er stellte einen Fuß auf einen Hocker, wodurch die Sehnen an seinen Beinen hervortraten, und wischte durch seinen Schritt. Sollte sie ihn fragen, ob sie sein Glied hochhalten sollte, damit er seine Hoden trocken tupfen konnte? Bevor sie den Mut fand, bemerkte sie, dass ihre Hilfe nicht mehr notwendig war, denn sein Penis streckte sich ihr bereits stramm entgegen.

Nachdem Lorcan fertig war, schlang er das Badetuch um Amys Taille und zog sie zu sich heran. In seiner unmittelbaren Nähe wagte sie kaum zu atmen. Wasser tropfte von seiner Löwenmähne auf ihr Dekolleté, rann unter ihren Kittel und kitzelte ihren Busen. Sekundenlang verharrten sie regungslos.

Als Lorcan sie küsste, wehrte sie sich nicht. Sein Bart war so feucht wie seine Zunge, die sich sanft zwischen ihre Lippen schob. Er duftete nach Seife und köstlich nach Mann. Sein Kuss begann zärtlich, wurde aber bald leidenschaftlicher, bis sie sich stürmisch leckten und endlich ihrer Sehnsucht nachgaben. So oft hatte Amy ihn verstohlen angeschaut, so oft hatte er im Speisesaal gegessen und dabei seinen Blick nicht von ihr abwenden können, während sie hinter der Theke das Essen ausgab. Nun war der Damm zwischen ihnen gebrochen, und sie schlangen die Arme umeinander, öffneten ihre Münder, so weit sie konnten, und ließen ihre Zungen einen wilden Tanz vollführen, den niemand sah.

Nach einer Weile ließ er das Frotteetuch einfach fallen. Er hob Amy hoch, trug sie zur Waschmaschine, in der die gesammelte Kleidung vor der Ausgabe an mittellose Menschen gewaschen wurde, und setzte sie darauf Ihre Fingerspitzen prickelten, als sie die Hände über seinen Bauch gleiten ließ, der wundervoll hart und glatt war, so wie es ihr gefiel. Sie streichelte über seine Bizepsmuskeln und spürte ein Pochen in ihrer Mitte. Lorcan war so attraktiv, so verschlossen und geheimnisvoll. Das machte sie unglaublich an!

Er spreizte ihr die Beine. Aufreizend langsam schob er den Saum ihres Baumwollkleids bis zu ihren Hüften hinauf Dann legte er seine Hände rechts und links an ihren Slip und blinzelte. Amy verstand. Sie hob den Po an, damit er ihr das Höschen ausziehen konnte, worauf ihre Spalte zu pulsieren begann. Ihm ihren entblößten Schoß zu präsentieren erregte sie. Aufgrund ihrer Vollrasur blieben ihm ihre geschwollenen Schamlippen und die Feuchtigkeit an ihrer Öffnung bestimmt nicht verborgen.

Ihr Brustkorb wogte auf und ab, als Lorcan sich zwischen ihre Schenkel kniete. Sein Atem strich über ihre Scham. Auf ihren Oberschenkeln zeigte sich eine wohlige Gänsehaut. Zärtlich küsste er die Innenseiten, streifte mit dem Mund ihren Venushügel und hinterließ mit seiner Zunge eine heiße Spur auf beiden äußeren Schamlippen. Amy legte den Kopf in den Nacken und stützte sich hinter ihrem Rücken auf der Waschmaschine ab, während Lorcan ausgiebig ihre Möse leckte. Seufzend gab sie sich ihm hin. Als er zusätzlich mit zwei Fingern in sie eindrang, stöhnte sie laut auf Sie spannte den Hintern an, ihre Zehen bewegten sich unablässig, und sie rang nach Luft.

Viel zu früh erhob er sich. Doch sie kam nicht einmal dazu, ihre Enttäuschung kundzutun, denn er zog ihren Po mit einem Ruck bis zur Kante vor. Sogleich stieß er kraftvoll in sie hinein. Es überwältigte sie, von ihm ausgefüllt zu werden. Sein Phallus strahlte eine Hitze aus, die ihren Unterleib entflammte. Sie hielt sich an seinen imposanten Oberarmen fest, während er begann, sich in ihr zu bewegen. Seine Lenden schaukelten vor und zurück. Jeder Stoß brachte sie dem Wahnsinn näher. Sie biss in seine Schulter, saugte sich erregt an seiner Haut fest, denn sie spürte, wie ihre Mitte kontrahierte und ...

»Amy, hallo? Erde an Ms LaBauve.« Sachte wurde sie von ihrer Kollegin Wanda geknufft.

Amy schreckte aus ihrem Tagtraum auf und errötete, denn einer der Gäste, wie die Obdachlosen genannt wurden, stand mit seinem Teller vor ihr und wartete darauf, dass sie ihm Kartoffelbrei auffüllte.

Kapitel 2

Nervös lockerte Amy mit den Fingern ihren weizenblonden schulterlangen Schopf. Erst gestern hatte sie sich Stufen schneiden lassen. Schon heute bereute sie es, denn ihre Haare schienen am Kopf zu kleben. Null Volumen. Mit der neuen Frisur hatte sie genau das Gegenteil von dem erreicht, was sie beabsichtigt hatte. Wie Wanda diese Spaghettihaare als kess bezeichnen konnte, blieb ihr ein Rätsel. Eigentlich sollte sie sich in diesem Obdachlosenasyl mit angegliederter Suppenküche keine Gedanken über ihr Aussehen machen. Aber seit Lorcan hierherkam, trug sie sogar während ihrer gemeinnützigen Arbeit Lippenstift, wenn auch in einem dezenten Pfirsichton.

Wanda neigte sich zu ihr und feixte leise: »Du starrst ihn schon wieder an.«

»Wen?«, fragte Amy mit unschuldiger Miene.

Ihre Freundin zwinkerte. »Lorcan natürlich.«

Da er in diesem Moment von seinem Platz am hintersten Esstisch aufschaute, und zwar geradewegs zu ihr, senkte sie verlegen den Blick. »Unsinn! Ich war nur in Gedanken.«

»Er zählt noch nicht zu den hoffnungslosen Fällen«, ließ Wanda beiläufig fallen und wischte mit einem Lappen die Soßenspritzer zwischen den Warmhalteplatten weg. »Sein Atem stinkt noch nicht, und seine Pupillen sind klar.«

Wie lange würde er es schaffen, sich gegen die Versuchung zu wehren, die Einsamkeit und Hoffnungslosigkeit zu ertränken oder wegzukoksen? Amy bediente den nächsten Gast und vermied es tunlichst, Lorcan noch mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Er sollte nicht merken, dass sie ihn attraktiv fand. Wie immer saß er abseits von den anderen. Schweigend aß er und verstrickte sich weder in Gespräche, noch geriet er in Kämpfe. Er nutzte regelmäßig das Angebot, in der Gemeindeeinrichtung zu duschen und seine Kleidung zu waschen, aber er blieb niemals über Nacht. Viele der Clochards schliefen auf der Straße, weil die Nächte im Sommer angenehm warm blieben und sie es nicht mehr gewohnt waren, sich in geschlossenen Räumen aufzuhalten. Wo mochte er sich hinlegen? Auf eine Parkbank, in einen Hauseingang oder in eine U-Bahn-Station? Bei der Vorstellung krampfte sich ihr Magen zusammen.

»Ich würde mich trotzdem von ihm fernhalten.« Wanda musterte ihn kritisch. »Niemand sitzt unschuldig im Kittchen, egal wie sehr er das beteuert.«

Ohne eine Antwort abzuwarten, ging sie in die Küche. Just in diesem Moment erhob sich Lorcan und kam auf Amy zu. Stumm hielt er ihr seinen Teller hin. Seine Fingernägel waren kurz geschnitten und sauber. Auch das bewies ihr, dass er kein gewöhnlicher Stromer war. Noch hatte er sich nicht aufgegeben. Aber mit jedem Tag auf der Straße schwand seine Chance darauf, wieder in ein normales Leben zurückzufinden. Er brauchte dringend Hilfe, lehnte es aber ab, mit dem Sozialarbeiter der Wohnungslosenhilfe zu sprechen.

»Du weißt doch, dass es keinen Nachschlag gibt, damit Nachzügler nicht leer ausgehen.« Wanda hatte ihr geraten, streng mit den Stadtstreichern zu sprechen, um sich von Anfang an Respekt zu verschaffen, aber bei Lorcan gelang ihr das nicht. »Erst wenn die offizielle Öffnungszeit vorbei ist, verteilen wir den Rest an alle.«

»Bitte«, sagte er sanft, und in Amys Ohren klang das so verführerisch, als würde er mit ihr flirten. Tat er das nicht sogar, wenn auch nicht mit Worten? Das Timbre seiner Stimme ging ihr durch und durch. Diese hellblauen Augen, aus denen er sie neugierig musterte, erinnerten sie an die Eisblumen auf den Fenstern ihrer Tante Bridget, die sie vor zwei Jahren im Dezember in Minnesota besucht hatte. Glücklicherweise fiel die Temperatur in Louisiana selbst im Winter selten unter zehn Grad plus. Eigentlich hätte Lorcans stechender Blick sie beunruhigen müssen, aber eben weil es in New Orleans keinen Frost gab, übte seine Augenfarbe eine besondere Faszination auf sie aus.

Sie biss sich auf die Unterlippe und schaute über ihre Schulter in die Küche, aber weder Wanda noch Finley, der Koch, waren zu sehen. Auch Seth, der Security Guard, der die Nachtschicht im Asyl hatte, zeigte sich nicht. Schnell füllte sie Lorcans Teller ein zweites Mal.

Sein warmes Lächeln ließ ihren Puls hochschnellen. Mochte er auch durch seine Introvertiertheit und seinen Körperbau gefährlich wirken, so flößte er ihr eine Furcht ein, die sie unpassenderweise erregte. An diesem Tag trug er ein beige-blau kariertes Hemd, dessen Ärmel er herausgerissen hatte, sodass seine gebräunten Oberarme zu sehen waren. Die obersten Knöpfe standen auf, seine Brust war trainiert und haarlos. Trotz seiner Muskeln machte er einen geschmeidigen Eindruck.

Schließlich nickte er ihr zum Dank zu, sah sie noch einige Sekunden lang an, als könnte oder wollte er sich nicht von ihr losreißen, und kehrte leichtfüßig zu seinem Platz zurück.

Innerlich erschrak Amy, als Wanda plötzlich mit einem Radio neben ihr stand. Sie hatte ihre Kollegin nicht kommen hören, ließ sich aber nichts anmerken. Der Moderator ratterte die Wettervorhersage so schnell herunter wie ein Maschinengewehr.

»Alle reden ständig von einem Jahrhundertsommer.« Seufzend stellte Wanda das Empfangsgerät in die Durchreiche zur Küche, sodass beide Räume beschallt wurden.

Amy zuckte die Achseln. »Der wurde für letztes Jahr auch schon angekündigt.«

»Bisher sind es nur sechsunddreißig Grad Celsius, auch nicht mehr als sonst Anfang August«, pflichtete Wanda ihr bei.

»Mir reicht das.« Um nicht ständig an Lorcan denken zu müssen, drehte sie ihm den Rücken zu, doch es half nicht.

»Aber bei über vierzig Grad spinnt die Klimaanlage in der Uni.« Wandas Mundwinkel zuckten. »Vielleicht fällt der Unterricht dann aus.«

»Studentin müsste man sein.« Amy seufzte. Sie waren beide 26 Jahre alt, und Wanda studierte an der Loyola Universität Gesellschafts- und Sozialwissenschaften, während Amy bereits seit drei Jahren in der Verwaltung von Waggaman, einem Vorort von New Orleans, arbeitete – und dort war »Hitzefrei« ein Fremdwort. Eigentlich mochte sie ihre Heimatstadt. Manchmal jedoch befürchtete sie, dort zu versauern, daher hatte sie sich letzten Dezember auf etwas eingelassen, das sie fast den Job gekostet hatte.

Ein Mann mit fettigen langen Haaren, die er lose mit einem Schnürsenkel zusammengebunden hatte, stellte sich vor die Theke. »Ich will auch noch was!«

»Das geht nicht, tut mir leid.« Prüfend sah sie auf die Uhr, die über dem Durchgang zu den Schlafsälen hing. »Frag bitte in zwanzig Minuten nach, ob noch Essen übrig ist.«

»Ich will aber jetzt was essen.« Er knallte seinen Teller auf den Tresen. »Hab Hunger, verdammte Scheiße.«

Amys Anspannung wuchs. Nach acht Monaten Dienst erkannte sie einen Krawallmacher sofort. Jetzt war es wichtig, ruhig zu bleiben und sich nicht provozieren zu lassen. »Hier drinnen wird nicht geflucht. Du bist doch nicht das erste Mal zu Besuch und kennst die Regeln.«

»Besuch? Gäste? Diese Bezeichnungen sind doch für’n Arsch.« Mit dem Ärmel des zerschlissenen Pullovers, den er trotz der Hitze an diesem Abend trug, wischte er sich den Sabber vom Mund. »Hast wohl was gegen Indianer, was?«

»Nur gegen Betrunkene«, sagte Amy bestimmt und straffte die Schultern, dabei hätte sie sich am liebsten in den Schutz der Küche zurückgezogen. »Setz dich wieder hin oder geh. Eigentlich hätten wir dich mit der Fahne gar nicht reinlassen dürfen.« Sie war wie immer zu gutmütig gewesen. Das rächte sich nun.

Streitsüchtig hob er seinen Teller an und ließ ihn auf die Theke fallen, sodass es schepperte und er die Aufmerksamkeit aller im Saal auf sich zog. »Gib mir was zu fressen, Blondie!«

Wanda wedelte furchtlos mit dem Putzlappen herum, dabei überragte der aggressive Kerl sie um zwei Köpfe. »Hast du was an den Ohren? Du musst warten, wie alle anderen auch.«

»Und warum hat der Weiße da drüben was bekommen?« Ungeniert kratzte er sich im Schritt und roch an seinen Fingern, bevor er auf Lorcan zeigte. Cholerisch schrie er: »Ich verklage euch wegen Diskriminierung!«

Finleys Gesicht erschien in der Durchreiche. Als er den stämmigen Querulanten erblickte, weiteten sich seine Augen, und er, selbst dürr wie ein Zahnstocher, verkroch sich wieder in der Küche.

»Ich hole Seth. Dauert nur eine halbe Minute«, sagte Wanda zu Amy und schrie dann in die Küche: »Komm gefälligst her und steh deinen Mann, Finn!«

Sie rannte aus dem Speiseraum und ließ Amy mit dem Randalierer allein, doch der Koch blieb verschwunden.

Besten Dank auch, dachte Amy. Beruhigend sprach sie auf den Indianer ein: »Bitte nimm wieder Platz. Du weißt, dass mit dem Wachmann nicht zu spaßen ist. Inzwischen sind es nur noch fünfzehn Minuten bis zum Ende der Öffnungszeit.«

»Haste was mit dem Knastbruder laufen, oder warum gibste dem was und mir nicht?« Kraftvoll knallte er seine Hände auf die Theke und neigte sich so weit vor, dass sie seinen Alkoholatem roch.

Amy trat instinktiv einen Schritt zurück und stieß gegen die Wand.

Triumphierend grinste er. Er richtete sich wieder auf, nahm den Kochlöffel aus dem Püree und wollte gerade aus dem Topf essen, als plötzlich sein Arm nach hinten gebogen wurde. Vor Schmerz verzerrte er das Gesicht. Dann brüllte er wütend, denn Lorcan legte von hinten den Arm um seinen Hals und hielt ihn in Schach. Der Löffel fiel zu Boden, der Brei spritzte in alle Richtungen. Einige Obdachlose applaudierten verhalten.

Entsetzt über die Gewalt schlug Amy die Hand vor den Mund. Aber in ihrem Inneren strahlte sie, weil Lorcan sie verteidigte.

»Hast du nicht gehört, was die Lady gesagt hat?« Ohne auf eine Antwort zu warten, bugsierte er den Störenfried zur Tür. »Sie hat dich mehrfach höflich gebeten. Du hättest auf sie hören sollen. Jetzt hab ich dich am Arsch. Und wehe, du kommst zurück! Solltest du doch so lebensmüde sein, wirst du beim zweiten Mal auf allen vieren hier rauskriechen, das verspreche ich dir.«

Das waren mehr Worte, als er in den ganzen zwei Wochen, in denen er jeden Abend zum Essen, Duschen und Wäschewaschen kam, gesprochen hatte. Er stieß den zeternden Mann durch den Vorderausgang auf den Vorplatz der ehemaligen Schule und gab ihn frei.

Zornig fuhr der Störenfried herum, die Faust erhoben. Doch Lorcan war schneller und boxte ihm in den Magen. Der Raufbold klappte stöhnend zusammen. Er schwankte, hielt sich aber auf den Beinen. Lorcan trat ihm gegen die Schulter, sodass der bullige Indianer rückwärts taumelte und im Freien verschwand.

Felsenfest rechnete Amy damit, dass er wieder in dem diffusen Blaulicht der UV-Lampe, die über dem Eingang hing, um Moskitos zu rösten, auftauchen würde, doch er schien sich geschlagen zu geben.

Als Lorcan in das Gebäude zurückkam, schnaubte ein Mann, der in Amys Augen älter aussah als dieses Bauwerk: »Der Shoshone war ja auch besoffen. Keine Kunst, den rauszuwerfen.«

»Warum hast du dich dann nich’ um ihn gekümmert, wenn es ’n Kinderspiel war?«, fragte sein Sitznachbar, der trotz der Hitze eine Wollmütze trug, und klatschte Beifall. »Und woher willste wissen, dass das ’n Shoshone war?«

»Für mich sind das alles Shoshonen.« Der Alte zog die Nase hoch, griff seine Schachtel Zigaretten und verließ das Haus durch den Hinterausgang, der auf den ehemaligen Schulhof hinausführte und heute als Parkplatz diente.

Amy ging auf Lorcan zu. Ihr Herz pochte jedes Mal aufgeregt, wenn sie sich ihm näherte. Das gefiel ihr gar nicht, denn es machte sie unsicher. Schließlich war sie doch keine sechzehn mehr. Außerdem wusste sie rein gar nichts von ihm, außer dass er auf der Straße lebte und im Gefängnis gesessen hatte. Mochte er sie auch soeben beschützt haben, so bewies das keineswegs, dass er harmlos war. Er hätte wegen Vergewaltigung oder gar Mordes verurteilt worden sein können. Möglicherweise auch nur wegen Steuerhinterziehung.

Was auch immer er verbrochen hatte, er war nicht der richtige Umgang für eine junge Frau aus einer Kleinstadt wie Waggaman.

Aber hatte nicht jeder Mensch eine zweite Chance verdient?

»Danke, das war sehr mutig.« Sie konnte ihm kaum in seine wunderschönen Augen blicken, so nervös machte er sie.

Milde lächelte er. »Oder lebensmüde.«

Am liebsten hätte sie ihm die Haare aus dem Gesicht gestrichen, um es genauer betrachten zu können. »Nein, nein, wirklich nicht.«

»Ich habe dich erschreckt, das habe ich dir angesehen.« Er gab einen missbilligenden Laut von sich. »Es tut mir leid.«

»Der Indianer hat mir einen viel größeren Schrecken eingejagt«, beeilte sie sich zu antworten, aber er hatte recht.

Bisher hatte er sich immer zurückgehalten, er sprach stets leise und wenig und stellte seinen Teller und seinen Trinkbecher fast lautlos in die Spülwanne, nachdem er abseits der anderen gegessen hatte. Dass er den aufmüpfigen Obdachlosen so grob angepackt hatte, offenbarte ihr eine neue Seite an ihm, eine, von der sie gehofft hatte, dass er sie gar nicht besaß.

Sein muskulöser Körper, den sie bisher als anziehend empfunden hatte, strahlte mit einem Mal Brutalität aus. Von einer Sekunde auf die andere war er gewalttätig geworden. Er konnte ihr gefährlich werden, in mehr als einer Beziehung. Trotzdem kribbelte es in ihrem Magen.

Sein Blick streichelte ihren Körper und sie wünschte sich, nicht diesen hässlichen Kittel zu tragen, der an ihr hing wie ein Sack. Sie strich darüber, als würden ein paar Falten weniger einen Unterschied machen. »Du bist der Einzige, der mir geholfen hat.«

»Ja.« Dieses kurze, einfache Wort hörte sich für Amy so sinnlich an, als hätte er ein erotisches Gedicht mit zwanzig Versen vorgetragen.

Er trat dicht an sie heran. Würde er sie berühren? Würde er einen Kuss aus Dankbarkeit einfordern? Sie wünschte es sich so sehr. Gleichzeitig wusste sie, dass sie dieses Verhalten nicht durchgehen lassen durfte, nicht vor den anderen Gästen des Asyls, die sie wie gebannt anstarrten.

Plötzlich stürmte Seth, gefolgt von Wanda, in den Speisesaal. »Weg von ihr!«, brüllte er Lorcan an, der beschwichtigend seine Hände hob, aber keinen Zentimeter von Amy zurückwich. »Fass sie an, Penner, und du wirst es bereuen.«

»Ist ja schon gut.« Lorcan machte einen einzigen Schritt rückwärts, aber das betrachtete Seth wohl eher als Provokation, denn er stapfte auf ihn zu.

Mit vor Zorn gerötetem Gesicht baute sich Seth mit seinen fast zwei Metern vor ihm auf. »Jetzt pass gut auf, Knacki!«

»Exknacki«, korrigierte Lorcan ihn gelassen, aber Amy bemerkte, wie sich seine Armmuskulatur anspannte.

»Mein Wort ist hier Gesetz.« Der Wachmann neigte sich über ihn wie eine Krähe, die ihm mit dem Schnabel in die Nase hacken wollte. »Ich bin der Sheriff dieses Hauses.«

Lorcans Miene wurde hart. »Wenn du meinst.«

Grob packte Seth ihn am Hals. Ob er ihn schlagen oder nur hinauswerfen wollte, wusste Amy nicht zu deuten. Ihre Sorge, dass es zu einer Prügelei oder Schlimmerem kommen würde, wuchs, als Lorcan die Hände an Seths Gürtel legte. Ganz so als wüsste er, dass der Sicherheitsmann heimlich ein Skelettmesser in seiner Hosentasche trug. Waffen waren auch für die Securitys verboten.

»Er hat mir geholfen«, verteidigte Amy ihn. »Nicht er ist das Problem, sondern er ist derjenige, der das Problem beseitigt hat.«

Wanda musterte die Anwesenden und stellte fest: »Der Indianer ist weg.«

»Hurra, er ist ein verdammter Held«, schrie der Mützenträger, der sich zuvor mit dem Alten gestritten hatte, und trommelte mit seinem Löffel auf den Tisch.

»Ein Dreck ist er. Abschaum«, knurrte Seth und wandte sich an den Mann. »Hör mit dem Krach auf, oder ich stopfe dir den Löffel ins Maul.«

Im nächsten Moment war es still im Saal, niemand wagte sich zu rühren.

Lorcans Hand glitt tiefer. Bevor sie in die Tasche des Nachtwächters eintauchen konnte, beeilte sich Amy zu sagen: »Nicht.«

Er sah sie mit einem Blick an, der ihr das Blut in den Adern gefrieren ließ, aber sie wusste, dass seine Wut nicht ihr galt. Flehend schüttelte sie den Kopf und formte mit dem Mund ein lautloses: »Bitte.« Er durfte nicht ausrasten. Seth würde ihn mit Genugtuung zusammenschlagen und ihm Hausverbot erteilen, was bedeutete, dass Amy ihn nie wiedersehen würde.

Lorcan wandte sich wieder seinem Kontrahenten zu, der grinsend darauf zu warten schien, dass Lorcan die Prügelei begann. Stattdessen ließ dieser ihn los und ging zu seinem Rucksack, der unter dem Stuhl lag, auf dem er gegessen hatte, bevor das Chaos ausgebrochen war. Der tarnfarbene Stoff war fleckig, die aufgenähten Buchstaben R.E.B.E.L.L. waren ausgefranst.

Gras klebte auf dem Rückenteil seines Hemdes. Amy fragte sich, ob er tagsüber auf der Grünfläche eines der zahlreichen Parks im Schatten eines Baumes gedöst hatte. Nachts war es für Obdachlose in einer Großstadt wie New Orleans nicht ungefährlich, sodass viele erst wagten, sich schlafen zu legen, wenn bereits die Sonne aufging. Mitleid regte sich in ihr. Selbst ein harter Kerl wie Lorcan war nicht unverletzlich.

Er schaute zu Boden, als würde er einer dort aufgemalten Linie, die in das Hauptgebäude führte, folgen. »Ich gehe duschen«, murmelte er. Im nächsten Moment verschluckte ihn der Korridor.

»Feigling«, rief Seth ihm hinterher und strahlte wie der Sieger eines Kampfes, den es nie gegeben hatte.

Wanda, die hinter ihm stand, verdrehte die Augen und rief in die Runde: »Wer von den Herren und Damen möchte einen Nachschlag?«, worauf eilig die Stühle zurückgeschoben wurden.

Amy seufzte innerlich. Was für eine beschissene Schicht! Dies war ganz sicher nicht der richtige Abend, um heimlich einen Blick auf den nackten Lorcan in der Dusche zu werfen, wie sie es in ihrem Tagtraum getan hatte.

Glücklicherweise verlief der Rest ihrer Abendschicht ruhig, doch Lorcan traf sie nicht wieder. Wanda verließ mit Finley vor ihr die Essensausgabe, da die beiden den letzten Bus zum French Quarter noch erreichen wollten. In einem der Jazzklubs auf der Bourbon Street trat wohl eine bekannte Band auf, aber Amy hatte den Namen der Gruppe noch nie gehört. In ihren Ohren klang diese Musikrichtung ohnehin wie Katzengejammer, weshalb sie die Einladung, die Kollegen zu begleiten, abgelehnt hatte.

Sie verriegelte die Hintertür der ehemaligen Grundschule. Zuerst vernahm sie nur das Klacken ihrer Schuhe auf dem Asphalt des alten Pausenhofs. Doch je näher sie ihrem Wagen kam, desto mehr mischte sich das Grollen eines Mannes darunter. Dann hörte sie ein Geräusch, als würde jemand in einen Sandsack boxen, gleich darauf folgte ein unterdrückter Schmerzensschrei.

Amys Schritte verlangsamten sich. Ängstlich schaute sie über ihre Schulter zum Gebäude zurück. Sollte sie Seth suchen? Als sie ihm hatte Bescheid geben wollen, dass sie Feierabend machte, wie es den Vorschriften entsprach, war er nicht auf seinem Platz gewesen.

Alles in ihr rebellierte dagegen. Sie konnte ihn einfach nicht leiden. Er war ihr suspekter als jeder Stadtstreicher. Nie konnte man seine Reaktion einschätzen. Mochte seine Statur bei seinem Job auch hilfreich sein, in Amys Augen hätte er niemals eingestellt werden dürfen, da ihm jegliche Sozialkompetenz fehlte.

Sie entschied, so schnell wie möglich zu ihrem Auto zu gehen. Aber da ihre Sohlen bei jedem Schritt ein Klack! von sich gaben, war sie gezwungen, auf den Schuhspitzen zu schleichen, um keine Aufmerksamkeit zu erregen, und kam langsamer voran, als ihr lieb war.

Was mochte in dem Gebüsch, das den Parkplatz umgab, vor sich gehen?

Sie hatte ihren Wagen fast erreicht, als jemand hinter den Sträuchern zornig aufbrüllte, direkt neben ihr. Abrupt beschleunigte sich ihr Puls, doch statt loszurennen, blieb sie wie angewurzelt stehen.

Plötzlich taumelte ein Mann vor ihr aus den Büschen. Er fiel auf den Asphalt, hielt sich den Bauch und stöhnte gequält. Seine rechte Gesichtshälfte war geschwollen, seine Augenbraue aufgeplatzt. Blut rann seine Wange hinab und sickerte in seinen hellbraunen Bart.

Entsetzt riss Amy ihre Augen auf. »Lorcan!«

Kapitel 3

Hatte Seth ihn so zugerichtet? Lorcans Gegner stapfte in der Dunkelheit heran. Er trat hart auf, was Amy zeigte, wie wütend er war, aber auch, dass er ein großer, schwerer Mann sein musste. Wie der Security Guard. Das würde Konsequenzen haben, schwor sich Amy.

Sie wollte gerade auf Lorcan zugehen, um ihm aufzuhelfen, als der Indianer, der ihn gegen Ende der Essensausgabe angegriffen hatte, aus dem Dickicht trat. Als er sie bemerkte, ging sie rückwärts, doch er scherte sich nicht um sie, sondern packte Lorcan am Hemdkragen und riss ihn brutal auf die Füße.

Warum wehrte sich Lorcan denn nicht? War er schon derart angeschlagen? Es hatte keinen Sinn, um Hilfe zu schreien, sagte sich Amy, weil die Chance, dass jemand sie auf dem Schulhof hörte, verschwindend gering war.

Einen Moment lang dachte sie daran, Seth zu holen. Aber sie befürchtete, dass der nur grinsend zuschauen würde, wie Lorcan fertiggemacht wurde. Sie traute ihm zu, dass er sagte: »Helfen? Klar doch! Aber nicht ihm, sondern dir, wenn du den Penner nachher vom Boden kratzt.«

Der Indianer stieß Lorcan gegen die Schultern, sodass er mit dem Rücken gegen Amys Wagen taumelte, und boxte ihn in den Magen. Lorcan klappte zusammen, hielt sich jedoch auf den Füßen. Während der Indianer seinen Oberkörper an den Haaren wieder nach oben zog, holte er einen Gegenstand aus seiner Gesäßtasche.

Als Amy erkannte, was er mit einer gekonnten Handbewegung aufklappte, schrie sie auf. »Nein!« Der Schein der Laterne, unter der sie geparkt hatte, spiegelte sich in der Messerklinge wider.

Amy krallte die Finger in ihre Handtasche und spürte die Waffe, die sie immer zu ihrer Verteidigung bei sich trug. Als sie das Haus ihrer Großmutter erbte, hatte sie die Jagdwaffen ihres Großvaters in einem Karton entdeckt, der auf dem Kleiderschrank stand und mit Blümchenfolie beklebt war. Die Flinte und das Messer lagen immer noch in der Schachtel, obwohl Amy nun schon zwei Jahre lang in dem Haus wohnte. Seitdem ihr Cousin Skyler Castille ihr Patronen besorgt hatte, war der alte Revolver allerdings ihr treuer heimlicher Begleiter. Skyler besaß zwar ebenso wenig einen Waffenschein wie sie, dafür jedoch die richtigen Kontakte.

Der Indianer ritzte Lorcans Oberarme auf und lachte dröhnend. Ein dünnes Blutrinnsal lief Lorcan über den Bizeps. Er keuchte und wehrte sich kraftlos gegen den Hünen.

Er ist am Ende, erkannte Amy. Gleich würde sein Angreifer ihm die Klinge in den Bauch rammen. Einmal, zweimal, dreimal – so lange, bis sein Opfer sich nicht mehr rührte. Das durfte sie nicht zulassen!

Vor Aufregung zitterte sie am ganzen Körper. Ihre Hand glitt in ihre Kunstledertasche und umschloss den Perlmuttgriff des Colts.

Ohne noch länger zu zögern, riss sie die Waffe heraus, richtete sie auf den Indianer und rief: »Hau ab, und zwar sofort!« Ihre Stimme zitterte, aber das änderte nichts daran, dass sie am längeren Hebel saß.

Demonstrativ spannte sie den Hahn und dankte Skyler stumm dafür, mit ihr auf seinem Grundstück am Lake Pontchartrain Schießübungen gemacht zu haben.

Ganz langsam wandte sich der Indianer zu ihr um. An seiner Miene konnte sie nicht ablesen, was in ihm vorging. Würde er sie attackieren? Wäre sie in der Lage, auf einen Menschen zu schießen? Würde sie es schaffen, nur seinen Oberschenkel zu treffen? Als besonders treffsicher hatte sie sich bei den Übungen nicht herausgestellt, aber der Mann stand keine zehn Schritte von ihr entfernt.

Ihr Herz drohte ihren Brustkorb zu sprengen, so stark – beinahe schmerzhaft – pochte es.

Der Indianer klappte sein Messer zusammen und steckte es weg. Er warf Lorcan einen Blick zu. Ein Lächeln huschte über sein Gesicht, aber es wirkte keineswegs feindselig, sondern eher so, als würde er ihm dazu gratulieren, eine Frau wie Amy so sehr beeindruckt zu haben, dass sie ihn verteidigte. Wahrscheinlich deutete sie seinen Blick falsch und er verspottete Lorcan lediglich. Schneller als sie es bei seiner Statur für möglich gehalten hatte, rannte er über den Schulhof und verschwand durch das Tor auf die Straße.

Rasch ließ sie den Revolver in ihrer Handtasche verschwinden und schaute verstohlen zum Gebäude zurück. Hoffentlich hatten Seth und die Obdachlosen, die die Nacht im Asyl verbrachten, nicht gesehen, dass sie illegal eine Handfeuerwaffe bei sich trug. Dann würde sie erneut vor Richter Alternate stehen, und diesmal würde er garantiert kein mildes Urteil fällen.

Erschöpft glitt Lorcan zu Boden. Er seufzte, wischte sich übers Gesicht und schaute Amy müde an. Sie lief zu ihm und hockte sich vor ihn hin. Bestürzt betrachtete sie den Schnitt an seinem Arm.

»Das ist nur ein Kratzer«, sagte er.

Tatsächlich verzog er keine Miene, als Amy ein Papiertaschentuch aus ihrer Handtasche holte und behutsam das Blut abtupfte. Notdürftig trocknete sie seine aufgeplatzte Augenbraue. Vor Mitleid zog sich ihr Magen zusammen. Lorcan sah wirklich mitgenommen und erschöpft aus.

»Komm, ich helfe dir auf.« Sie legte seinen Arm auf ihre Schulter und kam ihm so nah wie nie zuvor. Dort, wo er sie berührte, prickelte es köstlich, und ihr fiel das Atmen schwerer. Amy schob ihre Kurzatmigkeit auf die Sommernacht, die immer noch heiß und schwül war, doch es gelang ihr nicht, sich selbst zu belügen. Meistens trennte sie der Tisch, auf dem sich die Speisen für die Bedürftigen befanden, voneinander, nun war es nur der Stoff ihrer Kleidung. Mehr nicht.

Unter Ächzen und Stöhnen stand Lorcan auf. Er hielt sich den Bauch und krümmte sich.

»Ich werde dich ins Krankenhaus bringen«, schlug sie vor und kramte in ihrer Tasche nach dem Autoschlüssel.

Doch er schüttelte seinen Kopf.

»Du könntest gebrochene Rippen haben.«

»Danke, aber es geht schon. Ich werde meine Sachen holen und verschwinden.« Er machte einen Schritt auf die Sträucher zu, blieb jedoch sofort wieder stehen. Sein Gesicht verzerrte sich vor Schmerz. Er stützte sich auf seinen Oberschenkeln ab.

»Keine Widerrede!«, sagte sie und hielt ihn am Arm fest, doch sie zog die Hand wieder zurück, als sie spürte, wie wundervoll sich seine weiche Haut über den harten Muskeln anfühlte. »Du musst dringend von einem Arzt untersucht werden.«

Mühsam richtete er seinen Oberkörper auf. »Und wie soll ich ihn bezahlen? Immer weniger Kliniken bieten kostenlose medizinische Hilfe an. Das ganze beschissene Sozialsystem geht den Bach runter.«

»Die Notaufnahme wird dich schon nicht wegschicken. Sie müssen dich behandeln.«

» ,Wegen eines Kratzers und einer Platzwunde?’, werden sie sagen und mich wegschicken. Du hast keine Ahnung,wie es ist, ganz unten zu sein, weißt du?«

Ihr schlechtes Gewissen meldete sich. »Nein, das habe ich tatsächlich nicht, aber ich werde mich nicht entschuldigen, nur weil ich behütet aufgewachsen bin.«

»Das bin ich auch, doch meistens geht der Absturz verdammt schnell.«

Gerne hätte sie Näheres über ihn erfahren, aber er keuchte und hielt sich an ihrem Auto fest.

»Dir ist schwindelig. Setz dich auf den Beifahrersitz.« Eilig schloss sie die Tür auf und schob ihn in Richtung Beifahrersitz. Sie hatte erwartet, dass er protestieren würde, doch er nahm bereitwillig Platz. »Wo ist dein Rucksack?«

Er knöpfte sein Hemd auf und betastete seinen Bauch. »Hinter den Büschen.«

Bei dem Anblick seines haarlosen Brustkorbs wurde Amy ganz anders. Er musste viel trainiert haben, und diese Mühe zahlte sich aus. Sie konnte ihren Blick kaum von ihm abwenden.

»Lass nur. Ich hole meinen Kram selbst.« Er wollte sich erheben, aber sie drückte seine Schulter nieder und hielt ihn davon ab.

Zögerlich schaute sie zu der Grenzbepflanzung, die tagsüber einen hübschen grünen Rahmen für den Hof bildete, doch nun in der Nacht bedrohlich wirkte. »Du kannst doch kaum gehen.«

Amy atmete tief durch. Sie umschloss den Griff des Colts, zog ihn jedoch nicht aus ihrer Handtasche und marschierte zwischen dem Buschwerk hindurch. Gleich dahinter fand sie den tarnfarbenen Beutel. Sie schulterte ihn, kehrte zu ihrem Auto zurück und legte ihn auf die Rückbank.

Was sollte sie nun mit Lorcan machen? Sie konnte ihn nicht zwingen, in ein Krankenhaus zu gehen. Genauso wenig brachte sie es übers Herz, ihn einfach zurückzulassen, zumal sie mit Schuld daran trug, dass er verprügelt worden war. Hätte sie ihm nicht entgegen der Regel einen Nachschlag vor Ende der Öffnungszeiten gewährt, hätte der Indianer auch keine Probleme gemacht. Zudem hatte Lorcan sie vor dem Krawallmacher beschützt. Dafür hatte er mit seinem Blut gezahlt. Auf keinen Fall würde sie sich nun aus der Verantwortung stehlen.

Sie stieg ein und startete den Motor.

»Ich weiß, du meinst es gut«, begann er sanft, doch dann gewann seine Stimme an Schärfe, »aber ich werde kein Krankenhaus betreten und diese arroganten Ärzte anbetteln, mich zu behandeln. Das mache ich nicht! Ich bin obdachlos, das bedeutet allerdings nicht, dass ich keinen Stolz mehr besitze.«

Warum stieg er dann nicht aus? Er blieb, wo er war, und schaute sie trotzig an. Was erwartete er von ihr? Mit einem Mal verstand sie. Er hatte eine Mauer um sich herum aufgebaut und war nun nicht bereit, sie einzureißen, nur weil ihn jemand in die Mangel genommen hatte. Er brauchte Hilfe, aber er würde es niemals zugeben. Wenn man auf der Straße lebte, wurde man entweder hart oder ging an dem Leben ohne feste Bleibe, ohne Arbeit und ohne soziale Bindungen zugrunde.

Amy verdrehte die Augen, beugte sich über ihn und schloss die Beifahrertür. »Keine Sorge, ich erwarte nicht einmal ein Dankeschön von dir.«

»Du wirst die Klinikrechnung nicht für mich zahlen, Amy!« Sachte packte er ihre Schultern und hielt sie davon ab, sich auf ihre Seite des Autos zurückzuziehen.

Es war das erste Mal, dass er ihren Namen aussprach. Sie lächelte in sich hinein und bemühte sich, ihn nicht spüren zu lassen, wie nervös seine Nähe sie machte. Seine durchdringenden blauen Augen, sein gestählter nackter Oberkörper und sein männlicher Duft lenkten sie einen Moment von dem ab, was sie sagen wollte.

Glücklicherweise fiel es ihr wieder ein. »Ich habe mehr Geld als du, keine Frage, aber ich bin alles andere als reich, sondern schlage mich so durch. Tut mir leid, du musst dich mit dem LaBauve-Lazarett begnügen.«

Sie riss sich von ihm los und lenkte ihren Wagen vom Parkplatz, bevor sie darüber nachdenken konnte, dass sie gerade dabei war, einen wildfremden Mann mit nach Hause zu nehmen. Sie musste verrückt sein, ein derartiges Risiko einzugehen. Aber es ging ja auch nicht um irgendeinen Gast der Essensausgabe, sondern um Lorcan.

»Du bringst mich zu dir nach Hause?«, fragte er erstaunt.

Hatte sie eine andere Möglichkeit? Außer Seth befand sich kein anderer Mitarbeiter im Asyl, und der Wachmann würde Lorcan lieber die letzten Rippen auch noch brechen, anstatt ihn zu verarzten. Stark verletzt schien Lorcan ohnehin nicht zu sein, denn er atmete ruhig, und das Blut in seinen Wunden gerann bereits. Sie würde ihn versorgen, ihm einen starken Kaffee aufbrühen und ihm Zeit geben, sich zu erholen. Dann würde sie ihn bitten, wieder zu gehen. Allein bei dem Gedanken fühlte sie sich mies, aber sie war nicht so dumm, sich von seinem guten Aussehen vollkommen blenden zu lassen. Es war riskant, ihn in ihr Haus zu lassen, denn sie wohnte allein.

Während der Fahrt von New Orleans über die Huey P. Long Bridge zu ihrem Heimatort, der nach dem Senator George Augustus Waggaman benannt war, schwiegen sie.

Amy lebte gerne in der Zehntausend-Einwohner-Gemeinde am Westufer des Mississippi. Hier gab es zwar keine Multiplex-Kinos und Boutiquen, dafür aber eine niedrige Kriminalitätsrate. Die Einwohner waren weder so wohlhabend, dass es sich lohnte, bei ihnen einzubrechen, noch bezogen sie staatliche Unterstützung. Direkt hinter der Abfahrt vom Highway 90 begann die Ortschaft Waggaman. Ein- und zweistöckige Häuser reihten sich rechts und links der Straße. Die Vorgärten waren gepflegt, Spielzeug lag hier und da auf dem Rasen.

Amy drosselte die Geschwindigkeit und parkte schließlich vor einem Grundstück, das nicht ganz so adrett aussah wie die benachbarten. Seit sie neben ihrem Job in der Verwaltung auch noch ehrenamtlich Essen im Obdachlosenasyl verteilte, fand sie kaum Zeit für etwas anderes. Nein, eigentlich war das eine Ausrede, gestand sie sich ein. Gartenarbeit hatte nie besonders weit oben auf ihrer Prioritätenliste gestanden.

Lorcan stieg aus. »Ah, Vorstadtidylle«, meinte er sarkastisch, während er sich umschaute, und streckte sich. Doch sogleich atmete er scharf ein und hielt sich wieder den Bauch.

Geschieht ihm recht, dachte Amy.

Mit einem Blick, den sie nicht zu deuten wusste, schaute er sie an. »Rauchst du?«

Sie runzelte die Stirn. Was sollte diese Frage?

Er kam um das Auto herum zu ihr. »Trinkst du? Ich meine, Alkohol natürlich.«

»Natürlich«, sagte sie und meinte damit, dass sie ihn schon verstand, doch dann fiel ihr ein, dass er ihre Antwort falsch interpretieren konnte, und fügte hinzu: »Natürlich nicht.«

»Keinen Tropfen?« Er zog seine Augenbrauen zusammen. »Nicht einmal ein Glas Sekt zum Geburtstag?«

»Nein.« Nicht mehr seit dem Vorfall im letzten Dezember, der beinahe aus ihr ebenfalls eine Kriminelle gemacht hatte.

»Eine ehrenamtliche Tätigkeit in der Notunterkunft, ein kleiner Pkw, ein eigenes Haus ...«

»Das habe ich von meiner Großmutter geerbt«, warf sie ein, als müsste sie sich rechtfertigen. Eigentlich hatten es ihre Eltern vermacht bekommen, aber sie konnten sich nicht mit der Vorstellung anfreunden, in einem Shotgun House zu leben, und besaßen ohnehin schon ein eigenes, größeres Haus, daher hatten sie es Amy überschrieben.

Lorcan nahm seinen Rucksack von der Rückbank, warf die Wagentür geräuschvoll zu und schnaubte. »Es fehlt nur noch der weiße Zaun.«

»Meinen Ehemann und meine beiden Kinder – ein Mädchen und ein Junge – wirst du gleich kennenlernen«, bemerkte sie ironisch, um das Klischee der Mittelklasse perfekt zu machen.

Er stellte sich ihr in den Weg. »Du hast gar keine Familie.«

»Woher willst du das wissen?« Ihr wurde mulmig zumute. Hatte er sich über sie erkundigt? Oder ihr sogar hinterherspioniert?

Er nahm ihre Hand, was augenblicklich dazu führte, dass sie sich anspannte, und streichelte über ihren Ringfinger. »Du trägst keinen Ehering.«

»Gute Beobachtungsgabe.« War seine Berührung absichtlich sinnlich, oder wünschte sie sich das nur? Verlegen entzog sie ihm die Hand. Er löste Gefühle in ihr aus, die sie nicht haben sollte. Nicht für einen Mann wie ihn.

»Die habe ich im Knast entwickelt, denn dort weiß man nie, ob der Typ, an dem man vorbeigeht, einem nicht im nächsten Moment ein selbst gebasteltes Messer in den Rücken stechen wird. Deshalb habe ich gelernt, alles im Blick zu behalten und Details wahrzunehmen.« Seine Miene wirkte mit einem Mal verschlossen und düster. Einige Sekunden lang schien er weit weg zu sein. Dann schulterte er seinen Rucksack und marschierte auf die Veranda zu.

Sie eilte an ihm vorbei, aufgebracht über das, was er zwischen den Zeilen gesagt hatte. »Ich bin kein naives Mädchen vom Lande.« Energisch schloss sie die Tür auf.

»Das habe ich nie behauptet.« Seine Stimme klang rauer als zuvor. »Aber ich könnte mir vorstellen, dass deine Rebellion gegen den Kleinstadtmief darin besteht, nackt zu schlafen. Liege ich richtig?«

Hitze stieg in Amys Wangen. Sie öffnete ihren Mund, um etwas Kesses zu erwidern, doch heraus kam nur ein empörtes Schnaufen.

Das Lächeln, das er ihr daraufhin schenkte, war unwiderstehlich. Er ging an ihr vorbei und kam ihr dabei viel näher, als es notwendig war. Sie spürte die Wärme seines Körpers. Wie er sie ansah! War das Verlangen? Oder projizierte sie ihr eigenes Begehren auf ihn? Eventuell machte er sich aber auch nur lustig über sie, die Landpomeranze, und spielte mit ihr.

Bevor sie ihm hineinfolgte, spähte sie in alle Richtungen, um sicherzugehen, dass niemand sie beobachtete. Sie hatte keine Lust, zum Gesprächsthema von Waggaman zu werden. Nicht ein zweites Mal. Aber wie sie ihr Glück kannte, stand einer der Nachbarn hinter seinen Gardinen und hatte bereits das Telefon in der Hand, um einen Rundruf zu starten, dass ein höchst fragwürdiger Mann bei ihr einkehrte.

Glücklicherweise stand Skylers Wagen nicht vor der Tür. Ihr Cousin wohnte nebenan, was ein Fluch und ein Segen zugleich war. Er hatte ihr die Patronen für den Revolver besorgt, half ihr bei Reparaturen und vertrieb hartnäckige Vertreter. Aber obwohl sie noch nie mitbekommen hatte, dass er ihren Eltern, die in der Nachbargemeinde Avondale lebten, Bericht erstattet hatte, fühlte sie sich manchmal überwacht. Sie versuchte es positiv zu sehen: Niemand konnte ihr etwas antun, da er sie im Auge behielt. Es sei denn, sie lud den Teufel selbst in ihr Refugium ein.

Lorcan stellte seinen Rucksack auf dem Sofa ab, hielt ihn jedoch an beiden Schulterriemen fest. »Nicht viele Menschen würden heutzutage noch in so ein Haus einziehen.«

Sie trat hinter ihm ein. Die Luft im Inneren war zum Schneiden dick, unangenehm schwülwarm, aber zu lüften würde ihnen keine Abkühlung verschaffen. Dennoch schwärmte sie aus dem Brustton der Überzeugung: »Ich liebe es. Es ist schnuckelig und besitzt einen ganz eigenen Charme.«

In ihren Augen war es etwas Besonderes, ein Kleinod. Es gab keinen Flur, sondern die einzelnen Räume waren hintereinander angeordnet. Man nannte Häuser wie das ihre Shotgun House, denn wenn alle Türen offen standen, konnte jemand mit einer Schrotflinte durch das komplette Gebäude schießen, ohne etwas zu treffen.

Erst im Frühjahr hatte Skyler ihr geholfen, die Fenster mit Silikon abzudichten, und gemeinsam mit ihrem besten Freund Nabil Laminat verlegt, sodass im kommenden Winter das Holzgebäude nicht ganz so schnell auskühlen würde wie im Jahr zuvor. Louisiana war nicht Alaska, aber wenn man es schön warm gewohnt war, fror man schon bei acht Grad. Das alte Haus hatte sich als zugig und die Heizung als altersschwach entpuppt, doch Amy hatte kein Geld für eine neue.

Amy führte Lorcan vom Wohnzimmer durch das Schlafzimmer – als sie an ihrem Bett vorbeigingen, stieg ihr Puls plötzlich an, und sie starrte stur geradeaus – ins Bad. »Hier kannst du erst mal deine Wunden auswaschen.«

»Danke«, sagte er und nahm das Handtuch an, das sie ihm reichte.

Nervös, da er sie musterte, nahm sie einige Dinge aus dem Schrank, der über ihrem Waschbecken hing. Eigentlich hatte sie geplant, Lorcan zu verarzten, doch jetzt hielt sie es für ratsam, ihm nicht noch einmal so nah zu kommen wie am Eingang. »Hier sind Wundheilsalbe und Pflaster, mehr habe ich leider nicht da.«

»Das wird reichen.« Er nickte, streckte seine Hand danach aus und runzelte die Stirn, als sie beides auf den Beckenrand legte, anstatt es ihm zu geben.

Ihre Wangen brannten, denn seine Augen funkelten, als ahne er, dass sie weitere Berührungen vermeiden wollte. Hautkontakt mit ihm brachte Amy durcheinander, und sie musste einen kühlen Kopf behalten, damit die Situation ihr nicht entglitt. »Ich bin in der Küche und setze Kaffee auf.«

Bevor er etwas erwidern konnte, zog sie die Zwischentür hinter sich zu. Sie lauschte, doch sie hörte nur, dass er die Tür zum Schlafzimmer schloss. Wollte er sie nicht verriegeln, um zu vermeiden, dass sie hereinkam? Befand er sich überhaupt noch im Bad, oder durchwühlte er gerade ihre Sachen, auf der Suche nach Geld, Schmuck – oder Unterwäsche? Sie liebte ihr Shotgun House wirklich, doch in diesem Moment vermisste sie einen Flur, denn sie konnte die anderen Räume nicht im Blick behalten. Die einzige Möglichkeit bestand darin, den Hinterausgang zu nehmen, um das Haus herumzuschleichen und von außen durch die Fenster hineinzuschauen.

Während sie noch darüber nachdachte, vernahm sie das Plätschern der Dusche. Erleichtert atmete sie aus, stellte die altersschwache Klimaanlage an, die noch lautere Geräusche von sich gab als der Kühlschrank, und füllte Wasser in die Kaffeemaschine. Sie gab einen Löffel Kaffeepulver mehr als üblich in den Filter, denn sie vermutete, dass ein starker Mann wie Lorcan auch einen starken Kaffee bevorzugte, und schaltete das Gerät ein.

Ungeduldig lief sie in der Küche auf und ab. Nachdem die Dusche abgedreht worden war, tat sich lange nichts. Der Kaffee war längst fertig. Wo blieb Lorcan nur? Was tat er die ganze Zeit? Suchte er in ihren Badezimmerschränken nach Medikamenten? Oder war er längst abgehauen?

Beunruhigt ging sie zur Verbindungstür und hob die Hand, um anzuklopfen. Just in diesem Augenblick schwang die Tür auf. Nur einen Schritt entfernt stand Lorcan. Er hatte seine Wangen glatt rasiert und den Bart um seinen Mund herum gestutzt. Seine hellbraunen Haare waren zwar immer noch zu lang, um als Frisur durchzugehen, doch sie standen nicht mehr wild ab, sondern schmiegten sich feucht an seinen Kopf.

Er trug nichts außer einem Handtuch, das um seine Taille geschlungen war. Der Knoten war so nachlässig gebunden, dass er aussah, als könnte er sich jeden Moment lösen.

Kapitel 4

Oktober, ein Jahr zuvor

New Orleans, Buckley MacConmara

Lorcan vernahm ihr Lachen im Korridor, und sein Herz hüpfte augenblicklich vor Freude. Bewegungslos blieb er sitzen. Seine Fingerspitzen ruhten auf der Tastatur, und er schaute weiterhin auf den Computermonitor. Für jemanden, der zufällig an seinem Büro vorbeikam, hätte es den Anschein, als würde er lesen, was er soeben getippt hatte, aber in Wahrheit lauschte er den Geräuschen auf dem Flur.

Stimmen. Zwei Männer unterhielten sich. Mit ihr.

Seine Füße kribbelten; sie wollten zu ihr gehen, nein, am liebsten würden sie zu ihr laufen, um sie zu begrüßen. Seine Augen begehrten, sie zu betrachten, seine Hände, sie zu streicheln, und seine Lippen, sie zu küssen. Statt seinem Verlangen nachzugeben, saß er weiterhin wie versteinert an seinem Schreibtisch. Noch behielt sein Verstand die Oberhand. Es war besser, ihr nicht zu begegnen. Besser für alle Beteiligten.

Seine Ohren wurden immer größer und sein Herz immer schwerer. Er ballte eine Hand zur Faust und streckte die Finger wieder.

Am Ende gewann die Anziehungskraft. Er schob seinen Stuhl zurück und sprang auf. Bis zur Tür ging er schnell, doch kaum trat er in den Korridor, schlenderte er gelassen weiter. Ein Arbeitskollege eilte an ihm vorbei zurück an seinen Arbeitsplatz. Er musste mit ihr geplaudert haben.

Lorcan schaute in die Richtung, aus der er gekommen war, und versuchte, überrascht zu wirken. »Kimora.«

Wie gut sie aussah! Sie hatte die vorderen Strähnen ihrer hüftlangen weizenblonden Locken leger im Nacken zusammengebunden. Ihr geblümtes Kleid schmiegte sich eng an ihre Figur, und Lorcan wünschte sich, dieser Satinstoff zu sein. Passend zum Muster trug sie orangeroten Lippenstift und gelben Lidschatten. Extravagant, aber so waren Künstler eben. Ein safranfarbenes Tuch lag um ihre Schultern.

Flüchtig nahm sie ihn zur Begrüßung in den Arm. Ihre Handflächen waren so kalt, dass er es durch den Stoff seines langärmeligen Businesshemdes spürte. Ständig verlagerte sie ihr Gewicht von einem Fuß auf den anderen. Schmerzten die High Heels mit Korkabsatz, oder war sie aufgeregt, weil sie ihn traf? Machte er sie nervös? Der Gedanke gefiel ihm.

»Wie ich sehe, warst du beim Friseur. Die kurzen Haare stehen dir gut«, plauderte sie locker, doch ihm entging nicht, dass sie ihre schwarze Lackhandtasche knetete. »Auf dem Lafayette Square vor zwei Wochen waren sie noch länger.«

»Mir wären die paar Zentimeter nicht aufgefallen.« Gavin baute sich neben ihr auf, und Lorcan fragte sich, ob er damit demonstrieren wollte, dass sie zu ihm gehörte. »Du musst ihn auf dem Open-Air-Festival aufmerksam betrachtet haben.«

»So sind Frauen eben«, spielte Lorcan die Bemerkung herunter. Sein Lachen klang selbst in seinen eigenen Ohren gekünstelt.

»Uns fallen Details auf, während Männer nur oberflächlich hinschauen.« Sie legte die Hand auf ihr Dekolleté und verdeckte somit ihren Schmuck. »Welchen Anhänger trage ich heute? Ich wette, ihr könnt es mir beide nicht sagen.«

Lorcan betrachtete ihre schlanken Finger. Sie konnten unglaublich zärtlich sein, aber auch erstaunlich fest zupacken, wenn es darauf ankam. Das durfte er gar nicht wissen, aber er tat es nun mal. Er mochte, dass Kimora ihre Nägel kurz gefeilt hatte und keinen Lack benutzte. Künstliche Fingernägel, Brustimplantate und Haarextensions – dieser falsche Schein gefiel ihm ganz und gar nicht, er bevorzugte Natürlichkeit.

»Du siehst so atemberaubend aus, dass ich darauf nicht geachtet habe.« Unablässig drehte Gavin einen seiner Manschettenknöpfe. Flecken erschienen auf seinen blassen Wangen. Sie hatten fast dasselbe Rot wie sein kupferfarbener Schopf. Das Rotblond stand ihm gut, fand Lorcan, es war das einzig Interessante an ihm. Seine Sommersprossen verliehen ihm etwas Schalkhaftes. Aber war das für einen Mann mit vierunddreißig Jahren nun gut oder schlecht?

Die Blüte einer Orchidee, dachte Lorcan triumphierend, silbern mit weißen Blättern. Doch er konnte seinen Triumph nicht auskosten, weil er die Schultern zuckte und schwieg.

»Hab ich euch, Jungs. Ha!«, rief sie übermütig mit dem Charme einer Zwanzigjährigen, dabei ging sie auf die vierzig zu. Kultiviert, elegant und würdevoll, aber keinesfalls steif – eine Southern Belle, die mit jedem weiteren Lebensjahr keineswegs verblühte, sondern reifte. Obwohl Gavin Mitbesitzer der kleinen florierenden Firma Buckley MacConmara und ein erfolgreicher Geschäftsmann war, stand er, fünf Jahre jünger als sie, im Schatten der Südstaatenschönheit.

Sie braucht einen Mann, der es mit ihr aufnehmen kann, der nicht neben ihr untergeht, dachte Lorcan kämpferisch, doch einen Atemzug später verkrampften sich seine Eingeweide. Wenn sich sein schlechtes Gewissen bemerkbar machte, brachte es ihn fast um, deshalb bemühte er sich, es zu verdrängen. Aber jetzt, da Gavin besitzergreifend seinen Arm um Kimora legte, war der Drang, sie an sich zu reißen, beinahe stärker als seine Skrupel.