Natürlich waschen! - James Hamblin - E-Book

Natürlich waschen! E-Book

James Hamblin

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Beschreibung

Das Geschäft mit gesunder, schöner Haut boomt: Gut 15 Milliarden Euro werden in Deutschland jährlich für Körperpflegeprodukte ausgegeben. Doch es herrscht kaum Einigkeit darüber, was unsere Haut wirklich pflegt, nährt und was ihr schadet. Die Forschung auf diesem Gebiet ist nur selten unabhängig von den Großkonzernen der Kosmetikindustrie. Um herauszufinden, wie wir unsere Haut am besten schützen und versorgen, widmet sich Journalist und Arzt James Hamblin der Kulturgeschichte unserer Körperpflege und der Wissenschaft von der Haut. Er spricht mit Mikrobiologen, Allergologen, Genetikern, Ökologen, Kosmetikfachleuten, Seifenfans, Venture-Capital-Unternehmen, Historikern, Entwicklungs­helfern, sogar mit ein paar waschechten Betrügern und erfährt, dass sich unsere Vorstellung von sauber und rein gerade grundlegend verändert. Um die Haut und ihr Mikrobiom gesund zu halten, ist weniger oft mehr.

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Zum Buch

Das Geschäft mit gesunder, schöner Haut boomt: Gut 15 Milliarden Euro werden in Deutschland jährlich für Körperpflegeprodukte ausgegeben. Doch es herrscht kaum Einigkeit darüber, was unsere Haut wirklich pflegt, nährt und was ihr schadet. Die Forschung auf diesem Gebiet ist nur selten unabhängig von den Großkonzernen der Kosmetikindustrie.

Um herauszufinden, wie wir unsere Haut am besten schützen und versorgen, widmet sich Journalist und Arzt James Hamblin der Kulturgeschichte unserer Körperpflege und der Wissenschaft von der Haut. Er spricht mit Mikrobiolog*innen, Allergolog*innen, Genetiker*innen, Ökolog*innen, Kosmetikfachleuten, Seifenfans, Venture-Capital-Unternehmen, Historiker*innen, Entwicklungshelfer*innen, sogar mit ein paar waschechten Betrüger*innen und erfährt, dass sich unsere Vorstellung von sauber und rein gerade grundlegend verändert. Um die Haut und ihr Mikrobiom gesund zu halten, ist weniger oft mehr.

 

»Hamblins Buch ist eine Ode an die Haut – höchst unterhaltsam und interessant.«New York Times

Über den Autor

James Hamblin, ehem. Arzt, ist heute Autor, leitender Redakteur bei The Atlantic und Dozent an der Yale School of Public Health. Seine Artikel und Reportagen erscheinen u. a. auch in der New York Times und dem Politico-Magazin. Er ist bei NPR, BBC und The Colbert Report aufgetreten. 2015 erhielt er ein Poynter-Stipendium der Yale University für Journalismus, die Times nannte ihn eine der 140 Persönlichkeiten, denen man auf Twitter folgen sollte. Hamblin wohnt in Brooklyn, NY.

JAMES HAMBLIN

NATÜRLICH WASCHEN!

WAS UNSERE HAUTWIRKLICH GESUND HÄLT

 

 

Aus dem amerikanischen Englischvon Christine Ammann

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Verlag Antje Kunstmann

INHALT

Prolog

      I. Makellos

     II. Reinigen

   III. Schaum

  IV. Schimmern

   V. Entgiften

  VI. Minimieren

 VII. Flüchtiges

VIII. Probiotisch

  IX. Erfrischt

Epilog

Danksagung

 

ANHANG

Anmerkungen

Ausgewählte Literatur

Register

PROLOG

Vor fünf Jahren habe ich aufgehört zu duschen.

Zumindest nach gängiger Vorstellung. Ab und zu halte ich meine Haare noch unter Wasser, verzichte aber auf Shampoo und Pflegespülung, und Seife nehme ich nur noch für die Hände. Auch die anderen Körperpflegeprodukte, die ich früher mit Sauberkeit verbunden habe, wie Peelings, Feuchtigkeitslotionen oder Deos, verwende ich nicht mehr.

Ich würde das nicht unbedingt jedem empfehlen, denn in vielerlei Hinsicht war es furchtbar. Aber es hat mein Leben verändert.

Gern würde ich behaupten, ich hätte mit dem Duschen aus ehrenwerten, tugendhaften Gründen aufgehört: Etwa, weil in Amerika dabei durchschnittlich 75 Liter völlig sauberes Wasser verbraucht werden, oder weil das Wasser mit erdölhaltigen Reinigungsmitteln und Seife verschmutzt wird und das Palmöl der Seifen aus Plantagen stammt, für die Regenwald gerodet wurde. Oder weil die Schiffe und Güterzüge, auf denen die Körperpflegeprodukte rund um den Globus reisen, von fossilen Kraftstoffen angetrieben werden, weil die antimikrobiellen, konservierenden Zusatzstoffe und das Mikroplastik in unsere Seen und Flüsse, in unsere Nahrung, unser Grundwasser und schließlich in unsere Körper gelangen. Weil die endlosen Reihen aus Plastikflaschen, in denen die Produkte in den Drogeriemärkten der Welt stehen, niemals verrotten werden, sondern sich als große Inseln auf unseren Meeren sammeln. Oder weil die Wale tragischerweise versuchen, sich mit diesen Inseln zu paaren.

Das mit den Walen stimmt nicht (hoffe ich). Aber all die anderen guten Gründe dafür, mit dem Duschen aufzuhören, sind tatsächlich die globalen Auswirkungen der individuellen Hygienegewohnheiten von rund sieben Milliarden Menschen. Aber daran hatte ich gar nicht gedacht, als ich mit dem Duschen aufhörte.

Meine Motivation war viel einfacher und hatte nicht wirklich mit dem Duschen zu tun. Ich war gerade nach New York gezogen, wo alles kleiner, teurer und schwieriger ist. Erst kurz zuvor hatte ich meine Arztkarriere in Los Angeles aufgegeben, weil ich Journalist werden wollte. Obwohl mir fast jeder davon abriet, entschied ich mich gegen einen Beruf mit voraussichtlich 500.000 Dollar Jahresgehalt und für eine Branche im weltweiten Niedergang. Ich zog ans andere Ende der USA und befand mich wieder ganz unten auf der Karriereleiter, in einem winzigen Appartement. Vor mir lag ein Weg, der in jede Richtung durch dichten Nebel führte. Ein Mentor riet mir, die Leiter erst wieder zu erklimmen, wenn ich mir zumindest sicher wäre, dass sie an der richtigen Wand stehe.

Ich denke nicht, dass das heißen sollte, »hör auf zu duschen«. Doch für mich war das der richtige Moment, mein Leben einer gründlichen Inventur zu unterziehen. Ich stellte alles auf den Prüfstand und überlegte, auf welche Besitztümer und Gewohnheiten ich versuchsweise verzichten konnte. Um unnötige, wiederkehrende und unüberlegte Kosten zu vermeiden, schraubte ich meinen Kaffee- und Alkoholkonsum herunter, meldete Fernsehen und Internet ab und verkaufte mein Auto. Ich liebäugelte sogar mit einem Leben im Camper, weil das bei Instagram so glamourös aussah, aber davon rieten mir meine Freundin und alle anderen entschieden ab.

Obwohl ich nicht viel Geld für Seife und Shampoo ausgab, fragte ich mich, wie viel Zeit ich alles in allem für die Hygiene aufwendete. Um Menschen dabei zu helfen, schlechte Gewohnheiten abzulegen, schätzen Verhaltensökonom*innen und Produktivitätsexpert*innen gerne die Langzeitwirkung selbst kleinster Entscheidungen: Wenn man etwa in New York täglich eine Packung Zigaretten raucht, gibt man dafür im Jahr mindestens 5000 Dollar aus. Wenn man mit dem Rauchen aufhört, spart man also in den nächsten zwanzig Jahren, Preissteigerungen mitgerechnet, mindestens 200.000 Dollar. Würde man nie wieder zu Starbucks gehen, könnte man, wenn ich das richtig verstanden habe, sich wohl ein Ferienhaus auf den Bermudas kaufen. Wendet man also für Duschen und Körperpflege täglich eine halbe Stunde auf, verbringt man in hundert Lebensjahren – optimistisch betrachtet und weil es sich leichter berechnen lässt – 18.250 Stunden damit. Ohne Duschen hätte man also volle zwei Lebensjahre mehr freie Zeit.

Freund*innen und Familie wandten allerdings ein, ich würde die zusätzliche Zeit kaum genießen können, da ich mich eklig und ungepflegt fühlen würde. Meine Mutter befürchtete, dass ich mir Krankheiten einfinge, wenn ich die Keime nicht mehr abwusch. Vielleicht würden mir all die so menschlichen Gewohnheiten fehlen, mit denen wir uns zwangsläufig Zeit für uns nehmen und uns zumindest scheinbar der Welt so zeigen können, wie sie uns sehen soll. Oder ich würde einfach die angenehm warme Dusche und das Gefühl vermissen, der Welt jeden Morgen wie neu entgegenzutreten.

Aber was, wenn das alles nicht eintreten würde? Wenn ich seltener erkältet wäre, meine Haut besser aussähe und ich bessere Gewohnheiten und Rituale finden würde? Was, wenn all die Produkte in unseren Badezimmern uns vor allem dazu animieren sollen, immer mehr Produkte zu kaufen? Shampoos gegen fettiges Haar und die Pflegespülungen, die dem Haar das Fett wieder zurückgeben, Seifen gegen fettige Haut und die Feuchtigkeitslotionen, die der Haut das Fett wieder zurückgeben? Wie soll man das wissen, wenn man nie mehr als ein paar Tage lang darauf verzichtet hat?

»Ich weiß, wie es sich anfühlt, wenn man nicht duscht«, sagen die meisten Skeptiker. »Nicht gut.« Und ich gebe ihnen recht. Ich weiß, wie es sich anfühlt, keinen Kaffee zu trinken: nicht gut. Oder wie es ist, auf eine Party zu gehen, wo man niemanden kennt: nicht gut. Oder einen Marathon zu laufen, wenn man nicht trainiert hat: auch nicht gut. Aber ich weiß auch, wie es sich anfühlt, nach und nach weniger Kaffee zu trinken, sich in ungewohnten sozialen Kreisen langsam immer wohler zu fühlen oder gut trainiert 42 Kilometer zu laufen, ohne am liebsten sterben zu wollen.

Je allmählicher man sich an neue Abläufe gewöhnt, desto leichter fallen sie einem oder machen sogar Spaß. Und genauso kann man seine täglichen Gewohnheiten der Körperpflege verändern. Je weniger Produkte ich verwendete, desto weniger brauchte ich auch – das sagte mir jedenfalls mein Gefühl. Meine Haut wurde nach und nach weniger fettig, ich hatte weniger Ausschlag. Ich duftete nicht nach Kiefer und Lavendel, roch aber auch nicht so streng wie früher, als ich die Achseln noch täglich mit Deo zukleisterte und dann einmal nicht daran dachte. Wie meine Freundin sagte: Ich roch »nach Mensch«. Aus anfänglicher Skepsis wurde bald Begeisterung.

Allerdings bilde ich mir nicht ein, ich hätte nie schlecht gerochen. Mit der Zeit kam das nur immer seltener vor. Ich erkannte bestimmte Muster. Akne oder schlechter Geruch gingen meistens mit Stress, Schlafmangel oder allgemeinem Unwohlsein einher. Wenn ich auf dem Bauernhof meiner Familie in Wisconsin war oder im Urlaub im Yellowstone-Park wanderte, wo ich manchmal tagelang kein richtiges Klo sah, roch ich meistens ganz anständig und sah ordentlich aus. Doch wenn ich in den trägen Wintermonaten nur ins Büro und wieder nach Hause ging und mich ansonsten kaum bewegte, fühlte ich mich armselig und roch auch so. Insgesamt entwickelte ich vor allem ein besseres Gefühl dafür, was mein Körper »mir sagen wollte«. Offenbar weniger »wasch dich«, sondern eher »geh raus, beweg dich, sei gesellig, etc.«. (Manchmal nuschelt mein Körper noch immer »etc.«).

In gewissem Sinne konnte ich nur mit dem Duschen aufhören, weil ich von Geburt an großzügig mit Privilegien ausgestattet worden war: Ich bin weiß und männlich, habe keine Bewegungseinschränkungen, bin insgesamt gesund, relativ jung, und ich kann es mir leisten, gut sitzende Kleidung zu kaufen, die keine Löcher (oder wenn dann absichtliche) hat, und sie regelmäßig zu waschen und zu wechseln. Ich bin gebildet und beherrsche die Landessprache fließend. Darum muss ich mich in dieser Welt nicht extra beweisen und durch ein erwartungsgemäßes Äußeres zeigen, dass ich dazugehöre. Selbst ungeduscht und ungepflegt hält man mich für kompetent und professionell und heißt mich gern in jedem Restaurant willkommen. Kurzum, ich muss kaum etwas tun, damit man mich für sauber hält.

Die sozialen Normen, nach denen Sauberkeit seit Langem als positiv gilt, stehen unter anderem in engem Zusammenhang mit der Geschichte der Hygiene und der sanitären Einrichtungen. Manche Vorstellungen von Sauberkeit gelten fast universell und lassen sich durch evolutionsbedingte Ekelgefühle erklären, die der Krankheitsvermeidung und dem Selbsterhalt dienen. Andere gehen jedoch weit über den vernünftigen Schutz vor Infektionskrankheiten und Vergiftungen hinaus. Hygienemaßnahmen, die uns vor Krankheiten schützen, haben sich mit gesellschaftlich bedingten Vorgehensweisen vermischt, die letztendlich auf komplexen, von Generation zu Generation weitergegebenen Glaubenssystemen beruhen. Diese wiederum definieren unseren Platz in der Welt und helfen uns, das richtige Gleichgewicht zwischen Zugehörigkeit und Individualität zu finden. Schon lange werden selbst höchst persönliche Entscheidungen im Bereich der Körperpflege von Machtstrukturen beeinflusst und gesteuert.

Während ich an diesem Buch arbeitete, machte ich gleichzeitig einen Abschluss im Fach Öffentliches Gesundheitswesen und beendete eine Facharztausbildung in Vorsorgemedizin. Dieses relativ neue Fachgebiet versteht sich als Gegengewicht zur bisherigen medizinischen Praxis, das Augenmerk vor allem auf Lösungen für Symptome und eng definierte, zeitlich begrenzte Behandlungen zu legen, aber die eigentlichen Ursachen und Probleme kaum zu berücksichtigen. Die Präventivmedizin möchte Krankheiten stattdessen vor allem vorbeugen, und das bedeutet in vielen Fällen erst einmal Zugang zu vernünftiger Nahrung, sauberem Wasser und einer Gemeinschaft, in der ein engagiertes, aktives, sinnstiftendes Leben möglich ist. Auch wenn Gesundheit für jeden etwas anderes bedeuten mag, hat sie doch stets mit einer gewissen, vor allem finanziellen Freiheit und mit frei verfügbarer Zeit zu tun, denn erst dann kann der Mensch gut leben und sich auf zwischenmenschliche Beziehungen und eine sinnvolle Arbeit konzentrieren.

Auch solche Gedankengänge inspirierten mich dazu, der Frage nachzugehen, wie viel Geld und Zeit wir in unsere Körperpflege investieren und welche Normen überhaupt definieren, was dabei normal ist. Viele der Normen wurden und werden von einer stetig wachsenden Industrie bestimmt, die uns seit zweihundert Jahren Gesundheit, Glück, Schönheit und Akzeptanz verspricht, sich aber eigentlich auf im wahrsten Sinne des Wortes oberflächliche Kriterien stützt. Und damit begann meine mehrjährige Erkundungsreise in die Welt und die Geschichte der Seife. Unterwegs analysierte ich die Reichtümer, Produkte und Glaubenssätze der Branche, vom Seifenboom des 19. Jahrhunderts bis zur heutigen Hautpflegeindustrie. Ich sprach mit Mikrobiolog*innen, Allergolog*innen, Genetiker*innen, Ökolog*innen, Kosmetikfachleuten, Seifenfans, Venture-Capital-Unternehmen, Historiker*innen, Amischen, Entwicklungshelfer*innen und ein paar waschechten Betrüger*innen und erfuhr, dass sich unsere Vorstellung von sauber oder rein gerade grundlegend verändert.

Man schätzt den globalen Umsatz mit Seifen, Reinigungsmitteln, Deos, Haar- und Hautpflegeprodukten auf viele Billionen US-Dollar. Die Parade aus Flaschen, Tuben und Döschen, die sich in unseren Duschkabinen und Spiegelschränken aneinanderreiht, dürfte wesentlich imposanter sein als die früherer König*innen. Vieles davon wird uns nicht als Luxus verkauft, sondern als unbedingt notwendig. Ihren unvergleichlichen Höhenflug verdankt die Branche großteils dem Versprechen, unseren Körper vor der Außenwelt zu beschützen.

Doch während wir immer umfangreichere und intensivere Körperpflege betreiben, vergessen wir leicht, was das für die Billiarden von Mikroben bedeutet, die auf unserer Haut leben. Dabei begreift die Wissenschaft erst in Ansätzen, welchen Einfluss die Mikroben auf viele unserer Körperprozesse haben. Ihre große Mehrheit ist nämlich nicht nur harmlos, sondern sogar sehr wichtig für unsere Haut und somit auch für unser Immunsystem.

Die bisherigen Erkenntnisse über das Hautmikrobiom sind jedenfalls bereits Grund genug, unsere Vorstellungen über Seife und Hautpflege zu überdenken und unsere täglichen Gewohnheiten, mit denen wir vermeintlich etwas für Gesundheit und Wohlbefinden tun, einer gründlichen Prüfung zu unterziehen. Die Haut mit ihrem Mikrobiom ist die Schnittstelle zwischen uns und der Natur. Die Mikroben gehören dabei teils zu uns, teils auch nicht. Je mehr wir über dieses komplexe, vielfältige Ökosystem wissen, desto grundlegender könnten sich unsere Vorstellungen von der Hautbarriere, die uns von unserer Umgebung trennt, verändern.

Dieses Buch möchte auch dazu einladen, sich auf die Komplexität der Welt um uns herum und der auf unserer Haut einzulassen. Auch wenn Sie nicht aufhören wollen zu duschen.

***

Ich habe dieses Buch noch vor der Corona-Pandemie geschrieben. Sie griff gerade um sich, als das Buch gedruckt werden sollte. Darum findet Covid-19 auf den folgenden Seiten keine Erwähnung. Aber auch in Zeiten eines neuen Pandemiebewusstseins verlieren die Geschichten und Grundsätze, von denen dieses Buch erzählt, nichts von ihrer Bedeutung. Wenn wir uns von der einen Pandemie erholt haben werden, wird irgendwann die nächste kommen. Vielleicht ist es heute sogar wichtiger denn je, unsere täglichen Reinigungsgewohnheiten zu überdenken und uns zu fragen, was wir konsumieren wollen und in welcher Beziehung wir eigentlich zur Natur stehen. Ich habe Hoffnung, dass uns ein besseres Verständnis und Bewusstsein für das mikrobielle Leben in den nächsten Jahren dienlich sein wird.

I. MAKELLOS

Der Aufzug hält im siebten Stock, ich betrete luxuriöse, sonnendurchflutete Geschäftsräume, hoch über dem Bryant Park in Manhattan. In diesem Herbst 2018 ist es drei Jahre her, dass ich mein Gesicht zum letzten Mal gewaschen habe. Hier soll nun nachgeschaut werden, welche Folgen das hat.

Bodenvasen mit mannshohen Blumenarrangements zieren das Fischgrätparkett. Ein großer Kamin ganz in Weiß, ätherische Flötenmusik erfüllt den Raum. Unter einem Kronleuchter wartet ein Bett mit schneeweißen Laken. Ich befinde mich im Hauptsitz von Peach and Lily, einem rasant aufstrebenden Unternehmen, das auf koreanische Traditionen der Hautpflege und ihre westliche Ausprägung, K-Beauty, setzt, ein Ritual mit häufig zehn oder mehr Pflegeschritten, Reinigung, Gesichtswasser, Feuchtigkeitsspender, Sheet-Masken …

Die Unternehmensgründerin Alicia Yoon studierte in Harvard BWL, ist gelernte Kosmetikerin und wurde vor allem durch Hautbehandlungen mit Schneckensekret bekannt. In nur zwei Jahren mauserte sich die kleine Onlineboutique Peach and Lily zu einem Anbieter mit einer umfangreichen Produktlinie, die in Läden wie Urban Outfitters oder CVS verkauft wird. Eine gigantische Welle trug das Unternehmen nach oben. Der Marktbereich K-Beauty wuchs in Südkorea, wo er eine lange Tradition hat, explosionsartig auf 13 Milliarden US-Dollar. Und dank seiner Popularität konnte das Hautpflegesegment in der US-Schönheitsindustrie sogar das Make-up-Segment überflügeln. Hochwertige Hautpflegeprodukte legten allein 2018 um 13 Prozent zu und damit stärker als das BIP.

Als ich den Aufzug verlasse, begrüßt mich eine fröhliche Assistentin, ich solle mich bitte entkleiden. Ich erkläre, dass ich eigentlich für eine Gesichtsbehandlung hier sei. Sie lacht, das wisse sie, reicht mir einen Bademantel und einen Fragebogen zu meiner täglichen Hautpflege. Dann lässt sie mich zum Umziehen allein.

Ich wende mich dem Fragebogen zu. Er ähnelt denen, die man beim Arzt ausfüllen muss. Es gibt Fragen zu Allergien, zur Ernährung und jede Menge zu meiner Haut: Was für ein Peeling benutze ich? Welche Feuchtigkeitslotionen? Welche Seren? Welche Reinigungslotionen? Wie oft, in welcher Reihenfolge und Kombination?

Die Fragen sind schnell erledigt, ich benutze nichts. Yoon kommt und begrüßt mich freundlich, aber als sie den überwiegend leeren Fragebogen sieht und ich ihr sage, dass ich nicht vergessen habe, ihn auszufüllen, verändert sich ihr Ton. »Oje«, sagt sie. »Sind Sie sicher, dass Sie überhaupt eine Gesichtsbehandlung vertragen?«

»Natürlich. Moment, wieso nicht?« Bislang war mir nicht in den Sinn gekommen, dass es Risiken geben könnte. Jetzt mache ich mir Sorgen. »Ich weiß es nicht. Was könnte denn passieren?«

»Vermutlich ist es kein Problem. Ich hab das nur noch nie bei jemandem … so jemandem gemacht«, wiegelt sie betrübt oder enttäuscht oder beides ab.

Ich lege mich also hin, und sie richtet eine grelle Lampe auf mein Gesicht. Mit den Fingerspitzen betastet sie erst leicht, dann fester meine Wangen. Zögernd sagt sie: »Haben Sie Ihr Gesicht schon mal befühlt?«

Seltsam, dass sie mich gerade das fragt.

Denn ich achte sorgsam darauf, mein Gesicht nicht zu berühren. Als Teenager hatte ich »schlechte Haut« und dachte, was heute als überholt gilt, dass man sein Gesicht bei Akne vor allem richtig und aggressiv genug reinigen müsse. Manchmal hatte ich sogar am Augenlid Akne, und es schwoll so stark an, dass ich das Auge kaum öffnen konnte. Weil es bei Gesprächen alle Aufmerksamkeit auf sich zog, wurde jede soziale Interaktion unmöglich. Und obwohl sich die Akne besserte, als ich auf dem College war, behielt ich die Angewohnheit bei, meine Hände mit all den Bakterien und Viren, die sich auf ihnen tummelten, vom Gesicht fernzuhalten.

Weil ich Yoon die lange Vorgeschichte nicht erzählen will, sage ich, ich würde es »ganz normal berühren«, und sie fängt an.

»Problem«-Haut ist auch Yoon nicht fremd. Sie kämpfte lange mit einer schweren Neurodermitis. Manchmal war ihre entzündete Haut so aufgekratzt, dass es keine Haut mehr zum Kratzen gab. »Ich habe alles versucht, sogar Bleichbäder«, erzählt sie. Durch die dubiosen Bäder sollte noch die letzte Mikrobe abgetötet werden.

Als sie dann in Korea Kosmetikerin lernte, versuchte sie, die Entzündung mit neuen Hautpflegemethoden zu beruhigen. Sanfte, feuchtigkeitsspendende Produkte und der neue Ansatz, den sie ihren Kundinnen und Kunden heute nahelegt, waren der, wie sie es nennt, »Wendepunkt in meiner Hautpflege«.

Yoon behandelt meine Gesichtshaut mit Peach and Lily »Glass Skin Refining Serum« (neben »Peptiden« verspricht das Etikett einen »transparenten + leuchtenden« Teint), »Pure Beam Luxe Oil« (»nährend« + »ausgleichend« mit Jojobaöl), einer »Super Reboot Resurfacing Mask« mit blauer Agave und einer »Matcha Pudding Antioxidant Cream«. Für zu Hause empfiehlt sie mir noch die »Original Glow Sheet Mask« mit Hyaluronsäure.

Da Hyaluronsäure Wasser bindet, verleiht sie der Epidermis mehr Volumen. Babyhaut wirkt auch darum so glatt, fest und prall, weil sie reichlich Hyaluronsäure enthält. Aber ob die Säure beim Auftragen auf die Haut dieselbe Wirkung entfaltet, ist fraglich. Benzin auf das Auto zu schmieren oder Dachziegel ins Haus zu legen, ist ja auch keine gute Idee. Manche Säuren können zwar, wie mir Dermatolog*innen erklärten, tatsächlich in die Haut eindringen, aber nur bei geringem Molekulargewicht. Die Maske von Peach and Lily macht keine Angaben dazu, ob ihre Wirkstoffe in die Haut eindringen können, verspricht jedoch einen »Anti-Aging«-Effekt.

Ich denke, die Hautpflege boomt nicht zufällig gerade jetzt, in einer Zeit, in der immer mehr Menschen – oft aus guten Gründen – das Vertrauen in Wissenschaft und Medizin verlieren. Hautärzt*innen sind wie andere Ärzt*innen knapp. Ein Besuch ist teuer, und außerdem, so der Eindruck vieler, nützt er nichts. Sofern sich überhaupt sagen lässt, ob eine Haut »gut« oder »schlecht« ist, ist unsere Haut allgemein wohl schlechter geworden und fühlt sich häufiger unangenehm trocken, gereizt, juckend, schmerzhaft oder sonst wie unbehaglich an. Immer mehr Menschen leiden unter Neurodermitis, einer entzündlichen Hauterkrankung. Im Jahr 2008 waren laut Weltgesundheitsorganisation doppelt so viele Menschen davon betroffen wie noch 1979. Und in den prägenden Jahren ihrer sozialen Entwicklung leiden bis heute viele unter Akne. Und wie die Forschung sagt, nimmt sie besonders bei Mädchen zu.

Es gibt für diese Entwicklung viele Ursachen, und sie haben bei Weitem nicht nur mit der Haut zu tun. Einer Metastudie zur klinischen, kosmetischen und forschenden Dermatologie von 2018 zufolge könnte beispielsweise die Zunahme von Akne bei Frauen an einem hormonellen Ungleichgewicht liegen, das mit dem »metabolischen Syndrom« assoziiert wird, das heißt mit einer Kombination aus Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankung und Fettleibigkeit. So kann durch einen hohen Insulinspiegel etwa Östrogen in Testosteron verwandelt werden. Als Folge werden Wachstumssignale an die Haut gesendet, mehr Fette abgesondert, Bakterienstämme verändert und Entzündungskreisläufe in Gang gesetzt, die am Ende die Pusteln hervorrufen.

Wenn das Erscheinungsbild der Haut von solch komplexen Prozessen bestimmt wird, verwundert es nicht, dass Akne und andere verbreitete Hautauffälligkeiten durch die alleinige lokale Behandlung der Symptome nicht vollständig oder zuverlässig geheilt werden können. Aber auch die Wirkung systemischer Behandlungen ist oft sehr unsicher. Manchmal werden beispielsweise orale Empfängnisverhütungsmittel verschrieben, um ein vermutetes hormonelles Ungleichgewicht wieder ins Lot zu bringen. Da Menschen jedoch unterschiedlich darauf reagieren, kann das Ergebnis lebensverändernd oder gleich null sein, aber auf jeden Fall wird als Nebenwirkung der eigentlichen Hautbehandlung der gesamte chemische Haushalt des Körpers verändert. Selbst Antibiotika helfen nur unzuverlässig, und äußerst wirksame Medikamente wie Accutane können zu Geburtsfehlern und, wie vielfach berichtet, zu starken Depressionen führen. Manche, die an Neurodermitis oder Schuppenflechte leiden, versuchen es ihr Leben lang immer wieder mit Steroidbehandlungen, ohne jemals endgültig geheilt zu werden oder zu wissen, wann und warum es zu einem Ausbruch kommt. Bei so viel Herumdoktern ist es kein Wunder, dass manch einer die Sache irgendwann lieber selbst in die Hand nimmt.

Viele Betroffene wünschen sich vorbeugende Behandlungen auch deshalb, weil sie endlich Kontrolle und Sicherheit wollen, aber solche Ansätze werden vom Gesundheitssystem traditionellerweise kaum ernst genommen. So beobachtet Yoon eine wachsende Nachfrage nach »nährenden«, »schützenden« Hautprodukten. Ihre Kund*innen, erzählt sie, machen sich Sorgen wegen der Luftverschmutzung und der UV-Strahlung, die durch den Treibhauseffekt und die dünnere Ozonschicht zunimmt. Wenn die Erde ihre Schutzschicht verliert, müssen die Menschen eine eigene auftragen.

Alle Produkte, die Yoon auf meine Gesichtshaut gibt, versprechen zugleich Schönheit, Schutz und Pflege und weichen damit die Grenze zwischen kosmetischer Behandlung und dem notwendigen Schutz vor Giften und anderen Umweltgefahren auf. Bei einigen Ritualen erklärt mir Yoon, meine Gesichtshaut werde so mit Nährstoffen versorgt: »Damit bekommt Ihre Haut all die Vitamine, Mineralstoffe und Fettsäuren, die sie braucht.« Langsam bekomme ich das Gefühl, viel zu sorglos zu sein.

Kosmetika sind rechtlich gesehen keine Nahrungsmittel. Und weil sie nicht von sich behaupten können, bestimmte Erkrankungen zu behandeln oder zu verhindern, auch keine Medikamente. Trotzdem dürfen ihre Anbieter damit werben, sie würden der Gesundheit dienen. Doch den langen bürokratischen Prozess, den ein Medikament bis zur Marktreife zurücklegt, müssen sie nicht durchlaufen. Yoon gehört zu der jungen Unternehmer*innengeneration, die weder nur im Gesundheits- noch nur im Schönheitsbereich tätig ist, sondern in einer Mischung aus beiden. Die neuen Hautprodukte versprechen, Make-up und Medikamente überflüssig zu machen, weil die Haut »natürlich« schön werde. Angeblich lassen sie sie also nicht nur durch vorübergehende Erholungseffekte besser aussehen, sondern leisten etwas, was man normalerweise von Medikamenten erwartet: Hautproblemen vorzubeugen oder sie zu heilen.

Die aufstrebende Branche kann die sonst üblichen Markteintrittsbarrieren auch leicht umgehen, weil sie ihre Produkte aggressiv auf Instagram vermarktet. YouTube-Influencer*innen machen sich selbst zur Marke, setzen auf Lösungen von Haut-»Problemen«, die sich gegen das Establishment wenden, und reden mit einer Überzeugungskraft, die man an der medizinischen Hochschule wohl notgedrungen verliert. Jeder darf sich hier Expert*in nennen. Wenn etwas bei jemandem wirkt oder nicht wirkt, können selbst bergeweise Studien nicht das Gegenteil belegen.

Wenn Sie jemals mit Ihrer Haut unglücklich waren, wissen Sie wahrscheinlich, wie verlockend so etwas erscheinen kann. Als die Antibiotika, die mir mein Hautarzt gegen meine Pubertätsakne empfohlen hatte, nicht halfen, riet mir mein innovativer Zahnarzt-Vater, sie wegen der Nebenwirkungen nicht länger einzunehmen, sondern aufzutragen. Ich nahm die Tetracyclin-Kapseln, brach sie entzwei, vermischte den Inhalt mit Wasser und rieb mir damit das Gesicht ein. Nun war es nicht mehr rot und voller Pusteln, sondern gelb. Die Leute erkundigten sich, ob ich, wie damals viele Teenager*innen im Mittleren Westen, Bräunungsspray verwendet hätte. Lachend entgegnete ich, das sei doch albern. In Wahrheit hatte ich neben vielem anderen auch Selbstbräuner ausprobiert, um meine schreckliche Gesichtsfarbe irgendwie loszuwerden. Aber raten Sie mal, was man erhält, wenn man auf Rot und Gelb Orange gibt. Ein noch merkwürdigeres, unnatürlicheres, peinlicheres Orange.

Jetzt, da ich bei Peach and Lily auf frisch gestärkten Laken liege, weit weg vom Lärm und der Anonymität der Straßen unter mir, denke ich nicht an Marketing oder meine Teenager-Angst – und auch an sonst kaum etwas. Falls Sie noch nie eine Gesichtsmassage genossen haben, es ist wunderbar. Man spürt nicht nur die sanfte Massage und die Behandlung, sondern fühlt sich allen Alltagssorgen enthoben, einen Moment lang ist man König. Jemand nimmt sich die Zeit und streicht einem achtsam über das Gesicht, damit man besser aussieht und sich wohlfühlt.

Nachdem das Facelift abgeschlossen ist, packt mir Yoon jede Menge Pröbchen für zu Hause ein. Nur das »Glass Skin Refining Serum« könne sie mir leider nicht mitgeben, es sei überall ausverkauft, sie habe selbst nicht genug. Es sei in der Tat sofort nach Markteinführung ausverkauft gewesen.

»Sie sollten sich mehr um Ihr Gesicht kümmern«, sagt sie zum Abschied, zumindest solle ich eine Reinigungslotion verwenden. Ich lache. Sie nicht. Ich erröte. Als ich den Aufzug betrete, wiederholt sie mit Nachdruck: »Sie sollten mehr tun.«

Als ich mit meinem neuen Gesicht, das vor der Behandlung offenbar nichts als tote Haut und überschüssiges Fett war (wer hätte das gedacht?), auf die Straße trete, erlebe ich die Welt völlig anders. Wer sein Gesicht noch nie jahrelang nicht gereinigt und dann eine hochraffinierte Gesichtsbehandlung erhalten hat, kann es vermutlich kaum glauben, aber ein Schritt ins Sonnenlicht, und ich spüre die Welt, wie ich es nie für möglich gehalten hätte. Meine Haut ist eindeutig weicher, und ich habe das Gefühl, anders angesehen zu werden, auch wenn ich mir das vielleicht nur einbilde. Gehe ich mit meinem neuen Selbstvertrauen plötzlich beschwingter, oder sehe ich wirklich besser aus? Vielleicht wirke ich auch einfach wie jemand, der sich Matcha fürs Gesicht leisten kann.

Jedenfalls fühle ich mich anders. Und manchmal ist das ja alles, was wir wollen. Nicht unbedingt besser zu sein, sondern anders. Wie leicht gewöhnt man sich an den Blick, mit dem einem die Welt entgegentritt, und sieht sich mit ihren Augen. Wenn wir uns verändern, merken wir schnell, dass wir auch andere Erfahrungen machen, man uns freundlicher oder unfreundlicher begegnet, als wir es unserem erworbenen Selbstbild nach verdient haben. Und dafür reicht es schon, unser äußeres Erscheinungsbild ein wenig zu verändern, uns etwa piekfein anzuziehen oder uns einen völlig neuen Haarschnitt zuzulegen. Dann werden wir mit einem gewissen Unbehagen spüren, wie stark das Verhalten der anderen durch unser Aussehen bestimmt wird.

Doch noch etwas hat sich verändert, und diese Veränderung wird wohl langlebiger sein. Bislang bin ich ganz gut ohne Gesichtsbehandlung durchs Leben gekommen. Sollte sie meine Gedanken überhaupt gestreift haben, tat ich sie schnell als maßlose Eitelkeit oder, da bin ich wohl ein echter Junge aus Indiana, als unmännlich ab. Und letztendlich war ich auch nicht bereit, dafür Geld oder Zeit zu opfern. Aber nachdem ich nun erlebt habe, dass ich völlig anders durch den Tag gehe, wenn mir jemand nur irgendetwas im Gesicht verreibt, halte ich eine solche Behandlung nicht mehr für sinnlos oder überflüssig. Ich merke, wie die Seren, Öle und Masken, wie so vieles, was sich erst extravagant anfühlt, plötzlich ihre luxuriöse Anmutung verlieren und zur Gewohnheit, gar zur Notwendigkeit werden könnten.

Viele Körperpflegegewohnheiten, die uns selbstverständlich erscheinen, sind eigentlich noch gar nicht alt. Erst in den letzten Jahrhunderten haben sich unsere gesellschaftlichen und individuellen Sauberkeitsnormen derart entwickelt, dass aus dem gelegentlichen Sprung in den Fluss die tägliche Dusche oder Badewanne wurde. Heute ist allein die Information, man dusche nicht täglich, wie man mir zu verstehen gab, »kein Thema fürs Abendessen«.

Hin- und hergerissen zwischen einer Welt der minimalen und der maximalen Körperpflege fragte ich mich, wie der goldene Mittelweg aussehen könnte. Ich hatte nicht vor, mir eine neue teure Angewohnheit zuzulegen (und brauchen die Schnecken ihren Schleim nicht eigentlich selbst?), wollte aber auch nichts von dem verpassen, was viele andere offensichtlich genossen und was das alltägliche Zusammenleben erheblich beeinflussen konnte. Wie sollte ich meine Haut pflegen? Wie viel von all dem, was die Leute taten, machten sie wirklich aus reiner Freude oder zumindest, damit sich die anderen nicht ekelten oder sie in deren Augen nicht nachlässig oder vergesslich wirkten? Wie viel brauchte ich tatsächlich für meine Gesundheit und mein Wohlbefinden?

Auf jeden Fall würde es schwer werden, wieder zum Nichtstun zurückzukehren.

***

Niemals ist mir eine so ausgewogene Mischung aus Zuneigung, Ekel, Neugier und Zorn entgegengeschlagen wie 2016, als ich in einem kurzen Artikel für The Atlantic bekannte, nicht mehr zu duschen. Zu Hunderten brachten Leserinnen und Leser ihre Gefühle zum Ausdruck und ließen dabei keine emotionale Regung aus. Manche hatten das Nichtduschen schon längst für sich entdeckt, andere erklärten mich für vollkommen verrückt, und wieder andere erkundigten sich, ob ihre eigene Hygiene wohl medizinisch vertretbar sei.

Manche konnten es nicht fassen, wie ein Arzt so unverantwortlich sein konnte, Hygiene als überflüssig zu betrachten, obwohl es immer noch Cholerafälle gab und jedes Jahr Hunderttausende an Grippe starben. Andere waren wutentbrannt, weil ich nicht verdeutlicht hätte, dass nicht zu duschen das Privileg des weißen Mannes in einem wohlhabenden Land sei.

Andere fanden es geradezu selbstverständlich, nicht zu duschen. Aus Deutschland schrieb mir Patricia: »Sie haben mir aus der Seele gesprochen!« Sie hatte es sich zuerst gezwungenermaßen abgewöhnt.

Am Ostersonntag 2007 begab sie sich mit furchtbaren Rückenschmerzen ins Krankenhaus, und man teilte ihr mit, sie habe einen Schlaganfall erlitten. »Mit eineinhalb Händen ist Duschen echte Arbeit«, schrieb sie. »Ich bat alle Nachbarn und Freunde, mir Bescheid zu geben, falls ich stank!« Aber »alles war und ist in Ordnung. Außer meiner >Katzenwäsche< dusche ich nur noch einmal im Monat oder so.« Als ihre Füße nicht mehr rochen und Haut und Haare nicht mehr so viel Fett absonderten, habe sie die Abstände zwischen dem Waschen noch vergrößern können.

Die neunundachtzigjährige Claire aus Ontario schrieb mir, sie und ihr Mann (der mit sechsundneunzig starb) hätten nie geduscht. Das hielten sie einfach für gesund, und als Beweis schickte sie ein Foto mit, auf dem sie jünger wirkt, als sie ist. Mit weißer Schirmmütze und Shorts winkt sie in die Kamera: »Alle sind erstaunt, wie außergewöhnlich gesund ich bin. Vielleicht liegt es daran, dass ich Sport treibe und mich SEHR bedacht ernähre«, schrieb sie. »Gestern habe ich zweimal den Schnee von der Auffahrt geschippt und mich kein bisschen müde gefühlt.«

Ich antwortete ihr und fragte, wie sie auf die Idee gekommen seien, nicht zu duschen. »Tja, warum waschen wir uns überhaupt so oft?«, fragte sie zurück. »Wir haben doch eine wunderbare Haut, die sich beständig schuppt und selbst reinigt, durch Seife wird sie nur entfettet.« Das sei Teil einer Lebensphilosophie, die ja neuerdings sogar populär geworden sei. Sie empfahl mir, »wie ein Höhlenmensch« zu essen.

Ja, Claire war eine der ersten Verfechter*innen der Steinzeiternährung. Ihre »Höhlenmensch«-Vorstellung tauchte auch in vielen anderen Zuschriften auf, die ich erhielt. Das moderne Leben sei die Ursache der vielen chronischen Erkrankungen; wenn wir uns nur wie in der Steinzeit, also im Wesentlichen von Rindfleisch und Butter ernährten und auf Agrartechnologie verzichten würden, dann wäre alles gut. Nur leider wurden die Menschen in der Steinzeit längst nicht so alt wie heute. Und Kühe gab es auch nicht.

Aber unbestritten hatte die Steinzeit auch ihre Vorteile. Damals lebten die Menschen in derart dünn besiedelten Landschaften, kleinen Dörfern oder Höhlen, dass sie Flüsse und Bäche bedenkenlos als Toilette nutzen konnten. Sie konnten jagen und sammeln, ohne die Ressourcen aufzubrauchen. Die Menschen waren Sonne, Hitze und Kälte ausgesetzt und kamen mit der Erde und mit nach unseren heutigen Vorstellungen »unsauberen« Tieren und Menschen unmittelbar in Berührung.

Wenn man die Menschheitsgeschichte betrachtet, war diese Lebensweise eigentlich bis eben noch möglich. Noch um 1600 hatte London nur ungefähr 200.000 Einwohner. Im Zweiten Weltkrieg waren es dann schon 8,6 Millionen. Auch in New York City leben heute etwa so viele Menschen. Die Innenraumflächen von Manhattan sind insgesamt mittlerweile dreimal so groß wie die Insel selbst.

In diesen vertikal in den Himmel wachsenden Siedlungen werden, in einem radikalen Versuch am lebenden Objekt, Menschen und Ressourcen immer mehr verdichtet. Die weltweite durchschnittliche Lebenserwartung beträgt heute um die zweiundsiebzig Jahre. Und alle auf dieser Erde brauchen regelmäßig Strom, Transportmittel und Produkte aus der industrialisierten Landwirtschaft. Dazu holzen wir Bäume ab und verbrennen fossile Kraftstoffe, die Smog und Rußpartikel in die Luft entlassen. Diese gelangen tief in unsere Lunge und sind eine der häufigsten Ursachen für Krebs und Herzerkrankungen. Die Weltgesundheitsorganisation schätzt die Zahl der Todesfälle durch Luftverschmutzung auf jährlich sieben Millionen.

In der Steinzeit gab es auch darum selten chronische Krankheiten, weil viele Menschen früh an Infektionen und Unfällen starben. In den vergangenen zweihundert Jahren ist die Wahrscheinlichkeit, an einer Infektionskrankheit zu sterben, rapide gesunken, die, an einer chronischen Erkrankung zu sterben, dagegen erheblich gestiegen. Letztere werden weltweit schon bald für drei von vier Todesfällen verantwortlich sein.

Trotz aller modernen Medizin und Technologie führt die heutige Lebensweise zu Krankheiten, die früher viel seltener waren. Autoimmunkrankheiten, Diabetes und Herz-Kreislauf-Erkrankungen nehmen einerseits zu, weil wir heute länger leben als die Generationen vor uns. Andererseits leiden aber auch viele Jüngere an chronischen Erkrankungen, es besteht also wohl ein Zusammenhang mit unserer Lebensweise und unserer Umwelt.

In den letzten Jahren rückten unsere Ernährung und unser Bewegungsmangel als mögliche Faktoren für chronische Erkrankungen in den Fokus. Anderen Faktoren widmen wir hingegen erheblich weniger Aufmerksamkeit. Etwa dass der Mensch in vielen Weltregionen sein Leben überwiegend in klimatisierten Räumen verbringt, wo es keinen Dreck und kaum Tiere und Pflanzen gibt, wo die Fenster nur an strahlenden Tagen geöffnet werden. Die meisten Menschen kommen mit vielem, was früher einmal normal war, nicht mehr in Berührung.

Manchmal muss man sich auch abschotten. So sollten die Menschen 2019 im smogverhangenen Delhi tagelang nicht ins Freie gehen und körperlich anstrengende Tätigkeiten vermeiden. Solche Umweltereignisse oder auch Infektionskrankheiten, bei denen man sich abschotten muss, werden in Zukunft noch häufiger sein und in zunehmend mehr Regionen auftreten.

Bislang verstehen wir erst in Ansätzen, welche Folgen es für unser Immunsystem und unser wichtigstes Immunorgan, die Haut, hat, wenn wir, gezwungenermaßen oder freiwillig, in von der Außenwelt abgeschotteten Räumen leben. Die längste Zeit der Menschheitsgeschichte lernte unser Immunsystem durch beständigen Mikrobenbeschuss, wann und wie es reagieren muss. Doch heute ist es durch die evolutionär völlig neuen Umwelteinflüsse häufig verwirrt und weiß nicht mehr, wogegen es sich mit einem Hautausschlag wehren soll und wogegen nicht. Dies wird auch dadurch gefördert, dass wir uns gründlich, täglich oder sogar mehrmals täglich waschen, weil wir dies für gesund oder unabdingbar halten. Selbst wo die Gefahr von Infektionskrankheiten gering ist, sollen wir am besten alles tun, um ihnen vorzubeugen. Wenn wir nicht als heruntergekommen, faul, unattraktiv, primitiv, unhöflich, unprofessionell, kurzum als unsauber gelten wollen, darf an uns nirgends das geringste bisschen Schmutz, Schlamm oder Staub zu entdecken sein.

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Wenn Kanadas Luft im Oktober trockener wird, strömen besonders viele Männer in die Praxis von Sandy Skotnicki. Den Männern juckt die Haut.

Skotnicki verfolgt einen ganzheitlichen Ansatz. Ehe sie Professorin für Dermatologie, Arbeitsmedizin und Umwelthygiene an der University of Toronto wurde, arbeitete sie als Mikrobiologin. In den zwanzig Jahren, die sie bereits in der Dermatologie tätig ist, hat sie die Folgen der Umwelt, auch der Mikroben, für unsere Hautgesundheit nie aus dem Blick verloren.

»Ich frage die Leute: >Wie duschen Sie?<«, sagt sie. Ihre Patienten, so Skotnicki, würden gern der Jahreszeit die Schuld geben, als könne die Haut nur im Sommer normal funktionieren. Doch dann erkundige sie sich nach den Waschgewohnheiten: »Die Männer schrubben den ganzen Körper mit irgendeinem >Männerduschgel<. Weil sie draußen arbeiten, duschen sie zweimal täglich. Aber wenn ich ihnen sage, dass sie damit aufhören sollen, und sie nur noch bestimmte Stellen waschen, geht es ihnen wieder gut.«

Ich frage nach den »bestimmten Stellen«.

»Achseln, Genitalbereich, Füße«, sagt sie. »Muss man sich, wenn man in der Dusche oder Wanne ist, hier«, sie zeigt auf den Unterarm, »auch waschen? Nein.«

Mit fast verzweifelter Stimme berichtet sie, wie oft sie den Männern erklären müsse, dass sie sich nicht vollständig mit Duschgel einschäumen sollen. Die Haut brauche Feuchtigkeit oft nur, weil sie schon zu lange zu häufig gewaschen wurde.

Und selbst Wasser allein habe Folgen für die Haut. Insbesondere warmes Wasser spüle die Fette ab, mit denen unsere Drüsen die Haut feucht halten. Alles, was die Haut trockener und poröser mache, erhöhe die Wahrscheinlichkeit, dass sie auf Reizstoffe und Allergene reagiere.

Skotnicki ist überzeugt davon, dass zu häufiges Waschen die Haut schädigt und Menschen mit entsprechender genetischer Prädisposition dadurch häufiger Neurodermitis entwickeln. Doch Neurodermitis, die an sich schon nervenzehrend genug ist, kommt häufig nicht allein. Offenbar gehört sie zu einem Symptomkreis, der durch irrtümliche Immunreaktionen verursacht wird. Rund die Hälfte aller Kinder mit schwerer Neurodermitis entwickelt später, in einem sogenannten »Allergischen Marsch«, immunologische Überreaktionen wie allergischen Schnupfen oder Asthma.

Der Allergische Marsch mit den genannten Symptomen wurde von Allergolog*innen der Universitäten von Pennsylvania und Chicago erstmals 2003 beschrieben. Später wurde das Krankheitsbild noch erweitert. In neueren Studien wird sogar die immer häufigere Erdnussallergie dazugezählt. So zeigten sich Fachleute am King’s College London im Jahr 2010 »bestürzt« darüber, dass Babys mit Asthma eine höhere Wahrscheinlichkeit haben, auch an einer Erdnussallergie zu leiden. Der Leiter des US-amerikanischen Nationalen Instituts für Allergie und Infektionskrankheiten, Anthony Fauci, riet Eltern 2019, »durch frühzeitigen Hautschutz Lebensmittelallergien bei ihren Kindern vorzubeugen«.

Wir wissen noch nicht genau, wieso eine gute Hautpflege vor Lebensmittelallergien schützt, doch laut neuerer Expertenempfehlungen kann ein früher Kontakt mit Erdnüssen, und nicht etwa das Vermeiden derselben, die Wahrscheinlichkeit verringern, eine schwere Erdnussallergie zu entwickeln. So wie das Immunsystem durch Impfungen lernt, Infektionskrankheiten zu bekämpfen, so könnte es durch kleine Erdnussmengen lernen, Erdnüsse zu tolerieren. Doch bis heute entscheidet man sich bei allergenen Hautreaktionen genau für die gegenteilige Strategie. Häufig werden sie mit Medikamenten behandelt, die die Immunreaktion unterdrücken, mit Antibiotika und natürlich mit regelmäßigen, aggressiven reinigenden und feuchtigkeitsspendenden Anwendungen.

Neurodermitis ist so weit verbreitet, dass sie gern als kleines Ärgernis betrachtet wird, was sie häufig auch ist. Doch manchen kann es dadurch richtig elend gehen. Eine Neurodermitis kann den Schlaf beeinträchtigen (nachts ist das Jucken am schlimmsten) und, wenn man sich stets kratzen muss, sogar die Existenz bedrohen. Hier kommt offenbar alles zusammen, was schlecht für die Haut ist: eine gestörte Schutzschicht, ein mikrobisches Ungleichgewicht und eine Vermehrung der Immunzellen. Wird die Schutzschicht der Haut durch Waschen oder Kratzen beeinträchtigt, kann sich die mikrobielle Besiedelung verändern und das Immunsystem dadurch hochgefahren werden. Den Hautzellen wird dann signalisiert, sich rasch zu vermehren und mit Entzündungseiweißen anzureichern. So entsteht ein sich selbst erhaltender Kreislauf aus Entzündung, Jucken, Zusammenbruch der Schutzschicht und mikrobiellem Ungleichgewicht. »Könnte es nicht sein«, spekuliert Skotnicki, »dass die Neurodermitis überhaupt erst durch das häufige Waschen in unserer Gesellschaft ausgelöst wird?«

Jedenfalls hat beides zur gleichen Zeit zugenommen, und es gibt Hinweise darauf, dass ein Zusammenhang besteht. Doch anstatt die Haut wieder mehr Umgebungsreizen auszusetzen, verleiten uns Allergien und Überempfindlichkeiten dazu, uns noch intensiver zu säubern und unsere Umgebung noch steriler zu halten. Patient*innen, die zu Skotnicki kommen, leiden häufig seit Wochen oder Monaten unter Ausschlag, und sie würden sich am liebsten noch mehr schrubben und einseifen. Sie hoffen auf ein neues Produkt, das die bisher verwendeten ungeschehen machen oder wenigstens ausgleichen kann. Etwas »Mildes, Natürliches«. Etwas, was, na ja, eigentlich eher nichts sein soll.

Doch für Ärzt*innen ist es schwer, nichts zu verschreiben. Häufig wünschen sich die Patient*innen eine Behandlung, wenn schon kein Rezept, so doch zumindest etwas, was sie regelmäßig tun können. Skotnicki hat einen Weg gefunden, aus dem Nichts etwas zu machen. Sie empfiehlt eine radikale Produkt-»Diät« oder -»Bereinigung«, das heißt, mit allem aufzuhören. Oder mit möglichst allem. Selbst wenn die Probleme nicht durch bestimmte Produkte ausgelöst wurden, vertreten Dermatolog*innen zunehmend diesen Ansatz.

Es kann psychologisch hilfreich sein, zu erkennen, wie wenig wir eigentlich brauchen, und erst dann behutsam nur noch das zu verwenden, was wir wirklich wollen. Denn im Grunde ist unsere Haut sehr widerstandsfähig. Wir können versuchen, sie mit den aktuellsten Produkten zu regulieren oder zu kaschieren, aber auf die beständigen inneren und äußeren Signale reagiert sie so, wie sie es in Jahrmillionen gelernt hat. Sie will ihr Gleichgewicht wahren.

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Die Haut ist das größte Organ des Menschen. Würde man sie ausbreiten, wäre sie fast zwei Quadratmeter groß. Sie ist in alle Richtungen beweglich, dehnbar und registriert selbst winzigste Temperatur-, Druck- und Feuchtigkeitsschwankungen. Die Signale werden von Nervenenden in der Haut an unser Gehirn weitergeleitet, dank derer wir alles zwischen furchtbaren Schmerzen und ekstatischen Freuden empfinden können. Die Haut verrät es auch der Welt, wenn wir krank, müde, ängstlich oder erregt sind. Wenn sie aufreißt, kann sie in wenigen Tagen wieder verheilen. Sie schützt uns vor tödlicher Überhitzung, indem sie sich selbst in Flüssigkeit badet und so dafür sorgt, dass wir die Wärme schneller an die Umgebungsluft abgeben. Die Haut ist so lebenswichtig wie unser Herz, Rückgrat oder Gehirn. Ohne sie würde alles Flüssige, aus dem wir bestehen, verdunsten, die Außenwelt in uns eindringen, uns infizieren, und schon bald wären wir tot.

Die Haut ist also extrem wichtig. Doch Hautpflege heißt weit mehr, als sich mit irgendetwas einzuschmieren.

Zieht man die Lehrbücher zurate, erfährt man – wie auch ich an der medizinischen Hochschule –, dass die Haut aus drei anatomischen Schichten besteht. Die untere Schicht, die Unterhaut, setzt sich hauptsächlich aus Fett und Bindegewebe zusammen. Die beiden anderen Schichten sind allerdings interessanter. Die obere heißt Epidermis oder Oberhaut. Mit einem Millimeter ist sie ungefähr so dick wie ein Blatt Papier, aber in diesem Millimeter passiert überraschend viel. Die wichtigste Epidermiszelle heißt Keratinozyt und produziert das Faserprotein Keratin, aus dem unsere Haut überwiegend besteht, unsere Fingernägel und Haare sogar vollständig. Dazwischen sind zudem Immunzellen, winzige Nervenfasern sowie die Melanin produzierenden Zellen eingelagert, die der Haut ihre Farbe geben. Alle Hautzellen reagieren hochsensibel auf die Umgebung und können sich daran anpassen.

Die Epidermis regeneriert sich fortlaufend und so häufig wie kaum ein anderer Teil unseres Körpers. Obwohl sie nur einen Millimeter dünn ist, besteht sie aus mehreren Zellschichten unterschiedlichen Alters. Die Basalzellschicht enthält die Stammzellen, die sich fortlaufend teilen und neue Zellen hervorbringen, besonders in der Jugend. Doch neue Zellen bilden sich ein Leben lang und schieben die älteren in Richtung Hautoberfläche. Dort angekommen, sind sie meist bereits verhornt, das heißt abgestorben, abgeplattet, ausgetrocknet und so miteinander verklebt, dass sie mit bloßem Auge zu erkennen sind. Von diesen älteren Zellen sollen die Peeling-Produkte unsere Haut befreien und frische Zellen zutage fördern. Doch eigentlich fallen die Zellen von ganz allein ab. Der gesamte Zyklus dauert ungefähr einen Monat, die Hautoberfläche bildet sich also laufend neu.

Unter der Epidermis liegt die Dermis oder Lederhaut, die hauptsächlich aus zwei Proteinen besteht: Kollagen und Elastin. Ineinander verwoben, machen sie die Haut elastisch und robust. Leder, daher Lederhaut, besteht ausschließlich aus Dermis. Die Menschheit jagt Tiere denn auch trotz enormer Kosten und ethischer Bedenken unverdrossen wegen ihrer Haut. Schon als die Werkzeuge noch nicht erfunden waren, schützten wir uns mit der einzigartigen, zugleich elastischen und widerstandsfähigen Tierhaut vor der Witterung, um zu überleben.

Epidermis und Dermis sind von einem Nervennetz durchzogen, das geringste Umgebungsveränderungen wahrnimmt, etwa das Gewicht einer Mücke oder den Temperaturunterschied zwischen 20 und 22 Grad im Büro. Bei körperlicher Anstrengung oder Stress dehnen sich mit dem Netz verflochtene winzige Äderchen aus, um unseren Körper herunterzukühlen, lassen uns erröten und verraten unsere Emotionen.