Nach innen lauschen - Richard Stiegler - E-Book

Nach innen lauschen E-Book

Richard Stiegler

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  • Herausgeber: Arbor
  • Kategorie: Ratgeber
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2020
Beschreibung

Jeder spirituelle Weg braucht eine Praxis, sonst bleibt unser Verständnis oberflächlich. Erst die Auseinandersetzung mit Praxisformen, auf die wir uns einlassen, an denen wir uns reiben und in welchen sich unsere seelische Entwicklung entfalten kann, führt dazu, dass sich spirituelle Einsichten vertiefen und verinnerlichen. In diesem Buch werden drei grundlegende Formen der spirituellen Praxis behandelt, die alle in der Grundhaltung des "Lauschens" - einem vertieften Zuhören - wurzeln. In der Praxis der stillen Meditation steht das Gewahrsein im Zentrum, in der Praxis des Inneren Erforschens wird unsere Aufmerksamkeit auf die schöpferische Lebendigkeit unserer Seele gerichtet und in der Praxis des Zuhörens stehen unsere Beziehungen im Mittelpunkt. Nach einer kurzen Einführung in die jeweilige Praxisform folgen Inspirationen mit konkreten Anregungen. So wird dieses Buch zu einem Praxisbuch - einem Wegbegleiter für die tägliche spirituelle Praxis.

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Seitenzahl: 213

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Richard Stiegler

Nach innen lauschen

Richard Stiegler

Nach innen lauschen

Inspirationen für die spirituelle Praxis

Für meine Schülerinnen und Schüler

© 2014 Arbor Verlag GmbH, Freiburg

Alle Rechte vorbehalten

2. Auflage 2015

E-Book 2020

Titelfoto: Bronzeskulptur „Kontemplation“

aufgenommen im „Museum der Moderne“ in Salzburg mit freundlicher Genehmigung der Künstlerin Helga Vockenhuber; www.helga-art.at

Zitat S. 9: Hermann Hesse, Siddhartha, in: ders., Sämtliche Werke in 20 Bänden. Herausgegeben von Volker Michels, Band 3: Roßhalde, Knulp, Demian, Siddhartha, S. 413. © Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main 2001. Alle Rechte bei und vorbehalten durch Suhrkamp Verlag Berlin.

Lektorat: Lothar Scholl-Röse

Hergestellt von mediengenossen.de

E-Book-Herstellung und Auslieferung: Brockhaus Commission, Kornwestheim, www.brocom.de

www.arbor-verlag.de

ISBN E-Book: 978-3-86781-307-5

Einführung

Teil eins   Die stille Meditation

  1 Was ist Meditation?

Grundaspekte der Meditation

  2 Sein

  3 Gegenwärtigsein

  4 Offensein

  5 Lauschen

Inspirationen für die Praxis der stillen Meditation

  6 Über die Kraft der Motivation

  7 Sitzen wie ein Berg

  8 Absichtslos sein

  9 Unmittelbar sein

10 Dem Leben vertrauen

11 Die Illusion von Kontrolle

12 Sich an das Gewahrsein erinnern

13 Lauschen als Instrument

14 Eintauchen ins Unermessliche

15 Sich mit Hindernissen anfreunden

16 Und immer wieder das Denken

17 Meditation als Spiegel der Seele

18 Leben in der Gegenwart

19 Das, was ist, ist

20 Sein genügt

21 Wie die Dinge geschehen

22 Sich erinnern hat Macht

23 Gewahrsein und Freiheit

24 Achtsamkeit als Instrument der Liebe

25 Was uns verwandelt

Teil zwei   Das innere Erforschen

  1 Über die Seele

Grundaspekte des inneren Erforschens

  2 In den Seelengarten gehen

  3 Dem inneren Ruf folgen

  4 In den Fluss springen

  5 Grundhaltung, Ablauf und Wirkung

Inspirationen für die Praxis des inneren Erforschens

  6 Immer wieder bei null beginnen

  7 Der rote Faden der Gegenwart

  8 Erklären und Erforschen

  9 Sich der inneren Führung überlassen

10 Das Wesen nähren

11 Den Schatten erkunden

12 Nicht fixiert sein

13 Die Seele kennt kein Innen

14 Die Kunst, die Perspektive zu wechseln

15 Die Ausgleichsbewegungen der Seele

16 Bewusstsein und Potentialität

17 Sich Aufmerksamkeit schenken

18 Kreativ sein

19 Sich nicht entscheiden

20 Verdauen

21 Zulassen, zulassen, zulassen

22 Sich fallen lassen

23 Nach der Welle

24 Tore ins Sein

25 Veränderte Bewusstseinszustände

26 Dem Leben begegnen

27 Lebendigsein

28 Die Liebe zum Einfachen

Teil drei   Das Zuhören

  1 Leben in Beziehung

  2 Zuhören als spirituelle Grundhaltung

Grundaspekte des Zuhörens

  3 Präsenz

  4 Offen sein

  5 Berührbar sein

  6 Resonanz geben

  7 Mensch sein genügt

  8 Kennen wir uns wirklich?

  9 Innere Reife

10 Interpretation und Wahrheit

11 Die Motivation des Helfens

12 Wenn wir angegriffen werden

13 Der innere Raum

14 Mitgefühl und Durchlässigkeit

15 Was wissen wir schon?

16 Kann man schnell zuhören?

17 Friedensarbeit

18 Das heilende Feld der Annahme

19 Zuhören belebt

20 Ausbalancieren

21 Das Feld der Präsenz

22 Kommunikation und Kommunion

23 Es ist nie zu spät

Anhang

Begriffsklärungen

Vertrau…

Dank

Zum Autor

Mehr aber, als Vasudeva, der Fährmann, ihn lehren konnte, lehrte ihn der Fluss. Von ihm lernte er unaufhörlich.

Vor allem lernte er von ihm das Zuhören, das Lauschen mit stillem Herzen, mit wartender, geöffneter Seele, ohne Leidenschaft, ohne Wunsch, ohne Urteil, ohne Meinung.

HERMANN HESSE „Siddhartha“

Einführung

Wanderer, nur deine Spuren sind der Weg, sonst nichts; Wanderer, es gibt keinen Weg, er entsteht erst durchs Gehen.

ANTONIO MACHADO, Liedzeile

Gibt es einen Weg ohne die Schritte des Wanderers? Können wir uns innerlich entwickeln und heranreifen ohne konkrete Erfahrungen?

Auch der spirituelle Weg vollzieht sich durch konkrete Schritte – Erfahrungen, die uns reifen lassen und unser Verständnis vertiefen. Die Praxis ist das Gefäß für konkrete Erfahrungen. Sie ist der Weg, auf dem wir unsere inneren Schritte machen. Erst die Auseinandersetzung mit Praxisformen, auf die wir uns einlassen, an denen wir uns reiben und in welchen sich unsere seelische Entwicklung entfalten kann, führt dazu, dass sich spirituelle Einsichten vertiefen und verinnerlichen. Ohne eine Praxis bleibt unser Verständnis oberflächlich.

Etwas zu erkennen, bzw. zu verstehen und etwas zu verinnerlichen sind grundsätzlich zwei verschiedene Dinge. Das Eine braucht notwendig das Andere. Erst im Zusammenspiel von Verstehen und Verinnerlichen wird sich ein Weg für uns wirkungsvoll entfalten können.

Das ist allerdings ein langer Weg und braucht Zeit. Ohne Praxisformen, die uns an diese spirituellen Wahrheiten erinnern und die uns ermöglichen, dass wir bestimmte Grundhaltungen immer und immer wieder einnehmen, ist eine solch tief greifende Umwandlung nicht möglich. Die Praxis hilft uns, dass unser Verstehen ganzheitlich wird, gleichsam vom Kopf in Körper und Seele wandert und sich dort verankert.

Für diese allmähliche Umwandlung unseres Egos ist dabei nicht so sehr die Qualität unserer Praxis entscheidend (zum Beispiel wie tief gerade unsere Meditation ist), sondern die Kontinuität, also unsere Ausdauer. Wie auch beim Erlernen eines Musikinstruments nur die Regelmäßigkeit unseres Übens letztlich zu guten Erfolgen führt, ist auch in der spirituellen Praxis entscheidend, ob wir uns kontinuierlich und über lange Zeit auf die Praxis einlassen. Erst dann können sich die Grundhaltungen, die wir durch unsere spirituelle Praxis verinnerlichen, in unserem Leben tief greifend auswirken.

Die im vorliegenden Buch vorgestellten drei Praxisformen haben sich im Laufe der Jahre in der Bewusstseinsschule SEELEundSEIN herauskristallisiert und verfeinert. In dieser Bewusstseinsschule werden die Grundlagen der transpersonalen Prozessarbeit vermittelt. Die transpersonale Prozessarbeit begreift den inneren Weg als einen sehr umfassenden Bewusstheitsprozess, der alle inneren und äußeren Lebensbereiche miteinschließt. Aus diesem Verständnis heraus haben sich die drei Grundformen der spirituellen Praxis, die ich im Buch beschreibe, herausgebildet.

Die erste Praxisform der stillen Meditation (Kapitel 1) richtet unsere Aufmerksamkeit auf die Dimension des Gewahrseins aus. Wir werden immer wieder an die Grundaspekte des Gewahrseins erinnert und verinnerlichen systematisch die zentralen spirituellen Grundhaltungen, die dem Gewahrsein entsprechen. Dadurch bringen wir uns in Einklang mit dem Gewahrsein und entdecken zunehmend das unbedingte und zeitlose SEIN, das wir zuinnerst sind.

In der zweiten Praxisform des inneren Erforschens (Kapitel 2) wird unsere Aufmerksamkeit auf die schöpferische Lebendigkeit unserer Seele gerichtet. Für viele Meditierende ist diese Praxisform neu. Bisher hat sich meist nur die Psychologie durch verschiedene Methoden der Introspektion auf den seelischen Aspekt bezogen. Aber gerade die neueren Entwicklungen in Psychologie und Spiritualität zeigen, dass die Grenzen zwischen persönlicher und spiritueller Entwicklung fließend sind. Im Kontext unserer Seele zeigen sich innere Selbstgrenzen und die Beschränkungen unseres Egos. Daher ergibt sich beim inneren Erforschen im Besonderen die Möglichkeit, diese Grenzen zu erkennen und kraft unserer Bewusstheit zu erweitern. Mit der Zeit wird unsere Identität dadurch offener und fließender und der schöpferische Seelenstrom kann uns von innen her ungehindert inspirieren und erfüllen und auch als innere Führung leiten. Inneres Erforschen ist nicht (nur) eine neue Form der Psychotherapie, sondern eine sehr direkte und wirkungsvolle Möglichkeit, mit der Seelenrealität in Kontakt zu sein, um im wahrsten Sinne des Wortes „beseelt“ zu leben.

Die dritte Praxisform des Zuhörens (Kapitel 3) schließlich bezieht sich auf unser Bezogensein als Mensch. Wenn man nur auf die Praxis der stillen Meditation schaut, die in den meisten spirituellen Schulen auf die eine oder andere Weise im Zentrum des inneren Weges steht, hat man den Eindruck, dass ein spiritueller Weg immer in der Abgeschiedenheit und Einsamkeit stattfindet. Doch das ist nur ein Teil der Wahrheit. Tatsächlich betrifft eine der tiefsten spirituellen Erkenntnisse unsere vollständige Bezogenheit, unser Einssein, als Mensch. Diese Erkenntnis löst unser individuelles und getrenntes Selbstgefühl auf und macht uns unsere Verbundenheit mit allen und allem bewusst. Spätestens hier ergibt sich fast zwingend die Notwendigkeit einer Praxisform, die mitten in unseren Beziehungen stattfindet und sich direkt auf diese Verbundenheit bezieht. Die Praxis des Zuhörens ist der direkte Ausdruck dieser Verbundenheit und hat die Kraft, uns und unsere Beziehungen zu verwandeln.

Im vorliegenden Buch werden drei Praxisformen systematisch und getrennt voneinander dargestellt. Beim Lesen werden Sie bemerken, dass sich viele Aspekte ergänzen und überschneiden. Das liegt daran, dass letztlich alle Praxisformen im Gewahrsein, in unserer innersten Seinsnatur, wurzeln und die Grundaspekte des Gewahrseins diese Formen durchdringen.

In jedem Kapitel gibt es zunächst eine Einleitung in den jeweiligen Bereich, auf den sich die Praxisform bezieht. Dann werden in Kürze die Grundaspekte dieser Praxisform vermittelt. Ich empfehle sehr, diese Grundaspekte immer wieder einmal zu lesen, damit sie sich verinnerlichen können. Im Anschluss folgen weitere Aspekte und Inspirationen für die alltägliche Praxis.

Letztlich sei daran erinnert, dass dieses Buch weniger als eine theoretische Abhandlung dieser Praxisformen gedacht ist, sondern vielmehr als ein Praxisbuch im wahrsten Sinne des Wortes. Die kurzen Kapitel sind eine Mischung aus Aspekten zur inneren Kontemplation und konkreter Anleitung und haben vor allem die Grundidee, Menschen in der Ausübung ihrer täglichen spirituellen Praxis zu inspirieren. So empfehle ich, vor der Ausübung der Praxis eines dieser Unterkapitel zu lesen und zu kontemplieren, um dann diesen Aspekt in der Praxis zu verinnerlichen. Dabei kann es durchaus Sinn machen, sich mit einem Aspekt nicht nur einen Tag, sondern auch eine ganze Woche oder noch länger zu beschäftigen und Erfahrungen damit zu sammeln.

Dieses Buch ist also ein Arbeitsbuch zur Inspiration und zur praktischen Umsetzung und daher vor allem eine Unterstützung für Menschen, die bereits einen spirituellen Weg gehen. Solange wir nur darin lesen, werden wir zwar von dem einen oder anderen Gedanken inspiriert sein, aber erst in der praktischen Umsetzung können die Samen dieses Buches sich in unserem Leben entfalten. Samen brauchen die Erde, sonst können keine Pflanzen daraus entstehen, und Erkenntnis braucht die eigene Erfahrung, die im Nährboden unserer Seele wurzelt. Dazu verhilft das konkrete Umsetzen dieser Praxisformen.

Gerade auch die Übungsanweisungen am Ende der Kapitel können sehr hilfreich sein, den jeweiligen Aspekt „von innen her“ zu spüren. Dabei sei nochmal darauf hingewiesen, dass ein großer Unterschied besteht, ob wir z. B. über die Haltung des Empfangens in einem Buch lesen, ob wir diese Haltung kontemplieren und uns davon innerlich berühren lassen oder ob wir sogar in die Haltung des Empfangens hineinschlüpfen, sie gleichsam von innen her körperlich erfahren. Wir werden überrascht sein, zu merken, dass unsere erste Vorstellung beim Lesen eines Aspektes oft sich ganz anders darstellt als die konkrete Erfahrung beim körperlichen Hineinschlüpfen in diesen Aspekt.

Für Leserinnen und Leser, die mit der Terminologie der Transpersonalen Psychologie unerfahren sind, findet sich im Anhang des Buches noch eine Begriffsklärung der wichtigsten verwendeten Fachbegriffe.

Möge dieses Buch ein Beitrag sein, die eigene spirituelle Praxis lebendig zu halten, damit sie uns zum Wohle von uns selbst und allen Wesen verwandeln kann.

TEIL EINS

Die stille Meditation

1 Was ist Meditation?

Meditation ist ein Begriff, der sowohl bei erfahrenen wie auch bei unerfahrenen Menschen eine Menge Assoziationen auslöst. Wenn wir selbst meditieren und eine bestimmte Richtung der spirituellen Praxis kennengelernt haben, differenziert sich unser Verständnis von Meditation und es bilden sich in uns immer klarere Ideen darüber, was Meditation ist. Doch unabhängig davon, wie diese Ideen genau sind, ist die Praxis der Meditation immer ein wenig mehr, als wir darüber denken oder sagen können. Meditation führt uns über das Denken hinaus.

Daher sind wir dem Wesen der Meditation viel näher, wenn wir alle Konzepte über Meditation loslassen und uns erlauben, nicht so genau zu wissen. Im Zen nennt man diese Haltung den Anfängergeist. Ein Anfänger weiß nicht und kann unvoreingenommen und neugierig in die Welt schauen. Jeder Glaube zu wissen schränkt diese Offenheit schon wieder ein.

Ohne uns dessen bewusst zu sein, tragen wir alle viele Ideen und Bilder über Meditation in uns. Diese Bilder, bewusst oder unbewusst, prägen unsere Haltung in der Meditation und auch unsere Einstellung dazu. Aber das Konzept über eine Sache ist nicht die Sache selbst. Und das, was wir mit Meditation verknüpfen, ist nicht das, was Meditation ist.

„Du sollst dir kein Bild von Gott machen“ gilt auch für die Meditation. Das bedeutet, der erste Schritt, uns auf die Meditation einzustimmen, ist, uns frei zu machen von allen Gedanken und Bildern, die wir darüber haben. Das geschieht zunächst dadurch, dass wir uns bewusst werden, was wir mit dem Begriff „Meditation“ verbinden.

Woran denken wir beim Wort „Meditation“? Welche Bilder tauchen dabei in uns auf?

• Bedeutet Meditation, still und aufrecht dazusitzen?

• Verbinden wir mit „still sitzen“ vielleicht auch „still halten müssen“ oder „Strenge“?

• Glauben wir, dass Achtsamkeit Kontrolle bedeutet?

• Ist Meditation eine „Übung“? Und was impliziert das Wort „Übung“?

• Geht man bei der Meditation mit der Aufmerksamkeit nach innen?

• Bedeutet Meditation den Atem beobachten?

• Ist Meditation etwa ein heiliger Raum, eine heilige Handlung?

• Werden wir durch Meditation zu einem besseren Menschen? Besser als andere?

• Verbinden wir mit Meditation einen inneren Frieden?

• Ist Meditation der Ort für spirituelle Erkenntnis und für Gipfelerlebnisse? Geht es bei der Meditation ums Erwachen?

Wie auch immer unsere Vorstellungen sind, wir müssen uns bewusst sein, dass alle Vorstellungen bedingt sind und damit auch Grenzen setzen: Das eine ist Meditation und das andere ist es nicht. Auf diese Weise erzeugt jede Vorstellung Ablehnung und Anstrengung. Aber Ablehnung und Anstrengung sind genau das, was das Wesen der Meditation nicht ausmacht.

• Was verbindest du mit dem Begriff „Meditation“?Welche Wirkung hat das in dir?

• Was verbindest du mit „still sitzen“?Was kannst du dadurch nicht in dir zulassen?

• Sprich zu Beginn der Meditation die Worte „Ich weiß gar nichts“ in dich hinein und widme dich vollkommen neu und unvoreingenommen dem, was dann geschieht.

GRUNDASPEKTE DER MEDITATION

2 Sein

Von außen betrachtet, ist Meditation eine bestimmte körperliche Form, die wir einnehmen und für eine bestimmte Zeit einhalten: z. B. ein aufrechtes und stilles Dasitzen oder ein Gehen in Achtsamkeit. Die äußere Form der Meditation unterstützt uns, mit unserer innersten Natur in Einklang zu kommen. Unsere innerste Natur, auch unsere wahre Natur genannt, ist die innerste Identität unseres Menschseins jenseits unserer alltäglichen äußeren Identität, die aus vielen Vorstellungen und Selbstbildern, die wir von uns haben, besteht. Erst wenn wir die innerste Identität entdecken, lernen wir eine Freiheit kennen, die uns solange verschlossen bleibt, solange wir mit unserer äußeren Identität verhaftet sind.

Meditation, so wie es üblicherweise betrachtet wird, ist das Medium, das uns mit dieser inneren Freiheit in Kontakt bringen kann. Das ist sicherlich korrekt, jedoch ein oberflächliches Verständnis, das dazu führt, dass Meditation mehr als eine Art „Übung“ verstanden wird, die uns „nach innen“ zu unserer Seinsnatur führen soll.

Schauen wir jedoch tiefer auf das Wesen der Meditation, dann ist Meditation nicht primär eine äußere Form, die wir einhalten und üben, und auch kein Hilfsmittel, um irgendwohin zu kommen, sondern natürlicher Ausdruck unserer innersten Identität von Freiheit – unserer Seinsnatur. Diese hat mehrere zentrale Aspekte, die sich in der Praxis der Meditation widerspiegeln: das Sein, das Gegenwärtigsein, das Offensein und das Lauschen.

Meditation als natürlicher Ausdruck des unbedingten Seins ist keine Übung und kein Tun, sondern ein „Ort des Loslassens“ und eine Zeit, uns an das innerste Wesen in all seinen Aspekten zu erinnern.

Betrachten wir den ersten dieser zentralen Aspekte: das Sein.

Das Grundlegendste, was man über Meditation sagen kann, ist, dass sie ein Ort ist, an dem es um das Sein geht. Oder anders ausgedrückt: Wir dürfen sein, wie wir sind!

Unser bloßes Sein genügt.

Welch ein Versprechen! Sehnen wir uns nicht immer genau nach diesem „Sein-Dürfen“? Wann haben wir schon das Gefühl, dass unser Sosein genügt - ohne eine Erwartung und ohne Pflichten? Haben wir nicht ständig das Gefühl, „besser“ oder „anders“ sein zu müssen?

Manchmal, vielleicht bei einem Spaziergang in der Natur, stellt sich für eine kurze Zeitspanne das Gefühl ein, dass unser bloßes Sein genügt. Schon können wir entspannen und innerlich loslassen. Wir dehnen uns in unserem natürlichen Sosein aus. Umgekehrt spannen wir uns sofort an, wenn wir inneren oder äußeren Erwartungen ausgesetzt sind.

Die Grundhaltung in der Meditation ist: Was immer gerade in Erscheinung tritt, darf sein. Was immer gerade da ist, genügt vollkommen. Wie auch immer wir gerade sind, ist in Ordnung. Wir brauchen uns nicht darum zu bemühen, die „Dinge“ anders oder besser zu machen. Dieser Augenblick ist vollkommen und auch wir sind so, wie wir sind, vollkommen und angenommen.

Entspricht diese Haltung nicht unserer Ursehnsucht als Mensch nach einem bedingungslosen Angenommensein? Suchen wir nicht oft genau nach diesem Angenommensein in unseren Beziehungen?

• Wie erfährst du Momente von „Sein-Dürfen“?

• Wie erfährst du Momente von „Angenommensein“?

• Wie erfährst du die Meditation, wenn dieses „Sein-Dürfen“ und das „Angenommensein“ die Grundhaltung dabei ist?

3 Gegenwärtigsein

Das schlichte „Sein dürfen“ führt uns automatisch zu einem weiteren Aspekt von Meditation: dem Gegenwärtigsein. Gegenwärtigsein bedeutet: dieser Augenblick genügt. Wir brauchen den Moment nicht zu verstehen, zu ändern oder zu verbessern. Im Gegenwärtigsein gibt es kein Richtig und Falsch. Bewertungen haben in der unmittelbaren Wahrnehmung keinen Platz. Es genügt, ganz unmittelbar zu sein. Das ist die Grundhaltung.

In manchen buddhistischen Traditionen nennt man die Orientierung am unmittelbaren Augenblick die Makellosigkeit des Meditierenden1. Makellos steht hier nicht für Fehlerlosigkeit oder Perfektion, sondern für eine eindeutige und immerwährende Ausrichtung auf das jetzige Lebendigsein. Wir öffnen uns dem Augenblick, wie auch immer er sich gerade zeigt. Makellosigkeit ist eine Art innere Disziplin, sich immer wieder neu am Jetzt zu orientieren.

Wir richten uns auf die Wirklichkeit aus, so wie sie sich von Moment zu Moment zeigt. Nicht unsere Ideen, Vorstellungen, Wünsche und Pläne stehen dabei im Zentrum der Betrachtung, sondern die tatsächliche Wirklichkeit des Augenblicks.

Diese kompromisslose Haltung, uns am Jetzt zu orientieren und uns für den Augenblick zu öffnen, bedeutet, uns der Führung durch das Leben zu überlassen. Das ist diametral dem entgegengesetzt, was das Ego will. Das Ego sucht Sicherheit, Kontrolle und angenehme Gefühle. Aber Gegenwärtigsein ist eine Haltung der Hingabe. Daher ist diese Haltung in der Meditation Ego transformierend.

Die Orientierung an der unmittelbaren Wirklichkeit beinhaltet eine fundamentale Wahrheit: das Anerkennen der Existenz. Wir messen dem Tatsächlichen mehr Wert bei als unserer Gedankenwelt. Durch diese Grundhaltung entfaltet sich eine große Einfachheit: Wir sind unmittelbar mit dem, was ist – nichts weiter.

In dieser Einfachheit werden wir reduziert. Unsere Pläne, Vorstellungen und Wünsche fallen weg. All unsere Filter von Richtig und Falsch, von Wollen und Abneigung fallen weg. Selbst unsere üblichen Selbstbilder, unsere alltägliche Identität, sind in dieser Einfachheit nicht mehr von Belang.

Wenn wir uns dieser Einfachheit des Gegenwärtigseins überlassen, werden wir darin einen schlichten, stillen Frieden finden. Wir sind im Einklang. Es gibt keine Reibung und keinen Widerstand mehr.

Diese Einfachheit ist gleichzeitig erfüllend und intensiv. Sogar ein schlichtes Geschehen wie das Spüren der Atembewegung oder das Lauschen einer Vogelstimme wird zu einer erfüllenden Erfahrung, wenn wir unmittelbar wahrnehmen und in dieser Erfahrung anwesend sind. In solch einem Moment erschließt sich uns das Sosein der Dinge. Dieser einfache, erfüllende Friede ist ein Aspekt von Stille.

• Wie reduziert dich Unmittelbarkeit?Was fällt dabei alles weg?

• Wie erfährst du „Unmittelbarkeit“ jetzt?

1 Lediglich aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird die männliche Form gewählt, die die weibliche Form mit einschließt.

4 Offensein

Gegenwärtigsein ist die Orientierung am Augenblick, so wie er sich zeigt von Moment zu Moment. Diese Haltung impliziert eine bedingungslose Offenheit für den Augenblick. Meditation wird auf diese Weise zu einer Art Hingabe, einem Dienst am Leben. Wir könnten es auch „Gottesdienst“ nennen.

Die Haltung des Dienens entspricht exakt der Haltung von Offensein. Wenn wir jemandem dienen, geht es nicht um unsere Bedürfnisse, um unsere Vorstellungen, um unser Wollen, sondern um die andere Person. Wir öffnen uns für ihre Bedürfnisse. Auch in der Meditation geht es nicht um unsere Bedürfnisse und Vorstellungen, sondern wir öffnen uns für das augenblickliche Sein. Im Christentum drückt sich diese Haltung in dem Satz aus: „Dein Wille geschehe.“

Eine so bedingungslose Offenheit und Hingabe braucht ein großes Vertrauen. Das Vertrauen in das gegenwärtige Leben und dessen Führung, auch wenn es sich für unser Ego falsch oder unangenehm anfühlen sollte. Vertrauen ist die Grundlage für Offenheit. Und umgekehrt führt bedingungslose Offenheit zu einem bedingungslosen Vertrauen.

Wir überlassen uns dem größeren Willen und öffnen uns dem gegenwärtigen Geschehen. „Dieser Augenblick, ob angenehm oder unangenehm, ob erwünscht oder unerwünscht, ist richtig.“

In der Meditation drückt sich die Haltung der Offenheit konkret darin aus, dass wir ein offenes Gewahrsein praktizieren und keine Konzentrationspraxis (= Objektmeditation). Bei einem offenen Gewahrsein halten wir die Aufmerksamkeit weit und alles darf in unserem Gewahrsein auftauchen, kommen und gehen. Wir grenzen nichts aus und praktizieren keine Konzentration durch Verengung unserer Aufmerksamkeit auf ein einziges Geschehen, wie zum Beispiel den Atem.

Um in dieser Offenheit fortwährend wach und konzentriert gegenwärtig zu bleiben, können wir das „Etikettieren“ als Konzentrationshilfe nutzen. Etikettieren bedeutet, das augenblickliche Erleben innerlich mit einem kurzen, knappen Etikett zu versehen. Auf diese Weise verankern wir uns in der Gegenwart, ohne unsere Aufmerksamkeit auf ein Objekt verengen zu müssen. Unsere Aufmerksamkeit bleibt beweglich und ungebunden.

Es gibt verschiedene Arten des Etikettierens, die jeweils andere Erkenntnisprozesse einladen.

Zum Beispiel: „Bewusstsein des Atmens, Bewusstsein des Denkens, Bewusstsein eines Schulterschmerzes …“ lenkt meine Aufmerksamkeit in jedem Geschehen auf die hintergründige Dimension des Bewusstseins, aus der jede Erfahrung hervortritt.

Oder wir sagen innerlich: „Atmen geschieht, Denken geschieht …“ So erkennen wir mit der Zeit, dass die Dinge aus sich selbst heraus entstehen. Letzteres führt uns in eine umfassende Hingabe.

Solange wir noch unkonzentriert und zerstreut sind, nutzen wir das Etikettieren. Wenn unsere Sammlung sich vertieft und wir unmittelbar im Augenblick sein können, lassen wir das Etikettieren und überlassen uns dem Lauschen …

• Wie erfährst du vollkommene Offenheit?

• Wie verändert dich die Gegenwart, wenn du dich vertrauensvoll überlässt?

5 Lauschen

Lauschen hat im Kontext der Meditation nichts mit dem Vorgang des Hörens zu tun, sondern meint eine Haltung, in der wir eine reine Form der Aufmerksamkeit praktizieren. Wir richten dabei unseren Fokus nicht mehr auf die Erfahrungsobjekte im Geist wie das Atmen, Spüren oder Denken, sondern wir sind ungerichtet aufmerksam – Aufmerksamkeit pur. Die Erfahrungsobjekte treten in den Hintergrund und das Aufmerksamsein selbst rückt in den Vordergrund unseres Erlebens. Die Wirkung ist ein intensives Empfinden von Dasein – ein formloses Feld von SEIN. Hier erfahren wir eine Präsenz, die frei von allen Erfahrungsobjekten ist.

Ein Hilfsmittel, um einen Zugang zum Lauschen zu bekommen, ist das systematische Sich-Konzentrieren auf die Zwischenräume von Erfahrungsobjekten. Wir lenken dabei bewusst den Fokus der Aufmerksamkeit auf die Leere zwischen den Objekten. Zum Beispiel achten wir auf die Pausen zwischen den Atemzügen oder auf die Lautlosigkeit zwischen den Geräuschen oder die Pausen zwischen Gedanken.

Wenn wir uns ganz auf Zwischenräume und die Leere darin konzentrieren, verweilen wir in einem Zustand von reiner Aufmerksamkeit und die Präsenz verdichtet sich. Je unmittelbarer es uns gelingt, zu lauschen, desto tiefer tauchen wir in ein ungerichtetes, formloses Aufmerksamsein ein und empfinden dabei eine zeitlose, unberührte Stille.

Dieser Vorgang wird auch das „Schauen ins nackte Sein“ oder das „Lauschen in die Stille“ genannt.

Die 4 Grundaspekte der Meditation ergänzen einander und gehen ineinander über:

Sein-Dürfen lässt uns entspannen und im Augenblick da sein. Wir werden mit der Zeit gegenwärtiger. Das Gegenwärtigsein führt uns automatisch zu einer Offenheit und in eine Hingabe an den Augenblick. Und beides: Gegenwärtigsein und Offenheit führen uns zu einer Sammlung im Augenblick, die es uns ermöglicht, das Aufmerksamsein selbst in den Vordergrund zu rücken. Je tiefer wir in das Lauschen eintauchen, desto intensiver erfahren wir eine zeitlose Stille, die der Urgrund aller Erscheinungen ist.

Wenn wir diese 4 Aspekte der Meditation verinnerlicht haben, können wir je nach momentaner Beschaffenheit unseres Geistes den einen oder anderen Aspekt in den Vordergrund stellen und uns auf diese Weise angemessen auf die augenblickliche innere Verfassung beziehen:

Zu Beginn der Meditation macht es Sinn, sich zunächst das „Sein-Dürfen“ bewusst zu machen. Wenn unsere Aufmerksamkeit erlahmt oder wir müde und zerstreut sind, ist es hilfreich, das Gegenwärtigsein zu vertiefen und das Etikettieren zu nutzen. Bei Widerständen tun wir gut daran, uns an das Offensein zu erinnern. Wenn sich unsere Sammlung vertieft und mühelos wird, können wir das Etikettieren lassen und in das reine Lauschen übergehen. Wenn wir zu viel erreichen wollen und sich dadurch Anstrengung oder Frustration einstellt, sollten wir zum „Sein genügt“ zurückkehren.

Lass zu den folgenden Grundhaltungen jeweils spontan aus dem Körper heraus eine Gebärde2 auftauchen und erforsche, wie sich das Erleben anfühlt, wenn du in diese Gebärde hineinschlüpfst:

• Einfach sein, sich sein lassen, angenommen sein

• Da sein, anwesend sein, wach sein

• Offen sein, sich hingeben, dienen

• Lauschen, ganz Lauschen sein

2 Eine Gebärde ist ein spontaner Körperausdruck, der ein bestimmtes Erleben körperlich-seelisch zugänglich macht. Wenn wir zum Beispiel an Demut denken, würden wir uns wahrscheinlich spontan verneigen. Eine Verneigung ist mehr als eine Geste. Wenn wir sie in Achtsamkeit vollziehen, vermittelt sich uns das Gesamtgefühl zu dieser Geste.

INSPIRATIONEN FÜR DIE PRAXISDER STILLEN MEDITATION

6 Über die Kraft der Motivation

Jeder Reise geht etwas voraus, das uns motiviert, aufzubrechen. Ohne eine Inspiration, eine Vision oder eine Sehnsucht setzen wir uns nicht in Bewegung. Erst wenn die Motivation klar und tief ist, finden wir die Kraft, lange und beschwerliche Wege auf uns zu nehmen.

Auch die spirituelle Praxis ist ein Weg, eine Reise zu unserer innersten Natur. Ohne eine tiefe Motivation werden wir die Meditation gar nicht beginnen oder sie in der nächsten unangenehmen Situation wieder sein lassen. Auch eine innere Reise braucht eine klare Motivation, die uns hilft, in schwierigen Phasen des Weges dabeizubleiben.

Was motiviert uns also, den inneren Weg zu gehen? Welche innere Sehnsucht treibt uns? Das sind Fragen, die wir uns immer wieder vor jeder Meditation stellen können, um unsere Motivation frisch zu halten. Mit diesen Fragen nehmen wir Kontakt zu unserer Sehnsucht auf und aktualisieren den inneren Antrieb, der uns meditieren lässt.