Nachfolgung des armen Lebens Christi - Holger Furch - E-Book

Nachfolgung des armen Lebens Christi E-Book

Holger Furch

0,0

Beschreibung

Bei die "Nachfolgung des armen Lebens Christi", auch bekannt als "Buch von geistlicher Armut", handelt es sich um eines der schönsten und anspruchsvollsten Erbauungsbücher der christlichen Mystik im deutschsprachigen Raum. Das Buch entstand um 1350 im Spätmittelalter und wurde im Laufe der Jahrhunderte vielfach gelesen, zitiert und als lesenswert geschätzt. Arthur Schopenhauer bewertete in seinem Opus magnum "Die Welt als Wille und Vorstellung" dieses Buch als eines der vortrefflichsten Werke der christlichen Mystik. Auch wenn zum heutigen Stand die Autorenschaft von Johannes Tauler in Frage gestellt wird, bleibt die Schönheit, das Wissen und die Faszination zum Buch unverändert. Die verbesserte Textgrundlage von Nikolaus Casseder wurde mit einer Einleitung zur christlichen Mystik, Erläuterungen zum Buch, Personenregister, Bibelverzeichnis und einer Biographie von Johannes Tauler ergänzt.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 430

Veröffentlichungsjahr: 2025

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Nachfolgung des armen Lebens Christi.

Johannes Tauler

Nachfolgung des armen Lebens Christi

© Ungeteiltes Herz

Inhaltsverzeichnis

1. Abschnitt

Einleitung des Herausgebers

1. Vorwort zur Bücherreihe „Ungeteiltes Herz“

2. Historische Einordnung zur christlichen Mystik

3. Erläuterung zur „Nachfolgung des armen Lebens Christi“

4. Biographie Johannes Tauler

2. Abschnitt

Nachfolgung des armen Lebens Christi.

(Verbesserte Textfassung nach Nikolaus Casseder)

Zueignung und Vorrede.

Von der wahren Armuth des Geistesoder der höchsten Vollkommenheit des

Menschen. Erste Abtheilung.

Von der wahren Armuth des Geistes oder der höchsten Vollkommenheit des

Menschen. Zwote Abtheilung.

Geistliche Gesänge.

Von der Entwerdung.

Gesang einer Gott liebenden und von Gottes Liebe

ganz entflammten Seele.

Vom freien Versinken in Gott.

Von der wahren Armuth und Bloßheit des Geistes.

Von der Seligkeit des Seyns in Gott.

3. Abschnitt

Nachtrag

Nachwort des Herausgebers

Abkürzungsverzeichnis

Personenregister für den Haupttext

Register der Bibelverweise für den Haupttext

Literaturverzeichnis

Impressum

1. Abschnitt - Einleitung des Herausgebers

1. Vorwort zur Bücherreihe „Ungeteiltes Herz“

Mit der Bücherreihe „Ungeteiltes Herz“ lade ich Sie herzlichst ein, die christliche Mystik, als Teil der christlichen Geschichte und Tradition, zu entdecken. Für meinen Verlag steht die Wissensvermittlung der Heiligen Schrift und die christliche Erbauung im Vordergrund. Hierzu werden die wissenschaftlichen Quellen, soweit bekannt, berücksichtigt und im Literaturverzeichnis aufgelistet. Der Begriff „Ungeteiltes Herz“ steht als biblischer Ausdruck für die uneingeschränkte Hingabe und für das Vertrauen an Gott. Das Herz gilt in vielen Kulturkreisen als Ursprung für bestimmte Gefühlslagen, während das Gehirn als Denkfabrik für das Rationale verstanden wird. Mit welchen Skalen sollen auch Liebe oder Mut ausgedrückt werden? Mit welchen Begriffen kann Gott erfasst werden? Gott auf eine rationale oder auf eine logischen Ebene zu erklären ist schwierig, wenn die gesamte Schöpfung in menschlichen Maßständen verstanden werden soll.

Die Liebe, der Mut und auch der Hass werden vor allem mit dem Herzen assoziiert. Diese Gefühle, die aus dem Herzen entsprungen sind, wurden in der Bibel niemals außer Acht gelassen, beispielsweise betete Salomo für seine Gemeinde zu Gott, daß die Herzen seines Volkes ungeteilt zu Gott stehen (vgl. 1. Könige 8: 22-23). Ein ungeteiltes Herz, daß nicht nach Lüsten und Verlangen hinterherrennt, sondern ist einzig und allein auf Gott gerichtet. Das Herz ist dennoch ein Symbol, um im Glauben und in der Erkenntnis Gottes zu wachsen, wenn das Herz an der richtigen Stelle sitzt. „Und er [Abia] wandelte in all den Sünden, die sein Vater [Rehabeam] vor ihm begangen hatte, und sein Herz gehörte nicht so ungeteilt dem Herrn, seinem Gott, wie das Herz seines Ahnherrn David“ (1. Könige 15: 3 ZÜR1951).

In der christlichen Tradition ist das Herz nicht aufrichtig und verkommen. „Denn aus dem Herzen kommen böse Gedanken, Mord, Ehebruch, Hurerei, Diebstahl, falsches Zeugniß, Lästerung“ (Matthäus 15: 19 Van Eß 1881).

Ebenfalls steht in der Bibel: „Der gute Mensch bringt aus dem guten Vorrathe seines Herzens Gutes, der böse Mensch aber bringt aus dem bösen Vorrathe Böses; denn aus der Fülle des Herzens redet der Mensch“ (Lukas 6: 45 Van Eß 1881).

Im Prophetenbuch Sacharja, auch Zacharias genannt, heißt es: „Und ihr Herz machten sie zu einem Diamant, so daß es dem Gesetze nicht folgte, noch auch den Ermahnungen, die Jehova, der Weltenherrscher, an sie ergehen ließ durch seinen Geist, vermittelst der vorigen Propheten; und so wurde groß der Zorn Jehovas, des Weltenherrschers“ (Zacharias 7: 12 Van Eß 1881). Diamant gilt in diesem Zusammenhang nicht als etwas wertvolles sondern es bedeutet, daß das Herz versteinert und taub für die Ermahnungen Gottes ist. Johannes Calvin schrieb in seinem Magnus Opum „Institutio Christianae Religionis“, daß das menschliche Herz eine Götzenfabrik ist, hominis ingenium perpetuam, ut ita loquar, esse idolorum fabricam (vgl. Calvin et al. 1960, vgl. PostBarthian 2019). Seiner Ansicht nach können die Herzen gute Fähigkeiten durch Gebete angeeignet werden (vgl. Sanchez 2014: 286, 288). Bereits vor der Sintflut hieß es: „Als nun der Herr sah, daß die Bosheit der Menschen groß war auf der Erde und alles Sinnen und Trachten ihres Herzens immerfort nur böse war“ (1. Mose 6: 5 Menge 1951). Ebenfalls schrieb Jeremia „Arglistig ist das Herz mehr als alles andere, und verschlagen ist es: wer kann es ergründen?“ (Jeremia 17: 9 Menge 1951). Gott selbst ergründet die Herzen (vgl. Psalm 34: 19; vgl. Offenbarung 2: 23).f Daher ist es besonders wichtig, Gott vom ganzen Herzen zu lieben (vgl. 5. Mose 6: 5). Aus diesem Grund muss das Herz vor bösen Einflüssen beschützt werden (vgl. Sprüche 4: 23; vgl. Stuttgarter Biblisches Nachschlagewerk 1931: 310-311). „Und du sollst gedenken des ganzen Weges, den Jehova, dein Gott, dich hat wandern lassen diese vierzig Jahre in der Wüste, um dich zu demütigen, um dich zu versuchen, um zu erkennen was in deinem Herzen ist, ob du seine Gebote beobachten würdest oder nicht“ (5. Mose 8: 2 ELB1907). Aus diesem Grunde ist es wichtig zu erkennen, ob das Herz seinen eigenen Lüsten hinterher eifert oder ob es den Gesetzen und Geboten Gottes befolgt. „Euer Herz aber sei ganz Jehova, unserm Gott ergeben, daß ihr wandelt nach seinen Satzungen, und haltet seine Gebote wie heute“ (1. Könige 8: 61 Van Eß 1881).

Die deutsche Theologia wurde von mir 2022 als Neudruck veröffentlicht. Das Werk wurde bewusst als Einstieg in die christliche Mystik aus dem früheren Deutschland gewählt. Die deutsche Theologie wird als bedeutsames, historisches und theologisches Werk bewertet, welches von Martin Luther und Johann Arndt (vgl. Ehmann 1892 [2022]: 8, 11; vgl. Schopenhauer 1859 [1968]: 526) als auch von Arthur Schopenhauer gelesen und positiv erwähnt wurde. Ebenfalls wird die deutsche Theologia in der aktuellen Forschung als Gesamtübersicht der christlichen Mystik eingestuft (vgl. Wegener 2016: 7). Die (frühere) christliche Mystik ist vielen heutigen Gläubigen weitgehend fremd und wird häufig mit Esoterik oder New Age gleichgesetzt (weiteres im ersten Abschnitt, Kapitel 2). Für die zukünftige Verlagsarbeit sind weitere Werke aus dem früheren Deutschland, aufgrund der textlichen und regionalen Zugänglichkeit als auch aufgrund einer Traditions- und Geschichtspflege, geplant. Leider bot sich aus verschiedenen, persönlichen und privaten Gründen nicht die Möglichkeit den zweiten Band der Reihe zu einem früheren Zeitpunkt zu veröffentlichen. Ursprünglich war sogar 2023 für die Veröffentlichung vorgesehen. Aus diesem Grund freue ich mich umso sehr, daß der zweite Band „Nachfolgung des armen Lebens Christi“ von Johannes Tauler, in der Reihe Ungeteiltes Herz, ab dem 11. November 2025 verfügbar ist. Bei die „Nachfolgung des armen Lebens Christi“ oder „Dem Buch der geistlicher Armut“ handelt es sich um eines der schönsten und eindringlichsten Werke der deutschsprachigen, christlichen Mystik, welches Johannes Tauler zugeschrieben wurde und in der Tradition der Gottesfreunde steht. In seinem Werk „Die Welt als Wille und Vorstellung“ listet Arthur Schopenhauer neben der deutschen Theologia, Meister Eckhart auch Johannes Taulers' zugeschriebenen Bücher „Nachfolgung des armen Lebens Christi“ sowie „Medulla animae, oder von der Vollkommenheit aller Tugenden“ auf und bewertet diese als vortrefflichsten Werke der deutschen, christlichen Mystik (vgl. Schopenhauer 1859 [1968]: 526).

Die vorliegende Ausgabe enthält den überarbeiteten Text von Nikolaus Casseder und wurde mit einer zusätzlichen Einführung zur christlichen Mystik, Biographie, Geschichte zum Buch und einem Nachwort des Herausgebers erweitert. Ich hoffe innigst, daß dieses tiefsinnige, mystische Werk Ihnen bei für spirituelle Entwicklung unterstützt, ein unerschütterlichen Fundamentes im Herzen und in der Seele erbaut und Sie ein zufriedenes und erfülltes Leben eines Christen zu führen können.

Holger Furch, Duisburg, November 2025

„[…] Weil die Liebe Gottes ausgegossen ist in unsre Herzen[...]“ (Römerbrief 5: 5, Zürcher Bibel nach Zwingli, ZÜR1951)

2. Historische Einordnung zur christlichen Mystik

Die christliche Tradition ist vergleichbar mit den unterschiedlichen Ästen eines Baumes. Diese Äste können die unterschiedlichen Denominationen als auch die einzelnen christlichen Bewegungen darstellen, während Jesus und die Bibel die Wurzel und den Stamm (Kanon) bilden.

Die christliche Mystik bildet eine Form des christlichen Glaubens, die sich fortlaufend, mehr oder weniger ausgeprägt, zeitlich über die Jahrhunderte vollzog und alle Denominationen umfasste. Zur christlichen Mystik zählen beispielsweise verschiedene Werke von Origenes, Pseudo-Dionysius Areopagita, Bernhard von Clairvaux, Hildegard von Bingen, Franz von Assisi, Marguerite Porete oder Meister Eckhart. Die zwei Erstgenannten werden als Kirchenväter der röm.-kath. Kirche zugeordnet. Der Verlag Ungeteiltes Herz möchte dazu beitragen, die christliche Mystik zu entdecken und zugänglich zu machen. Die christliche Mystik ist keine Geheimlehre und auch keine Sektiererei. Die Mystik wird oftmals mit Esoterik oder New Age gleichgesetzt, aber ist insbesondere als Begriffspaar „Christliche Mystik“ unpassend. Praktiken wie Geisterbeschwörung oder Orakeldeutung sind gemäß der Heiligen Schrift sind zu verwerfen (z.B. 3. Mose / Levitikus 19: 26 und 31). Eine Trennung kann beispielsweise zwischen der christlichen und der neuzeitlichen Mystik erfolgen. Während die christliche Mystik sich im Wesentlichen auf die christliche Traditionslinie und die heilige Schrift bezieht, ergänzend mit früheren philosophischen Schulen, umfasst eine neuzeitliche, christliche Mystik weitere Praktiken, die den fernöstlichen Traditionsschulen anzurechnen sind, wie beispielsweise Meditation oder Yoga. Weiterführend sind die Artikel über New Age von Figura (1989: 376) oder zur Hippiemystik von Baatz (1989: 233f) zu empfehlen. Dieser Band befasst sich vorrangig, aufgrund des Bezugs zu Johannes Tauler und dem Werk „ Nachfolgung des armen Lebens Christi“, mit der mittelalterlichen, christlichen Mystik. Zum geschichtlichen Kontext ist zu benennen, daß die mittelalterliche, christliche Mystik Anknüpfungspunkte mit der Philosophie hatte, insbesondere dem Neuplatonismus, welcher sich in Jesus Christus erfüllt in „der Teilnahme an seinem Leiden und Kreuz“ (Dumoulin 1966: 66; vgl. Dumoulin 1966: 24). Die christliche Mystik setzt ihren Schwerpunkt auf die Gottesbegegnung oder Gotteserfahrung (vgl. Brockhaus; vgl. Wrede 1974: 231). Allerdings sollte nach Dumoulin zur Folge die christliche Mystik nicht als die alles entscheidende christliche Strömung dienen, sondern sollte als ein wesentlicher Teil der christlichen Gemeinschaft betrachtet werden. Hierzu schrieb Dumoulin: „Die mystische Institution kann auch deshalb nicht uneingeschränkt als die absolut vollkommene Erkenntnisweise angesprochen werden, weil sie wegen ihres intellektuellen Charakters die Gefahr der Vernachlässigung anderer wesentlicher Elemente in sich birgt“ (Dumoulin 1966: 96). Ebenfalls darf „[…] echte Mystik […] keineswegs in Widerspruch zur Gemeinschaft stehen. Dies ist der andere Grund, weshalb mystisches Erleben niemals letzte Norm werden kann“ (Dumoulin 1966: 96).

In der Theorie von deutschen Philosophen Arthur Schopenhauer erhalten die christlichen Mystiker eine weitere Perspektive die Heilige Schrift zu lesen. „Meines Erachtens verhalten die Lehren dieser echten christlichen Mystiker sich zu denen des Neuen Testaments wie zum Wein der Weingeist. Oder: was im Neuen Testament uns wie der Schleier und Nebel sichtbar wird, tritt in den Werken der Mystiker ohne Hülle, in voller Klarheit und Deutlichkeit uns entgegen“ (Schopenhauer 1859 [1968]: 526).

Weitere Kategorien der christlichen Mystik sind Vertiefungen zu Visionen (Träumen) als auch die (Vorläufer der) Seelenkunde (vgl. Dinzelbacher 1989: 514f; vgl. Fraling 1989 a: 452f.). Die Seelenkunde der christlichen Mystik teilt sich in intensives Erkennen oder in Lieben auf (vgl. Fraling 1989 a: 453).

3. Erläuterung zur

„Nachfolgung des armen Lebens Christi“

Das Buch „Nachfolgung des armen Lebens Christi“ auch bekannt unter dem Namen „Buch von geistlicher Armut“ wurde laut Riedlinger zunächst 1350 veröffentlicht (vgl. Riedlinger 1958: 738, vgl. Ritschl 1881: 337, vgl. Viller 1932: 1976ff). Durch die Entwicklung des maschinellen Buchdrucks wurde das Buch in Folge dessen im früheren Europa weit verbreitet. Der erste genannte Druck von Daniel Sudermann stammt aus dem Jahr 1621 (vgl. Weiss 1988: 197, vgl. Denifle 1877: v). Hier heißt es: „Doctor | Johan Taulers| Nachfolgung des Armen Lebens | Christi, | In zwey Theil abgetheilet: | Deren der Erste sagt | viel vnderschied der wahren | Armuth: | Der ander lehret, wie man sol kommen | zu einem vollkommenen armen | Leben. | Nun zuerst ausz einem alten, vor einhundert und sibentzig Jahren geschriebenen Exemplar von Wort zu Wort | trewlich vnd gantz vnverfälscht nachgetruckt . . . . . Zu Franckfort bey Lucas Jennis | Im Jahr MDGXXI.“ (Denifle 1877: v). Denifle zur Folge stammt Sudermanns Vorlage von 1448 (vgl. Denifle 1877: v). Sudermann selbst befasste sich zu seiner Lebenszeit mit unterschiedlichen christlichen Mystikern, darunter Erbauungsschriften, Andachtsbücher, Predigtsammlungen und theologische Traktate (vgl. Becker 1961: 78). Gnädiger zur Folge, hatte Sudermann einen erheblichen Bestand an Schriften Taulers beim Straßburger Konvent erworben und vervielfältigt (vgl. Gnädiger 1989: 232, vgl. Walz 1961: 12). Nach Hornung zur Folge hatte Sudermann bis zu 86 mittelalterliche Handschriften in seinem Besitz (vgl. Hornung 1957: i; vgl. Becker 1961:78).

Nikolaus Casseder hat den Text der Nachfolgung Christi, ohne namentliche Nennung der bisherigen Herausgeberschaft veröffentlicht. Casseder hatte hierzu die frühere Textgrundlage aus dem Jahr 1681 verwendet (vgl. Vorwort von Casseder). Neben der vorliegenden Neuauflage von Casseder aus dem Jahr 1822, stammt eine weitere Auflage von 1855 aus dem Manz Verlag Regensburg. Das Werk erschien ebenfalls unter dem Titel „Das Buch der geistlicher Armut“ von Denifle 1877. Die Umbenennung des Buchtitels erfolgte von Denifle für seine Ausarbeitung (vgl. Ruh 1996: 518).

Zu der Urheberschaft des Buches „Nachfolgung des armen Lebens Christi“ muss hingewiesen, daß das Buch in der Forschung als Pseudepigraphie oder vielmehr als Pseudo-Tauleriana zugeordnet wird (vgl. Ruh 1996: 515f.). Die Gründe stammen vorrangig aus den Ausarbeitungen von Heinrich Denifle. Laut Denifle war Tauler nicht der direkte Verfasser der Schrift, da beispielsweise seine verwendete Nomenklatur und Begriffe nicht der scholastischen Schule entsprechen (vgl. Denifle 1877: xxxix, xl). Tauler stand im Dominikanerorden in der scholastischen Traditionen, geprägt durch Thomas von Aquin (vgl. Gnädiger 1989: 229). Ebenfalls wendet Denifle ein, daß der Text eher die Auffassung der christlichen Mystik von Meister Eckhart als an Johannes Tauler entspricht, u. a. am Beispiel von Buch 1, Kapitel 70 (vgl. Denifle 1877: xxxvi). „[Nach Kapitel 70] gebirt die Seele sich mit dem Worte wieder in Gott und dann ist sie ein Sohn Gottes“ (Denifle 1877: xxxvi). Ein weiterer Unterschied im Sinne des Begriffs Unio Mystica verwendet Tauler die Beschreibung „höchste Vereinigung“, während Meister Eckhart von Gottes Geburt schreibt (vgl. Denifle 1877: xxxvi f.). Nach Denifle könnte der Verfasser aus dem Umfeld der mystischen Christen „Gottesfreunde im Oberlande“ oder der Fraticellen stammen (vgl. Denifle 1877: li, vgl. Walz 1961: 13).

Ob diese Schrift durch die Einordnung Pseudepigraphie weniger wichtig ist, würde den Buchinhalt abhängig von der Autorenschaft machen (i.S.v. argumentum ad hominem). Unabhängig von der Autorenschaft ist die Schrift der Nachfolgung des armen Leben Jesu Christi eine sehr empfehlenswerte Schrift und nicht umsonst über Jahrhunderte hinweg wiedergegeben und zitiert worden (z.B. Schopenhauer 1859 [1968]: 526). Gründe hierzu, warum die Schrift mit einer anderen Autorenangabe veröffentlicht wurden, können sehr unterschiedlich sein, beispielsweise kann die „Abfassung einer Schrift unter falschem Namen [...] auf die Verhüllung des Autorennamens zielen. Pseudepigraphie bzw. Pseudonymität dient in diesen Fällen als Spielart der literarischen Anonymisierung.“ Desweiteren kann die „literarische Anonymisierung [...] weiter Ausdruck der Bescheidenheit sein [...] oder eine literarische Strategie darstellen, z.B. um [...] seine literarische Urheberschaft aus Angst vor Kritik zunächst zurückzuhalten [...]“ (Janßen 2011). Christlich-Mystische Schriften wurden in einigen Fällen als häretisch eingestuft und in dieser Zeitepoche schwer bestraft. Als trauriges Beispiel kann Margerita Porete aus Paris genannt werden, die aufgrund ihres christlich-mystischen Werkes „Spiegel der einfachen Seelen“ am 1. Juni 1310 lebendig verbrannt wurde (vgl. Leppin 2021: 204). Meister Eckhart wurde zum späten Lebensende hinsichtlich seiner Theologie und seinem erweiterten Gottesbild von der Kirche angeklagt, verstarb aber noch vor Prozessbeginn (vgl. Leppin 2021: 255). Auch das Buch der Nachfolgung wurde nicht nur positiv wahrgenommen. Die italienische Fassung des Werks durch das Index Librorum prohibitorum (Verzeichnis verbotener Bücher) indiziert und bekämpft (vgl. Wolf 2007: 40). Dieser Index, auf denen ebenfalls volkstümliche Bibelübersetzungen gesetzt wurden, gilt allerdings nur für Römisch-katholische Kirche und nicht für die orthodoxen und evangelischen Kirchen. Inwieweit die Indizierung ein Anlass sein, daß Buch nicht zu lesen, liegt in eigener Abwägung, da der Index seit 1966 eingestellt wurde (vgl. Wolf 2007: 247) und die sich die Röm.-katholische Kirche hinsichtlich auch früheren verurteilten Schriftgelehrten öffnete (vgl. Adams 2023). Trotz der Indizierung und der Zuordnung als Pseudepigraphie bildet das Buch „Nachfolgung des armen Lebens Christi“ eines der schönsten, aber zeitgleich eines der anspruchsvollsten, christlichen (und mystischen) Schriften des deutschsprachigen Raums. Hierzu schrieb Schmidt schrieb, daß das Buch der Nachfolgung demzufolge „die vorzüglichste von Taulers Schrift, die Hauptschrift“ sei (Denifle 1877: ix, vgl. Schmidt 1841: 40, 89). Dieser gleichen Ansicht vertritt Böhringer, stellte aber Unterschiede zwischen der Schrift und Taulers Predigten fest (Denifle 1877: ix; vgl. Böhringer 1855: 55, 57). Baehring bezeichnete die Nachfolgung des armen Lebens Christi als „unbestrittenes Hauptwerk“ von Tauler (vgl. Denifle 1877: ix; Baehring 1853: 89). In der aktuellen Forschung wird das Buch der Nachfolgung positiver erwähnt. Hierzu schrieb Ruh: „Nach der krassen Abwertung durch Denifle vor weit über hundert Jahren gilt heut das Bvga [gemeint: Buch von geistlicher Armut] als mystagogischer Traktat von beachtlichem Rang. Dem Leser, der von Tauler herkommt, ist dieser fast immer gegenwärtig. Es bleibt indes die Aufgabe, die 'Nähe Taulers' im einzelnen nachzuweisen.“ (Ruh 1996: 525).

Der inhaltliche Wert des Buch wird folgend beschrieben: Denifle vergleicht die Aussagen mit der philosophischen Stoa, da es den eigenen Willen und weltliche Annehmlichkeiten zu überwinden gilt und sich vollständig im Dienste Gottes zu stellen (vgl. Denifle 1877: xlii). Im Buch über die Nachfolgung geht es nicht nur um innerliche, sondern auch um äußerliche Armut und wurde daher eher den Fraticellen zugeordnet (vgl. Walz 1961: 13). Im Buch „Nachfolgung des armen Leben Christi“ finden sowohl Elemente die im wesentlichen der Leidensmystik als auch der Seelenlehre zu zuordnen sind. Hierzu heißt es zur Leidensmystik: „Leiden ist die Läuterung des Goldes durch’s Feuer, je heftiger die Glut, je schöner und reiner das Gold; je hitziger die Glut der Leiden, je reiner das Herz, je reineren Herzens, je näher Gott.“ (vgl. Abth. 2, §. 71.). Die Liebe zu Gott setzt in der biblischen Tradition die Läuterung des Herzens voraus, welches wie Silber gereinigt werden muß (vgl. Psalm 66: 10). Die Reinigung der Seele und des Herzens ist ebenfalls mit der Läuterung in Hiob 19: 25 vergleichbar. Hierzu heißt es: „Doch ich weiß, mein Retter lebt; auftreten wir er endlich über dem Staube; und wenn auch diese Haut zerstört ist; so werde ich ohne Fleisch Gott schauen. Ihn werde ich schauen, mir zu gut; meine Augen werden ihn sehen, doch nicht mehr als Feind; des schmachten meine Nieren im Busen.“ (Van Eß 1881). In anderen Übersetzungen wie die Luther 2017 oder Menge-Übersetzung wird statt Nieren das Wort Herz verwendet. Zur Seelenlehre heißt es beispielsweise in Tauler's Nachfolgung: „Aber nur die erkennen sie, die ihnen gleich und ähnlich sind; denn verborgen ist der Schatz; den sie tragen, verborgen und verdecket, wie Gold in der Erde vergraben: der irdisch Gesinnte, der irdisch Beladene erkennet und durchschauet sie nicht. Ihr Schatz ist ein inneres Gut, im Grunde der Seele gelegen; wer sich im Aeußeren herumtreibet, hat ihrer keine Kenntniß. Ihr Schatz ist erhaben über alle Bilder und Formen, er übersteiget das, was die Sinne begreifen; wer nun nach sinnlicher Wahrnehmung die Dinge nimmt, begreift weder dieses Gut, noch die, welche es besitzen. Ihr Besitz ist ihnen aus dem leidenden Christus gekommen; wer nun Den nicht kennet, nicht suchet und liebet, der kennet wohl auch die Freunde Jesu Christi nicht. Was ihnen geworden ist, haben sie in der Reinheit des Herzens und in stiller Ruhe der Seele empfangen; wer nun nicht reinen Herzens ist, wessen Herz noch woget und sich ungelassen herumtreibt, der ist nicht fähig, sie zu erkennen“ (vgl. Abth. 2, §. 57.). Die vorliegende Ausgabe von 1821 basiert auf Nikolaus Casseder (* 1768 bis † 1823). Das Buch beinhaltet die komplette Abschrift inklusive des Vorwortes aus der damaligen Ausgabe. Zusätzlich hatte Casseder fünf Lieder, die Tauler zugeschrieben werden, hinzugefügt. Diese sind: „Von der Entwerdung“, „Gesang einer Gott liebenden und von Gottes Liebeganz entflammten Seele“, „Vom freien Versinken in Gott“, „Von der wahren Armuth und Bloßheit des Geistes“ und „Von der Seligkeit des Seyns in Gott“.

Die ursprünglichen Umlaute aa, oa und ua wurden in ä, ö und ü umgeändert, um die Lesbarkeit und Barrierefreiheit, zu verbessern. Die Orthographie vom Casseder Text wurde beibehalten, beispielsweise die Verwendung TH statt T bei That oder bei Thöricht. Einzelne Korrekturen wurden vorgenommen wie die Austausch des Begriffs englische durch engelhaft, sowie doppelte „ist“ entfernt, „is“ durch „ist“ korrigiert.

4. Biographie Johannes Tauler

Johannes Tauler wurde um 1300 in Straßburg geboren, entstammte aus einer wohlhabenden/bürgerlichen Familie und ist zwischen 13 und 15 Jahren dem Dominikanerkloster beigetreten (vgl. Fraling 1989 b: 478; vgl. Gnädiger 1989: 229). Zunächst als Noviziat, Studium in Logik sowie in Naturalia und empfing die Priesterweihe mit 25 Jahren. Johannes Tauler hat Meister Eckhart vermutlich während seines Aufenthalts in Straßburg kennengelernt (vgl. Fraling 1989 b: 478). Insbesondere die Schriften Eckharts prägten die Theologie von Taulers. Es sind bis zu 80 Predigten von Tauler überliefert, die von tiefer Spiritualität geprägt sind (vgl. Gnädiger 1989: 230, 237 f.). In seinen Predigten wird auf die jeweiligen, individuellen Situationen der Menschen eingegangen. Erst während seiner Lebensmitte und schwierigen Erfahrungen wird eine scheinbare, innere Umkehr vollzogen (vgl. Fraling 1989 b: 479; vgl. Gnädiger 1989: 231). Nach der Exkommunikation von König Ludwig durch den Papst Johannes XXII, stand Straßburg von 1329 bis 1353 unter päpstlichen Interdikt, nachdem sich Straßburg mit König Ludwig solidarisierte. Daraus folgte ein Verbot von Sakramenten-spendungen und ein Verbot von öffentlichen Gottesdiensten. Tauler und der Straßburger Konvent verließen im Winter 1338/39 Straßburg und gingen nach Basel. In Basel lernte Tauler den Prediger Heinrich von Nördlingen und ein Kreis gottesfürchtiger Frauen, die sogenannten Gottesfreunde, kennen (vgl. Fraling 1989 b: 478; vgl. Gnädiger 1989: 231). Die Gottesfreunde waren eine mystische, christliche Gruppe, die auch in Folge des Gottesdienstverbotes entstanden sind. Sie verfassten verschiedene Traktate, blieben aber als Gruppe im wesentlichen geheim, entweder um sich selbst nicht zu rühmen oder vor allem auch um sich selbst zu schützen, da Häresie mitunter auch die Todesstrafe zur Folge hatte. Die Gottesfreunde können nicht als eine einheitliche und feste Gruppe bezeichnet werden, sondern es gab neben den Gottesfreunden vom Oberland, sondern ebenfalls in Niederrhein zu Köln, sowie Bayern, Oberelsass und Niederlanden (vgl. Kessel 1882: 897, 899). Die Enzyklopädie Britannica schrieb hierzu, daß die Ideen der Gottesfreunde auch einen späteren Einfluss auf die Reformation in den deutschsprachigen Gebieten hatten (vgl. Britannica 2023, vgl. Gnädiger 1989: 235). So hatten unter anderem, neben Meister Eckhart oder die deutsche Theologia, auch die Ideen Taulers einen theologischen Einfluss auf Martin Luther (vgl. Leppin 2021: 305). Auch wurden nach der Reformation, im 16. Jahrhundert in evangelischen Kreisen auf vorreformatorische Schriften zurückgegriffen. Ähnliches erfolgte durch die pietistische Bewegungen während der deutschen Romantik um 1800 (vgl. Weiss 1988: 197). Von 1344 bis 1346 reiste Tauler als Prediger und Seelsorger im Gebiet von Köln, Straßburg und Medingen bei Dillingen entlang (vgl. Gnädiger 1989: 231). Neben seiner Tätigkeit als Prediger soll Tauler auch Lieder verfasst haben. Neben die im Anhang aufgeführten Lieder hat Tauler auch das Lied „Es kommt ein Schiff geladen“ geschrieben (vgl. Ruh 1996: 516; vgl. Gnädiger 1989: 290). Tauler verstarb am 16. Juni 1361 in Sankt Nikolaus, Undis (vgl. Gnädiger 1989: 233).

2. Abschnitt

Nachfolgung des armen Lebens Christi.

(Verbesserte Textfassung nach Nikolaus Casseder)

Johann Tauler's

Nachfolgung

des

armen Lebens Christi.

Johann Tauler

Nachfolgung des armen Lebens Christi.

Neu herausgegeben

von

Nikolaus Casseder

Pfarrer zu Eltmann in Franken.

Selig sind, die da geistlich arm sind,

Denn das Himmelreich ist ihr.

Matth. 5, 3.

Wir wollen die Lehre vom Anfang des christlichen Lebens jetzt

lassen und zur Vollkommenheit schreiten. Hebr. 6, 1.

Zueignung und Vorrede.

In der ewigen und unausprechlichen Liebe des himmlischen

Vaters und Seines ewigen Wortes grüße ich euch, Geliebte in Christo!

Der liebe Gott, zu Dem ich geflehet habe, hat mich als Seinen armen, lehrbegierigen Schüler in eine reiche und große Schule gesendet, in welcher man allzeit und alle Tage unaussprechliche und hohe Wunder erlernen kann: nur muß man aus Liebe zu dieser segensvolle Schule durchaus und ganz allen Dingen entsagen; denn will sich Einer dem liebenswürdigen Lehrer dieser Schule übergeben, so muß er seiner selbst und aller Kreaturen ledig seyn. In dieser edelen Schule trägt der würdige Lehrmeister aus dem höchsten und vortrefflichsten Buche täglich diese Lehre vor: „Wir sollen in gänzlicher Verzichtleistung unseres Eigenwillens und in vollkommener Hingabe in den allerliebsten Willen Gottes standhaft und unveränderlich uns einergeben, so daß es uns nicht nurgleich gelten, sondern auch lieb und angenehm seyn soll, in welche Lage immer der Herr uns zu versetzen beliebe, ob in Besitz, oder in Mangel und Nothdurft, ob wir als Weise oder als Unweise angesehen werden, daß wir nicht begehren, nichts wünschen und nichts wollen, als einzig den Willen und die Anordnung unseres lieben Meisters, im Können und Vermögen, wie im Unvermögen und Schwachheit, im Thun und Unterlassen, in allen Anliegen und Leiden des Geistes wie des Leibes, im Leben wie im Tode; mit einem Worte: wo und wie wir uns befinden und sind, ohne alles Wanken, ohne alles selbst Erwählen, und nicht Erwählen dessen oder jenen, gerne oder ungerne soll einzig des allerliebsten Lehrers Wille in uns leben, und alles, was gegen oder außer Seinem Willen ist, soll uns ganz todt und fremde seyn; nur Sein allerliebster Wille in seiner vollen und reinen Kraft muß von uns ohne Zuthun oder Hinwegnehmen sowohl vor als in und nach unserm Tode vollbracht werden.

Die Schule selbst nun, in die der Herr uns geschicket hat, ist der heiligste Wille Gottes; der Lehrmeister in derselben ist der heilige Geist Selbst in all Seiner Güte; das einzige und wahrhaftige Lehrbuch ist der liebenswürdigste Herr Jesus Christus, Er in Sich Selbst und in allem, was Sein ist und Ihm zugehöret.

Außer dieser Schule kenne ich ferner keine, sie sind mir alle entschwunden; außer diesem Lehrmeister sind mir alle andere fremd und ferne; außer diesem Buche kenne ich kein anderes. Diese Schule, dieser Lehrer, dieses Buch haben mich zur Entsagung aller Dinge vermöget; diesen Dreien will ich wahrhaftig allein nur leben.

Nur denn, liebe Kinder, lernet auch ihr diesen Dreien allein nur leben, aber in Wahrheit leben; so nur werdet ihr den wahren Frieden in allen Dingen finden, anders aber wahrlich nicht. Gehet oft ein in diese gesegnete Schule, denn wohin wollten wir lieber gehen, als dahin, wo dieser liebenswürdige Lehrmeister allzeit und ohne Unterlaß gegenwärtig und für uns immer bereit ist, wo das Buch der Liebe niemals geschlossen, immer offen ist?

Liebe Kinder, bleibet auf mein Wort froh und zufrieden in dieser heiligen Lehranstalt, denn ich kenne wahrlich keinen besseren, keinen kürzeren, keinen sicherern und keinen erhabneren Weg. Diesen Lehrer hat euch der allmächtige Gott aus dem reichen Schatze Seiner unermeßlichen Liebe gegeben, folget Ihm getrost auf mein Wort; es ist wirklich euer Bestes, wenn ihr allein in diese heilige Schule gehet. Wer immer da eingeht, der wird mit aller Gewißheit gelehret, wie er seine Gedanken, Worte und Werke, sein ganzes Leben auf Gott unsern Vater beziehen, aus Ihm alles herleiten und Ihm Selbst, dem Herrn, am besten und höchsten wohlgefällig werden könne.“

1)

Und soll ich noch Etwas beisetzen zur Rechtfertigung der Herausgabe dieser Schrift, so seyen es die Worte des Apostels: „Läßt sich Jemand von euch weise dünken, der werde vor dieser Welt ein Thor, damit er weise werde; denn die Weisheit dieser Welt ist vor Gott Thorheit.“ 1. Cor. 3, 18. 19 –D. i., für weise muß sich keiner halten, der zur wahren Weisheit gelangen will; als Thorheit muß er anerkennen, was diesem Zeitalter für Weisheit gilt, so daß die Narren ihn für einen Thoren halten, indem sie sich weise dünken; ihre Weisheit muß er nicht zu der seinigen machen, denn sie ist in den Augen Gottes Thorheit. –

Das Büchlein selbst ist nach der Frankfurter Ausgabe vom Jahre 1681 bearbeitet worden; bei dieser meldet der damalige Herausgeber: er sey einem im Jahre 1448 geschriebenen Exemplare wörtlich, und wie er sich ausdrückt, „ohne Parteilichkeit gefolget, und sey mit Fleiß kein einziger Buchstabe verändert worden.“ – Diese Schreibart nun konnte ich freilich in einer neuen Ausgabe nicht beibehalten, wenn nicht das Aeußere der günstigen Aufnahme des gehaltvollen

Inhalts, ja selbst der Deutlichkeit entgegenstehen sollte. Gewisse, Taulern ganz eigene, kräftige und scharf bezeichnende Worte wollte und durfte ich jedoch ihres wahren Reichthums wegen keineswegs bei Seite setzen, denn daß Tauler unstreitig ein Meister unserer Sprache und ein besonderer Bereicherer derselben gewesen, wird nicht geläugnet werden wollen.

2)

Die in erstgenannter Ausgabe befindlichen Paragraphen konnte ich der Verständlichkeit und des Zusammenhanges wegen nur selten beibehalten.

Des Werkes Inhalt zerfällt in zwei Theile. Im ersten Teil zeigt Tauler, was die wahre Armuth des Geistes sey und worin sie bestehe; er nennet sie „die rechte, wahre, einfache, bloße, lautere, abgeschiedene, ledige, freie, edle, reiche, wesentliche, nützliche, demüthige, freiwillige, tugendhafte, göttliche Armuth.“ Der zweite Theil giebt die Wege an, die dahin führen, und die Zielpunkte, auf welche das innere Auge müsse gerichtet seyn, um diese höchste Vollkommenheit zu erreichen. Auch in dieser Schrift finden wir, und zwar vorzüglich in dieser, was Taulers einziger Zweck war, wohin er führen wollte, und den er selbst erreichte, den Mittelpunkt, von dem er ausging und auf den hin er alles zurückführte; er will nämlich den Menschen durch Tödtung der Sünde und der sündlichen Gebrechen, durch Verläugnung des Eigenwillens und der Eigenliebe, durch standhafte und unausgesetzte Uebung der Tugenden zu seinem innern Ursprung zurückführen, in welchem die Seele Gott wiederfinden kann, Der Sein ewiges Wort in ihr zeuget und Seinen Geist in ihr offenbaret. Er zeiget, wie die Seele durch diese beständige Einkehr in sich in diesem seligen Stande und in diesem inneren göttlichen Leben bleiben und bestehen und Gott Seine Wunder fortgesetzt in ihr wirken könne.

Eine Empfehlung des Büchleins sieht der Herausgeber als eine ganz unnöthige Sache an; es wird sich dem religiösen Leser wohl selbst empfehlen, und den Andern? – Wer wird da zu empfehlen wagen, wo entschiedene Abneigung, Verachtung und Ekel obwalten? Für diesen Fall mögen die Worte K. 9. Lessings hier stehen: „man tadelt, sagt er ),

3)

meines Bruders Briefe an seine Frau als uninteressant. Hierauf kann ich nichts antworten, als die Einwendung eines Bauern, der seine Ackerpferde zu Markt brachte und dem ein Stallmeister mitleidig zu verstehen gab, daß sie weder als Schulpferde noch als Reitpferde taugten. Wunderlicher Herr! habe ich sie denn dafür ausgegeben oder ausgeben können und wollen? sie stehen zur Nachfrage da für Leute, wie ich bin.“

Noch habe ich einige wenig bekannte Lieder Tauler’s beigelegt, deren erstes Tersteegen in seiner „kleinen Perlenschnur“ aufgezeichnet hat; die vier übrigen hat der Herausgeber aus der lateinischen Ausgabe der Tauler’schen Schriften des Laurentius Surius zu übersetzen versuchet.

Lieber Leser! ist dir das Büchlein angenehm, so gebrauche seiner, wo nicht, so dulde es, du duldest ja sonst noch Vieles.

Geschrieben im Ostermonate 1820.

Der Herausgeber.

Von der

wahren Armuth des Geistes

oder der

höchsten Vollkommenheit des Menschen.

Erste Abtheilung.

§. 1.

Die höchste Vollkommenheit des Menschen bestehet ursprünglich in wahrer und vollkommener Armuth des Geistes; ja sie selbst ist die wahre, eigentliche, höchste Vollkommenheit. Deshalb kommt es wohl einzig darauf an, daß wir lernen und erfahren, was die wahre Armuth des Geistes sey, worin sie bestehe, und wie weit sie sich erstrecke? Nun ist aber diese Armuth des Geistes eine Aehnlichkeit Gottes. Gott ist nämlich ein von allen Kreaturen unabhängiges, in Sich Selbst bestehendes Wesen, Er ist eine freie Kraft, Er ist ein reines Wirken. Ist nun die wahre Armuth eine Aehnlichkeit Gottes, so ist sie ein von keiner Kreatur abhängiges, vielmehr von jeder abgeschiedenes Wesen; denn an Nichts haften und hängen, heißet von jedem Dinge geschieden seyn, nun haftet die wahre Armuth des Geistes wirklich an Nichts, und Nichts an ihr.

§. 2.

Fragst du, wie das möglich sey, da doch alle Dinge von einander abhangen, eines von dem andern erhalten wird, sollte denn der Arme im Geiste allein von keinem Geschaffenen abhangen? Wirklich hangt er von keinem Geschaffenen ab, noch hangt er ihm an, alle geschaffenen Dinge sind unter ihm, nur von dem hangt er ab, und nur dem hangt er an, was über alle Dinge erhaben ist, der heilige Augustin nennt es das Beste aus allen Dingen, nämlich Gott; Ihn allein sucht die wahre Armuth, Ihm allein hangt sie an, von Ihm allein hanget sie ab, und sonst von keinem anderen; das ist aber auch gerade der höchste Adel der Armuth, daß sie allein, und Alles ausschliessend, dem Allerhöchsten anhanget, und sich alles Erschaffenen, alles Niedrigen, so viel möglich, entlediget, und frei machet.

§. 3.

Was Einige von der höchsten, lautersten, und wahren Armuth des Geistes behaupten, daß sie nämlich darin bestehe, wenn der Mensch wieder so sey und werde, wie er war, da er noch nicht war, da nämlich, sagen sie, verstand er nichts, da hatte er keinen Willen, da war er gleichsam Gott mit Gott; – das wäre allerdings wahr, wäre es nur möglich; denn der Mensch, als ein geschaffenes Wesen, muß auch menschliches Wirken, muß Willen und Verstand haben, er muß Gott erkennen, und lieben, davon hängt seine Seligkeit ab, wie der Jünger Jesu, Johannes, spricht:

4)

„Das ist das ewige Leben, daß wir Dich Vater erkennen, und, Den Du gesandt hast, Jesum Christum.“

Wenn es möglich wäre, wie es aber wahrhaftig unmöglich ist, daß eine Kreatur, was die Wirkung betrifft, gar zu nichts, und so arm würde, als sie war vor ihrer Erschaffung, das ist, daß sie auf solche Weise mit Gott eins würde, als sie damals war nach der Idee, dann könnte sie traun! nichts verdienen, sie würde weder heiliger noch seliger seyn, als ein Stein oder Klotz; denn ohne Liebe und Erkenntniß Gottes, ohne eigene Werke können wir nicht selig seyn; Gott aber würde nichts destoweniger eben so selig seyn, als Er ist und von Ewigkeit war, uns aber würde das nichts helfen, darum ist diese Entledigung und falsch genannte Armuth des Geistes nichts, als ein arger Betrug. Rusbrochs Schriften: Von dem Schmucke der geistlichen Hochzeit, 2tes Buch, S. 129.

§. 4.

Da nun aber der Mensch Gott erkennen und lieben soll, wie kann ihm da noch Armuth des Geistes im Erkennen und Lieben bleiben? Ich sage, sie bleibt ihm allerdings, wenn er Gott erkennet mit Gott, wenn er Ihn erkennet und liebet wegen Ihm, wenn sein Kennen und Lieben nur zu Gott gerichtet ist, und nur dieses, sonst kein anderes Kennen und Lieben Gottes, macht ihn selig, und giebt ewiges Leben; des Menschen Kennen Gottes in Bildern, Formen und Vorstellungen, die ihm die Sinne zuführen, giebt ihm keine Seligkeit, das wäre bloß natürliches Erkennen und Lieben, dessen muß aber der wahre Geistesarme ledig, d.h. arm daran seyn, will er selig und ein wahrer Armer seyn.

§. 5.

Nun könnte freilich die Frage entstehen: wenn vernünftiges Vorstellen in Bildern und Formen, die dem Menschen die äusseren Sinne bringen, ihm nicht nur nicht die Seligkeit bringet, ihn vielmehr an der Vollkommenheit und wahren Geistesarmuth hindert, und er deren ganz ledig und leer seyn muß, wozu sind sie ihm denn gegeben, wozu ist ihm die Gabe der sinnlichen Unterscheidung denn nütze? Ich sage: so lange das Viele und Mannichfaltige noch auf den Menschen wirket, und er damit beladen ist, ist ihm dieser bildliche und vernünftige Unterschied wohl nütze, und er kann dessen nicht entbehren, wenn er anders zum Besseren und Höheren kommen will; sobald aber der Mensch von dem Mannichfaltigen und Vielen zum Einen, und Einfachen, zum Entwerden Seiner gekommen ist, und so erlanget hat die wahre Armuth des Geistes, dann muß er entsagen aller bildlichen Unterscheidung, muß rein und entlediget von Allem, gleichsam als Einer eingehen in das Eine; würde er hier, jetzt noch, hangen an Bildern und Formen, an sinnlichen Wahrnehmungen und Unterschieden, dann wäre er wohl noch gebrechlich und schwach, und entfernt von wahrer Armuth des Geistes. –

Das Unterscheiden in Bildern und Formen, das Aufnehmen der Dinge durch die Sinne, ist dem natürlichen Menschen freilich nothwendig, er soll, und will etwas erlernen; auch weil der Mensch lebt in der Zeit, so muß er auch wirken mit der Zeit in seinem äusserlichen Leben, seiner Lage, und zeitlichen Verhältnissen, und daß er nicht stehen bleibe auf der Zeit, träge und unwirksam, vielmehr daran sey, seinen äusseren Menschen in Ordnung und Uebereinstimmung zu bringen mit dem inneren: zu dem Allen verhilft ihm eine vernünftige Unterscheidungsgabe. Endlich, auch dazu ist diese ihm nütze, ja nothwendig, widerstehen zu können sündlichen, verderblichen Einfällen, die den Menschen so oft und so leicht befallen, und so sein Herz zu bewahren vor Sünde und Unrath. Die wahre Vollkommenheit, die wahre, reine Armuth des Geistes aber bedarf der Eindrücke, der Belehrungen durch die Sinne durchaus nicht, sie erkennet nicht nach der Natur, sie erkennet Gott mit Gott, sie liebt Gott wegen Gott, ihr Erkennen und Lieben ist einzig zu Gott gerichtet, darum ist sie auch eine Aehnlichkeit Gottes, sie ist ein reines, einfaches Wesen, eine Einheit, geschieden von aller Kreatur und Mannichfaltigkeit.

§. 6.

Ja nicht nur arm am natürlichen Erkennen und Lieben Gottes muß ein ganz vollkommener Mensch seyn, will er zur innigsten Vereinigung mit Gott kommen, er muß sogar an Gnade und Tugenden arm seyn; denn die Gnade ist eine Kreatur, auch die Tugenden sind kreatürlich. Die Gnade nämlich ist ein Licht, welches Gott schöpfet oder schaffet in Sich Selbst, und es der Seele eingiesset, womit Er sie abziehet vom Leiblichen in das Geistige, vom Zeitlichen und Vergänglichen in das Ewige, von der Mannichfaltigkeit in das Einfache und Eine; ist nun die Seele mittelst der Gnade erhaben über alles Irdische, über Zeit und Mannichfaltigkeit, allem entrücket, sich einzig einigend dem Einen, dann ist sie rein Geist, stehend in der Ewigkeit, dann wird Gnade gewandelt in Gott, nicht ferner zieht Er sie durch kreatürliche Gnaden-Weise, Er ziehet sie unmittelbar durch Sich zu Sich, Er führet sie von Sich zu Sich, wie der heil. Augustin spricht: „O Herr! wer giebt mir einen andern Dich, daß ich von Dir zu Dir gehe?“ und in dieser Rücksicht ist die Seele auch gnadearm, denn sie ist erhoben über die Gnade, durch Gott in Gott versetzet.

§. 7.

Ferner, auch tugendarm muß der Mensch seyn, dem es um wahre Vollkommenheit ernst ist; die Tugenden sind nämlich nach ihren Werken natürlich, nach ihrer Meinung aber und Absicht göttlich. Nun soll der Mensch aus lauterer reiner Meinung, welche Gott ist, wirken, denn Gott liebt und nimmt die Tugend nicht nach den Werken, sondern nach der Meinung, und so wird die Tugend nicht natürlich, sie wird übernatürlich und göttlich; und da jedes Wirken sein Ziel hat, so muß des Menschen Ziel Gott seyn, und nicht anderes, und mit solcher Tugend bestehet die Armuth wohl. – Auch in folgender Hinsicht soll der Vollkommene tugendarm seyn, nämlich, die Tugend muß in ihm in solche Fertigkeit übergegangen seyn, er muß sich in allen Tugenden so ausgewirket haben, daß ihm das Bild der Tugenden gänzlich entschwunden sey, und er nicht mehr wirke tugendlich im Zufalle, sondern im Wesen, nicht in der Vielartigkeit, sondern in voller Einheit, und diese Tugend ist dann nicht mehr natürlich, sie ist göttlich; und so wie Gott alle Dinge in sich begreifet, so begreifet eben auch ein vollkommen armer Mensch alle Tugenden in der Einheit der Liebe, denn in dieser Liebe wirket er alle Tugenden, und diese Tugend ist wesentlich, und bestehet gar wohl mit wahrer Geistesarmuth; ja er wird nimmermehr diese wahre vollkommene Armuth erreichen, wenn nicht alle Tugenden sein Wesen werden.

§. 8.

Dann aber gehet der Mensch in das Wesen der Tugend über, wenn er alles Zufalles ledig ist, und dann ist er alles Zufälligen ledig, wenn die göttliche Liebe ihm alle vergängliche Dinge entzogen hat, und er dann äusserlich und innerlich frei, entlediget und blos stehet von allen diesen Dingen, und nicht mehr irgend eine Tugend mit Befangenheit zu wirken vermag, sondern einzig mit einem einfältigen und reinen Willen sich Gott zu überlassen und hinzuopfern in alle Tugenden. Das ist aber jenem Menschen nicht möglich, der noch nicht jedes Aeusserlichen, jedes Zufälligen entlediget ist, und dem die göttliche Liebe noch nicht alles Aeusserliche entzogen hat; er hat die Tugend nicht, und kann sie noch nicht haben im Wesen, er wirket blos zufällig: denn zufällig ist alles, was jetzt ist, und dann nicht ist. So wirket er nun tugendhaft, wie sich Zeit und Gelegenheit, Lust und Noth giebt, oder nicht ergiebt, dagegen wirket ein wahrer Geistesarmer allzeit und immer tugendlich, und so wie sein Wesen unzerstörlich ist, so ist es auch seine Tugend, darum heisset sie auch wesentliche Tugend, weil sie zum Wesen geworden ist.

§. 9.

Daraus ergiebt sich nun, daß, wer eine Tugend wesentlich und vollkommen hat, sie zumal alle habe; denn alles, was der Mensch äusserlich und innerlich thun kann, gehöret zu einer vollkommenen Tugend. Richtet er nun alle Dinge, jedes seiner Werke auf die eine Tugend hin, dann gewinnt er sich das Wesen dieser Tugend, und ziehet mit diesem alle andern Tugenden an sich, und machet selbe sich wesentlich; richtet aber der Mensch sein ganzes Streben und seine ganze Kraft nicht auf die Tugend, die er erreichen will, so entgehet ihm das Wesen der Tugend, und ihm wird keine Tugend wesentlich werden, denn dem Wesen der Tugend steht er selbst entgegen.

§. 10.

Auch stehet die Vollkommenheit des Menschen nicht einzig in der Ledigkeit und Freiheit des inneren, sondern auch des äusseren Menschen, – denn der Mensch ist Mensch nicht allein der Seele, sondern auch dem Leibe nach. –

Darum ist es nicht genug, nur ledig zu seyn nach dem inneren Menschen, auch der äussere muß entlediget seyn, so viel es ihm möglich ist, und dieses äusserliche und innere Hinwenden und Kehren aller Dinge auf die Tugend macht ihn allein ganz vollkommen, denn in der Tugend bestehet die Vollkommenheit. Ist nun der Mensch innerlich und äusserlich abgestorben allem Irdischen und jeder Kreatur, haftet er an nichts weiter, so schadet es dem Adel und der Reinheit seiner Armuth keineswegs, wenn Zeitliches ihm äusserlich zukömmt, und die Kreatur mit Gunst sich zu ihm wendet; er ist ja ledig dessen allen der Neigung nach, und was ihm zufällt, oder sonst zukommet ohne sein Zuthun, das sieht er an, wie es auch wirklich ist, als eine Gabe von Gott, der nur sein Bestes will, es sey nun was er sey, Liebe oder Leid, bitter oder fülle. Denn dem aller Dinge Ledigen, der sich einzig an Gott hält, dem muß der gütige Gott mit allem Gute gleichsam entgegengehen, es sey leibliches oder geistliches Gut, er nehme es nur an von Ihm, er nimmt es ja von Gott, und nicht von den Geschöpfen.

§. 11.

Wie aber, wenn ihm zu viel zufiele, wie soll der Vollkommene sich hier benehmen? Er nehme, daß ihm seine Armuth allzeit bleibe, und er nicht hafte daran, als sey er duch die kleinere oder grössere Gabe nun reicher; ist doch nur Gott sein Reichtum, und nicht zeitliches Gut!

So man ihm aber gäbe, soll er annehmen? er sehe darauf, wer es giebt; ist der Geber selbst arm am zeitlichen Gute, jedoch reich an Liebe, die ihn alles hinzugeben, gleichsam treibet, oder giebt man dir aus natürlicher Liebe, dann nimm in beiden Fällen nichts, vom Letzteren schon gar nicht, laß ich placken und sich balgen mit seinem Gute, bleib du ledig und frei. Ist ein Anderer indessen reich an Gütern, aber arm an Liebe, er gäbe dir aber um Gotteswillen, und du bist augenblicklich der Gabe dürftig, nimm sie hin, und was über die beschwichtigte Nothdurft ist, das vertheile an Andere, daß du hier der Gabe dich hingeben mußt, ist kein Hasten daran, sondern Gottes Werk, Wille und Gabe.

§. 12.

Fallet dir aber wenig zu, suche einzig deiner Nothdurft zu steuern, giebt man dir, nimm hin, bekommst du nichts, trage es geduldig, denn Mangel ist gar oft nützer, als Haben; im Mangel lernt man sich besser kennen, als beim Haben, ersterer machet uns fähig, zu empfangen ewige Dinge, leibliche Krankheit giebt gar oft geistliche Kraft, und diese übertrifft doch wohl jede leibliche; höre, was Paulus sagt:

5)

„Die Kraft wird vollendet in Schwachheit.“

§. 13.

Wende dich auch nicht zu reichen Leuten, sie ermangeln gemeiniglich der vollen Liebe und Treue. Ich erweise das durch Folgendes: Ungleich sind sich schon der Arme und der Reiche, nun liebet, wie bekannt, nur Gleiches seines Gleichen, zwischen beiden findet somit keine wahre, volle Liebe statt, sie ermangeln nämlich des Grundes, aus dem ächte Liebe und Treue sprosset. Der Reiche giebt seine Gabe gewöhnlich aus einem gewissen Interesse, er möchte sich dadurch den Himmel verdienen, und die Hölle damit von sich abwenden, dieses Hoffen und dieses Fürchten ist nun gewiß weder Liebe, noch ächte Treue, sie lieben damit doch nur sich selbst, und glaubten sie, ohne den Armen, in den Himmel zu kommen, sie würden wahrlich mit dem Armen wenig Umgang, und Zuthat zu ihm, haben; auch ist es ja nur Weniges, was sie den Armen leisten, sie können sich nicht zur vollen Gabe, wie sie die ächte Liebe erfordert, bringen, und auch das nur mit vielen Zwange, und harter Noth. Ferner ist ja ein armer Mensch entlediget aller Kreaturen, der Reiche haftet noch an und in ihnen, wie können beide nun – so weit abstehend von einander – sich wechselseitig mit Liebe ergreifen? und die rechte Liebe kann doch nichts anderes seyn, als ein gänzliches Ausgehen aus sich, und allen Dingen? Der Reiche ist in sich und allem Irdischen noch ganz befangen, wie sollte er der wahren Liebe fähig seyn? auch ist ja die ächte Liebe nur geistlich, denn sie urständet aus dem heiligen Geiste, sie hingegen sind irdisch, wie könnten sie geistliche Liebe erzeigen? Endlich ist der wahre Arme den Reichen ganz unbekannt, folglich auch ungeliebt von ihnen, denn unbekannt und ungeliebt sind sich Ursache und Wirkung, wie Augustin sagt: „Was man sieht, kann man wohl lieben, das Unerkannte und Unbekannte kann Niemand lieben.“

§. 14.

Die Armuth des Geistes beurkundet auch dadurch ihre Aehnlichkeit mit Gott, nicht nur, daß sie, wie Er, ein von allen Kreaturen unabhängiges, in sich selbst bestehendes Wesen ist, sie ist auch hierin ähnlich mit Gott, da sie, wie Er, eine freie Kraft ist, unbezwungen, und unbezwinglich von Niemand; ihr Adel und ihre Würde ist volle Freiheit. Nur wenn die Seele sich mit irdischen und gebrechlichen Dingen selbst beschweret, dann verlieret sie ihre Freiheit, und seufzet unter einer Bürde; alles Irdische ist eine Bürde, es machet die Seele blind, unbehülflich, und nimmt ihr alle Kraft und Tugend; darum entsage sie, und werfe ab alle irdische Bürde, nur dann ist sie edel und frei; denn nur Armuth ist ledig aller Dinge, und so ist auch sie nur der einzig wahre Adel der Seele, die einzig wahre Freiheit.

§. 15.

Diese Freiheit nun ist eine allseitige Lauterkeit, ein gänzliches Getrenntseyn von Allem, sie reichet hin in die Ewigkeit; diese Freiheit ist ein von Allem entblößtes, getrenntes Wesen, solch‘ Wesen ist Gott, und Ihm allein und ganz eigen; ein gleich bloßes, von allen Kreaturen getrenntes Wesen ist nun die Armuth, und so ist sie auch die wahre Freiheit. Eine freie Seele hat allen gebrechlichen und geschaffenen Dingen entsagt, sie dringt ein in das unerschaffene Gut, das Gott ist, sie ist’s, die da gewinnet mit Gewalt, was Christus mit Gewalt zu gewinnen verheisset, da er spricht:

6)

„Das Himmelreich leidet Gewalt, und die Gewaltigen reissen es zu sich.“ Nun ist Gott der Seele Himmelreich, entsaget sie nun allen Dingen, und hanget Gott allein an, so gewinnet sie Gott mit Gewalt; dieser Seele will und kann sich Gott nicht entziehen, Er muß und will Sich ihr geben, es ist ja Seine Natur, daß Er sich gemeinsamet der Seele, die Seiner empfänglich ist. – Nun sind ihr alle Dinge gleich, Lieb‘ und Leid, Lob, wie Tadel, Armuth, wie Reichthum, Wohl, oder Wehe, der Freund, wie der Feind; Nichts ist ferner vermögend, sie anzuziehen, nichts kann sie weiter von Gott scheiden, nichts vermag ferner sich zwischen ihrem Gott und sie zu stellen, recht wie Paulus spricht:

7)

„Wer ist, der da uns scheiden könne von Gott?“ Vielmehr ziehet sie alle Dinge hin auf Gott, und dringet durch alle Dinge frei auf ihren ersten Ursprung ein, sie erstrebet sich nicht nur die Tugend, sie gewinnet das Wesen der Tugend, nichts bindet sie, ausser der Tugend, und zwar nur die höchste und reinste Tugend, und das ist nicht nur kein Band, es ist vielmehr die Art und Wirkung der Freiheit, die nur dann wahrhaftig frei ist, wenn sie das Höchste und Beste zu wirken vermag, und das Schlechte gänzlich dahinten läßt; denn Freiheit besteht nicht in der Sünde, nur Knechtschaft ist Sündendienst, wie Paulus sagt:

8)

„Wer Sünde thut, ist Knecht der Sünde, und nicht ein Freier.“ So edel und erhaben ist ächte Freiheit, daß sie Niemand, denn Gott, der Vater, allein geben kann, da sie eine Kraft ist, die da unmittelbar fleußt in die Seele aus Gott, der ihr alles Vermögen giebt, nach Paulus Worten:

9)

„Alle Dinge vermag ich in Dem, Der mich stärket.“

§. 16.

Eine Seele, die da einkehret in sich, und nachdenket über sich, betrachtet sorgfältig, was sie war, was sie sey, und was sie nicht ist; was sie war, nämlich in ihrer sündlichen, gebrechlichen Weise, mit Sünden befleckt, entfremdet Gott, und sich selbst, tugendleer, und gnadeleer, das erkennet sie mit bitterer Reue und Schaam, und diese Reue, diese Bitterkeit, dies Gedränge und Mißfallen an sich selbst reiniget, und läutert sie, und in dieser Läuterung urspringet ein Licht, ein klarer Lichtstrahl, der ihr alle Wahrheit entdecket, und der heilige Geist entflammet noch mehr dieses Licht, machet die Seele aufwallen und inbrünstig, treibet sie in Erkenntniß der ihr aufgedeckten Wahrheit hinein, daß sie ihr nicht mehr entschwinde, daß sie ihr unwiderstehlich anhange, und nimmermehr, zurücktrete in ihre alten Gebrechen. Gewaltig und frei führet Er sie in alle Wahrheit; und ist sie dann in die Wahrheit gekommen, von ihr durch und durch ergriffen, hat sie in der Wahrheit die süße Frucht der Freiheit gekostet. So ist ihr denn die Wahrheit so köstlich und tröstlich, daß sie Allem und Jedem entsaget, ausschliessend der Wahrheit sich hingiebt, Verzicht leistet auf die Freiheit ihres eigenen Willens, und so in die wahre Armuth eingehet. Bei diesem Ausgange, und dieser Aufgabe ihres eigenen Willens, nimmt Gott ihren Willen, umkleidet ihn mit Seinem Willen, giebt ihm völlige Freiheit, und einiget Sich mit ihm, nach des Apostels Ausspruch:

10)

„Wer Gott anhanget, der wird Ein Geist mit Gott.“ Diese Verzichtleistung ihres eigenen Willens hat ihrem Willen erst den rechten Adel, die wahre Höhe und Erhabenheit gegeben; nicht nur nicht ist sie dadurch als Sclavin geniederet, sie ist eine Freie geworden, weit mehr und besser, als wenn sie nie darauf verzichet hätte; wird doch jedes Ding, je näher seinem Ursprunge, um so edler und vollkommener. Ist nun der Wille geeignet mit dem Höchsten und Ursprünglichen, mit der höchsten Freiheit, so ist er gewiß der edelste und freiste, und eine andere Freiheit des Willens giebt es nicht; und in dieser Vereinigung des Geistes mit dem göttlichen Geiste wirket die Seele mit dem Allmächtigen allmächtig in voller Freiheit, „wo der Geist ist, da ist Freiheit“, sagt Paulus.

11)

Erkennest du nun, wie die wahre Armuth des Geistes eine wahre Aehnlichkeit Gottes ist, da sie mit Gott alle Dinge vermag?

§. 17.

Hier könnte sich nun wohl eine Schwierigkeit ergeben, wenn gefraget würde: wenn der Mensch, der sich seines eigenen Willens verzichtet hat, nun sich hingiebt unter den Gehorsam eines andern Menschen, ob das nicht seine Freizeit störe? In vierfacher Hinsicht, antworte ich, kann, ja muß der Mensch dem andern sich überlassen; erstens muß der Unwissende sich dem Lehrer überlassen; zweitens, ist der Mensch noch nicht aller Sünde und allen Gebrechen gestorben, schwanket er noch zwischen Tugend und Fehler, dann ist ihm wohl ein wahrer Geistes-Lehrer nothwendig, dem er sich hingebe zum Besserwerden mit sich. Drittens, sey es auch, daß er der Sünde wirklich abgestorben, mit seinem Inneren ins Klare, und zur Kenntniß der Wahrheit gelanget ist, so rühmt er sich dessen doch nicht, in tiefer Demuth des Herzens hält er sich für nichts, als einen Sünder, und in diesem Gefühle der Niedrigkeit unterwirft er sich einem Anderen, mehr vertrauend diesem, als sich. Endlich soll der Mensch sich den Geboten und Anordnungen der heiligen Kirche unterwerfen, was sie befiehlt, das thue er willig.

§. 18.