Mythor 119: Das sterbende Land - Paul Wolf - E-Book

Mythor 119: Das sterbende Land E-Book

Paul Wolf

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Beschreibung

Mythor, der Sohn des Kometen, begann vor rund zweieinhalb Jahren seinen Kampf gegen die Mächte des Dunkels und des Bösen in Gorgan. Dann wurde der junge Held nach Vanga verschlagen, der von den Frauen beherrschten Südhälfte der Lichtwelt. Und obwohl in Vanga ein Mann nichts gilt, verstand Mythor es nichtsdestoweniger, sich bei den Amazonen Achtung zu verschaffen und den Hexenstern zu erreichen, wo er endlich mit seiner geliebten Fronja zusammenkam. Gegenwärtig befinden sich der Sohn des Kometen und seine Gefährten, zu denen inzwischen auch Fronja, die ehemalige Erste Frau von Vanga zählt, inmitten der Schattenzone. Mythor hat mit seiner Schar Carlumen in Besitz genommen, die Fliegende Stadt des legendären Caeryll. Dieses einstige Gefährt des Lichts ist jedoch zum Spielball dunkler Kräfte geworden und hat eine Fahrt angetreten, die ausweglos erscheint. Allerdings ist es Mythors magiekundigen Gefährten inzwischen gelungen, Yhr, die Schlange des Bösen, die Carlumen in ihrem Leib mit sich führt, in Fesseln zu schlagen und Einfluss auf den Kurs der Fliegenden Stadt zu nehmen. Dieser Kurs führt nun in DAS STERBENDE LAND ...

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Nr. 119

Das sterbende Land

von Paul Wolf

Mythor, der Sohn des Kometen, begann vor rund zweieinhalb Jahren seinen Kampf gegen die Mächte des Dunkels und des Bösen in Gorgan. Dann wurde der junge Held nach Vanga verschlagen, der von den Frauen beherrschten Südhälfte der Lichtwelt. Und obwohl in Vanga ein Mann nichts gilt, verstand Mythor es nichtsdestoweniger, sich bei den Amazonen Achtung zu verschaffen und den Hexenstern zu erreichen, wo er endlich mit seiner geliebten Fronja zusammenkam.

Gegenwärtig befinden sich der Sohn des Kometen und seine Gefährten, zu denen inzwischen auch Fronja, die ehemalige Erste Frau von Vanga zählt, inmitten der Schattenzone. Mythor hat mit seiner Schar Carlumen in Besitz genommen, die Fliegende Stadt des legendären Caeryll.

Dieses einstige Gefährt des Lichts ist jedoch zum Spielball dunkler Kräfte geworden und hat eine Fahrt angetreten, die ausweglos erscheint.

Allerdings ist es Mythors magiekundigen Gefährten inzwischen gelungen, Yhr, die Schlange des Bösen, die Carlumen in ihrem Leib mit sich führt, in Fesseln zu schlagen und Einfluss auf den Kurs der Fliegenden Stadt zu nehmen.

Dieser Kurs führt nun in DAS STERBENDE LAND ...

Die Hauptpersonen des Romans

Jercel – Anführer der Rohnen.

Tombul – Schamane der Rohnen.

Proscul – Tombuls Schüler.

Mythor – Der neue Herr von Carlumen.

Yhr – Die Schlange des Bösen im Bann des Tillornischen Knotens.

Xatan

1. Buch

Lichtes Land Heluma

1.

Es war ein seltsamer Wald, wie man ihn in der Düsterzone kein zweites Mal fand. Seine Bäume waren krumm und knorrig und wirkten wie abgestorben. Sie besaßen dicke, hohe Stämme und ihre Äste strebten alle nach oben, so dass sie kelchförmige Kronen bildeten. Und sie standen so weit auseinander, dass sich in den Zwischenräumen genügend Platz für die Yarls bot.

Yirzahoo, die Wanderstadt der Rohnen, bestand aus fünfundzwanzig solcher Riesenschildechsen, auf deren gepanzerten Rücken die Gebäude und Wehren errichtet worden waren.

Kaum waren die Yarls in diesen seltsamen Wald aus Kelchbäumen eingedrungen, da zogen sie ihre achtzehn Beinpaare und ihre Köpfe ein und rasteten. Den Yarlamen, wie die Rohnen die Yarl-Führer auch nannten, gelang es nicht, die Tiere zum Weitermarschieren zu bewegen. Sie schafften es gerade noch, sie zusammenzutreiben, damit Yirzahoo eine geschlossene Stadt bildete. So konnten sich die Rohnen wenigstens sicher fühlen.

Bald jedoch schon erschien ein zwergenhaftes Geschöpf, das in einen kugeligen Pelz gehüllt war. Mit schriller Stimme forderte es die Eindringlinge auf, diesen Ort schleunigst wieder zu verlassen. Als die Yarlamen beteuerten, dass ihre Tiere eine längere Ruhepause benötigten, verlangte der pelzvermummte Zwerg: »Schafft euren Häuptling herbei. Sagt ihm, dass Vesperal ihn sprechen möchte, der Wächter im Garten Nowow.«

Jercel, der Anführer der Rohnen, erschien daraufhin mit dem Schamanen Tombul und dessen Schüler Proscul. Jercel war eine stattliche Erscheinung, mit einem schlanken, aber kraftvollen Körper, einem energischen Gesicht und einer blassen, wie gebleichtes Leder wirkenden Haut. Sein dunkles Haar stand in krassem Gegensatz dazu; die Silberfäden, die seine Haarpracht durchzogen, hatte ihm nicht nur das Alter beschert, sondern auch das Zusammenleben mit seinem Weib Ejoba.

Tombul, der Schamane der Rohnen, überragte das Oberhaupt des Stammes um Haupteslänge, war jedoch so schmal und feingliedrig, dass man fürchtete, der leiseste Windhauch könne ihn knicken. Doch der kunstvoll geschnitzte Zauberknochen und die Dunkelwurzel schienen ihn gegen alle Unbilden zu schützen.

Sein Schüler Proscul war dagegen nur fünfeinhalb Fuß groß, von fast noch jugendlichem Alter und hatte zudem noch helles Haar, so dass er sich allein dadurch von anderen Stammesangehörigen unterschied. Er war ein Weißling, und allein deswegen zu Besonderem bestimmt.

»Ist das wirklich der Garten Nowow?«, erkundigte sich Tombul bei dem in Pelz gehüllten Zwerg. Er deutete mit Zauberknochen und Dunkelwurzel auf die unansehnlichen und spärlich gesäten Bäume. »Und sollen das die flammenden Bäume sein? Ich sehe nur kahles, abgestorbenes Holz. Und du, willst du der Königstroll Vesperal sein, von dem die Legenden berichten, dass er der Gärtner ist, der über das Licht der flammenden Bäume wacht?«

»Diese Bäume brennen nur einmal in einem Menschenalter«, sagte Vesperal. »Es wird bald wieder soweit sein – früher als euch lieb sein kann. Für euch wäre es aber gesünder, wenn ihr auf dieses Erlebnis verzichtet und schleunigst wieder weiterzieht. Denn wenn erst die Bäume zu brennen beginnen, dann ist es zu spät. Verschwindet von hier, bevor die Hölle über den Garten Nowow hereinbricht und euren Stamm ausrottet.«

»Du machst uns keine Angst«, erklärte Tombul fest. »Wir tragen die Worte unseres Schutzpatrons Goolux in unseren Herzen. Goolux hat uns einst prophezeit, dass wir die flammenden Bäume von Nowow finden müssen, um in die Lichtwelt gelangen zu können und im Lichten Land Heluma eine neue Heimat zu finden.«

»Da seid ihr aber schlecht beraten worden«, sagte der Troll. »Ihr seid Menschen der Düsterzone und solltet nicht nach dem Licht streben ...«

»Ketzer!«, schrie Tombul und hob drohend den Zauberknochen gegen den Troll. Jercel fing den Schlag mit starkem Arm ab und stieß den Schamanen zurück. Dann wandte er sich an Vesperal und fragte:

»Kannst du mir verraten, welche Gefahren uns hier drohen?«

»Und ob ich das kann«, sagte der Troll und nickte bekräftigend mit seinem großen Kopf. »Seit ich hier Gärtner bin, haben die Bäume von Nowow schon sechsmal in Flammen gestanden. Und jedes Mal hat ihr Lichtschein alle möglichen Bewohner der Düsterzone angelockt. Das Feuer macht sie rasend, sie stürzen sich in ganzen Rudeln darauf, zu Tausenden und Abertausenden. Dabei finden sie den Tod. Dieses Schicksal steht auch euch bevor, wenn ihr nicht schnellstens verschwindet.«

»Ich glaube dir«, sagte Jercel, »und ich würde deinen Rat auch gerne befolgen. Aber die Yarlamen sind außerstande, die Yarls zum Weitermarschieren zu bewegen.«

Der Troll nickte wissend.

»Die Yarls spüren die kommende Gefahr. Wenn ihr sie nicht weitertreiben könnt, dann seid wenigstens froh, dass sie nicht dem Zauber der brennenden Bäume verfallen werden. Aber ihr müsst fliehen. Verlasst eure Yarls und verkriecht euch in dunkle Höhlen ...«

»Niemals!«, rief Tombul.

Auch Jercel schüttelte den Kopf.

»Yirzahoo ist unsere Heimat, wir sind mit unseren Yarls verwachsen. Nur auf ihren Rücken fühlen wir uns sicher und geborgen.«

»Zu spät!«, sagte der Troll bedauernd. »Die Blütezeit beginnt. Ich kann euch nur noch raten, euch zu verbarrikadieren.«

Noch während des Sprechens drehte er sich um und eilte davon.

Proscul sah, wie sich an den scheinbar verdorrten Ästen der kelchförmigen Bäume kleine Lichtpunkte bildeten. Es wurden ihrer immer mehr, und sie strahlten immer heller. Und all die winzigen Flackerlichter vereinigten sich zuerst zu vereinzelten Flammenzungen und dann zu ganzen Lohen. Jede Baumkrone bildete einen Flammenkelch. Der ganze Wald von Nowow brannte.

Sie kehrten nach Yirzahoo zurück, und Jercel befahl seinem Stamm, die Unterkünfte aufzusuchen und sich gegen das zu erwartende Unheil zu schützen.

Auch Proscul, von Furcht geschüttelt, hätte sich am liebsten in den hintersten Winkel seiner Hütte verkrochen. Aber Tombul zwang ihn, mit ihm den höchsten Wachtturm zu erklettern.

*

Die Düsternis verblasste im Widerschein der flammenden Bäume, die wie Riesenfackeln aus dem zernarbten Boden ragten. Proscul hatte noch nie so weit in die Ferne geblickt, und er hatte die Welt und ihre Schrecken noch nie so deutlich gesehen.

Proscul wollte sich abwenden, aber Tombul hielt sein Antlitz dem Feuerschein entgegen. Er wollte die Augen schließen, aber Tombul verlangte:

»Sieh hin, Proscul. Das Licht ist dein Element. Du bist ein Weißling und trägst als solcher das Stigma der Lichtwelt. Goolux sagte einst zu Rohno, unserem Stammvater, er solle die Flammenblüten der Bäume von Nowow schauen, auf dass sie ihm den Weg ins Lichte Land Heluma weisen. Und nun tun wir beide es an Rohnos statt. Öffne dein Auge dem Licht, Proscul. Wirf die Fetische!«

Proscul gehorchte. Er tastete wie blind nach den Beuteln an seinem Leibgurt und schüttete sie nacheinander über den Boden aus.

»Ah – was siehst du?«, rief Tombul verzückt.

Proscul, froh darüber, den Blick endlich von der Lichtwolke abwenden zu können, senkte den Kopf und starrte auf die verschiedenen Fetische aus den beiden Beuteln. Zuerst sah er überhaupt nichts, er war noch geblendet. Allmählich erst konnte er die vielen verschiedenen Stäbchen, Krummlinge und Knötchen voneinander unterscheiden. Helle und dunkle Fetische hatten sich miteinander vermischt, und er konnte aus dem Durcheinander überhaupt kein Muster herauslesen.

»Ah – ein Zeichen!«, rief Tombul. »Die vielen geraden Linien haben sich zusammengefügt. Missachte die Krummen! Auf die Geraden kommt es an. Da! Sieh! Hier ist eine Figur mit drei Ecken. Und da noch eine und noch eine! Es sind ihrer vier insgesamt – und sie weisen in eine Richtung. Folge mit den Augen der Richtung des Pfeiles!«

Proscul gehorchte, doch sah er keinen Pfeil, sondern er blickte in die Richtung, in die Tombuls Hand wies. Er sah einen der brennenden Bäume, dessen Flammenkrone so hell strahlte, dass ihm die Augen von seinem Schein zu tränen begannen. Und auf einmal zuckte etwas wie ein Blitz auf und schlug in diesen Feuerbaum ein.

»Goolux hat uns die Botschaft geschickt!«, rief Tombul mit sich überschlagender Stimme. »Geh hin, Proscul, und hole sie.«

Proscul zitterte am ganzen Körper, er war krank vor Angst. Seine Finger krallten sich in den hölzernen Boden der Plattform. Von links erklang ein unheimliches Trompeten, wie es nur die riesenhaften Rüsseltiere in höchster Not ausstießen. Und dann tauchten die ersten von ihnen auf und rannten gegen die flammenden Bäume an.

»Bring mir Goolux' Botschaft!«, verlangte Tombul. »Sei stark, Proscul, du bist ein Weißling, im Zeichen des Lichtes geboren. Nur du hast die Kraft, diese Prüfung zu bestehen. Steig in den Garten Nowow hinab und erklimme die Flammenkrone jenes Baumes, in dem Goolux die Botschaft hinterlegt hat.«

Alles in Proscul sträubte sich dagegen. Und doch kletterte er vom Turm, suchte das nächste Tor in der Wehr auf und verließ Yirzahoo. Er schritt über den rissigen Boden, der im Schein der Flammenbäume zu glühen schien, immer den einen Baum vor Augen, in den der seltsame Blitz eingeschlagen hatte.

In seinem Rücken erklangen Tombuls anfeuernde Rufe, und er wusste, dass es die Stimme des Schamanen war, die ihm die Kraft zum Weitergehen gab.

Hoch über ihm erklang ein vielstimmiges, schauriges Krächzen. Ein Schwarm von Drachen war aufgetaucht. Sie kreisten über dem brennenden Wald – und dann stürzten sie sich nacheinander in die Tiefe. Rings um Proscul schlugen ihre Körper auf dem Boden auf. Nur zwei Drachen aus dem Schwarm fanden ihr Ziel: Ihre Körper prallten gegen flammende Bäume, spalteten sie und brachten ihr Feuer zum Erlöschen.

Tombuls Stimme war in der Ferne verklungen. Für einen Moment wollte Proscul die Kraft verlassen. Aber der vom Blitz getroffene Baum war schon zum Greifen nahe. Noch einmal raffte er sich auf und tat die wenigen Schritte, um den Stamm zu erreichen. Erschöpft lehnte er sich gegen die rissige Rinde, um ein wenig auszuruhen. Und auf einmal war er ganz ruhig.

Er blickte hoch zur leuchtenden Flammenkrone, und damit schwand der letzte Rest von Todesangst. Nun erst erkannte er, dass das Feuer dieses Baumes nichts Verzehrendes an sich hatte. Aus der Nähe boten sich die unzähligen einzelnen Flämmchenherde als bunte, leuchtende Blüten dar.

Und inmitten dieser lichten Blütenpracht strahlte ein Ding noch heller und in wunderbaren Farben, spiegelte das Licht der vielen Blütenkerzen wider, ohne zu blenden. Proscul war nicht bange, als er den krummen Stamm hochkletterte. Erst als er das spiegelnde Ding erreichte, begann sein Herz schneller zu schlagen.

Es war ein Kristall mit dreieckigen Flächen, von jener Form also, die Tombul aus den Fetischen herausgelesen hatte. Der Kristall lag in einer Astgabel und war halb verborgen hinter einigen Feuerbüscheln.

Proscul schob sich über den Ast vorsichtig näher, und als er in Reichweite des Kristalls war, griff er danach. Da schoss eine andere Hand heran und langte nach der funkelnden Kostbarkeit, der Botschaft des rohnischen Schutzpatrons Goolux. Aber Proscul war schneller, umfasste den Kristall und verstaute ihn augenblicklich in einem seiner beiden Beutel.

»Gib ihn mir!«, kreischte der Troll Vesperal. »Alles, was sich im Garten Nowow findet, ist mein.«

Vesperal stürzte sich auf Proscul, und die beiden rangen miteinander. Dabei traf Proscul den Troll so unglücklich, dass er den Halt verlor und in die Tiefe stürzte. An seinem wüsten Geschimpfe und Gefluche erkannte Proscul, dass er sich bei dem Sturz nicht ernstlich verletzt haben konnte.

Bevor er selbst hinunterkletterte, pflückte er rasch eines der Feuerbüschel und steckte es in seinen Leibgurt. Vesperal schimpfte hinter ihm nach, als er an ihm vorbeirannte. Proscul hörte nicht darauf. Er wollte auf dem raschesten Weg nach Yirzahoo. Doch war das gar nicht so leicht, weil nun alle möglichen Tiere und Unholde den Garten Nowow bevölkerten.

Sie liefen oder hüpften plan- und ziellos umher, versuchten, zu den Flammenkronen hochzuspringen und rannten gegen die Stämme der flammenden Bäume an.

Auch die Bewohner der Lüfte, von den gefürchteten Drachen bis zu den winzigen Irrwischen, waren nun völlig außer Rand und Band. In ganzen Schwärmen flogen sie in den Luftraum des Gartens Nowow ein und versuchten, mit ihren Körpern das Licht der Feuerkronen zu löschen. Manchmal gelang das, aber sie fanden dabei immer den Tod.

Proscul musste einem Rüsseltier ausweichen, das ihn fast niedergetrampelt hätte, bevor er das Stadttor von Yirzahoo erreichte und sich in Sicherheit bringen konnte.

Er übergab Tombul den Kristall.

»Ah«, machte der Schamane, während er den pyramidenförmigen Kristall mit den dreieckigen Flächen mit großen Augen betrachtete.

Plötzlich veränderte sich sein Gesichtsausdruck, und er fragte streng: »Was hast du da?«

Er griff Proscul an den Gürtel und nahm das Feuerbüschel an sich. Die vielen Blüten strahlten immer noch in ihrem geheimnisvollen Feuerschein.

»Es ist verboten, Feuer aus dem Garten Nowow zu stehlen«, sagte Tombul mit unheilvoller Stimme. »Du könntest dafür mit Blindheit geschlagen oder aber mit Aussatz bestraft werden. Ich muss dir einen Zaubertrank bereiten.«

Tombul nahm Proscul mit in seine Behausung. Und während rings um Yirzahoo das Chaos immer weiter um sich griff, braute Tombul aus dem Feuerbüschel und etlichen Zutaten einen Trank. Endlich reichte er Proscul die Schale.

»Da, nimm«, forderte der Schamane seinen Schüler auf. »Trinke die Kraft der flammenden Bäume. Leere die Schale bis zur Neige.«

Tombul redete mit salbungsvollen Worten weiter, während Proscul den brennenden Inhalt der Schale trank. Der Sud war bitter und ekelerregend, und er durchraste seinen Körper wie Feuer.

»Und jetzt ruhe aus. Schlafe, schlafe ...«

Proscul bäumte sich auf, als ein furchtbarer Schmerz in seinem Leib wühlte. Tombul sah ihm ungerührt zu und sagte wie zum Hohn:

»Was dich nicht tötet, das macht dich stark. Und bist du nicht stark genug für diese Prüfung, dann musst du sterben, Weißling.«

Das waren die letzten Worte, die Proscul bei vollem Bewusstsein wahrnahm. Was folgte, war eine lange Reise durch Nacht und Dämmerung, durch Schmerz und Verzweiflung.

Er merkte es längst nicht mehr, wie Jercel in die Hütte des Schamanen kam und berichtete:

»Die flammenden Bäume sind erloschen, und die Ruhe ist zurückgekehrt. In die Yarls kommt wieder Leben, so dass wir weiterziehen können. Fünf von ihnen sind jedoch zu schwach, wir müssen sie zurücklassen. Ebenso wie die sterblichen Hüllen etlicher unserer Stammesangehörigen. Es hat sich nicht gelohnt, den Garten Nowow aufzusuchen ... Was ist mit Proscul?«

»Er ist Goolux näher als irgendeiner von uns«, sagte Tombul ohne seinen Schüler eines Blickes zu würdigen.

Daraufhin nahm Jercel den Weißling auf und brachte ihn zu sich. Seinem Weib Ejoba trug er auf:

2.

Proscul erfuhr in den seltenen lichten Momenten, dass Yirzahoo immer noch durch die Düsterzone wanderte. Niemand vermochte genau zu sagen, wie lange es her war, seit man den Garten Nowow verlassen hatte. Denn seit Tombul die Kalendarinnen abgesetzt und das Monatshaus geschlossen hatte, kannten die Rohnen kein Zeitmaß mehr. Und den Frauen war es bei Strafe untersagt worden, insgeheim zu kalendern.

Denn Tombul hatte beschlossen, dass man Tage und Monde erst wieder zählte, wenn man die Lichtwelt erreicht hatte.

Proscul war nur noch Haut und Knochen. Als er zum ersten Mal erfasste, dass Jercels Weib Ejoba ihn betreute, wäre er vor Schreck fast gestorben. Denn man munkelte in Yirzahoo viel Böses über diese Frau, und Proscul machte es Angst, dass er ihr ausgeliefert war. Aber allmählich erkannte er, dass sie gut für ihn sorgte.

Sie saß oft lange an seinem Lager, kühlte seine heiße Stirn mit Yarlmilch und flößte ihm breiige Nahrung ein.

Auch Jercel verbrachte viel Zeit bei ihm, Tombul ließ sich dagegen kein einziges Mal blicken. Proscul erfuhr auch bald den Grund dafür. Als er so weit bei Kräften war, dass er sprechen konnte und sich nach dem Verbleib des Schamanen erkundigte, sagte Jercel:

»Ich habe Tombul verboten, dich zu besuchen. Ich habe die berechtigte Befürchtung, dass er dich töten würde. Er hat es schon einmal versucht, damals, im Garten Nowow, als du ihm den Zauberkristall brachtest.«