Mythor 124: Zeichen des Lichts - Paul Wolf - E-Book

Mythor 124: Zeichen des Lichts E-Book

Paul Wolf

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Beschreibung

Mythor, der Sohn des Kometen, begann vor rund zweieinhalb Jahren seinen Kampf gegen die Mächte des Bösen in Gorgan. Dann wurde der junge Held nach Vanga verschlagen, der von Frauen beherrschten Südhälfte der Lichtwelt. Und obwohl in Vanga ein Mann nichts gilt, verstand Mythor es nichtsdestoweniger, sich bei den Amazonen Achtung zu verschaffen und den Hexenstern zu erreichen, wo er endlich mit seiner geliebten Fronja zusammenkam. Inzwischen haben der Sohn des Kometen und seine Gefährten, zu denen neben Fronja, der ehemaligen Ersten Frau von Vanga, eine beachtliche Streitmacht zählt, Carlumen, die Fliegende Stadt des legendären Caeryll, in Besitz genommen und mit diesem ehemaligen Fahrzeug des Lichts eine wahre Odyssee durch die Schattenzone hinter sich, bevor sie in den Süden Gorgans gelangten. Nun aber, da es etliche Zeit dauern wird, bis Carlumen zum neuen Start wieder flottgemacht werden kann, schließt sich Mythor Sadagar, dem Steinmann, an, der unbedingt seinen eigenen Weg gehen und nordwärts nach Lyrland ziehen will. Dieses Unternehmen führt unseren Helden in Gebiete voller Tücken und Geheimnisse, voller Gefahren und Mysterien, und es gipfelt schließlich im Erkennen der ZEICHEN DES LICHTS ...

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Nr. 124

Zeichen des Lichts

von Paul Wolf

Mythor, der Sohn des Kometen, begann vor rund zweieinhalb Jahren seinen Kampf gegen die Mächte des Bösen in Gorgan. Dann wurde der junge Held nach Vanga verschlagen, der von Frauen beherrschten Südhälfte der Lichtwelt. Und obwohl in Vanga ein Mann nichts gilt, verstand Mythor es nichtsdestoweniger, sich bei den Amazonen Achtung zu verschaffen und den Hexenstern zu erreichen, wo er endlich mit seiner geliebten Fronja zusammenkam.

Inzwischen haben der Sohn des Kometen und seine Gefährten, zu denen neben Fronja, der ehemaligen Ersten Frau von Vanga, eine beachtliche Streitmacht zählt, Carlumen, die Fliegende Stadt des legendären Caeryll, in Besitz genommen und mit diesem ehemaligen Fahrzeug des Lichts eine wahre Odyssee durch die Schattenzone hinter sich, bevor sie in den Süden Gorgans gelangten.

Nun aber, da es etliche Zeit dauern wird, bis Carlumen zum neuen Start wieder flottgemacht werden kann, schließt sich Mythor Sadagar, dem Steinmann, an, der unbedingt seinen eigenen Weg gehen und nordwärts nach Lyrland ziehen will.

Dieses Unternehmen führt unseren Helden in Gebiete voller Tücken und Geheimnisse, voller Gefahren und Mysterien, und es gipfelt schließlich im Erkennen der ZEICHEN DES LICHTS ...

Die Hauptpersonen des Romans

Mythor – Der Sohn des Kometen in Lyrland.

Aeda, Sadagar und Necron – Die Nykerier auf den Spuren des Dämons Catrox.

Eseroc – Ein Luminat.

Deserich – Ein Lichtschreiber.

Tansar, Ormon und Arcor – Drei Yarlfänger.

1.

Er kam gereist auf Mondstrahlen.

Sein Name war Verheißung.

Sein Antlitz war wie Sonnenschein.

Seine Stimme war Wärme

Und sein Wort war Licht.

Er war Kraft und Herrlichkeit –

Nullum, der Prophet des Lichtboten.

(Aus den Wahren Schriften der Luminaten)

*

Schon gegen Mittag des ersten Fluchttags merkten sie, dass sie verfolgt wurden. Doch brauchten sie ihren Ritt nur zu verschärfen, um die Verfolger mühelos abzuschütteln. Da sie sich abseits von den Yarl-Straßen hielten und große Bogen um Siedlungen machten, hinterließen sie deutliche Spuren.

In der kommenden Nacht machten sie Rast auf einem baumbewachsenen Hügel, weil sie meinten, einen genügend großen Vorsprung herausgeholt zu haben. Doch dann riss sie das immer heftiger werdende Klappern ihrer Tokuane aus dem Schlaf, die mit ihren verhornten Schwanzstummeln auf den Boden trommelten und damit vor einer Gefahr warnten. Sie brachen ihr Lager ab und ritten noch vor dem Morgengrauen weiter. Und wieder hatten sie ihre Verfolger bald weit hinter sich gelassen.

Am Abend dieses Tages, als sie sich bereits in dichter besiedeltem Gebiet von Nordlyrland befanden und sich am Horizont die Staubwolke ihrer Verfolger zeigte, meinte Aeda:

»Wenn wir nichts unternehmen, werden sie uns bis nach Arylum folgen. Larboo ist besessen und kümmert sich wenig um das Schicksal der anderen. Er gehorcht nur den Befehlen von Catrox. Und dieser Dämon will uns um jeden Preis vernichten. Bringen wir die Sache hinter uns.«

»Aeda hat recht«, stimmte Sadagar zu. »Stellen wir uns der Auseinandersetzung hier, wo es keine Zeugen gibt. Wenn die Lyrer merken, dass wir mit diesen Räubern etwas zu schaffen haben, dann kann das unangenehm für uns werden.«

»Ihr habt recht«, stimmte Mythor zu. »Stellen wir Larboo eine Falle. Aber ich möchte ein Blutvergießen vermeiden.«

Sie ritten weiter, bis sie zu einem wasserarmen Flussbett kamen. Da beide Ufer staudenbewachsen waren, eignete sich diese Stelle vortrefflich für einen Hinterhalt.

Odam postierte sich mit seinen drei Schlackenhelm-Kriegern am diesseitigen Flussufer. Sie banden ein Seil um einen Baumstamm und legten es über den Weg, den die Verfolger kommen mussten. Ihre Tokuane wurden von den anderen mit ans gegenüberliegende Ufer genommen, wo sie sie versteckten.

Es dauerte nicht lange, bis die Verfolger auftauchten. Es handelte sich um etwa fünfzehn Tokuane, und jede der langbeinigen Echsen hatte zwei Reiter zu tragen. Nur der Anführer, in einen Burnus gehüllt und das Gesicht vermummt, hatte ein Reittier für sich allein. Er forderte seine Leute immer wieder mit schriller Stimme zu größerer Geschwindigkeit auf. Doch deren Tokuane konnten mit seinem Tier nicht Schritt halten.

Da tauchte der Anführer der Verfolger auf der Uferböschung auf und trieb sein Tier in die Furt. Odam und seine Leute warteten, bis er vorbei war, dann spannten sie das Seil und zurrten es fest. Die nachkommenden Tokuane bemerkten das Hindernis nicht, stolperten darüber und stürzten mit ihren Reitern über die Böschung.

Inzwischen hatte der vermummte Anführer das andere Ufer erreicht. Gerrek sprang aus seinem Versteck und spie dem Tokuan Feuer entgegen. Das verschreckte Tier bäumte sich auf, fiel zur Seite und begrub den Reiter halb unter sich. Aber er kam frei und stellte sich mit gezücktem Schwert zum Kampf. Er sah sich von fünf Gegnern umzingelt; Mythor, Gerrek und die drei Nykerier, Sadagar, Necron und Aeda, ließen ihm keine Fluchtmöglichkeit.

»Zu Hilfe, Männer!«, rief Larboo mit schriller Stimme. »Das ist ein Hinterhalt.«

Mythor hob sein Gläsernes Schwert und rief zum anderen Ufer hinüber:

»Bleibt, wo ihr seid, dann gewähren wir euch freien Abzug. Wir wollen euch nur vor Augen führen, was das für ein Wesen ist, dem ihr da gefolgt seid. Seht euch Larboo gut an!«

Mythor näherte sich dem Vermummten mit kreisender Klinge, und dieser versuchte vergeblich, Alton zu parieren. Mythor stieß plötzlich zu und riss dem anderen mit der Klinge das Gesichtstuch vom Kopf.

Die Männer, die sich am anderen Ufer postiert hatten, schrien auf, als sie in Larboos Gesicht blickten. Es hatte kaum noch menschliche Züge und wirkte wie aus Glas gegossen.

»Lasst euch nicht narren!«, schrie Larboo mit einer Stimme, die plötzlich so hohl klang, als käme sie aus der fernen Schattenzone. »Aeda hat euch verraten. Tötet sie!«

Aber die Männer machten keine Anstalten, seiner Aufforderung nachzukommen. Larboo eilte ihnen einige Schritte entgegen, zögerte jedoch, als sie vor ihm zurückwichen. Mythor setzte nach und trieb ihn mit dem Gläsernen Schwert vor sich her.

»Da habt ihr euren Anführer«, rief er ihnen zu.

Larboo heulte wie ein Wolf. Er taumelte vorwärts, immer auf der Flucht vor der gläsernen Klinge Altons. Er fiel hin, brüllte vor Wut und Hass, raffte sich wieder auf und stapfte weiter durch das träge dahinfließende Wasser.

»Kämpft!«, schrie er seinen Leuten zu. »Aeda ist eine Verräterin. Jetzt führe ich euch an.«

Mythor blieb stehen, als Larboo seine Männer erreicht hatte. Rückwärts gehend zog er sich auf die andere Seite des Flusses zurück. Er sah, wie sich der Kreis der Männer, die sich zuerst furchtsam zurückgezogen hatten, enger um Larboo schloss. Der Dämon in ihm tobte und schrie, und das rüttelte die Männer wach. Sie hatten den Besessenen, in dem sie für kurze Zeit ihren neuen Anführer gesehen hatten, umringt – und nun hoben sie die Waffen gegen ihn.

Ein furchtbarer Schrei hallte über die Flusslandschaft.

Mythor wandte sich ab. Er sah, dass Odam und seine drei Krieger wieder zu ihnen gestoßen waren.

»Nichts wie weg von hier«, sagte der Sohn des Kometen. »Wer weiß, ob es sich dieses Räubergesindel nicht noch anders überlegt.«

Sie bestiegen ihre Tokuane und setzten ihren Weg in nördlicher Richtung fort.

»Aeda!«, hörten sie einen der Räuber rufen. »Aeda, warum lässt du uns im Stich?«

Die Nykerierin zügelte ihren Tokuan, legte die Hände wie einen Trichter an den Mund und rief zurück:

»Aeda, die Rote, gibt es nicht mehr. Ich will nur noch eine Nykerierin sein – Aeda, die Steinfrau!«

Sie schloss zu den anderen auf und drängte ihren Tokuan zwischen Sadagar und Necron. Mythor stellte mit einem Seitenblick fest, dass Tobar, der Tatase nicht von Necrons Seite wich. Das behagte ihm nicht recht, wie ihm so manches andere nicht gefiel, das sich abzuzeichnen begann, seit die drei Nykerier zusammengefunden hatten.

Aber bei aller Rivalität, die die drei aus einem anderen, glücklicheren Leben in diese Zeit herübergenommen hatten, gab es etwas, das sie zu einer festverschworenen Gemeinschaft machte: Die Aufgabe, den Dämon Catrox zur Strecke zu bringen und mit dieser Tat ihr Volk von großem Ungemach zu befreien. Die Samtjacken und Messergurte, die sie einheitlich trugen, waren zusätzlich ein äußerliches Merkmal ihrer Zusammengehörigkeit. Tobar unterschied sich schon allein dadurch von ihnen. Sie hatten ihn nur in ihren Bund aufgenommen, weil der Dämon Catrox über seine Heimat Tata herrschte und sie sich von ihm wichtige Informationen erhofften; sie nutzten ihn aus.

Mythor verurteilte Sadagar nicht dafür, dass er sich von ihm absonderte, er fand es nur schade um ihrer alten Freundschaft willen.

*

Sie ritten bis zum Einbruch der Nacht durch, die hier, so nahe der Schattenzone, ganz plötzlich und ohne Dämmerung kam. Ihr Lager schlugen sie absichtlich in der Nähe eines einzelnen Yarls auf, der in einer Senke äste. Der Rückenpanzer des Yarls war frei bis auf ein bescheidenes Häuschen, das dem Yarl-Führer als Unterkunft diente. Das verriet wenigstens, dass es sich um kein Wildtier handelte. Vermutlich gehörte der Yarl einem Fänger, der ihn erst vor kurzem gebändigt hatte.

Es war eine wolkenlose Nacht, die dünne Sichel des Neumonds stand eine Handbreit über der schwarzen Wand der Düsterzone, aber zusammen mit den Sternen spendete er genügend Licht, dass man sich in dem unwegsamen Gelände zurechtfinden konnte.

Mythor bat Odam, ihn zu dem Yarl zu begleiten, um von dem Besitzer einige Auskünfte einzuholen. Bisher hatten sie noch keinen Kontakt zu den Nordlyrern gehabt. Als sie tags zuvor an einem einsamen Gehöft haltgemacht hatten, mussten sie erfahren, dass die Nordlyrer vor Fremden eine Scheu besaßen, die schon an Feindseligkeit grenzte. Aus dem Innern des Hauptgebäudes hatte ihnen eine Männerstimme zugerufen: »Verschwindet, Fremde!« Zu sehen hatten sie niemanden bekommen, und so mussten sie unverrichteter Dinge weiterziehen.

»Du bist noch schweigsamer als früher, Odam«, sagte Mythor auf dem Weg zu dem Yarl und betrachtete Odams Silhouette vor dem Sternenzelt. Die bizarren Umrisse seines Schlackenhelmes erweckten fast den Eindruck, als trage er eine Burg zwischen den Schultern.

»Ich habe alles gesagt«, antwortete Odam einsilbig.

Ja, Odam, den er vor über eineinhalb Jahren bei der Übergabe seiner Braut, Prinzessin Shezad, kennenlernte, hatte ihm alles Wichtige erzählt. Dass er zusammen mit Necron aufgebrochen war, um den Spuren des Meisterritters Guinhan in die Schattenzone zu folgen, in der Hoffnung, Carlumen zu finden ... Dass Luxon zum Shallad gekrönt worden war ... Dass ein Magier aus einem fernen Westreich die Neue Flamme von Logghard entführt hatte und dass Luxon Vorbereitungen für einen Feldzug gegen dieses Reich der Zaketer traf ... Ja, und dass Odam und Necron Albtraumritter waren und damit einem Orden angehörten, von dem es hieß, dass er längst nicht mehr existierte – Coerl O'Marn soll der letzte Albtraumritter gewesen sein.

Odam enthielt ihm nichts von seinem Wissen vor, aber über persönliche Dinge hatten sie nicht gesprochen. War es natürlich, dass man sich nach eineinhalb Jahren Trennung entfremdete? Es war aber auch möglich, dass sich Odam einfach darum sorgte, dass Necron aus dem Orden der Albtraumritter austreten könnte.

Sie erreichten den Yarl, der sich in den Boden gegraben hatte, so dass nur sein Rückenpanzer daraus hervorsah. In dem Führerhäuschen regte sich nichts.

»Ist da jemand?«, rief Mythor hinauf.

»Dumme Frage«, kam es mürrisch von oben, und dann erschien ein von grauem Haar umwölktes Haupt in einem Seitenfenster. »Ich habe schon längst an eurem Geruch erkannt, dass ihr Fremde seid, und eure Frage bestätigt mir das. Welcher Fänger lässt seinen Yarl schon allein sterben?«

Mythor war betroffen, weil er nicht bemerkt hatte, dass das Tier verendet war.

»Können wir etwas für dich tun, Fänger?«

»Ihr könnt mich in Ruhe lassen«, antwortete der Alte.

»Wir möchten dich nur um einige Auskünfte bitten, dann ziehen wir uns zurück«, rief Mythor hinauf.

»Schert euch fort!«

»Kennst du Tansar, Ormon und Arcor?«, fragte Mythor. »Wir haben die drei Yarlfänger an der Straße des Bösen kennengelernt und ihnen geholfen. Wir sind Freunde.«

»Tansar! Ormon! Arcor!«, sagte der Alte, jeden Namen besonders betonend. »Wer kennt die nicht. Tüchtige Burschen. In jungen Jahren war ich auch erfolgreich. Aber jetzt erlebe ich nur noch Enttäuschungen ... Ich glaube, ich werde ein Luminat. Seht diesen Yarl, ist es nicht ein Prachttier? Den ganzen Herbst über habe ich gegen ihn gekämpft, bis ich ihn endlich gezähmt hatte. Ich dachte, dass ich ihn noch rechtzeitig zum Markt nach Arylum bringen könnte. Aber dann ist er plötzlich zusammengebrochen. Ich habe noch nie zuvor einen größeren Yarl gesehen, aber er war schon zu alt ... so wie ich. Ich werde auf seinem Rücken überwintern. Grüßt Tansar, Ormon und Arcor von Babacam.«

»Wie lange ist es noch bis Arylum?«, fragte Mythor.

»Ihr habt Tokuane, schnelle Tiere, ich habe es an ihrem Galopp gehört«, sagte Babacam. »Noch einen Tagesritt. Aber was wollt ihr als Fremde in Arylum? Wisst ihr nicht, dass die Fastenzeit begonnen hat?«

»Vielleicht suchen wir eine Überfuhr nach Tata«, meinte Mythor.

Der Alte stieß einen krächzenden Laut aus und meinte dann:

»Das ist ein böser Scherz. Lasst die Toten ruhen. Tata gibt es schon seit einem Menschenalter nicht mehr. An Stelle der Insel klafft ein riesiges Nebelloch, das alles verschlingt.«

Mythor war für einen Moment sprachlos, dann sagte er:

»Das kann nicht sein. Wir haben mit eigenen Augen gesehen, wie Yarltransporte auf der Straße des Bösen tatasische Sklaven zur Schattenzone bringen. Wir haben selbst gegen die Dämonendiener gekämpft.«

»Friede den Toten«, sagte Babacam salbungsvoll, dann fügte er zurechtweisend hinzu: »Es ist nicht recht, die Toten zu verleumden und falsches Zeugnis wider sie abzulegen. Was ihr gesehen habt, war der Einzug der Tatasen in die Ewigkeit. Kein Lyrer würde es wagen, die Straße der Toten zu entehren.«

Nun wurde Mythor klar, wie es den tatasischen Dämonenpriestern möglich war, ihre Opfer ungehindert durch fremdes Land in die Schattenzone zu verschleppen. Die Lyrer verschlossen sich einfach vor der Wahrheit und verschanzten sich hinter einem Lügengebilde, um ihr Gewissen nicht zu belasten.

»Warum seid ihr gegen Fremde so abweisend?«, fragte Mythor.

»Lyrland ist ein geheiligter Boden«, kam die Antwort. »Wer dies beherzigt und wer unsere Gesetze befolgt, der ist gar nicht mehr fremd. Merkt euch das. Und noch etwas. Wenn ihr wirklich nach Arylum zieht, dann kehrt erst einmal in der Herberge von Morik ein. Er ist ein guter Freund von mir und wird euch aufnehmen, wenn ihr meinen Namen nennt. Aber kommt ihm nicht mit dummen Fragen! Und jetzt lasst mich in Frieden.«

Mythor und Odam kehrten zum Lager zurück. Als Mythor den anderen erzählte, was er über Tata erfahren hatte, sprang Tobar, am ganzen Körper zitternd, auf die Beine und rief in höchster Erregung:

»Er lügt! Er lügt! Tata lebt. Wir sind nicht tot, nur geknechtet.« Er beruhigte sich allmählich wieder und fragte Mythor mit bebender Stimme: »Hast du dich ihm zu erkennen gegeben? Hast du dem Lyrer gesagt, dass du der Sohn des Kometen bist?«

»Ich werde mich hüten«, sagte Mythor. »Und du wirst auch den Mund halten, Tobar.«

Aeda legte dem jungen Tatasen die Hand auf die Schulter und führte ihn zu Necron und Sadagar. Sie drehte sich dabei nach Mythor um und lächelte ihm maliziös zu.

Und während er noch ihren Blick erwiderte, bekam ihr Gesicht auf einmal sanfte Züge. Ihr brandrotes Haar hellte sich auf, floss ihr wie Gold über das sanfte, blasse Oval auf die Schultern.

Aeda wurde zu Shaya ...

Mythor schüttelte den Kopf, zwinkerte, und da war das Trugbild wieder verschwunden.

*

Shaya kam später in der Nacht wieder, sie suchte Mythor in seinen Träumen auf.

Sie trafen einander an einem seltsamen Ort. Er hatte keinen Namen und er lag irgendwo zwischen Nacht und Dämmerung. Die Landschaft war nicht zu beschreiben, eigentlich gar nicht mit den Augen zu erfassen. Sie erstreckte sich endlos, wölbte sich nach allen Seiten in die Höhe, über Mythors Kopf hinweg und schloss sich wieder in sich selbst.

Die Landschaft war auch üppig. Mythor kannte keines der Gewächse, die sich um ihn rankten und bauschten, ihn von allen Seiten einengten, sich aber sanft beiseite neigten, wenn ihm nach Bewegung war. Und aus diesen Pflanzen wuchs Shaya. In ihrem Goldhaar funkelte Tau, es mochten auch Perlen der Crusen sein, oder Splitter vom DRAGOMAE, Sterne aus den Augen von Verliebten – wie auch immer, ihre Zahl war 21. Aber das Gefunkel wurde immer weniger, elf, zehn, neun, acht ...

»Willst du dich damit zufriedengeben?«, fragte Shaya sanft. »Die Acht ist eine gerade Zahl, sie hat kaum Bedeutung. Neun wäre fürs erste richtig, denn hat nicht auch der Monde neun das Ungeborene. Es ist die Zahl des werdenden Lebens. Fünf ist die Zahl Darkons – noch –, denn er trägt noch fünf Mummen.«

»Ich werde sie ihm nehmen«, sagte Mythor voll innerer Überzeugung. Aber kaum waren die Worte verhallt, da kamen ihm Zweifel, regte sich die innere Stimme, die aus der Landschaft zu ihm herüberspottete: »Und wie stellst du das an?«