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Was ist, wenn das Leben plötzlich zum Alptraum wird? Josefine hat ein wundervolles Leben, einen wundervollen Mann und wundervolle Kinder. Seit einem Unfall leidet sie aber an Amnesie und kann sich nicht mehr erinnern, was vorher war. Nur die Alpträume sind ihr geblieben, die sie nicht verstehen kann, denn sie passen überhaupt nicht zu ihrem Leben. Eine zufällige Begegnung ändert aber alles. Alte Wunden reissen auf und bald ist sie ihn ihrem schlimmsten Alptraum gefangen und muss um ihr Leben und das ihrer Kinder fürchten.
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Veröffentlichungsjahr: 2023
Von Melanie Schöllnhammer
Buchbeschreibung:
Was ist, wenn das Leben plötzlich zum Alptraum wird?
Josefine hat ein wundervolles Leben, einen wundervollen Mann und wundervolle Kinder. Seit einem Unfall leidet sie aber an Amnesie und kann sich nicht mehr erinnern, was vorher war. Nur die Alpträume sind ihr geblieben, die sie nicht verstehen kann, denn sie passen überhaupt nicht zu ihrem Leben.
Eine zufällige Begegnung ändert aber alles. Alte Wunden reissen auf und bald ist sie ihn ihrem schlimmsten Alptraum gefangen und muss um ihr Leben und das ihrer Kinder fürchten.
Über den Autor:
Nebel der Vergangenheit ist das erste Buch von Melanie Schöllnhammer. Es gibt bereits den Nachfolger "wo ist mein verdammter Himmel", weitere Bücher sind in Bearbeitung.
Nebel der Vergangenheit
Thriller
von Melanie Schöllnhammer
1. Auflage, 2023
© 2023 Alle Rechte vorbehalten.
Impressum:
Texte: © Copyright 2023 by Melanie SchöllnhammerUmschlaggestaltung: © Copyright by Melanie Schöllnhammer
Kontakt: [email protected]
Prolog
Ich sitze in einem großen, hellen Zimmer. An den Wänden hängen Zeichnungen von Winnie Puh und selbstgemalte Kinderbilder; ein Haus mit einer Sonne, die lacht. Eine Familie steht vor diesem Haus, sie halten sich an der Hand und daneben hängt ein Bild mit einer Prinzessin in einem Schloss, davor ein großer, roter Drache der Feuer spuckt.
Ein Bett steht vor mir, darauf Bettwäsche mit Minnie Maus. Das Bett ist akkurat gemacht, zwei kleine Kuscheltiere sitzen auf dem pinken Kissen und schauen uns zu.
Es ist ganz ruhig. Draußen singen leise ein paar Vögel, die Sonne scheint. Irgendwie weiß ich aber, dass es trotzdem kalt ist. Als wäre es gerade der Anfang vom Frühling. Auf meinem Schoß sitzt ein kleines Mädchen, zwei Jahre alt, schätze ich. Sie hat kleine, braune Löckchen, die auf und ab wippen, wenn sie sich bewegt. Ihre großen Augen schauen mich glücklich an und sie strahlt über ihr ganzes Gesicht mit ihrem Schokoladenverschmierten Mund. Ihre kleinen Knubbelfinger halten meine Hand und wir singen leise „Happy Birthday“. Immer wieder.
Dabei sind wir alleine im Zimmer. Ich weiß nicht, ob sie Geburtstag hat, oder ich oder ob wir es einfach so singen. Die Szene ist so friedlich. Liebevoll. Ruhig.
Und dennoch. Warum habe ich solche Panik, dass mir schlecht ist?
1.
Ich wache auf. Wieder dieser Traum. Fast jede Nacht träume ich diese Szene mit dem kleinen Kind. Und fast jeden Morgen wache ich schweißgebadet auf. Mein Herz klopft bis zum Hals und ich kriege keine Luft. Wie immer nach diesem Traum brauche ich ein paar Minuten, um mich zu sammeln. Dazu zähle ich alles auf, was mir einfällt: Einatmen–ich bin Josefine, ausatmen - 34 Jahre alt und Mutter zweier Kinder. Einatmen– Ich liege in meinem Bett, in meinem Schlafzimmer. Ausatmen–es geht mir gut. Mein wundervoller Mann liegt neben mir und beschützt mich. Einatmen–wie er es immer macht und immer getan hat. Ausatmen–auf der anderen Seite des Zimmers liegen die Kinderzimmer, dort schlafen friedlich meine beiden Mädchen. Einatmen – das Mädchen aus meinem Traum ist meine jüngste Tochter – Ausatmen. Es geht langsam wieder. Es war nur ein Traum. Nur ein Traum. Schwerfällig stehe ich auf. Ich habe nach diesen Nächten immer das Gefühl nicht geschlafen zu haben. Ich quäle mich unter die Dusche, das hilft, wieder zu mir zu kommen. Im Spiegel sehe ich meinen Körper. Ich bin über 1,70 groß und einigermaßen schlank. Von den Geburten meiner Kinder habe ich den Bauch behalten dürfen und, egal was ich mache, er bleibt hartnäckig. Meine langen, braunen Haare zeigen schon erste Ansätze von grauen Strähnchen, was mir überhaupt nicht gefällt und ich überlege, zum Friseur zu gehen und sie mir zu färben. Andererseits sollte ich vielleicht nicht so eitel sein. Mein Mann sagt immer, dass Eitelkeit keine gute Eigenschaft ist und geschminkte Frauen mit gefärbten Haaren nicht besser als die Huren an der Straße seien. Diese Ansicht finde ich sehr übertrieben, aber ich will ihm da nicht widersprechen. Er wird schon wissen, was gut ist. Nur Frauen, die sich verkaufen gehen zum Friseur, habe ich oft hören dürfen. Er weiß, wie es da draußen ist, ich habe alles vergessen, also vertraue ich auf das, was er sagt. Ich frage mich, wo meine größere Tochter in diesem Traum war. Warum war sie nicht dabei? Aber da es nur ein Traum ist, ist es wohl sinnlos, darüber nachzudenken.
Nach der Dusche richte ich das Frühstück. Wie immer schaue ich mich in der Küche um, ob alles an seinem Platz steht. Ich liebe diese Küche. Sie ist weiß, hat Türen im Landhausstil und eine große Kochinsel in der Mitte. Es gibt eine kleine Essecke, die mit einer halbhohen Wand vom offenen Wohnzimmer abgegrenzt ist. Neben der Essecke ist ein kleiner, leerer Platz, zu dem ich immer wieder hinschauen muss. Wie immer zieht dabei etwas in meinem Bauch. So, als würde ich was vermissen. Vielleicht sollte ich dort eine Blume hinstellen? Aber Blumen mag mein Mann nicht, die machen nur Dreck und stinken. Ich seufze. Das ist schade, ich hätte gerne welche. Diese Küche ist wie ein Traum und wenn ich koche, kann ich direkt ins Wohnzimmer sehen. Dort steht unsere große XXL Couch, direkt neben dem Bücherregal, welches die ganze Wand ausfüllt, bis hin zur Decke. Gegenüber der Couch steht ein Fernseher, der aber nie benutzt wird. Mein Mann will nicht, dass ich fernsehen schaue, er hat Angst, dass es mich zu sehr mitnimmt. Ich bin seit meinem Unfall oft angeschlagen und habe Kopfschmerzen, das Flimmern des Fernsehers würde es verschlimmern. Die Kinder fragen öfter, ob sie sich eine bestimmte Serie anschauen dürfen, von der sie in der Schule oder im Kindergarten gehört haben, aber mein Mann ist strikt dagegen. Er erzählt dann immer, dass ich dann Anfälle bekommen könnte, wenn der Fernseher läuft und daran sterben könne. Das wäre einfach zu gefährlich für mich. Frauen dürfen generell kein Fernsehen schauen, sie sind zu empfindsam dafür, sagt er und aus Liebe zu mir, verzichtet er ebenfalls darauf oder schaut nur in seinem Arbeitszimmer. Warum wir diesen Fernseher überhaupt haben, erschließt sich mir nicht. Aber er ist der Meinung, dass er in jeden guten Haushalt gehört, denn wenn jemand zu Besuch kommt und kein Fernseher steht da, wäre das nicht zeitgemäß. Nicht, dass wir je Besuch bekommen, aber eben für den Fall das. Mein Mann spielt abends aber lieber Computerspiele an seinem Rechner, der im Arbeitszimmer steht, einen Stock höher. Und ich kümmere mich abends um die Dinge, die ich den Tag über nicht geschafft habe. Ich bügele oder wische die Schränke aus oder bessere Löcher in der Kleidung der Kinder aus. Eine gute Hausfrau hat nie Feierabend, sagt mein Mann immer. Und recht hat er.
Jetzt kommt mein Mann und umarmt mich. Glücklich gebe ich ihm einen Kuss auf sein unrasiertes Kinn. Wie ich es liebe, wenn er einen Bart hat. Er lächelt und geht ins Bad, wo schon die Mädchen sind und sich anziehen. Ich schaue ihm nach. Er ist ein gutes Stück größer als ich, sehr schlank, fast schon dürr, mit dichten, schwarzen Haaren und haselnussbraunen Augen, in denen ich mich immer wieder verlieren könnte. Ein Lächeln umspielt meine Lippen. Ich nehme mir meinen Kaffee und schaue aus dem Fenster. Dankbar für mein Leben. Und auch dankbar dafür, dass mir ein zweites geschenkt wurde. Nach meinem Autounfall vor drei Jahren haben mich die Ärzte fast aufgeben, weil ich mehr tot als lebendig war. Sie meinten, so erzählte mir mein Mann, entweder ich sterbe, oder ich werde ein lebenslanger Pflegefall bleiben. Zum Erstaunen aller erwachte ich aber nach mehreren Wochen aus dem Koma und wurde sogar wieder ganz gesund, wenn man von einer totalen Amnesie absieht. Alles, was vor dem Unfall war, ist komplett weg. Es hat lange gedauert, bis ich akzeptieren konnte, dass diese wunderbaren Mädchen, die gerade über das Frühstück herfallen, meine Kinder sind. Sie hatten mich vermisst, sie konnten mich in den ersten Wochen, in denen ich wieder zu Hause war, nicht alleine lassen. Und ich musste mich immer wieder daran erinnern, dass es keine fremden Kinder sind. Mein Mann hat mir einen Therapeuten gesucht, der mir helfen konnte, mein neues Leben aufzubauen. Ein Leben ohne Erinnerungen.
Wie immer hat mich mein Mann bei der Suche unterstützt und einen Therapeuten gefunden, der wirklich einen tollen Job macht. Dank der unermüdlichen Unterstützung meines Mannes habe ich es auch fast geschafft. Nur dieser Traum, der plagt mich. Er verwirrt mich. Ich rede oft in der Therapie darüber. Mein Therapeut nimmt an, dass die Angst daherkommt, dass mein Körper um den Unfall weiß, der kurz nach so einer Szene passiert sein muss. Vielleicht war ich vorher im Kinderzimmer und habe mit meiner Tochter gespielt. Vielleicht sogar gesungen. Das klingt für mich logisch. Das sagt auch mein Mann, also glaube ich es, denn was mein Mann sagt, ist immer richtig.
Wir sind fertig mit dem Frühstück und mein Mann bringt die Kinder in den Kindergarten beziehungsweise zur Schule, bevor er selber zur Arbeit fährt. Meine Große, Isabelle ist in der ersten Klasse, ihre jüngere Schwester im letzten Kindergartenjahr. Im Sommer kommt auch sie in die Schule. Das macht er auch seit drei Jahren. Er sagt, er hat große Angst um mich und will nicht, dass mir wieder so etwas Schlimmes passiert. Außerdem befürchtet er, ich könne mich verlaufen, denn ich habe noch ein paar Konzentrationsprobleme und Probleme damit, mir etwas zu merken. Es wird zwar besser, aber wir haben gesagt, bevor das nicht wieder alles da ist, übernimmt er die Fahrten in den Kindergarten und die Schule. Dafür bin ich ihm sehr dankbar. Aber – wofür bin ich ihm nicht dankbar? Ich habe wirklich Glück mit ihm. Er ist so aufopfernd für uns, er ist immer da, er hilft, wo er nur kann, ist geduldig, freundlich, liebevoll und ich könnte mir weder einen besseren Vater für meine Kinder, noch einen besseren Ehemann vorstellen.
Verträumt stehe ich in der Küche, bis mir der Küchentisch auffällt. Ich muss ihn abräumen und dann meinem Tagewerk nachgehen. Ich bin Hausfrau und Mutter und das mit Leidenschaft. Das war ich schon immer, erzählte mir mein Mann. Und ich glaube es ihm. Es gibt nichts Schöneres als eine saubere, geputzte Wohnung. Das Haus ist das Aushängeschild jeder guten Hausfrau, sagt er immer. Und irgendwie hat er damit auch recht. Ich musste zwar erst wieder lernen, wie ich alles so saubermache, dass alle damit zufrieden sind, aber das ging recht schnell. Ich habe mir überall Zettel aufgehängt, das war auch eine gute Übung, um das Schreiben und lesen wieder zu lernen. Viele Dinge musste ich mir ganz neu aneignen. Aber ich war dabei nie alleine. Meine Schwiegermutter war damals und ist noch immer jeden Tag bei mir. Sie sagt mir, wo ich vergessen habe, etwas zu putzen oder was ich beachten muss. Sie müsste auch gleich wieder kommen. Obwohl ich das alles schon wieder gut alleine hinbekomme, bestehen sie und mein Mann darauf, mir weiter zu helfen. Wie kann ich da nein sagen, sie meinen es ja gut.
Mein Mann hat mir immer Lehrer organisiert, weil er so viel arbeiten musste, die mir mit allergrößter Geduld halfen. Erst im letzten halben Jahr ist für mich ein normales Leben wieder möglich, ein Leben, indem ich lesen kann und schreiben, in dem ich mir, zumindest halbwegs, etwas merken kann und in dem niemand bemerkt, dass ich Probleme habe mit dem Sprechen. Ich bin sehr dankbar dafür.
In Gedanken räume ich den Tisch ab und gehe danach in den Keller, um die Wäsche zu machen. Auf dem Weg nach oben kommt mir schon meine Schwiegermutter entgegen. Sie hat natürlich einen Hausschlüssel. Wir begrüßen uns und sie geht hinter mir her. Dann mache ich die Betten im Kinderzimmer und im Schlafzimmer, lüfte alles gut durch und wische sämtliche Oberflächen mit einem bestimmten Reinigungsmittel ab. Ich mag das, das riecht so gut nach Orange. Meinem Mann ist es sehr wichtig, dass alles immer gut riecht. Ich finde es aber auch sehr schön und angenehm und deshalb mache ich das sehr gerne. Meine Schwiegermutter schaut mir zu und ich weiß, solange sie schweigt, mache ich meine Arbeit gut. Sobald ich damit fertig bin, putze ich das Badezimmer. Ich reinige die Badewanne, die Dusche, die Toilette und das Waschbecken, dann schließe ich die Fenster, die ich zum Lüften aufgemacht hatte, und sauge alle Räume im ganzen Haus. Alle, bis auf das Arbeitszimmer. Das ist das Reich meines Mannes und ich respektiere das. Er sagt, ein Mann braucht sein eigenes Reich, in dem er machen kann, was er will.
Wenn ich damit fertig bin, wische ich das ganze Haus durch und überprüfe alle Räume, ob ich auch an alles gedacht habe. Meine Schwiegermutter schaut auch nochmal drauf, falls ihr etwas auffällt. Vier Augen sehen mehr als zwei, sagt sie immer.
Wenn wir damit fertig sind, geht sie wieder zu sich nach Hause und fährt dann bald los, um die Kinder abzuholen, während ich mich um das Mittagessen kümmere. Es gibt immer gesundes und frisches Gemüse, vorsichtig blanchiert, damit die Vitamine nicht verloren gehen. Vitamine sind essenziell für den Körper, für die Denkleistung und die Gesundheit. Eine Komponente aus weißem Fleisch ist ebenfalls dabei, oder Fisch, wegen der Omega 3 Fettsäuren. Die Kinder mögen das Essen nicht, vermute ich oft, weil sie es mit so wenig Begeisterung essen. Aber sie essen es, ohne etwas zu sagen. Sie sind so brav, ich bin immer sehr stolz auf die beiden.
Meistens bin ich gerade mit dem Essen fertig, wenn sie nach Hause kommen. Nach dem Essen machen wir Hausaufgaben. Meine jüngste Tochter, Frida, will dabei immer mitmachen und so bekommt sie eine Mappe mit Vorschulsachen zum Üben. Das war lustig, als wir es noch zusammen gemacht haben. Jetzt muss sie es aber wieder alleine machen, denn ich kann das ja alles wieder. Die Große, Isabelle, macht ihre Hausaufgaben für ihr Alter sehr akribisch. Nie malt sie über die Linie oder macht einen Strich zu viel. Sie ist immer so konzentriert, dass ich sie kaum ansprechen kann. Mein Mann witzelt immer, dass sie das wohl von ihm habe, von mir kann sie es nicht haben, so chaotisch und vergesslich, wie ich bin. Sie lächelt dabei nur und sagt nie was dazu. Ich finde es aber witzig.
Nach den Hausaufgaben putze ich wieder den Tisch ab mit dem Reinigungsmittel aus Orange und dann kommt auch oft mein Mann nach Hause. Er braucht dann etwas Zeit, um sich von seiner anstrengenden Arbeit zu erholen, und so gehe ich mit den Kindern ins Kinderzimmer um mit ihnen zu spielen. Selbstverständlich mache ich ihm vorher einen Kaffee. Ich gefalle mir sehr in der Rolle der „treusorgenden Ehefrau“, wie er mich immer liebevoll nennt. Dann gibt es Abendessen. Da mein Mann noch nichts Warmes gegessen hat, bereite ich ihm eine Mahlzeit zu, im Prinzip das, was wir schon zum Mittag hatten, aber Frisch gekocht. Aufgewärmt geht das nicht, weil dann die ganzen Nährstoffe weg sind, hat mir meine Schwiegermutter beigebracht. Er sitzt dann mit den Kindern am Tisch und sie unterhalten sich über den Tag. Er ist immer sehr interessiert an ihnen und will wissen, wie es in der Schule und im Kindergarten war und ob sie die Hausaufgaben fertig hätten. Obwohl ich die ganze Zeit bei den Hausaufgaben daneben sitze, kontrolliert er sie nochmal. Nur um sicherzugehen, weil ich noch nicht so fit bin, sagt er immer. Ich finde es toll, wie sehr er sich um uns alle sorgt.
Nach meinem Tag fragt er nicht, aber was soll ich ihm erzählen, es ist ja jeden Tag das Gleiche. Das ist in Ordnung für mich, ich will ihn ja schließlich nicht langweilen.
Wenn das Abendessen fertig ist, reinige ich den Tisch, er geht ins Arbeitszimmer, zu seinem Computerspiel, ich bringe derweil die Kinder ins Bett und lese ihnen noch etwas vor. Danach gehe ich nochmal duschen und ziehe mir etwas Hübsches an. Ich weiß, dass er es mag, wenn ich mich für ihn zurechtmache. Und da er alles für mich und die Kinder macht, damit wir glücklich sind, kann ich ja auch was für ihn machen, damit er glücklich ist. Er ist sehr leidenschaftlich und hat auch immer Lust auf mich. Er braucht „es“ nach einem langen Arbeitstag zum Herunterkommen und ich gebe es ihm gerne. Ich habe zwar nicht immer Lust darauf, aber wie heißt es so schön? Die Lust kommt beim Essen. Nach dem Sex gehe ich wieder duschen und dann gehen wir ins Bett. So läuft jeder Tag bei uns ab und ich könnte nicht glücklicher sein.
Wenn nur dieser Traum nicht wäre.
2.
Es ist Wochenende. Mein Mann muss leider wieder arbeiten. Einer seiner Mitarbeiter ist krank und er muss die Arbeit für ihn übernehmen. Er opfert sich immer so auf für alle anderen, an sich selber denkt er dabei nicht. Wie könnte ich ihn nicht lieben? Ich habe ihn mal gefragt, was er denn so Wichtiges arbeitet, dass es nicht auch mal liegen bleiben kann, doch er wurde darauf etwas ungehalten und meinte, darüber solle ich mir keinen Kopf machen, das sei seine Sache und solange er genug Geld nach Hause bringt, sollte es mir auch egal sein. Ein Mann arbeitet, eine Frau gebärt, sagt er immer.
Ich mag diesen Satz nicht, aber kann nicht genau sagen, warum, denn eigentlich stimmt es ja. Ein Mann kann keine Kinder bekommen. Ich habe mal mit meiner Schwiegermutter darüber gesprochen, doch sie meinte, dass er vollkommen recht damit habe. Eine Frau gehört nach Hause, zu ihren Kindern und ihrem Haushalt, ein Mann muss nach draußen und dort seine Arbeit verrichten, sonst würde seine Seele verkümmern. Nur die Frauen sind dafür geschaffen, zuhause zu arbeiten. Männer brauchen ihre Freiheit, sagt sie immer.
Ich weiß nicht, wie andere Menschen das sehen, ich kenne niemanden sonst. Mit meinem Therapeuten spreche ich nur über meine Träume. Ich habe einmal vorsichtig nachgefragt, ob wir auch über andere Themen reden könnten, doch er sagte mir, das sei nicht vorgesehen und ich solle froh sein, dass er mich als Frau überhaupt behandeln würde. Das täte er nur meinem Mann zuliebe, normalerweise haben Frauen keinen Anspruch auf eine Therapie. Sie brauchen auch keine, denn sie würden ja nicht arbeiten oder soviel Verantwortung tragen, wie die Männer. Er wurde so ungehalten, dass ich nie wieder danach gefragt habe.
Aber ich merke gerade, dass ich mit meinen Gedanken wieder abschweife. Die Kinder und ich machen uns ohne meinen Mann einen schönen Tag. Da ich nicht alleine aus dem Haus gehen soll, gehen wir in den Garten und picknicken dort. Zum Glück ist das Wetter warm und sonnig. Wir spielen verstecken und fangen und lachen ganz viel. Wir kugeln uns wie die Igel auf dem Rasen, bis Isabelle „STOPP“ schreit. „Was ist Liebling?“, frage ich verwundert. Sie schaut mich panisch an. Ihre Augen sind weit aufgerissen, sie atmet schnell und bekommt Tränen in die Augen. „Was ist denn los?“, frage ich nochmal, so langsam bekomme ich auch Angst. „Ich habe einen Flecken auf der Hose.“, schluchzt sie. Ich nehme sie in die Arme und tröste sie. „Aber Schatz, das kriegen wir wieder raus. Mach dir keine Sorgen, das ist doch nicht schlimm.“ Beruhige ich sie. Gleichzeitig zieht sich alles in mir zusammen und ich spüre ihre Angst, als sei es meine. Wir gehen zurück ins Haus und sie zieht sich sofort eine andere Hose an. Mit ihrer dreckigen Hose geht sie ins Badezimmer und fängt wie wild an dem Fleck zu reiben an. Ich bekomme noch mehr Angst. „Lass das, ich mache das schon.“ Sage ich ihr und nehme ihr die Hose aus der Hand. Sie zittert noch immer und schaut mir zu, wie ich den kleinen Fleck in der Waschküche im Keller aus der Hose wasche. Mir wäre er überhaupt nicht aufgefallen. Ich lächle sie ermutigend an. „Schau, schon ist er weg. Alles gut mein Schatz.“ Schüchtern lächelt sie zurück. Sie wirkt erleichtert. Was für eine seltsame Szene war das? Vielleicht ist es noch etwas aus der Zeit, in der ich im Koma lag. Vielleicht hat sie deshalb irrationale Ängste entwickelt. Ich schicke die Kinder nach oben in ihre Zimmer, damit ich kurz nachdenken kann. Zuerst muss ich aber mit meinem Mann darüber sprechen, er will immer sofort informiert werden, wenn etwas anders ist als sonst. Irgendwas sagt mir, dass ich das lassen sollte, aber ich schiebe diesen Gedanken weg. Was soll schon passieren, mein Mann tut uns ja nichts.
Als ich wieder nach oben komme, spielen die Kinder ruhig in ihren Zimmern. Ich nutze die Gelegenheit und wische die Möbel ab. Leider hat der Staub kein Wochenende und mein Mann hat gleich schon Feierabend, also putze ich schnell das Haus. Ich habe ihn kurz angerufen, aber er ging nicht an sein Telefon. Ich erzähle ihm später von dem Vorfall, ich hoffe, er nimmt es mir nicht übel.
Am Wochenende essen wir abends immer zusammen und so fange ich schon an, zu kochen, weil es samstags und sonntags immer ein etwas aufwändigeres Essen gibt. Ich lausche nebenbei den Kindern, die leise flüstern und kichern. Das Drama scheint vergessen zu sein, ich bin froh und summe vor mich hin. Ein Lied, das mir in den Kopf kommt, ich tanze dabei durch die Küche und fühle mich leicht und frei. So dankbar, dass ich dieses Leben habe und leben darf. Das Essen schmeckt allen sehr gut und mein Mann lobt mich über die Maßen dafür. Das freut mich natürlich sehr und ich grinse wie ein verliebtes Schulmädchen, während ich die Spülmaschine einräume. „Papaaa?“, fragt Frida, „weißt du, was wir heute gemacht haben, wir haben im Garten gepicknickt und dann ist Isabelle…“ „NICHT!“, schreit ihr Isabelle dazwischen. Fragend schauen wir sie alle an. Sie zittert wieder, Panik in den Augen. Ich spüre erneut diese Angst, die dieses kleine Mädchen hat. Dann lächelt sie zwanghaft. „Ich bin nur von der Schaukel gefallen, sonst nichts. Nichts Wichtiges.“ Beschwichtigt sie. Und sie lügt. Dabei schaut sie Frida mit zusammengekniffenen Augen an. Frida sinkt auf ihrem Stuhl zusammen. „Ja.“ Lächelt sie gequält. Mein Mann scheint diese Szene nicht zu bemerken. Aber er schaut Isabelle seltsam an. „Hast du dir wehgetan, Liebling?“, fragt er freundlich. Sie schüttelt energisch den Kopf. „Dann ist ja gut.“ Lächelt er nun. Sie schaut noch immer etwas panisch, aber scheint sich zu beruhigen. Als die Kinder schlafen, versuche ich mit meinem Mann zu reden. Ich wollte ihm ja noch erzählen, was wirklich passiert ist. Doch nach dem Sex ist er immer so müde, dass er gleich einschläft. Also stehe ich wieder auf, ich kann noch nicht schlafen. Die Müdigkeit steckt mir zwar in den Knochen, aber ich kann meine Gedanken nicht zur Ruhe bringen. Leise schleiche ich in die Küche. Das Mondlicht scheint sacht auf den Tisch, alles hat seinen Platz, alles ist sauber und aufgeräumt. Doch plötzlich blitzt etwas auf. Ich schaue mich um und sehe die Kinder unter der Bank in der Küche. Ich höre jemanden brüllen und schreien. Die Kinder halten sich fest, sie weinen und drücken sich ganz in die Ecke. Ich mache einen Schritt nach vorne und stehe wieder im Dunkeln. Mein Kopf schmerzt, mir wird schwindelig. Bevor ich mich hinsetzen kann, falle ich schon auf den Boden.
3.
Ich werde im Bett wach. Alles ist schwer, mein Körper fühlt sich an, als sei ein Zug darübergefahren. Schwerfällig setze ich mich auf. Ich höre die Kinder und meinen Mann in der Küche. Langsam stehe ich auf und gehe aus dem Schlafzimmer. „Guten Morgen Schlafmütze.“ Begrüßt mich mein Mann fröhlich. „Hast du gut geschlafen Liebling?“ Ich bin noch nicht ganz wach und schüttle den Kopf. „Ich weiß nicht. Ich war gestern noch in der Küche und ich, ich weiß nicht, das war alles so seltsam. Ich bin hingefallen.“ Jetzt fällt es mir wieder ein. Dieses seltsame Bild, die weinenden Kinder unter der Bank. Mir wird wieder schlecht. „In der Küche? Also, du warst die ganze Nacht im Schlafzimmer, ganz sicher. Du weißt doch, dass ich so schlecht schlafe. Das hätte ich sicher mitbekommen. Und wenn du hingefallen wärst, dann erst recht, ist ja nicht so, als ob du leise fallen würdest, haha.“ Macht er Scherze. Ich lächle. „Dann habe ich das wohl geträumt …“, weiche ich aus. „Ja, ganz sicher hast du das mein Schatz. Na komm, ich mache dir einen Kaffee, während du dich anziehst. Und dann habe ich eine kleine Überraschung für euch.“ Sagt er und küsst mich auf die Stirn. Das muss eine tolle Überraschung sein, denn eigentlich wollte er heute arbeiten, fällt mir ein und nun ist er in der Küche und macht mir Kaffee. Glücklich gehe ich ins Badezimmer und mache mich extra hübsch zurecht für ihn. Ich ziehe mir das Oberteil an, das er am liebsten hat, weil es meine Brüste so schön betont, wie er immer sagt. Mir ist noch immer etwas flau im Magen, aber wahrscheinlich habe ich nur Hunger. Nachdem ich fertig bin, steht schon alles auf dem Tisch und die Kinder sitzen brav auf ihren Stühlen. Ich gebe ihnen einen Kuss auf den Kopf und setze mich ebenfalls hin. Was wohl die Überraschung ist? Wir alle warten gespannt. „Also,“ lächelt er uns an und lässt uns etwas zappeln. Ich lächle zurück und spüre wieder, wie sehr ich diesen fantastischen Mann liebe, „heute machen wir alle zusammen einen Ausflug in den Zoo! Na, was sagt ihr?“ Die Kinder strahlen sich an und ich kann mir ebenfalls ein Grinsen nicht verkneifen. „Ich habe mir heute extra freigenommen. Wir haben schon so lange nichts mehr zusammen unternommen, das haben wir uns verdient. Was meint ihr?“ „JAAAAAAAAA“ schallt es von den Kindern herüber. Ich lege meine Hand auf seine. „Das ist eine tolle Idee.“ Sage ich und gebe ihm einen Kuss. Er grinst mich an und schaut auf meine Brüste. Ich freue mich, dass ihm mein Anblick gefällt, auch wenn ich mich dabei unwohl fühle, wenn er mir so auf die Brüste starrt. Aber ich sollte nicht so empfindlich sein. Er sagte mir einmal, als ich ihn bat, mich nicht so anzuschauen, dass er ein Mann ist und Bedürfnisse hat, und wie könne er nicht schauen, bei so einer hübschen Mutter, wie ich sie sei. Er meinte, das sei normal, das machen alle Männer und für die Frauen ist es ein großes Lob. Ich solle mich freuen. Also versuche ich, mich zu freuen, wenn er das macht und schlucke meine Gefühle runter. Nach dem Frühstück geht es sofort los. Ich habe nur schnell den Tisch abgedeckt, alles saubergemacht und Brote geschmiert. Wir sind alle aufgeregt wie schon lange nicht mehr. Das ist der erste Ausflug, seit ich wieder zu Hause bin. Im Auto plappern die Kinder über die Tiere, die wir sehen werden und mein Mann schiebt seine Hand unter meinen Rock. Ich mag das eigentlich nicht, wenn er vor den Kindern so etwas macht, aber ich will nicht so sein, schließlich macht er ja so viel für uns. Unauffällig versuche ich, etwas weiter wegzurücken, doch er packt nur fester zu und schaut mich an, mit diesem Blick, der ziemlich eindeutig ist. Ich lächle zurück. Es stört ihn nicht, dass die Kinder hinter uns sind, das weiß ich. Also atme ich tief durch und schaue mir die Landschaft an, durch die wir fahren. Es ist Frühling und so langsam fängt alles wieder an zu blühen, die Bäume kriegen neue Blätter und die Luft riecht so herrlich frisch. Der Tag ist wunderschön. Die Sonne scheint, es ist warm, die Kinder sind ausgelassen und fröhlich springen sie vor uns herum, während mein Mann und ich wie verliebte Teenager Händchen halten und gemütlich hinter den Kindern hergehen. Zur Mittagszeit machen wir eine Pause. Mein Mann holt uns Pommes und ich gehe kurz auf die Toilette. Als ich herauskomme, steht vor mir eine Frau, die mich schockiert anschaut. Ich schaue an mir herunter, vielleicht habe ich vergessen, meinen Rock hochzuziehen? Nein, der passt. „Ist alles okay mit ihnen?“, frage ich die Frau. Sie ist kreidebleich und schnappt nach Luft. Sie stützt sich am Waschbecken ab. Ich gehe zu ihr, um sie zu halten, sollte sie umfallen. Aber sie weicht einen Schritt zurück. „Beruhigen sie sich. Sie fallen ja gleich um. Ich tue ihnen nichts.“ Beschwichtige ich. „Charlotte?“, kommt es leise aus ihrem Mund. Jetzt kriege ich Angst, sie scheint mich zu verwechseln, ich heiße Josefine und nicht Charlotte. Vielleicht erinnere ich sie an jemanden, den sie kannte? Ich schaue sie nur an. „Wer sind sie?“, frage ich. „Charlotte? Du lebst?“ Fragt sie nochmal. Dann fällt sie um. Ich renne schnell aus der Toilette und rufe nach Hilfe. Sofort kommen ein paar Menschen angerannt, auch mein Mann. Er schaut hinter mich und sieht diese Frau. Rüde zerrt er mich am Arm weg. „Ich rufe schnell einen Krankenwagen, setz dich hin, du bist ganz blass!“, sagt er in einem Tonfall, der keinen Widerspruch duldet. Ich nicke nur. Mir ist wirklich schlecht. „Mama, was war los?“ Will Isabelle wissen. „Nichts, Liebling. Da ist nur eine Frau auf der Toilette umgekippt. Aber ihr wird schon geholfen, du musst dir keine Sorgen machen.“ Sage ich mehr zu mir, als zu ihr. Sie sieht rüber zur Toilette. Dann wird sie ganz bleich. Ich gucke in die Richtung, in die sie schaut und sehe, wie die Frau, die schon wieder bei Bewusstsein ist, von mehreren Menschen in die Sanitätsabteilung begleitet wird. Ich kann den Blick meines Mannes nicht sehen, aber seine Körperhaltung sieht sehr angespannt aus. Er drückt meinen Arm noch fester. „Au!“, sage ich, doch er hört es nicht. Wahrscheinlich macht er sich nur Sorgen, das macht er immer. Isabelle hat Tränen in den Augen. „Schatz, was ist los?“, frage ich vorsichtig, während ich versuche, meinen Arm aus seiner Hand zu kriegen. „Kennst du diese Frau?“, sie schaut mich schockiert an. „Nein.“ Sagt sie nur und setzt sich wieder hin. In ihrer Stimme schwingt etwas mit, was ich nicht zuordnen kann. Aber bevor ich mir darüber den Kopf zerbrechen kann, ist mein Mann wieder aus seinen Gedanken aufgetaucht und lässt mich endlich los. „Wir fahren nach Hause.“ Bestimmt er. „Aber Papa, wir wollten doch noch…“, jammert Frida, er schaut sie nur an und sofort ist sie still. „Okay“, flüstert sie traurig. „Wir holen das nach, Schatz. Versprochen.“ Tröste ich sie. Wir gehen sofort zum Auto, hinter uns ist noch die Aufregung um diese Frau. Als ich zurückschaue, sieht mir einer der Männer, die ihr geholfen haben, nach. Sein Blick ist intensiv und macht mir Angst. Auf der Rückfahrt ist die Stimmung nicht mehr so ausgelassen wie vorher. Die Kinder sind traurig, dass unser Ausflug so abrupt abgebrochen wurde und mein Mann schweigt. Ich versuche, an ihn heranzukommen, doch erhalte nur einsilbige Antworten. Also schaue ich wieder aus dem Fenster. Wer war diese Frau? Und wieso hat sie mich Charlotte genannt? Und wieso hat es sie so schockiert, mich zu sehen? So als hätte sie einen Geist gesehen. Aber vielleicht hat sie das tatsächlich, warum hat sie sonst gefragt, ob diese Charlotte noch lebt? Zuhause angekommen schickt mein Mann die Kinder ins Zimmer zum Spielen, damit ich mich etwas ausruhen kann. „Vielleicht war es doch noch zu viel für dich, mein Schatz.“ Sagt er, während ich mich auf die Couch setze. „Hat diese Frau was zu dir gesagt?“, fragt er liebevoll. Ich habe das unbestimmte Gefühl, dass ich ihm das nicht erzählen sollte und so schüttle ich nur den Kopf. Dabei wundere ich mich über mich selber, ich habe ihn noch nie angelogen. „Okay.“ Er wirkt beruhigt. „Wahrscheinlich hat ihr die Sonne nicht gutgetan. Die wird schon wieder. Ruh dich etwas aus, ja?“ Er gibt mir einen Kuss auf die Stirn und ich schlafe sofort ein.
4.
Ich fühle mich, als würde ich durch einen Nebel wandern. Alles ist dunkel, ich kann nichts sehen.