Natur und Gender - Christoph Türcke - E-Book

Natur und Gender E-Book

Christoph Türcke

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Beschreibung

Corona und der Klimawandel nötigen zu einer elementaren Rückbesinnung auf die Natur. In einer brillanten Abhandlung zeigt der Philosoph Christoph Türcke, wie verhängnisvoll der Glaube ist, die Natur sei nichts als die Verfügungsmasse unserer Konstruktionen.
Konstruktivismus wie Dekonstruktivismus haben gleichermaßen den Glauben gefördert, die Natur sei nur das, was wir aus ihr machen. Sie sind pseudokritische Ableger eines High-Tech-Machbarkeitswahns. Gender gilt bereits als ein Konstrukt, für das es nur noch ein Kriterium gibt: persönliches Zugehörigkeitsempfinden. Dabei rückt aus dem Blickfeld, dass wir Menschen selbst bloß Naturwesen sind. Wenn wir die Natur – auch unsere eigene – nach Belieben zurechtkneten wollen und ihren Eigensinn ignorieren, schlägt sie umso heftiger auf uns zurück.

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Christoph Türcke

Natur und Gender

Kritik eines Machbarkeitswahns

C.H.Beck

Zum Buch

Die Natur ist mehr als das, was wir aus ihr machen – ein philosophischer Einspruch

Corona und der Klimawandel nötigen zu einer elementaren Rückbesinnung auf die Natur. In einer brillanten Abhandlung zeigt der Philosoph Christoph Türcke, wie verhängnisvoll der Glaube ist, die Natur sei nichts als die Verfügungsmasse unserer Konstruktionen.

Konstruktivismus wie Dekonstruktivismus sind gleichermaßen pseudokritische Ableger eines High-Tech-Machbarkeitswahns. Gender gilt bereits als ein Konstrukt, für das es nur noch ein Kriterium gibt: persönliches Zugehörigkeitsempfinden. Dabei rückt aus dem Blickfeld, dass wir Menschen selbst bloß Naturwesen sind. Wenn wir die Natur – auch unsere eigene – nach Belieben zurechtkneten wollen und ihren Eigensinn ignorieren, schlägt sie umso heftiger auf uns zurück.

Über den Autor

Christoph Türcke lehrte Philosophie an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig. Im Verlag C.H.Beck ist von ihm u.a. erschienen: Erregte Gesellschaft. Philosophie der Sensation (22012); Philosophie des Traums (32011); Hyperaktiv. Kritik der Aufmerksamkeitsdefizitkultur (22012); Mehr! Philosophie des Geldes (22015); Lehrerdämmerung. Was die neue Lernkultur in den Schulen anrichtet (32016); Digitale Gefolgschaft. Auf dem Weg in eine neue Stammesgesellschaft (2019).

Inhalt

Einleitung

I. Natur

Constructio – Creatio

Erfindung

Befragung

Ding an sich

Selbstorganisation

Flucht nach vorn

Einbildung

Eigensinn der Natur

Radikaler Konstruktivismus

Gehirnkonstruktion

Fehlkonstruktion

Diskursfetisch

Wahrheit

Dekonstruktion

II. Gender

Sex – Gender

Transfeminismus

Heteropoiesis

Exzeß

Perversion – Inversion

Bisexualität

Identifikation

Drittes Geschlecht

Kapital wird divers

Entpathologisierung

Transgender-Schwelle

Erregungsregime

Body modification

Cyborg

Beschneidung

Berührung der Extreme

Nachbemerkung

Dank

Literatur

Einleitung

Anscheinend ist die Natur das, was wir aus ihr machen. Wie niemand zuvor hat der Homo sapiens sie nach seinen Wünschen hergerichtet: Wälder gerodet, Sümpfe trockengelegt, Dämme, Straßen, Häuser, Fahrzeuge und Automaten gebaut; seinen Körper mit Kleidung verhüllt, geschützt und geschmückt; seine Lebensdauer und -qualität durch chirurgische Eingriffe, Medikamente, Stützen, Prothesen, Implantate und Therapien aller Art drastisch erhöht. Warum soll er diese Entwicklung stoppen, sich aufs Heilen von Krankheiten beschränken und nicht auch gesunde Organismen weiter optimieren, so weit, wie die Technik es gestattet? Zumal sie selbst zunehmend dazu nötigt. Hat sie doch Lebensverhältnisse beschert, die sich ohne ständig verbesserte technische Hilfestellung schwer aushalten lassen. Wer kommt in Ballungsgebieten noch ohne hoch effizienten Lärm- und Atemschutz zurecht, ohne maximal zeitsparende Verkehrslogistik, ohne ein fein dosiertes Set von Stimulantien und Tranquilizern, ohne ausgefeilte Physio- und Psychotherapien? Wer kann sich in einer smart designten Umgebung wohl fühlen, wenn der eigene Körper ein undesigntes Gebilde mit wild wachsenden Gliedmaßen, unkorrigierten Gesichtszügen und unterbeschäftigten Hirnarealen geblieben ist? Und wenn sich schon Getreide, Gemüse und Schlachtvieh durch Genmanipulation zu längerer Haltbarkeit und höheren Erträgen lenken lassen, warum soll man dann nicht auch den menschlichen Genbestand durch gezielte Eingriffe besser auf die Anforderungen des modernen Lebens einstellen können? Noch gibt es zwar einigen Widerstand dagegen, zumal strittig ist, in welche Richtung die «Verbesserung» des menschlichen Genoms gehen soll. Um so größer ist die Empfänglichkeit für alle neu entwickelten Seh-, Hör-, Sprech- oder Bewegungshilfen, die sensorisch oder motorisch eingeschränkten Menschen gleichberechtigte Teilnahme am gesellschaftlichen Leben eröffnen. Bis in den Leistungssport sind diese Hilfen vorgedrungen. Bei den Paralympics erbringen schwerbehinderte Athleten körperliche Höchstleistungen, die denen von Olympischen Spielen nicht nachstehen – und beeindrucken zudem durch ihren eisernen Willen, körperliche Einschränkungen nicht als Schicksal hinzunehmen.

Damit ändert sich das Gesamtverständnis von Behinderung. Bis vor wenigen Jahrzehnten schien es einen festen naturbasierten Maßstab zu haben: den Durchschnitt der körperlichen und geistigen Wahrnehmungs- und Bewegungsfähigkeit, den es in jeder menschlichen Altersgruppe gibt. Wer deutlich dahinter zurückblieb, galt als behindert. Derzeit bildet sich ein anderes Verständnis heraus, welches besagt: Niemand ist von Natur aus behindert. Im Prinzip kann jeder unbeschränkt am gesellschaftlichen Leben teilhaben. Es müssen ihm nur genügend helfende Materialien und Geräte zur Verfügung gestellt werden, gelegentlich auch Personen, die sie bedienen. Behindert ist, wem solche Hilfen vorenthalten werden. Behinderung definiert sich vom Stand der Technik aus. Mit jedem technischen Fortschritt weitet sich allerdings auch ihr Radius. Wer gelähmt ist, muß sämtliche technischen Möglichkeiten in Anspruch nehmen dürfen, die ihn beweglich machen. Wer an körperlicher Unförmigkeit leidet – hohem Gewicht, ausladenden Hüften, kleinen Brüsten, langer Nase etc. –, muß sich dank aller zur Verfügung stehenden medizinisch-kosmetischen Mittel ansehnlicher machen dürfen. Andernfalls findet Behinderung statt. So die Auffassung der amerikanischen Schönheitsaktivistin Cindy Jackson. «38-mal hat sie das Messer gegen sich richten lassen und verlangt, dass es ihr Fleisch durchschneidet, Knorpel abtrennt und Blutbahnen über ihren Körper zieht. Sie hat unter Schmerzen gekämpft, bis ihre alte Haut weggeätzt und ihre Knochen abgemeißelt waren, bis sie endlich das Gefühl hatte, sie selbst zu sein.» Die Londoner Klinik, die ihr das ermöglichte, nennt sie «‹Ort der Gerechtigkeit›. Hier kann sich jeder nach eigener Vorstellung neu erfinden. Hier korrigiert das Skalpell die launische Natur. Menschenrecht der Schönheit!» «Warum soll Schönheit sich nicht der Chancengleichheit beugen? Hat etwa nicht jedermann ein Recht darauf, gesund zu bleiben und, unabhängig von seiner sozialen Herkunft, Professor oder Millionär zu werden? Hat man sich nicht in fast allen Bereichen von der Ergebenheit in das Schicksal getrennt?»[1]

Auch das Geschlecht gilt nicht mehr als Schicksal. Drastisch wächst die «Gruppe von Menschen, die sich nicht mit dem Geschlecht identifizieren, das ihnen bei Geburt zugewiesen wurde», «die ihr Geschlecht ‹wechseln› wollen, die Hormone erhalten wollen, auch geschlechtsangleichende Operationen wünschen». «‹Transgender› ist unter Jugendlichen inzwischen sehr verbreitet. Vor 20 Jahren war es noch eine absolute Rarität, die wenigsten Kinder- und Jugendpsychotherapeuten sind mit diesem Thema jemals konfrontiert worden. Vor 10 Jahren ging es dann los, mit einer Dynamisierung in den vergangenen 5 Jahren.»[2] Laut SPIEGEL baten in Großbritannien vor neun Jahren 97 Kinder und Jugendliche den Gender Identity Development Service um Hilfe. 2017/18 waren es 2519. Im Raum München hat sich die Zahl der registrierten Hilfebedürftigen seit 2013 verfünffacht. In den USA halten sich bereits etwa 150.000 Dreizehn- bis Siebzehnjährige für transgender. Es steigt nicht nur die Zahl; auch der Leidensdruck wächst. Mädchen «kommen mit abgeschnürten Brüsten» zum Arzt, «gehen nicht mehr aus dem Haus, wenn sie ihre Tage haben, weil sie am Boden zerstört sind. Wir sehen Jugendliche, die depressiv sind oder sich mit einer Rasierklinge so massiv verletzen, dass man sie chirurgisch versorgen muss.» Sie sagen: «Macht doch endlich, gebt mir meine Hormone, sonst bringe ich mich um.»[3]

Ärzte, die hier die gewünschten Medikamente oder chirurgischen Eingriffe verweigern, geraten in den Verdacht der unterlassenen Hilfeleistung. Verstoßen sie nicht gegen den hippokratischen Eid, wenn sie Menschen, die an ihrem herkömmlichen Geschlecht ähnlich leiden wie andere an Aussatz oder einer Lähmung, die technisch vorhandenen Mittel zur Geschlechtsumwandlung vorenthalten? Bestimmte Massenmedien geben diesem Verdacht derzeit eine Weltbühne; «das ganze Transgender-Thema wird gegenwärtig sehr gehypt, vor allem auf YouTube und Instagram. Es gibt eine Reihe von Transjungen, die Stars auf diesen Kanälen sind, die als Influencer fungieren. Bei ‹Germany’s Next Topmodel› haben Transmädchen mitgemacht. Diese Personen haben eine Vorbildfunktion.»[4] Wie auch Gender Studies gut im Trend liegen, wenn sie zwischen Natur und Inszenierung kaum mehr unterscheiden. «In einer Welt, in der wir die Geschlechtsrolle als die natürlichste Sache denken, gemeißelt in DNA, und alles verzweifelt buchstäblich nehmen, ist es gut, daran zu erinnern, dass man Geschlecht nicht ist, sondern inszeniert, verkörpert, spielt. Schon dem Romancier Balzac war klar, dass Frauen und Männer mit den Weibchen und Männchen der Tierwelt kaum etwas zu tun haben. Es ist Zeit für mehr Schräges, Verrücktes, Queeres, und weniger Identitäres.»[5] Das Schlagwort dafür heißt «transident». Transgender ist nur ein Aspekt davon, Umwandlung des Geschlechts oder der sexuellen Orientierung nur eine besondere Form, sich jenseits von natürlicher Mitgift, von Heterosexualität und binären Strukturen aller Art eine selbstgewählte Identität zu verschaffen.

Im transidenten Klima gedeiht ein folgenreicher Fehlschluß: Weil die Natur nichts ein für allemal Feststehendes, «Gemeißeltes» ist, kann sie nur etwas durch «uns», die Menschen, Inszeniertes sein. Als ob es nichts Drittes gäbe. Zwar ist unabweisbar, daß wir die Natur nur durch die Filter unserer Wahrnehmung zu erfassen vermögen sowie durch Instrumente, mit denen wir sie bei jeder Berührung auch ein klein wenig verändern. Insofern stimmt sogar der Satz: Die Natur ist das, was wir aus ihr machen. Aber ist sie nur das – und sonst nichts? Erst diese Frage rührt an den Nerv des Problems. Wer sie munter bejaht, mag sich auf dem Weg zur Emanzipation von allen Naturschranken wähnen. Faktisch befindet er sich am Übergang von der Realitätstüchtigkeit zum Machbarkeits-, um nicht zu sagen, zum Schöpfungswahn. Wie sehr die aktuellen sozialen Kräfteverhältnisse diesen Wahn fördern: Darum geht es auf den folgenden Seiten.

Fußnoten

1 Butta 2002, 9

2 Korte 2019, 48

3 Korte 2019, 50

4 Korte 2019, 48

5 Vinken 2019, 5

I. Natur

Constructio – Creatio

Sich herrichten gehört zum Menschsein. Der biblische Mythos vom Garten Eden hat das mit wenigen, unübertroffenen Worten herausgearbeitet. Eva und Adam aßen vom Baum der Erkenntnis. «Da gingen den beiden die Augen auf, und sie sahen, daß sie nackt waren. Und sie hefteten Feigenblätter zusammen und machten sich Schurze.»[1] Nacktheit «sehen» ist kein bloß optischer Vorgang, auch keine neutrale Feststellung, sondern ein erkennendes Sehen, das zu dem optischen Vorgang etwas hinzudenkt: Das Gesehene soll nicht so bleiben, wie es ist. Es ist bedeckungsbedürftig; in diesem Fall zugleich bearbeitungsbedürftig. Schurze lagen ja nicht fertig herum. Adam und Eva mußten sie aus Feigenblättern erst herstellen. Sie richteten etwas her, um sich selbst herzurichten. Kultur ist die Herrichtung von Natur – und in ständiger Entwicklung begriffen. Man kann ihrem neuesten Stand weit hinterherhinken, aber ihr nicht völlig entkommen. Selbst wer auf ein eigenes Auto, auf Telefon, Internetanschluß, Website verzichtet, kommt an Strom, Kanalisation, öffentlichen Verkehrsmitteln oder fabrikmäßig hergestellten Lebensmitteln nicht ganz vorbei. Auch für rückständige Zeitgenossen gilt: Ihre Körper, Lebensmittel und Gebrauchsgegenstände sind etwas Hergerichtetes – Konstruiertes.

Das lateinische Verb construere kommt von strues, einem Substantiv, das «Schicht» heißt, ursprünglich die Holzschicht eines (Opfer-)Scheiterhaufens bezeichnet, dann den aufgeschichteten Haufen von Opferkuchen, später auch die dicht aufgestellte Masse von Soldaten. Entsprechend heißt struere (auf-)schichten, aufhäufen (etwa Gaben auf dem Altar) oder (Soldaten) in Schlachtordnung aufstellen. Bei construere kommt ein architektonischer Akzent hinzu: zusammenschichten, zusammenfügen, aufbauen, errichten. Constructio ist die geordnete schichtweise Zusammenfügung, vorwiegend von Steinen, structura das Aufgeschichtete (Mauerwerk, Bau oder generell Ordnung), structor der Maurer oder Architekt. Konstruktion ist nie voraussetzungslos. Sie braucht stets ein Material, aus dem konstruiert wird, und einen Konstrukteur. Das Material kann selbst schon ein Konstrukt sein, etwa ein industriell gefertigtes Autoteil, und der Konstrukteur, der das Auto zusammenfügt, ein Roboter. Dann konstruiert ein Konstrukt aus konstruierten Materialien ein neues Konstrukt. Aber das ist schon ein hochentwickelter Spezialfall von Konstruktion, nie ihr Elementarfall. Ihre Anfangsmaterialien können keine Konstrukte gewesen sein. Die Feigenblätter, aus denen die ersten Schurze entstanden, waren naturgegeben. Und Adam und Eva, die mythischen Menschheitseltern, waren, als sie zu den Feigenblättern griffen, noch unhergerichtete Naturwesen. Erst recht gilt das für unsere realhistorischen Vorfahren: jene Hominiden, die aus naturgegebenen Geröllsteinen erste Faustkeile machten (und an Schurze gewiß noch nicht dachten). Ohne naturgegebene Voraussetzungen wäre es nie zu ersten Konstruktionen gekommen.

Was aber heißt «naturgegeben»? Ist die Natur nicht selbst eine Konstruktion? Zumindest hat sie eine structura. Sie läßt bestimmte stabile Gleichförmigkeiten erkennen: etwa Gesteinsformationen, die unabsehbar lange zusammenhalten, Tages- und Jahreszeiten, die in immer gleicher Weise aufeinanderfolgen, Organismen, die in immer gleicher Weise wachsen und sich so fortpflanzen, daß ihre Art erhalten bleibt, etc. Und doch ist die Natur nicht immer schon so gewesen wie jetzt. Ihre structura ist geworden, und sie steht nicht ein für allemal fest. Das ist nicht erst ein Gedanke der Evolutionstheorie. Er steckt bereits tief in der antiken Mythologie. Für sie ist die Weltordnung das Resultat einer göttlichen constructio – und «Welt» zunächst etwas ganz Beschränktes: der Lebensraum eines Stammes. Der jeweilige Stamm wähnt sich durch eine höhere Gewalt, will sagen eine Gottheit, zusammengefügt – dank eines Rituals, das er ihr zu Ehren immer wieder am selben Ort zur gleichen Zeit in gleicher Weise zelebrieren muß. Unterschiede zwischen Ritual-, Sozial- und Weltordnung kennt er noch kaum. Verläuft das Ritual, in dessen Zentrum die Opferdarbringung steht, nicht genau wie vorgesehen, so erscheint die Ordnung als solche versehrt, der Lauf der Jahreszeiten und Gestirne sowie das organische Wachstum nicht minder angetastet als der soziale Zusammenhalt des Kollektivs. Erdbeben, Seuchen, Sonnenfinsternisse gelten als göttliche Strafen für rituelle Versäumnisse.

Erst den antiken Hochkulturen, die sich allesamt durch militärische Siege über schwächere Völker und Einverleibung von deren Gebräuchen und Göttern konstituierten, ging allmählich auf, daß die Weltordnung nicht das Anhängsel einer Ritualordnung ist, sondern umgekehrt Ritualordnungen Teile einer umfassenden Welt bilden. Ein sumerischer Hymnus preist daher Enlil, den großen Schöpfer- und Reichsgott von Nippur, so: «Du knickst das Feindesland wie einen Rohrstengel», «Die Starken wirfst Du nieder, trittst an des Himmels Tür, /Du greifst an den Riegel des Himmels, /Reißt das himmlische Türschloß ab, /Entfernst des Himmels Verschluß, /Das widerspenstige Land wirfst Du in Haufen nieder!»[2] Die Niederwerfung irdischer Feinde und die Eroberung des Himmels gehören zusammen. Die Reichsgründung gilt zugleich als Weltgründung. Von Marduk, dem obersten Gott des babylonischen Reiches, erzählt das Reichsepos Enuma Elish, er habe Tiamat, den schrecklichen weiblichen Urmeeresdrachen, erschlagen, «wie ein Schalentier» zerschnitten, aus der oberen Hälfte den Himmel und aus der unteren die Erde gemacht. Und er «setzte Wächter hin und gebot ihnen, ihre Wasser nicht herausfließen zu lassen»,[3] damit nicht alles wieder ins Chaos versinke. Die sich schlängelnde Wassergewalt des Meeres ist zwar besiegt, bildet aber den Urstoff der bestehenden Welt und bedroht permanent ihren Bestand.

Besonders eindrücklich schildert Hesiod das Zustandekommen der bestehenden Weltordnung. Der Titan Zeus wendet sich gegen die Titanen. In einem spektakulären Kampf gegen sie, der die Erde zuinnerst erbeben läßt und alle Naturelemente entfesselt, konstituiert er die olympische Welt und macht seine unterworfenen Gegner zu deren Unterwelt, die nie ganz aufhört zu rumoren.[4] Die Weltordnung ist hart erkämpft – eine stets unvollkommene Bändigung von Unruheherden. Davon zittert selbst bei Platon noch etwas nach, obwohl er die Ordnung stiftende göttliche Macht nicht mehr als einen Kämpfer vorstellt, sondern als Baumeister (demiourgós oder tektainómenos), der allerdings ein diffuses, «in ungehöriger und ordnungsloser Bewegung» befindliches Weltbaumaterial vorfand. Zum Glück stand ihm ein optimales «Paradigma» für sein Bauvorhaben vor Augen: das schlechterdings Unvergängliche, sich selbst Gleichbleibende, Ideelle. Nach diesem Vorbild setzte er sein Baumaterial zusammen und «führte es aus der Unordnung zur Ordnung».[5] Diese Ordnung ist nicht perfekt, weil mit Vergänglichkeit, Aussetzern und Abweichungen geschlagen, verdient aber dennoch den Titel kosmos (= wohlgestaltetes Gebilde, Schmuck), weil sie das Beste ist, was sich aus dem diffusen, unordentlichen Baumaterial machen ließ.

Göttliche Mächte konstruieren aus diffus-widerspenstigem Material eine Ordnung. Nach diesem Muster ist in allen antiken Hochkulturen die Weltentstehung gedacht. Nur einer Tradition war das nicht genug: der jüdisch-christlichen. Schon im dritten Satz der biblischen Schöpfungsgeschichte heißt es: «Und Gott sprach: Es werde Licht! Und es ward Licht.»[6] Das ist keine Baumeistertätigkeit. Gott erschafft das Licht nicht durch Zusammenfügen, sondern durch Aussprechen. Wie simpel das klingt! Und doch vollzog sich in diesen kargen Worten ein epochaler Durchbruch. Schöpfung wird hier sprachanalog vorgestellt. Wie der Stimmlaut vom Sprecher, so soll das Weltelement Licht vom göttlichen Geist hervorgebracht worden sein. Vor seiner Artikulation ist der Laut nirgends. Ebenso soll Gott durch sein Sprechen das Licht hervorgerufen haben – nicht aus einem Versteck, sondern aus dem Nichtsein ins Dasein. Und er ist dabei von dem Licht, das er hervorruft und durchwirkt, ebenso strikt geschieden wie im menschlichen Sprechen die Bedeutung vom physischen Schall. Zwar macht sie ihn überhaupt erst zur Sprache, bleibt aber ganz unvermischt mit ihm.

Und warum heißt es dann im nächsten Satz: «Und Gott schied das Licht von der Finsternis»? War es mit seiner Hervorrufung nicht bereits von ihr geschieden? Das ist die Unklarheit, die auch sämtlichen weiteren Schöpfungsakten in Genesis 1 anhaftet. Jedes Mal spricht Gott aus, was werden soll, wobei er nahezu evolutionslogisch von den anorganischen Elementen über die Pflanzen, Wasser-, Flug-, Kriech- und Säugetiere bis hin zu den Menschen fortschreitet. Dann heißt es refrainartig: «Und es geschah also», was den Autor nicht hindert, fast jedes Mal auch noch anzufügen, daß Gott «machte», was er gesagt hatte. Warum diese Verdopplung, dieses Schwanken zwischen Gott als Sprecher und Macher der Welt?

Das erhellt erst aus der historischen Situation, der dieser Text entsprungen ist. Jerusalem war wenige Jahre zuvor (587 v. Chr.) zerstört, seine Oberschicht nach Babylon verschleppt worden, das Volk Israel zerrieben. Sein Gott hatte es nicht errettet. Nach antiker Logik hatte er sich als Schwächling erwiesen. Es gab keinen vernünftigen Grund, an ihm festzuhalten, aber allen Anlaß, zu den siegreichen Göttern Babylons überzulaufen. Doch die tonangebenden Priester, die die Verschleppten in Babylon zusammenzuhalten suchten, taten das Gegenteil. Sie überhöhten ihren Gott, statt ihn loszulassen. War er nicht der Regisseur in all ihrem Unglück? Hatte er nicht sein Volk für dessen Missetaten gestraft und dafür die Weltmacht Babylon in seinen Dienst genommen, weil er – der Gott schlechthin war? Im Moment größter Ohnmacht spreizten seine Getreuen ihn zum einzig existierenden Gott auf und setzten alle anderen Götter zu bloß menschengemachten Götzen herab. Erst diese Kehrtwende – man darf sie getrost eine Revolution im Gottesbegriff nennen – führte zum strengen Monotheismus. Dessen erstes prominentes Dokument ist der Text, der später zum ersten Kapitel der Bibel wurde: Genesis 1. Streng aber ist erst ein Monotheismus, für den der eine Gott «Schöpfer aller Dinge» ist. Er kann keinerlei Weltbaumaterial vorgefunden haben.

Deshalb war der Gedanke des Erschaffens durch Aussprechen so genial. Er war aber auch derart neu, daß er kontinuierlicher Selbstbeglaubigung bedurfte; deshalb jedes Mal die Hinzufügung «und Gott machte» (oder «schied»). Sie bekräftigt auf geradezu rituelle Weise, daß Gottes Aussprechen selbst schon ein Machen gewesen sei. Nur war der Erzählstil der jüdischen Priester trotz seiner geschliffenen, abgründigen Knappheit noch nicht philosophisch genug, um dieses Zugleich unmißverständlich darzustellen. Er vermochte Gleichzeitigkeit nur im Modus des Nacheinanders auszudrücken, verbunden durch das Wörtchen «und», womit das angehängte «und Gott machte», das doch das Ineinanderfallen von Aussprechen und Machen beglaubigen sollte, beide auseinandertreten ließ, als wären sie zweierlei.

Um so eindeutiger ist Genesis 1 in anderer Hinsicht. Nirgends wird irgendein Material genannt, aus dem Gott etwas geschaffen haben soll. Er selbst ist als immer schon daseiend gedacht, alles andere aber als aus ihm entstanden. Und so laufen trotz der genannten Unschärfe Sprechen und Machen auf dasselbe hinaus: einen göttlichen Sprechakt (speech act), der die Welt zwar in Etappen, aber völlig voraussetzungslos hervorbringt. Dafür haben die christlichen Kirchenväter lediglich neue, philosophisch versierte Worte gefunden, als sie sieben Jahrhunderte später sagten: Gott hat «Nichtseiendes» (ouk ontas) geschaffen, oder genauer, «aus dem Nichtseienden» (ek tou me ontos; de nihilo).[7] Im Kirchenlatein hat sich dafür bald eine feste Formel gebildet: creatio ex nihilo («Schöpfung aus nichts»). Sie gilt bis heute als dogmatischer Lehrsatz. An den mag glauben, wer will. Aber er hält auch für diejenigen, die nicht an ihn glauben, eine unhintergehbare Einsicht bereit: Erst in der Abgrenzung von creatio gewinnt constructio scharfe Konturen. Für ein klarsichtiges Naturverständnis ist es unerläßlich, beide sorgsam zu unterscheiden. Um so bemerkenswerter, daß der Siegeszug neuzeitlicher Technik und Wissenschaft zwar ständig mit dieser Unterscheidung zu tun hat, sie aber auch immer wieder verschwimmen läßt. Offenbar ist sie leicht zu machen, aber schwer durchzuhalten.

Erfindung

Dafür ist der erste Wissenschaftstheoretiker der frühen Neuzeit ein Kronzeuge: Francis Bacon. Er war als englischer Lordkanzler zu Beginn des 17. Jahrhunderts einer der politisch einflußreichsten Männer seiner Zeit. Dennoch traute er der Politik weit weniger zu als der Technik. «Denn die Wohltaten der Erfinder können dem ganzen menschlichen Geschlecht zugute kommen, die politischen hingegen nur den Menschen bestimmter Orte, auch dauern diese nur befristet, nur über wenige Menschenalter, jene hingegen für alle Zeiten. Auch vollzieht sich eine Verbesserung des politischen Zustandes meistens nicht ohne Gewalt und Unordnung, aber die Erfindungen beglücken und tun wohl, ohne jemandem ein Unrecht oder ein Leid zu bereiten. Die Erfindungen sind gleichsam neue Schöpfungen (novae creationes) und sind Nachahmungen der göttlichen Werke.»[8] Zwar entstehen sie nicht aus nichts wie Gottes Schöpfung, aber immerhin fügen sie Naturstoffe auf eine Weise zusammen, wie es Naturkräfte von sich aus nicht tun. Gott ging aus sich heraus, als er die Welt schuf. Die Erfindungen wiederum gehen über die von Gott geschaffene Natur hinaus. Der winzige Überschuß, den sie ihr dabei hinzusetzen – auch der kommt gewissermaßen aus nichts. Er ist, wie unscheinbar auch immer, ein Abkömmling der göttlichen Schöpferkraft: das kreative Moment in der erfinderischen Konstruktion.

Drei Erfindungen haben es Bacon besonders angetan: «die Buchdruckerkunst, das Schießpulver und der Kompaß. Diese drei haben nämlich die Gestalt und das Antlitz der Dinge auf der Erde verändert, die erste im Schrifttum, die zweite im Kriegswesen, die dritte in der Schiffahrt. Zahllose Veränderungen der Dinge sind ihnen gefolgt, und es scheint, daß kein Weltreich, keine Sekte, kein Gestirn eine größere Wirkung und größeren Einfluß auf die menschlichen Belange ausgeübt haben als diese mechanischen Dinge.» (271) Und doch waren sie «lange Zeit hindurch den Menschen verborgen», sind «weder durch die Philosophie noch durch die rationalen Künste, sondern durch Zufall und bei Gelegenheit entdeckt worden» (231). Es wäre «vor ihrer Erfindung kaum jemandem in den Sinn gekommen», «darüber überhaupt nur Vermutungen anzustellen» (229). Wie aber, wenn der Forschergeist nicht mehr bloß sporadische Zufallstreffer landen, sondern zu einer planmäßigen Naturergründung übergehen würde? Wenn er, statt aufs Geratewohl zu experimentieren oder vorschnell Verallgemeinerungen vorzunehmen, zunächst einzelne Naturphänomene gründlich beobachtete, sie mit ähnlichen anderen vergliche, ihre Regelmäßigkeiten durch verschiedene Versuchsanordnungen geduldig erprobte, aber verallgemeinernde Schlüsse daraus erst zöge, wenn sie sich wirklich aufdrängten, und so allmählich, statt in den «Bewegungen und Wendungen des Geistes» befangen zu bleiben, zur «Natur der Dinge» (265) gelangte?

Das ist die neue induktive Methode, mit der Bacon seine Epoche beschenken wollte. Durch einen arbeitsteiligen Forschungsprozeß planmäßig befolgt, würde sie, so hoffte er, die Natur in kürzester Zeit dazu bringen, den größten Teil ihrer Geheimnisse preiszugeben. Die theologische Grundierung dieser Hoffnung scheint am deutlichsten in seiner Frühschrift Valerius Terminus durch. Dort ist das eigenwillige, um nicht zu sagen, häretische theologische Konzept, das in seiner Methodenlehre Regie führt, noch klar zu erkennen. In späteren Schriften hat er es immer unkenntlicher werden lassen. Seine Wissenschaftstheorie sollte keine Scherereien mit der Kirche bekommen – als etwas ganz Profanes erscheinen, was die Theologie nichts angeht. Im Valerius Terminus hingegen ist es noch «unser Heiland», der uns aufgegeben hat, «zwei Bücher» zu studieren, «wenn wir vor dem Irrtum sicher sein wollen; erstens die Heilige Schrift, die den Willen Gottes offenbart, und zweitens seine Geschöpfe, die seine Macht zum Ausdruck bringen. Und das zweite Buch wird uns bezeugen, daß nichts, was das erste Buch lehrt, für unmöglich genommen werden darf.»[9]

In der herkömmlichen Theologie kommen diese «zwei Bücher» zwar gelegentlich vor, aber nur marginal – und in umgekehrter Reihenfolge. Zuerst die Natur, «geschrieben mit dem Finger Gottes, das heißt durch göttliche Kraft geschaffen».[10] Sie war rundum gut und vollauf genug, und die Menschen lebten mit ihr in vollkommenem, unverdunkeltem Einklang, bis sie ihnen durch ihren Sündenfall fremd, dunkel, widersetzlich wurde, so daß sie sie nicht mehr als Gottes gute Schöpfung wahrnehmen – «lesen» – konnten. Da gab Gott ihnen sein Wort als heilige Schrift, gewissermaßen als zweites Buch an die Hand, dessen Lektüre sie so nahe wie möglich an die Lesefähigkeit des ersten Buchs zurückführen sollte. Bei Bacon ist es umgekehrt. Das zweite Buch ist die Natur. Deren Studium, man könnte auch sagen, «Lektüre» – mit Hilfe der neuen induktiven Methode, versteht sich – soll die Menschheit dem paradiesischen Zustand, von dem das erste Buch erzählte, so nahe wie möglich bringen. Und je gründlicher das Studium der Natur, desto mehr wird sich herausstellen, daß bei den angeblichen biblischen Wundern, Rätseln und Geheimnissen alles ganz natürlich zugegangen ist. Die induktive Naturauslegung geht zwar einen profanen wissenschaftlichen Weg, ist aber eine Art Kryptotheologie – nicht minder gottgefällig als die Bibelauslegung. «Das wahre Ziel des Wissens ist vielmehr, die Hoheit und die Macht des Menschen (denn sobald der Mensch fähig sein wird, die Geschöpfe bei ihren wahren Namen zu nennen, wird er sie beherrschen), die er im Urzustande der Schöpfung hatte, wiederherzustellen und ihm größtenteils wiederzugeben» sowie ihm «die Entdeckung aller Tätigkeiten und Möglichkeiten von Tätigkeiten, von der Unsterblichkeit (so sie möglich wäre) bis zum unbedeutendsten mechanischen Handgriff» (43) zu eröffnen.

Naturforschung im Sinne Bacons hat sich um die Heilige Schrift nicht zu kümmern, sondern sich in Naturdetails zu versenken und behutsame Verallgemeinerungen daraus zu gewinnen. Aber gerade indem sie das tut, betreibt sie nichts geringeres als maximale Rückannäherung an den paradiesischen Zustand, auch wenn sie zwei Makel des Sündenfalls nicht wieder wegbekommen wird: Sterblichkeit und Mühsal. «Ewigkeit ist dem Menschen verwehrt, wiewohl der Lauf der Dinge verzögert» werden kann; und auch Forschung bleibt Arbeit, weil «die Willigkeit des Geschöpfes sich in Unwilligkeit verkehrt hat» (43). Doch wie hoch veranschlagt Bacon diese Arbeit! In seiner fragmentarisch gebliebenen Schrift über die fiktive Insel Nova Atlantis hat er ihr ein epochales Denkmal gesetzt. Dort gibt es ein «Haus Salomon», ein umfassendes Forschungszentrum mit dem Zweck, «die Ursachen des Naturgeschehens zu ergründen, die geheimen Bewegungen in den Dingen und die inneren Kräfte der Natur zu erforschen und die Grenzen der menschlichen Macht so weit auszudehnen, um alle möglichen Dinge zu bewirken».[11] Da sind «geräumige und tiefe unterirdische Höhlen», die dazu dienen, «alle möglichen Substanzen zum Gerinnen zu bringen, zu härten und abzukühlen», um «natürliche Mineralien künstlich herzustellen und neue künstliche Metalle aus Gesteinen zu erzeugen». Es gibt Türme «bis zu einer Höhe von einer halben Meile», von wo aus «Wind, Regen, Schnee, Hagel und feurige Meteore» beobachtet werden. In Seen wird bei Bedarf «Süßwasser aus Salzwasser durch Filtration gewonnen» oder «Süßwasser in Salzwasser umgewandelt». «Reißende Strudel und Wasserfälle» dienen «zur Erzeugung von kräftigen Bewegungen», ebenso «Maschinen, welche die Winde abfangen, sie vervielfältigen und verstärken». «Wir haben auch Maschinen, die nur durch Bewegung Wärme erzeugen. Außerdem fangen wir an gewissen Stellen die starke Sonnenstrahlung auf.» «Brunnen und künstliche Quellen» werden «zur Nachahmung der natürlichen Quellwasser und Bäder angelegt». In besonderen Zisternen wird das «sogenannte Paradieswasser gewonnen, ein sehr wirksames Heilmittel», das «der Gesundheit außerordentlich zuträglich ist und lebensverlängernd wirkt». Es gibt pharmazeutische Labore, Treibhäuser zur Beschleunigung des Pflanzenwachstums, ein Areal für Tierversuche, Häuser für Optik, Akustik, Riechsubstanzen und schließlich – für Bacon besonders wichtig – Simulationslaboratorien. Das sind zum einen «Gebäude, in denen wir meteorologische Erscheinungen» sowie «die Erzeugung von Insekten und anderen kleinen Tieren in der Luft, von Fröschen, Fliegen, Heuschrecken usw. nachahmen und zur Darstellung bringen» (45); zum andern ein «Haus der Sinnestäuschungen, in dem wir alle möglichen Zauberkünste, Taschenspielerkniffe, Gaukeleien und Illusionen sowie deren Trugschlüsse darstellen. Ihr könnt euch denken, daß es uns, die wir es in der Naturerkenntnis und -beherrschung so wunderbar weit gebracht haben, ein leichtes wäre, den menschlichen Sinnen sehr viel vorzuspiegeln, wenn wir natürliche Dinge mit dem Nimbus des Wunders ausschmücken und aufbauschen würden. Aber uns ist jeder Betrug und jede Lüge verhaßt»; «nur eine reine, ungeschminkte, durch keinen Wunderglauben beeinflußte Darstellung darf gegeben werden» (54).