Narzissmus verstehen - Narzisstischen Missbrauch erkennen - Sabine L. Koch - E-Book

Narzissmus verstehen - Narzisstischen Missbrauch erkennen E-Book

Sabine L. Koch

4,6

Beschreibung

Nach Schätzungen machen Narzissten heute etwa 4 bis 6 Prozent der Gesamtbevölkerung aus - Tendenz steigend. Doch was bedeutet Narzissmus eigentlich, und wie kommt es zu dieser "Narzisstischen Persönlichkeitsstörung"? In diesem Buch, das sich insbesondere an Opfer narzisstischen Missbrauchs, also an Kinder, Partner und andere nahestehende Personen von Betroffenen richtet, werden die Ursachen der Narzisstischen Persönlichkeitsstörung ergründet und die vielfältigen zwischenmenschlichen Probleme erläutert, die aus der Störung resultieren. Es soll aufklären, Trost spenden und Schuldgefühle mindern. Und vielleicht kann es auch dem einen oder anderen Leser helfen, das eigene Verhalten zu verbessern.

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Wie die Sonne nicht auf Lob und Bitten wartet, um aufzugehen,

sondern eben leuchtet und von der ganzen Welt begrüßt wird, so

darfst auch du weder Schmeichelei und Beifall brauchen, um

Gutes zu tun. Aus dir selbst heraus musst du es tun: Dann wirst

du wie die Sonne geliebt werden.

Epiktet

Inhalt

I.

Teil. Definition und Ursachen

Einführung

Narzissmus–Definition und Diagnosekriterien

Ursachen

II.

Teil. Auswirkungen

Überkompensation

Atypischer Narzissmus

Spaltung

Schwaches Urteilsvermögen

Eigenliebe und Eitelkeit

Täuschung und Enttäuschung

Mangelnde Gefühlstiefe, Neid und Missgunst

Oberflächlichkeit in Freundschaften, Inszenierungen

Zweckbeziehungen

Empathiemangel

Materialistisches Denken mit Oberflächlichkeit statt Tiefe

Spannungen werden mit Ablenkung bekämpft

Mangelnde Kritikfähigkeit

Kränkungswut und Rachedurst

Kontaktabbrüche

Die langfristige Folge ist Vereinsamung

III.

Teil. Das Umfeld

Narzissten im Beruf

Beziehungen zu Freunden, Partnern und nahen Verwandten

Partnerschaft mit einem Narzissten

„Wir sind ein ganz tolles Paar! – oder bist du doch nicht so toll?“

Unterschiede zwischen männlichem und weiblichem Narzissmus

Der narzisstische Mann als Partner

Die narzisstische Frau als Partnerin

Trennungsverhalten

Energievampire

Co-Narzissmus

IV.

Teil. Kinder narzisstischer Eltern

Die drei narzisstischen Elterntypen

Symbiosewünsche, Abwertungen und Desinteresse

Emotionaler Missbrauch

Auswirkungen mangelnder Elternliebe

Das „Projekt Kind“

Die narzisstische Mutter

Bewusste Isolation als Machtmittel

Geschwisterbeziehung

Folgen einer solchen Kindheit

Schuld und Verantwortung

Konsequenzen für die Eltern-Kind-Beziehung

Nachwort

Narzissmus-Selbsttest

Bibliographie

I. Teil. Definition und Ursachen

Einführung

Dieses Buch handelt von den vielfältigen zwischenmenschlichen Problemen, die Menschen mit einer „Narzisstischen Persönlichkeitsstörung“ haben, und richtet sich an Opfer narzisstischen Missbrauchs, also an Kinder, Partner und andere nahestehende Personen von narzisstisch gestörten Menschen.

Es ist somit kein Ratgeber für Narzissten, sondern für deren Angehörige sowie Opfer narzisstischen Missbrauchs, also für Menschen, die von Narzissten verletzt werden und wurden, und die nach Antworten suchen.

Betroffenen, bei denen eine narzisstische Störung diagnostiziert wurde oder die eine solche stark bei sich vermuten, ist die Lektüre dieses Buches eher nicht zu empfehlen, da es hauptsächlich – und teils sehr kritisch – auf die Auswirkungen narzisstischen Missbrauchs eingeht. Die Ursachensuche und die damit einhergehende detaillierte Beschreibung narzissmustypischen Verhaltens könnten auf narzisstisch gestörte Personen, die sich bisher keine großen Gedanken über die Folgen ihres Handelns gemacht haben, verletzend wirken.

Ich habe den Text bewusst in viele kleine Kapitel unterteilt, damit man die verschiedenen Themenbereiche leichter nachschlagen kann. Die Betroffenen werde ich als Menschen mit Narzisstischer Persönlichkeitsstörung, in ihrer Selbstliebe bzw. ihrem Narzissmus gestörte Personen oder auch verkürzt als Narzissten bezeichnen, wenngleich letzterer Begriff, wie wir noch sehen werden, nicht ganz zutreffend ist.

Gleich zu Beginn möchte ich Ihnen empfehlen, keine laienhaften Heilungsversuche an narzisstisch gestörten Personen zu starten. Eine Verbesserung ihrer Beziehungsfähigkeit können diese nur selbst anstreben, und eine therapeutische Begleitung ist dabei ratsam (und meist auch unvermeidlich).

Vielmehr soll das Buch zum Nachdenken anregen und helfen,

verfahrene familiäre Strukturen besser zu verstehen,

ein (eventuell über Generationen) „weitervererbtes“ Trauma zu erkennen,

in der Erkenntnis der Ursachen problematischen Verhaltens Trost zu finden,

Schuldgefühle zu mindern,

Mut zur Veränderung des eigenen Verhaltens zu finden.

Denn der erste Schritt zur Veränderung ist die Erkenntnis. Natürlich werden am Ende einige Fragen offen bleiben. So wie jeder Mensch seine eigene Vergangenheit hat, hat auch jede Beziehung ihre individuellen Probleme, und es hängt nicht nur von einem, sondern von vielen Faktoren ab, ob sie glückt oder scheitert.

Die Beschäftigung mit dem Thema „Narzisstische Persönlichkeitsstörung“ kann daher nur den ersten Schritt auf einer Reise bedeuten, die Ihnen und den Menschen in Ihrem Umfeld schließlich zu einem erfüllteren Miteinander verhilft. Erst wenn Sie erkannt haben, wo Ihre Probleme liegen und was die Ursachen für diese Probleme sind, macht es Sinn, Veränderungen anzustreben. Ich wünsche Ihnen alles Gute!

Narzissmus – Definition und Diagnosekriterien

Der Begriff Narzissmus ist dem Griechischen entlehnt: Aus der griechischen Mythologie ist die Sage des hübschen Jünglings Narkissos (lat. Narcissus) überliefert, dem Sohn des Flussgottes Kephissos und der Nymphe Leiriope, der die Liebe anderer zurückwies und sich in sein eigenes Spiegelbild verliebte.

Wegen seiner großen Schönheit wurde er von Jünglingen und Mädchen gleichermaßen umworben, wehrte aber aus hochmütigem Stolz über seine eigene Schönheit alle Avancen ab. Einem besonders hartnäckigen Bewerber ließ er zusammen mit seiner Abfuhr einen Dolch zukommen, mit welchem dieser sich dann umbrachte. Für seinen Hochmut wurde Narkissos mit unstillbarer Selbstliebe bestraft – er verliebte sich in sich selbst, als er sein eigenes Abbild im Wasser erblickte.

Es gibt verschiedene Versionen seines Todes: Nach Ovid verschmachtet Narkissos, weil er sich nicht von seinem geliebten Spiegelbild im Wasser losreißen kann; nach Pausanias stirbt er im Glauben, dass er hässlich sei (als Wasserwellen sein Spiegelbild verzerren), nach Konon stürzt er ins Wasser, um seinem Spiegelbild nahe zu sein, und ertrinkt. Sein Leichnam verwandelt sich in eine Narzisse.

Was die Geschichte Narkissos‘ mit denen heutiger „Narzissten“ eint, ist die Tragik. Ebenso wie Narkissos erkennen auch Narzissten ihre eigentlichen Probleme nicht, sie quälen sich regelrecht durch ihr Beziehungsleben und fügen sich und den Menschen, von denen sie geliebt werden, dabei immer wieder seelische Schmerzen zu.

Im Grunde bedeutet Narzissmus lediglich die Zuwendung zu sich selbst im Gegensatz zu der Zuwendung zu anderen Menschen. An dieser positiven Selbstliebe gibt es nichts zu beanstanden, denn sie ist gesund und eine Grundlage zur Beziehungsfähigkeit. Menschen mit einer sogenannten „Narzisstischen Persönlichkeitsstörung“ jedoch sind in ihrem Selbstwertgefühl und ihrer Selbstliebe aufgrund erlittener Traumata in der frühen Kindheit stark beeinträchtigt. Ihr Narzissmus, ihre Selbstliebe, ist gestört – in ständiger Angst vor Ablehnung suchen und fürchten sie die Liebe gleichermaßen. Menschen mit einer Narzisstischen Persönlichkeitsstörung leiden unter einem grundlegenden Mangel, der ihr Leben einschränkt und liebevolle ehrliche Beziehungen verhindert.

Meist wird die Störung erst im frühen Erwachsenenalter auffällig, wenn Betroffene sich als unfähig zum Aufbau stabiler Liebesbeziehungen und inniger Freundschaften erweisen.

Auf andere wirken Narzissten äußerst ich-bezogen. Sie benutzen Personen aus ihrem Umfeld für ihre eigene Bedürfnisbefriedigung, missachten deren Gefühle und Wünsche und neigen in allen Lebensbereichen zur Übertreibung. Ihr Selbstwertgefühl ist abhängig von der Anerkennung durch andere, und sie erwerben und verteidigen diese auf kindlich-trotzige Weise.

Zwar sind sie meist im beruflichen Bereich erfolgreich, im zwischenmenschlichen Bereich sieht es allerdings mit häufig wechselnden Partnern und Freunden, sowie Scheidungen und Kontaktabbrüchen, anders aus. Aufgrund ihres geringen Selbstwertgefühls sind sie sehr empfindlich gegenüber Kritik und (vermeintlicher) Zurückweisung. Da sie nur sehr eingeschränkt zur Selbstreflexion fähig sind, haben sie große Schwierigkeiten, Verantwortung für sich und ihr Handeln zu übernehmen. Unter den Symptomen der Narzisstischen Persönlichkeitsstörung leidet eher das Umfeld des Narzissten und scheinbar weniger der Narzisst selbst, der sein eigenes Fehlverhalten nicht sieht, sich für seine immer wiederkehrenden zwischenmenschlichen Konflikte nicht mitverantwortlich fühlt und seine Probleme durch Ablenkung verdrängt.

Als langfristige Folge droht Vereinsamung, wenn die zwischenmenschlichen Probleme irgendwann aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr mit Ablenkung, Konsum usw. kompensiert werden können.

Typische Merkmale für eine narzisstisch gestörte Persönlichkeit können sein:

Arroganz/Überheblichkeit, spürbar insbesondere im engeren Umfeld,

Ein kindlich anmutender Wunsch nach Aufmerksamkeit und Bewunderung,

Das Bedürfnis, stets im Mittelpunkt zu stehen,

Selbstüberschätzung; das Stecken hoher Ziele, für die schon im Voraus, vor dem Erreichen dieser Ziele, Anerkennung verlangt wird,

Pathologisches Lügen, Ausschmücken/Übertreibungen von Erlebnissen,

Ein geringes Einfühlungsvermögen (mangelnde Empathie),

Abwechselnde Idealisierung und Abwertung von Personen im engeren Umfeld,

Rücksichtsloses, egoistisches Verhalten, Missachtung der Gefühle anderer, somit eine

Generell spürbare Ignoranz und Gleichgültigkeit (mitunter auch Freude) über die Sorgen und Nöte anderer Menschen

Neidgefühle/Missgunst oder die Vermutung, dass andere Personen auf sie neidisch/missgünstig sind,

Oberflächlichkeit und Sprunghaftigkeit,

Materialistisches Denken,

Eingeschränkte Fähigkeit zur Lebensfreude, abgeflachte, geschauspielerte positive Gefühle,

Berechnendes Verhalten, kühl kalkulierend stets auf den eigenen Vorteil bedacht zu sein,

Promiskuitives Verhalten, häufige Partnerwechsel oder Untreue,

Vereinnahmung, der Wunsch mit dem Partner eine symbiotische Beziehung einzugehen,

Scheinbar gänzliches Fehlen von Gefühlen wie Sehnsucht, Bedauern und Traurigkeit,

Eine Überempfindlichkeit gegenüber Kritik, verbunden mit

Großen Schwierigkeiten, Verantwortung für das eigene Verhalten zu übernehmen, und

Auffallenden Kommunikationsschwierigkeiten bei Konflikten,

Genereller Unwille und Unvermögen, zwischenmenschliche Probleme im Dialog zu lösen, daraus resultierend

Vermehrt Kontaktabbrüche bei Beziehungsproblemen,

Bisweilen im beruflichen, zumeist aber im privaten Bereich ein von Wechseln und Kursänderungen immer wieder durchbrochener Lebenslauf (eine Lebensgeschichte wie ein „Flickenteppich“ anstelle einer geradlinigen Entwicklung).

Gleich vorweg: Persönlichkeitsstörungen sind keine Krankheiten, sondern vielmehr dauerhaft vorhandene starke Normabweichungen in der Persönlichkeitsstruktur. Die Persönlichkeit gilt als gestört, wenn die betroffene Person Verhaltensweisen, Gefühls- oder Denkmuster zeigt, unter denen sie oder ihr Umfeld fortwährend und regelmäßig leiden. Allen Persönlichkeitsstörungen gemeinsam sind von der gesellschaftlichen Norm stark abweichende, unflexible Reaktionen in Alltagssituationen, eine Einschränkung der Arbeits- und/oder Liebesfähigkeit sowie ein durchgehendes Verhalten, das für den Betroffenen und/oder für andere Menschen belastend ist.

Narzisstische Züge sind weit verbreitet, jedoch ist noch lange nicht jeder egoistisch handelnde oder unter einer Bindungsstörung leidende Mensch ein Narzisst. In der Internationalen statistischen Klassifikation der Krankheiten (ICD-10) wird die Narzisstische Persönlichkeitsstörung aus 9 verschiedenen Kriterien zusammengesetzt, von denen 5 erfüllt sein müssen, um die Diagnose zu rechtfertigen. Dies allein erlaubt Dutzende Kombinationen wesentlicher Charaktermerkmale. Menschen haben ganz unterschiedliche Charaktere, und es kann daher kaum zwei Narzissten geben, die in ihren Symptomen völlig übereinstimmen.

Der Psychoanalytiker Otto Kernberg, der sich ausgiebig mit den verschiedenen Ausprägungen des Narzissmus befasst hat, schlägt daher vor, von einem „narzisstischen Spektrum“ zu sprechen, welches von schizoiden Zügen über die Narzisstische Persönlichkeitsstörung und den malignen Narzissmus bis hin zur Antisozialen Persönlichkeitsstörung reicht.

Im Extremfall, also bei der Antisozialen Persönlichkeitsstörung, ist überhaupt keine Fähigkeit zur Selbstreflexion vorhanden, bei dieser Persönlichkeitsstörung ist das falsche Selbst sozusagen stabil, die Betroffenen sind schon in Kindheit und Jugend verhaltensauffällig und neigen im späteren Leben zu kriminellem, gewalttätigem und (selbst-)zerstörerischem Verhalten.

Das „narzisstische Spektrum“ kann teilweise oder auch fast vollständig erfüllt sein. Viele Menschen sind in ihrem Selbstwertgefühl und ihrer Selbstliebe gestört und erfüllen das eine oder andere genannte Kriterium. Das liegt daran, dass fast jeder Mensch im Laufe seiner Kindheit und seines späteren Lebens emotionale Verletzungen erleidet oder falsche Erwartungen an sich selbst hat. Eine narzisstische Persönlichkeitsstörung liegt aber erst dann vor, wenn fast alle Punkte mehr oder weniger zutreffen.

Die in diesem Buch angeführten Merkmale und Eigenschaften beziehen sich auf Betroffene im wesentlich häufiger vorkommenden niedrigen und mittleren Funktionsbereich der Narzisstischen Persönlichkeitsstörung, bei denen die Symptome über Gefühle der Leere und Langeweile, das Bedürfnis nach Anerkennung und einen Mangel an Empathiefähigkeit nicht hinausgehen und die, abgesehen von ihren zwischenmenschlichen Problemen, auch unbehandelt über einen langen Zeitraum ein weitgehend normales Leben führen können.

Die Diagnosekriterien des Diagnostischen Manuals für Psychiatrische Störungen (DSM-V) und des ICD-10 (DSM-IV) erlauben eine gute Einschätzung:

ICD-10

A. Die allgemeinen Kriterien für eine Persönlichkeitsstörung müssen erfüllt sein.

B. Mindestens fünf der folgenden Kriterien müssen vorhanden sein:

hat ein grandioses Verständnis der eigenen Wichtigkeit (übertreibt etwa Leistungen und Talente, erwartet ohne entsprechende Leistungen als überlegen anerkannt zu werden)

ist stark eingenommen von Phantasien grenzenlosen Erfolgs, Macht, Brillanz, Schönheit oder idealer Liebe

glaubt von sich, „besonders“ und einzigartig zu sein und nur von anderen besonderen oder hochgestellten Menschen (oder Institutionen) verstanden zu werden oder mit diesen verkehren zu müssen

benötigt exzessive Bewunderung

legt ein Anspruchsdenken an den Tag, d. h. hat übertriebene Erwartungen auf eine besonders günstige Behandlung oder automatisches Eingehen auf die eigenen Erwartungen

ist in zwischenmenschlichen Beziehungen ausbeuterisch, d. h. zieht Nutzen aus anderen, um eigene Ziele zu erreichen

zeigt einen Mangel an Empathie: ist nicht bereit, die Gefühle oder Bedürfnisse anderer zu erkennen / anzuerkennen oder sich mit ihnen zu identifizieren

ist häufig neidisch auf andere oder glaubt, andere seien neidisch auf ihn

zeigt arrogante, hochmütige Verhaltensweisen oder Ansichten

DSM-5

Im aktuellen Klassifikationssystem der American Psychiatric Association (DSM-5) aus dem Jahr 2013 umfasst die Störung folgende Symptome:

A. Signifikante Beeinträchtigung in der Funktionalität der Persönlichkeit, die zum Ausdruck kommt durch:

1. Beeinträchtigung der Selbstfunktionen (a oder b):

Identität: Exzessive Bezugnahme auf andere für die Selbstdefinition und für die Regulierung des Selbstwertgefühls; übertriebene Selbsteinschätzung, kann überhöht oder abgesenkt sein oder zwischen Extremen schwanken; emotionale Regulierung spiegelt Schwankungen im Selbstwertgefühl wider.

Selbstlenkung: Ziele werden abhängig von der Zustimmung anderer gesetzt; persönliche Standards sind unvernünftig hoch, damit man sich selbst als außergewöhnlich ansehen kann, oder zu niedrig, jeweils abhängig von den Ansprüchen, zu denen man sich berechtigt fühlt.

UND

2. Beeinträchtigung der interpersonalen Funktionen (a oder b):

Empathie: Beeinträchtigte Fähigkeit, die Gefühle und Bedürfnisse anderer wahrzunehmen oder zu erkennen; übermäßig auf die Reaktionen anderer abgestimmt, jedoch nur, wenn diese Reaktionen als relevant für einen selbst wahrgenommen werden; Über- oder Unterschätzung der eigenen Wirkung auf andere.

Intimität: Beziehungen sind weitgehend oberflächlich und werden nur unterhalten, soweit sie der Regulation des Selbstwertgefühls dienen; beschränkte Gegenseitigkeit, weil kein echtes Interesse an den Erfahrungen anderer besteht, und Überwiegen des Bedürfnisses nach persönlichem Gewinn.

B. Pathologische Persönlichkeitszüge in den folgenden Bereichen:

1. Zwiespältigkeit, charakterisiert durch:

Überzogenes Selbstwertgefühl: Berechtigungsdenken, entweder offen oder verdeckt; Selbstzentriertheit; fest davon überzeugt, dass man selbst besser ist als andere; herablassend gegenüber anderen.

Aufmerksamkeit heischend: Übermäßiges Bemühen, die Aufmerksamkeit anderer zu erringen und zu erhalten; Heischen von Bewunderung.

C. Die Beeinträchtigungen der Persönlichkeitsfunktionalität und des Ausdrucks der Persönlichkeit sind über die Zeit und über unterschiedliche Situationen hinweg relativ stabil.

D. Die Beeinträchtigungen der Persönlichkeitsfunktionalität ergeben keine größere Plausibilität, wenn man sie als Teil einer Entwicklungsphase der Person oder aus ihrer soziokulturellen Umgebung heraus zu erklären versucht.

E. Die Beeinträchtigungen der Persönlichkeitsfunktionalität und des Ausdrucks der Persönlichkeit gehen nicht allein auf die physiologischen Effekte einer Droge (z.B. einer Rauschdroge, eines Medikaments) oder einer allgemeinen medizinischen Gegebenheit (z.B. eines schweren Schädeltraumas) zurück.

Otto Kernberg fasst die Merkmale der Narzisstischen Persönlichkeitsstörung folgendermaßen zusammen:

„Die Hauptkennzeichen narzisstischer Persönlichkeiten sind Größenideen, eine extrem egozentrische Einstellung und ein auffälliger Mangel an Einfühlung und Interesse für ihre Mitmenschen, so sehr sie doch andererseits nach deren Bewunderung und Anerkennung gieren. Sie empfinden starken Neid auf andere, die etwas haben, was sie nicht haben, und sei es einfach Freude am Leben. Es mangelt diesen Patienten nicht nur an Gefühlstiefe und an der Fähigkeit, komplexere Gefühle anderer Menschen zu verstehen, sondern ihr Gefühlsleben ist auch nur mangelhaft differenziert, die Emotionen flackern rasch auf und flauen gleich wieder ab. Was besonders auffällt, ist das Fehlen echter Gefühle von Traurigkeit, Sehnsucht, Bedauern; das Unvermögen zu echten depressiven Reaktionen ist ein Grundzug narzisstischer Persönlichkeiten. Von anderen verlassen oder enttäuscht, können sie wohl in einen Zustand geraten, der äußerlich wie eine Depression erscheint; bei genauerer Untersuchung erweist sich jedoch, dass Wut, Empörung und Rachebedürfnisse dabei die Hauptrolle spielen und gar nicht so sehr eine echte Traurigkeit über den Verlust eines geschätzten Menschen.“

Otto F. Kernberg, „Borderline-Störungen und pathologischer Narzissmus“

Bei der Narzisstischen Persönlichkeitsstörung wird also gesunde Selbstliebe zur Selbstsucht pervertiert. In ihrem Narzissmus gestörte Personen sind übermäßig stark damit beschäftigt, Leistung zu erbringen und anderen zu gefallen, um im Gegenzug Aufmerksamkeit und Anerkennung zu erhalten. Auf der anderen Seite sind sie selbst aber in zwischenmenschlichen Beziehungen nicht in der Lage, menschliche Wärme zurückzugeben und sehen überdies nicht den Schaden, den sie mit ihrem destruktiven Verhalten bei sich selbst und anderen anrichten.

Gesunde Selbstliebe und eine realistische Selbstwahrnehmung wirken ausgleichend und beziehungsfördernd. In ihrer Selbstliebe und Selbstwahrnehmung gestört Menschen hingegen ruhen nicht in sich. Betroffene wirken häufig arrogant und dominant, bisweilen auch manipulativ. Auf den ersten Blick kann es so aussehen, als besäßen Narzissten ein starkes Selbstbewusstsein, aber das Gegenteil ist der Fall: Narzisstisch gestörte Menschen leiden unter einem instabilen Selbstwertgefühl, inneren Spannungen und Unsicherheit; sie sind unfähig, Kritik zu ertragen, und neigen dazu, ihren eigenen Selbstwert rücksichtslos hochzutreiben und ihre Anspannung zu übertragen, indem sie andere, bevorzugt Menschen aus ihrem engsten Umfeld – unbewusst oder vorsätzlich – abwerten, wütend oder unglücklich machen.

Ursachen

„Was die Kinder am nötigsten brauchen – so sagt es eine

indische Spruchweisheit, ein arabisches Sprichwort, eine

afrikanische Überlieferung und der deutsche Herr Goethe – sind

Wurzeln und Flügel.“

Claude Lévi-Strauss.

Pathologischer Narzissmus tritt familiär gehäuft auf und wird mitunter über Generationen durch elterliches Fehlverhalten anerzogen und vererbt. Die Erkrankung gehört in die Kategorie der Frühstörungen, da der Beginn in einer Phase liegt, in der die Zweierbeziehung von Mutter und Kind im Vordergrund steht. Die Störung beginnt also in einem so frühen Lebensalter, dass sich die Betroffenen nicht an die Entstehung erinnern können, zudem werden traumatische Erinnerungen von ihnen verdrängt und Misshandlungen verharmlost. Narzisstisch gestörte Menschen berichten daher meist, dass ihre Kindheit völlig unauffällig und normal gewesen sei, oder dass sie keine besonderen Erinnerungen an ihre Kinderzeit hätten.

Zu den Frühstörungen zählen in erster Linie die Borderline- und die narzisstische Persönlichkeitsstörung. Diese beiden Störungen teilen sich viele Eigenschaften, unterscheiden sich aber in einem wesentlichen Punkt: Während es beiden gleichermaßen nicht gelungen ist, ein stabiles Selbst, also ein selbstreflektiertes Ich-Bewusstsein, zu entwickeln, legen Borderline-Patienten ein unstetes Verhalten an den Tag und leiden unter Stimmungsschwankungen, Aggressionen und Entgleisungen, wohingegen es narzisstisch gestörten Menschen (zumindest nach außen hin) gelungen ist, ein stabiles Selbst zu präsentieren.

Eine narzisstische Persönlichkeitsstörung ist Folge einer Erziehung durch empathielose, emotional eigennützige Eltern, die ihrem Kind ihre ungeteilte Aufmerksamkeit, wenn überhaupt, nur dann schenken, wenn dies ihren eigenen Bedürfnissen entspricht, und es sich ihren Wünschen und Vorstellungen unterordnet. Ein solches Kind bekommt zwar durchaus gesagt oder gezeigt, dass man aufgrund guter Leistungen oder eines hübschen Äußeren stolz auf es sei, aber selten bis niemals, dass es geliebt würde, dass die Eltern froh seien, dass es existiert, oder dass es ein wertvoller Mensch sei.

Um das Trauma der erlittenen Zurückweisung abzumildern, entwickelt das Kind ein falsches Selbst, indem es sich für besser, unverletzlicher, stärker, hübscher, interessanter oder klüger hält und ausgibt, als es eigentlich ist. Das negative Selbstbild, das das abgelehnte Kind von sich selbst hat, wird verdrängt, „abgespalten“, und hinterlässt einerseits ein Gefühl von Scham und Leere, andererseits einen unstillbaren Hunger nach Bewunderung und Anerkennung.

Da das missachtete Kind aber auf die Zuwendung der Eltern angewiesen ist und sein Überleben von ihnen abhängt, wird es nach einer Phase des depressiven Rückzugs nun alles tun, um ihnen zu gefallen. Es wird versuchen, ihren Anforderungen gerecht zu werden, nur noch jene Gefühle, Interessen und Wünsche zeigen, die „gefragt“, also erlaubt sind, und es den Eltern, von denen es abhängig ist, um jeden Preis recht machen wollen. Nach und nach entwickelt das Kind ein Selbstbild, das nicht ihm entspricht. Man kann es ein „falsches Selbst“ nennen, eine Maske oder eine Fassade. Das „falsche Selbst“ ist somit ein Überlebensmechanismus aus der Kindheit.

Wenn das Kind für seine vermeintliche „Bravheit“, also seine Anpassung an die elterlichen Vorstellungen, von diesen mit Beachtung und Stolz belohnt wird, verfestigt sich in ihm das Bewusstsein: Bedingungslose Liebe kann ich nicht erwarten, Lob und Aufmerksamkeit sind aber ein annehmbarer Ersatz, und diese kann ich mir erarbeiten. Oder anders gesagt: Wenn ich mich nur genügend anstrenge, um meinen Eltern zu gefallen, wenn ich also genug Leistung erbringe, erhalte ich dafür die Aufmerksamkeit von ihnen, die ich brauche.

Zwischen dem „falschen Selbst“ des überangepassten, leistenden Kindes und dem „wahren Selbst“ des zurückgewiesenen einsamen Kindes wird von ihm eine innerliche Mauer errichtet.

Narzisstisch gestörte Menschen können späterhin weder sich selbst noch andere bedingungslos lieben, weil sie diese Liebe im frühkindlichen Alter nicht kennengelernt haben. Zwischenmenschliche Beziehungen um der Zuneigung willen, selbstlose Freundschaft und starke Familienbande, in einer Familie angenommen, geliebt und eingebunden zu sein, haben sie nie erfahren. Wächst ein Kind mit unangenehmen Gefühlen wie Desinteresse, Ablehnung oder Gewalt auf, werden seine späteren Beziehungen von Desinteresse, Misstrauen, Angst, Bedrohung und Lüge geprägt sein. Es wird in Zukunft vermeiden, sich auf tiefe Beziehungen einzulassen, weil diese für es mit unangenehmen Gefühlen verbunden sind.

Eine gesunde Selbstliebe ermöglicht es, sich auch dann für liebenswert zu halten, wenn man versagt, Fehler macht, scheitert, wenn man eben nicht „perfekt“ ist.

Kinder können nur dann ein grundsätzlich positives Selbstbild verinnerlichen, wenn sie während der Kindheit emotional ausreichend „gesättigt“ wurden. Menschen mit einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung jedoch haben keine gesunde Persönlichkeitsentwicklung erlebt, sondern ein negatives Selbstbild verinnerlicht. Sie haben ein instabiles Selbstwertgefühl – meist halten sie sich für unzulänglich und nicht sehr liebenswert – das es zu kaschieren gilt. Da sie in der Kindheit emotional nicht annähernd gesättigt wurden, hungern sie auch weiterhin nach Liebe, Anerkennung und Zuwendung.

In ihrer Selbstliebe gestörte Menschen berichten häufig, dass ihre Herkunftsfamilie nach außen hin perfekt wirkte, die Beziehung zur Mutter aber gestört war. Die Mutter wird meist als eine egoistische, uninteressierte, kalte/distanzierte, dominante oder manipulative Frau beschrieben. Sie habe ihr Kind nicht so angenommen, wie es war, sondern versucht, es zu manipulieren, oder es vernachlässigt. Die befragten Personen wurden in der Kindheit entweder

übermäßig gelobt, auch wenn ihre Leistungen nur durchschnittlich waren,

von ihren Eltern vernachlässigt, die sich zwar gut um sich, aber schlecht um ihr Kind kümmerten,

oder sie hatten selbst Eltern, die eine überhöhte, aber unsichere Selbstachtung aufweisen und ahmten sie nach,

oder sie hatten Eltern, die sich für ihr Kind nur in Abhängigkeit von dessen Fähigkeiten interessierten, so dass das Kind, um beachtet zu werden, versuchte, ihre Aufmerksamkeit und ihr Wohlwollen auf sich zu ziehen, indem es stets

ausschließlich

seine positiven Leistungen und Vorzüge präsentierte.

In der Folge sind diese Menschen als Erwachsene über die Maßen angepasst, brav und fleißig, und sind nicht fähig zu sagen, wie es ihnen wirklich geht und was sie wirklich wollen. Aufgrund ihres schwach entwickelten Selbstgefühls haben sie nicht die normale Identitätskrise in der Pubertät durchlaufen, stattdessen besteht bei ihnen eine gewisse Identitätsdiffusion: Darum gebeten, sich selbst mit ihren Stärken und Schwächen, Wünschen und Zielen zu beschreiben, geben bereits narzisstisch gestörte Jugendliche eine klischeehaft wirkende Beschreibung eines, wie sie glauben, „idealen Jugendlichen“, oder aber eine sehr widersprüchlich wirkende Beschreibung von sich ab. Hauptsächlich mangelt es ihnen an der Fähigkeit, sich selbst und andere zu reflektieren. Durch die anerzogene Überanpassung stellen sie ihre Eigenheiten hinter die Wünsche der Umwelt, da sie glauben, nur durch Anpassung und Leistung anerkannt und beachtet zu werden.

Diese leistungsabhängige Anerkennung wenden sie später auch auf ihre Mitmenschen an: Wer Leistung erbringt, wird idealisiert, wer Schwächen zeigt (dazu zählen auch Gefühle, Interessen, Wünsche und Entscheidungen, die finanzielle, berufliche oder gesellschaftliche Nachteile mit sich bringen), wird abgewertet.

Kommen wir nun zum Thema Selbstsicherheit und Selbstwertgefühl. Vorweg eine kleine Begriffsdefinition:

Selbstsicherheit setzt sich aus Selbstvertrauen und Sicherheit zusammen. Ihr geht ein primär empfundenes Gefühl des Rückhalts voraus. Selbstsichere Menschen „wissen um ihren Wert“, sie haben Vertrauen in sich und ihre Fähigkeiten und fürchten sich nicht unnötig vor Misserfolgen.

Selbstwertgefühl (auch Selbstvertrauen oder Selbstachtung