Mythor 131: Der goldene Strom - Paul Wolf - E-Book

Mythor 131: Der goldene Strom E-Book

Paul Wolf

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Beschreibung

Mythor, der Sohn des Kometen, begann vor rund zweieinhalb Jahren seinen Kampf gegen die Mächte des Bösen in Gorgan. Dann wurde der junge Held nach Vanga verschlagen, der von Frauen beherrschten Südhälfte der Lichtwelt. Und obwohl in Vanga ein Mann nichts gilt, verstand Mythor es nichtsdestoweniger, sich bei den Amazonen Achtung zu verschaffen und den Hexenstern zu erreichen, wo er endlich mit seiner geliebten Fronja zusammenkam. Inzwischen haben der Sohn des Kometen und seine Gefährten, zu denen neben Fronja, der ehemaligen Ersten Frau von Vanga, eine beachtliche Streitmacht zählt, Carlumen, die Fliegende Stadt des legendären Caeryll, in Besitz genommen und mit diesem ehemaligen Fahrzeug des Lichts schon eine wahre Odyssee innerhalb und auch außerhalb der Schattenzone hinter sich. Gegenwärtig ist Mythor damit beschäftigt, sich mit den in seinem Besitz befindlichen DRAGOMAE-Kristallen vertraut zu machen und deren magische Kräfte auszuloten. Außerdem trachtet er danach, die in der Starre des Scheintods verharrenden Carlumer - und dabei handelt es sich um die Mehrzahl der Bewohner der Fliegenden Stadt - wieder zu beleben und handlungsfähig zu machen. Der Ort, an dem dies vollzogen werden kann, ist DER GOLDENE STROM ...

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Nr. 131

Der goldene Strom

von Paul Wolf

Mythor, der Sohn des Kometen, begann vor rund zweieinhalb Jahren seinen Kampf gegen die Mächte des Bösen in Gorgan. Dann wurde der junge Held nach Vanga verschlagen, der von Frauen beherrschten Südhälfte der Lichtwelt. Und obwohl in Vanga ein Mann nichts gilt, verstand Mythor es nichtsdestoweniger, sich bei den Amazonen Achtung zu verschaffen und den Hexenstern zu erreichen, wo er endlich mit seiner geliebten Fronja zusammenkam.

Inzwischen haben der Sohn des Kometen und seine Gefährten, zu denen neben Fronja, der ehemaligen Ersten Frau von Vanga, eine beachtliche Streitmacht zählt, Carlumen, die Fliegende Stadt des legendären Caeryll, in Besitz genommen und mit diesem ehemaligen Fahrzeug des Lichts schon eine wahre Odyssee innerhalb und auch außerhalb der Schattenzone hinter sich.

Gegenwärtig ist Mythor damit beschäftigt, sich mit den in seinem Besitz befindlichen DRAGOMAE-Kristallen vertraut zu machen und deren magische Kräfte auszuloten. Außerdem trachtet er danach, die in der Starre des Scheintods verharrenden Carlumer – und dabei handelt es sich um die Mehrzahl der Bewohner der Fliegenden Stadt – wieder zu beleben und handlungsfähig zu machen.

Der Ort, an dem dies vollzogen werden kann, ist DER GOLDENE STROM ...

Die Hauptpersonen des Romans

Mythor – Der Sohn des Kometen als Zauberlehrling.

Sadagar – Mythors Kampfgefährte im Stromland.

Boozam – Schleusenwärter am Goldenen Strom.

Dori, Mauci und Cogi – Boozams treu ergebene Kaezinnen.

Oskek

1.

»Was macht kleines Kätzchen für miese Mätzchen!«, rief der Fallensteller geifernd. Er rieb sich die dunkelfleckigen Hände und sog den Speichel ein; er lachte dabei, und das ergab ein widerwärtiges Geräusch aus Schlürfen und Glucksen.

Dori zeigte die Krallen, aber sie erreichte ihn damit nicht. Ihre Oberarme waren mit Schlingpflanzen an den Körper gefesselt, und der heimtückische Auenplünderer ging gerade daran, ihren Körper mit weiteren Schmarotzerpflanzen einzuschnüren. Dabei musste er sie umlaufen, denn er war mit den blutsaugenden Lianen verwachsen.

»Hast schönes Fell, Kätzchen, mein Schätzchen!«, rief er gurgelnd, und dann stieß er den Lockruf eines Kaezerichs aus. Er konnte den Laut perfekt nachahmen, darum war Dori auch darauf hereingefallen.

Ihr sträubte sich das Nackenfell in ohnmächtigem Zorn. Ihre grünen Augen funkelten, sie bleckte die Zähne. Aber das half ihr nicht aus der misslichen Lage.

Der Fallensteller war vorsichtig. Offenbar hatte er Erfahrung im Umgang mit Kaezinnen und wusste, wie gefährlich sie werden konnten. Er war schlau und verstand sich meisterhaft aufs Tarnen und Täuschen. Darum war Dori auch in seine Falle getappt.

Trotz der drohenden Gefahr, das Fell zu verlieren, empfand sie mehr Scham als Angst. Sie ärgerte sich, weil sie den Trick des Fallenstellers nicht durchschaut hatte. Und sie fürchtete sich schon jetzt vor den ätzenden Bemerkungen ihrer Gefährtinnen Cogi und Mauci.

Dori gelang es, eine der Lianen mit den Krallen zu durchtrennen. Der Fallensteller schrie vor Schmerz auf, und Dori hoffte, dass ihn das blindwütig machen würde.

»Ich werde es dir schon zeigen!«, rief er heulend und peitschte eine weitere Liane gegen sie. »Ich hole mir dein wunderbares Fell.«

Dori biss zu. Sie spürte, wie sich die Saugnäpfe der Schmarotzerpflanze an ihren Lippen festsogen, und es kostete sie einige Überwindung, sie nicht einfach wieder auszuspeien. Aber sie überwand ihren Ekel und biss stärker zu.

Etwas quoll ihr in den Mund. Die abgetrennte Liane zuckte zwischen ihren Zähnen, sie spuckte den Stummel aus. Der Fallensteller schrie wiederum.

Dori spürte, wie sich die Fessel um ihren Körper lockerte. Sie blähte sich auf, und dann machte sie sich urplötzlich ganz dünn.

Sie war frei!

So flink sie konnte, tauchte sie unter den Schmarotzerpflanzen durch, schlüpfte aus der Umklammerung und brachte sich mit einem mächtigen Satz in Sicherheit. Hinter ihr heulte der Auenräuber vor Wut und Schmerz.

Dori kletterte auf einen Baum und versteckte sich in einer Astgabel. Von dort beobachtete sie, wie der Fallensteller alle seine pflanzlichen Arme ausschickte, um sie wieder einzufangen.

Der Fallensteller war jetzt völlig entblößt. Er war ein hässlicher Gnom, breiter als groß, mit einem verhornten Schädel und kurzen, stummelartigen Armen und Beinen und Schwimmhäuten zwischen den Greifwerkzeugen. Dori konnte ganz deutlich die Triebknoten sehen, es waren ihrer Dutzende, wo die Schmarotzerpflanzen mit seinem Körper verwachsen waren.

In seiner Verzweiflung stieß der Fallensteller immer wieder den Lockruf des Kaezerichs aus, aber nun fiel Dori natürlich nicht mehr darauf herein.

Sie wartete einen günstigen Augenblick ab, dann sprang sie in die Tiefe. Sie landete im Nacken des abscheulichen Gnomen und verbiss sich darin, bis der Fallensteller leblos unter ihr lag.

Die Schmarotzerpflanzen zuckten nun unkontrolliert auf der Suche nach ihrem Opfer. Aber für Dori bedeutete das keine Gefahr. Sie sprang zu einem tiefhängenden Ast hinauf, schlich diesen bis zu seinem Ende entlang und sprang von dort in die Krone des nächsten Baumes.

Dies wiederholte sie einige Male, bis sie weit genug vom Schauplatz des Kampfes entfernt war. Dann suchte sie sich ein gemütliches Plätzchen, wo sie sich in aller Ruhe waschen und ihre Wunden lecken konnte.

*

Närrin, die du bist, schalt sie sich selbst. Warum musstest du auch unbedingt wie eine Verrückte dem Lockruf eines Kaezerichs nachlaufen.

Sie musste sich diese Selbstvorwürfe machen, um sich darauf einzustimmen, was sie von Cogi und Mauci zu erwarten hatte. Die würden Boozam gegen sie aufstacheln. Sie hatten sie ja auch gewarnt.

Doch Dori hatte alle Warnungen in den Wind geschlagen und war dem Lockruf gefolgt. Als sie dann einen verführerisch duftenden Blütenstock erreichte und ihn als Ursprung der Rufe erkannte, hatte sie geglaubt, der scheue Kaezerich habe sich darunter versteckt.

Buckelnd und schnurrend war sie um das Versteck herumgeschlichen und hatte das Spiel der Verführung begonnen.

»Versteck dich nicht, du kleiner Kaezerich, wie du dich auch sträubst, trotzdem bekomm ich dich«, hatte sie gesungen und war dann ihrerseits zur Liebeswerbung übergegangen: »Kaezerich, Kaezerich komm heraus, sonst kratz' ich dir die Augen aus.«

»Hier bin ich, liebstes Kätzchen, jetzt halten wir ein Schwätzchen«, hatte ihr der vermeintliche Kaezerich geantwortet, und dann seine Tarnung fallengelassen.

Die Ranken des Blütenstocks waren auf einmal zu Fangarmen geworden, die blitzschnell nach ihr griffen. Die duftenden Blüten hatten sich in blutgierige Schlünde verwandelt und sich an ihrem Körper festgesaugt.

Als Dori zu einer Gegenwehr fähig war, da war es schon zu spät, und der Fallensteller hatte sie verhöhnt:

»Was macht kleines Kätzchen für miese Mätzchen!«

Er hatte es natürlich auf ihr kostbares Fell abgesehen.

O, wie sie sich schämte. Dieses Abenteuer hatte nicht nur ein paar Schrammen eingebracht, sondern es würde sie auch zum Ziel des Spotts ihrer Gefährtinnen machen. Und wenn Boozam von ihrem Ausflug erfuhr, dann war auch eine gehörige Abreibung fällig.

Dori hatte sich gewaschen und ihr Fell, so gut es ging, wieder in Ordnung gebracht. Der Vorteil bei den Fallenstellern war, dass sie darauf achteten, das Fell ihrer Opfer nicht zu beschädigen, um einen besseren Preis dafür zu erzielen. Dori konnte also noch von Glück sagen, dass sie nicht einem der anderen Strandläufer aufgesessen war, die die dunklen Auen des Goldenen Stroms unsicher machten.

Trotzdem hatte sie einige Blessuren abbekommen, die ihrer Schönheit Abbruch taten; und ihr taten alle Knochen im Leibe weh.

Sie wagte es nicht, sofort heimzukehren. Wenn sie schon mal unterwegs war, konnte sie auch gleich für eine Weile draußen bleiben. Es hatte keinen Einfluss auf das Ausmaß der Bestrafung, ob sie früher oder später Boozam unter die Augen trat.

Dori merkte erst jetzt, dass ihr Weg sie nicht näher an den Goldenen Strom gebracht hatte, sondern dass sie sich ins Grenzland der Schattenzone begeben hatte.

Hier war die Luft bleiern schwer. Die Düsternis trieb in wogenden Schwaden durch eine bizarre Landschaft, in der die Pflanzen wie versteinert wirkende Gebilde waren und der löchrige Boden, voller Tücken und versteckter Brutnester allesverschlingender Lebensformen, eine Brücke zu einer unüberwindlichen Wand bildete: dem Grenzwall der Schattenzone.

Diese Barriere, so unverrückbar und unüberwindlich sie auch wirkte, befand sich in ständiger Bewegung. Dori hatte hier nichts verloren, aber sie kam gelegentlich hierher, um sich dieses elementare Schauspiel anzusehen und gelegentlich auch einen Blick ins Dahinter zu erhaschen.

Manchmal sah es so aus, als bestünde der Wall, der die Schattenzone begrenzte, aus mehreren Schichten kristalliner Gebilde, die sich willkürlich gegeneinander verschoben. In die Zwischenräume schienen Flüssigkeiten, Gase und feste Körper der verschiedensten Farbschattierungen eingeschlossen, die dauernden Veränderungen unterworfen waren.

Es geschah, dass die Schichten der Barriere brachen und sich die verschiedenen Stoffe miteinander vermischten, wobei es dann zu den unglaublichsten Erscheinungen und Effekten kam. Zumeist waren sie tödlich für jene, die in ihren Einflussbereich gerieten.

Dori hatte es aber auch schon erlebt, dass der Wall glasklar und durchscheinend wurde, so dass sie sehen konnte, was sich in jenseitigen Bereichen tat. Ihr Blick reichte bei solch seltenen Gelegenheiten aber nicht weit genug, um etwas von den Vorgängen in dem Land sehen zu können, das man gemeinhin als »Lichtwelt« bezeichnete. Sie bekam nur Einblick in den Lebensbereich jener entarteten Kreaturen, die weder ins Licht noch ins Dunkel gehörten und ihr Dasein hart an der Schattenzone fristeten. Es handelte sich zumeist um abstruse Lebensformen, wie man sie entlang des Goldenen Stromes nicht fand. Es lebten hier aber auch einige Ausgestoßene, ehemalige Stromlandbewohner, die gegen die Gesetze gehandelt hatten und mit Verbannung bestraft worden waren.

Während dieser Überlegungen hatte Dori noch einmal ihre Wunden geleckt. Nun verließ sie ihren Rastplatz und suchte sich einen Weg über die löchrige Landbrücke hin zu dem Mahlstrom, der die Grenze der Schattenzone bildete.

Plötzlich durchstieß ein mächtiger Schatten die Barriere. Im Sog wallender Gase reckte sich etwas wie ein riesiges Maul Dori entgegen. Im ersten Moment zuckte sie angstvoll zurück. Doch als sie erkannte, dass das Monstrum an der letzten Hürde scheiterte, zeigte sie ihm Zähne und Krallen, stellte die Haare auf und schrie ihm ihre Verhöhnung entgegen.

Das Untier, so groß wie Boozams Boje, wand sich wie unter Qualen, das riesige Maul schnappte ins Leere. Aber dann stieg von tief unten eine schäumende Woge herauf und schwemmte das Ungetüm fort.

Dori klammerte sich mit den Krallen an den schwammigen Untergrund, bis die orkanartige Druckwelle abgeebbt war.

Sie eilte geschmeidig weiter; eigentlich hatte sie genug von den urgewaltigen Erscheinungen am Grenzwall der Schattenzone. Es zog sie in die Behaglichkeit der Boje zurück, auch wenn dort ein ähnlich elementares Gewitter sie erwarten würde.

Kaum hatte sie diesen Entschluss gefasst, da klarte die Barriere unvermittelt auf. Dori blieb gebannt stehen. Ihr Blick reichte nun weit in den jenseitigen Bereich hinein. Der Grenzwall war auf einmal noch klarer als der Goldene Strom zur Ebbe.

Und was sie sah, ließ sie den Atem anhalten.

Da flog etwas durch die Luft, das einen Kopf wie ein gehörntes Tier hatte. Aber es war kein Tier, zu starr und unbeweglich war sein Körper, und der nach oben gebogene Schwanz, einem weiteren Horn nicht unähnlich, endete in einer weiten, trichterförmigen Öffnung.

Nein, das war kein Tier, es war ein Fahrzeug. Im »Nacken« trug es einen Geschützturm, und auf seinem »Rücken« erhoben sich stufenförmige Gebäude.

Dieses Schiff kam von irgendwo aus dem Jenseits, vielleicht sogar aus der Lichtwelt, geradewegs auf den Grenzwall zu. Es schien, als solle der Bugschädel als Rammbock dienen und die undurchdringliche Barriere durchbrechen. Das musste zur Katastrophe führen!

Bevor es jedoch zu dem von Dori befürchteten Aufprall kam, wurde das Gefährt am Bug von einer Strömung hochgehoben und fast senkrecht in die Höhe gerissen.

Die Kaezin hörte förmlich das infernalische Knirschen, als das Gefährt mit dem Kiel über die raue Oberfläche der Barriere schlitterte.

Es blitzte und donnerte. Dunkle Rauchschwaden verdichteten sich zu finsteren Wolken und verdüsterten den jenseitigen Bereich und die Barriere selbst.

Dori konnte nichts mehr sehen. Aber für sie stand außer Frage, dass die Fahrt dieses seltsamen Gefährts irgendwann mit seiner Zerstörung enden würde.

Sie kehrte zur Boje zurück, ohne einen weiteren Gedanken an diesen Zwischenfall zu verschwenden.

Zu Hause angekommen, sich auf leisen Sohlen und voll banger Erwartung in die Boje schleichend, erwartete sie eine Überraschung.

Boozam schlief, und Mauci und Cogi versicherten ihr, dass er keine Ahnung von ihrem heimlichen Ausflug hatte. Und dann, als sie ihr zerzaustes Fell und die vielen Schrammen sahen, bedrängten sie sie voll unverhohlener Neugierde, ihnen doch von ihrem Erlebnis mit dem Kaezerich zu erzählen.

Dori dachte sich eine Geschichte aus, mit der sie den Erlebnishunger ihrer Gefährtinnen stillen und sie neidisch machen konnte.

2.

Als die Fliegende Stadt Nykerien verließ, befanden sich die Carlumer in tiefem Schlaf. Carlumen nahm Kurs gen Süden, in Richtung Schattenzone, Meere und unbekannte Länder wurden überflogen, und die Carlumer schliefen. Und sie waren noch immer erstarrt in todesähnlichem Schlaf, als man nach mehrtägiger Fahrt in die Düsterzone einflog.

Es gab nur einige wenige an Bord, die nicht den einschläfernden Trank Cronims, des Wächters der Toteninsel von Tata, genossen hatten, oder die zumindest nicht mehr unter seiner Wirkung standen.

Steinmann Sadagar war einer von ihnen, aber manchmal fragte er sich, ob er als Schläfer nicht besser drangewesen wäre.

Dann wäre er nach dem Sieg über den Dämon Catrox nicht voller Hoffnungen nach Nykerien gekommen. Dann hätte er nicht erfahren müssen, dass die Lichtgötter das Urteil über die Nykerier nicht aufgehoben hatten – und der Anblick der Tausende und Abertausende versteinerter Menschen wäre ihm erspart geblieben.

»Kleiner Nadomir, verstehst du es, wie Lichtgötter so hartherzig sein können?«

Diese Frage hatte Sadagar dem Troll während des Fluges oft und oft gestellt. Aber der Kleine Nadomir konnte nicht antworten, auch er war in scheintotem Schlaf erstarrt.

Dennoch kam Sadagar gelegentlich in die Gemeinschaftsunterkunft, in der die Körper einiger Schläfer untergebracht waren. Dazu gehörten neben Robbin und Tertish und ihren Amazonen auch Mokkuf, sein Waffenträger Hukender und Joby, der Junge aus Anagon, der Stadt der Diebe. Die Rohnen waren dagegen im Wohnbezirk untergebracht.

Es war Aufgabe der sieben Wälsenkrieger unter ihrem Hepton Berbus, die Schläfer unterzubringen, sie zu bewachen und nach ihnen zu sehen. Das war eine Aufgabe, die ihnen gar nicht behagte, sie hätten viel lieber gekämpft, denn der Kampf war ihr Leben. Und obwohl sie kein Wort darüber verloren, wusste Sadagar, dass sie am liebsten Carlumen verlassen hätten. Sie blieben nur, weil Not am Mann war.

Denn außer ihnen waren nur noch Mythor, Fronja und Glair, Gerrek, Cryton und der Rohne Proscul wach. Und natürlich er, Sadagar.

»Steinmann Sadagar!«, sagte er laut zum Kleinen Nadomir, obwohl er ihn nicht hören konnte. Sadagar deutete auf die Pelztasche, in die Nadomir die Hände versenkt hatte, und fuhr fort: »Hast du darin keinen Zauber, mit dem man dich wachkriegen könnte? Glair und Fronja haben es mit dir versucht, so wie mit den anderen, etwa mit Robbin und dem Aasenpärchen. Doch es hat nichts geholfen. Nur mit Cryton hatten sie Glück. Aber der ist auch ein ehemaliger Götterbote.«

Sadagar setzte sich an den Rand des Lagers, auf dem der kleine steife Körper des Königstrolls ruhte.

Er dachte an den Abschied von Necron und Aeda und Gaphyr, die mit Mescal und Jente und Odam und seinen drei Kriegern, alle vier ebenfalls todesstarr, in Nykerien zurückgeblieben waren. Necron, völlig verbittert, hatte geschworen, dass er nur noch Albtraumritter sein wolle. Darum sei sein Platz nicht auf Carlumen, hatte er gesagt, denn er verfolge andere Ziele als Mythor. Necron hatte die Absicht kundgetan, sich mit Luxon in Verbindung zu setzen und alles zu tun, um Odam wachzukriegen.

»Hätte ich in Nykerien bleiben sollen – bei meinem Volk?«, fragte Sadagar. Er schüttelte den Kopf und gab sich die Antwort selbst: »Nein, in Nykerien gab es nichts mehr für mich zu tun. Wenn ich meinem Volk helfen will, dann muss ich mich zum Sitz der Lichtgötter begeben, um sie zur Rechenschaft zu ziehen. Und wenn dies überhaupt möglich sein kann, dann erreiche ich dieses Ziel nur an Mythors Seite. So dachte ich zuerst. Aber mit Mythor ist nichts anzufangen, seit er sich nur noch mit seinen Zauberkristallen beschäftigt. Sonst scheint für ihn nichts zu existieren. Er ist zu einem Stubenhocker geworden ...«

»Ganz meine Meinung!«, erklang eine bekannte Stimme hinter Sadagar. »Er spielt damit wie ein Kind.«

Ohne aufzublicken, sagte Sadagar:

»Schleichst du mir nach, Gerrek? Du meinst wohl immer noch, dass ich Aufmunterung durch dich brauche. Ich bin wieder der alte.«