Nanga Parbat - Ralf-Peter Märtin - E-Book

Nanga Parbat E-Book

Ralf-Peter Märtin

0,0
12,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Der Nanga Parbat, der »Schicksalsberg der Deutschen«: In einer gekonnten Mischung aus Bergreportage und Hintergrundschilderung, gestützt auf zeitgenössische Berichte, Briefe und Tagebücher, erweckt Ralf-Peter Märtin ein packendes Kapitel des Abenteuers Berg zum Leben und erzählt die Geschichte des Alpinismus neu: tödliche Dramen von Ehrgeiz und Eitelkeit – und von übermenschlicher Kraft und Leistung zugleich. Vom ersten Versuch des Engländers Mummery mit Tweedjacke und Hanfseil zum »alpinen Stalingrad« des Dritten Reichs, vom Triumph des Erstbesteigers Hermann Buhl 1953 zur Tragödie der Messner-Brüder und darüber hinaus.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Mehr über unsere Autoren und Bücher:

www.piper.de

Für Irene

Mit 62 Schwarz-Weiß-Abbildungen und 5 Karten

Vollständige E-Book-Ausgabe der im Piper Verlag erschienenen aktualisierten und erweiterten Taschenbuchausgabe (Die Kapitel »Berg der Zwietracht III« und »Fund, Film, Finale« wurden für diese Ausgabe neu verfasst)

1. Auflage Juli 2014

ISBN 978-3-492-96657-3

© Piper Verlag GmbH, München 2014

© Berlin Verlag, Berlin 2002

Covergestaltung: Dorkenwald Grafik-Design, München

Covermotiv: unter Verwendung des Gemäldes »Nanga Parbat« von Thomas Beecht (2001)

Karte im Kapitel »Berg der Zwietracht III«: Eckehard Radehose, Schliersee

Datenkonvertierung: Kösel Media GmbH, Krugzell

Alle Rechte vorbehalten. Unbefugte Nutzungen, wie etwa Vervielfältigung, Verbreitung, Speicherung oder Übertragung können zivil- oder strafrechtlich verfolgt werden.

Karte der Achttausender des »Himalajapapstes« G. O. Dyhrenfurth aus den sechziger Jahren. Der Nanga Parbat liegt als Grenzberg zwischen Indien und Pakistan. Tatsächlich war er das nie, da das Fürstentum Kaschmir zwischen den beiden Staaten strittig ist. Die Waffenstillstandslinie von 1949 verläuft 50 Kilometer südlich des Berges, der sich heute auf pakistanischem Territorium befindet. [1]

Ausschnitt aus der Nanga-Parbat-Karte von R. Finsterwalder (1934) mit Einzeichnungen K. M. Herrligkoffers (1971) [2]

Ich wollte einmal hoch hinaufsteigen, um tief in mich hineinsehen zu können.

Reinhold Messner

AUFSTIEG

Als ich nach fünf Wochen das Diamir-Tal verließ, konnte ich kein Geröll mehr sehen. Das ewige Braun und Grau der schottrigen Berge hing mir zum Hals heraus. Das Donnern der Lawinen nahm ich nicht mehr wahr. Das Weiß der Gipfel der Ganalo- und Mazeno-Kette brannte in meinen Augen. Am Beginn der Schlucht, durch die der schmale Pfad zum Indus hinunterführt, drehte ich mich noch einmal um: Von ungeheurer Massigkeit, hoch, steil, eisgepanzert, wuchtete die Westflanke des Nanga Parbat in einen stahlblauen Himmel. Der letzte Schein der untergehenden Sonne ließ das Gipfeltrapez golden aufflammen. Die tieferen Regionen versanken in abweisender Dunkelheit. Das Spiel des Lichtes, in den Alpen für eine Kitschpostkarte gut, hatte hier im Himalaja nichts Malerisches. Der Berg lockte und drohte zugleich. Wie ein spöttischer Gruß zum Abschied flackerte noch einmal Helligkeit um den höchsten Grat des »Königs der Berge«. Plötzlich wußte ich: Ich würde wiederkommen.

Zwei Träger hatten meine Bücher und eine alte mechanische Schreibmaschine ins Basislager geschleppt. Ich las bei strömendem Regen und bei brütender Hitze. Manchmal war es so kalt, daß ich meine Notizen mit Handschuhen tippte. Zurückgekehrt nach Europa, fesselte mich das Thema immer mehr.

Kein Berg hat eine so bewegte Geschichte wie der Nanga Parbat. Er war der erste Achttausender, den man zu besteigen versuchte. Man schrieb das Jahr 1895, und der beste Kletterer Englands, Albert Frederick Mummery, besaß die ungeheure Kühnheit, diesen Riesen mit Nagelschuhen, Hanfseilen und in einer Tweedjacke anzugehen.

In den dreißiger Jahren wurde der Berg für die Deutschen, was der Everest für die Engländer war. Beide Nationen wetteiferten darum, »ihren« Achttausender als erste zu »erobern«, aber nur die deutsche »Heldenrasse« verwandelte das Objekt ihrer Begierde in ein alpines Stalingrad, dem 26 Bergsteiger und Sherpas zum Opfer fielen. Bei der größten Katastrophe in der Geschichte des Alpinismus starben Willy Merkl, Willo Welzenbach und Karlo Wien. Durch ihren Tod avancierte der Nanga Parbat zum »Schicksalsberg der Deutschen«. Wie konnte es geschehen, daß sich die Elite der deutschen und österreichischen Bergsteiger so willfährig vor den Karren des Dritten Reiches spannen ließ?

In den fünfziger Jahren geriet der Berg zum Symbol des »Wir sind wieder wer« der jungen Bundesrepublik Deutschland, zum ersten Sieg nach dem Zusammenbruch 1945. Hermann Buhl, der Gipfelsieger von 1953, war der erste moderne Bergsteiger, unpolitisch, naiv und leistungsorientiert. Später, in den siebziger Jahren, ist der Nanga Parbat auch zum Schicksalsberg Reinhold Messners geworden, der hier seinen Bruder Günther verlor und mit der ersten Solobesteigung eines Achttausenders Alpingeschichte schrieb.

Aus den Büchern und Aufzeichnungen der Toten, aus Interviews mit den lebenden Akteuren habe ich Biographien, Motive und Expeditionen rekonstruiert. Ich verfolgte ihre Spuren durch die Archive und die zeitgenössische Presse überallhin, wo es nötig war: zum Nanga Parbat, Kangchendzönga und Everest, zum Eiger, Hidden Peak und zur Annapurna, zum englischen Alpine Club, dem Akademischen Alpenverein München und zur Deutschen Himalaja-Stiftung, zum Reichssportfest nach Breslau, in die NS-Ordensburg Sonthofen und in die Dokumentenschränke auf Messners Schloß Juval.

Nicht ausgewichen bin ich der »anderen« Geschichte des Berges, die sich in endlosen Streitereien, Prozessen und persönlichen Verunglimpfungen niederschlug. Vom »Ehrengericht« über die zwei »feigen« Österreicher Aschenbrenner und Schneider im Jahr 1935 bis zu den gerichtlichen Auseinandersetzungen, die Buhl 1953 und Messner 1970 mit dem Organisator des deutschen Expeditionsbergsteigens nach dem Zweiten Weltkrieg, Karl Maria Herrligkoffer, führten. Doch diese im Rückblick begrenzten Fehden verblassen vor dem ein Jahrzehnt geführten Streit zwischen den »Bergkameraden« der 1970er Expedition und Reinhold Messner, der sich zeitweise zu einem alpinistischen Glaubenskrieg entwickelte. Ich habe ihn von Beginn an persönlich miterlebt, und er sollte – zufällig und unbeabsichtigt – sowohl bei meinem ersten (2000) als auch bei meinem zweiten Besuch (2005) des Nanga Parbat eine entscheidende Rolle spielen.

Wie in einem Brennglas konzentriert sich in der Geschichte des Nanga Parbat die Geschichte des Achttausender-Bergsteigens überhaupt. Von Mummery bis Messner erlebte er sämtliche Stile und Taktiken des Höhenbergsteigens. Von vierzehn Tonnen Ausrüstung, die Merkl 1934 mit 600 Trägern ins Basislager schaffte, bis zu den zwanzig Kilo, die Messner für seinen Alleingang brauchte, reicht die Skala der Möglichkeiten. Von Mummerys »by fair means« mit Seil und Pickel bis zum Einsatz einer Ju 52 zur Versorgung der Hochlager probierte man an diesem Berg alles aus, und hier wurden die Fragen gestellt, die noch heute die Öffentlichkeit bewegen.

Wie »funktionieren« Extrembergsteiger, warum quälen sie sich durch hüfthohen Schnee und lawinengefährdete Eiswände, riskieren Erfrierungen und tödlichen Absturz? Was treibt sie auf die hohen Berge, und was haben sie davon? Geht es wirklich um die »Eroberung des Nutzlosen«, wie der französische Bergführer Lionel Terray einmal behauptet hat, oder ist das Achttausender-Bergsteigen nicht ein höchst einträgliches Geschäft, das für die Erfolgreichen Ruhm, Geld und Karrieren in Politik und Showgeschäft bereithält?

Sind Bergsteiger die besseren Menschen, machen sie intensivere Erfahrungen, ist man in den Bergen »freier« als anderswo und solidarischer, weil es die Bergkameradschaft gibt? Oder geht es auch in der »Todeszone« zu wie im richtigen Leben, einschließlich Neid, Eitelkeit und Konkurrenzdruck, Ehrgeiz und dem unbedingten Willen, nach oben zu kommen?

Was reizt den Bergsteiger am Berg? Warum riskiert der Kletterer sein Leben? Wer weiß die Antwort? Im Zweifel immer der Berg. Steigen wir auf.

Der Tod durch Absturz gehört zweifellos zu der angenehmsten Art, sein Leben zu beenden.

Frank S. Smythe

DER ENGLÄNDER

MUMMERY & CO.

An einem Frühlingsmorgen des Jahres 1895 rannte ein Telegrammbote die Hauptstraße von Dover hinunter und läutete stürmisch am Maison Dieu House. Das hochherrschaftliche, im 17. Jahrhundert errichtete Gebäude gehörte dem Besitzer einer der größten Gerbereien der Stadt. Der Butler öffnete, nahm die Depesche entgegen und brachte sie sofort dem Hausherrn: Albert Frederick Mummery hatte Post aus Indien bekommen.

Der hochaufgeschossene, 1,85 Meter große Mummery trug wegen seiner extremen Kurzsichtigkeit eine Brille mit dicken Gläsern, was ihm das Aussehen eines Intellektuellen gab, war aber ein guter Kaufmann. Den vom Vater geerbten Betrieb führte er zusammen mit seinem zehn Jahre älteren Bruder William so erfolgreich, daß er ernsthaft überlegte – er war 39 Jahre alt –, sich aus dem aktiven Geschäftsleben zurückzuziehen und sich ganz seinen Neigungen zu widmen. Die waren zahlreich. Mummery interessierte sich für Militärgeschichte und -strategie, für politische Ökonomie und Philosophie, vor allem aber fürs Bergsteigen. Gerade feilte er an den letzten Seiten seines Buches, worin er seine Touren in den Alpen und im Kaukasus beschrieb. Unter dem trockenen Titel My climbs in the Alps and Caucasus sollte es im Sommer herauskommen und rasch zu einem Klassiker der Alpinliteratur werden. Angesichts des Autors verwunderte das niemand. Mummery galt als der beste Bergsteiger Englands.

Jetzt war die Verwirklichung seines größten Traums greifbar nahe. Der Generalgouverneur und Vizekönig von Indien, Sir Victor Alexander Bruce, neunter Earl of Elgin, erteilte ihm persönlich die Erlaubnis, Kaschmir zu bereisen, und wünschte ihm Glück für ein Vorhaben, das noch kein Mensch vor ihm gewagt hatte: die Besteigung eines Achttausenders. Mummery hatte sich den achthöchsten Berg des Himalaja, den 8125 Meter hohen Nanga Parbat, ausgesucht.

Mummery mit seiner Tochter (wahrscheinlich 1888) [3]

Noch am gleichen Tag schrieb er überglücklich an seine Freunde Norman John Collie und Geoffrey Hastings. Beide hatten mit ihm in den letzten Jahren die schwierigsten Touren in den Alpen gemacht. Sie waren ein bewährtes Team. Einer konnte sich auf den anderen blind verlassen. Der Schotte Collie, auf den Tag genau vier Jahre jünger als Mummery, war nur zu froh, seinen Job als Naturkundelehrer am Cheltenham Ladies College in London für eine Weile an den Nagel zu hängen. Er versprach, wegen der zu erwartenden Kälte in den Höhenlagen des Berges für ausreichend Shetland-Pullover zu sorgen und sich mit dem Rauchen zurückzuhalten. Mummery haßte Raucher. Aber der hagere, schlaksige Collie sah nicht nur aus wie Sherlock Holmes, er behielt auch seine Pfeife selbst bei den härtesten Klettereien stoisch zwischen den Zähnen. Dagegen war der »Benjamin« des Trios, Hastings, ein athletischer Sportlertyp. Er war berühmt für sein schnelles Stufenschlagen im Eis, kletterte famos und kochte passabel. Böse Zungen behaupteten, er trage Mummerys Rucksack, denn der hatte in seiner Jugend an einer Wirbelsäulenschwäche gelitten und konnte keine schweren Lasten tragen.

Mummerys Frau Mary hatte Mühe, den strahlenden Optimismus ihres Mannes zu teilen. Nach ihrer Heirat 1883 hatte sie sich von seinem Enthusiasmus für die Alpen anstecken lassen und war ihm aufs Matterhorn und auf die Gipfel rund um Chamonix gefolgt. Sie kannte die Fähigkeiten von Mummery in Fels und Eis, seine Ausdauer und seine exzellente Kondition. Sie wußte, daß die Suche nach immer neuen Herausforderungen zu seinem Lebensprinzip gehörte. Bereits 1891 traf er sich mit Douglas William Freshfield, der den höchsten Berg des Kaukasus, den Elbrus, bestiegen hatte, und Martin Conway, der eine Himalaja-Expedition plante, und sie verabredeten einen Gipfelversuch am Kangchendzönga, dem dritthöchsten Berg der Erde. Aus dem Plan wurde nichts, aber im darauffolgenden Jahr lud ihn Conway zu einer Expedition in den Karakorum ein, die er im Auftrag der Royal Geographical Society durchführte. Mummery war begeistert, denn in den »Schwarzen Bergen« liegt die Eispyramide des zweithöchsten Berges, des K2.

Klugerweise testeten die beiden ihre unterschiedlichen Temperamente und Ansichten auf einer Probetour in den Grajischen Alpen. Schnell stellte sich heraus, daß sie bei aller gegenseitigen Wertschätzung Welten trennten. Conway war der klassische Forscher, der mit Barometer und Theodolit genauso gern hantierte wie Mummery mit Seil und Pickel. Mummery wiederum wollte klettern und nicht forschen. Lange Fußmärsche waren ihm zuwider, und er ertrug sie nur, wenn an ihrem Ende eine Wand oder ein Gipfel winkte. Er hatte beste Erfahrungen damit, allein zurechtzukommen. Also entschloß er sich, seine eigene Expedition zu organisieren und zu finanzieren. Ihm fehlte nur noch die Genehmigung der britischen Regierung in Indien. Nun hatte er sie. Es konnte losgehen.

ERSTE KUNDE VON DEN ACHTTAUSENDERN

Wirkliche Vorläufer, von denen Mummery hätte lernen können, gab es nicht. Die Riesenberge des Himalaja waren spät ins Bewußtsein der abendländischen Menschheit gerückt. Als Alexander von Humboldt 1802 den Chimborazo in den ecuadorianischen Anden zu besteigen versuchte, tat er es in dem Glauben, den höchsten Berg der Erde vor sich zu haben. Mit 6267 Metern ist der imposante Gipfel jedoch nicht einmal der höchste Amerikas. Erst als die Briten im 19. Jahrhundert Stück für Stück den indischen Subkontinent annektierten, kamen sie in die Nähe jener Berge, die den Einheimischen als Sitz der Götter heilig waren und deren Schnee- und Eispanzer drohend jeden Zugang verwehrten. Vom Beginn ihrer Herrschaft warfen die Briten ein feinmaschiges Vermessungsnetz über Indien, gründeten eine eigene Behörde, den Great Trigonometrical Survey (G.T.S.), der ein Beamter im Generalsrang vorstand, und arbeiteten sich in dreißig Jahren, bis 1846, an den Fuß des Himalaja heran. Es war Sir George Everest, der in seiner zwanzigjährigen Amtszeit als Leiter des G.T.S. das Instrumentarium entwickelte, mit dem man immer besser messen, vor allem aber Höhen bestimmen konnte, ohne sie zu betreten, ja sogar ohne in ihre Nähe gekommen zu sein – was gerade im Falle von Nepal und Tibet entscheidend war, die ihre Grenzen lange Zeit kategorisch für Ausländer geschlossen hatten. Everests Methode, aus über 150 Kilometern Abstand die Gipfelhöhen des Himalaja mit verblüffender Exaktheit zu justieren, führte 1852 zur »Entdeckung« des höchsten Berges der Erde, des nach ihm benannten 8846 Meter hohen Mount Everest.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!