Naturgeschichte(n) - Josef H. Reichholf - E-Book

Naturgeschichte(n) E-Book

Josef H. Reichholf

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Beschreibung

Die besten Kapitel aus dem Geschichtenbuch der Natur – vom großen »Naturverführer« Josef Reichholf

Warum lieben wir Blumen? Waren unsere Urahnen Vegetarier? Liebe Rehe, wo sind die Hirsche? Wie religiös sind Tiere? Professor Reichholf, Zoologe und einer der bekanntesten Naturwissenschaftler Deutschlands, hat für alles eine natürliche Erklärung. Seine Art, über die Wunder in Flora und Fauna zu erzählen, macht dieses Buch zum einmaligen Naturverführer.

Von seinen Erzählungen über die Natur, die er kennt, liebt und unentwegt zu ergründen versucht, kann man nicht genug bekommen. »Josef H. Reichholf verbindet zwei Talente, die selten zusammengehen: Fachliche Exzellenz und die Fähigkeit, seine Erkenntnisse spannend und für jedermann verständlich zu vermitteln.« (Die Welt) In seinem neuen Buch versammelt er die besten Kapitel aus dem großen Geschichtenbuch der Natur. Weil Reichholf einfache Fragen »Warum haben Vögel Federn?« genau - so entdeckerisch beantwortet wie sehr originelle »Warum können Biber eine Ethik-Debatte auslösen?«, wird jeder Ausflug in heimische und tropische Landschaften zu einer phänomenalen Entdeckungsreise.

Schön illustriertes Geschenkbuch für Naturliebhaber.

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Seitenzahl: 339

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Mit diesem Mann wird jeder Spaziergang zur Expedition. Weshalb wächst überall Löwenzahn? Warum haben Vögel Federn? Josef H. Reichholf hat für alles eine natürliche Erklärung, kann evolutionäre Prozesse und ökologische Wechselwirkungen so anschaulich erklären wie kein Zweiter im deutschen Sprachraum. Ein großer Popularisierer zu sein, ist jedoch nicht sein einziges Talent. Immer steckt ein origineller Denkansatz hinter seinen Fragen, die wie im Krimi die Auflösung vorantreiben. In diesem Buch sind seine besten Naturgeschichten versammelt.

Josef H. Reichholf studierte Biologie, Chemie, Geografie und Tropenmedizin, er lehrte an beiden Münchner Universitäten und leitete viele Jahre die Wirbeltierabteilung der Zoologischen Staatssammlung München.

Josef H. Reichholf

NATUR

Geschichte{n}

Über fitte Blesshühner, Biber mit Migrationshintergrund und warum wir uns die Umwelt im Gleichgewicht wünschen

Illustriert von Claudia BernhardtNach einer Idee von Michael Miersch

Knaus

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen. 1. Auflage

Copyright © der Originalausgabe 2011

beim Albrecht Knaus Verlag, München,

in der Verlagsgruppe Random House GmbH,Neumarkter Str. 28, 81673 München

Gesetzt aus der Corporate von Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling

Reproduktion: Lorenz & Zeller, Inning a. A.

ISBN 978-3-641-05777-0V002

www.knaus-verlag.de

Vorwort

Was ist Forschen anderes, als sich eine Frage zu stellen und zu versuchen, diese zu beantworten. Und was passiert einem Forscher privat wie in der Öffentlichkeit? Wohin ich auch komme, man stellt mir Fragen: über Menschen, Tiere und Pflanzen, über das Leben, die Umwelt und über die Natur im Allgemeinen. Ist der Mensch von Natur aus Vegetarier? Ist die Evolution beim Menschen zu Ende? Warum ist der Kuckuck so selten geworden? Warum hat die Natur die Liebe erfunden? Was ist eigentlich Ökologie?

So einfach viele Fragen klingen, ihre Beantwortung liegt in den allermeisten Fällen alles andere als auf der Hand. Egal, wer diese Fragen stellte, Kinder oder Studenten, Journalisten oder Kollegen, immer wieder gaben sie mir den Anstoß dazu, mich mit Themen zu beschäftigen, auf die ich beim beschränkten Blick auf meine Spezialgebiete bestimmt nicht gekommen wäre. Die Neugier, die in den Fragen zum Ausdruck kommt, ist der Antrieb für alle Forscherei. Nur wer sich Fragen stellt über die eigenen Beobachtungen, kann etwas über die Natur der Dinge herausfinden.

Dieses Buch, das die mir wichtigsten Fragestellungen versucht in kurzen Geschichten zu beantworten, mag auf den ersten Blick als ein Sammelsurium erscheinen. Denn jede Geschichte kann für sich allein stehen und löst in der gebotenen Kürze ein Rätsel unserer Natur. Je mehr Geschichten aber gelesen werden, desto mehr Zusammenhänge tauchen auf. Das eine Mal geht es um Tiere und Pflanzen, also um die lebendige, für uns sichtbare Natur, das andere Mal um Eigenheiten von uns Menschen. Wie diese zustande gekommen sind, ist das Generalthema der Evolution. Wie sie »funktionieren«, das der Ökologie. Zusammen ergeben sie Geschichte, Naturgeschichte. Diese reicht zurück in die Zeit, als unsere Vorfahren den aufrechten Gang entwickelt haben, und geht bis in unsere Gegenwart, wo uns Fragen des Klimas, der Gentechnik, des Artensterbens und so weiter beschäftigen.

Hat man sich erst einmal darauf eingelassen, Antworten zu versuchen, möglichst prägnant, ohne besondere Kenntnisse vorauszusetzen und in gut nachvollziehbarer Kürze, könnte man immer weiter und weiter fragen. Wer sich auf die Forderung nach Kürze einlässt, muss Unzulänglichkeiten in Kauf nehmen und die darauf verweisende Kritik der Fachwelt ertragen können. Ich halte die Freude für wichtiger, die das Lesen solcher kurzen Geschichten machen kann. Denn mir geht es darum, die Begeisterung, mit der ich selbst über die Natur staune und forsche, auf neugierige Leserinnen und Leser zu übertragen. Das zu schaffen, ist mein Wunsch. Wenn ich damit neue spannende Fragen wecken könnte, wäre das der schönste Lohn.

Josef H. Reichholf

… Geschichten vom Menschen undanderen Tieren …

Die süßesten Früchte und der Seidelbast

Warum lieben wir Blumen so sehr?

In allen Kulturen schmücken die Menschen sich selbst oder die Orte, an denen sie wohnen, mit Blumen. Woher kommt diese zweckfreie Liebe zu Blumen?

Weil Blumen so schön sind. Kinder würden weiterfragen: Warum sind sie denn schön? Und das bringt uns Wissenschaftler in Verlegenheit. So genau wissen wir es nämlich nicht. Es gibt schließlich auch recht unterschiedliche Vorlieben. Manche mögen rote Rosen am liebsten, andere schätzen besonders das »edle Weiß« der Lilien oder die »Blaue Blume der Romantik«. Die Geschmäcker sind verschieden. Die Blumen selbst fallen noch viel unterschiedlicher aus, so dass man durchaus fragen könnte, ob es nicht weniger Blütenformen und die Standardfarben auch täten?

Beginnen wir mit den Farben. Wir unterscheiden die unterschiedlichsten Nuancen von dunklem Rot über Orange, Gelb, Grün und Blau bis zu Violett. Mit Violettrot schließt sich für uns der Kreis der Farben. Der Kreis– das ist höchst merkwürdig, denn die Physik des Lichts lehrt etwas ganz anderes. Danach sind die Farben Gruppen unterschiedlicher Wellenlängen von Licht– von für unsere Augen sichtbarem Licht, wie hinzugefügt werden muss.

Die Farben beginnen im langwelligen Rot und enden im kurzwelligen Blau. Von einem Kreis keine Spur. Den erzeugt unser Auge, eigentlich sogar erst das Gehirn. So, wie unser Auge gebaut ist, nimmt es die Lichtwellen auf, die von Rot bis Blau reichen. Nicht mehr. Ganz selbstverständlich ist das freilich nicht. Es gibt andere Augen, zum Beispiel Insektenaugen, die sehr wohl und recht gut das für uns unsichtbare Ultraviolett sehen.

Auch unter uns Menschen kommen Abweichungen in der Sehtüchtigkeit vor. Manche können Rot und Grün nicht voneinander unterscheiden. Etwa neun Prozent der Männer und weniger als jede Hundertste der Frauen (0,8 Prozent) sind von der Rot-Grün-Schwäche oder -Blindheit betroffen. Viel seltener ist eine Blau-Gelb-Schwäche und eine ganz große Ausnahme die völlige Farbenblindheit. Diese Sehschwächen sind angeboren. Man kennt inzwischen sogar genau die Stellen im Erbgut, an denen die Fehler sitzen, nämlich auf einem der beiden Geschlechts-Chromosomen, auf dem X-Chromosom. Da Männer nur eines davon haben, tritt bei ihnen die Rot-Grün-Blindheit zehnmal häufiger auf als bei Frauen, die zwei X-Chromosomen in sich tragen. Hat das eine den Fehler, das andere aber nicht, wird er ausgeglichen, aber gegebenenfalls weitervererbt.

Rot ist eine Farbe, die von den meisten Säugetieren gar nicht gesehen wird. Hunde können Rot und Grün praktisch nicht unterscheiden, wenn sie den gleichen sogenannten Grauwert haben. Gemeint ist damit die gleiche Helligkeit bzw. Intensität farbiger Flächen. Rot-Grün-blind sind auch Kühe und Rehe, Katzen und Pferde. Ausnahmen machen Säugetiere unserer näheren und nächsten Verwandtschaft, die Primaten. Ihre Lebensweise zeigt uns, weshalb die Fähigkeit, Rot von Grün unterscheiden zu können, für sie und auch für uns Menschen so wichtig geworden ist.

Es geht um das Erkennen reifer Früchte. Viele, besonders solche, die uns gut schmecken und die nahrhaft sind, wechseln beim Reifen ihre Farbe von Grün zu Rot oder zumindest zu rötlicher Tönung. In tropischen Wäldern, in denen Früchte nicht zu ganz bestimmten Jahreszeiten reifen und der Aufwand, in die Baumkronen hinaufzuklettern, hoch ist, stellt das Erkennen reifer Früchte auf größere Entfernung einen beträchtlichen Vorteil dar. Das gilt natürlich auch für die Vögel, die sich allerdings dank ihrer Flugfähigkeit leichter tun, die reifenden Früchte zu erreichen. In der Fähigkeit, Rot gut zu erkennen, gleichen wir den Vögeln also weit mehr als den allermeisten anderen Säugetieren.

Viele Tiere, die süße Früchte mögen, verlassen sich auf ihre Nase. Das Aroma des Obstes verrät ja noch zuverlässiger als die Farbe den Reifezustand. Die menschliche Nase ist allerdings nicht gerade gut dafür geeignet, auf eine Entfernung von 20, 30 oder gar mehr als 100 Metern feine Fruchtaromen zu riechen. Weil wir so ausgeprägte »Augentiere« sind, müssen wir die Früchte möglichst direkt unter der Nase haben. Auf eine Entfernung verlassen wir uns lieber– und richtigerweise– auf die Augen.

Rot ist aber nicht nur ein gut erkennbares Farbsignal, es hat noch eine andere Bedeutung, und zwar nicht nur für den Menschen. Es ist die Farbe des Blutes und damit ein wichtiges, ein geradezu lebenswichtiges Signal. Rot, das in Lippen erstrahlt oder auch in Blüten, hält sich anders als austretendes Blut. Es ist lebendiges, »gutes« Rot, nicht das bedrohliche. Viele Menschen, vielleicht sogar besonders diejenigen, die rote Blüten am meisten mögen, können kein Blut sehen. Es scheidet für sie gleichsam Leben und Tod. Und tödlich kann Rot durchaus nicht nur beim Verbluten sein, es warnt auch vor tödlichem Gift. Korallenschlangen beispielsweise tragen rote Ringe am Körper, manche giftige Insekten, die Giftstoffe enthalten, auch. Und sogar viele rote Beeren sind giftig. Gerade solche, wie sie der Seidelbast, das Maiglöckchen und andere Pflanzen entwickeln, können bei Verzehr lebensgefährliche Vergiftungen verursachen.

Also bringt unsere besondere Fähigkeit, Rot und Grün zu erkennen, den Vorteil, Gutes und Gesundes von Gefährlichem zu unterscheiden. Die dafür erforderlichen Anlagen entstanden in der jüngeren Vergangenheit der Primaten, als diese anfingen, ihre ursprüngliche Insektennahrung mit Früchten zu ergänzen. Der Mensch bekam sie als Fähigkeit mit, aber eben mit der einige wenige belastenden Schwäche, dass bei ihnen nur die alte, säugetiertypische Farbunterscheidung ausgebildet ist und Rot fehlt.

Aber auch andere Farben, Blau oder Gelb, signalisieren Wichtiges. Schließlich gibt es eine Fülle wohlschmeckender Früchte mit gelber Färbung, wie die Bananen, und auch blaue Pflaumen oder Heidelbeeren. Nur Grün ist als Fruchtfarbe selten, weil sie sich vom Grün der Blätter zu wenig abhebt.

Es ist für die Pflanzen, die fleischige, zuckerhaltige Früchte erzeugen, wichtig, dass die Früchteverzehrer diese finden, damit auch die Samen weiterverbreitet werden. Ganz entsprechend locken auch Blüten mit auffälligen, sich klar vom Hintergrund unterscheidenden Farben die Insekten an. Viele Blüten strahlendem dementsprechend UV-Licht zurück, das dann nur die Insektenaugen sehen, wir aber nicht. Für unsere Augen auffällig rote Blüten locken zur Bestäubung Vögel an, weil diese ganz ähnlich wie wir das Rot sehen. Die an Blütenpollen interessierten Insekten hingegen nehmen Rot als Schwarz wahr. Solche Blüten liefern vornehmlich Nektar, leisten sich aber keinen Überschuss an Pollen. Wo Pollen in Massen produziert wird, sind die Blüten leuchtend Gelb. Denn Gelb zieht Insekten am stärksten an.

Eine bunte Vielfalt tut sich buchstäblich auf, wenn wir ins Reich der Blütenfarben und der Insekten hineinblicken. Sie verraten uns mit ihrem Verhalten, warum wir auch die Blütenform so sehr schätzen, nicht allein die Farbe. Nirgendwo sonst spielt die Symmetrie äußerlich eine so wichtige Rolle wie in den Blüten. Sie sind strahlenförmig aufgebaut mit einem klaren Zentrum, zu dem die Insekten hingezogen werden sollen, um die Bestäubung zu vollziehen, oder zweiseitig symmetrisch mit verborgenem Nektar, der nur auf bestimmten Wegen erreicht werden kann.

Die ungestörte Symmetrie der Blüten drückt aus, dass sie jung und gesund sind, sich also in der richtigen Form entwickelt und entfaltet haben. Die Symmetrien sprechen uns an, weil sie auch in unserem Leben von größter Bedeutung sind. Leben soll ohne Unregelmäßigkeiten entstehen und störungsfrei bleiben. Hat es Entwicklungsstörungen gegeben, sind die davon Betroffenen mit Fehlern behaftet. Kommen Störungen im Lauf des Lebens auf uns zu, erkranken wir.

Vollkommene Symmetrien nehmen wir gefühlsmäßig als Ausdruck von Gesundheit wahr– wie frische Farben auch. Deshalb schätzen wir Blumen so sehr und viel mehr als grüne Pflanzen, obwohl diese das Raumklima eher verbessern als Blumensträuße. Und wir lieben Blumen offenbar schon sehr lange– denn schon die Neandertaler gaben ihren Toten Blumen mit ins Grab.

Der Kontinent der Meerschweinchen

Warum hat Südamerika nur kleine Großtiere?

Es fällt auf, dass es in Afrika, Asien und Nordamerika einen beeindruckenden Reichtum an großen Säugetieren gibt, nicht aber in Südamerika. Zwei Arten von Tapiren, nur wenig größer als Wildschweine, und Kleinkamele, die man umarmen könnte, sind die größten Wildtiere; der Jaguar als Katze kaum kleiner. Ansonsten kommen nur vergleichsweise kleine Säugetiere vor. Das ist besonders faszinierend angesichts der Tatsache, dass Südamerika ansonsten fast nur Superlative bietet: die reichhaltigste Vogelwelt, den größten tropischen Regenwald, mit dem Amazonas den mit Abstand gewaltigsten Fluss der Erde, die größte Riesenschlange, die Anakonda, und mit weit über 300 Millionen– das stimmt besonders nachdenklich– den größten Bestand an Rindern. Global gesehen weidet jedes vierte Rind gegenwärtig in Südamerika. Doch vor Ankunft der Europäer war Südamerika, so könnte man es überspitzt sagen, der Kontinent der Meerschweinchen.

Dabei gedeihen die von den Europäern mitgebrachten Säugetiere, vor allem die Rinder und die Pferde, in Südamerika durchaus, und es stellt sich die Frage, warum es dann von Natur aus nicht ähnliche, ihnen entsprechende Tiere gegeben hat.

Wäre Südamerika nicht tauglich für die Säugetiere aus anderen Kontinenten, könnten wir direkt nach dem Grund suchen. Aber nahezu alle Arten, die nach der europäischen Besiedelung eingeführt wurden, entwickelten sich prächtig. Sogar Hasen und Hirsche ganz unten am südlichen Ende Südamerikas. Auch Biber wurden erfolgreich eingebürgert. Pferde überlebten ohne Schwierigkeiten, wo man sie freiließ. Die Pampa ist ein gutes natürliches Grasland. Die Gaucho-Romantik steht jener der Cowboys von Nordamerika in nichts nach. Manchmal könnte man meinen, die Rinder gehörten von Natur aus zur Pampa, denn es gibt sogar Vögel, die ihnen die Zecken aus der Haut zupfen. Aber woher kannten die auf Deutsch so unschön Madenhacker-Kuckucke genannten Vögel die Technik, wenn es doch vor der europäischen Besiedelung noch gar keine von Zecken geplagten Rinder auf der Pampa gab? Das sind harte Nüsse für uns Biologen.

Die Einführung von Säugetieren aus der Alten Welt entsprach einem Großexperiment mit der Natur Südamerikas.

Und es ist gelungen! Die neuen Säugetiere verdrängten keine der vorher vorhandenen einheimischen. Solche Typen fehlten einfach in den Steppen und Wäldern dieses Kontinents. Ihre Plätze waren nicht besetzt.

Aber die Feststellung, dass Kuh und Pferd, Hirsch und Hase fehlten, ist nur zum Teil richtig. Denn es gibt andere Arten von Hirschen kleiner und mittlerer Größen in Südamerika und hasenartige Meerschweinchen, die Maras, die auch Pampa-Hasen genannt werden. Von Pferden sind Fossilien gefunden worden, die beweisen, dass sie, allerdings vor über zwei Millionen Jahren, bereits in Südamerika lebten. Diese Pferde gehörten zu einer anderen, inzwischen ausgestorbenen Art. Rinder gab es allerdings nie, bevor die Europäer sie mitbrachten. Es muss also andere Gründe dafür geben, dass die Säugetiere Südamerikas so klein geblieben sind. Diesem Rätsel auf die Spur zu kommen, ist deswegen so schwer, weil wir meinen (auch wir Biologen machen da meistens keine Ausnahme), dass alle Lebewesen im Haushalt der Natur seit jeher ihren ganz bestimmten Platz haben. Dabei wird vergessen, dass alles eine Geschichte hat. Nicht nur in der Menschenwelt, sondern auch in der Natur. So, wie sie gegenwärtig aussieht oder ausgesehen hat, bevor sie von den Menschen verändert worden ist, war die Natur keineswegs schon immer. Im Gegenteil: Es gab in der Vergangenheit gewaltige Veränderungen. Ihr Ausmaß können wir uns heute kaum noch vorstellen.

Eine solche Veränderung fand vor zweieinhalb bis drei Millionen Jahren statt. Damals erhoben sich mit gigantischen Vulkanausbrüchen zahlreiche Inseln aus dem Meer zwischen dem heutigen Mexiko und der Nordspitze des südamerikanischen Kontinents. Eine Landbrücke zwischen Nord- und Südamerika bildete sich aus. So entstand der Doppelkontinent Amerika. Seine beiden Teile gehören eigentlich gar nicht zusammen. Nordamerika war mit Nordostasien verbunden, Südamerika aber war mehr als 50 Millionen Jahre lang eine Insel; eine Rieseninsel, eine Welt für sich. In dieser langen Zeit entwickelten sich Flora und Fauna sehr eigenständig. Vor allem die Säugetiere bildeten drei Gruppen, die es sonst nirgends gab, nämlich die gepanzerten Gürteltiere, die trägen Faultiere und die merkwürdigen Ameisenbären, die sich hauptsächlich von Termiten ernähren.

Eigenständig verlief auch die Entfaltung der Affen, die Südamerika gerade noch erreicht hatten, bevor es sich von Afrika trennte und zur Insel wurde. Breitnasenaffen nennen wir sie, um sie von den Schmalnasenaffen der Alten Welt zu unterscheiden. Mehrere Vertreter dieser südamerikanischen Affen entwickelten ihren langen Schwanz zu einer fünften Hand, mit der sie äußerst geschickt im Gezweig der Bäume klettern können.

von links nach rechts:Jaguar, Tapir, Cabybara (Wasserschwein)

Bezeichnender als das Äußere ist aber das Innenleben der südamerikanischen Säugetiere. Ihr Stoffwechsel läuft beträchtlich langsamer als im Rest der Welt üblich. Bei Faultieren ist er nur etwa halb so schnell wie bei anderen Säugetieren ihrer Körpergröße, bei den Ameisenbären und Gürteltieren nur unwesentlich schneller, und beim Riesengürteltier verläuft er so langsam, dass kaum noch ein Unterschied zu einem großen Reptil besteht.

Selbst bei den Affen liegt die Stoffwechselintensität um 20 Prozent niedriger als bei ihrer altweltlichen Verwandtschaft. Und das hatte gravierende Folgen. Als nämlich die Landbrücke zwischen Nord- und Südamerika fertig war, strömten Säugetiere aus Nordamerika hinein in den Südkontinent. Natürlich hätten auch südamerikanische Säugetiere in den Norden ziehen können. Das schafften aber nur sehr wenige. Umgekehrt zogen aber so viele »Nordtiere« gen Süden, dass seither rund die Hälfte der südamerikanischen Säugetierwelt nordamerikanischen Ursprungs ist.

Auch die Vogelwelt entfaltete sich immens und wurde durch diesen größten interkontinentalen Austausch die reichhaltigste überhaupt. Heute lebt fast jede dritte Vogelart der Erde in Südamerika.

Es gab durchaus auch große Säugetiere in Südamerika– aber in Form von Riesenfaultieren und Großformen aus der weiteren Verwandtschaft der Gürteltiere. Sie hatten die Größe von Bären. Einige Vertreter dieser Säugetiere waren sogar noch beträchtlich größer. Aber sie starben aus, als gegen Ende der letzten Eiszeit auch Menschen, die Vorfahren der Indios, nach Südamerika einwanderten. Viele Wissenschaftler meinen, dass diese Großtiere von den Menschen ausgerottet wurden. Aber es gilt zu bedenken, dass die bereits erwähnte Pferdeart, die einst auch den Weg über die neue mittelamerikanische Landbrücke genommen hatte, ausstarb, schon lange bevor die ersten Menschen auf diesen Kontinent kamen. Es trug also auch die Eiszeit mit ihren starken Klimaschwankungen ihren Teil dazu bei. Die Regenwälder breiteten sich aus und schrumpften wieder. Dieser Vorgang wiederholte sich mehrmals. Große Tiere fallen solchen Veränderungen viel schneller zum Opfer als kleine, wenn keine Ausweichmöglichkeiten vorhanden sind. Diese Gefahr bringt das Leben auf Inseln mit sich, mögen sie kurzfristig noch so sehr wie glückliche Inseln aussehen.

Die Wechselbäder der Eiszeiten stärkten die Säugetiere der Alten Welt. Sie wurden überlegen (Warum, erzähle ich in der nächsten Geschichte). Die südamerikanischen Säugetiere mit niedrigerem Stoffwechsel konnten sich gegen die Überlegenheit der altweltlichen nicht behaupten. Sie überlebten dort, wo von Natur aus die Nahrung dürftig ist– und zwar in den tropischen Wäldern Amazoniens, im Dornbuschwald des Gran Chaco, in den staubtrockenen Halbwüsten Patagoniens und in den eisigen Höhen der Anden.

Mehr als irgendwo sonst drückt sich in der Welt der Säugetiere Südamerikas Geschichte, die Naturgeschichte ferner Zeiten, aus. Unsere Gegenwart ist nur ein Augenblick, verglichen mit den Jahrmillionen der Erdgeschichte. Südamerika war sehr lange Zeit eine Zweite Welt, wie auch das noch andersartigere Australien. Die Naturgeschichte des Lebens, die Evolution, folgte auf diesen beiden Inselkontinenten eigenen Entwicklungen. So gesehen gab es auf der Erde nicht nur »eine Welt«, sondern deren drei.

Der Hund und der Dinosaurier

Warum ist unser Körper dauerhaft warm?

Die Welt wurde über 100 Millionen Jahre lang von Reptilien beherrscht. Die bekanntesten sind die Dinosaurier. Doch klammheimlich kam etwas Neues: Tiere, die ihren Körper Tag und Nacht, jahrein, jahraus gleichbleibend warm hielten, und zwar fast immer wärmer als die Temperatur der Umgebung. Aber wieso wurde das plötzlich wichtig, wenn es doch vorher so lange Zeit auch anders gut geklappt hatte und die konstante Körperwärme so viel zusätzliche Energie kostete?

Der Vorteil liegt zwar auf der Hand, aber die Kosten sind gewaltig. Daher beschäftigt diese Frage seit Langem die Evolutionsforscher. Sehen wir uns zunächst ein vertrautes Beispiel aus der Technik an, nämlich ein Auto: Es war abgestellt. Wir starten den Motor. Es dauert ein wenig, bis er auf Touren kommt. Lassen wir die Kupplung zu schnell los, wenn der Motor noch kalt ist, würgen wir ihn ab. Ist der Motor erst warmgelaufen, können wir starten. Mit viel Gas und sehr hohen Drehzahlen lässt sich ein ebenso verschwenderischer wie die Umwelt belastender »Kavalierstart« hinlegen. Wer in wenigen Sekunden auf Tempo 80 oder 100 Stundenkilometer kommen will, verbraucht ein Vielfaches an Sprit, verglichen mit dem Normalbetrieb. Ein strapaziöser Kaltstart im Winter tut dem Motor gar nicht gut. Durchaus ähnlich verhält es sich mit dem Körper eines Tieres, das plötzlich Höchstleistungen vollbringen soll, weil ein Feind naht, vor dem es flüchten muss, oder weil es umgekehrt eine attraktive Beute gesichtet hat. Wenn der Stoffwechsel bereits auf Hochtouren läuft, kann die Höchstleistung ohne Zeitverzögerung vollbracht werden. So weit, so klar. Leider ist das zu kurz gedacht. Das Problem ist der Spritverbrauch.

Lassen wir den Motor immer im Leerlauf, auch wenn wir längere Zeit gar nicht fahren, frisst uns sein Spritverbrauch regelrecht auf. Wir sparen teure Energie, wenn wir den Motor nur bei wirklichem Bedarf anwerfen. Eigentlich sollte es mit dem Körper auch so sein. Bewegung kostet Energie. Am meisten verbraucht der Flug der Vögel. (An zweiter Stelle folgt übrigens unser Gehirn, aber das ist ein anderes Thema. Behalten wir es im Hinterkopf.) Wechseln wir mit unseren Überlegungen nun also zu uns selbst. Wir müssen uns ja nicht extra warmlaufen wie ein Motor, wenn die Umgebung, in der wir uns aufhalten, warm genug ist. Und wenn es für alle außen gleich warm ist, hat keiner einen Vor- oder Nachteil, wenn es ums Laufen geht, sei es auf der Flucht oder auf der Jagd nach Beute. Deshalb ist die hohe Körpertemperatur in den Tropen, die uns müde und leistungsschwach macht, sogar eher eine Belastung als ein Vorteil. Wir wünschen uns dann Kühlung und ziehen um die heiße Mittagszeit die Hängematte anstrengender Arbeit vor.

Eine andauernd hohe Körpertemperatur ist dann gut, wenn es darum geht, zu verhindern, dass wir frieren, aber eine Belastung, wenn die Umgebung sehr warm ist. Deshalb lohnt sie sich am meisten in den Gebieten mit sogenanntem gemäßigtem Klima, wo aufgrund von Winter und kühlen Nächten die Durchschnittstemperaturen um 15 bis 20 Grad Celsius unter der Temperatur liegen, bei der ohne körperliche Anstrengung ein Ausgleich zwischen der inneren Wärmeerzeugung und der Außentemperatur zustande kommt. Bei uns Menschen liegt diese Temperatur bei 26 bis 28 Grad Celsius, also rund zehn Grad unter unserer normalen Körpertemperatur. Wird unsere Umgebung kälter, müssen wir »nachheizen«, also zusätzliche Wärme durch Bewegung oder Arbeit erzeugen oder uns entsprechend dicker bekleiden. Steigt die Außentemperatur über den Neutralwert, kühlt der Körper automatisch mit Schwitzen. Eigentlich sollte daher der Nullwert für unsere Thermometer auf 27 Grad Celsius festgelegt werden. Was darunter fällt, geht ins Minus, was darüber ansteigt, ins Plus.

Die zusätzliche Körperwärme wirkt sich besonders dann günstig aus, wenn es kühl geworden ist. Richtige Kälte überstehen wir aber nur mit dicker Kleidung und besonderer Isolation nach außen. Wir Menschen sind einzigartig in der Fähigkeit, uns mit Kleidung ganz nach Bedarf warm halten zu können. (Andere Säugetiere und die Vögel können nicht einfach Fell und Federn zwischen Tag und Nacht wechseln oder sich aus- und anziehen, wie es gerade passt.)

Gleichzeitig bringt die hohe Körpertemperatur einen weiteren unschlagbaren Vorteil. Schauen wir daher als Nächstes in die Tropen: Dort leben Reptilien unterschiedlichster Größe– von kleinsten Echsen bis zu Riesenschlangen und gewaltigen Krokodilen. Sie brauchen keine Zusatzheizung, aber den Säugetieren und den Vögeln sind sie dennoch nicht überlegen. Deren Vorteil liegt nämlich darin, dass sie entweder wie sehr viele Säugetiere, vor allem solche mit hoher Körpertemperatur, schnell und gut zu Fuß sind oder, wie die meisten Vögel, fliegen können. Flugunfähige Vögel, wie etwa Strauße, laufen so schnell wie Rennpferde. Die hohe Körpertemperatur der Säugetiere und der Vögel hat ihre Leistungsfähigkeit gesteigert, sogar in den dauerwarmen Tropen. Sie sind auch in dieser Umwelt den Echsen und Schlangen und selbstverständlich den langsamen Schildkröten haushoch überlegen. »Immer schneller, immer höher, immer weiter«, so könnte das Motto dieser Leistungsträger in der Evolution der Wirbeltiere lauten. Wie auch beim Menschen und seiner Technik.

Im Zeitalter der Reptilien hieß das Motto hingegen »größer, größer, immer größer«. Die gigantischen Kolosse, die dabei entstanden, waren natürlich keine Sprinter– und auch keine Denker. Denn das Gehirn verbraucht, wie oben bereits angemerkt, außerordentlich viel Energie, und zwar umso mehr, je größer es im Verhältnis zum Körper ist. Es funktioniert dann am besten, wenn es beständig auf optimaler Temperatur gehalten wird. Die innere Wärmeerzeugung garantiert das. Ein warmes Innenleben und ein leistungsfähiges Gehirn hängen also unmittelbar miteinander zusammen.

Die Säugetiere und die Vögel entwickelten zunehmend größere und bessere Gehirne. Und das von Anfang an. Und dieser Anfang fand mit dem Erdmittelalter bereits in einer Zeit statt, in der das eigentliche Zeitalter der Dinosaurier erst im Kommen war. Damals bildeten die Kontinente eine riesige zusammenhängende Masse, und die Erde war viel wärmer als heute. Das kam den Reptilien zugute. Die zunehmende Körpergröße verringerte die nächtlichen Wärmeverluste, sie machte aber zwangsläufig langsamer.

Der berühmt-berüchtigte Tyrannosaurus Rex wäre für einen Hund keine Gefahr gewesen. Der Riese war einfach viel zu langsam. So wie heutzutage jede Gazelle einem Elefanten mühelos davonläuft, hätten flinke, warmblütige Tiere dem Giganten der Dinosaurierzeit leicht entkommen können. Das mag eine entscheidende Rolle gespielt haben, vor allem bei der Entstehung der Vögel. Denn sie sind als Seitenzweig der Dinosaurier tagaktiv, während Säugetiere viel stärker auf das Leben in der Nacht eingerichtet sind. Stark vereinfacht lässt sich das so ausdrücken: Die sich langsam entwickelnden Säugetiere wurden dank zunehmender innerer Wärmeerzeugung immer ausgeprägter dämmerungs- und nachtaktiv, während den Vögeln die Innenwärme das Abheben und den aktiven Flug ermöglichte. Sie gelangten mit sich allmählich verbesserndem Verhältnis zwischen Aufwand und Ertrag in Gebiete, in denen besonders reichliche und sehr ergiebige Nahrung vorhanden war. So wie auch beim Vogelzug der Gegenwart.

Als der Pangäa genannte Superkontinent im Erdmittelalter zerbrach und Teile davon in Richtung der Pole abdrifteten, wurde es auf den Kontinenten und in den Meeren immer kälter. Eine Entwicklung, die für die Säugetiere und die Vögel sehr vorteilhaft war.

Die verschwenderische Ratte und die genügsame Natter

Warum kann es von Vorteil sein, viel Energie zu verbrauchen?

Das Leben geht haushälterisch mit Energie um, heißt es häufig. So gesehen scheint der Energiehaushalt der Säugetiere verschwenderisch. Schlangen oder Krokodile brauchen viel weniger Nahrung als körperlich vergleichbar große Säugetiere oder Vögel. Einmal im Monat eine Maus oder ein größerer Fisch genügen völlig. Schlangen sind Hungerkünstler, Krokodile weit weniger hungrig, als das oft dargestellt wird.

Außer in den kalten Regionen gibt es überall, auch im Meer, Reptilien. Sie beherrschten die Erde nahezu doppelt so lange wie die Säugetiere, von der »Eintagsfliege« Mensch ganz zu schweigen. Wie konnten die Energieverschwender doch die Oberhand gewinnen? Nun, die Vorstellung von der haushälterischen Natur ist nicht mehr als ein Wunschbild. Knappheit wirkt als Zwang. Verknappung ist kein Ziel. Leben ist verschwenderisch– in der Erzeugung von Nachwuchs und im Einsatz von Energie. Und dieses Verhältnis zwischen Nachwuchs und Einsatz von Energie unterscheidet sich bei den Reptilien ganz gravierend von dem der Säugetiere.

Betrachten wir als Beispiele eine heimische Schlange wie die Ringelnatter und eine Ratte. Die Natter jagt nach Fröschen, Fischen oder erwischt, wenn sie Glück hat, auch einmal eine Maus. Die Ratte, die mehr als zehnmal soviel Nahrung braucht, wäre ihr, zumindest als ausgewachsenes Tier, viel zu groß. Die Natter legt zwischen 30 und 100 Eier, die 60 bis 75 Tage brauchen, bis die kleinen Schlangen schlüpfen. Sie hat keinen Aufwand beim Brüten oder der Versorgung ihrer Jungen. Das Rattenweibchen ist gut drei Wochen trächtig und bringt pro Schwangerschaft sieben bis acht Junge zur Welt und das etwa dreimal pro Jahr. Die Jungen werden von der Mutter gesäugt. Sie sind nach drei bis vier Monaten erwachsen und selbst fortpflanzungsfähig.

Trotz der höheren Eizahl der Schlange übertrifft die Ratte diese an Fortpflanzungsleistung beträchtlich. Es dauert mehrere Jahre, bis die jungen Nattern groß genug für die Fortpflanzung sind. In der Natur zählt der erfolgreiche Nachwuchs. So dauert es lediglich ein Jahr, bis die Ratte die Schlange überholt hat. Deshalb gibt es viel mehr Ratten auf der Erde als Ringelnattern oder Schlangen insgesamt.

Der zweite entscheidende Vorteil des stark erhöhten Einsatzes von Energie betrifft die Ausbreitung. Nirgendwo bleiben auf Dauer die Lebensbedingungen unverändert. Selbst stabile Verhältnisse verändern sich irgendwann, wer nicht mitziehen kann, bleibt schließlich auf der Strecke. Auf die Evolution bezogen heißt das, dass eine Art ausstirbt.

Die Dinosaurier waren nicht flexibel genug, um mit dem extrem raschen Wechsel der Lebensverhältnisse auf der Erde zurechtzukommen, nachdem vor 65 Millionen Jahren ein Riesenmeteorit die Erde getroffen und fast alles verändert hatte. Es überlebten nicht die sparsamsten unter ihnen, sondern ausgerechnet jener Stamm, der am meisten Energie fürs tägliche Leben verbraucht, die Vögel.

Ihr Leben läuft noch hochtouriger als das der allermeisten Säugetiere. Mit 40 bis 43 Grad Celsius Körpertemperatur leben die Vögel kurz vor der Todesgrenze. Höchst erfolgreich aber, wie wir sehen. Denn die Vögel sind die einzigen Lebewesen, die sogar den Menschen und seine technischen Fähigkeiten, für sein Überleben zu sorgen, übertreffen. Es gibt sie überall, von den feuchttropischen Regenwäldern, in denen sie in besonderer großer Vielfalt vorkommen, bis zu den höchsten Gebirgen und über den Rand des Eises hinaus im Innern der Antarktis. Dort, wo es am kältesten ist und monatelang Dunkelheit herrscht, bebrüten die Kaiserpinguine ihr Ei unter einer Hautfalte auf den eigenen Füßen und ziehen ihre Jungen groß, bis sie in der Lage sind, den langen Marsch zum Meer zu bewältigen. Sie und andere Pinguine »fliegen« mit ihren flossenartigen Vordergliedmaßen durchs Wasser wie andere Vögel durch die Luft und tauchen Hunderte von Metern tief hinab ins eiskalte Meer. Über den Hochanden oder dem hohen Himalaja fliegen Vögel in Höhen, in denen sonst nur modernste Düsenjets unterwegs sind, ohne Schwierigkeiten mit dem Atmen zu bekommen.

Mit rund Zehntausend verschiedenen Arten sind die Vögel mehr als zweieinhalb Mal so artenreich wie Säugetiere und viel erfolgreicher als die Reptilien. Dass sie ein Zweig der Dinosaurier sind, bekräftigt die Feststellung, dass in der Evolution der Erfolg zählt und nicht das Prinzip Sparsamkeit, das wir aus anderen Gründen beherzigen sollten.

So folgte dem Zeitalter der Reptilien das neue der Säugetiere und der Vögel. Und liegt es nicht auch an unserem so drastisch gesteigerten Einsatz von Energie, dass wir uns aus den Fesseln der Umwelt des mehr als 150000 Jahre währenden Daseins als Jäger und Sammler gelöst und zum Kulturwesen Mensch entwickelt haben?!

Der nackte Affe und der Dauerläufer

Warum haben wir nur auf dem Kopf Haare?

Nackt werden wir geboren, nackt bleiben wir bis auf den Haarwuchs auf dem Kopf und an wenigen kleinen Stellen am Körper. Es fehlt uns einfach von Natur aus das Fell, das unsere Primaten-Verwandtschaft und die allermeisten anderen Säugetiere kennzeichnet. Müssen wir uns schämen, weil wir nackt sind? Wenn wir so denken, erschaffen wir uns selbst ein Problem, das von Natur aus gar nicht existiert. Unsere Nacktheit war und ist ein großer Vorteil und keineswegs ein Makel oder gar ein Mangel.

Doch um das so nahe Liegende verständlich zu machen, müssen wir uns mit unserer ferneren Vergangenheit und mit dem Haar an sich ein wenig näher befassen. Allerdings geleiten uns in die fernere Vergangenheit nur versteinerte Knochen, Fossilien, denen auf den ersten Blick nicht anzusehen ist, ob die früheren Menschenformen auch schon nackt waren oder noch ein Fell ähnlich wie die Menschenaffen hatten. Aber zum Glück gibt es diese nächsten Verwandten noch, und wir können so ein paar recht aufschlussreiche Vergleiche mit ihnen anstellen.

Schimpansen, Gorillas und Orang-Utans tragen ein Fell, wie alle anderen Primaten auch, die oft abwertend als Affen zusammengefasst werden. Nennen wir sie lieber Primaten, denn sonst müssten wir uns selbst auch bei den Affen mit einreihen. Desmond Morris machte das und schrieb ein Buch über uns Menschen mit dem Titel Der nackte Affe. Es wurde ein Weltbestseller. Wahrscheinlich weil der Verfasser uns so darzustellen versuchte, wie wir sind, und nicht, wie es uns gefällt. Die Nacktheit kennzeichnet den nackten Affen immer und überall bei allen Menschen, auch wenn Kleidung dieses Merkmal verhüllt, während die von den Zoologen bevorzugte Fachbezeichnung für den Menschen Homo sapiens, der »weise« oder »kluge« Mensch,wohl nicht immer und überall so zutrifft, wie man meinen sollte.

Wieso aber wächst uns fast am ganzen Körper nahezu kein einziges Haar mehr? Nun, eigentlich gibt es unser Fell schon noch, aber die Härchen sind so winzig, dass sie, abgesehen von manchen Männerbrüsten, nicht auffallen. Sie bleiben auch im Hinblick auf ihre frühere Bedeutung als Fell gänzlich unbedeutend. Der zarte Flaum kann weder vor kaltem Wind und Regen noch vor Sonnenbrand schützen. Zudem ist unsere Haut sehr empfindlich. Dornen ritzen sie, auch raue Borke. Nackt auf Bäume zu klettern ist kein Vergnügen. Alles Nachteile!

Dennoch zählen sie fast nichts im Vergleich zu den großen Vorteilen unserer unzureichenden Behaarung. Statt eines dichten Fells sitzen auf unserer Haut Millionen und Abermillionen winziger Schweißdrüsen. Bei starkem Schwitzen geben sie so viel kühlendes Wasser ab, dass der Wärme-Entzug einem Mehrfachen des normalen Energie-Umsatzes in unserem Körper entspricht. Das heißt im Klartext: Wir können so unglaublich viel und schwer arbeiten, weil wir so gut schwitzen. Extrem gut. Am besten von allen Säugetieren. Wir sind deshalb von Natur aus ein Arbeitstier.

Und das war in unserer Entwicklung vor einem ganz anderen Hintergrund notwendig. Diesen sehen wir an unseren Beinen und im Vergleich zu den Menschenaffen. Wir sind Läufer, sie ganz und gar nicht. Wenn sie mit nach innen gebogenen Fingern auf ihren Fingerknöcheln einherschreiten, ist ihre menschenäffische Fortbewegungsweise gewöhnungsbedürftig. Auch ihr vierbeiniges Laufen, so schnell es auf kurzen Strecken auch sein mag, sieht nicht gerade elegant aus. Da wirken unser Einherschreiten und der Lauf doch ganz anders und gewiss fortschrittlicher. Und genau um diesen Fortschritt ging es, als unsere Nacktheit zustande kam. Der werdende Mensch war ein Läufer geworden; ein Läufer mit nomadischer Lebensweise. Die Vormenschen richteten sich auf die Hinterbeine auf, das dauerte viele Tausende Generationen und mehrere Millionen Jahre insgesamt. Aber dann war der Körper unserer fernen Vorfahren optimiert. Beckenform und Beinlänge passten, der Fuß ließ sich gut über die Ferse abrollen. Die Muskulatur war kräftig genug geworden, um schnelle Sprints und anhaltende Dauerläufe zu ermöglichen.

Doch bei alldem wird Wärme frei; viel Wärme und immer mehr, je länger der Lauf dauert. Die Muskulatur würde sich überhitzen. Das Gehirn auch. Ein optimal arbeitendes Kühlsystem ist daher unverzichtbar. Die Menge der Schweißdrüsen nimmt zu. Die Größe und Dichte der Haare ab. Denn dichtes Fell verklebt der Schweiß, dann geht die Kühlwirkung verloren.

Die Nacktheit kam zustande, weil der Mensch ein Läufer geworden war. Der beste Läufer überhaupt. Marathonstrecken legt er zurück und noch mehr, viel mehr. Der Rekord im Dauerlauf liegt gegenwärtig bei 600 Kilometern. Kein anderes Tier kann uns das nachmachen, weder das beste Rennpferd noch der ausdauerndste Hund. Um Rekorde ging es zwar sicherlich nicht in der Evolution des Menschen, wohl aber um Ausdauer, um Durchhaltevermögen. Die nomadische Lebensweise wurde der Lebensstil aller Angehörigen der Gattung Mensch. Wir stammen von ihnen ab. Ihr Vorteil ist auch unserer. Wir nutzen ihn zum Arbeiten. Damit haben wir die Welt verändert. Kein anderer Primat, kein vergleichbares Säugetier ist auch nur annähernd so leistungsfähig wie der Mensch. Die Nacktheit macht’s möglich. Dass sie oft verborgen wird, hat andere Gründe. Denn die Erfindung der Kleidung vervollständigte den Vorzug der Nacktheit. Mit diesem beliebig zu wechselnden Ersatz für das Fell wurde es dem Menschen möglich, seine Tropenheimat zu verlassen und sich den großen Rest der Erde als Lebensraum zu erschließen. Die Kleidung benutzt er dazu, seine Tropenwelt in kleinstmöglichem Umfang mitzunehmen. Nämlich mit etwa 27 Grad Celsius an der Körperoberfläche.

Nur der Kopf mit seinem mehr oder weniger üppig wuchernden Haar bereitet noch evolutionsbiologisches Kopfzerbrechen. Auch mir, zumal ich eine Deutung versuchen möchte, die sicherlich nicht allen gefallen wird. Ich halte die Haare nämlich für eine Ausscheidung des Körpers; ursprünglich zumindest. Sie bestehen aus Horn, genauer gesagt, aus Keratin. Dieser Stoff bedeckt als dünne Außenschicht nicht nur den menschlichen Körper, sondern alles, was unter Säugetieren, Vögeln und anderen Wirbeltieren Haut hat. Wiederum sollte ich genauer sein und von der Oberhaut sprechen, denn die darunter liegende, viel dickere Lederhaut ist nicht gemeint. Aus dieser dickeren Unterhaut von Rindern und anderen Tieren stellt man Leder her; die Oberhaut ist zu dünn dafür. Wofür ist sie dann aber gut? Dass sie Schwielen und Hühneraugen ausbildet?

Natürlich sind das Folgen übermäßiger Hautbildung, aber nicht die Gründe für deren Entstehung. Wichtiger scheint zunächst, dass sie den Körper nach außen begrenzt und schützt. Das ist richtig. Doch muss sie deswegen andauernd abschuppen, auch wenn sie gar nicht strapaziert wird? Was mir am wenigsten gefällt, sind Erklärungen, die da lauten: »Das ist halt so.« Ich meine, es gibt eine echte Erklärung, wenn wir uns die Haut selbst und die Gebilde, die sie erzeugt, ein wenig genauer ansehen.

Der Stoff, aus dem sie aufgebaut sind, ist das schon angeführte Keratin. Es besteht aus Eiweiß, genauer aus Eiweiß-Bauteilen, den Aminosäuren, die in einer ganz bestimmten Weise miteinander chemisch verbunden sind. Zu diesen Aminosäuren gehören auch solche, die Schwefel enthalten. Würden diese im Körper abgebaut werden wie andere Reststoffe auch, entstünden dabei sehr giftige Schwefelverbindungen, wie etwa der (nach faulen Eiern stinkende) Schwefelwasserstoff (H2S). Stattdessen steckt der Körper diese schwefelhaltigen Aminosäuren in die Bildung von Keratin, das elastisch und zäh, zugleich aber auch gänzlich ungiftig ist. In Haare zusammengefasst ergibt sich daraus das Fell. Es verliert mehr oder weniger regelmäßig Haare. Bei manchen Tieren gibt es einen richtigen Haarwechsel in Frühjahr und Herbst. Dabei sind die Haare keineswegs so schlecht, dass sie ersetzt werden müssten. Deshalb halte ich das Haar für eine Körperausscheidung, die ursprünglich dazu angelegt war, problematische Aminosäuren zu entsorgen, die der Körper nicht braucht, weil die Nahrung schon mehr als genug davon enthält.

Ein Weg, sie loszuwerden, führt über die Haut. Dort sitzen unsere Drüsen und Haarwurzeln. Die Drüsen scheiden die Aminosäuren und bestimmte Fettsäuren aus. Die Bakterien auf der Haut leben davon. Sie erzeugen dabei den Schweißgeruch. Wir würden entsetzlich stinken, gingen all die Aminosäuren, die zum Aufbau der Haare verwendet werden, stattdessen einfach über die Haut nach außen. Bekanntlich haben Säugetiere, die sich von sehr eiweißreicher Kost ernähren, einen starken Haarwuchs oder sie stinken.

Damit bin ich auf Umwegen schließlich bei unserem Kopf angelangt. Der Mensch hat ja seit dem Wechsel der Ernährung von Pflanzenkost auf Fleisch zumindest zeitweise ein Überangebot an Proteinen, darunter auch viele schwefelhaltige. Diese müssen entsorgt werden. Und zwar möglichst unschädlich. Unser starker Haarwuchs am Kopf macht diese Entsorgung möglich, ohne dass das Kühlsystem des Körpers davon beeinträchtigt wird. Unser Körper, so meine Ansicht, schiebt gleichsam all das, was ursprünglich ins ganze Fell ging, in unser Kopfhaar. Und weil immer neue Eiweißstoffe für die Keratinbildung nachkommen, wachsen unsere Haare beständig nach, bis sich der Stoffwechsel im Alter verlangsamt.

In der Jugend aber, vor allem bei jungen Frauen, drückt der Haarwuchs aus, dass sie bestens mit Proteinen versorgt sind und gesunde Kinder zur Welt bringen können. Es klingt vielleicht etwas kühn, aber womöglich ist das auch der Grund, dass in manchen Kulturen bei Mädchen und Frauen die Haarpracht verborgen gehalten wird. Andere sollen daraus keine Rückschlüsse ziehen können, denn wie es heißt, die Haare sind das Leben der Frau.

Der Pinguin und derfast flugunfähige Schwan

Sind Federn wirklich zum Fliegen da?

Federn entstanden aus Vorformen in der fernen Vergangenheit der Vögel, lange bevor diese das Fliegen lernten. Wie kann etwas, noch dazu etwas so Kompliziertes wie die Vogelfeder, entstehen, wenn es erst viel später, im fertigen Zustand funktioniert? Die Evolution verfolgt ja kein Ziel, wie die Biologen immer wieder bekräftigen.

Die Betrachtung der Haare hat eigentlich schon vorgezeichnet, wie wir uns diesem Problem nähern sollten. Sicher entstand die Feder nicht, um einer Seitenlinie der Dinosaurier das Fliegen zu ermöglichen. »Um zu« setzt so etwas wie eine Absicht oder einen Plan voraus. Hätte es einen solchen gegeben, wäre in der Evolution nicht so viel Flickwerk zustande gekommen. Halten wir hier fest: Die Vogelfeder besteht wie das Haar der Säugetiere aus Keratin. Sie ist, gleichfalls wie das Haar, ein totes Gebilde der Haut. Doch während Letzteres aus den Haarwurzeln immerzu nachwächst, fällt die Feder, einmal ausgewachsen, von Zeit zu Zeit aus. Sie wird, wie es heißt, gemausert. Die Mauser ist der Federwechsel der Vögel. Sie hat eine entfernte Ähnlichkeit mit dem Kleiderwechsel der Menschen.

Nackte Vögel gibt es nicht, wohl aber viele flugunfähige, zum Beispiel die Pinguine. Würden wir Menschen nur in der Antarktis leben, hielten wir sie für »normale« Vögel und solche, die fliegen können, für eine ähnliche Besonderheit wie die Fledermäuse unter den Säugetieren. (In den vielen Millionen Pinguinen steckt, auf ihr gesamtes Lebendgewicht bezogen, mehr Vogelleben als in der vielfältigen Welt fliegender Gefiederter ganzer Kontinente. Also macht das Fliegen den Vogel weniger zum Vogel, als man gemeinhin denkt.) Alle Vögel aber, auch die Pinguine und der größte der gegenwärtig noch lebenden Vögel, der afrikanische Strauß, tragen Federn. Wir können daher ganz einfach sagen: Was Federn hat, ist ein Vogel. Selten genug lässt sich eine ganze Tiergruppe, noch dazu eine so artenreiche und vielfältige wie die Vögel, über ein einziges Merkmal so eindeutig kennzeichnen.

Bei den Säugetieren geht das nicht. Früher wurde zwar vorgeschlagen, sie »Haartiere« zu nennen, aber nicht alle Säugetiere tragen Haare. Auch das Säugen, das Trinken von Muttermilch, ist eine Hilfslösung, denn etwa die Tauben, zweifellos Vögel und keine Säugetiere, füttern ihre Jungen mit Kropfmilch.

Die Feder ist also wirklich etwas ganz Besonderes. Interessanterweise pflegen wir dabei immer von »